Inhalt

OLG Nürnberg, Endurteil v. 05.06.2023 – 8 U 3001/21
Titel:

Fehlender Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit in der Berufsunfähigkeitsversicherung

Normenketten:
BB-BUZ § 1 Abs. 1, § 2
ZPO § 286, § 411 Abs. 4
Leitsätze:
2. Um inhaltliche Zweifel an dem Beweisergebnis eines Sachverständigengutachtens darzulegen, genügt es regelmäßig nicht, der plausiblen Auffassung des Sachverständigen lediglich die abweichende Meinung der Partei entgegenzuhalten (Anschluss an OLG Dresden BeckRS 2020, 28356 Rn. 15). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die vom Sachverständigen ohne rechnerisch genauere Begründung vorgenommene Einschätzung eines mittels Prozentzahl bestimmten Grades der Berufsunfähigkeit ist als Ausfluss des in langjähriger Berufs- und Gutachter-Erfahrung gewonnenen Erfahrungswissens zu bewerten und kann damit uneingeschränkt Grundlage einer Urteilsfindung sein (Anschluss an OLG Stuttgart BeckRS 2013, 9924). (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufsunfähigkeitsversicherung, Sachverständigengutachten, Beweiswürdigung
Vorinstanz:
LG Ansbach, Urteil vom 10.08.2021 – 3 O 412/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 10.04.2024 – IV ZR 131/23
Fundstellen:
FDVersR 2024, 947348
BeckRS 2023, 47348

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 10.08.2021, Az. 3 O 412/20 Ver, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ansbach ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags geleistet hat.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 142.958,28 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, die der Kläger zu einer Kapital-Lebensversicherung mit Versicherung Nr. ... nunmehr bei der Beklagten (diese als Rechtsnachfolgerin der G… L. AG, jene wiederum als Rechtsnachfolgerin der V… L. AG) hält.
2
Der ursprüngliche Versicherungsbeginn war wohl der 01.02.1985 (Wiederinkraftsetzung 27.12.1989 nach Stundungsunterbrechung, vgl. Klage, S. 5-6, Bl. 2 zu K 5), das Laufzeitende ist am 01.02.2026. Es wurde eine Ausschlussklausel für „Beschwerden der Wirbelsäule und des Rückens“ (Anl. K 5 S. 2) sowie die Geltung der „Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nach dem Tarif BUZ“ (im Folgenden: BB-BUZ) in der am 23.12.1986 durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen genehmigten Fassung (§ 9 Abs. 10 BB-BUZ) vereinbart.
3
Die im Streitfall maßgeblichen Versicherer-Leistungen (behaupteter Eintritt des Versicherungsfalls in 7/2017) aus der BUZ werden vom Kläger in Form einer Monatsrente in Höhe von 1.507,30 € bei gleichzeitiger Freistellung vom Monatsbeitrag in Höhe von 373,73 € geltend gemacht.
4
Der Kläger (geb. 1965) behauptet, seit dem 20.07.2016 bedingungsgemäß berufsunfähig zu sein, da er nach einem Arbeitsunfall am 20.07.2016 (Treppensturz auf die rechte Körperseite beim Betreten einer Filiermaschine) aufgrund von multiplen Beschwerden – außerhalb von „Wirbelsäule und Rücken“ – insbesondere im Bereich rechte Schulter, rechter Arm, rechte Hand, sowie sich daraus entwickelt habenden Schulter-Arm-Syndrom, Impingement-Syndrom, Schmerzsymptomatik sowie einem psychovegetativem Erschöpfungssyndrom und einer psychischen Überlagerung in Form einer „ängstlichen depressiven Symptomatik“ nicht mehr in der Lage sei, in seinem zuletzt in gesunden Tage ausgeübten Beruf als „Filierer in der Mozzarella-Produktion“ überhaupt zu arbeiten (100% BU).
5
Mit seiner unter dem 15.04.2020 erhobenen Klage macht der Kläger die Vertragsleistungen ab 01.08.2017 geltend.
