Titel:
Einordnung einer Internetseite als Telemedium mit journalistisch-redaktionellen Inhalten
Normenkette:
MStV § 19 Abs. 1 S. 1, S. 2
Leitsätze:
1. Kennzeichnende Merkmale journalistisch-redaktionell gestalteter Angebote sind eine gewisse Selektivität und Strukturierung, das Treffen einer Auswahl nach ihrer angenommenen gesellschaftlichen Relevanz mit dem Ziel des Anbieters, zur öffentlichen Kommunikation beizutragen, die Ausrichtung an Tatsachen (sog. Faktizität), ein hohes Maß an Aktualität, nicht notwendig Periodizität, ein hoher Grad an Professionalisierung der Arbeitsweise und ein gewisser Grad an organisierter Verfestigung, der eine gewisse Kontinuität gewährleistet. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Begriff Presse ist weit und formal auszulegen; er kann nicht von einer – an welchen Maßstäben auch immer ausgerichteten – Bewertung des einzelnen Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden. Der Begriff der Pressefreiheit erfasst nicht nur periodische Druckwerke, sondern auch einmalig gedruckte Werke und insbesondere – schon wegen der praktisch unbegrenzten Verbreitung – Veröffentlichungen im Internet, jedenfalls wenn damit das Ziel einer Information der Öffentlichkeit verfolgt wird und ein Beitrag zur Meinungsbildung geleistet wird. Es ist maßgeblich darauf abzustellen, dass es um eine im Pressewesen tätige Person in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis geht. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pressebegriff, Internetseite, Pressefreiheit, Auskunftsanspruch
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 07.12.2023 – 6 U 30/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 46267
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 69 % und der Beklagte 31 % zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 7.268,37 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Auskunftsansprüche sowie Ansprüche auf Ersatz von Rechtsverteidigungskosten.
2
Die Klägerin war eine Amtsleiterin bei der Stadt … und hatte unter anderem die Funktion einer Compliance-Beauftragten inne. Der Beklagte war medienrechtlicher Verantwortlicher der Internetseite ….
3
Am 09.06.2022 wurde auf dieser Internetseite der Eintrag „Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt“ mit folgendem Inhalt veröffentlicht:
„Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt
Posted on Juni 9, 2022 by admin
Die … Bürgerplattform begrüßt, dass die Staatsanwaltschaft … die Ermittlungen wegen versuchter Strafvereitelung gegen die Compliance-Beauftragte der Stadt … nach Weisung der Generalstaatsanwaltschaft B. wieder aufgenommen hat. Der Strafanzeige, die von drei Mitgliedern der … Bürgerplattform auf dem Weg gebracht und von Sprecher Rechtsanwalt … verfasst wurde, muss daher im zweiten Anlauf nun doch nachgegangen werden. „Es hat sich gelohnt, dass wir nochmal Beschwerde eingelegt haben!“, „kommentiere Rechtsanwalt … den Meinungsumschwung der Strafverfolgungsbehörde.
Die Strafanzeige wurde zunächst vom leitenden Oberstaatsanwalt … nicht aufgegriffen, weil er Beschuldigten nach seiner Sicht rechtlich kein Vorwurf gemacht werden könne, da eine Compliance-Beauftragte die Pflicht habe Straftaten zu verhindern, aber nicht Strafanzeigen zu stellen. Dagegen wurde seitens der drei Bürger Beschwerde eingereicht, weil ihrer Auffassung nach zumindest aus dem Arbeitsvertrag der Beschuldigten eine solche Pflicht hergeleitet werden könnte. Dem Punkt war die Staatsanwaltschaft … aber gar nicht nachgegangen.
Den Mitgliedern der … Bürgerplattform stieß übel auf, dass dieses Jahr herauskam, dass in der Stadtverwaltung trotz der Mitteilung einer whistleblowerin monatelang mit der Stellung einer Strafanzeige gegen den Theaterleiter abgewartet wurde. Der mittlerweile verurteilte Amtsleiter, hatte vor seiner Demission sogar noch eine hohe Leistungsprämie erhalten. Dass er schon spätestens im November 2019 bekannt. Für …, stv. Sprecher der Bürgerplattform, ist die bisherige Aufarbeitung des Skandals der noch größere Skandal.
