Inhalt

LG Hof, Beschluss v. 06.03.2023 – 22 T 66/22
Titel:

Einstweilige Anordnung, Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens, Verfahrenskostenhilfe, Haftanordnung, Freiheitsentziehungsverfahren, Verfahrensbevollmächtigter, Anhörungstermin, Faires Verfahren, Kostenentscheidung, Hauptsacheentscheidung, Verfahren der einstweiligen Anordnung, Anhörung des Betroffenen, Gegenstandswert, Unerlaubte Einreise, Beschlüsse des Amtsgerichts, Rücküberstellungshaft, Zweckentsprechende Rechtsverfolgung, Notwendige Auslagen des Betroffenen, Beschwerdeschriftsatz, Beschwerdekammer

Schlagworte:
Haftanordnung, Rücküberstellungshaft, Einstweilige Anordnung, Recht auf ein faires Verfahren, Rechtsanwalt, Hauptsacheentscheidung, Verfahrenskostenhilfe
Vorinstanz:
AG Hof, Beschluss vom 29.03.2022 – 21 XIV 116/22 (B)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 47357

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass ihn der Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 29.03.2022, Az. 21 XIV 116/22 (B), in seinen Rechten verletzt hat.
2. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen sowohl in der 1. als auch in der 2. Instanz werden dem Freistaat Bayern auferlegt.
3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,- € festgesetzt.
4. Dem Betroffenen wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Rechtsanwalt … wird zu den Bedingungen eines beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwaltes beigeordnet.

Gründe

I.
1
Der Betroffene ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wurde am 16.02.2022 von Tschechien kommend auf der Ladefläche eines Lastkraftwagens bei der wiederholten (unerlaubten) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland festgestellt, ohne den für die Einreise erforderlichen Pass oder Passersatz oder den erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen. Der Betroffene wurde bereits zuvor am 14.01.2022 über den Flughafen M. nach Rumänien zurückgeführt und ist sodann erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
2
Mit Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 17.02.2022 wurde gegen den Betroffenen im Wege der einstweiligen Anordnung Haft bis zu seiner Rücküberstellung in die Republik Rumänien angeordnet. Die Haftdauer wurde zunächst bis zum 30.03.2022 befristet.
3
Die Bundespolizeidirektion M.; vertreten durch die Bundespolizeiinspektion S., beantragte mit Schreiben vom 29.3.2022 gegen den Betroffenen die Verlängerung der Rücküberstellungshaft bis zur vollzogenen Abschiebung, längstens jedoch bis zum 11.05.2022 anzuordnen. Hilfsweise wurde eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt. Daraufhin ordnete das Amtsgericht Hof nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 29.03.2022 im Wege der einstweiligen Anordnung die Verlängerung der angeordneten Rücküberstellungshaft bis 02.05.2022 an.
4
Gegen diesen Beschluss legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen mit Schreiben vom 30.03.2022 Beschwerde ein und beantragte, festzustellen, dass der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Ferner beantragte er die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe. Die Beschwerde begründete er im wesentlichen damit, dass die Abschiebehaftanstalt in H. einen gefängnisähnlichen Charakter habe und es zudem an einem Abschiebehaftvollzugsgesetz in Bayern fehle. Auch habe das Gericht zu Unrecht im Verfahren der einstweiligen Anordnung entschieden. Einstweilige Haftanordnungen dürften nur ausnahmsweise ergehen, wenn ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden bestehe. Vorliegend habe die antragstellende Behörde jedoch bis zum Ablauf der ersten Haftanordnung keinerlei Versuche unternommen, eine Hauptsacheentscheidung zu erreichen. Es hätte nur eine kurzfristige Haftanordnung ergehen dürfen. Die volle Frist von 6 Wochen habe nicht ausgeschöpft werden dürfen. Insbesondere hätte, nachdem der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen an der Teilnahme am Anhörungstermin vom 29.03.2022 verhindert war, nur eine kurze einstweilige Anordnung ergehen dürfen und nicht eine 5-wöchige Freiheitsentziehung. Schließlich dürfe aufgrund mehrerer einstweiliger Anordnungen die Haft nur für insgesamt maximal 6 Wochen angeordnet werden. Im Übrigen wird auf den Beschwerdeschriftsatz vom 18.04.2022 Bezug genommen.
5
Das Amtsgericht Hof half der Beschwerde mit Beschluss vom 20.04.2022 nicht ab und legt die Akten dem Landgericht Hof zur Entscheidung vor.
6
Die Abschiebung wurde am 27.04.2022 vollzogen.
7
Die Akte der antragstellenden Behörde lag der Beschwerdekammer vor.
8
Auf sämtliche erwähnten Beschlüsse sowie die sonstigen Aktenbestandteile wird Bezug genommen.
II.
9
Die Beschwerde ist zulässig, weil sie als Rechtsmittel gegen eine Haftanordnung statthaft ist und form- und fristgerecht eingelegt wurde, §§ 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, 58 Abs. 1, 63, 64 FamFG. Der Antrag richtet sich trotz der inzwischen eingetretenen Erledigung in der Hauptsache gemäß § 62 Abs. 1 FamFG in zulässiger Weise auf Feststellung, dass der Betroffene durch die angefochtene Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ist nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG gegeben.
10
Die Beschwerde ist auch begründet, weil die Verfahrensweise des Amtsgerichts den Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt hat.
11
Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft. Es kommt nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf dem Fehler beruht (BGH, Beschl. v. 25.10.2018 – V ZB 69/18; Beschl. v. 08.02.2018 – V ZB 92/17).
12
Erfährt der Haftrichter vor oder während des Anhörungstermins, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss er dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt wird und an der Anhörung teilnehmen kann. Ist eine Teilnahme an dem schon anberaumten Anhörungstermin nicht möglich, ist ein neuer Termin zu bestimmen. Bis dahin kann über die Anordnung von Haft nur vorläufig im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 427 FamFG) entschieden werden (BGH, Beschl. v. 25.10.2018 – V ZB 69/18).
13
Vorliegend war dem zuständigen Richter beim Amtsgericht Hof bei Erlass der Entscheidung vom 29.03.2022 bekannt, dass der Betroffene durch einen Rechtsanwalt … vertreten wird. So hat das Gericht vor dem Termin am 29.03.2022 gegen 11:15 Uhr mit Herrn Rechtsanwalt … telefonisch Kontakt aufgenommen und die Sach- und Rechtslage erörtert. Im Rahmen dieses Telefonates bat der Verfahrensbevollmächtigte um eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung, da ihm eine Terminsteilnahme am festgesetzten Tage nicht möglich war. Dementsprechend hat das Amtsgericht Hof mit seiner Entscheidung vom 29.03.2022 obiger Rechtsprechung zufolge zunächst korrekt im Wege der einstweiligen Anordnung entschieden.
14
Vorliegend hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts den Betroffenen dennoch in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Da Rechtsanwalt … zunächst nicht in der Lage war, an dem vom Gericht bestimmten. Anhörungstermin teilzunehmen, hätte das Amtsgericht die Haft im Wege der einstweiligen Anordnung nur für kurze Zeit anordnen dürfen (BGH Beschluss vom 03.07.2018 Az. V ZB 96/18). Der vom Amtsgericht gewählte Zeitraum von 5 Wochen war hier zu lang bemessen. Vielmehr hätte die einstweilige Anordnung auf einen kürzeren Zeitraum befristet werden und versucht werden müssen, alsbald die Anhörung des Betroffenen im Beisein seines Rechtsanwaltes nachzuholen und eine Entscheidung in der Hauptsache zu treffen.
15
Indem das Amtsgericht Hof jedoch die einstweilige Anordnung auf 5 Wochen befristet und bis zur Abschiebung des Betroffenen am 27.04.2022 keinerlei Versuche unternommen hat, die Anhörung des Betroffenen nachzuholen und eine Hauptsacheentscheidung herbeizuführen, hat der Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 29.03.2022 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, was entsprechend festzustellen war.
III.
16
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81 Abs. 1 S. 1 u. 2; 83 Abs: 2; 430 FamFG, Art. 5 EMRK.
IV.
17
Der Gegenstandswert war gemäß §§ 62, 36 Abs. 3 GNotKG auf 2.500,- € festzusetzen.
V.
18
Die beantragte Verfahrenskostenhilfe war in der ausgesprochenen Form zu bewilligen.