6
Die Beklagte lehnt jegliche Leistungen ab. Sie bestreitet jeglichen Vortrag „in Gesamtheit und jeder Einzelheit“ zu medizinischen Beschwerden, zur versicherten Berufstätigkeit und zu behaupteten Beeinträchtigungen der Berufsausübung.
7
Das Landgericht hat – nach Durchführung einer Beweisaufnahme mittels Einholung eines schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachtens – mit Endurteil vom 10.08.2021 die Klage abgewiesen, weil der Kläger das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit (mind. 50%) nicht nachgewiesen habe.
8
Im Übrigen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen und von weiteren Darstellungen abgesehen.
9
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine Leistungsansprüche im oben dargestellten Umfang weiterverfolgt.
10
Im Berufungsrechtszug beantragt der Kläger,
1.
das am 10.08.2021 verkündete Urteil 3 O 412/20 des Landgerichts Ansbach abzuändern und die Beklagte mit den in der mündlichen Verhandlung zuletzt gestellten Anträgen antragsgemäß zu verurteilen;
2.
hilfsweise < Aufhebung und Zurückverweisung >
11
Die entsprechenden erstinstanzlichen Anträge des Klägers lauteten,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin (gemeint: den Kläger) aus dem Versicherungsvertrag Nr. ... € 51.248,20 nebst Zinsen < gem. Zinsstaffel > zu zahlen, die sich aus der rückwirkenden Rentenleistungspflicht ab dem 01.08.2017 bis zum 01.04.2020 ergibt.
2.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin (gemeint: den Kläger) aus dem Versicherungsvertrag Nr. ... € 12.706,82 nebst Zinsen < gem. Zinsstaffel > zu zahlen, die sich aus der rückwirkenden Beitragserstattung ab dem 01.08.2017 bis zum 01.04.2020 ergibt.
3.
die Beklagte zu verurteilen, aus dem Versicherungsvertrag Nr. ... ab dem 01.05.2020 die versicherte Rente und Beiträge nebst den vereinbarten Rentenerhöhungen solange zu zahlen, wie Berufsunfähigkeit besteht, längstens bis zum Ablauf des Vertrages zum 01.02.2026.
12
Die Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
13
Der Senat hat am 12.09.2022 mündlich verhandelt. Der Kläger wurde persönlich angehört. Es wurde Beweis erhoben durch Vernehmung eines Zeugen zur Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit des Klägers zuletzt in gesunden Tagen sowie durch Einholung eines schriftlichen fachmedizinischen Sachverständigengutachtens. Es wird auf die Sitzungsniederschrift und das schriftliche „Orthopädische Fachgutachten“ der Sachverständigen Dr. B vom 23.02.2023 Bezug genommen.
14
Der Senat hat sodann mit Zustimmung der Parteien ein schriftliches Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO durchgeführt und als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, den 19.05.2023 bestimmt.
II.
15
Die zulässige Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg.
16
Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht der Klage auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung nicht stattgegeben. Dem Kläger stehen aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag keine Leistungsansprüche wegen des Eintritts bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit zu. Denn er ist für das behauptete Vorliegen eines Versicherungsfalls beweisfällig geblieben.
17
Im Rahmen der kurzen Begründung für die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung (vgl. § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) ist noch auszuführen:
18
1. Vertraglich ist zwischen den Parteien vereinbart:
19
Eine Leistungspflicht der Beklagten setzt voraus, dass der Kläger „während der Dauer dieser Zusatzversicherung zu mindestens 50 Prozent berufsunfähig“ wird (§ 1 Abs. 1 BB-BUZ, vgl. Anl. K 3).
20
Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht (§ 2 Abs. 1 BB-BUZ). Teilweise Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen nur in einem bestimmten Grad voraussichtlich dauernd erfüllt sind (§ 2 Abs. 2 BB-BUZ).