…, eine der Anzeigenerstatter fordert, dass künftig jeder Compliance-Beauftrager der Stadt vertraglich verpflichtet werden müsste bei solchen erheblichen Straftaten Strafanzeige zu stellen. Mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens ist noch keine Entscheidung über die Strafbarkeit der Beschuldigten getroffen. Es gilt weiter die Unschuldsvermutung!“
4
Vor dieser Veröffentlichung war die Klägerin durch den Beklagten nicht angehört worden.
5
Die Klägerin forderte den Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 27.06.2022 auf, den Artikel von der Internetseite zu löschen und eine Gegendarstellung zu veröffentlichen. Der Beklagte antwortete mit Anwaltsschreiben vom 28.06.2022.
6
Im Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz 11 O 377/22 eV vor dem Landgericht Schweinfurt schlossen die Parteien im Termin vom 29.06.2022 folgenden Vergleich:
1. Der Verfügungsbeklagte verpflichtet sich, den Artikel „Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt“ auf der Internetseite www.bürgerplattform-….de sowie auf sämtlichen Internetseiten, auf denen der Verfügungsbeklagte diesen Artikel veröffentlicht hat, insbesondere auf der Plattform F., soweit er darauf Zugriff hat, bis 01.07.2022, wie folgt neu zu fassen: (…)
2. Hiermit sind die Ansprüche der Verfügungsklägerin auf Löschung des gesamten Artikels sowie auf Veröffentlichung der streitgegenständlichen Gegendarstellung abgegolten und erledigt.
3. Von den Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens und dieses Vergleichs haben die Klägerin 62,5 % und der Beklagte 37,5 % zu tragen.
7
Die Klägerin forderte den Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 01.07.2022 auf, ihm Auskunft zu erteilen, an wen er seine Presseerklärung versandt habe, die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft an Eides statt zu versichern sowie der Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu erstatten. Der Beklagte wies die Ansprüche mit Anwaltsschreiben vom 01.07.2022 zurück.
8
Die Klägerin erklärte mit Anwaltsschreiben vom 11.07.2022, anliegend den Vergleichsbeschluss vom 29.06.2022 zuzustellen, und forderte den Beklagten auf, den im Vergleich eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen. Mit Anwaltsschreiben vom 14.07.2022 erklärte die Klägerin, anliegend eine vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichsprotokolls vom 29.06.2022 zuzustellen. Der Beklagte forderte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 15.07.2022 auf, den Vollstreckungstitel bis zum 18.07.2022 an ihn zurückzugeben. Mit Anwaltsschreiben vom 18.07.2022 forderte die Klägerin den Beklagten auf, ihr vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu erstatten. Mit Anwaltsschreiben vom 18.07.2022 machte der Beklagte Rechtsanwaltskosten gegen die Klägerin wegen Verzugs der Klägerin mit der Herausgabe des Vollstreckungstitels geltend. Mit Anwaltsschreiben vom 19.07.2022 zeigte sich für den Beklagten ein anwaltliche Vertreter an und teilte mit, Gegenstand seiner Beauftragung sei es, der Gebührenforderung vom 18.07.2022 mit Nachdruck entgegenzutreten.
9
Die Klägerin behauptet:
10
Da der Beklagte durch die Veröffentlichung des streitgegenständlichen Artikels rechtswidrig die Persönlichkeitsrechte der Klägerin verletzt habe, habe die Klägerin einen Anspruch gegen den Beklagten, Auskunft über diejenigen Empfänger zu erteilen, denen er den Artikel übermittelt habe. Der Auskunftsanspruch diene der Vorbereitung bzw. Durchsetzung von Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen Dritter.
11
Der im Verfahren 11 O 377/22 eV abgeschlossene Vergleich stehe der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs nicht entgegen, da gerade keine Gesamtabgeltung vereinbart worden und der Auskunftsanspruch kein rechtliches Minus zu dem vom Vergleich erfassten Löschungsanspruch sei.
12
Der Beklagte sei hinsichtlich des Auskunftsanspruchs nicht durch die Pressefreiheit geschützt, da keine Auskunft über Informanten begehrt werde, sondern über die Weiterleitung von Informationen. Das presserechtlichen Redaktionsgeheimnis schütze hingegen nur die Quellen der Berichterstattung.
13
Der Beklagte könne dem Auskunftsanspruch nicht den Einwand entgegenhalten, dass er mit einer Auskunftserteilung seine anwaltliche Schweigepflicht verletzen würde, da die Berichterstattung nicht Teil des Mandates wäre. Das Verbreiten von Pressemitteilungen an Medien stelle keine anwaltliche Tätigkeit dar.
