Inhalt

Vergabekammer München, Beschluss v. 25.07.2023 – 3194.Z3-3_01-22-59
Titel:

Leistungen, Vergabeverfahren, Dienstleistungen, Vergabekammer, Ausschreibung, Bieter, Leistung, Aufhebung, Verletzung, Antragsgegner, Leistungserbringung, Kommission, Anlage, Vergabeunterlagen, Kosten des Verfahrens, unternehmerische Entscheidung, positive Kenntnis

Normenketten:
GWB § 128 Abs. 2 S. 1
SaubFahrzeugBeschG § 3 Nr. 3 Buchst. a)
Leitsätze:
1. Bei einem öffentlichen Auftrag können mehrere CPV-Referenznummern einschlägig sein und diese müssen nicht zwingend der gleichen Abteilung, Gruppe, Klasse oder Kategorie entstammen.
2. Hinsichtlich der Einschlägigkeit des SaubFahrzeugBeschG aufgrund des Vorliegens einer der in Anlage 2 zum SaubFahrzeugBeschG genannten CPV-Referenznummern kommt es darauf an, was objektiv Gegenstand der Leistungsausschreibung ist. Briefdienstleistungen, die die Ausführung des kuvertierten Briefversandes sowie postvorbereitende Maßnahmen, wie Frankierung einschließlich die Erstellung und Aufdruck von Klischees umfassen, können sowohl den Briefpostdiensten (CPV-Code 64112000), der Postzustellung (CPV-Code 64121100-1) und der Postbeförderung auf der Straße (CPV-Code 60160000-7) zugeordnet werden.
3. Der sachliche Anwendungsbereich des SaubFahrzeugBeschG ist auch bei Dienstleistungsaufträgen eröffnet, wenn nur Teilbereiche des Auftrages den in der Tabelle der Anlage 2 aufgeführten CPV-Referenznummern zugeordnet werden können.
4. § 5 Abs. 1 S. 1 SaubFahrzeugBeschG sieht zwar vor, dass öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber bei der Beschaffung von Fahrzeugen und Dienstleistungen die für den jeweiligen Referenzzeitraum nach § 6 festgelegten Mindestziele insgesamt einzuhalten haben (sog. Bundesquote). Damit wurde prinzipiell ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Anwendung auf einzelne Beschaffungsvorgänge eröffnet. Dieser ist jedoch gegenwärtig mangels Regelungen vom Bund oder den Bundesländern erheblich eingeschränkt. Bislang wurden noch keine Regelungen zur Einhaltung der Mindestziele geschaffen oder Branchenvereinbarungen abgeschlossen, sodass die einzelnen öffentlichen Auftraggeber und Sektorenauftraggeber bei ihren Beschaffungen im jeweiligen Referenzzeitraum die vorgegebenen Mindestziele einhalten müssen. Ein Ermessensspielraum besteht für den einzelnen öffentlichen Auftraggeber bzw. Sektorenauftraggeber auf der Grundlage der gegenwärtigen Lage nur insoweit, dass dieser entscheiden kann, durch welche konkreten Beschaffungen und Dienstleistungen er die Mindestzielvorgabe einhalten möchte.
Schlagworte:
Leistungen, Vergabeverfahren, Dienstleistungen, Vergabekammer, Ausschreibung, Bieter, Leistung, Aufhebung, Verletzung, Antragsgegner, Leistungserbringung, Kommission, Anlage, Vergabeunterlagen, Kosten des Verfahrens, unternehmerische Entscheidung, positive Kenntnis
Fundstelle:
BeckRS 2023, 47059

Tenor

1. Dem Antragsgegner wird untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Der Antragsgegner hat bei fortbestehender Beschaffungsabsicht unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer über den Fortgang des Vergabeverfahrens zu entscheiden. Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens (Auslagen und Gebühren) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 50 Prozent. Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen 50 Prozent der Kosten des Verfahrens (Auslagen und Gebühren) gesamtschuldnerisch. 50 Prozent der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin tragen der Antragsgegner und die Beigeladene zu gleichen Teilen.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen. Der Antragsgegner ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin, den Antragsgegner und die Beigeladene waren jeweils notwendig.

Gründe

I.
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom 29.09.2022, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, schrieb der Antragsgegner einen Dienstleistungsauftrag über die Ausführung des Briefversands im Wege eines offenen Verfahrens aus. Abschnitt II.1.2) der Bekanntmachung führte hinsichtlich CPV-Code Hauptteil die Ziffer 64112000 Briefpostdienste aus.
2
Eine Bieterfrage der Antragstellerin am 14.10.2022 lautete wie folgt: […]
„Dienstleistungsvertrag/Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz: Sie weisen in Punkt 5.2 darauf hin, dass die zur Leistungserbringung eingesetzten Fahrzeuge entsprechende Grenzwerte gemäß Gesetz über die Beschaffung sauberer Straßenfahrzeuge nicht überschreiten dürfen. Gemäß § 3 Sachlicher Anwendungsbereich des genannten Gesetzes findet sich unter Punkt 3 die Angabe, dass die Anwendung des Gesetzes zwar Auftraggeber zur Anwendung verpflichtet – aber nur, wenn sich der entsprechende CPV-Code in der Anlage 2 des Gesetzes wiederfindet. Gemäß Ihrer Bekanntmachung schreiben Sie unter CPV-Code „64112000 Briefpostdienste“ aus. Da dieser CPV-Code nicht in der Anlage 2 des SaubFahrzeugBeschG enthalten ist, bitten wir um Streichung der Passage aus dem Dienstleistungsvertrag.“ […] 
3
Der Antragsgegner antwortete, dass die Ausschreibung in einem Korrekturzyklus um den CPV-Code 60160000-7 Postbeförderung auf der Straße ergänzt wurde, die Passage werde beibehalten.
4
Mit Schreiben vom 28.10.2022 beanstandete die Antragstellerin, dass das SaubFahrzeugBeschG auf den ausgeschriebenen Auftrag keine Anwendung finde, da der ausgeschriebene Auftrag über die in Anlage 2 zum SaubFahrzeugBeschG genannten Beförderungsleistungen hinausgehe. Daran ändere auch die Aufnahme des CPV-Code 60160000-7 Postbeförderung auf der Straße in die Bekanntmachung nichts. Die Anwendbarkeit könne nicht allein durch die Deklarierung eines CPV-Codes der in Anlage 2 zum SaubFahrzeugBeschG genannt ist begründet werden. Entscheidend sei allein, ob eine Leistung im Sinne eines in der Anlage 2 zum SaubFahrzeugBeschG genannten CPV-Codes ausgeschrieben werde und dies sei hier nicht der Fall. Ergänzend rügte die Antragstellerin, dass durch die Anwendung des SaubFahrzeugBeschG Bieter, die ihre CO2-Emissionen auf andere Weise einsparen, benachteiligt würden und dass das SaubFahrzeugBeschG für saubere schwere Nutzfahrzeuge eine deutlich geringere Quote als die vom Antragsgegner geforderte, für erforderlich erachte.
5
Zunächst fragte der Antragsgegner beim zuständigen Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr nach, ob es bereits Erfahrungen zur Anwendbarkeit des SaubFahrzeugBeschG bei Verträgen über den Briefversand gäbe. Das Staatsministerium stellte mit Schreiben vom 02.11.2022 alle Aussagen des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, welche diese Thematik beträfen zusammen, eine direkte Antwort auf die in diesem Fall gestellte Frage läge allerdings noch nicht vor.
6
Mit Schreiben vom 02.11.2022 wies der Antragsgegner die Rüge der Antragstellerin teilweise zurück und half ihr teilweise ab, indem er die geforderte Quote für saubere schwere Nutzfahrzeuge änderte.