21
Ist der Versicherte sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, vollständig oder teilweise außerstande gewesen, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht, so gilt die Fortdauer dieses Zustandes als vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit (§ 2 Abs. 3 BB-BUZ).
22
2. Der Kläger als anspruchstellender Versicherungsnehmer ist beweispflichtig dafür, dass er aus gesundheitlichen Gründen zu mindestens 50% gehindert ist, seine zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte berufliche Tätigkeit oder eine andere gleichwertige Verweisungstätigkeit auszuüben.
23
Diese Beweisführung ist dem Kläger – über zwei Tatsacheninstanzen hinweg – nicht gelungen.
24
a) Schon der vom Landgericht beauftragte Sachverständige Dr. K kam in seinem fachorthopädischen Gutachten (vgl. Hauptgutachten vom 23.03.2021, Bl. 85 ff. d.A.; Ergänzungsgutachten vom 09.06.2021, Bl. 127 ff. d.A.) zu dem Ergebnis, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers bei der konkreten Berufsausübung nicht die 50% – Schwelle überschritten.
25
b) Der Senat hat dann aus prozessrechtlichen Erwägungen (vgl. dazu im Einzelnen: Hinweis-Beschluss vom 21.03.2022 und Hinweis- und Sachaufklärungs-Beschluss vom 21.04.2022) mit Beweisbeschluss vom 31.10.2022 die Einholung eines weiteren medizinischen Sachverständigengutachtens angeordnet.
26
Die beauftragte medizinische Sachverständige Dr. B hat den Kläger am 09.01.2023 einer „klinischen, fachorthopädischen Untersuchung“ unterzogen und sodann in ihrem schriftlichen Gutachten vom 23.02.2023 nach Verwertung des gesamten Akteninhalts und unter Berücksichtigung sämtlicher von den Parteien eingereichter medizinischer Vorbefunde ausführlich dargelegt, dass der Kläger – unter Beachtung der vertraglich vereinbarten Ausschlussklausel zu Wirbelsäulenschäden – in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als angestellter Filierer in der Mozzarellaproduktion in der Gesamttätigkeit deutlich zu weniger als 50% beeinträchtigt ist und demnach ein Restleistungsvermögen von mehr als 50% in seiner zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit aufweist (vgl. im Einzelnen GA S. 73-74, nebst drei Druckseiten tabellarische Auflistung im Anhang mit zuerkannten Einschränkungen zu konkreten Einzeltätigkeiten im Umfang von 0% bis maximal 30%).
27
Da die Bemessung eines konkreten Grades von Berufsunfähigkeit keine mathematisch zu bewältigende Aufgabe ist, genügt letztlich die sichere Feststellung der Gutachterin, dass jedenfalls keine hälftige Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit vorliegt (und somit die Leistungsvoraussetzung der vertraglich vereinbarten 50%-Klausel nicht erfüllt ist). Auch einen ununterbrochenen 6-Monatszeitraum, in welchem beim Kläger eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit von mindestens 50% vorgelegen habe, konnte die Sachverständige nicht feststellen.
28
c) Die hierzu schriftlich gehörten Parteien (§ 411 Abs. 4 ZPO) haben keine entscheidungserheblichen inhaltlichen Bedenken gegen das Gutachten vorgebracht, die eine weitere Sachaufklärung durch den Senat geboten hätten.
29
Deshalb haben sich im Nachgang dann auch beide Parteien mit der Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO einverstanden erklärt.
30
Um inhaltliche Zweifel an dem Beweisergebnis des schriftlichen Gutachtens darzulegen, genügt es nicht, der plausiblen Auffassung eines Sachverständigen lediglich die abweichende Meinung des Berufungsführers entgegenzuhalten (vgl. OLG Dresden, BeckRS 2020, 28356 Rn. 15; vgl. auch Jäckel, Das Beweisrecht der ZPO, 3. Aufl., Rn. 615 ff.).
31
Die schriftsätzliche Stellungnahme des Klägers vom 01.04.2023 gemäß § 411 Abs. 4 ZPO war nicht geeignet, inhaltlich das Gutachten der Sachverständigen Dr. B als Entscheidungsgrundlage in Frage zu stellen.