14
Die Klägerin habe daneben Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
15
Die vom Beklagten geltend gemachten Kostenerstattungsansprüche bestünden bereits dem Grunde nach nicht, da die Klägerin gegenüber dem Beklagten nur die ihr zustehenden Rechte geltend gemacht habe. Im Übrigen würde es an einer Anspruchsgrundlage für die Geltendmachung derartiger Kostenerstattungsansprüche fehlen.
16
Die Klägerin hat ursprünglich beantragt:
- 1.
-
Der Beklagte wird verurteilt, Auskunft über diejenigen Empfänger zu erteilen, denen er seinen Artikel „Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt“ übermittelt hat.
- 2.
-
Der Beklagte wird verurteilt, Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft gemäß Ziffer 1 an Eides Statt zu versichern.
- 3.
-
Es wird festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, einen Betrag in Höhe von € 367,23 aus der Kostenrechnung des Beklagten vom 01.07.2022 zu zahlen.
- 4.
-
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtlich angefallene, gerichtliche nicht festsetzbare Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von € 619,99 nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
17
Im Termin vom 16.11.2020 haben die Parteien den Klageantrag Ziff. 3. jeweils unter Verwahrung gegen die Kosten übereinstimmend für erledigt erklärt.
18
Der Beklagte beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.583,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.07.2021 zu zahlen, die Beklagte zu verurteilen weitere vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 367,23 € EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2021 zu zahlen, sowie den Kläger von weiteren Rechtsverfolgungskosten im Zwangsvollstreckungsverfahren in Höhe von 317,25 € EUR freizustellen.
19
Die Klägerin beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
20
Der Beklagte behauptet:
21
Die Klage sei hinsichtlich des Auskunftsanspruchs bereits unzulässig, da insoweit die Rechtskraft des Vergleichs vom 29.06.2022 entgegenstehe. Der geltend gemachte Auskunftsanspruch stelle in rechtlicher Hinsicht ein Minus zu dem vom Vergleich erfassten Löschungsanspruch dar.
22
Die Klage sei jedenfalls unschlüssig, weil keine konkreten Ausführungen zu einem Interesse der Klägerin an der begehrten Auskunft erfolgt seien. Schadenersatzpflichten würden ausscheiden, da keine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliege. Es sei unmöglich, dass aus dem Versand des Artikels an ausgewählte Presseorgane eine dem Beklagten zurechenbare Persönlichkeitsverletzung der Klägerin entstehen könne, da Presseorgane ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht folgend vor einer Veröffentlichung sicherlich selbst anfangen würden zu recherchieren und eine Stellungnahme bei der Klägerin einholen würden. Ohnehin sei zu berücksichtigen, dass sich die Beklagte mit einer E-Mail vom 29.06.2022 selbst an die Medien gewandt habe.
23
Falls der Beklagte nach Auffassung des Gerichts der Presse zuzuordnen sei, würde ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht im Hinblick auf das Redaktionsgeheimnis zustehen.
24
Eine Auskunftserteilung sei für den Beklagten als Rechtsanwalt unzumutbar, weil er dadurch seine anwaltliche Schweigepflicht verletzen würde. Der Beklagte sei der Rechtsanwalt der 3 Antragsteller der Strafanzeige gewesen. Die Öffentlichkeitsarbeit sei Gegenstand eines solchen Mandats.
25
Ein Mandant … habe im Beklagten explizit verboten, die geforderte Auskunft zu geben.
26
Das Auskunftsbegehren sei jedenfalls rechtsmissbräuchlich, da es sachfremden Zwecken wie die Störung des politischen Diskurses diene. In prozessualer Hinsicht sei ein Beweisverwertungsverbot im Hinblick auf eine von der Klägerin vorgelegte E-Mail anzunehmen, da die Klägerin die E-Mail nicht mit Kenntnis von Radio … oder der … erlangt habe.
27
Insgesamt sei es als rechtsmissbräuchlich zu werten, dass die Klägerin wegen eines identischen Sachverhaltes zwei getrennte Klagen auf Unterlassung (11 O 458/22) sowie auf Auskunft gegen den Beklagten erhoben habe. Die Klägerin habe hierdurch gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen.
28
Es bestehe auch kein Anspruch auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung.
