Titel:
Wechselwirkung zwischen Strafhöhe und Aussetzung der Vollstreckung einer Maßregelanordnung
Normenketten:
StGB § 46b Abs. 2, Abs. 3, § 49 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 2, § 67b Abs. 1 S. 2
BtMG § 29a Abs. 1, Abs. 2, § 31 S. 1 Nr. 1
StPO § 267 Abs. 3 S. 1, § 318, § 353 Abs. 2
Leitsätze:
1. Im Einzelfall kann wegen § 67b Abs. 1 Satz 2 StGB eine Wechselwirkung zwischen der ver-hängten Strafe und der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der angeordne-ten Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bestehen. (Rn. 4)
2. Ist eine Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß wegen der Wechselwirkung zwischen Strafhöhe und der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung einer Maßregel un-wirksam, ist das Rechtsmittel nicht insgesamt als unbeschränkt zu behandeln, sondern nur so weit die Wechselwirkung reicht. (Rn. 5)
3. Das tatrichterliche Urteil hat den Strafrahmen, den es der Strafzumessung zugrunde legt, zu benennen, weil andernfalls eine revisionsgerichtliche Kontrolle nicht möglich ist. (Rn. 7)
4. Besitzt der Täter Betäubungsmittel ausschließlich zum Eigenkonsum, stellt die „Gefährlichkeit“ der Droge grundsätzlich keinen legitimen Strafschärfungsgrund dar. (Rn. 11)
Schlagworte:
Revision, Sachrüge, Urteilsaufhebung, Zurückverweisung, Berufung, Berufungsbeschränkung, Entscheidungsteil, trennbar, Trennbarkeit, Teilrechtskraft, Feststellungen, Strafmaß, Strafhöhe, Rechtsfolgenausspruch, Maßregelausspruch, Vollstreckung, Aussetzung, Bewährung, Unterbringung, Entziehungsanstalt, Wechselwirkung, Strafzumessung, Strafrahmen, Strafrahmenminderung, Strafrahmenberechnung, Droge, Rauschmittel, Betäubungsmittel, Methamphetamin, MDMB-4en-PINACA, Wirkstoffgehalt, Wirkstoffmenge, Eigenkonsum, Selbstgefährdung, Betäubungsmittelabhängigkeit, Besitz, Betäubungsmittelbesitz, Gefährlichkeit, Suchtpotenzial, Strafschärfungsgrund, Aufklärungshilfe, Grenzwert, Grenzwertüberschreitung, Bagatellbereich, Wirksamkeit, Unterbringungsanordnung, Aussetzung zur Bewährung, Strafrahmenbestimmung
Fundstellen:
BeckRS 2023, 4642
LSK 2023, 4642
NStZ-RR 2023, 257
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 21.11.2022 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum Strafausspruch aufrechterhalten.
II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hof zurückverwiesen.
Gründe
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Das Amtsgericht – Schöffengericht – hat den Angeklagten am 29.06.2022 wegen „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Vollstreckung der Strafe und der Maßregel hat das Amtsgericht zur Bewährung ausgesetzt. Während der Angeklagte auf Rechtsmittel gegen diese Verurteilung verzichtet hat, hat die Staatsanwaltschaft gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung eingelegt und diese sogleich auf das „Strafmaß“ beschränkt. Auf diese Berufung verhängte das Landgericht mit Urteil vom 21.11.2022 eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und ordnete die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt an. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Revision hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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Obwohl das Landgericht – im Ergebnis freilich zu Unrecht – von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf das „Strafmaß“ ausgegangen ist, hat es sowohl eine Entscheidung über die Strafhöhe als auch über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt getroffen. Dieser rechtlich unzutreffende Ausgangspunkt wirkt sich im Ergebnis allerdings nicht entscheidend aus.
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1. Die Beschränkung der Berufung allein auf das „Strafmaß“ war nicht wirksam, weil aufgrund der Besonderheiten des Verfahrens eine Wechselwirkung zwischen der Strafhöhe und der Frage der Aussetzung der Vollstreckung der angeordneten Maßregel bestand. Da die Staatsanwaltschaft die Verhängung einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren anstrebte, konnte im Falle des Erfolgs des Rechtsmittels die Vollstreckung der Strafe schon kraft Gesetzes nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden. Dies hätte dann aber aufgrund der Bestimmung des § 67b Abs. 1 Satz 2 StGB zwingend bedeutet, dass die vom Amtsgericht angeordnete Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel nicht zulässig wäre.
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2. Die aufgrund dieser Wechselwirkung unwirksame Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß hat zur Folge, dass sowohl die Straffrage als auch die Frage der Aussetzung der angeordneten Maßregel als angefochten galten. Die Berufungskammer musste das amtsgerichtliche Urteil trotz der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung nicht in vollem Umfang, sondern nur insoweit prüfen, als wegen der Wechselwirkung eine getrennte Beurteilung nicht zulässig war. Das Rechtsmittelgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbstständig beurteilt werden kann (BGH, Beschluss vom 22.01.2020 – 5 StR 634/19, bei juris). Dies führt dazu, dass die Beschränkung der Berufung nur insoweit unwirksam war, als die Wechselwirkung reichte mit der Folge, dass eine Nachprüfung des Strafausspruchs und der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung vorzunehmen war.
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Aufgrund der für das Berufungsverfahren bindenden Feststellungen des Amtsgerichts ist von folgendem Tatgeschehen auszugehen: Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt vor dem 28.09.2021 übernahm der Angeklagte von einer anderen Person als Gegenleistung für zuvor überlassene CDs in seiner Wohnung 31,1 g Methamphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 80,9% Methamphetamin-Base. Die Wirkstoffmenge belief sich – bezogen auf das Trockengewicht – auf 23,2 g Metamphetamin-Base. Zudem bewahrte der Angeklagte in seiner Wohnung 0,13 g MDMB-4en-PINACA auf. Das Amtsgericht ging davon aus, dass die Drogen dem Eigenkonsum des betäubungsmittelabhängigen Angeklagten dienten, was das Landgericht zusätzlich festgestellt hat.
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1. Der Strafausspruch kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Berufungskammer den Strafrahmen, den sie der Strafzumessung im engeren Sinn zugrunde legt, nicht herausarbeitet. Dies ist aber für die revisionsgerichtliche Kontrolle der Strafbemessung nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO unabdingbar (vgl. nur BGH, Beschluss vom 11.03.2020 – 2 StR 380/19 = NStZ-RR 2020, 258 = BGHR StPO § 267 Abs. 1 S. 2 Beweisergebnis 9). Die Berufungskammer führt – nach Ablehnung eines minder schweren Falles im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG – lediglich aus, dass der Strafrahmen „gemäß § 31 BtMG, § 49 StGB“ wegen geleisteter Aufklärungshilfe zu mildern „war“. Dabei bleibt schon völlig unklar, ob das Tatgericht zum Zwecke der Milderung die Vorschrift des § 49 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 StGB oder etwa des § 49 Abs. 2 StGB, auf den § 31 Satz 1 BtMG freilich nicht verweist, herangezogen hat. Nachdem auch eine konkrete Berechnung des zugrunde gelegten Strafrahmens unterbleibt, kann der Senat nicht beurteilen, ob die Strafrahmenbestimmung rechtsfehlerfrei erfolgt ist.
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2. Aber auch die Strafzumessung im engeren Sinn weist durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
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a) Die Berufungskammer hat sowohl bei der Frage, ob ein minder schwerer Fall im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG vorliegt, als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne aufgrund der erfolgten Bezugnahme darauf abgestellt, dass es sich bei Methamphetamin um eine „sehr gefährliche Droge mit hohem Suchtpotenzial“ handelt, die „zudem“ [sic!] einen recht hohen Wirkstoffgehalt von 80,9% aufgewiesen habe, sodass der Wirkstoffgehalt von 23,2 g Methamphetamin-Base den Grenzwert zur nicht geringen Menge um mehr als das Vierfache überschritt. Dabei hat die Strafkammer entgegen der von ihr sogar selbst zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 20.08.2019 – 1 StR 209/19 = NStZ 2020, 231; Beschluss vom 25.06.2019 – 1 StR 181/19 = NStZ 2020, 229 = BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 45 = StV 2020, 382) gerade nicht beachtet, dass die Gefährlichkeit der Droge bereits bei der Bestimmung des Grenzwerts ein entscheidender Faktor ist; die Berufungskammer hat vielmehr mit den kumulativen Hinweisen auf die Gefährlichkeit einerseits und das Ausmaß der Grenzwertüberschreitung andererseits aus der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgezeigten Wechselwirkung von Grenzwertüberschreitung und Gefährlichkeit der Droge nicht die nötigen Schlussfolgerungen gezogen. Die Berufungskammer hat diese Rechtsprechung zwar erwähnt und nach den Urteilsgründen auch „nicht aus dem Blick verloren“, ihr aber nicht hinreichend Rechnung getragen. Die Wechselwirkung zwischen Gefährlichkeit der Droge und Grenzwertbestimmung wurde nicht ansatzweise einer wertenden Betrachtung zugeführt.
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b) Hinzu kommt, dass die wiederholten Hinweise auf die strafschärfende Bedeutung der Grenzwertüberschreitung um mehr als das Vierfache auch für sich genommen schon bedenklich sind. Zwar kommt grundsätzlich jeder Grenzwertüberschreitung für die Strafzumessung Relevanz zu (BGH, Urt. v. 21.11.2018 – 2 StR 335/18 = NStZ 2020, 45; 15.03.2017 – 2 StR 294/16 = BGHSt 62, 90 = NJW 2017, 2776 = StraFo 2017, 433 =NStZ 2018, 228 = StV 2018, 506 = JR 2018, 531), allerdings ist die Überschreitung nur entsprechend ihrem Ausmaß im Einzelfall beim Strafzumessungsakt wertend zu gewichten (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 10.03.2022 – 1 StR 35/22, bei juris; 11.09.2019 – 2 StR 68/19 = NStZ-RR 2020, 24). Die Berufungskammer hat indes wiederholt und mit Nachdruck auf die Höhe der Grenzwertüberschreitung um „mehr wie das Vierfache“ bzw. um ein „Vielfaches“ abgestellt und dies zu Lasten des Angeklagten gewertet. Dabei hat sie gerade nicht bedacht, dass sich die Überschreitung eher am unteren Rand, wenn auch nicht mehr im Bagatellbereich (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 15.03.2017 – 2 StR 294/16 a.a.O.) bewegt. Immerhin wurde durch die höchstrichterliche Rechtsprechung die Einschätzung, wonach eine Grenzwertüberschreitung um das 4,52-fache bzw. 6,78-fache „maßvoll“ sei, nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet (BGH, Urt. v. 21.11.2018 – 2 StR 335/18 a.a.O.).
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c) Darüber hinaus ist die straferschwerende Berücksichtigung der „Gefährlichkeit“ der Droge (vgl. zur Einordnung von Methamphetamin: BGH, Urt. v. 03.08.2022 – 5 StR 203/22, bei juris; 03.12.2008 – 2 StR 86/08 = BGHSt 53, 89 = NSW BtMG § 29a = NJW 2009, 863 = StraFo 2009, 121 = A& R 2009, 83 = BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 2 Menge 18; Beschluss vom 15.06.2016 – 1 StR 72/16 = NStZ-RR 2016, 313 = NStZ 2016, 614 = BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 43 = StV 2017, 295; 09.07.2015 – 1 StR 7/15, bei juris) auch deswegen rechtsfehlerhaft, weil der Angeklagte die Betäubungsmittel nach den Feststellungen der Berufungskammer ausschließlich zum Zwecke des Eigenkonsums besessen hat. Denn die damit einhergehende Selbstgefährdung stellt keinen legitimen Strafschärfungsgrund dar (BayObLG, Beschluss vom 03.08.1992 – 4St RR 131/92 = StV 1993, 29; OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.10.2009 – 1 Ss 252/09 = BeckRS 2010, 5910; KG, Beschluss vom 13.12.1993 – (4) 1 Ss 227/93 = StV 1994, 244; Patzak/Volkmer/Fabricius BtMG 10. Aufl. 2022 Vorbem. §§ 29 ff. BtMG Rn. 202; Weber/Kornprobst/Maier BtMG 6. Aufl. 2021 Vorbem. §§ 29 ff. Rn. 949). Da der Eigenkonsum als solcher nicht strafbar ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 24.11.1992 – 1 StR 780/92 = StV 1993, 132 = NStZ 1993, 191 = BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Erwerb 2; OLG Bamberg, Beschluss vom 14.10.2013 – 3 Ss 102/13 = StV 2014, 621 = OLGSt BtMG § 29 Nr. 21), muss daraus abgeleitet werden, dass nach dem gesetzgeberischen Willen der bloßen Selbstgefährdung keine strafschärfende Bedeutung zukommen darf (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 25.02.2003 – 4St RR 17/03 = BayObLGSt 2003, 12). Ob im Einzelfall dann etwas anderes zu gelten hat, wenn aufgrund der Aufbewahrung der Drogen oder sonstiger Umstände ein Zugriff Dritter hierauf ohne weiteres möglich wäre oder die Gefahr einer Weitergabe bestanden hätte (vgl. hierzu etwa OLG München, Beschluss vom 17.09.2014 – 4 OLG 13 Ss 375/14 = StraFo 2014, 437), bedarf keiner Entscheidung, weil dahingehende Feststellungen durch die Berufungskammer nicht getroffen wurden.
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3. Dass die Berufungskammer von einer Aufklärungshilfe nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG ausgegangen ist, ohne hierzu die notwendigen tatsächlichen Feststellungen zu treffen, sodass der Senat nicht in die Lage versetzt ist, die Richtigkeit dieser Einschätzung zu überprüfen, beschwert den Angeklagten nicht.
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4. Die von der Berufungskammer angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist ebenfalls aufzuheben, weil hierüber wegen der Beschränkung der Berufung im dargelegten Umfang und der damit eingetretenen Teilrechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils nicht mehr hätte entschieden werden dürfen.
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Auf die Revision des Angeklagten ist daher das angefochtene Urteil im aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben und zu neuer Verhandlung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hof zurückzuverweisen. Die zugehörigen Feststellungen bleiben von den aufgezeigten Wertungsfehlern unberührt, sodass sie gemäß § 353 Abs. 2 StPO bestehen bleiben können. Weitergehende Feststellungen, die den bislang getroffenen nicht widersprechen, sind möglich und zu der Frage, ob die Voraussetzungen einer Aufklärungshilfe gemäß § 31 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 BtMG i.V.m. § 46b Abs. 2 und 3 StGB vorliegen, auch geboten. Die neue Strafkammer wird neben der Entscheidung zur Strafhöhe auch über die vom Amtsgericht angeordnete Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel unter Beachtung des § 67b Abs. 1 Satz 2 StGB zu befinden haben.