Titel:
Teilweise erfolgreiche Unterbringungsbeschwerde
Normenketten:
BayUnterbrG Art. 1 (idF bis zum 1.1.2019)
BayPsychKHG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 20 Abs. 3 Nr. 1
FamFG § 323 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Rechtsprechung des BayObLG zu Art. 1 BayUnterbrG zur Notwendigkeit einer erheblichen Gefahr für die Unterbringung ist auch für Art. 5 BayPsychKHG weiter aktuell. Rechtsgüter anderer oder das Allgemeinwohl sind „in erheblichem Maß gefährdet, wenn mit der Beeinträchtigung eines entsprechenden Rechtsguts mit hoher Wahrscheinlichkeit und jederzeit zu rechnen ist und die Schutzwürdigkeit des gefährdeten Rechtsguts der Schwere des mit einer Unterbringung verbundenen Eingriffs in die persönliche Freiheit entspricht (BayObLGZ 1999, 216 [218] = NJW 2000, 881).“ (= BayObLG NJW-RR 2002, 795 zu Art. 1 UnterbrG). (Rn. 23)
2. Der Gesetzestext von Art. 5 I BayPsychKHG ist insofern einschränkend auszulegen, dass die Unterbringung nur möglich ist, wenn die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgehoben ist. Dazu der BGH: „Eine öffentlich-rechtliche. Unterbringung nach Art. 5 I 1 BayPsychKHG setzt in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift voraus, dass die freie Willensbestimmung des Betroffenen aufgehoben ist.“ (BGH NJW 2021, 2582) Bezugspunkt des fehlenden freien Willens ist die Möglichkeit die eigene Fremdgefährdung zu erkennen oder steuern zu können. (Rn. 22)
3. § 323 Abs. 2 FamFG erfordert die konkrete Festlegung der notwendigen Vor- und Begleituntersuchungen als Bedingung für die Zwangsbehandlung. Diese kann das Gericht dem Sachverständigengutachten entnehmen oder der S3-Leitlinie Schizophrenie vom 15.3.2019, S. 118.“. (Rn. 53)
1. Art. 5 Abs. 1 S. 1 BayPsychKHG ist insofern einschränkend auszulegen, dass die Unterbringung nur möglich ist, wenn die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgehoben ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da es sich bei Art. 5 Abs. 1 S. 1 BayPsychKHG um eine Befugnisvorschrift handelt, ist unter dem Gefahrenbegriff eine konkrete Gefahr von erheblichem Gewicht zu verstehen, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der in der Vorschrift genannten Schutzgüter führt. (Rn. 23 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Behandlung mit Olanzapin intramuskulär kann eine nach Art. 20 Abs. 3 Nr. 1 BayPsychKHG erforderliche Maßnahme sein. (Rn. 36 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Gericht hat grds. selbst zu entscheiden, ob das angeordnete Präparat zur Zwangsmedikation derzeit erfolgversprechend ist und ein günstigeres Risikoprofil aufweist als andere Präparate oder ob nunmehr eine andere Medikation erforderlich ist. (Rn. 42 – 48) (redaktioneller Leitsatz)
5. Mit § 323 Abs. 2 FamFG hat das Gericht auch konkrete Festlegungen zu notwendigen Vor- und Begleituntersuchungen als Bedingung für die Zwangsbehandlung zu treffen. Hierfür kann sich das Gericht entweder sachverständigen Rat einholen oder auf die anwendbare medizinische Leitlinie berufen. (Rn. 49 – 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterbringung, Zwangsbehandlung, Zwangsmedikation, Eigen- und Fremdgefährdung, paranoide Schizophrenie, Olanzapin, konkrete Gefahr, Kontrolluntersuchung, freie Willensbestimmung
Vorinstanz:
AG Regensburg, Beschluss vom 28.02.2023 – XIV 1515/22
Fundstellen:
BtPrax 2023, 187
LSK 2023, 4687
BeckRS 2023, 4687
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 28.02.2023, Az. XIV 1515/22 (L), abgeändert:
a) Die Nummer 2 lit a des Beschlusses (Genehmigung der oralen Neuroleptika) wird aufgehoben.
