Titel:
Unterlassungsanspruch bei Veröffentlichung von Äußerungen in mehreren Medien
Normenkette:
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsatz:
Der Betroffene kann sich in zulässiger Weise in verschiedenen Verfahren gegen mehrere inhaltlich vergleichbare Presseberichterstattungen desselben Verantwortlichen in verschiedenen Pressemedien wenden. Seinen Klagen steht schon deshalb nicht jeweils die anderweitige Rechtshängigkeit des Parallelverfahrens entgegen, weil aufgrund der Berichterstattung in verschiedenen Medien bereits unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen. Für die Bestimmung der Streitgegenstände ist nicht relevant, ob eine kerngleiche Äußerung vom Schutzumfang des in einem Parallelverfahren tenorierten Unterlassungsgebots umfasst wäre. (Rn. 5)
Schlagworte:
Verdachtsberichterstattung, anderweitige Rechtshängigkeit, Unterlassung, Lebenssachverhalt, Medienkanäle, Rechtsschutzbedürfnis
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 20.07.2023 – 26 O 14735/22
Fundstellen:
AfP 2024, 267
BeckRS 2023, 47260
ZUM-RD 2024, 451
LSK 2023, 47260
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 20.07.2023, Az. 26 O 14735/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung der Beklagten offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
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Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dies zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Das Landgericht hat zu Recht die streitgegenständliche Verdachtsberichterstattung für unzulässig gehalten und die Beklagte dementsprechend zur Unterlassung verurteilt.
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Zur Begründung wird zunächst auf das überzeugende und sorgfältig begründete Endurteil des Landgerichts Bezug genommen, dessen Entscheidungsgründe sich der Senat in vollem Umfang zu eigen macht. Das Berufungsvorbringen der Beklagten gibt Veranlassung zu folgenden ergänzenden Ausführungen:
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1. Der Klage steht vorliegend nicht die anderweitige Rechtshängigkeit des Parallelverfahrens 18 U 3369/23 (26 O 14724/22) entgegen. Denn die beiden Verfahren betreffen nicht denselben Streitgegenstand. Der Streitgegenstand wird bestimmt durch den Klageantrag und den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt. Letzterer unterscheidet sich in beiden Verfahren schon deshalb, weil jeweils eine andere Berichterstattung durch die Beklagte, nämlich einmal auf der Plattform .www.r. de und einmal auf der Plattform www.v. de angegriffen wird. Selbst wenn die angegriffenen Presseartikel weitgehend deckungsgleich sind, stellt ihre Publikation auf unterschiedlichen Medienkanälen jeweils einen eigenen abgrenzbaren Lebenssachverhalt dar.
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2. Entgegen der Ansicht der Beklagten fehlt dem Kläger vorliegend nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für seine Klage. Zwar ist nicht auszuschließen, dass ein Unterlassungsgebot im Parallelverfahren auch die meisten der hier angegriffenen Äußerungen erfassen würde mit der Folge, dass der Kläger sein Begehren – Untersagung der hier streitgegenständlichen Berichterstattung – in weiten Teilen auch mit Hilfe eines dort erstrittenen Titels und ggf. entsprechenden Anträgen auf Ordnungsmittel im Vollstreckungsverfahren hätte erreichen können. Dem steht aber zum einen entgegen, dass die Beklagte das erstinstanzliche Urteil auch im Parallelverfahren angreift, so dass dort noch kein rechtskräftiger Titel vorliegt, auf den sich der Kläger mit ausreichender Sicherheit stützten könnte. Zum anderen kann dem Kläger aber auch sonst nicht zugemutet werden, sich dem ungewissen Ausgang eines Zwangsvollstreckungsverfahrens auszusetzen. Denn bei Unterlassungstiteln im Presse- und Äußerungsrecht erfordert schon die Frage, ob eine Äußerung von einem Unterlassungsgebot umfasst ist, komplizierte Ermittlungen ihres Sinngehalts und schwierige Abwägungen ihrer Zulässigkeit im Einzelfall. Hierbei kann auch die unterschiedliche Reichweite der Plattformen in beiden Fällen eine Rolle spielen.
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3. Der Hauptantrag des Klägers ist hinreichend bestimmt. Das Landgericht weist zutreffend darauf hin, dass die Anträge eindeutig erkennen lassen, welche konkrete Berichterstattung der Beklagten untersagt werden soll. Dies ergibt sich schon durch die Bezugnahme auf die jeweils angegriffenen Presseartikel in den jeweiligen Teilanträgen. Anders als die Beklagte meint muss sich der Grund der Unzulässigkeit der Berichterstattung nicht schon aus dem Klageantrag bzw. dem Tenor des Urteils ergeben. Aus welchen Gründen ein angegriffener Artikel durch das Gericht untersagt wird, ergibt sich regelmäßig erst aus der Zusammenschau mit den Entscheidungsgründen. In der Umstellung der Klageanträge durch den Kläger (auf Hinweis des Senats in den Verfahren 18 U 6535/22 und 18 U 300/23) liegt auch keine teilweise Klagerücknahme. Vielmehr handelt es sich um eine Präzisierung des von vorneherein erkennbaren Begehrens des Klägers.
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4. Das Landgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die hier vorliegende Verdachtsberichterstattung schon deshalb unzulässig ist, weil die Beklagte vor der Veröffentlichung keine Stellungnahme durch den Kläger eingeholt hat. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die sorgfältig begründeten und überzeugenden Ausführungen des Landgerichts sowie den Beschluss des Senats vom 05.05.2023 in dem den Parteien bekannten Parallelverfahren 18 U 6535/22 Bezug genommen. Dem ist nichts hinzuzufügen.
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5. Ein Entfallen der Wiederholungsgefahr durch die Klageerhebung in der Parallelsache 18 U 3369/23 (26 O 14724/22) ist nicht ersichtlich. Vielmehr greift die Beklagte das erstinstanzliche Urteil in der Parallelsache mit der Berufung an.
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6. Auch die Kostenentscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Es kann offen bleiben, ob die Erstattungsfähigkeit der durch die getrennte Geltendmachung der Unterlassungsansprüche entstandenen erhöhten Gebühren mit der Begründung verneint werden kann, dass diese Kosten nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewesen seien. Denn nach § 91 Abs. 2 ZPO sind die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei grundsätzlich ohne nähere Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung zu ersetzen. Vorliegend bestehen aber schon deshalb keine Zweifel an der Notwendigkeit der entstandenen Kosten, weil der Kläger seine Klage nicht auf einen einheitlichen Lebensvorgang, sondern auf unterschiedliche Streitgegenstände stützt. Deshalb sind die vom Kläger zitierten Judikate auf den hiesigen Fall nicht übertragbar.
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Zur Vermeidung weiterer Kosten regt der Senat die Zurücknahme der offensichtlich unbegründeten Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz).