Inhalt

LG Augsburg, Urteil v. 19.12.2023 – 2 NBs 303 Js 144357/22 (2)
Titel:

Verurteilung wegen Besitzes von Cannabisprodukten nach altem Recht unter hypothetischer Heranziehung des KCanG

Normenketten:
BtMG § 29a
KCanG § 34
Leitsatz:
Auch wenn ein minder schwerer Fall des Besitzes von Betäubungsmitteln (Cannabisprodukt) in nicht geringer Menge vorliegt, so war im vorliegenden Fall bei einer hypothetischen Anwendung des KCanG nicht von der Regelwirkung des besonders schweren Falls abzuweichen (aufgehoben durch BayObLG BeckRS 2024, 7585). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betäubungsmittel, Cannabis, nicht geringe Menge, Strafzumessung, minder schwerer Fall, besonders schwerer Fall
Vorinstanzen:
AG Augsburg vom -- – 303 Js 144357/22
AG Augsburg, Urteil vom 15.05.2023 – 41 Ls 303 Js 144357/22
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 12.04.2024 – 206 StRR 129/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 46843

Tenor

I) Der Angeklagte wird wegen der im Schuldspruch rechtskräftigen Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
II) Die weitergehende Berufung des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
III) Der Angeklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und seine notwendigen Auslagen. Die Berufungsgebühr wird um 1/4 ermäßigt. Die Kosten des Revisionsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten betreffend der Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 11.07.2023 trägt die Staatskasse.  