b) Nummer 2 lit b (Genehmigung von Olanzapin intramuskulär) wird ergänzt um folgende Passage: „Die Zwangsbehandlung ist nur zulässig, wenn in den letzten 2 Wochen keine Depotgabe des Medikaments erfolgt ist.“
c) Die Passage „Die zur Sicherheit der Betroffenen vorgeschriebenen notwendigen Kontrolluntersuchungen wie Blutentnahmen und / oder EKG-Ableitungen sind durchzuführen und zu dokumentieren.“ wird wie folgt abgeändert:
„Die zur Sicherheit der Betroffenen vorgeschriebenen notwendigen Kontrolluntersuchungen, nämlich wenigstens Blutentnahmen und Untersuchungen des Bluts auf Leberenzyme, Blutbild, Elektrolyte, Creatinin/GFR, Blutzucker/HbA1c, Blutfette und EKG-Ableitungen sind 4 Wochen nach Beginn durchzuführen und zu dokumentieren. Die Behandlung darf nur fortgeführt werden, wenn diese Untersuchungen nicht länger als 4 Wochen zurückliegen.“
d) Die Genehmigung der Fixierung zur Gabe der Medikamente wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Genehmigung ihrer Unterbringung und ihrer Zwangsbehandlung nach BayPsychKHG durch Beschluss des Amtsgerichts vom 28.2.23.
2
Am 1.1.23 wurde die Beschwerdeführerin vorläufig bis zum 11.2.23 nach BayPsychKG untergebracht wegen Eigen- und Fremdgefährdung. Dem war vorausgegangen, dass die Beschwerdeführerin ausweislich des polizeilichen Berichts vom 31.12.22 der PI Amberg verwirrt und orientierungslos in einer Kirche angetroffen wurde. Sie habe sich extrem aggressiv verhalten, sie habe laut geschrien und mit den Armen herumgeschlagen. Eine normale Unterhaltung sei nicht möglich gewesen, der Gemütszustand sei sprunghaft und unberechenbar gewesen. Sie sei dann ins BKH … verbracht worden.
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Am 1.1.23 attestierte das BKH … einen Verdacht auch paranoide Schizophrenie und eine psychische Verhaltensstörung durch Alkohol.
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Nach einer Anhörung am 1.1.23 erließ das Amtsgericht den o.g. Beschluss.
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Am 2.2.23 sprach sich das BKH für eine Verlängerung der Unterbringung aus.
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Das Amt für öffentliche Ordnung und Straßenverkehr der Stadt … teilte am 3.2.23 mit, dass die weitere Unterbringung befürwortet werde und die Zwangsbehandlung ebenfalls.
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Am 9.2.23 wurde die Beschwerdeführerin angehört und am 10.2.23 ihre vorläufige Unterbringung bis zum 25.2.23 nach PsychKHG angeordnet.
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Am 17.1.23 beantragte das BKH die Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin. Das Amt für öffentliche Ordnung und Straßenverkehr der Stadt … teilte am 3.2.23 mit, dass die weitere Unterbringung befürwortet werde und die Zwangsbehandlung ebenfalls.
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Das Amtsgericht bestellte daraufhin den Sachverständigen … zur Begutachtung im Hinblick auf diese Frage und eine öffentlich-rechtliche Unterbringung.
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Am 13.2.23 legte der Sachverständige sein Gutachten vor, welches der Beschwerdeführerin und dem Verfahrenspfleger am 15.2.23 übersandt wurde.
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Am 27.2.23 wurde die Beschwerdeführerin angehört. Sie wandte sich gegen die weitere Unterbringung sowie die Zwangsbehandlung.
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Am 28.2.23 ordnete das Amtsgericht Regensburg die Unterbringung nach PsychKHG bis zum 10.4.23 sowie die Zwangsbehandlung der Beschwerdeführerin mit folgendem Tenor an:
„a) Sollte die Betroffene unter Zwang bereit sein, eine orale Medikation einzunehmen:
- Risperidon Tabletten (z.B. Risperdal) zu 2 mg täglich an den Tagen 1-3, dann Erhöhung um 2 mg bis zu einer maximalen Tagesdosis von 6 mg nach je 3 Tagen oder alternativ
- Olanzapin Schmelztabletten (z.B. Zyprexa Velotab) zu 10 mg täglich an den Tagen 1-3, dann schrittweise Erhöhung um jeweils 10 mg bis zu einer maximalen Tagesdosis von 40 mg in Abständen von jeweils 3 Tagen.
b) Falls die Betroffene die Einnahme einer oralen Medikation ablehnt, wird – soweit erforderlich -unter Anwendung angemessener körperlicher Gewalt eine intramuskuläre Verabreichung eines Neuroleptikums wie folgt genehmigt:- Olanzapin intramuskulär zu 10mg täglich an den Tagen 1-3, dann Erhöhung auf 20mg täglich ab Tag 4
c) Zwangsweise Durchführung von medizinisch notwendigen bzw. indizierten Blutentnahmen und EKG-Kontrollen bei der Betroffenen zur Kontrolle des Medikamentenblutspiegels und anderer Laborparameter sowie der Nebenwirkungen im Rahmen der ärztlichen Zwangsmedikation.