32
Der Kläger beschränkt sich im Wesentlichen auf Sentenzen wie
- „Das neunundsiebzig Seiten umfassende fachorthopädische Gutachten leidet unter dem Bemühen der Gutachterin, eine perfekte Arbeit abzuliefern. Aber Perfektion alleine reicht nicht, sondern vielmehr gefordert war die Umsetzung des gerichtlichen Beweisbeschlusses mit Aus- und Bewertung der Fakten aus den Prozessakten des Gerichts. Das Gutachten verfehlt den Sinn und Zweck aus folgenden Gründen: …“
- „Das Gericht hat in seinem umfassenden Beweisbeschluss vom 31.10.2022 der Gutachterin Hinweise und Vorgaben erteilt, welche für eine Verwertung des Gutachtens unabdingbar sind. Daran hat sich die Gutachterin aber nicht konsequent gehalten.“
- „Mit diesen Erkenntnissen hätte die Gutachterin nur zu dem Ergebnis kommen können, dass der Kläger seit dem Unfallereignis berufsunfähig ist. Offensichtlich hat es ihre Vorstellungskraft überfordert, zu erkennen, dass der Kläger mit diesen Einschränkungen seine beruflichen Tätigkeiten nicht mehr im notwendigen Maße ausüben konnte. Obwohl der Gutachterin rechtliche Kenntnisse des Versicherungsrechts nicht unterstellt werden können, sagt doch der gesunde Menschenverstand, dass bei den auch der Gutachterin bekannt gewordenen Produktionsabläufen, die zudem noch mit unterschiedlichen körperlichen Anforderungen abliefen, der Kläger nicht so eingesetzt werden konnte, dass er nur noch Knöpfe drücken musste.“
- „Die von der Gutachterin … angefertigte Tabelle mit den prozentualen Belastungsparametern war im Grunde genommen überflüssig … Gleichwohl ist festzustellen, dass sie nicht der Realität entspricht … .“
- „Das umfassende Gutachten in allen Teilen zu kommentieren halten wir für überflüssig.
Nach den Bedingungen besteht Berufsunfähigkeit dann, wenn der Versicherte aus medizinischer Sicht nicht mehr in der Lage war, seine berufliche Tätigkeit zu mindestens 50% auszuüben. Diesen Nachweis sehen wir als erbracht, auch wenn die Gutachterin der Meinung ist, dass die Berufsunfähigkeit unter 50% liegt.“
- „Außer der medizinischen Einschätzung, die nur ein Teil des Prüfungsverfahrens ist, kommt auch der Rechtsprechung im Versicherungsrecht eine besondere Bedeutung zu. Hierauf hat der Senat in seinem Hinweisbeschluss die Gutachterin hingewiesen. Dieser Auffassung schließen wir uns voll und ganz an, in der Überzeugung, dass der Kläger mit seinem Restleistungsvermögen nicht mehr in der Lage ist, den vertraglich verpflichtenden Leistungen nachzukommen und ein sinnvolles Arbeitsergebnis zu erzielen.“
33
All dies belegt die – vom Prozessgericht hinzunehmende – einseitige Perspektive des auf Vertragsleistung klagenden Versicherungsnehmers.
34
Die Klagepartei hat aber – wie oben auszugsweise dargelegt – ausdrücklich anerkannt, dass die Vorgaben des Senats an die Sachverständige den einschlägigen materiell-rechtlichen und prozessrechtlichen Vorschriften, in deren Ausprägung durch langjährige höchstricherliche Rechtsprechung, entsprochen haben. Diesbezügliche Defizite oder Versäumnisse sind weder vorgetragen noch im Nachhinein ersichtlich.
35
d) An diese Vorgaben hat sich die beauftragte Sachverständige penibel gehalten.
