Titel:
VOB/B-Vertrag: Abwehr von Abschlagsforderungen wegen Mehrvergütung im einstweiligen Verfügungsverfahren
Normenketten:
BGB § 650b, § 650c Abs. 3, § 650d
ZPO § 935, § 940
Leitsätze:
1. Eine im einstweiligen Verfügungsverfahren vom Besteller gem. § 650c Abs. 3 BGB gestellter Antrag auf Feststellung, dass der Unternehmer keine Abschlagszahlungen wegen Mehrvergütungsansprüchen verlangen kann, ist statthaft. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Erleichterungen für die Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes gem. § 650d BGB gelten auch im VOB/B-Vertrag. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
3. Will der Auftragnehmer nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB vorgehen, müssen auch im VOB/B-Vertrag die Voraussetzungen des § 650b BGB gegeben sein, insbes. eine Anordnung des Bestellers in Textform. (Rn. 45 – 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschlagsforderung, VOB/B-Vertrag, Mehrvergütung, einstweilige Verfügung, negative Feststellungsverfügung, Feststellungsinteresse, Bauvertrag, Verfügungsgrund
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 12.03.2024 – 9 U 3791/23 Bau e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 46348
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Ursprünglich begehrte die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung, dass die Antragsgegnerin vorläufig nicht berechtigt ist, aus der auf § 650c Abs. 3 S.1 BGB fußenden Abschlagsrechnung Nr. 44 vom 10.07.2023 Mehrvergütungsansprüche für verschiedene Nachtragspositionen in Bezug auf den zwischen den Parteien 2019 geschlossenen Werkvertrag geltend zu machen. Aufgrund der Erklärung der Kündigung des Werkvertrags durch die Antragsgegnerin im Schreiben vom 28.08.2023 und die Erklärung der Antragsgegnerin im Termin vom 29.08.2023, im Hinblick auf die Kündigungserklärung aus den gestellten Abschlagsrechnungen nicht mehr vorzugehen, begehrt die Antragsstellerin zuletzt die Feststellung, dass sich der gegenständliche Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.
2
Die Antragstellerin ist Auftraggeberin, die Antragsgegnerin ist Auftragnehmerin des Bauvertrags vom 08.04./29.07.2019, der die Erstellung des sogenannten „…“ eines großen Tunnelbauwerks im Rahmen der Maßnahme zur Verlegung der … westlich von … zur Ortsumgehung, zum Gegenstand hat. Bei dem Bauvertrag handelt es sich um einen Einheitspreisvertrag mit einem von der Antragstellerin erstellten Leistungsverzeichnis. Das Leistungsverzeichnis enthält mehre 100 Positionen mit technischen Teilleistungen und Mengenvordersätzen. Außerdem enthält das Leistungsverzeichnis Positionen für die Abrechnung sogenannter zeitgebundener Kosten. Die VOB/B ist Vertragsbestandteil. Auf die Anlagen ASt1 – ASt5 wird Bezug genommen.
3
Baubeginn war im Dezember 2019. Die Vortriebsarbeiten sind abgeschlossen. Die Innenschalenarbeiten sind ebenfalls nahezu abgeschlossen. Im Wesentlichen stehen zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Verfahrens noch Erd-, Straßen- und Restarbeiten aus.
4
Bis zur 43. Abschlagsrechnung rechnete die Antragsgegnerin mit 100 % der von ihr ermittelten Preise ab. Die Antragsgegnerin rechnet hierbei im Wege einer kumulierten Aufstellung ab, nämlich in der Weise, dass sie mit jeder monatlichen Abschlagsrechnung die vom Baubeginn an bis zum jeweiligen Abrechnungsstichtag (Ende des jeweiligen Monats) erbrachten Leistungen – sowohl laut Vertrag vom Sommer 2019 geschuldete Leistungen als auch von der Antragsgegnerin begehrte Nachträge – mit den Preisen in Ansatz bringt und davon sämtliche von der Antragstellerin geleisteten Abschlagszahlungen abzieht. Die Antragstellerin prüft die Abschlagsrechnungen der Antragsgegnerin und teilt ihr die Ergebnisse ihrer Prüfungen jeweils – ebenfalls monatlich – mit und zahlt die aus ihrer Sicht zum jeweiligen Abrechnungsstichtag berechtigten Beträge aus.
5
Auf diese Weise hat sich die Summe der offenen Abschlagsforderung der Antragsgegnerin über Jahre und Monate hinweg erhöht.
6
Mit der streitgegenständlichen 44. Abschlagsrechnung vom 10.07.2023, Nr. 20202-2023, mit der unter Zugrundelegung eines Betrags von € 282.810.895,05 und bislang eingegangener Zahlungen in Höhe von € 230.674.000,00 eine Abschlagssumme von € 52.136.895,05 brutto geltend gemacht wurde, stellte die Antragsgegnerin um auf eine Abrechnung gemäß § 650c Abs. 3 BGB (80%-Regelung). Auf die im Wege der kumulierten Aufstellung erstellte 44. Abschlagsrechnung vom 10.07.2023 (Anlage ASt8) und das Begleitschreiben vom 10.07.2023 zur Erläuterung der 44. Abschlagsrechnung (Anlage ASt7) wird Bezug genommen.
7
Mit Schreiben vom 19.07.2023 (Anlage ASt11) wies die Antragstellerin die mit der 44. Abschlagsrechnung geltend gemachten Forderungen – soweit diese nicht bezahlt wurden – unter Hinweis auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 650c Abs. 3 BGB zurück.
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Gemäß Rechnungsprüfung der Antragstellerin vom 31.07.2023 wurde ein Betrag von € 6.293.000,00 im Hinblick auf die 44. Abschlagsrechnung zur Zahlung freigegeben, auf Anlage ASt13 wird Bezug genommen.
9
Mit Schreiben vom 01.08.2023 (Anlage ASt12) drohte die Antragsgegnerin mit der Baueinstellung für den Fall, dass Abschlagsrechnung Nr. 44 nicht beglichen wird.
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Am 02.08.2023 machte die Antragsgegnerin mit der 45. Abschlagsrechnung im Wege der kumulierten Aufstellung einen Abschlagszahlungsbetrag von € 54.397.995,79 brutto gem. § 650c Abs. 3 S.1 BGB geltend. Auf die Abschlagsrechnung sowie das Begleitschreiben hierzu, vorgelegt als Anlage ASt 25 und ASt 26, wird Bezug genommen.
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Am 10.08.2023 stellte die Antragsgegnerin die Arbeiten auf der Baustelle ein und teilte dies der Antragstellerin mit Schreiben vom 10.08.2023 mit (Anlage ASt23).
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Ebenfalls mit Schreiben vom 10.08.2023 (Anlage ASt24) forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin auf, die Bauarbeiten unverzüglich wieder aufzunehmen.
13
Mit Schreiben vom 14.08.2023 drohte die Antragsgegnerin die Kündigung an für den Fall, dass der aus ihrer Sicht offene Betrag aus der 44. Abschlagsrechnung nicht bis zum 25.08.2023 bezahlt wird. Mit Schreiben vom 28.08.2023 kündigte die Antragsgegnerin den Vertrag (Anlage ASt31/AG40). Wirksamkeit und Berechtigung zur Kündigung sind zwischen den Parteien streitig.
14
Die Antragstellerin ist der Ansicht, die Antragsgegnerin könne nicht Bezahlung der 44. Abschlagsrechnung verlangen, da die Voraussetzungen des § 650c Abs. 3 BGB, auf die die fragliche Rechnung gestützt wird, weder in formaler noch in materieller Hinsicht vorlägen. Dies gelte auch für die in der 44. Abschlagsrechnung geltend gemachten Forderungen für zeitgebundene Kosten als Folge einer angeblichen Bauzeitverlängerung. Hier fehle, soweit solche Kosten als Folge einer -angeblichen Bauzeitverlängerung infolge von Nachtragsleistungen geltend gemacht werden, zudem eine bauablaufbezogene Darstellung. Die Antragsgegnerin habe nur eine im Widerspruch zum Vertrag und methodisch fehlerhafte theoretische Bauzeitverlängerung ermittelt. Darüber hinaus seien die zugrundegelegten zeitgebundenen Kosten sittenwidrig überhöht. Im Übrigen seien die Abschlagszahlungen, die die Antragsgegnerin erhalten habe, mindestens so hoch wie der ihr derzeit zustehende vorläufige Vergütungsanspruch auf Basis tatsächlich erforderlicher Kosten mit angemessenen Zuschlägen. Da die Antragsgegnerin behauptet, Ansprüche gern. § 650c Abs. 3 BGB geltend machen zu können, könne die Antragsstellerin im einstweiligen Verfügungsverfahren feststellen lassen, dass solche Ansprüche nicht bestehen und hierbei § 650d BGB für sich in Anspruch nehmen. Dringlichkeit sei bis zur Erklärung der Antragsgegnerin im Termin vom 29.09.2023, aus den gestellten Abschlagsrechnungen nicht mehr vorzugehen, gegeben gewesen.
15
Die Antragstellerin beantragte zunächst:
Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages vom 08.04./29.07.2019 zum Bauvorhaben … vorläufig nicht berechtigt ist, von der Antragstellerin die Bezahlung folgender mit der Abschlagsrechnung Nr. 44 vom 10.07.2023 geltend gemachter Mehrvergütungsansprüche auf Grundlage des § 650c Abs. 3 S. 1 BGB zu verlangen:
• Mehrvergütungsansprüche in Höhe von 80 % (EUR 14.384.154,06) der angebotenen Nachtragsvergütung für
o Nachtrag NA 10, Pos 41.10.240, Pos 41.10.420, Pos 41.10.610 und Pos 41.10.620,
o Nachtrag NA 13, 41.13.240,
o Nachtrag NA 25 (alle Positionen)
o Nachtrag NA 30 Pos. 41.30.120, Pos. 41.30.210, Pos. 41.30.222, Pos. 41.30.230, Pos. 41.30.240, Pos. 41.30.250, Pos. 41.30.310, Pos. 41.30.322, Pos. 41.30.330, Pos. 41.30.410, Pos. 41.30.420, Pos. 41.30.430, Pos. 41.30.440; Pos. 41.30.520,
o Nachtrag NA 41 (alle Positionen) und
o Nachtrag NA 50 (alle Positionen), sowie
• Mehrvergütungsansprüche für zeitgebundene Kosten im Zusammenhang mit den Nachträgen NA 11, NA 13, NA 30, NA 31, NA 33 in Höhe von 80 % (EUR 20.252.133,78) der hierfür über die Vertragspositionen OZ 20.02.0100 ff. angebotenen Vergütung.
16
In der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2023 hat die Antragsgegnerin erklärt, dass sie ihre Kündigung für berechtigt halte und daher Schlussrechnung legen werde. Aus den gestellten Abschlagsrechnungen werde – vorbehaltlich der Geltendmachung von Zinsen – nicht mehr vorgegangen. Daraufhin hat die Antragstellerin den Rechtsstreit unter Verwahrung gegen die Kostenlast für erledigt erklärt. Die Antragsgegnerin hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2023 wird insofern Bezug genommen.
17
Die Antragstellerin beantragt zuletzt,
festzustellen, dass bis zum erledigenden Ereignis, das aus ihrer Sicht in der Erklärung der Antragsgegnerin vom 29.08.2023 besteht, aus den Abschlagsrechnungen nicht mehr vorzugehen, die einstweilige Verfügung zulässig und begründet war.
18
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
19
Die Antragsgegnerin rügt die Zuständigkeit des Landgerichts München I. Die Antragsgegnerin ist nach ihrer Ansicht als ARGE eine BGB-Gesellschaft ohne Kaufmannseigenschaft i.S. § 38 ZPO, so dass § 18 VOB/B nicht anwendbar sei. Auf den als Anlage AG21 vorgelegten ARGE-Vertrag wird Bezug genommen. Die örtliche Zuständigkeit richte sich daher entweder nach dem Ort des Bauwerks oder nach dem Sitz der Antragsgegnerin, in beiden Fällen sei keine örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gegeben. Ferner ist die Antragsgegnerin der Auffassung, dass das einstweilige Rechtsschutz-Verfahren eine unzulässige Vorfrage zum Gegenstand habe und die Hauptsache vorweggenommen werde. Im Übrigen liege kein Verfügungsgrund vor, Dringlichkeit sei nicht gegeben. Auf § 650d BGB könne sich die Antragstellerin im Geltungsbereich eines VOB/B-Vertrages nicht berufen, erhebliche Nachteile habe die Antragstellerin nicht zu befürchten. Im Übrigen bestehe auch kein Verfügungsanspruch. Die Antragstellerin könne, wie in der 44. Abschlagsrechnung geschehen, bei der Berechnung der Abschlagsforderungen 80 % der von ihr ermittelten und angebotenen Höhe ansetzen. Das folge aus der gesetzlichen Regelung des § 650c Abs. 3 S. 1 BGB. Die 80%-Regel des § 650c Abs. 3 S. 1 BGB sei entsprechend auch auf den VOB/B Vertrag anzuwenden, weil die VOB/B von ihrer Rechtsnatur her Allgemeine Geschäftsbedingung sei und das gesetzliche Bauvertragsrecht modifiziere. Selbst wenn die Regelung der Anordnung von Nachträgen und die Vergütungsanpassung in der VOB/B anders als im BGB ausgestaltet sei, gäbe es im VOB/B-Vertrag das gleiche Bedürfnis nach schneller Klärung der Verbindlichkeiten einer Änderungsanordnung und deren Vergütung. Im übrigen lägen zu den abgerechneten Nachträgen NA 10, NA 11, NA 13, NA 25, NA 30, NA 31, NA 33, NA 40 und NA 50, soweit sie streitbefangen sind, Angebote und Anordnungen gemäß § 650b BGB vor. Jedenfalls seien die fraglichen Nachträge im Hinblick auf § 313 BGB gerechtfertigt. Hinsichtlich der Einzelheiten, insbesondere bezüglich des Vorliegens konkreter Nachtragsangebote und der Notwendigkeit bzw. des Vorliegens von Anordnungen hierzu nimmt die Antragsgegnerin in der Klageerwiderung (BI. 81/142 d.A) und im Schriftsatz vom 28.08.2023 (BI. 181/200 d.A.) Stellung. Auf diese Schriftsätze samt Anlagen wird verwiesen.
20
Der von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 07.08.2023 gestellte Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung wurde von der Kammer mit Beschluss vom 10.08.2023 zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 16.08.2023 hat die Kammer den Antrag der Antragsgegnerin auf Verlegung des mit Verfügung vom 03.08.2023 anberaumten Verhandlungstermins zurückgewiesen. Auf BI. 51/52 und auf BI. 73/75 d.A. wird insofern Bezug genommen.
21
Ferner wird auf die gerichtliche Verfügung vom 25.08.2023 (BI. 151f d.A.) Bezug genommen.
22
Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie die übrigen Aktenbestandteile Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
23
Der Rechtsstreit im einstweiligen Verfügungsverfahren ist in der Hauptsache erledigt durch die Erklärung des Antragstellervertreters im Termin vom 29.08.2023.
24
Bei der Erklärung des Antragstellervertreters im Termin vom 29.08.2023 handelt sich um eine einseitige Erledigungserklärung, da die Antragsgegnervertreterin der Erledigungserklärung nicht zustimmte. Eine einseitige Erledigungserklärung stellt eine Antragsänderung in einen Feststellungsantrag dar, die nach § 264 Nr. 2 ZPO stets zulässig ist. Eine einseitige Erledigungserklärung ist auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglich. Im Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz kann – wenn die Antragstellerin die Hauptsache für erledigt erklärt und die Antragsgegnerin dieser Erledigung widerspricht – durch ein Urteil die Erledigung der Hauptsache festgestellt werden, wenn der ursprüngliche Antrag bis zum erledigenden Ereignis zulässig und begründet war und dieser Antrag dann erst durch das erledigende Ereignis später unzulässig und/oder unbegründet wurde (AG Brandenburg, Urteil vom 16.07.2021 -31 C 79/21, BeckRS 2021, 18460 m.w.N.; Vollkommer in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 922 Rn. 5; Althammer in: Zöller, ZPO, 34. Aufl.2022, § 91a Rn 58.5.).
25
Der nunmehr vorliegende Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.
26
Der Antragstellervertreter beantragte im Termin vom 29.08.2023, festzustellen, dass bis zum erledigenden Ereignis, das aus seiner Sicht in der Erklärung der Antragsgegnerin bestehe, aus den Abschlagsrechnungen nicht mehr vorzugehen, die einstweilige Verfügung zulässig und begründet war. Der Antrag des Antragstellervertreters ist dahingehend auszulegen, dass er beantragt, festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist.
27
I. Der Feststellungsantrag ist zulässig, insbesondere ist auch ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO gegeben. Dieses liegt vorliegend im Kosteninteresse, da die Antragstellerpartei vermeiden möchte, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
28
II. Der nunmehrige Feststellungsantrag ist begründet, da der ursprüngliche Antrag der Antragstellerin zulässig und begründet war und nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, das nachträglich zur Unzulässigkeit des ursprünglichen Antrags führte.
29
1. Der ursprüngliche Antrag der Antragstellerin war zulässig.
30
a) Das Landgericht München I war für den ursprünglichen Antrag der Antragstellerin sachlich und örtlich zuständig.
31
Hierbei kann die Frage, ob der Antragsgegnerin als ARGE eine Kaufmannseigenschaft gern. § 38 ZPO zugesprochen werden kann und damit § 18 VOB/B Anwendung findet, dahinstehen. Denn auch für den Fall, dass § 18 VOB/B nicht einschlägig ist, ist das Landgericht München I gemäß §§ 12, 18 ZPO örtlich zuständig.
32
Der ursprüngliche Antrag war auf negative Feststellung gerichtet, dass vorläufig kein Zahlungsanspruch der Antragsgegnerin nach § 650c Abs. 3 BGB besteht.
33
Für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist das Gericht der Hauptsache zuständig (§ 937 Abs. 1 ZPO), also das Gericht, das über die entsprechende negative Feststellungsklage zu entscheiden hat. Eine negative Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO kann im allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten und zusätzlich überall dort erhoben werden, wo die Leistungsklage umgekehrten Rubrums erhoben werden könnte, somit auch im allgemeinen Gerichtsstand des Klägers (OLG München, Beschluss vom 18.08.2009 – 31 AR 355/09, NJW-RR 2010, 645; Greger in: Zöller, ZPO, 33. Aufl, § 256 Rn. 20).
34
Daher ist vorliegend das Landgericht München I örtlich zuständig, da die … vertreten wird und dieser durch das … vertreten wird.
35
Die Vertretung der … ergibt sich aus den zwischen der … und dem … abgeschlossenen Verwaltungsabkommen.
36
Nach Art. 1 Abs. 1 des Verwaltungsabkommens vom 21.06./27.06.2007 über die Führung von Rechtsstreitigkeiten aus Bauangelegenheiten überträgt der Bund den zuständigen … im Wege der Organleihe die gerichtliche Vertretung … sowie die Führung der Rechtsstreitigkeiten. Nach Art. 1 Abs. 2 des Verwaltungsabkommens vom 21.06727.06.2007 über die Führung von Rechtsstreitigkeiten aus Bauangelegenheiten ergibt sich die Zuständigkeit der einzelnen … für die Vertretung …. aus einer entsprechenden Anwendung der Verordnung über die gerichtliche Vertretung … (Vertretungsverordnung – VertrV) in der jeweils geltenden Fassung.
37
Zudem ergibt sich aus dem in Art. 1 Abs. 1 des Verwaltungsabkommens vom 21.06727.06.2007 über die Führung von Rechtsstreitigkeiten aus Bauangelegenheiten Bezug genommenen Verwaltungsabkommen zwischen … und … über die Erledigung von Bauangelegenheiten des … vom 15.08728.09.2006 und dem dortigen Art. 1 Abs. 1 ebenfalls eine Übertragung der Erledigung der Bauangelegenheiten … im Wege der Organleihe auf die staatlichen Bauämter … (baudurchführende Ebene).
38
Ergänzend ergibt sich aus Art. 90 Abs. 3 GG, dass die Länder die sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs im Auftrag des Bundes verwalten.
39
Die konkrete Zuständigkeit …. folgt aus § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 3c VertrV. …, ist danach allgemeine Vertretungsbehörde für die Vertretung … für den Regierungsbezirk … Gemäß § 3 Abs. 1 VertrV ist … damit auch als Vertretungsbehörde örtlich zuständig, da die Ausgangsbehörde (…) ihren Sitz im Zuständigkeitsbereich des … hat.
40
b) Der ursprüngliche Antrag auf Feststellung, dass vorläufig kein Zahlungsanspruch der Antragsgegnerin nach § 650c Abs. 3 BGB besteht, nimmt eine Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg und stellt auch keine unzulässige Vorfrage dar. Der Wille des Gesetzgebers ist dahingehend zu sehen, dass sowohl der Auftraggeber wie auch der Auftragnehmer die Möglichkeit haben, im Rahmen einer einstweiligen Verfügung feststellen zu lassen, ob Forderungen, die gern. § 650c BGB geltend gemacht werden, gerechtfertigt sind. Gemäß § 650c Abs. 3 S. 1 BGB kann der Besteller dem Unternehmer die Möglichkeit einer mit 80 % seines Angebots pauschalierten Abrechnung seiner Abschlagsvergütung für nachträgliche, den geschuldeten Leistungsumfang ändernde Anordnungen nehmen, wenn er eine anderslautende gerichtliche Entscheidung erwirkt. Hierfür stellt ihm der Gesetzgeber das einstweilige Verfügungsverfahren gemäß § 650d BGB zur Verfügung, in dem der Besteller feststellen lassen kann, dass dem Unternehmer die in Ansatz gebrachten 80 % seines Angebotspreises nicht als Vergütung im Rahmen von Abschlagszahlungen zustehen (Althaus/Leupertz in: Leupertz/Preussner/Sienz, Bauvertragsrecht, 2018, § 650d Rn. 24, 42; Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, Teil 12 Rn. 167 f.; LG Berlin, Beschluss vom 04.12.2019, Az. 32 O 244/19).
41
c) Es bestand auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin bzgl. der Feststellung, dass vorläufig kein Zahlungsanspruch der Antragsgegnerin nach § 650c Abs. 3 BGB besteht, da die Antragsgegnerin jedenfalls bis zur Kündigung bzw. zur Erklärung im Termin an ihren Forderungen gemäß der 44. Abschlagsrechnung festhielt und – wie die Stellung der 45. Abschlagsrechnung belegt – weiterhin Abschlagsrechnungen auf Grundlage des § 650c Abs. 3 BGB zu besorgen waren.
42
2. Der ursprüngliche Antrag der Antragstellerin auf negative Feststellung, dass vorläufig bezüglich der im Antrag genannten Positionen kein Anspruch auf Abschlagszahlungen der Antragsgegnerin nach § 650c Abs. 3 BGB besteht, war begründet. Es lag sowohl ein Verfügungsgrund als auch ein Verfügungsanspruch vor.
43
a) Hinsichtlich des ursprünglichen Antrags lag ein Verfügungsgrund vor. § 650d BGB, der Erleichterungen für die Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes gewährt, ist nach zutreffender herrschender Meinung auch auf VOB/B-Verträge anwendbar. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die geltend gemachte Vergütungsanpassung mit § 650c Abs. 3 BGB begründet wird und sich die Antragsgegnerin wie hier eines Anspruchs gemäß § 650c Abs. 3 BGB berühmt (LG Berlin, Beschluss vom 20.04.2020 – 19 0 34/20, NJW 2020, 2898). Eine besondere Dringlichkeit der Herbeiführung der zunächst beantragten Feststellung lag zudem nach Aktenlage vor. Denn eine Entscheidung über die streitige Frage, ob Abschlagsforderungen der Antragsgegnerin auf § 650c Abs. 3 BGB gestützt werden können, war schon im Hinblick auf die am 02.08.2023 gestellte 45. Abschlagsrechnung (ASt 25, ASt 26), aber auch im Hinblick auf die im Zusammenhang mit der 44. Abschlagsrechnung mit Schreiben vom 01.08.2023 angedrohte Baueinstellung (ASt12) und mit Schreiben vom 14.08.2023 angedrohte Kündigung des Werkvertrags dringlich.
44
b) Auch ein Verfügungsanspruch lag bis zum 28./29.08.2023 vor. Denn die Voraussetzungen für eine Geltendmachung von Abschlagsforderungen gern. § 650c Abs. 3 BGB lagen nicht vor, so dass die Antragsgegnerin nicht berechtigt war, auf dieser Grundlage Abschlagsforderungen – konkret die streitgegenständliche 44. Abschlagsrechnung – zu erheben.
45
Die Kammer ist der Auffassung, dass bei Geltendmachung eines Anspruchs gem. § 650c Abs.3 BGB die hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 650b BGB vorliegen müssen, und zwar unabhängig davon, ob auf den zugrundeliegenden Werkvertrag die VOB/B anzuwenden ist. Die Antragsgegnerin berühmt sich mit der 44. Abschlagsrechnung vom 10.07.2023 eines Mehrvergütungsanspruchs gemäß § 650c Abs. 3 BGB. Dieser Anspruch setzt voraus, dass bereits vor Durchführung der – im urspr. Leistungsumfang nicht bereits enthaltenen – Leistungen ein Angebot der Antragsgegnerin hierüber im Sinne des § 650b BGB unterbreitet worden ist, über welches innerhalb der ab Zugang des Angebots beginnenden 30tägigen Prüffrist keine Einigung erzielt wurde. Nach Ablauf der Prüffrist hat sodann eine Anordnung in Textform durch die Antragstellerin im Sinne des § 650b Abs. 2 BGB zu erfolgen. Dies ergibt sich nach Auffassung der Kammer bereits aus dem Wortlaut des § 650c Abs. 3 BGB, der in Satz 1 ausdrücklich auf ein Angebot nach § 650b Abs. 1 S. 2 BGB Bezug nimmt. Auch die Überschrift des § 650c BGB „Vergütungsanpassung bei Anordnungen nach § 650b Abs. 2 BGB“ bestätigt diese Ansicht. Ferner wird auch in § 650c Abs. 1 S. 1 auf Anordnungen nach § 650b Abs. 2 Bezug genommen. Zudem stellen die Vorschriften der §§ 650b, 650c BGB nach Ansicht der Kammer eine einheitliche Regelung betreffend die Voraussetzungen einer einseitigen Änderung der vertraglich geschuldeten Leistungen und deren Abrechnung dar (im Ergebnis ebenso: Staudinger/Peters, BGB § 650 c, Rn. 8; Leicht in Herberger/Martinek/Rüßmann/Werth/Würdinger, juris-PK-BGB, 10. Aufl., § 650c, Rn. 54; Kniffka/Jurgeleit/von Rintelen, § 650c, Rn. 144, 149ff)
46
Unabhängig von den weiteren Voraussetzungen des § 650b BGB fehlt es vorliegend bei allen streitgegenständlichen Nachträgen (NA 10, NA 11, NA 13, NA 25, NA 30, NA 31, NA 33, NA 40 und NA 50) bereits an einer Anordnung der Antragstellerin in Textform im Sinne des § 650b Abs. 2 BGB. Eine solche Anordnung ist weder entbehrlich noch genügen die seitens der Antragsgegnerin, insbesondere nach Hinweis der Kammer vom 25.08.2023, vorgelegten Anlagen den Voraussetzungen einer solchen Anordnung in Textform.
47
Dabei ist es unerheblich, dass die im ursprünglichen Antrag genannten Beträge möglicherweise nicht korrekt angegeben sind. Der Antrag ist dahingehend auszulegen, dass die Antragstellerin Feststellung begehrt, dass die Antragsgegnerin hinsichtlich der den genannten Positionen der 44. Abschlagsrechnung zugrundeliegenden Nachträge vorübergehend nicht berechtigt ist, Mehrvergütungsansprüche zu verlangen.
48
3. Der Rechtsstreit erledigte sich nach Rechtshängigkeit jedenfalls durch die Erklärung der Antragsgegnerin im Termin vom 29.08.2023, aus den bisher gestellten Abschlagsrechnungen nicht weiter vorzugehen. Es bedarf demnach auch keiner Entscheidung, ob bereits die Kündigung der Antragsgegnerin ein erledigendes Ereignis darstellt.
49
Die Erklärung der Antragsgegnerin, aus den bisher gestellten Abschlagsrechnungen nicht weiter vorzugehen, führte zur Unzulässigkeit des ursprünglichen Antrags.
50
Nach der Erklärung der Antragsgegnerin entfällt das ursprünglich gegebene Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin, da diese keine weiteren Abschlagsrechnungen und auch kein Vorgehen aus den bisherigen Abschlagsrechnungen mehr zu befürchten hat. Die Geltendmachung von Zinsen aus den Abschlagsrechnungen erfolgte bislang nicht; im Hinblick auf den Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens dürfte die Antragsgegnerin an einer separaten Geltendmachung von Zinsen aus den Abschlagsrechnungen vor Stellung der von ihr am 29.08.2023 angekündigten Schlussrechnung und der aus ihrer Sicht zurecht erfolgten Kündigung des Werkvertrags gehindert sein.
51
Ferner liegt nach der Erklärung der Antragsgegnerin kein Verfügungsgrund für den Erlass des ursprünglich begehrten Antrags mehr vor, da auf ein weiteres Vorgehen aus Abschlagsrechnungen verzichtet wurde.
52
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 ZPO.
53
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 2 ZPO.