Titel:
Zulässige gegensätzliche Zweitbeschlussfassung durch Gemeinschaft der Wohnungseigentümer
Normenkette:
ZPO § 522 Abs. 2
Leitsatz:
Es existiert kein Grundsatz im Wohnungseigentumsrecht, wonach es sich die GdWE nach einem gefassten Beschluss nicht noch einmal anders überlegen und einen neuen, evtl. auch gegensätzlichen, Beschluss zum selben Beschlussthema fassen kann. Die Befugnis dazu ergibt sich aus der autonomen Beschlusszuständigkeit der GdWE. Dabei ist unerheblich, aus welchen Gründen die GdWE eine erneute Beschlussfassung für angebracht hält. Von Bedeutung ist nur, ob der neue Beschluss aus sich heraus einwandfrei ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, Zweitbeschluss, gegensätzlicher Beschluss
Vorinstanz:
AG München, Endurteil vom 12.04.2023 – 1295 C 13199/22 WEG
Fundstellen:
LSK 2023, 46735
BeckRS 2023, 46735
ZMR 2024, 332
Tenor
1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 12.04.2023, Az. 1295 C 13199/22 WEG, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
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Eine mündliche Verhandlung ist nicht gemäß § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten, weil die Entscheidung auf Gründe gestützt werden kann, zur deren mündlicher Erörterung bereits in erster Instanz Gelegenheit bestand.
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Die Berufung ist auch offensichtlich unbegründet (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), weil der Vertrauensschutz der Kläger das Ermessen der Eigentümergemeinschaft hinsichtlich der Vornahme oder Nichtvornahme der baulichen Veränderung nicht überwiegt, sodass der Zweitbeschluss ordnungsgemäßer Verwaltung nicht widerspricht.
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1. Dabei kann zunächst auf die überaus sorgfältige, umfangreiche und in der Sache nicht ergänzungsbedürftige Begründung der Entscheidung des Amtsgerichts, welcher sich die Kammer in jedem Punkt anzuschließen vermag, Bezug genommen werden.
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2. Die Berufung geht im Grundsatz davon aus, dass die von ihr angenommene Beschlussreue der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nicht Grundlage für einen wirksamen Zweitbeschluss sein könne. Dies ist im Ansatz aber nicht zutreffend. Das Ermessen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist zunächst einmal vollkommen frei. Es existiert kein Grundsatz im Wohnungseigentumsrecht, wonach es sich die Gemeinschaft nach einem gefassten Beschluss nicht noch einmal anders überlegen und einen neuen, eventuell auch gegensätzlichen, Beschluss zum selben Beschlussthema fassen kann. Die Befugnis dazu ergibt sich aus der autonomen Beschlusszuständigkeit der Gemeinschaft. Dabei ist unerheblich, aus welchen Gründen die Gemeinschaft eine erneute Beschlussfassung für angebracht hält. Von Bedeutung ist nur, ob der neue Beschluss aus sich heraus einwandfrei ist (BGH, Beschluss vom 23. August 2001 – V ZB 10/01 –, BGHZ 148, 335-351, Rn. 36). Dies ist in Fällen, in welchen der Beschlussgegenstand keine möglichen Interessen einzelner Eigentümer oder Dritter tangiert ganz offensichtlich. Grenzen des grundsätzlich freien Ermessens der Gemeinschaft sind nur dann erreicht, wenn schutzwürdige Belange Einzelner durch die neue Beschlussfassung so beeinträchtigt sind, dass sie die Interessen der Gemeinschaft an der Abänderung des Beschlusses überwiegen.