Entscheidungsgründe

I.
Einleitende Feststellungen
1
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 15.05.2023 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung der Vollstreckung zur Bewährung verurteilt. Die gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Angeklagten hat die 6. Strafkammer des Landgerichts Augsburg mit Urteil vom 11.07.2023 als unbegründet verworfen.
2
Auf die Revision der Angeklagten hob das Bayerische Oberste Landesgericht mit Beschluss vom 27.10.2023 das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 11.07.2023 mit den dem Rechtsfolgenausspruch zugrunde liegenden Feststellungen auf und verwies die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurück.
3
Die Berufung des Angeklagten führte im Ergebnis zu einer Reduzierung der erstinstanzlich verhängten Freiheitsstrafe.
II.
Persönliche Verhältnisse
III.
Sachverhalt und rechtliche Würdigung
4
Da das Urteil des Landgerichts Augsburgs vom 11.07.2023 nur im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben wurde, steht der Schuldspruch und der diesem zugrunde liegende Sachverhalt aus dem Urteil des Landgerichts Augsburg vom 11.07.2023, auf den verwiesen wird, rechtskräftig fest und ist der erneuten Prüfung des Berufungsgerichts entzogen.
5
Ergänzend und nicht im Widerspruch zu den bindenden Feststellungen hat das Landgericht folgende ergänzende Feststellungen getroffen:
6
Der Angeklagte erwarb die Cannabissamen sowie die bei ihm aufgefundene Ausrüstung für die Aufzucht der Pflanzen, u. a. ein Growzelt, Wärmelampen und Düngemittel, über das Internet und eignete sich auch über das Internet das für den Anbau erforderliche Wissen an. Er zog über einen Zeitraum von etwa drei Monaten gleichzeitig vier Pflanzen bis zur Erntereife auf, wovon zum Zeitpunkt der polizeilichen Durchsuchung drei Pflanzen bereits abgeerntet waren, wobei das abgeerntete Marihuana (soweit noch nicht verbraucht) noch in der Wohnung vorhanden war. Der Angeklagte setzte das Cannabis zur Schmerzlinderung ein. Einen Versuch, medizinisches Cannabis auf Rezept zu erhalten, hat er vor der Tat nicht unternommen, da ihm dieser Weg zu beschwerlich erschien.
IV.
Beweiswürdigung
7
Die Überzeugung der Berufungskammer zu dem bislang straffreien Leben des Angeklagten beruht auf dem in der Berufungshauptverhandlung verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 05.12.2023, der keinerlei Eintragungen enthält. Die Überzeugung der Kammer zu den persönlichen Verhältnissen sowie zu den ergänzenden Feststellungen zum Sachverhalt beruht auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten.
V.
Strafzumessung
aa) Strafrahmenwahl
8
§ 29 a Abs. 1 BtmG sieht einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe vor. In minder schweren Fällen sieht § 29 a Abs. 2 BtmG einen solchen zwischen drei Monaten bis zu fünf Jahren vor.
9
Die Kammer hat zunächst sorgfältig geprüft, ob ein minder schwerer Fall in Betracht kommt. Zur Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Hierfür sind alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen, die für die Würdigung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichviel ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Dabei müssen auch die Persönlichkeit des Täters, sein Gesamtverhalten, seine Tatmotive und die seine Tat begleitenden Umstände gewürdigt werden (BGH, Urteil vom 30.01.1953, 2 StR 538/52, BGHSt 4, 8 (9)).
10
Als strafzumessungsrelevante Umstände zu Gunsten des Angeklagten, die auch für die Wahl des Strafrahmens relevant sind, fielen dabei jeweils insbesondere folgende Umstände ins Gewicht:
- Strafmildernd hat das Gericht das vorstrafenfreie Leben des Angeklagten eingestellt.
- Zu Gunsten der Angeklagten hat die Berufungskammer auch den Zeitablauf seit der Tat berücksichtigt. Die Tat lag zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung fast 1 3/4 Jahre zurück und der Angeklagte hat sich zwischenzeitlich straffrei geführt.
- Ebenfalls strafmildernd hat das Gericht eingestellt, dass der Angeklagte geständig war und zwar auch schon im Ermittlungsverfahren.
- Zu Gunsten des Angeklagten hat die Kammer auch berücksichtigt, dass es sich bei Marihuana um eine weiche Droge handelt und der Angeklagte dieses ausschließlich zum Eigenkonsum besaß. Dabei hat die Kammer außerdem berücksichtigt, dass in naher Zukunft der Besitz Cannabis bzw. von Cannabispflanzen zum Eigenkonsum in gewissem (vorliegend allerdings überschrittenem) Umfang legalisiert werden soll.
- Strafmildernd wurde daneben berücksichtigt, dass der Angeklagte das Marihuana nicht als Genussdroge konsumierte, sondern um sich Linderung für seine chronischen Schmerzen zu verschaffen.
- Ebenfalls strafmildernd wurde berücksichtigt, dass die Betäubungsmittel sicher gestellt werden konnten und somit gesichert tatsächlich nicht in den Verkehr gelangt sind und somit jegliche Gefährdung Dritter ausgeschlossen ist. Der Angeklagte hat sich auch mit der form – und ersatzlosen Einziehung der Betäubungsmittel sowie der Ausrüstung für die Aufzucht der Pflanzen einverstanden erklärt.
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Zu Lasten der Angeklagten fiel insbesondere folgendes ins Gewicht:
- Der Tat wohnt ein nicht völlig unerheblicher Planungs- und Organisationsaufwand inne, was von einer gewissen kriminellen Energie zeugt. Es handelte sich nicht um eine Spontantat bzw. Gelegenheitstat, sondern der Angeklagte hat bewusst die Entscheidung getroffen, sich auf illegalem Wege mit Cannabis zu versorgen und diese Entscheidung in der Folge umgesetzt.
12
Bei einer Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Strafzumessungserwägungen, die zu Gunsten und zu Lasten der Angeklagten ins Gewicht fallen, ist angesichts des Vorliegens mehrerer auch gewichtiger Strafmilderungsgesichtspunkte die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens eines minder schweren Falls gerechtfertigt. Bei der Abwägung wurde auch berücksichtigt, dass mit einer Überschreitung der Grenze zur nichtgeringen Menge um etwas mehr als das Zweifache noch eine relativ geringe Überschreitung vorliegt und eine relativ geringe Grenzwertüberschreitung ein Kriterium für die Annahme eines minder schweren Falls sein kann. Je geringer die Grenzwertüberschreitung ist, desto näher liegt die Annahme eines minder schweren Falles. Eine erhebliche Grenzwertüberschreitung spricht dagegen gegen die Annahme eines minder schweren Falls (BGH, Urteil vom 11.09.2019, 2 StR 68/19 Rn 5). Unter Berücksichtigung der vorliegend zwar eindeutigen, aber noch relativ geringen Überschreitung des Grenzwerts und der oben angeführten strafmildernden Gesichtspunkte ist daher die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens eines minder schweren Falles veranlasst. Die Kammer hat daher den Strafrahmen des § 29 a Abs. 2 BtmG zu Grunde gelegt.
bb) Strafzumessung im engeren Sinne
13
Im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinn (§ 46 Abs. 2 StGB) hat die Kammer nochmals alle tat- und täterbezogenen Umstände zu Gunsten und zu Lasten des Angeklagten umfassend abgewogen, insbesondere die oben im Rahmen der Strafrahmenwahl genannten, auf die Bezug genommen wird, sowie auch die Biografie und Persönlichkeit des Angeklagten bedacht und im Rahmen der Abwägung berücksichtigt. Zu bedenken war dabei, dass die Tat nunmehr nach ihrem Gewicht innerhalb der Schwereskala des gemilderten Ausnahmestrafrahmens einzuordnen war und nicht mehr innerhalb der des Regelstrafrahmens. Vergleichsmaßstab für die Bemessung der Strafe und die Einordnung der Tat innerhalb des Ausnahmestrafrahmens ist somit die Gesamtheit der in Betracht kommenden minder schweren Fälle des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Aufgrund dieses geänderten Maßstabs kommt den zur Bestimmung des Strafrahmens herangezogenen mildernden Gesichtspunkten naturgemäß ein geringeres Gewicht zu, als bei der Strafrahmenbestimmung. Da aber vorliegend zahlreiche und auch gewichtige Milderungsgesichtspunkte vorliegen, konnte eine Strafe noch im unteren Bereich des zur Verfügung stehenden gemilderten Strafrahmens verhängt werden. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände kam allerdings auch keine Strafe im alleruntersten Bereich des zur Verfügung stehenden Strafrahmens in Betracht, da sich die Tat innerhalb der Vergleichsgruppe der minder schweren Fälle vom Unrechts- und Schuldgehalt nicht im aller untersten Bereich bewegt und im Rahmen der Schwereskala der denkbaren minder schweren Fälle auch noch solche mit einem deutlich geringeren Unrechts- und Schuldgehalt in Betracht kommen.
14
Eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten ist nach Abwägung aller Umstände tat- und schuldangemessen und wird dem Gewicht der Verfehlung des Angeklagten gerecht.
15
Die Kammer hat dabei auch bedacht, dass nach dem laufenden Gesetzesvorhaben künftig als Regelstrafrahmen des unerlaubten Besitzes von Cannabis nur noch ein solcher von einem Monat bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorgesehen ist. Allerdings ist nach dem Gesetzentwurf der Besitz von Cannabis in nicht geringer Menge in der Regel als besonders schwerer Fall zu werten, der einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht, also dem oben angewandten Strafrahmen entspricht. Zwar kann die indizielle Wirkung eines Regelbeispiels durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet werden, die für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, dass die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle unangemessen erscheint. Dies ist aber unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Strafzumessungsgesichtspunkte zu Gunsten und zu Lasten des Angeklagten, auf die erneut Bezug genommen wird, nicht der Fall. Es bestand daher auch keine Veranlassung, unter Berücksichtigung und im Vorgriff auf die vorgesehene Gesetzesänderung eine noch mildere Strafe als eine solche von 8 Monaten zu verhängen.
16
Die verhängte Freiheitsstrafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden, das Gericht beurteilt die Sozialprognose (§ 56 Abs. 2 StGB) als günstig. Es besteht die begründete Erwartung, dass sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Diese prognostische Zukunftsbeurteilung ist auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtbewertung von Tat und Täterpersönlichkeit vorgenommen worden, insbesondere unter Berücksichtigung aller oben im Einzelnen bereits geschilderten Umstände, die zu Gunsten und zu Lasten des Angeklagten ins Gewicht fallen und auf die verwiesen wird. Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass gegen den Angeklagten nicht nur erstmals eine Freiheitsstrafe verhängt wurde, sondern er sogar das erste Mal strafrechtlich überhaupt in Erscheinung getreten ist und sich vor Gericht hat verantworten müssen. Hinzukommt, dass der Angeklagte sozial und wirtschaftlich integriert ist. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin in einem Hausstand und hat bereits langjährig eine Arbeitsstelle beim gleichen Arbeitgeber. Schließlich erhält er mittlerweile medizinisches Cannabis auf Rezept. Auch aus diesem Grund und angesichts der anstehenden Legalisierung des Besitzes von Cannabis zum Eigenkonsum in gewissen Umfang ist vom Angeklagten ein Rückfall in die Straffälligkeit auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs nicht zu erwarten.
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Auch die Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) gebietet die Vollstreckung nicht. Die wohl unterrichtete, rechtstreue Bevölkerung hätte in Kenntnis der oben beschriebenen Umstände Verständnis für die (erstmalige) Strafaussetzung zur Bewährung und würde dadurch nicht in ihrem Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert.
VI.
Kosten
18
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 465, 473 Abs. 4 StPO.