Bei der Durchführung der Zwangsmedikation sowie der Blutentnahmen und EKG-Kontrollen sind folgende generelle Einschränkungen zu beachten:
Die Erhöhungen der Medikation dürfen nur dann vorgenommen werden, wenn keine ausreichende Besserung eingetreten ist. Dies gilt insbesondere bei einer Erhöhung der Dosierung von Olanzapin über 20 mg täglich, die nur nach sorgfältiger klinischer Überprüfung der Notwendigkeit und Abwägung entsprechend der Fachinformation erfolgen darf, z.B. bei einem unzureichenden Ansprechen der Therapie mit Olanzapin bis 20 mg täglich, bei Vorliegen eines rapid-metabolizen Status oder bei Vorliegen einer überdurchschnittlichen Abbauleistung für antipsychotische Wirkstoffe durch Enzyminduktion. Bei ausreichender Besserung kann zum einen die Zwangsmedikation beendet werden, zum anderen ist eine Erhöhung der Dosis nicht mehr erforderlich.
Die genannten Zwangsmaßnahmen sind durch einen Arzt I eine Ärztin anzuordnen. Sie sind zu dokumentieren und durch einen Arzt I eine Ärztin durchzuführen, zu überwachen und in regelmäßigen Abständen auf ihre Eignung, Notwendigkeit und Angemessenheit zu überprüfen.
Die Betroffene ist vor der ersten Verabreichung des Medikaments bzw. der Durchführung einer Blutentnahme oder EKG-Kontrolle erneut unter Aufklärung durch den Arzt/die Ärztin über die Rechtslage gemäß vorliegendem Beschluss aufzuklären, wobei die Beschlussabschrift der Betroffenen vorzulegen ist. Die Betroffene ist anschließend zur oralen Einnahme des Medikaments, zur Duldung der intramuskulären Verabreichung des Medikaments bzw. zur Duldung der Blutentnahme oder EKG-Kontrolle ernsthaft und nachdrücklich unter Gewährung einer ausreichenden Bedenkzeit aufzufordern. Im Übrigen ist der Betroffenen vor jeder körperlichen Gewalt zur Medikamenteneinnahme das orale Medikament anzubieten.
Soweit die Zwangsmedikation, die Blutentnahmen und die EKG-Kontrollen nicht mehr erforderlich sind, sind diese zu beenden. Ansonsten wird die Genehmigung der Zwangsmedikation, der Blutentnahmen und der EKG-Kontrollen spätestens mit Ablauf der genehmigten Zeitdauer wirkungslos.
Die zur Sicherheit der Betroffenen vorgeschriebenen notwendigen Kontrolluntersuchungen wie Blutentnahmen und / oder EKG-Ableitungen sind durchzuführen und zu dokumentieren.
Die Zwangsmedikation ist unverzüglich zu beenden, wenn sich aus den Blutergebnissen bzw. den durchgeführten EKG-Ableitungen Gegenindikationen ergeben.“
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Mit Schreiben vom 7.3.23 legte die Beschwerdeführerin „Einspruch“ gegen diesen Beschluss ein und beantragte die Aufhebung der Zwangsmedikation sowie die sofortige Freilassung.
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Mit Beschluss vom 8.3.23 half das Amtsgericht der Beschwerde nicht ab und legte die Akten der Kammer vor.
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Nach telefonischer Anhörung der Beschwerdeführerin, der Stadt … und des Verfahrenspflegers übertrug die Kammer die Entscheidung der Beschwerde dem Berichterstatter als Einzelrichter.
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Am 17.3.23 hörte die Kammer die Beschwerdeführerin in Anwesenheit des Verfahrenspflegers an. Auf den Anhörungsvermerk wird verwiesen.