7
Nummer 5.2 fünfter Absatz des Vertrags wurde geändert und lautete nunmehr:
[…]„Die Auftragnehmerin ist verpflichtet, dass zur Vertragserfüllung die Quote der eingesetzten sauberen Fahrzeuge im Verhältnis zu den insgesamt eingesetzten Fahrzeugen der jeweiligen Fahrzeugklasse mindestens den nachfolgend genannten Anteilen entspricht:
1. Anzahl der „sauberen leichten Nutzfahrzeuge“ i. S. d. § 2 Nr. 4 SaubFahrzeugBeschG: – mind. 38,5%
2. Anzahl der „sauberen schweren Nutzfahrzeuge“ i. S. d. § 2 Nr. 5 SaubFahrzeugBeschG:
- für LKW der Fahrzeugklassen N2 und N3: 10%
- für LKW der Fahrzeugklasse M3: 45%, wobei die Hälfte des Mindestziels für den Anteil sauberer Busse durch den Einsatz emissionsfreier Busse i. S. d. § 2 Nr. 6 SaubFahrzeugBeschG erfüllt werden muss.
Für die Beurteilung der Einhaltung der Mindestziele wird die Anzahl der Straßenfahrzeuge berücksichtigt, die für die Erbringung der Dienstleistung im Rahmen des gegenständlichen Auftrags eingesetzt werden sollen.“ […]
8
Zudem wurde unter Ziffer 5.2 des Vertrages ein neuer Absatz eingefügt, der wie folgt lautete:
[…] „Die Auftragnehmerin hat zur Dokumentation der für den gegenständlichen Auftrag eingesetzten Fahrzeuge vierteljährlich mithilfe des Formblatts „Quartalsbericht Fahrzeuge“ (das im zugrundeliegenden Vergabeverfahren beigefügt war) eine Information an den Auftraggeber zu senden. Die Übersendung erfolgt per E-Mail an (…).“ […] 
9
Mit Schreiben vom 07.11.2022 erweiterte die Antragstellerin ihre Rüge um eine weitere Beanstandung. Auch die Forderung nach quartalsweisen, mittels eines Formblatts zu leistenden Angaben hinsichtlich des Einsatzes von Straßenfahrzeugen sei vergaberechtswidrig. Der Antragsgegner wies die Rüge mit Schreiben vom 08.11.2022 zurück und ergänzte Ziffer II.2.2) der Bekanntmachung neben dem CPV-Code 60160000 Postbeförderung auf der Straße um den CPV-Code 64121100 Postzustellung.
10
Nachdem den Rügen der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 16.11.2022 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
11
Die Beigeladene reichte am 21.11.2022 fristgerecht als Einzige im Vergabeverfahren ein Angebot ein.
12
Die Antragstellerin trägt im Nachprüfungsverfahren vor, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet sei. Der Vortrag bezüglich der Anwendbarkeit des SaubFahrzeugBeschG sei nicht präkludiert gewesen. Die Antragstellerin habe erst am 26.10.2022 positive Kenntnis dieses Vergaberechtsverstoßes durch die rechtliche Beratung erhalten. Der Vergaberechtsverstoß habe sich der Antragstellerin auch nicht aufdrängen müssen. Zwar sei ihr das SaubFahrzeugBeschG bekannt und sie habe gerügt, dass der in der Bekanntmachung aufgeführte CPV-Code nicht in der Anlage 2 zum SaubFahrzeugBeschG aufgeführt sei, sie habe aber nicht erkennen können müssen, ob der streitgegenständliche Auftrag seinem individuellen Auftragsgegenstand nach vom Anwendungsbereich des SaubFahrzeugBeschG erfasst sei und ob der Antragsgegner gesetzliche Anforderungen korrekt umgesetzt habe. Weiter trägt die Antragstellerin vor, dass das SaubFahrzeugBeschG nicht anwendbar sei. Der Gesetzgeber habe den Anwendungsbereich auf die in Anlage 2 genannten Beförderungsdienstleistungen beschränkt. Der Anwendungsbereich des SaubFahrzeugBeschG sei nicht eröffnet, weil der streitgegenständliche Auftrag nicht durch die den Anwendungsbereich des Gesetzes definierten CPV-Codes in der Anlage 2 zum SaubFahrzeugBeschG beschrieben werde. Erwägungsgrund 12 zur einschlägigen RL 2019/1161/EU sei dahingehend zu verstehen, dass nur solche Dienstleistungsaufträge vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst seien, bei denen die zur Erbringung der Dienstleistung eingesetzten Fahrzeuge zu den Fahrzeugklasse gehören, die unter die Richtlinie fallen und ein wesentliches Element des Vertrags darstellen. Die diese Dienstleistungsaufträge bezeichnenden CPV-Referenznummern seien dem Anhang der Richtlinie, welcher die entsprechenden CPV-Referenznummern abschließend auflistet, zu entnehmen. Der wertmäßige Anteil des Auftrags, der auf Transport mit Straßenfahrzeugen entfalle sei jedoch von untergeordneter Bedeutung. Die nachträgliche Aufnahme der CPV-Codes „60160000-7 Postbeförderung auf der Straße“ und „64121100-1 Postzustellung“ in die Bekanntmachung ändere nichts, da der Auftrag tatsächlich nicht unter die CPV-Codes aus Anlage 2 zum SaubFahrzeugBeschG falle. Der Hauptleistungsgegenstand seien Briefpostdienste (CPV-Code 64112000-4). Der Begriff „Postdienste“ sei so zu interpretieren, dass die Beförderung von Briefsendungen zweifelsfrei eingeschlossen sei. Er passe jedoch nicht zu Leistungen wie dem bloßen Frankieren von Briefen. Der wesentliche Teil der Beförderung erfolge zu Fuß bzw. mit Fahrrädern oder E-Bikes, diese Auswahl bleibe nach dem Vertrag dem Auftragnehmer selbst überlassen. Weiter trägt die Antragstellerin vor, dass die Ausführungsbedingung rechtswidrig sei, da der Antragsgegner über die Ausführungsbedingung Anforderungen an die allgemeine Betriebsorganisation des Auftragnehmers stelle. Da der Transport der Sendungen nicht pro Kunde stattfinde, sondern gemeinsam mit den Sendungen aller anderen Kunden, würde die Ausführungsbedingung in die unternehmerische Entscheidung eingreifen, welche Fahrzeuge für die übrigen Kunden eingesetzt würden. Ferner sei die Ausführungsbedingung unverhältnismäßig, da sie realistisch gesehen nur von der Deutsche Post AG oder Konsolidierern, die sich zur Auftragserfüllung ausschließlich der Leistungen der Deutsche Post AG bedienen, erfüllt werden könne. Sie sei unverhältnismäßig, da der Antragsgegner nicht in der Lage sei zu kontrollieren, ob die Ausführungsbedingung tatsächlich eingehalten werde. Im Übrigen sei sie nicht geeignet, da sie nicht dazu führe, den Bieter, der die Leistung am nachhaltigsten und umweltfreundlichsten erbringe auszuwählen. Es liege ferner ein Ermessensausfall des Antragsgegners vor, er habe keine Prognose hinsichtlich sämtlicher in den Anwendungsbereich des SaubFahrzeugBeschG fallenden Beschaffungen angestellt. Auch liege ein Ermessensfehlgebrauch vor, da das SaubFahrzeugBeschG nicht vorschreibe, jeder einzelne öffentliche Auftrag, der in den Anwendungsbereich falle müsse die Mindestziele einhalten, lediglich die Beschaffungsquote sei insgesamt über alle öffentlichen Aufträge verteilt einzuhalten. Weiter trägt die Antragstellerin vor, dass auch die quartalsweisen Nachweispflichten vergaberechtswidrig seien. Ferner müsse die Beigeladene gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. c) GWB ausgeschlossen werden, da sie weder in der Lage sei, die Ausführungsbedingungen zu erfüllen noch beabsichtige sie, die Leistung wie angeboten auszuführen.
13
Die Antragstellerin beantragt,
1. den Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren in den Stand vor der Auftragsbekanntmachung und der Herausgabe der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen, die Vergabeunterlagen unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in einer den Anforderungen des Vergaberechts genügenden Weise zu überarbeiten und das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht wiederaufzunehmen und fortzuführen;
2. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist;
3. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen;
4. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.
5. den Antragsgegner zu verpflichten, das Angebot der Beigeladenen vom Vergabeverfahren auszuschließen.
14
Der Antragsgegner beantragt
1.
den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen,
2.
der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Antragsgegners aufzuerlegen,
3.
festzustellen, dass die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners notwendig war.