36
An der besonderen Sachkunde der vom Senat beauftragten Sachverständigen bestehen keine Zweifel. Die Sachverständige, Fachärztin für Orthopädie mit einer Zusatzqualifikation für spezielle Schmerztherapie, ist dem Senat seit langem als fachkundige, forensisch erfahrene und mit den Besonderheiten des (privatrechtlichen) Versicherungsprozesses vertraute Gutachterin bekannt.
37
Sie hat alle verfügbaren ärztlichen Befunde und Behandlungsberichte, einschließlich bildgebenden Materials, ausgewertet.
38
Die Sachverständige hat zusammenfassend und bewertend festgestellt:
> (vgl. GA S. 55: betreffend „Erstes Zwischenfazit“):
„Es ist nach dem Unfall vom 20.07.2016, insbesondere auch in den ersten 4 Monaten nach dem Arbeitsunfall … allenfalls anhand der rein subjektiven Angaben des Klägers selbst der Verdacht auf eine stattgehabte Schulterprellung oder -stauchung rechts zu stellen bei aber klinisch-radiologisch objektivem Ausschluss konkreter, äußerlich erkennbarer oder intraartikulärer, Verletzungszeichen. Konkrete Folgen aus diesem Arbeitsunfall … oder relevanter Verschleiß wurde nicht verifiziert. Somit kein erkennbarer Grund, weshalb diese vermutete Prellung nicht wie sonst üblich ausgeheilt sein sollte.
Eine etwaige Berufsunfähigkeit aufgrund des Arbeitsunfalls und aber auch bei grundsätzlich nicht objektiv nachgewiesenen Einschränkungen aufgrund entsprechender verschleißbedingter Veränderungen ist insofern bzgl. des rechten Schultergelenks nicht dargelegt. Denn zum weiteren Verlauf über die ersten 4 Monate nach dem Arbeitsunfall … hinaus liegen keine hinreichend aussagekräftigen Befunde vor. Man hat im Grunde nur die rein subjektiven Beschwerdeangaben des Klägers selbst ohne entsprechend nachgewiesenes klinisch-radiologisch objektiviertes Korrelat.
Aus den o. g. Gründen ist daher eine (auch nur teilweise) Berufsunfähigkeit seit dem 20.07.2016 bis 08.03.2018 nicht hinreichend zu begründen.
Allenfalls könnte ab dem Unfall … eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit von 1 – 2 Wochen, ggf. maximal 6 Wochen, aufgrund des Verdachtes auf eine Schulterprellung anerkannt werden.“ > (vgl. GA S. 57-58: betreffend „Zweites Zwischenfazit“):
„Am 13.03.2019 wurde bei weiterhin bestehenden Schulterbeschwerden rechts ein erneutes MRT der rechten Schulter durchgeführt. Im Vergleich zum MRT vom 06.09.2016 fand sich hierin auch kein Hinweis für eine Zusammenhangstrennung im Bereich der Rotatorenmanschette. … Insofern sind in diesem MRT weiterhin keine Folgen aus dem Arbeitsunfall vom 20.07.2016 nachgewiesen und nach fast 3 Jahren im Grunde auch nicht mehr nachweisbar. Umso mehr so, wenn man sich noch einmal in Erinnerung ruft, dass von Anfang an auch allenfalls der Verdacht auf eine Prellung des rechten Schultergelenks gestellt werden konnte und keine (Dauer-) Folgen zu sichern waren.
Es ist auch bis hierhin, d. h. bis zum 13.03.219, eine Berufsunfähigkeit von ≥ 50% u.a. aufgrund des rechten Schultergelenkes des Klägers nicht zu begründen.“ > (vgl. GA S. 60-62: betreffend „Drittes Zwischenfazit“):
„Wie bereits dargelegt, ist bzgl. der rechten Schulter des Klägers festzustellen, dass einerseits eine durch den Unfall vom 20.07.2016 verursachte konkrete unfallbedingte Verletzung nicht bestätigt werden kann. Es kam im Verlauf seit diesem Unfallgeschehen aber zu vom Kläger jedenfalls subjektiv als stark empfundenen persistierenden Beschwerden im rechten Schultergelenk.