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Auf die genannten Unterlagen wird jeweils verwiesen.
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Die zulässige Beschwerde führt zur teilweisen Aufhebung und Abänderung des Beschlusses.
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Hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung und der Zwangsbehandlung im Allgemeinen ist die Beschwerde aber nicht erfolgreich.
1. Zu Abweisung der Beschwerde gegen die Unterbringung
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Die Beschwerde ist unbegründet, die Entscheidung des Amtsgerichts trifft weiter zu.
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Wer auf Grund einer psychischen Störung, insbesondere Erkrankung, sich selbst, Rechtsgüter anderer oder das Allgemeinwohl erheblich gefährdet, kann ohne oder gegen seinen Willen untergebracht werden, es sei denn seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ist nicht erheblich beeinträchtigt, Art. 5 I BayPsychKHG.
22
Dabei ist der Gesetzestext insofern einschränkend auszulegen, dass die Unterbringung nur möglich ist, wenn die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgehoben ist. Dazu der BGH: „Eine öffentlich-rechtliche. Unterbringung nach Art. 5 I 1 BayPsychKHG setzt in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift voraus, dass die freie Willensbestimmung des Betroffenen aufgehoben ist.“ (BGH NJW 2021, 2582)
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Zum Begriff der erheblichen Gefahr des § 1 UnterbrG hat das BayObLG und weiterhin gültig zutreffend ausgeführt: „Die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ist in erheblichem Maß gefährdet, wenn mit der Beeinträchtigung eines entsprechenden Rechtsguts mit hoher Wahrscheinlichkeit und jederzeit zu rechnen ist und die Schutzwürdigkeit des gefährdeten Rechtsguts der Schwere des mit einer Unterbringung verbundenen Eingriffs in die persönliche Freiheit entspricht (BayObLGZ 1999, 216 [218] = NJW 2000, 881).“ (BayObLG NJW-RR 2002, 795)
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Dieser Gefahrbegriff ist weiter aktuell, wie sich aus den Ausführungen des Gesetzgebers ergibt: „Da es sich um eine Befugnisvorschrift handelt, ist unter dem Gefahrenbegriff eine konkrete Gefahr zu verstehen. Unter einer konkreten Gefahr ist eine Sachlage zu verstehen, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der in Abs. 1 Satz 1 genannten Schutzgüter führt. Bei Eingriffen in die Freiheit der Person ist der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts aus verfassungsrechtlichen Gründen besonders sorgsam zu prüfen. Je bedeutsamer das gefährdete Rechtsgut ist und je größer und folgenschwerer der drohende Schaden ist, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten. Nach dieser Maßgabe gilt Folgendes: Eine Beeinträchtigung von Rechtsgütern muss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein.
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Die Feststellung einer hundertprozentig sicheren Prognose ist nicht erforderlich. Für die Gefahrenprognose maßgeblich sind insbesondere die Persönlichkeit der betroffenen Person, ihr früheres Verhalten, ihre aktuelle Befindlichkeit und die zu erwartenden Lebensumstände. Bei Unberechenbarkeit des Verhaltens einer Person mit einer psychischen Störung im Sinn des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 ist es ausreichend, wenn mit einer Beeinträchtigung von Rechtsgütern jederzeit zu rechnen ist.
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Durch die Gesetzesformulierung „erheblich“ wird vorausgesetzt, dass die Gefahr von erheblichem Gewicht sein muss. Die Schutzwürdigkeit der gefährdeten Rechtsgüter muss der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit entsprechen.“ (LT-Drs. 17/21573, S. 31)
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Diese Gefahr liegt vor. Die Beschwerdeführerin hat auch in der Anhörung durch die Kammer zu erkennen gegeben, dass sie überall Pädophile erkennt und hat auch zugegeben, dass sie dem Priester in Amberg geschlagen hatte. Insgesamt erblickt die Beschwerdeführerin Ungerechtigkeiten allerorten und fühlt sich dazu berufen, dagegen einzuschreiten. Es ist daher jederzeit mit der Umsetzung von angekündigter Gewalt gegen vermeintlich Pädophile durch die Beschwerdeführerin zu rechnen, insbesondere wenn sich die Beschwerdeführerin in einem solchen Konflikt bedroht fühlt. Aufgrund dessen, dass die Beschwerdeführerin überall Pädophile erblickt, auch in Amberg in der Fußgängerzone ist jederzeit mit derartigen Taten zu rechnen insbesondere nach alkoholbedingter Enthemmung.