15
Zur Begründung trägt der Antragsgegner vor, dass die Rüge zur Anwendbarkeit des SaubFahrzeugBeschG bereits bis zum 24.10.2022 hätte erfolgen müssen und somit am 28.10.2022 verfristet gewesen sei, gleiches gelte für die Rüge gegen die quartalsweisen Nachweispflichten. Ferner trägt der Antragsgegner vor, dass das SaubFahrzeugBeschG angewendet werden müsse, da der Ausschreibungsgegenstand in den Anwendungsbereich falle. Die Beförderungsleistungen mit Fahrzeugen des streitgegenständlichen Auftrags seien ein wesentliches Element der ausgeschriebenen Leistung. Um in den Anwendungsbereich des SaubFahrzeugBeschG zu fallen, sei es auch nicht erforderlich, dass Beförderungsleistungen mit Fahrzeugen den Schwerpunkt der Leistung oder gar die einzige Leistung bildeten. Dies sei auch mit dem Erwägungsgrund 12 der einschlägigen EU-Richtlinie konform. Vertragsgegenständlich seien die Abholung, der Transport und die Zustellung von Briefpostsendungen, mithin also die Postzustellung CPV-Code 64121100-1) und Postbeförderung auf der Straße (CPV-Code 60160000-7) und daneben Briefpostdienste (CPV-Code 64112000-4), wobei Briefpostdienste dabei nur eine Annexleistung seien. Abzustellen sei in Anlehnung an § 110 Abs. 2 GWB auf den Schwerpunkt der Leistung, welche hier Beförderungsleistungen im Sinne der Anlage 2 zum SaubFahrzeugBeschG seien. Ferner stelle die Kategorisierung anhand von CPV-Codes lediglich eine Ordnungsvorschrift dar, der Auftraggeber sei nicht verpflichtet, den exakt zutreffenden CPVCode zu finden. Dies sei auch nur schwer möglich, da eine Zuordnung häufig schwierig sei. Weiter trägt der Antragsgegner vor, dass er das Recht habe die im SaubFahrzeugBeschG genannten Grenzwerte als Nachhaltigkeitsforderung vorzugeben. Die Ausführungsbedingung sei auch verhältnismäßig, verfolge einen legitimen Zweck, sei geeignet, erforderlich und angemessen. Mit Schriftsatz vom 02.05.2023 hat der Antragsgegner als Anlage eine eigene Ermessenserwägung der Vergabestelle vorgelegt. Der Antragsgegner habe sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Er habe den Sachverhalt ermittelt und sich damit auseinandergesetzt, ob und wenn ja, wie, eine Regelung zu der Geltung bestimmter Grenzwerte in das Vergabeverfahren Einfluss finden solle. So beschäftige sich der Antragsgegner bereits seit mehreren Jahren damit, wie im Bereich der hiesigen Auftragsvergaben eine energieeffiziente, nachhaltige und umweltfreundliche Auftragsausführung gewährleistet werden könne. Schon vor der Einführung des SaubFahrzeugBeschG seien Nachhaltigkeitsaspekte im Rahmen der Ausschreibung berücksichtigt worden. Im Rahmen der Ausschreibung von Postdienstleistungen aus dem Jahr 2020 sei der Einsatz von elektrischen bzw. innovativen Fahrzeugantrieben ausdrücklich positiv in die Wertung eingeflossen. Ebenfalls habe sich der Antragsgegner in Bezug auf das hiesige Vergabeverfahren frühzeitig Gedanken gemacht, ob das SaubFahrzeugBeschG Anwendung finde und ob die dort genannten Grenzwerte als Mindestkriterium anzuwenden seien. Mit Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation in dem Markt für Briefdienstleistungen durch die Einführung eine Mindestquote für saubere Fahrzeuge habe sich der Antragsgegner ebenfalls auseinandergesetzt. Die Ausschreibung sei auch nicht auf die Beigeladene zugeschnitten und diskriminiere nicht einzelne Bieter. Es sei jedem Bieter überlassen, welche Durchgriffsmöglichkeiten er sich gegenüber seinen Unterauftragnehmern oder Kooperationspartnern einräumen lasse. Zudem sei ein Ausschlussgrund für das Angebot der Beigeladenen nicht ersichtlich. Das Angebot der Beigeladenen lasse keinen Schluss zu, dass die Beigeladenen die unter Ziffer 5.2 festgelegten Quoten nicht wird erfüllen können. Die Beigeladene habe in ihrem Schriftsatz vom 05.06.2023 erneut betont, dass die Mindestziele eingehalten werden. An dem Leistungsversprechen der Beigeladenen bestünden keine Zweifel.
16
Mit Beiladungsbeschluss vom 06.03.2023 wurde die Beigeladene beigeladen und beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;
2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsverfolgungskosten der Beigeladenen aufzuerlegen;
3. gemäß § 182 Abs. 4 GWB auszusprechen, dass die Hinzuziehung der anwaltlichen Bevollmächtigung der Beigeladenen notwendig war.
17
Zur Begründung trägt die Beigeladene vor, dass der Vortrag der Antragstellerin zur Anwendbarkeit des SaubFahrzeugBeschG präkludiert sei. Ferner sei das SaubFahrzeugBeschG anwendbar. Die ausgeschriebene Leistung umfasse als wesentliches Element sowohl die „Postbeförderungen auf der Straße“ als auch die „Postzustellung“. Die ausgeschriebene Leistung umfasse auch die Sortierung und Frankierung der Sendungen, die dem CPV-Code 64112000-4 zuzuordnen seien. Dies führe jedoch nicht dazu, dass das SaubFahrzeugBeschG auf den Auftrag unanwendbar sei. Letztere weiteren Leistungen machten nur einen geringen Anteil der Gesamt-Wertschöpfung aus. Die Festlegung der vorgegebenen Quoten für die bei der Auftragsausführung eingesetzten sauberen Fahrzeuge als Ausführungsbedingungen i. S. d. § 128 Abs. 2 GWB sei auch dann nicht zu beanstanden, wenn das SaubFahrzeugBeschG unanwendbar wäre. Die Ausführungsbedingung sei zulässig. Die Festlegung der Quoten sei Ergebnis einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung gewesen. Es liege kein Ermessensausfall vor. Die Ausführungsbedingung sei nicht diskriminierend. Sie sei nicht unverhältnismäßig. Die Investition in saubere Fahrzeuge treffe zudem einen Bieter, der alle Sendungen eigenständig bundesweit befördere und zustelle, vermutlich härter, als einen Bieter bei dem sich diese Investitionsleistungen auf mehrere Schultern verteilen, da er die Kosten gemeinsam mit seinen Kooperationspartnern trage. Die Quote benachteilige auch einen Bieter nicht, der Fahrräder oder E-Bikes einsetze, denn bei einer geringeren Fahrzeuganzahl bedeute die selbe Quote weniger Fahrzeuge. Das SaubFahrzeugBeschG schreibe einem Unternehmen auch nicht vor, in saubere Fahrzeuge zu investieren, sondern verpflichte lediglich den Auftraggeber bei seiner Auswahl eines geeigneten Bieters. Zudem lasse das Angebot der Beigeladenen keinen Zweifel daran, dass die Beigeladene die vom Antragsgegner vorgegebenen Ausführungsbedingungen einhalten werde. Nach Ziffer 5.2 des Vertrags dürfe bei den zur Leistungserbringung eingesetzten Fahrzeugen ein Anteil von mindestens 38,5% die im SaubFahrzeugBeschG genannten Grenzwerte nicht überschreiten. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 SaubFahrzeugBeschG gelte für den Anteil der sauberen leichten Nutzfahrzeuge in den Referenzeiträumen vom 2. August 2021 bis zum 31. Dezember 2025 und vom 1. Januar 2026 bis zum 31. Dezember 2030 jeweils ein Mindestziel von 38,5%. Die Beigeladene habe unter Ziffer 12.4.2 ihres Angebots dargelegt, dass sie das Mindestziel einhalte. Auf dieses Leistungsversprechen dürfe der Antragsgegner vertrauen.