Objektiv ist festzustellen, dass bis zum Gutachten für die Deutsche Rentenversicherung vom 12.04.2019 alle Befunde sowohl hinsichtlich der Funktion als auch radiologisch (MRTs) in den folgenden Jahren als weitestgehend unauffällig, in sich nicht konkludent und objektiv allenfalls mit geringen altersentsprechenden Verschleißzeichen zu beurteilen waren. Sicher ist, dass in dieser Operation keine unfallbedingten Verletzungen angegangen wurden, sondern rein altersentsprechende geringe verschleißbedingte Veränderungen symptomatisch behandelt wurden. Und es ist festzustellen, dass nunmehr erst im Gutachten vom 12.04.2019 aus unklarer Ursache und seit oder aufgrund (?) der Operation vom 08.05.2019 die Beweglichkeit im rechten Schultergelenk deutlich eingeschränkt geblieben ist und insofern die Operation keinerlei Verbesserung brachte.
Es ist insofern aus diesseitiger gutachterlicher Sicht, wenn überhaupt, aus allen o.g. Gründen eine Berufsunfähigkeit aufgrund des rechten Schultergelenkes frühestens erst ab dem 08.05.2019, nämlich dem Zeitpunkt der (frustranen) Operation der rechten Schulter, zu diskutieren. Gegen eine (teilweise) Berufsunfähigkeit aufgrund oder nach der Schulteroperation spräche aber wiederum, dass eben gerade durch die Operation eine etwaige Impingementsymptomatik mittels der Durchführung einer Dekompression am Schultereckgelenk objektiv beseitigt worden sein sollte. Blieben wiederum nur die subjektiven Beschwerdeangaben.
Auch bei der aktuellen Begutachtung des Klägers am 09.01.2023 zeigte sich eine als sehr stark psychosomatisch überlagert imponierende Schmerzsymptomatik und Ausgestaltung seitens des Klägers bei der körperlichen Untersuchung, die sich nicht wirklich objektiv erklärte anhand des vorliegenden Befundverlaufes seit dem 20.07.2016. Die im Rahmen der klinischen Untersuchung in der Begutachtung gezeigten deutlichen Einschränkungen können im Grunde nicht als realistische Funktionseinschränkung verwertet werden anhand der gezeigten (Über-)Reaktionen des Klägers. Aber aus den eher indirekten Anzeichen wie einer normalen Ausprägung der Schulterkulisse beidseits, einer nicht bestehenden Muskelatrophie im Seitenvergleich zwischen rechtem und linkem Arm und dem durchaus kraftvollen Gegenspannen bei den passiven Untersuchungsmanövern als Hinweis auf eine vergleichsweise normale Einsetzbarkeit des rechten Armes und damit fehlenden Hinweisen auf eine Mindereinsetzbarkeit oder (gewohnheitsmäßige) Schonung des rechten Armes sowie aus der Beobachtung im Rahmen vermeintlich nicht zur Untersuchung gehörenden Momenten heraus, erscheint jedenfalls eine relevante funktionelle Einschränkung und verminderte Belastbarkeit des rechten Schultergelenkes nicht sehr plausibel.
> (vgl. GA S. 73-74: betreffend „Beurteilung“):
Die Anforderungen an eine mindestens 50%-ige Berufsunfähigkeit sind sehr hoch. Deshalb wurden bewußt die obigen Befunde sehr detailliert ausgewertet, um so objektiv wie menschenmöglich die vorliegenden Befunde nachzuvollziehen und eine etwaige Berufsunfähigkeit zu untersuchen.
Bis zur Durchführung der Operationen und auch intraoperativ zeigen alle vorliegenden klinisch-radiologischen Befunde jeweils an der rechten Schulter und am rechten Handgelenk einen altersentsprechenden Befund, der jeweils nicht hinreichend mit den subjektiv vorgebrachten Beschwerden korrelierte.
