Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.11.2023 – 19 M 23.1665, 19 M 23.1669
Titel:

Erfolglose Erinnerung einer Behörde betreffend Kosten eines Privatgutachtens 

Normenkette:
VwGO § 162 Abs. 1, § 165
Leitsätze:
1. Aufwendungen für private Sachverständige sind nach § 162 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise erstattungsfähig. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Während in Planfeststellungsverfahren einem beigeladenen Vorhabenträger nicht von vornherein und aus grundsätzlichen Erwägungen verwehrt ist, im Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses zu seiner Verteidigung private Sachverständigengutachten vorzulegen und die Kosten hierfür in das Kostenfestsetzungsverfahren einzubringen, können Kosten für die Hinzuziehung von Sachverständigen auf Seiten des beklagten Hoheitsträgers regelmäßig nicht zu den erstattungsfähigen Verfahrenskosten iSv § 162 Abs. 1 VwGO zählen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Diese das Planfeststellungsrecht betreffenden Maßgaben sind auf gerichtliche Verfahren gegen Schonzeitaufhebungsverordnungen übertragbar. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Entscheidung des Gerichts gegen Kostenfestsetzungsbeschluss, Erstattungsfähige Verfahrenskosten, Aufwendungen des Verordnungsgebers für die Hinzuziehung eines Beamten im Ruhestand als privaten, nicht vom Gericht bestellten Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren, Kostenerinnerung, Erinnerung, Sachverständigenkosten, Privatgutachten, Planfeststellungsverfahren, Sachverständiger, Schonzeitaufhebungsverordnung
Vorinstanz:
VGH München vom -- – 19 N 19.1625
Fundstelle:
BeckRS 2023, 46484

Tenor

I. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Erinnerungen des Beklagten werden zurückgewiesen.
III. Der Beklagte trägt die Kosten der gerichtsgebührenfreien Erinnerungsverfahren. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
IV. Der Streitwert für die Erinnerungsverfahren wird bis zur Verbindung auf jeweils 3.205 € und ab der Verbindung auf 6.410 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit seinen Anträgen auf Entscheidung des Gerichts (sog. Erinnerung) gem. § 165 VwGO wendet sich der Beklagte gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31. August 2023 für die Verfahren 19 N 19.1625 und 19 N 18.497, soweit darin die Sachverständigenleistungen von Herrn Forstdirektor i.R. H. unberücksichtigt geblieben sind.
2
Mit Urteilen vom 16. September 2022 lehnte der Senat die gegen die Verordnungen der Regierung von Oberbayern über die Änderung der Jagdzeiten für Schalenwild in den Sanierungsgebieten im Regierungsbezirk Oberbayern vom 9. Dezember 2008 (19 N 18.497) und vom 14. Februar 2014 (19 N 19.1625) gerichteten klägerischen Normenkontrollanträge ab und traf die Kostengrundentscheidung jeweils zu Lasten der Klägerin.
3
Daraufhin beantragte der Beklagte mit Schriftsatz vom 4. Mai 2023 die Kostenfestsetzung für die Verfahren 19 N 19.1625 und 19 N 18.497 und machte insbesondere Aufwendungen für Sachverständigenleistungen für Herrn Forstdirektor i.R. H. für Unterstützungstätigkeiten in den Normenkontrollverfahren gem. § 162 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 8 JVEG in Höhe von 6.410 € (64,10 Stunden à 100 €) geltend. Herr H. sei von der Landesanwaltschaft Bayern als ehemaliger Leiter der Fachstelle Schutzwaldmanagement M. des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten W. beigezogen worden, weil er aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit in seinem Gebiet über die besten Ortskenntnisse des Verordnungsgebiets verfüge. Sein Nachfolger im Amt sei noch nicht entsprechend gut eingearbeitet gewesen. Der Senat habe in seiner Ladung vom 11. August 2022 explizit um Behördenvertreter gebeten, die zu allen relevanten Themenbereichen detailliert Auskunft geben könnten. Somit sei Herr Forstdirektor i.R. H. in der mündlichen Verhandlung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs am 14. September 2022 als Beistand hinzugezogen worden, sodass die ihm dadurch entstandenen Kosten dem Grunde nach erstattungsfähig seien. Die Leistungen seien im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Rechtsstreit entstanden und hätten zur Verfahrensförderung beigetragen. Basierend auf der Ladung des Senats vom 11. August 2022 sei die Hinzuziehung von Herrn Forstdirektor i.R. H. als Sachverständigen sowie die Teilnahme weiterer Behördenvertreter an der mündlichen Verhandlung am 14. September 2022 prozessökonomisch notwendig gewesen. Alle Teilnehmer verfügten über umfangreiche Sachkenntnisse. Dies stelle vorliegend keinen offensichtlichen Verstoß gegen die Kostenminimierungspflicht bzw. keinen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben dar. Weder sei die Beauftragung offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan gewesen, der Klägerin Kosten zu verursachen, noch geböten die sonstigen Umstände oder Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls eine solche Ausnahme von § 162 Abs. 1 VwGO.