18
Am 16.02.2023 erteilte die Südbayern einen rechtlichen Hinweis. In der mündlichen Verhandlung vom 06.06.2023 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme. Der ehrenamtliche Beisitzer hat die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht sowie im Falle einer Verfahrenseinstellung auf die Vorsitzende und die hauptamtliche Beisitzerin übertragen. Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
19
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
20
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
21
Gegenstand der Vergabe ist ein Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 4GWB. Der Antragsgegnerist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den maßgeblichen Schwellenwert. Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
22
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt. Das für die Antragsbefugnis erforderliche Interesse am Auftrag wird in der Regel durch die Angebotsabgabe dokumentiert. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn angebotshindernde Vergaberechtsverstöße geltend gemacht werden. In diesem Fall wird das Interesse am Auftrag durch die Erhebung von Rügen und die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens belegt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20). Dies ist vorliegend der Fall. Die Antragstellerin hat eine Rüge erhoben und einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Südbayern gestellt. Die Antragstellerinhat auch eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB geltend gemacht. Sie trägt vor, sie sei aufgrund der vergaberechtswidrigen Bedingungen des Antragsgegners betreffend das SaubFahrzeugBeschG an einer Angebotsabgabe gehindert gewesen. Ein drohender Schadenseintritt wurde von der Antragstellerin ebenfalls dargelegt. Nach dem Vortrag der Antragstellerin droht ihr eine Beeinträchtigung ihrer Zuschlagschancen durch sie benachteiligende Ausschreibungsbedingungen. Soweit die Antragstellerin rügt, dass das Angebot der Beigeladenen auszuschließen sei, da diese nicht in der Lage sei, die vorgegebene Quote von 38,5% während der gesamten festen Vertragslaufzeit einzuhalten, ist auch hierfür die Antragsbefugnis gegeben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es zwar regelmäßig an einer solchen Antragsbefugnis fehlen dürfte, wenn der Antragsteller angebotshindernde Gründe vorträgt, diese von der Vergabekammer aber nicht bestätigt werden und er somit keine Chance auf den Zuschlag hat. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Rüge des weiteren Vergaberechtsverstoßes nicht zu einer Aufhebung des laufenden Vergabeverfahrens führen kann (Jaeger, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, § 160 Rn. 38). Vorliegend trägt die Antragstellerin vor, dass das einzige bestehende Angebot im Vergabeverfahren, das der Beigeladenen, ausgeschlossen werden müsse, da die Beigeladene beabsichtigte, die Leistung nicht wie angeboten auszuführen und sie dazu auch nicht in der Lage sei. Damit trägt die Antragstellerin Gründe vor, die bei unterstellter Richtigkeit die Aufhebung des Vergabeverfahrens nach § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VgV bewirken würde. In einem solchen Fall ist die Rechtfertigung für die Antragsbefugnis darin zu sehen, dass die für das Rechtsschutzbedürfnis notwendige Verbesserung der Zuschlagschancen auch in einem sich anschließenden neuen Vergabeverfahren eintreten kann, wenn das laufende Vergabeverfahren insgesamt mit dem Ziel der Aufhebung beanstandet wird (Jaeger, in: Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, § 160 Rn. 47).
23
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1GWB entgegen. Gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB ist ein Antrag unzulässig, wenn der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat. Eine für § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB erforderliche positive Kenntnis des Vergaberechtsverstoßes ist nicht erkennbar. Die Antragstellerin hätte hierfür beurteilen können müssen, ob der streitgegenständliche Auftrag unabhängig von den vom Antragsgegner veröffentlichten CPV-Codes allein seinem Auftragsgegenstand nach vom Anwendungsbereich des SaubFahrzeugBeschG erfasst ist. Hierfür gibt es keine Anhaltspunkte, womit eine positive Kenntnis nicht nachzuweisen ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bislang keine Klärung erfolgt ist, ob das SaubFahrzeugBeschG auf die hier vorliegenden Postdienstleistungsfälle anwendbar ist. Bei dieser Sachlage kann nicht unterstellt werden, dass die Antragstellerin aufgrund eigenen Beurteilungsvermögens positive Kenntnis von der Unanwendbarkeit des SaubFahrzeugBeschG auf den vom Antragsgegner ausgeschriebenen Auftrag gehabt hat.
24
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet, soweit es die Rüge der Berücksichtigung des Angebots der Beigeladenen im Vergabeverfahren betrifft (siehe Ziffer 2.2.). Die Antragstellerin wird damit in ihren subjektiven Rechten verletzt. Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag unbegründet (siehe Ziffer 2.1.).
25
2.1. Der Antragsgegner durfte die unter Ziffer 5.2 des Vertrages über die Ausführung des Briefversands aufgeführte Ausführungsbedingung hinsichtlich der Verpflichtung zur Einhaltung einer Quote im Hinblick auf saubere Fahrzeuge festlegen und wie erfolgt inhaltlich ausgestalten.
26
Gemäß § 128 Abs. 2 S. 1 GWB können öffentliche Auftraggeber besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags festlegen, sofern diese mit dem Auftragsgegenstand entsprechend § 127 Abs. 3 GWB in Verbindung stehen. § 129 GWB hält die Vergabekammer hingegen vorliegend für nicht einschlägig, da hiernach dem öffentlichen Auftraggeber gesetzlich vorgegeben ist, diese Ausführungsbedingungen zu fordern. Das SaubFahrzeugBeschG verpflichtet öffentliche Auftraggeber zwar zur Einhaltung der im Gesetz bestimmten Mindestziele, vgl. § 5 Abs. 1 S. 1 SaubFahrzeugBeschG. Allerdings sind die in den jeweiligen Referenzzeiträumen gültigen Beschaffungsquoten insgesamt von allen betroffenen öffentlichen Auftraggebern und Sektorenauftraggebern in den Bundesländern einzuhalten, sodass hieraus keine zwingende Ausführungsbedingung bezogen auf den konkret vorliegenden Auftrag geschlussfolgert werden kann.
27
Unter Ziffer 5.2 des Vertrages über die Ausführung des Briefversands, der Bestandteil der Vergabeunterlagen ist, hat der Antragsgegner folgende Vorgaben gemacht:
[…] „Die Auftragnehmerin ist verpflichtet, dass zur Vertragserfüllung die Quote der eingesetzten sauberen Fahrzeuge im Verhältnis zu den insgesamt eingesetzten Fahrzeugen der jeweiligen Fahrzeugklasse mindestens den nachfolgend genannten Anteilen entspricht:
1. Anzahl der „sauberen leichten Nutzfahrzeuge“ i. S. d. § 2 Nr. 4 SaubFahrzeugBeschG: – mind. 38,5%
2. Anzahl der „sauberen schweren Nutzfahrzeuge“ i. S. d. § 2 Nr. 5 SaubFahrzeugBeschG:
- für LKW der Fahrzeugklassen N2 und N3: 10%
- für LKW der Fahrzeugklasse M3: 45%, wobei die Hälfte des Mindestziels für den Anteil sauberer Busse durch den Einsatz emissionsfreier Busse i. S. d. § 2 Nr. 6 SaubFahrzeugBeschG erfüllt werden muss.
Für die Beurteilung der Einhaltung der Mindestziele wird die Anzahl der Straßenfahrzeuge berücksichtigt, die für die Erbringung der Dienstleistung im Rahmen des gegenständlichen Auftrags eingesetzt werden sollen.
Die Auftragnehmerin hat zur Dokumentation der für den gegenständlichen Auftrag eingesetzten Fahrzeuge vierteljährlich mithilfe des Formblatts „Quartalsbericht_Fahrzeuge“ (das im zugrundeliegenden Vergabeverfahren beigefügt war) eine Information an den Auftraggeber zu senden. Die Übersendung erfolgt per E-Mail an (…).“ […]
28
Der Antragsgegner ist in zutreffender Weise davon ausgegangen, dass das SaubFahrzeugBeschG auf den der Vergabe zugrundliegenden Dienstleistungsauftrag Anwendung findet.
29
Nach § 3 Nr. 3 Buchst. a) SaubFahrzeugBeschG gilt das Gesetz für die Beschaffung bestimmter Straßenfahrzeuge und Dienstleistungen durch öffentliche Auftraggeber durch Dienstleistungsaufträge über Verkehrsdienste gemäß der Tabelle der Anlage 2, sofern die Auftraggeber zur Anwendung eines Vergabeverfahrens nach der Vergabeordnung verpflichtet sind. Dies ist vorliegend der Fall. Es handelt sich um einen Beschaffungsvorgang eines öffentlichen Auftraggebers im Sinne des § 99 Nr. 1 GWB. Der Antragsgegner ist zudem zur Durchführung eines Vergabeverfahrens nach der Vergabeverordnung verpflichtet (siehe hierzu Ziffer II. 1 dieses Beschlusses). Es greift keine Ausnahme nach § 4 SaubFahrzeugBeschG. Die Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung erfolgte nach dem 2. August 2021, vgl. § 10 SaubFahrzeugBeschG. Gegenstand der Ausschreibung ist zudem eine Beschaffung von Dienstleistungen durch Dienstleistungsaufträge über Verkehrsdienste gemäß der Tabelle der Anlage 2, die unter anderem folgende CPV-Referenznummern aufführt: 60160000-7 Postbeförderung auf der Straße und 64121100-1 Postzustellung.
30
Soweit die Antragstellerin meint, dass das SaubFahrzeugBeschG auf den ausgeschriebenen Auftrag keine Anwendung finde, da es sich nicht um einen Auftrag handele, welcher ausschließlich „Postbeförderung auf der Straße“ oder „Postzustellung“ im Sinne der Anlage 2 zum SaubFahrzeugBeschG zum Gegenstand habe, geht sie in ihrer Annahme fehl. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass für einen Auftrag regelmäßig mehrere CPV-Referenznummern einschlägig sein können und diese nicht zwingend der gleichen Abteilung, Gruppe, Klasse oder Kategorie entstammen müssen. So hat bereits die VK Bund in ihrem Beschluss vom 27.09.2017, VK 2-100/17 festgestellt, dass die auszuschreibenden Leistungen unterschiedlichen CPV-Referenznummern aus unterschiedlichen Abteilungen und Klassen zugeordnet werden können. Diese Rechtsauffassung wird auch gestützt durch die „Anleitung zum Gemeinsamen Vokabular für öffentliche Aufträge (CPV)“ der Europäischen Kommission (unter Ziffer 6.2, S. 10), in der ausgeführt wird, dass aus dem Hauptvokabular mehr als nur ein Code ausgewählt werden kann. Eine strikte Trennung, wie sie die Antragstellerin vorträgt, hält die Vergabekammer für abwegig. Die Einordnung der vorliegend ausgeschriebenen Leistungen zu den CPV-Codes 64112000 Briefpostdienste, 60160000 Postbeförderung auf der Straße und 64121100 Postzustellung durch den Antragsgegner begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Es ist dabei nicht von Relevanz, dass der Antragsgegner zunächst in der EU-Bekanntmachung vom 30.09.2022 lediglich den CPV-Code 64112000 Briefpostdienste aufgeführt hat und mit Änderungsbekanntmachungen vom 14.10.2022 und 03.11.2022 die CPV-Codes 60160000 Postbeförderung auf der Straße sowie 64121100 Postzustellung ergänzt hat. Eine nachträgliche Änderung bzw. Ergänzung der Bekanntmachung vor Angebotsabgabe, wie erfolgt, ist möglich. Zudem „sollte“ ausweislich der „Anleitung zum Gemeinsamen Vokabular für öffentliche Aufträge (CPV)“ der Europäischen Kommission (unter Ziffer 6.2, S. 10) der öffentliche Auftraggeber versuchen, einen Code zu finden, der möglichst genau mit seinem Bedarf übereinstimmt. Das bedeutet, dass jedenfalls keine Pflicht des öffentlichen Auftraggebers zur Nennung aller zutreffenden Codes besteht.
31
Die Einschlägigkeit des SaubFahrzeugBeschG aufgrund des Vorliegens einer der in Anlage 2 zum SaubFahrzeugBeschG genannten CPV-Referenznummern richtet sich zudem nicht nach der Nennung des CPV-Codes in einer EU-Bekanntmachung. Vielmehr kommt es darauf an, was objektiv Gegenstand der Leistungsausschreibung ist. Ausweislich des Vertrages über die Ausführung des Briefversands ist Gegenstand des Vertrages die Ausführung des kuvertierten Briefversandes. Die Briefsendungen sind dabei im gesamten Bundesgebiet, dem Ausland innerhalb Europas und weltweit zuzustellen. Bei Einschreiben gehört zum Leistungsumfang auch die Rücksendung des entsprechenden Zustellnachweises an die auftraggebende Dienststelle. Zudem kann die Abholung der Briefpost einschließlich der förmlichen Postzustellungsaufträge beauftragt werden. Die aufgeführten Leistungsbestandteile können der Postbeförderung auf der Straße (CPV-Code 6016000-7) sowie der Postzustellung (CPV-Code 64121100-1) zugeordnet werden, da es bei diesen beiden CPV-Codes um Beförderung anfallender Post sowie Postzustellung geht, die augenscheinlich mit dem vorliegenden Vertrag ausgeschrieben wurden. Zudem sind postvorbereitende Maßnahmen, wie Frankierung einschließlich des Aufdrucks zusätzlicher Hinweise (Klischees) sowie optional die Erstellung von Klischees vom Leistungsumfang umfasst, die der Kategorie Briefpostdienste (CPV-Code 64112000) zugeordnet werden können. Die vergaberechtliche Entscheidungspraxis, der die Vergabekammer zustimmt, bestätigt die gefundenen Ergebnisse, wonach Briefdienstleistungen, wie die gegenständlich ausgeschriebenen, Leistungen sind, die sowohl Briefpostdienste (CPV-Code 64112000), als auch Postzustellung (CPV-Code 64121100-1) und Postbeförderung auf der Straße (CPV-Code 60160000-7) zum Gegenstand haben. Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass bei den CPV-Codes 60160000-7 Postbeförderung auf der Straße und 64121100-1 Postzustellung keine Beförderungsalternativen zum Einsatz von Straßenfahrzeugen gegeben wären, kann die Vergabekammer diese Einschränkung den CPV-Codes nicht entnehmen. Die Begrifflichkeiten machen keine konkreten Vorgaben für das eingesetzte Fortbewegungsmittel.