29
Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
30
Der Beklagte habe einen Anspruch gegen die Klägerin auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.583,89 € wegen der Verteidigung des Beklagten gegen mit Schreiben vom 27.06.2022 geltend gemachte Löschungs- und Gegendarstellungsansprüche sowie in Höhe von 367,23 € wegen der Verteidigung des Beklagten gegen die mit Schreiben vom 01.07.2022 geltend gemachten Auskunfts- und Zahlungsansprüche. Weiterhin habe die Klägerin den Beklagten von Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 317,25 € freizustellen, da der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 18.07.2022 Zahlung verlangt habe, obwohl dem Beklagten der Titel nicht wirksam zugestellt worden sei, und sich der Beklagte daher herausgefordert habe fühlen dürfen, sich rechtlichen Beistand zu suchen.
31
Wegen der übrigen Einzelheiten, insbesondere der geäußerten Rechtsansichten, wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
32
Die Klage und die Widerklage sind zulässig, aber jeweils nicht begründet.
33
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten, es zu unterlassen, über die Klägerin im Zusammenhang mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihre Person identifizierend zu berichten/oder berichten zu lassen, insbesondere wie im Artikel „Die Aufarbeitung beginnt erst jetzt“ geschehen. Daher hat die Klägerin auch keinen sich aus einem solchen Unterlassungsanspruch ergebenden Auskunftsanspruch, keinen Anspruch auf Versicherung der Richtigkeit einer erteilten Auskunft an Eides statt und auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
34
Nach der presserechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20) darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden, erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen.
35
Der streitgegenständliche Eintrag enthält im Hinblick auf die Klägerin ausschließlich Tatsachenbehauptungen, die unstreitig zutreffend sind. Konkret bezüglich der Klägerin wird lediglich von einer Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft über eine Wiederaufnahme von Ermittlungen berichtet. Die Berichterstattung betrifft somit ausschließlich einen bestimmten Aspekt der Amtsführung der Klägerin für die Stadt … und nicht z.B. die Klägerin als Privatperson. Soweit im Eintrag Meinungen bzw. Wertungen wiedergegeben werden beziehen sich diese nicht auf die Person der Klägerin, sondern die Stadtverwaltung allgemein bzw. deren Leitung. Der Eintrag enthält auch keine Vorverurteilung bzw. erweckt auch nicht den Eindruck, die Klägerin sei der vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Vielmehr wird in Bezug auf die Klägerin lediglich von der Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft berichtet und am Ende des Eintrags wird sogar ausdrücklich auf die Unschuldsvermutung hingewiesen.
36
Der nach der zitierten presserechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allein verbleibende Ansatzpunkt, mit dem eine Untersagung der Berichterstattung des Beklagten in dieser Form begründet werden könnte, wäre somit die unterlassene Einholung einer Stellungnahme der Klägerin vor Veröffentlichung des Eintrags. Auch aus diesem Umstand folgt hier jedoch kein Unterlassungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten, da das vom Bundesgerichtshof aufgestellte Erfordernis einer vorherigen Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen hier nicht für den Beklagten anwendbar war.
37
Der Bundesgerichtshof macht in seiner Entscheidung durchgehend deutlich, dass die von ihm aufgestellten Anforderungen nur für die Presse bzw. Medien gelten sollen (BGH a.a.o. Rn. 18: „Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute.“; Rn. 28: „… pressemäßige Sorgfalt und Wahrheitspflicht …“). Bei einer Gesamtwürdigung der von den Parteien vorgetragenen Umstände, insbesondere der schriftsätzlich vorgelegten Inhalte der Internetseite buergerplattform-schweinfurt.de, steht für das Gericht nicht fest, dass für die Veröffentlichung des Artikels die aufgezeigten presserechtlichen strengen Vorgaben des Bundesgerichtshofs gelten.
38
Hierbei ist zu beachten, dass die Anwendung presserechtlicher Grundsätze hier nicht zum Vorteil des Beklagten wäre, sondern dessen Meinungsfreiheit dadurch einschränken würden, dass er vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme der Klägerin hätte einholen müssen.
39
Eine Gesamtwürdigung führt zu dem Ergebnis, dass die Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich war, nicht zu den Telemedien mit journalistisch-redaktionell Inhalten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 MStV, für die besondere Rechte und Pflichten gemäß §§ 19 ff MStV gelten, zählte und der Beklagte hinsichtlich der streitgegenständlichen Veröffentlichung auch nicht dem allgemeinen sog. formellen Pressebegriff unterfiel.
40
1. Die Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich war, zählte nicht zu den Telemedien mit journalistisch-redaktionell Inhalten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 MStV, für die besondere Rechte und Pflichten gemäß §§ 19 ff MStV gelten.
41
Kennzeichnende Merkmale journalistisch-redaktionell gestalteter Angebote sind eine gewisse Selektivität und Strukturierung, das Treffen einer Auswahl nach ihrer angenommenen gesellschaftlichen Relevanz mit dem Ziel des Anbieters, zur öffentlichen Kommunikation beizutragen, die Ausrichtung an Tatsachen (sog. Faktizität), ein hohes Maß an Aktualität, nicht notwendig Periodizität, ein hoher Grad an Professionalisierung der Arbeitsweise und ein gewisser Grad an organisierter Verfestigung, der eine gewisse Kontinuität gewährleistet (OLG Bremen, Urteil vom 14.01.2011 – 2 U 115/10 noch zu § 56 RStV).
42
Bei der Würdigung der Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich ist, nach diesen Maßstäben ist zunächst hervorzuheben, dass auf den Zeitraum der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Eintrags abzustellen ist, da sich eine Obliegenheit des Beklagten, vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme der Klägerin einzuholen, nur dann ergeben kann, wenn für den Beklagten bzw. die Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich war, schon die aufgezeigten strengeren Vorgaben des Bundesgerichtshofs für Medien bzw. die Presse galten.
43
Für ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot käme wenn überhaupt nur der als Blog bezeichnete Teil der von der Klägerin mit Schriftsatz vom 17.01.2023, Seite 10 ff, vorgelegten Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich war, in Betracht. Jedenfalls bezogen auf den Zeitraum der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Eintrags erfüllt aber auch dieser Bereich der Internetseite nicht die aufgezeigten Voraussetzungen. Es ist insbesondere kein hoher Grad an Professionalisierung der Arbeitsweise erkennbar. Vielmehr wurden in diesem Zeitraum eher zufällig wirkende Einträge eingestellt, die nicht den Eindruck eines hohen Grades an Professionalisierung der Arbeitsweise erwecken, wie dies bei einem journalistisch-redaktionell gestalteten Angebot zu erwarten wäre, sondern die sich als Berichte über die eigene Tätigkeit der Bürgerplattform insbesondere aus Sicht des Beklagten darstellen. Den Einträgen fehlt für den Leser klar erkennbar auch nur der Anschein von Objektivität, vielmehr wird durchgehend deutlich, dass diese aus Perspektive der Bürgerplattform und/oder des Beklagten verfasst sind, auch wenn vom Beklagten in der 3. Person gesprochen wird. Angesichts der geringen Frequenz der Einträge und des Umstandes, dass nicht unbedingt nachvollziehbar erscheint, welche Umstände berichtenswert erscheinen und welche nicht, fehlt es aus Sicht eines Lesers auch an einem gewissen Grad an organisierter Verfestigung, der eine gewisse Kontinuität gewährleisten würde.
44
2. Der Beklagte unterfiel hinsichtlich der streitgegenständlichen Veröffentlichung auch nicht dem allgemeinen sog. formellen Pressebegriff.
45
Nach der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Stuttgart Urt. v. 1.2.2023 – 4 U 144/22) ist der Begriff Presse weit und formal auszulegen; er kann nicht von einer – an welchen Maßstäben auch immer ausgerichteten – Bewertung des einzelnen Druckerzeugnisses abhängig gemacht werden. Der Begriff der Pressefreiheit erfasst nicht nur periodische Druckwerke, sondern auch einmalig gedruckte Werke und insbesondere – schon wegen der praktisch unbegrenzten Verbreitung – Veröffentlichungen im Internet, jedenfalls wenn damit das Ziel einer Information der Öffentlichkeit verfolgt wird und ein Beitrag zur Meinungsbildung geleistet wird. Es ist maßgeblich darauf abzustellen, dass es um eine im Pressewesen tätige Person in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis geht.
46
Auch in diesem Zusammenhang ist wiederum hervorzuheben, dass auf den Zeitraum der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Eintrags abzustellen ist, da sich eine Obliegenheit des Beklagten, vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme der Klägerin einzuholen, nur dann ergeben kann, wenn für den Beklagten bzw. die Internetseite, für die der Beklagte medienrechtlich verantwortlich war, schon die aufgezeigten strengeren Vorgaben des Bundesgerichtshofs für Medien bzw. die Presse galten.
47
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Internetseite in allererster Linie um den Auftritt einer als Bürgerplattform bezeichneten Bürgerinitiative bzw. eines Zusammenschlusses von Bürgern zur Durchsetzung lokalpolitischer Ziele handelte. Dies ergibt sich aus den von der Klägerin mit Schriftsatz vom 17.01.2023, Seite 4-6 oben, vorgelegten Inhalten der Internetseite, in denen die Entwicklung, die Ziele sowie die Vorgehensweise dieser Bürgerinitiative ausführlich beschrieben werden. Bei der Anwendung der strengen Vorgaben des Bundesgerichtshofs auf den Internetauftritt einer Bürgerinitiative ist eine besonders eingehende Prüfung geboten, da die Gefahr besteht, dass durch derartige Vorgaben die Ausübung politischer Mitwirkungsrechte, die in einer Demokratie regelmäßig auch mit der Herstellung von Öffentlichkeit einhergehen, eingeschränkt werden würde.
48
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass eine Person, die Gegenstand einer Berichterstattung einer Bürgerinitiative über deren eigene Tätigkeit ist, von dieser Berichterstattung nicht im gleichen Maße beeinträchtigt wird wie bei einer vergleichbaren Berichterstattung durch die Presse. Bei einer Berichterstattung durch die Presse geht ein Leser davon aus, dass eine Recherche stattgefunden hat, eine Abwägung vorgenommen wurde, ob bestimmte Umstände berichtenswert sind, und bei der Berichterstattung bestimmte Sorgfaltsmaßstäbe beachtet werden. Bei der Berichterstattung einer Bürgerinitiative über ihre eigene Tätigkeit bzw. ihre eigenen Ziele wird ein Leser hingegen keine derartigen Erwartungen haben, sondern vielmehr davon ausgehen, dass hinsichtlich der Auswahl der berichteten Umstände und des Inhalts der Berichterstattung die politischen Ziele der Bürgerinitiative oder z.B. auch subjektive Befindlichkeiten handelnder Personen im Vordergrund stehen mögen.
49
Eine Einordnung als Presse bzw. Medien im Sinne der zitierten Rechtsprechung ergibt sich auch nicht aus dem nach dem Vortrag der Klägerin mit „Blog“ überschriebenen Teil der Internetseite, in dem verschiedene Beiträge chronologisch eingestellt waren.
50
Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin unterfällt nicht jeder Blog zwingend presserechtlichen Grundsätzen, vielmehr ist stets eine Beurteilung im Einzelfall vorzunehmen. Dies ergibt sich auch aus der von den Parteivertretern diskutierten Rechtsprechung zu Internetauftritten einer Anwaltskanzlei oder der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung zu Veröffentlichungen eines sog. Influencers (OLG Köln, Beschluss vom 13.10.2020 – 15 W 46/20), wobei zu berücksichtigen ist, dass sog. Influencer zwar üblicherweise formal keine Blogs (mehr) betreiben, sondern auf sozialen Plattformen wie z.B. YouTube, Instagram oder Twitter tätig sind, inhaltlich aber kein wesentlicher Unterschied besteht, da Influencer wie früher sog. Blogger üblicherweise regelmäßig und wiederkehrend Beiträge veröffentlichen.
51
In diesem als „Blog“ überschriebenen Teil der streitgegenständlichen Internetseite fanden sich nach der Darstellung der Klägerin zwar tatsächlich Beiträge, die für eine Einordnung als Presse bzw. Medien im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sprechen könnten, insbesondere der Eintrag vom 20.09.2022, in dem über eine Informationsveranstaltung berichtet und nur beiläufig ein eigener Beitrag des Beklagten als Sprechers der Bürgerplattform wiedergegeben wird. Entscheidend ist hier aber, dass diese Einträge deutlich nach dem hier maßgeblichen Zeitraum der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Artikels erfolgen und damit nicht zur Einordnung heranzuziehen sind. Bei den Einträgen vor bzw. im zeitlichen Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Eintrag steht vielmehr ganz klar die Kommunikation der eigenen Tätigkeit bzw. von politischen Auffassungen der Bürgerplattform im Vordergrund. So wird im Eintrag vom 01.04.2022 die lokalpolitische Auffassung der Bürgerplattform kommuniziert, man hätte für den Internetauftritt der geplanten (und später von der Stadt … abgesagten) Landesgartenschau … lokale Anbieter bevorzugen sollen. Auch der chronologisch nächste Eintrag, der streitgegenständlichen Artikel vom 09.06.2022, im Schriftsatz vom 17.01.2023 wiedergegeben in einer modifizierten Form vom 11.06.2022, hat wie bereits ausgeführt ausschließlich die Mitteilung bzw. Einordnung einer Entscheidung der Generalstabschef in einem Ermittlungsverfahren, das auf einer Strafanzeige von Mitgliedern der Bürgerplattform beruhte, zum Gegenstand. Gleiches gilt im Ergebnis für die nachfolgenden Beiträge vom 28.06.2022 und 02.07.2022, die noch im zeitlichen Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Veröffentlichung erfolgten.
52
Die Klägerin kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf eine Beweisvereitelung berufen, weil der Inhalt der Internetseite nicht mehr zugänglich zu sein scheint. Eine Beweisvereitelung würde voraussetzen, dass die Klägerin in Beweisnot ist, d.h. von ihr erstatteten Sachvortrag, der von der Gegenseite bestritten wird und entscheidungserheblich ist, nicht nachweisen kann. Derartiger Sachvortrag wurde aber bereits nicht erstattet.
53
Eine andere Einordnung der Frage, ob die strengen presserechtlichen Vorgaben des Bundesgerichtshofs hier anwendbar waren, ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beklagte Rechtsanwalt ist und nach dem Vortrag der Klägerin schon journalistisch tätig geworden sein soll. Nach der zitierten oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Stuttgart a.a.o.) ist darauf abzustellen, ob es um eine im Pressewesen tätige Person in Ausübung ihrer Funktion geht. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass eine Person, die als Journalist tätig ist bzw. war, sich kommunalpolitisch engagiert und in dieser Funktion in der Öffentlichkeit kommuniziert, ohne dass hierfür die strengen presserechtlichen Vorgaben des Bundesgerichtshofs zu beachten wären. Gleiches gilt erst recht für die berufliche Tätigkeit des Beklagten als Rechtsanwalt. Der Beklagte hat sich an keiner Stelle auf einen Verbotsirrtum o.ä. berufen, wofür der Umfang juristische Kenntnisse von Bedeutung hätte sein können.
54
Die Widerklage ist zulässig, aber nicht begründet. Dem Beklagten stehen die widerklagend gegen die Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz bzw. Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht zu.
55
Der Beklagte begründet die von ihm geltend gemachten Ansprüche damit, dass er sich jeweils gegen die Geltendmachung von Ansprüchen durch die Klägerin anwaltlich habe verteidigen müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 12.12.2006 – VI ZR 224/05) kennt die deutsche Rechtsordnung aber einen generellen Kostenerstattungsanspruch gegen denjenigen, der sich unberechtigt eines Rechts berühmt, nicht; mit unberechtigten Ansprüchen konfrontiert zu werden, gehört zum allgemeinen Lebensrisiko, soweit nicht die Voraussetzungen einer speziellen Haftungsnorm vorliegen.
56
Eine vertragliche Beziehung zwischen den Parteien hinsichtlich der streitgegenständlichen Anspruchsinhalte ist nicht ersichtlich. Allein durch die Geltendmachung eines Anspruchs, der tatsächlich nicht besteht oder jedenfalls nicht weiter verfolgt wird, entsteht eine solche Sonderverbindung nicht (BGH a.a.o.).
57
Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB scheiden aus, da Beklagte einen reinen Vermögensschaden behauptet. Der Auffassung, die unberechtigte Geltendmachung einer Forderung stelle regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar (so AG Bad Homburg, MDR 1986, 1028), kann nicht gefolgt werden (BGH a.a.o.).
58
Der Beklagte kann seine Ansprüche auch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB oder § 826 BGB stützen. Die Frage, ob der Klägerin die von ihr geltend gemachten Ansprüche zustehen, hängt wie dargestellt von einer komplexen presserechtlichen Prüfung ab. Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin vorsätzlich ihr nicht zustehende Ansprüche gegen den Beklagten geltend gemacht hätte, um sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen oder den Beklagten sittenwidrig zu schädigen.
59
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO, wobei sich die übereinstimmende Erledigterklärung hinsichtlich der negativen Feststellungsklage wegen § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG im Ergebnis nicht auswirkt.