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Daher schließt sich die Kammer der sorgfältig begrüßten Gefahrenprognose des Amtsgerichts an. Auf die Ausführungen des Amtsgerichts wird verwiesen.
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Diese Gefahr ist auch eine erhebliche im oben dargestellten Sinn. Zwar ist aktuell in der Unterbringung und aufgrund der Medikation eine gewisse Beruhigung der Beschwerdeführerin eingetreten, die Wahninhalte sind allerdings weiterhin präsent und es ist keinesfalls damit zu rechnen, dass die Beschwerdeführerin nach Entlassung freiwillig Medikamente einnehmen würde. Nur mit der Einnahme solcher Medikamente aber kann die Gefahr unter die Schwelle der Erheblichkeit gesenkt werden. Auch im aktuellen Zustand ist trotz der leichten Beruhigung angesichts der floriden Symptomatik und unter Alkoholeinfluss jederzeit mit aggressiven Handlungen wie am 31.12.22 zu rechnen und zwar auch mit solchen Taten, die im Ergebnis über das Ereignis hinausgehen und erheblichen körperlichen Schaden verursacht. Das Gutachten ist insoweit weiter aktuell.
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Angesichts der bedrohten körperlichen Unversehrtheit von unbeteiligten Dritten ist die Unterbringung auch verhältnismäßig angesichts des Freiheitsrechts der Beschwerdeführerin. Auch insoweit wird auf den Beschluss des Amtsgerichts verwiesen.
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Die Unterbringung wird auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil über mehrere Wochen keine Zwangsbehandlung durchgeführt wurde. Eine solche wurde bereits am 17.1.23 beantragt. Zuvor hatte die Beschwerdeführerin am 12.1, 15.1 und 16.1.23 zur Einnahme von Medikation überzeugt werden. Angesichts der Notwendigkeit von Überzeugungsversuchen wäre daher ein früherer Antrag nicht zielführend gewesen.
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Das gilt auch für die derzeit genehmigte Unterbringungsdauer. Derzeit ist unklar, ob die Beschwerdeführerin sich am 23.3.23 wiederum freiwillig ein Depot geben lassen wird oder ob sie Einzeldosen verlangen wird. Sollte sie ein Depot akzeptieren, kann nach Ansicht der behandelnden Oberärztin wegen des dann erreichten medikamentösen Schutzes für weitere 2 Wochen eine Entlassung erfolgen. Sollte dies nicht passieren wird mit einzelnen Dosen die Zwangsmedikation erfolgen müssen, bis die Beschwerdeführerin sich weiter stabilisiert hat. Daher ist die Genehmigung über 6 Wochen aktuell nicht zu beanstanden, weil ungewiss ist wie sich die Situation insoweit entwickelt.
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Diese Gefahr beruht auf der sachverständig festgestellten paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Insoweit schließt sich die Kammer den Ausführungen des Amtsgerichts an. Die Symptome waren auch in der Anhörung durch die Kammer deutlich vorhanden und die Wahninhalte führen zu den fremdgefährlichen Handlungen der Beschwerdeführerin Der freie Wille der Beschwerdeführerin ist vollständig aufgehoben. Der freie Wille bezieht sich nach Ansicht der Kammer auf die Möglichkeit der Beschwerdeführerin ihre eigene Fremdgefährdung zu erkennen oder zu steuern. Die Beschwerdeführerin kann nicht erkennen, dass die von ihr wahrgenommen pädophilen Handlungen nicht wirklich stattgefunden haben und sie fühlt sich aufgrund ihrer Erkrankung dazu berufen gegen diese Taten einzuschreiten und Selbstjustiz zu üben. Das vermag sie nicht zu erkennen und es fehlt ihr daher der freie Wille.
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Im Übrigen wird auf den Beschluss des Amtsgerichts verwiesen.
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Soweit die tägliche intramuskuläre Gabe von 20 mg Olanzapin angeordnet ist, ist die Beschwerde unbegründet. Die Genehmigung weiterer Medikamente ist jedoch aufzuheben.
a) Ablehnung der Beschwerde gegen die Zwangsbehandlung mit Olanzapin intramuskulär
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Die Behandlung mit Olanzapin intramuskulär ist nach Art. 20 Abs. 3 Nr. 1 BayPsychKHG erforderlich, um die „Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der untergebrachten Person wiederherzustellen“ und ohne „die Maßnahme wird ihre Entlassung nicht möglich“ sein.
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Die Kammer schließt sich insofern vollumfänglich den Ausführungen des Amtsgerichts an, die auf Basis der Anhörung auch noch aktuell sind.
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Diese sind vollständig und umfassend begründet. Auch weitere Feststellungen zu den Überzeugungsversuchen sind nicht erforderlich, solche sind offensichtlich nicht zielführend oder möglich. Sie haben zudem auch stattgefunden, wie sich aus dem Antrag des BKH vom 17.1.23 ergibt. Andernfalls wäre es gar nicht erst zur freiwilligen Einnahme der Medikamente gekommen. Anschließend verweigerte die Beschwerdeführerin gegenüber BKH, Amtsgericht und Verfahrenspfleger jedes zielführende Gespräch über die Medikation. Das wird in der Anhörung durch die Kammer belegt. Hier war ein Gespräch mit der Beschwerdeführerin über die Medikation kaum möglich. Sie hat insofern immer gesagt, sie lasse sich kein Depot mehr geben und würde sich lieber den Hals durchschneiden. Zudem hat die Beschwerdeführerin sich über nicht nachvollziehbare Nebenwirkungen beschwert und deutlich artikuliert, dass sie Teil einer Medikamentenstudie sei, die ihr ihr Hausarzt mal vorgeschlagen habe. Sie habe zwar abgelehnt, aber jetzt sei sie dieser Studie durch die Unterbringung zugeführt worden. Damit sind Überzeugungsversuche sinnlos.
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Das wird auch nicht dadurch widerlegt, dass die Beschwerdeführerin sich freiwillig ein Depot statt einer Spritze jeden Tag geben hat lassen. Denn dies ist nur unter dem Druck der Zwangsmedikation geschehen.
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Die Nebenwirkungen konnten von der behandelnden Ärztin nicht nachvollzogen werden, insbesondere habe die Beschwerdeführerin auch nicht erbrochen oder habe dies nicht nachvollzogen werden können. Die beschriebenen Beschwerden stellen die Risikoabwägung nicht in Frage, denn die Beschwerdeführerin war während der einstündigen Anhörung lebhaft und körperlich augenscheinlich fit. Auch die Suizidandrohungen ändern nichts an der Risikoeinschätzung. Diese wirkten nicht ernsthaft und eher als Mittel zur rhetorischen Unterstreichung der Ablehnung der Medikation. Zudem ist das BKH über die Drohungen im Bilde und in beschützender Umgebung ist mit einer Umsetzung kaum zu rechnen.
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Ergänzend ist noch auszuführen, dass sich Anhaltspunkte für die Existenz einer Patientenverfügung nicht ergeben haben, so dass die Frage hier keine Rolle spielt.
b) Zu 1a und 1b: teilweise Aufhebung des Beschlusses und Ergänzung hinsichtlich des Depots.
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Der Beschluss war hinsichtlich der Genehmigung der oralen Neuroleptika aufzuheben.
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Ausweislich der telefonischen Mitteilung der zuständigen Oberärztin und dem Ergebnis der Anhörung hat sich die Beschwerdeführerin in Abstimmung mit den Ärzten, nachdem sie einige Tage orale Medikamente genommen hatte, für eine intramuskuläre Gabe von Olanzapin entschieden und zwar einmalig als Einzeldosis und am 9.3.23 erstmals als Depot für 2 Wochen.
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Mangels entsprechendem Sachverständigengutachten kann die Kammer die Genehmigung nicht auf die Depotmedikation ändern. Allerdings ist klarzustellen, dass eine Zwangsbehandlung mit weiteren Dosen nicht erfolgen darf, solange das Depot noch wirksam ist. Es steht der Beschwerdeführerin frei auch in Zukunft die Depotmedikation zu akzeptieren zur Vermeidung der täglichen Injektion. Insoweit stellt sich auch die Frage der Verhältnismäßigkeit der Einzeldosen im Vergleich zum Depot nur eingeschränkt. Die Beschwerdeführerin ist offensichtlich in der Lage die geringere Belastung durch die Injektion mit einem Depot statt Einzeldosen zu erkennen und kann die Entscheidung darüber daher selbst treffen.