32
Der sachliche Anwendungsbereich des SaubFahrzeugBeschG ist nach Ansicht der Vergabekammer auch bei Dienstleistungsaufträgen eröffnet, wenn nur Teilbereiche des Auftrages den in der Tabelle der Anlage 2 aufgeführten CPV-Referenznummern zugeordnet werden können. Zwar hilft der Wortlaut des § 3 Nr. 3 Buchst. a) SaubFahrzeugBeschG bei der Auslegung nicht weiter. Er stellt lediglich darauf ab, dass das Gesetz für Dienstleistungen durch öffentliche Auftraggeber durch Dienstleistungsaufträge über Verkehrsdienste gemäß der Tabelle der Anlage 2 gilt. Es wurde dabei keine Aussage getroffen, ob das Gesetz nur anwendbar ist, wenn ausschließlich die in der Anlage 2 des Gesetzes aufgeführten CPV-Referenznummern einschlägig sind oder es für die Anwendbarkeit des Gesetzes auch ausreichend ist, wenn Teile des Vertrages unter die im Anhang 2 des Gesetzes genannten CPV-Referenznummern fallen. Auch die Heranziehung des Wortlauts des Art. 3 Abs. 1 Buchst. c) der Richtlinie (EU) 2019/1161 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019, auf deren europarechtlicher Grundlage das SaubFahrzeugBeschG basiert, ist aufgrund seines gleichlautenden Wortlautes nicht zielführend. Dass der sachliche Anwendungsbereich des SaubFahrzeugBeschG eröffnet ist, wenn nur Teilbereiche des Auftrages den in Anhang 2 aufgeführten CPV-Referenznummern unterfallen, wird durch den Sinn und Zweck dieses Gesetzes und der zugrundeliegenden Richtlinie (EU) 2019/1161 gestützt. Ziel der Richtlinie (EU) 2019/1161 ist ausweislich Erwägungsgrund 2 eine Verringerung der CO2-Emissionen im Verkehrssektor. Aus den Erwägungsgründen 10 und 11 lässt sich zudem entnehmen, dass ein weiteres Ziel in der Stimulierung des Marktes für saubere und energieeffiziente Straßenfahrzeuge liegt. Ausweislich der Gesetzesbegründung zum SaubFahrzeugBeschG S. 24 (Deutscher Bundestag, Drs. 19/27657 vom 17.03.2021) soll durch die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand Einfluss auf das Beschaffungsverhalten anderer Besteller von Straßenfahrzeugen genommen werden und so ein Weg in eine emissionsarme und emissionsfreie Mobilität begünstigt werden. Im Gegensatz zur Vorgängerrichtlinie 2009/33/EG, die durch die Richtlinie (EU) 2019/1161 geändert wurde, wurde der sachliche Anwendungsbereich erweitert. Die neuen Vorschriften gelten nun für ein breiteres Spektrum von Dienstleistungen (Deutscher Bundestag, Drs. 19/27657 vom 17.03.2021). Hintergrund für den Erlass der Richtlinie (EU) 2019/1161 war eine Ex-Post-Evaluierung der RL 2009/33/EG, wonach diese bisher keine Anreize für die Beschaffung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge beinhaltete. Diese Zielsetzungen sprechen insgesamt für ein weites Verständnis des Anwendungsbereiches des SaubFahrzeugBeschG, da nur so die angestrebten Ziele umgesetzt werden können. Nach Ansicht der Vergabekammer spricht dieses weite Verständnis des Anwendungsbereichs des Gesetzes auch dagegen, nur Dienstleistungsaufträge zu erfassen, die ausschließlich den in Anlage 2 des SaubFahrzeugBeschG zugeordnet werden können. Vielmehr sind Dienstleistungsaufträge auch vom sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst, wenn nur Teilbereiche des Dienstleistungsauftrages unter die CPV-Codes in Anlage 2 des SaubFahrzeugBeschG gefasst werden können. Erwägungsgrund 12 der Richtlinie (EU) 2019/1161, in dem ausgeführt wird: […] „Die zu erfassenden Dienstleistungen, die in den Anwendungsbereich der vorliegenden Richtlinie fallen, (…) sollen jene Dienstleistungen sein, bei denen die für die Erbringung dieser Dienstleistungen eingesetzten Fahrzeuge zu den Fahrzeugklassen gehören, die unter diese Richtlinie fallen, und ein wesentliches Element des Vertrags darstellen. Diese Dienstleistungen sollten durch die entsprechenden Codes des Gemeinsamen Vokabulars für öffentliche Aufträge, die im Anhang aufgeführt sind, identifiziert werden.“ […], lässt erkennen, dass angedacht war, Dienstleistungen von der Richtlinie und dem zugrundeliegenden Gesetz zu erfassen, bei denen die für die Erbringung dieser Dienstleistungen eingesetzten Fahrzeuge ein wesentliches Element des Vertrags darstellen. Diese Voraussetzungen hat man in den in Anhang Tabelle 1 der Richtlinie (EU) 2019/1161 sowie der inhaltsgleichen Anlage 2 zum SaubFahrzeugBeschG aufgeführten CPV-Referenznummern abstrakt als erfüllt angesehen und diese sind, wie bereits oben festgestellt, im vorliegenden Fall einschlägig. Es kann für die Entscheidung einer Anwendbarkeit des SaubFahrzeugBeschG nicht von Relevanz sein, dass einzelne Bieter Beförderungsleistungen nicht per Fahrzeug, sondern überwiegend per Fuß, Fahrrad oder anderen nicht fahrzeuggebundenen Fortbewegungsarten erbringen. Der Wortlaut des SaubFahrzeugBeschG ist in § 3 Nr. 3 in Verbindung mit Anlage 2 klar und eindeutig formuliert. Soweit die dort genannten CPV-Codes einschlägig sind, ist der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes eröffnet. Sofern im konkreten Einzelfall nur ein paar Fahrzeuge eingesetzt werden oder auf deren Einsatz gänzlich verzichtet wird, ist der sachliche Anwendungsbereich dennoch eröffnet, soweit es sich um einen Dienstleistungsauftrag handelt, der den in Anhang 2 aufgelisteten CPV-Codes zugeordnet werden kann. Es bleibt dann inhaltlich bei einer Postzustellung oder Postbeförderung auf der Straße und die vorgegebene Quote findet nur auf jene eingesetzten Fahrzeuge Anwendung. Die Vergabekammer verkennt nicht, dass es bei einer überwiegenden Zustellung der Post zu Fuß, mit E-Bikes, Fahrrädern oder anderen nicht vom SaubFahrzeugBeschG erfassten, aber umweltfreundlichen Mitteln vereinzelt zu unbilligen Ergebnissen kommen kann, da diese Mittel für die Quote nicht berücksichtigt werden. Dies ist jedoch entsprechend den Erwägungsgründen 11 und 12 der Richtlinie (EU) 2019/1161 nach einer Folgenabschätzung des Richtliniengebers hinzunehmen, da mittel- und langfristige Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen der Union auf Grund einer gesteigerten Akzeptanz sauberer Fahrzeuge und einer Marktstimulation für saubere Fahrzeuge überwiegen.
33
Der Auftraggeber durfte die Einhaltung der sich aus dem SaubFahrzeugBeschG ergebenden Mindestziele in der konkret vorliegenden Ausschreibung vorgeben. Die §§ 5f. SaubFahrzeugBeschG beinhalten die Kernregelungen des SaubFahrzeugBeschG. § 5 Abs. 1 S. 1 SaubFahrzeugBeschG sieht zwar vor, dass öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber bei der Beschaffung von Fahrzeugen und Dienstleistungen die für den jeweiligen Referenzzeitraum nach § 6 festgelegten Mindestziele insgesamt einzuhalten haben. Damit wurde eine Regelung zur bundesweiten und flexiblen Umsetzung der Mindestziele für die öffentliche Auftragsvergabe (sog. Bundesquote) im Gegensatz zu dem Modell einer Mindestzielanwendung für jede einzelne Beschaffung festgelegt. Damit wurde prinzipiell ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Anwendung auf einzelne Beschaffungsvorgänge eröffnet. Dieser ist jedoch gegenwärtig mangels Regelungen vom Bund oder den Bundesländern erheblich eingeschränkt. Das SaubFahrzeugBeschG sieht vor, dass die Bundesländer einerseits zulassen können, dass öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber die jeweils für einen Referenzzeitraum festgelegten Mindestziele nicht einhalten müssen, wenn die Mindestziele bereits durch andere öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber innerhalb des Bundeslandes übererfüllt werden, vgl. § 5 Abs. 2 S. 2 SaubFahrzeugBeschG. Andererseits können sie auch Vereinbarungen mit den jeweiligen Branchenverbänden zur Einhaltung der Mindestziele abschließen, vgl. § 3 Abs. 2 S. 3 SaubFahrzeugBeschG. Die Bundesländer haben in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Einhaltung der Vorgaben sicherzustellen und zu überwachen. Es obliegt daher ihnen, die Einhaltung der Mindestziele eigenverantwortlich zu regeln und sicherzustellen. Bislang wurden jedoch noch keine Regelungen zur Einhaltung der Mindestziele geschaffen oder Branchenvereinbarungen abgeschlossen, sodass die einzelnen öffentlichen Auftraggeber und Sektorenauftraggeber bei ihren Beschaffungen im jeweiligen Referenzzeitraum die vorgegebenen Mindestziele einhalten müssen. Ein Ermessensspielraum besteht für den einzelnen öffentlichen Auftraggeber bzw. Sektorenauftraggeber auf der Grundlage der gegenwärtigen Lage nur insoweit, dass dieser entscheiden kann, durch welche konkreten Beschaffungen und Dienstleistungen er die Mindestzielvorgabe einhalten möchte. Bei der Dokumentation dieser Ermessensausübung ist zu beachten, dass es ausweislich der Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/6281, S. 114 einer gesonderten Begründung des öffentlichen Auftraggebers für die Vorgabe von Auftragsbedingungen nicht bedarf, sodass auch keine dahingehende Dokumentation seiner Entscheidung notwendig ist. Nur der Vollständigkeit halber weist die Vergabekammer darauf hin, dass der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 30.11.2022 vorgetragen hat, dass er sich bereits seit mehreren Jahren damit beschäftige, wie im Bereich der hiesigen Auftragsvergaben eine energieeffiziente, nachhaltige und umweltfreundliche Auftragsausführung gewährleistet werden könne. Er habe sich in Bezug auf das hiesige Vergabeverfahren frühzeitig Gedanken darüber gemacht, welche Nachhaltigkeitskriterien und Anforderungen aufgestellt werden könnten. Ein Ergebnis dieser Überlegungen sei Ziffer 5.2 des Dienstvertrages. Mit Schriftsatz vom 02.05.2023 legte der Antragsteller zudem eigene Ermessenerwägungen der Vergabestelle vor. Diese Nachholung der Dokumentation dürfte ungeachtet des oben Ausgeführten, dass es bereits keiner gesonderten Begründung und daher einer Dokumentation bedarf, zulässig sein, da nicht zu besorgen ist, dass die Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation nicht ausreichen könnte, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten (OLG München, Beschluss vom 09.03.2018, Verg 10/17, VK Bund, Beschluss vom 13.02.2020, VK 1-2/20).
34
Die Bedingung steht vorliegend auch mit dem Gegenstand des Auftrags in Verbindung. Es liegt keine Ausführungsbedingung vor, die den Unternehmen allgemeine Vorgaben für ihre Unternehmenspolitik oder Betriebsorganisation vorgibt. Die vertragliche Regelung, dass die Quote der eingesetzten sauberen Fahrzeuge im Verhältnis zu den insgesamt eingesetzten Fahrzeugen mindestens einem Anteil von 38,5% entspricht, gibt konkret Grenzwerte vor, die im Rahmen der streitgegenständlichen Auftragsausführung nicht unterschritten werden dürfen. Soweit die Antragstellerin vorträgt, dass die Ausführungsbedingung Anforderungen an die allgemeine Betriebsorganisation des Auftragnehmers stellt und dies mit der Betriebsorganisation eines Briefdienstleistungsunternehmens begründet, folgt die Vergabekammer dieser Ansicht nicht. Bei der Einschätzung, ob eine Ausführungsbedingung mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung steht oder zu besorgen ist, dass diese allgemeine Vorgaben für die Unternehmenspolitik oder Betriebsorganisation der Unternehmen macht, ist auf den Zeitpunkt der Bekanntmachung der Ausschreibung abzustellen. Schon aus dem Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB folgt nämlich, dass der Auftraggeber die besonderen Ausführungsbedingungen vorab publizieren muss (Opitz, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck‘scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Auflage 2022, § 128 GWB Rn. 30). Der Antragsgegner kann regelmäßig zum Zeitpunkt der Veröffentlichung einer Ausschreibung nicht vorhersagen, welche konkreten Bieter sich bewerben, sodass er die Entscheidung hinsichtlich der Ausgestaltung der Ausführungsbedingung auf der Grundlage des Ausschreibungsgegenstandes und anhand eines abstrakten Bieterkreises vornehmen muss und nicht etwaige Betriebsorganisationen potentieller Bieter berücksichtigen muss. Die vorliegende Ausführungsbedingung sieht vor, dass zur Vertragserfüllung die Quote eingehalten werden muss. Damit liegt ein klarer Bezug zum Auftragsgegenstand vor. Dass die Betriebsorganisation der Antragstellerin dergestalt ist, dass zur Umsetzung der Ausführungsbedingung zwangsläufig auch in diese eingegriffen wird, hat keine Auswirkungen darauf, dass die hier vorliegende Ausführungsbedingung objektiv gesehen nur Auswirkungen auf den Auftragsgegenstand als solchen haben soll.
35
Es begegnet keinen vergaberechtlichen Bedenken, dass der Antragsgegner unter Ziffer 5.2 des Vertrages über die Ausführung des Briefversands fordert, dass die Auftragnehmerin zur Dokumentation der für den gegenständlichen Auftrag eingesetzten Fahrzeuge vierteljährlich mithilfe eines Formblatts eine Information an den Auftraggeber zu senden hat. Der Auftraggeber kann als Beleg dafür, dass eine Dienstleistung bestimmten, in der Leistungsbeschreibung geforderten Merkmalen entspricht, die Vorlage von Bescheinigungen verlangen (Opitz, in: Burgi/Dreher/Opitz, Beck‘scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Auflage 2022, § 128 GWB Rn. 27). Dass vorliegend eine Überprüfung der Einhaltung der Bedingung gar nicht möglich ist, sodass es unverhältnismäßig wäre, diese auf die Unternehmen zu delegieren, ist für die Vergabekammer nicht erkennbar. Zwar hat die Antragstellerin vorgetragen, dass es aufgrund des gebündelten Transports der Sendungen des Antragsgegners mit Sendungen weiterer Kunden und dem Netzwerk der …, dessen sich die Antragstellerin zur Umsetzung des Auftrags bedienen würde, schlicht nicht möglich sei, über mehrere Jahre zu kontrollieren, in welchen Fahrzeugen die Sendungen des Antragsgegners tatsächlich transportiert werden. Dies hängt jedoch mit der von der Antragstellerin gewählten Vorgehensweise zur Umsetzung des Auftrags zusammen. Die Vergabekammer kann nachvollziehen, dass es in einem Netzwerk bestehend aus mehreren Briefdienstleistungsunternehmen schwierig ist, die Vorgabe des Antragsgegners nach Dokumentation zu erfüllen. Unmöglich erscheint es der Vergabekammer jedoch nicht. Hierbei ist zu beachten, dass es jedem Bieter zudem freisteht, in welcher Art und Weise er die verlangte Leistung umsetzt.
36
Eine Rechtverletzung der Antragstellerin durch die vorgegebene Ausführungsbedingung ist nicht gegeben.
2.2. Ausschluss des Angebots der Beigeladenen
37
Dem Antragsgegner liegt kein zuschlagsfähiges Angebot vor. Es ist ihm verwehrt, auf das Angebot der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Die Beigeladene hat Änderungen an den Vergabeunterlagen i. S. d. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV vorgenommen. Sie ist nicht willens, im Falle der Zuschlagserteilung die Bedingungen der Auftragsausführung zu beachten.
38
Nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV sind Angebote von der Wertung auszuschließen, bei denen Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind. Eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen liegt auch bei einer Abweichung der Vorgaben für die Auftragsausführung nach § 128 GWB vor (Pauka/Krüger, in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Auflage 2022, § 57 VgV Rn. 26). Dies ist vorliegend der Fall.
39
In Ziffer 5.2 des Vertrages über die Ausführung des Briefversands ist geregelt, dass die Auftragnehmerin verpflichtet ist, dass die vorgegebenen Quoten zur Vertragserfüllung einzuhalten sind. Ausweislich Ziffer 15.1 des Vertrages über die Ausführung des Briefversands hat der Vertrag eine feste Laufzeit von einem Jahr. Wörtlich heißt es in der genannten Regelung: […] „Der Vertrag beginnt am 01.07.2023 und endet am 30.06.2024.“ […]. Ob die unter Ziffer 15.2 des Vertrages aufgeführte Verlängerungsoption zur Anwendung kommt, ist ungewiss und kann bei der Beurteilung, ob ein Bieter sich mit seinem Angebot zur Erfüllung der unter Ziffer 5.2 des Vertrages geregelten Quoten verpflichtet, keine Berücksichtigung finden. Bei der Beurteilung der Angebote der Bieter ist davon auszugehen, dass es bei der einjährigen Vertragslaufzeit bleibt und die unter Ziffer 5.2 des Vertrages geregelten Quoten innerhalb dieses Zeitraums erfüllt werden müssen. Soweit die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass der Vertrag in Ziffer 5.2 auf das SaubFahrzeugBeschG verweise, sie also davon ausgeht, Ziffer 5.2 des Vertrages beziehe sich hinsichtlich des Zeitraums, innerhalb dessen die betreffenden Quoten erreicht werden müssten, auf die Maßgaben des SaubFahrzeugBeschG, kann die Vergabekammer dieser Auslegung des Vertrages nicht folgen. In Ziffer 5.2 wird zwar auf das SaubFahrzeugBeschG verwiesen, jedoch nur soweit es die Art des Nutzfahrzeuges betrifft. So ist unter Ziffer 5.2 des Vertrages folgendes geregelt: […] „Die Auftragnehmerin ist verpflichtet, dass zur Vertragserfüllung die Quote (…) den nachfolgend genannten Anteilen entspricht: 1. Anzahl der „sauberen leichten Nutzfahrzeuge“ i. S. d. § 2 Nr. 4 SaubFahrzeugBeschG: – mind. 38,5%, 2. Anzahl der „sauberen schweren Nutzfahrzeuge“ i. S. d. § 2 Nr. 5 SaubFahrzeugBeschG“ […].