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Mit Beschluss vom 31. August 2023 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die von der Klägerin an den Beklagten zu erstattenden notwendigen Aufwendungen in den Verfahren 19 N 19.1625 und 19 N 18.497 auf 669,95 € fest. Die Sachverständigenleistungen des Herrn Forstdirektors i.R. H. blieben (anders als die Fahrtkosten des Herrn H. zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung) unberücksichtigt. Zur Begründung wurde insoweit im Wesentlichen ausgeführt, das Erscheinen des Herrn Forstdirektors i.R. H. sei durch den Senat nicht veranlasst gewesen und seine Leistungen seien daher als behördeninterne Leistungen zu sehen. Zur mündlichen Verhandlung am 14. September 2022 seien lediglich Behördenvertreter, nicht aber Zeugen und Sachverständige geladen worden. Am Verhandlungstermin habe Herr Forstdirektor i.R. H. lediglich als Sachbeistand teilgenommen. Dass sein Nachfolger im Amt zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht eingearbeitet gewesen sei, könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen.
5
Hiergegen richtet sich die Erinnerung des Beklagten. Zur Begründung wird insoweit im Wesentlichen vorgetragen, die Sachverständigenleistungen würden nach wie vor gemäß § 162 Abs. 1 VwGO für erstattungsfähig gehalten, da die Leistungen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Rechtsstreit entstanden seien und zur Verfahrensförderung beigetragen hätten. Der Sachverständige sei als ehemaliger Leiter der Fachstelle Schutzwaldmanagement M. des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beigezogen worden, weil er aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit in diesem Gebiet über die besten Ortskenntnisse des Verordnungsgebiets verfüge. Mit den Verhältnissen vor Ort in den für die Verfahren 19 N 19.1625 und 19 N 18.497 relevanten Verordnungsteilgebieten sei nur der Sachverständige vertraut. Dessen Nachfolger im Amt sei zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht tief eingearbeitet und in die Prozesse der Entstehung der alten Schonzeitaufhebungsverordnungen und die damaligen Verhältnisse vor Ort natürlich per se nicht eingebunden gewesen. Da die Klägerin die streitgegenständlichen Verordnungen sowohl im Hinblick auf das durchgeführte Verfahren als auch inhaltlich angegriffen habe, sei es gerechtfertigt und prozessökonomisch notwendig gewesen, den Sachverständigen als Sachbeistand hinzuzuziehen.
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Die Klägerin teilte mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2023 die Auffassung des Urkundsbeamten. Die Beigeladene äußerte sich im Verfahren nicht.
II.
7
Die zulässigen Anträge auf gerichtliche Entscheidung haben keinen Erfolg.
8
Der Senat entscheidet über die Anträge auf gerichtliche Entscheidung in der Besetzung von drei Richtern (§ 9 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 VwGO), weil auch die dem Kostenfestsetzungsverfahren zugrundeliegenden Kostengrundentscheidungen in den Normenkontrollurteilen vom 16. September 2022 in dieser Besetzung ergangen sind (vgl. BVerwG, B.v. 16.11.2006 – 4 KSt 1003/06, 4 KSt 1003/06 (4 VR 1001/04) – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 3.12.2003 – 1 N 01.1845 – juris Rn. 9 ff.; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 165 Rn. 22).
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Der angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluss setzt die Kosten für die Sachverständigenleistung des Herrn Forstdirektors i.R. H. i.H.v. 6.410 € zu Recht nicht an. Diese Kosten sind nicht erstattungsfähig.
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Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten erstattungsfähig. Die Notwendigkeit außergerichtlicher Aufwendungen sind aus der Sicht eines verständigen Beteiligten zu beurteilen, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Dabei ist ex ante auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlungen abzustellen. Es ist deswegen ohne Belang, ob sich diese im Nachhinein als erforderlich oder unnötig herausstellen (BVerwG, B.v. 2.3.2020 – GrSen 1/19 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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Aufwendungen für – wie hier – private, d.h. nicht vom Gericht bestellte Sachverständige sind nach § 162 Abs. 1 VwGO nur ausnahmsweise erstattungsfähig (BVerwG, B.v. 16.11.2006 – 4 KSt 1003/06 – juris Rn. 6; B.v. 24.7.2008 – 4 KSt 1008/07 – juris Rn. 8; B.v. 20.4.2010 – 9 KSt 19/09, 9 A 18/08 – juris Rn. 2). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn den Kläger als einen mit der Materie nicht vertrauten Laien z.B. das Nachvollziehen von Berechnungen oder technischen Zusammenhängen überfordert und er deshalb ein Sachverständigengutachten in Auftrag gibt, um seine prozessuale Mitwirkungspflicht, sich selbst sachkundig zu machen, zu erfüllen (BVerwG, B.v. 13.3.1992 – 4 B 39/92 – juris Rn. 6; B.v. 24.7.2008 – 4 KSt 1008/07 – juris Rn. 8), oder wenn die Partei mangels genügender eigener Sachkunde ihr Begehren tragende Behauptungen nur mit Hilfe eines selbst eingeholten Gutachtens darlegen oder unter Beweis stellen kann (BVerwG, B.v. 8.10.2008 – 4 KSt 2000/08 – juris Rn. 4; B.v. 12.9.2019 – 9 KSt 1/19 – juris Rn. 6). Der jeweilige Verfahrensstand ist aber zu berücksichtigen: Die Prozesssituation muss das Gutachten herausfordern, und dessen Inhalt muss auf die Verfahrensförderung zugeschnitten sein (BVerwG, B.v. 8.10.2008 – 4 KSt 2000/08 – juris Rn. 4; B.v. 12.9.2019 – 9 KSt 1/19 – juris Rn. 6).