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3. Jeder Wohnungseigentümer kann verlangen, dass der neue Beschluss schutzwürdige Belange aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses berücksichtigt. Die dabei einzuhaltenden Grenzen richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. Bedenken hinsichtlich der Verletzung schutzwürdiger Interessen bestehen nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Dezember 1990 etwa dann nicht, wenn der Erstbeschluss noch nicht bestandskräftig war (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1990 – V ZB 8/90 –, BGHZ 113, 197-201, Rn. 9). Aus eben dieser Entscheidung möchte die Berufung allerdings ableiten, dass bei einem Zweitbeschluss stets zwingend geprüft werden müsse, ob sich bei dem Sachverhalt wesentliche Änderungen ergeben haben. Dies beruht auf einem offensichtlichen Fehlverständnis der Entscheidung, in welcher es um solche Änderungen (das Verfahren betraf einen bestätigenden Zweitbeschluss) gar nicht ging. Der Bundesgerichtshof betont in seiner Entscheidung vielmehr gerade, wie ausgeführt, die Autonomie der Gemeinschaft bei ihrer Beschlussfassung. Wesentliche Änderungen des Sachverhalts mögen bspw. im Rahmen der Einzelfallabwägung dann zu berücksichtigen sein, wenn tatsächlich bereits schutzwürdige Interessen verletzt wären, wie sie etwa in einer Rückbauverpflichtung bestehen könnten. Die Berufung wirft dem Amtsgericht aber einen Verstoß gegen höchstrichterliche Vorgaben vor, welche nicht existieren und welche sie daher auch nicht zu belegen vermag. Auch, dass die fehlende Bestandskraft einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen entgegensteht, folgt gerade aus der von der Berufung selbst zitierten Rechtsprechung.
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4. Hinsichtlich der im Grundsatz möglicherweise ausnahmsweise denkbaren schutzwürdigen Bestandsinteressen der Kläger bereits vor Bestandskraft des Erstbeschlusses verweist die Berufung alleine darauf, dass ihnen ein subjektives Recht eingeräumt worden wäre. Welche Dispositionen sie im Hinblick hierauf etwa vorgenommen haben, erläutern sie nicht.
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Weitere Ausführungen zu diesem Punkt erübrigen sich daher.
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5. Bei der Versammlung, in welcher der Zweitbeschluss gefasst wurde, handelte es sich um eine Vollversammlung, sodass sich der Zeitpunkt der Versammlung jedenfalls nicht auf den Beschluss auswirken konnte. Ebenso wenig konnte sich ein eventuelles Stimmrechtsverbot der Eigentümer von Einheiten aus dem Haus 1 auf das Beschlussergebnis auswirken.
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6. Die Berufungskläger hätten sich in der Versammlung vom 19.08.2022 eine Aussprache mit den weiteren Eigentümern gewünscht in der Hoffnung, ein anderes Beschlussergebnis zu erreichen. Sie sehen sich durch die Einschaltung eines Vertreters auf Seiten der weiteren Eigentümer in ihren Rechten beeinträchtigt. Allerdings besteht über das Teilnahmerecht an der Versammlung und der Möglichkeit zu Wortbeiträgen hinaus kein Anspruch darauf, sich ohne Einschaltung eines Vertreters nur unmittelbar mit den weiteren Mitgliedern der Eigentümergemeinschaft in der Versammlung auszutauschen. Der auch mit der Berufung wiederholte Wunsch der Kläger beruht auf ihrer nachvollziehbaren Enttäuschung, die zunächst erhoffte und dann mit dem Beschluss vom 20.07.2022 vorübergehend erreichte Zustimmung zur baulichen Veränderung letztlich doch nicht erhalten zu haben. Wenn das Amtsgericht ausführt, es stünde den weiteren Eigentümern frei, sich etwa einer ungewollten Diskussion und persönlichen Konfrontation zu entziehen, stellt dies keinen Vorwurf gegen die Kläger dar. Ohne, das es eine Bedeutung für die Entscheidung hätte, ist doch auch aus dem Berufungsbegründungsschriftsatz offensichtlich, dass durch das wechselhafte Vorgehen der Gemeinschaft eine Enttäuschung entstanden ist, die auch zu Vorwürfen und Vorhaltungen führen kann, auf deren Berechtigung es aber gar nicht ankommt. So scheint es, worauf es wiederum für die Entscheidung nicht ankommt, wozu kurz einzugehen aber die letzten Schriftsätze Anlass bieten, denkbar, dass es den weiteren Mitgliedern schlicht menschlich unangenehm war, ihren Meinungsumschwung gegenüber den Klägern begründen zu müssen. Dazu sind sie aber auch gesetzlich nicht verpflichtet.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).