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Nachdem die Beschwerdeführerin sich für eine intramuskuläre Gabe entschieden hat, sind die genehmigten oralen Medikationen aufzuheben, es würde sich um unzulässige Vorratsbeschlüsse handeln. Selbstverständlich steht es während der gesamten Laufzeit des Beschlusses der Beschwerdeführerin frei, unter dem Druck des Beschlusses eine orale Medikation mit ihrem natürlichen Willen zu akzeptieren.
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Es kann daher offen bleiben, ob die Genehmigung von alternativen Präparaten und Darreichungsformen in dieser Form zulässig ist, was sehr fraglich ist.
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Denn der Rechtsprechung der unverändert fortbestehenden Dreierbesetzung der Kammer (Beschlüsse vom 31.8.22 und 21.11.22, Az. 52 T 203/22) hat das Gericht grundsätzlich selbst zu entscheiden, ob das angeordnete Präparat derzeit erfolgsversprechend ist und ein günstigeres Risikoprofil aufweist als andere Präparate. Es ist grundsätzlich Aufgabe des Gerichts, sachverständig beraten, festzustellen, ob die Zwangsmedikation mit dem ersten Präparat gescheitert ist oder weiter Erfolgsaussichten hat oder ob nunmehr eine andere Medikation erforderlich ist. „Das ist schließlich der Sinn des ganzen, vom BVerfG erzwungenen Verfahrens: Der Arzt, der zwangsweise behandeln will, muss seine Entscheidung für eine bestimmte Behandlung transparent machen und für einen ärztlichen Kollegen als Richtergehilfen und das Gericht nachvollziehbar begründen. Gelingt das, dann gehört das komplette Ergebnis dieses Konzils transparent in die Beschlussformel. Hat die Behandlung keinen Erfolg, dann muss ein neuer, anderer Versuch wieder transparent gemacht und nachvollziehbar begründet werden. Es gibt hiervon angesichts des Grundrechts, in das eingegriffen wird, keinen Dispens.“ (MüKoFamFG/Schmidt-Recla, 3. Aufl. 2019, FamFG § 323 Rn. 12; a.A. noch zum FGG obiter dictum BGH NJW 2006, 1277 Rn. 27)
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Es kann auch offen bleiben, ob der Beschluss in dieser Form überhaupt bestimmt genug ist, weil nicht klar ist wem das Wahlrecht für die Auswahl der Medikamente und der Darreichungsform zukommt. Unbedenklich wäre insoweit ein Wahlrecht der Beschwerdeführerin, insbesondere hinsichtlich der Darreichungsform.
c) Zu 1c: Abänderung des Beschlusses im Hinblick auf die Kontrolluntersuchungen:
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Die Zwangsbehandlung war, wie auch vom Amtsgericht grundsätzlich richtig gesehen, nach § 323 Abs. 2 FamFG von der Durchführung der notwendigen VorKontrolluntersuchungen abhängig zu machen. Die Voruntersuchungen sollten dabei idealerweise bereits vor Genehmigung erfolgen, können aber auch als Bedingung für den Beginn der Behandlung vorgesehen werden, wenn keine Anhaltspunkte für ein besonderes individuelles Risiko bestehen. Nach ständiger Rechtsprechung der unverändert fortbestehenden Dreierbesetzung der Kammer (Beschluss vom 4.5.22, Az. 53 T 85/22 und Beschlüsse vom 31.8.22 und 21.11.22, Az. 52 T 203/22) sind diese Untersuchungen konkret und mit Fristen vorzugeben.
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Nach § 323 Abs. 2 FamFG enthält die Beschlussformel „bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung auch Angaben zur Durchführung und Dokumentation dieser Maßnahme in der Verantwortung eines Arztes.“ Bei diesen Vorgaben handelt es sich um Angaben zur Durchführung der Maßnahme.
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Nachdem die Kammer mit der Beschwerdeentscheidung die Verantwortung für die Zwangsmedikation trägt, hat sie die zwingend notwendigen Kontrolluntersuchungen den behandelnden Ärzten auch vorzuschreiben, um die sichere Behandlung des Betroffenen zur gewährleisten. Denn ohne diese Untersuchungen ist nach Ansicht der Kammer die Behandlung nicht rechtmäßig durchführbar. Dabei genügt es nicht, im Beschluss anzuordnen, dass die Behandlung unter ärztlicher Aufsicht und Leitung und Verantwortung eines Arztes durchzuführen sind. Vielmehr sind jedenfalls die absolut zwingend notwendigen Untersuchungen konkret aufzunehmen, so wie es auch bei der 5-Punkt-Fixierung allgemeine Meinung sein dürfte, dass die Notwendigkeit der 1:1 Betreuung in den Tenor aufzunehmen ist.