12
Während in Planfeststellungsverfahren einem beigeladenen Vorhabenträger nicht von vornherein und aus grundsätzlichen Erwägungen verwehrt ist, im Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses zu seiner Verteidigung private Sachverständigengutachten vorzulegen und die Kosten hierfür in das Kostenfestsetzungsverfahren einzubringen (vgl. zu den Anforderungen BVerwG, B.v. 4.9.2008 – 4 KSt 1010/07 – juris Rn. 10), können Kosten für die Hinzuziehung von Sachverständigen auf Seiten des beklagten Hoheitsträgers regelmäßig nicht zu den erstattungsfähigen Verfahrenskosten im Sinn von § 162 Abs. 1 VwGO zählen (BayVGH, B.v. 28.1.2010 – 8 M 09.40063 – juris Rn. 8). Denn entweder hat die Planfeststellungsbehörde im Zusammenwirken mit dem Vorhabenträger das Abwägungsmaterial vollständig ermittelt und auf dessen Grundlage die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange fehlerfrei abgewogen. In diesem Fall wäre die Zuziehung eines Sachverständigen zum gerichtlichen Verfahren überflüssig und von der Prozesssituation nicht veranlasst. Im umgekehrten Fall offenbart das gerichtliche Verfahren Defizite des behördlichen Verfahrens und führt (erst) hier zur Klärung von Fragen, die eigentlich bereits im Stadium des Planfeststellungsverfahrens zu klären gewesen wären. Auch in diesem Fall wäre es deshalb unangebracht, Kosten für die Zuziehung von Sachverständigen den im Verwaltungsstreitverfahren unterlegenen Klägern aufzubürden, denn es handelt sich insoweit nur um die Nachholung öffentlich-rechtlicher (Aufklärungs-)Pflichten, denen die Behörde und der Vorhabenträger ohnehin unabhängig vom Klageverfahren bereits im Zusammenhang mit der Planung hätte nachkommen müssen. Dass die Planungskosten eines Vorhabens nicht jenen Bürgern in Rechnung gestellt werden können, die sich nach Ergehen des Planfeststellungsbeschlusses erfolglos mit einer Klage gegen die Planung wenden, liegt auf der Hand (BayVGH, B.v. 28.1.2010 – 8 M 09.40063 – juris Rn. 8).
13
Diese das Planfeststellungsrecht betreffenden Maßgaben sind auf die vorliegende Konstellation der Hinzuzuziehung des Forstdirektors i.R. H. auf Seiten des Verordnungsgebers im Rahmen der gerichtlichen Verfahren gegen die Schonzeitaufhebungsverordnungen übertragbar. Unabhängig davon, dass der Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt hat, Herr H. werde „als Beistand beigezogen“, und ihn auch im Erinnerungsverfahren „als Sachbeistand“ bezeichnet hat, sind die vom Beklagten geltend gemachten Aufwendungen für die vom 26. Juli 2022 bis zum 14. September 2022 erbrachten Leistungen des Forstdirektors i.R. H. nicht gem. § 162 Abs. 1 VwGO erstattungsfähig. Dass der Nachfolger im Amt des Herrn Forstdirektor i.R. H. – wie vom Beklagten vorgetragen – zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung „noch nicht tief eingearbeitet und in die Prozesse der Entstehung der alten Schonzeitaufhebungsverordnungen und die damaligen Verhältnisse vor Ort natürlich per se nicht eingebunden gewesen“ war, kann sich nicht zu Lasten der Klägerin auswirken. Vielmehr offenbart das Vorbringen Defizite in den behördlichen Verfahren. Es ist von Seiten des Verordnungsgebers offenbar nicht sichergestellt worden, die für den Erlass der Verordnungen maßgeblichen Umstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in der Weise niederzulegen, dass auch Amtsnachfolgern eine umfassende Einarbeitung in angemessener Zeit möglich ist. Dieses schuldhafte Verhalten kann nicht zur Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen führen.
14
Die Erinnerungen sind daher zurückzuweisen.
15
Die Kostenentscheidung für das gebührenfreie Erinnerungsverfahren beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladene nicht an dem Streit um die Kostenfestsetzung beteiligt hat, entspricht es nach § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG.
16
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 66 Abs. 3 S. 3 GKG, § 152 Abs. 1 VwGO).