40
Die Beigeladene hat zu verstehen gegeben, dass sie nicht willens ist, im Falle der Zuschlagserteilung die Bedingungen der Auftragsausführung im einjährigen Vertragszeitraum zu beachten. Sie hat in ihrem Angebot unter Ziffer 12.4.2 ausgeführt, dass hinsichtlich der Zustellung laut aktueller Investitionsplanungen die im SaubFahrzeugBeschG vorgegebenen Quoten im 1. Referenzzeitraum (02.08.2021 bis 31.12.2025) erreicht werden. Nicht relevant ist in diesem Zusammenhang, dass sie hiermit nur eine Erklärung hinsichtlich der Erfüllung der Quote die Zustellung betreffend abgegeben hat, da der Antragsgegner im Rahmen der Angebotsabgabe keine Erklärung hinsichtlich der Erfüllung der Ausführungsbedingung gegenüber den Bietern gefordert hat. Jedoch hat die Beigeladene bereits zu diesem Zeitpunkt kenntlich gemacht, dass sie für die Erfüllung der vertragsgegenständlichen Quoten auf den Referenzzeitraum im SaubFahrzeugBeschG abstellt. Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens hat sie durch ihren Verfahrensbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 05.06.2023 außerdem vortragen lassen, dass […] „nach § 6 Abs. 1 Satz 2 SaubFahrzeugBeschG (…) für den Anteil der sauberen leichten Nutzfahrzeuge in den Referenzzeiträumen vom 02. August 2021 bis zum 31. Dezember 2025 und vom 01. Januar 2026 bis zum 31. Dezember 2030 jeweils ein Mindestziel von 38,5% [gelte]. Die Beigeladene hat unter Ziffer 12.4.2 ihres Angebots dargelegt, dass sie das Mindestziel einhält. (…) Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang auf die Angaben auf der Homepage der … verweist, ist anzumerken, dass die dortigen Angaben nicht tagesaktuell sind, sondern in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden. Zudem beziehen sich die Angaben auf der Homepage (…) auf den aktuellen Fahrzeugbestand und nicht auf den Referenzzeitraum des SaubFahrzeugBeschG.“ […] Damit hat sie erklärt, dass sie explizit abweichend von dem vertraglich Geforderten die im SaubFahrzeugBeschG geregelten Quoten innerhalb der im Gesetz geregelten Zeiträume einhalten wird. Diese gehen über die einjährige Vertragslaufzeit hinaus. Diese Auffassung hat sie erneut im nachgelassenen Schriftsatz vom 27.06.2023 bestätigt. Die zum Teil erst während des laufenden Nachprüfungsverfahrens vorgenommenen Angaben der Beigeladenen sind auch zu berücksichtigen bei der Beurteilung, ob das Angebot von den Vergabeunterlagen abweicht. Bei der Frage, ob der vom Bieter angebotene Leistungsumfang demjenigen der Leistungsbeschreibung entspricht, dürfen auch nachträgliche Erläuterungen des Bieters darüber, wie er sein Angebot im Zeitpunkt seiner Abgabe verstanden wissen wollte, und welchen Inhalt er ihm tatsächlich bemaß, nicht unberücksichtigt bleiben (OLG Saarbrücken, Urteil vom 15.06.2016 – 1 U 151/15; VK Südbayern, Beschluss vom 03.06.2014 – Z3-3-3194-1-14-03/14), da diese Überlegungen regelmäßig auch Eingang in die Kalkulation des Angebotspreises gefunden haben.
41
Die Berücksichtigung des Angebots der Beigeladenen und ein Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Zwar hat die Antragstellerin kein Angebot im streitgegenständlichen Verfahren eingereicht. Es ist aber zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Angebot der Beigeladenen um das einzige Angebot handelt, das eingereicht wurde. Ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen würde entweder die Aufhebung des Vergabeverfahrens oder die grundlegende Überarbeitung und Rückversetzung des Vergabeverfahrens bedeuten und zeitgleich eine Verbesserung der Zuschlagschancen der Antragstellerin bedeuten, da der Antragstellerin in beiden Varianten die erneute Möglichkeit zur Angebotsabgabe offenstehen würde. Dabei ist nach Ansicht der Vergabekammer auch nicht von Belang, dass die Antragstellerin sich gegenwärtig aufgrund der Auftragsausführungsbestimmung nicht in der Lage sah, ein Angebot in hiesigem Verfahren abzugeben. Der Einzug der Elektromobilität in die verschiedenen Dienstleistungsbranchen, so auch der Postbranche, ist einem ständigen Wandel unterworfen, sodass nicht auszuschließen ist, dass die Antragstellerin in einem überarbeiteten Vergabeverfahren oder einem neuen Vergabeverfahren nicht doch ein Angebot abgegeben kann.
3. Kosten des Verfahrens
42
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegend die Antragstellerin zu 50 Prozent und der Antragsgegner und die Beigeladene ebenfalls zu 50 Prozent. Antragsgegner und Beigeladene haften für ihren Teil der Kosten gem. § 182 Abs. 3 S. 2 GWB als Gesamtschuldner.
43
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
44
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Auf Grund der bei der Vergabekammer auftretenden Synergieeffekte mit dem ebenfalls anhängigen Nachprüfungsverfahren 3194.Z3-3_01-22-58 wurde die Gebühr entsprechend ermäßigt.
45
Der Antragsgegnerist als Bundesland von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 2 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit.
46
Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraftverrechnet.
47
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung bzw. Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin und des Antragsgegners beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
48
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war jeweils erforderlich, da es sich beim Vergaberecht und dem Nachprüfungsverfahren um einen komplexen Problemkreis handelt und weder die Antragstellerin noch der Antragsgegner über die für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendigen Kapazitäten verfügt und sie daher auf eine vertiefte rechtliche Begleitung im Nachprüfungsverfahren durch einen Anwalt angewiesen waren. Die im Nachprüfungsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen waren jedenfalls hinsichtlich der Rügepräklusion, der Anwendbarkeit des SaubFahrzeugBeschG und des Ausschlusses des Angebots der Beigeladenen komplex und selbst von einem Bieter und öffentlichem Auftraggeber, die jeweils in europaweiten Ausschreibungen mit hoher wirtschaftlicher Bedeutung bewandert sind, nicht ohne anwaltliche Beratung zu bewältigen.
49
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010 – Verg W 10/09). Die Beigeladene hat sich durch schriftsätzlichen Vortrag und die Stellung von Anträgen aktiv am Verfahren beteiligt. Hierdurch hat sie das gegenständliche Verfahren wesentlich gefördert und ein Kostenrisiko auf sich genommen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2014, VII-Verg 12/03). Die Beigeladene hat sich den Anträgen des Antragsgegners angeschlossen und sich damit soweit es die Zulässigkeit der Ausführungsbedingung betraf mit demselben Rechtsschutzziel wie der in diesem Punkt obsiegende Antragsgegner und soweit es den Punkt des Ausschlusses ihres eigenen Angebots betraf nicht mit demselben Rechtsschutzziel wie die in diesem Punkt obsiegende Antragstellerin am Nachprüfungsverfahren beteiligt. Daher hat sie ihre Aufwendungen zu 50 Prozent selbst zu tragen.