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Dafür spricht auch, dass das Gericht eine individuelle Risiken- und Nutzenabwägung durchzuführen hat. Das aber ist nur möglich, wenn das Gericht sich mit den Sicherheitsmaßnahmen und ihrer Durchführbarkeit auseinandersetzt. Denn sollte im Einzelfall etwa eine bestimmte Untersuchung nicht möglich sein, ist es die Aufgabe des Gerichts im Rahmen der Risikoabwägung zu entscheiden, ob sie trotzdem durchgeführt werden kann. Die Kammer darf daher nicht darauf vertrauen, dass durch den Arzt die Untersuchungen durchgeführt werden, sondern hat durch die konkrete Anordnung dafür Sorge zu tragen, dass die Zwangsbehandlung nur unter diesen Bedingungen legal stattfinden kann.
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Die Kammer folgt insoweit den Angaben des Sachverständigen, der die Kontrolluntersuchungen und ihre Notwendigkeit grundsätzlich dargelegt hat. Diese Angaben hat die Kammer konkretisiert unter Zurhilfenahme der S3-Leitlinie Schizophrenie vom 15.3.2019, S. 118. Dort finden sich die notwendigen Intervalle und die Bezeichnung der Laborparameter. Diese Leitlinie stellt den medizinisch-wissenschaftlichen Konsens dar, auf dessen Einhaltung die Beschwerdeführerin Anspruch hat, wenn kein individuell zu prüfender Sonderfall vorliegt. Der Feststellung dieses Konsenses „dienen die Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer ebenso wie die von den führenden medizinischen Gesellschaften erstellten Leitlinien, welche den – nach definiertem, transparent gemachtem Vorgehen erzielten – Konsens zu bestimmten ärztlichen Vorgehensweisen wiedergeben und denen deshalb die Bedeutung wissenschaftlich begründeter Handlungsempfehlungen zukommt (vgl. Beschlüsse der Vorstände von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung Deutsches Ärzteblatt 94 [1997], A-2154-2155).“ (BGH NJW 2020, 1581 Rn. 24) Bei der S3-Leitlinie handelt es sich um eine solche Leitlinie von höchstem Qualitätsstandard (S3).
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Nachdem es sich dabei nur eine Vorsichtsmaßnahme handelt und die Blutentnahme ohnehin bereits genehmigt ist, war dazu eine erneute Anhörung nicht erforderlich mangels genehmigungspflichtigen weiteren Eingriffs.
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Es wird ausgesprochen, dass die Behandlung nicht fortgeführt werden darf, wenn die Parameter bisher nicht erhoben wurden, weil nicht sichergestellt ist, dass vor Beginn die Parameter tatsächlich, wie von der Leitlinie vorgesehen erhoben wurden.
d) Zu 1d: Aufhebung der Fixierung
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Bisher war für die Gabe der Medikation keine Fixierung notwendig, wie sich aus dem Ergebnis der Anhörung ergeben hat. Die Beschwerdeführerin hat in der Anhörung zugesagt, die Medikation ohne Fixierung zu tolerieren. Sie meinte zwar, sie würde sich eher umbringen, hat aber auch zu erkennen gegeben, dass Gewalt nicht notwendig sein wird. Daher war die Genehmigung der Fixierung als Vorratsbeschluss aufzuheben. Sollte die Beschwerdeführerin ohne Fixierung nicht mediziert werden können, wäre ggf. eine einstweilige Anordnung durch das Amtsgericht notwendig.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 25 II GNotKG und § 337 Abs. 1 FamFG.
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Die Beschwerdeführerin hat mit ihrer Beschwerde gegen die Zwangsbehandlung teilweise Erfolg. Dies betrifft aber nur unwesentliche Nebenfragen und nicht den Angriff der Beschwerdeführerin gegen die Behandlung unter Unterbringung insgesamt. Daher hat das Gericht im Rahmen seines Ermessens die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin auch nicht teilweise der Staatskasse auferlegt.