Aus der diesseitigen gutachterlichen Sicht ist aber dennoch eine geringere, d.h. < 50%ige, Einschränkung der Berufsunfähigkeit (Anmerkung des Senats: ein offensichtliches Schreibversehen, gemeint ist „Einschränkung der Berufsfähigkeit“) anzuerkennen. Dies aufgrund der durchaus vorliegenden mäßigen verschleißbedingten Veränderungen im rechten Schultergelenk und Handgelenk des Klägers, und dies ist aber auch frühestens ab dem Zeitpunkt der Schulteroperation rechts am 05.08.2019 (Anmerkung des Senats: ein offensichtlicher Zahlendreher als Schreibversehen, richtig ist: 08.05.2019), eher noch erst ab der Operation der rechten Hand vom 01.10.2019 mit den hier beschriebenen intraoperativen Befunden begründbar. Nicht bestätigt werden kann jedoch eine mindestens 50%-ige
Berufsunfähigkeit.“
39
e) Den – im Einzelnen noch umfangreich und detailliert dargelegten und unterfütterten – gut nachvollziehbaren Ausführungen und Bewertungen der Sachverständigen Dr. B schließt sich der Senat aufgrund eigener Überzeugungsbildung an. Die von der Sachverständigen ohne rechnerisch genauere Begründung vorgenommene Einschätzung eines mittels Prozentzahl bestimmten Grades der Berufsunfähigkeit ist als Ausfluss des in langjähriger Berufs- und Gutachter-Erfahrung gewonnenen Erfahrungswissens zu bewerten (vgl. OLG Stuttgart, VersR 2014, 521 Rn. 15 juris) und kann damit uneingeschränkt Grundlage einer Urteilsfindung sein.
40
Soweit die Sachverständige am Ende ihres Gutachtens ausführt (vgl. GA S. 74),
„Die Beurteilung dessen allerdings, was prägende Tätigkeiten sind oder inwiefern mit den genannten Einschränkungen aufeinander aufbauende Tätigkeitsschritte nicht mehr möglich wären und ob so noch eine wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeit möglich wäre, unterliegt nach diesseitigem Dafürhalten nicht der medizinischen, sondern eher der juristischen Bewertung.“
ist dies für sich genommen zutreffend (vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl. 2020, Kap. 5 Rn. 54 ff.), führt aber im Streitfall zu keinem abweichenden Ergebnis.
41
Denn es wird weder vom Berufungsführer vorgetragen noch ist es für den Senat sonst ersichtlich, dass die von der Sachverständigen als Bestandteil des Gutachtens verwendete tabellarische Auflistung der Einzeltätigkeiten des Klägers am Arbeitsplatz unvollständig wäre (was schon deshalb fragwürdig wäre, weil die Sachverständige die vom Kläger selbst erstellte und zu den Akten gereichte Tätigkeitsbeschreibung als Formular-Grundlage verwendet und nur die ganz rechte Spalte „Einschränkung“ hinzugefügt und mit Zahlenwerten ausgefüllt hat). Wenn also alle Tätigkeiten am Arbeitsplatz erfasst und jeweils mit Einschränkungswerten zwischen 0% und maximal 30% belegt sind, erscheint es schon denkgesetzlich schwierig, bei einer aus jenen Einzeltätigkeiten zusammengesetzten oder aber auf solchen nacheinander aufbauenden Tätigkeit zu einer „prägenden Kerntätigkeit“ im Beruf zu kommen, die in Summe dann zu mehr als 50% beeinträchtigt sein soll. Der hier zu beurteilende Einzelfall lässt dafür jedenfalls keine relevanten Besonderheiten erkennen, solche werden auch vom Berufungsführer nicht vorgetragen.
42
Das Landgericht hat deshalb im Ergebnis zu Recht die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen.
III.
43
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
44
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, §§ 709, 711 ZPO.
45
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht erfüllt.
46
Die Wertfestsetzung ergibt sich unter Anwendung von §§ 47, 48 GKG.