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OLG München, Hinweisbeschluss v. 07.11.2023 – 25 U 2275/23 e
Titel:

Prämienbemessung für vorläufigen Versicherungsschutz bei Nichtzustandekommen des Hauptvertrages

Normenketten:
VVG § 49 Abs. 2, § 50
ZPO § 138 Abs. 3
AKB 2015 B.2.7, Anh. 2 Nr. 1.3
Leitsätze:
2. Eine Klausel in Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung, wonach bei bei Abschluss des Vertrages fehlendenden Angaben der Beitrag so berechnet wird, als hätte der Versicherungsnehmer die für die Beitragsberechnung ungünstigen Angaben gemacht (hier: Anhang 2 Nr. 1.3), bezieht sich (nur) auf diejenigen Angaben zu gefahrerheblichen Umständen, die der Versicherer im Antrag vom Versicherungsnehmer verlangt (Anschluss an AG Potsdam BeckRS 2019, 33166 Rn. 16; s. auch LG Düsseldorf BeckRS 2017, 118182). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Kommt demgegenüber – wie hier – lediglich ein Vertrag über die vorläufige Deckung zustande, ohne dass dem ein Antrag des Versicherungsnehmers zugrunde liegt, in dem der Versicherer von diesem Angaben zu gefahrerheblichen Umständen verlangt hat, können solche Angaben bei Vertragsschluss nicht fehlen und die Fiktion der ungünstigsten Angaben greift nicht ein. In einem solchen Fall richtet sich gem. der Ausgangsregelung in Anhang 2 Nr. 1.1 der Versicherungsbedingungen die geschuldete Prämie nach den gefahrerheblichen Umständen, die der Versicherer nach finanz- und versicherungsmathematischen Methoden kalkuliert und miteinander verknüpft. (Rn. 6 und 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kfz-Versicherung, vorläufige Deckung, Prämie, Bestimmung, sekundäre Darlegungslast
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 18.04.2023 – 23 O 12576/22
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 03.04.2024 – 25 U 2275/23 e
Fundstellen:
ZfS 2024, 382
LSK 2023, 46243
BeckRS 2023, 46243
FDVersR 2024, 946243

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 18.04.2023, Az. 23 O 12576/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

1
Die zulässige Berufung des Beklagten hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Mit Recht hat das Landgericht den Vollstreckungsbescheid weitgehend aufrechterhalten. Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, zu einer abweichenden Beurteilung zu gelangen.
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1. Der klagende Kraftfahrthaftpflichtversicherer kann von dem Beklagten für die vorläufige Deckung die Zahlung einer Prämie in der zuerkannten Höhe verlangen. Gemäß § 49 Abs. 2 VVG, B.2.7 der Versicherungsbedingungen (Anlage K 4) und § 50 VVG hat die Klägerin Anspruch auf einen der Laufzeit der vorläufigen Deckung entsprechenden Teil der Prämie. Die Höhe der Prämie ergibt sich aus der Berechnung der Klägerin auf der Grundlage von Anhang 2 Nr. 1.1 der Versicherungsbedingungen (Anlagen K 9, B 6).
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a) Allerdings kann die Klägerin sich im Streitfall nicht auf die Bestimmung in Anhang 2 Nr. 1.3 der Versicherungsbedingungen stützen. Diese Bestimmung lautet: „Fehlen bei Abschluss des Vertrags Angaben, wird der Beitrag berechnet, als hätten Sie die für die Beitragsberechnung ungünstigsten Angaben gemacht.“ Die Bestimmung findet hier keine Anwendung.
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aa) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Werden Versicherungsverträge typischerweise mit und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend (BGH, Urteil vom 25. Mai 2011 – IV ZR 117/09, VersR 2011, 918 Rn. 22). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10. April 2019 – IV ZR 59/18, NJW 2019, 2172 Rn. 17 mwN).
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bb) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird das Erfordernis, dass bei Abschluss des Vertrags Angaben – für die Beitragsberechnung – fehlen, auf diejenigen Angaben beziehen, die in Anhang 2 Nr. 1.1 Abs. 2 Satz 1 der Versicherungsbedingungen genannt sind, also Angaben zu gefahrerheblichen Umständen, die der Versicherer im Antrag vom Versicherungsnehmer verlangt. „Fehlen“ können bei Vertragsschluss nur Angaben, die im Antrag verlangt aber nicht gemacht wurden (vgl. AG Potsdam, Urteil vom 16. Mai 2019 – 24 C 514/18, juris Rn. 18).
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Kommt – wie hier – lediglich ein Vertrag über die vorläufige Deckung zustande, ohne dass dem ein Antrag des Versicherungsnehmers zugrunde liegt, in dem der Versicherer von diesem Angaben zu gefahrerheblichen Umständen verlangt hat, können solche Angaben bei Vertragsschluss nicht fehlen und die Fiktion der ungünstigsten Angaben gemäß Nr. 1.3 greift nicht ein (vgl. LG Düsseldorf, zfs 2017, 637). Dies entspricht der Interessenlage, denn bei Anwendung der Fiktion entstünde, sobald die Versicherungsbestätigung zur Fahrzeuganmeldung verwendet wird, ein Anspruch auf die Prämie stets in der dem Versicherungsnehmer ungünstigsten Höhe; nachträgliche günstigere Angaben würden hieran nichts ändern.
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b) Damit richtet sich gemäß der Ausgangsregelung in Anhang 2 Nr. 1.1 der Versicherungsbedingungen die geschuldete Prämie nach den gefahrerheblichen Umständen, die der Versicherer nach finanz- und versicherungsmathematischen Methoden kalkuliert und miteinander verknüpft. Die dem entsprechende klägerische Berechnung führt zu der zuerkannten Prämie.
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aa) Neben den Fahrzeugdaten, die sich aus der Anmeldung ergeben, liegen der klägerischen Prämienberechnung folgende gefahrerhebliche Umstände zugrunde: „Fahrzeugalter 30 Jahre / Beruf / Branche / Fahrzeug ist nicht als Betriebsausgabe anerkannt / Sie sind am 31.08.1983 geboren / Fahrer neben Ihnen sind beliebige Personen / keine Angaben zum Fahrzweck / öffentl. Parkplatz/Straßenrand / kein selbstgenutztes Wohneigentum / Jahreskilometer: 99.000 / jährliche Zahlungsperiode“ (Versicherungsschein Anlage K 3, S. 2; vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 10. Februar 2023, Bl. 30/35 d. A. LG, S. 2).
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bb) Diese gefahrerheblichen Umstände kann der Beklagte nicht bestreiten, ohne selbst darzulegen, welche gefahrerheblichen Umstände an deren Stelle zugrunde zu legen wären. Da es hieran fehlt, gelten die gefahrerheblichen Umstände als zugestanden.
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Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dem Bestreitenden obliegt es im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Nachforschungen zu unternehmen, wenn ihm dies zumutbar ist. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BGH, Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 27).
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So liegt es hier. Die für die Prämienhöhe primär darlegungsbelastete Klägerin hat – abgesehen von den bekannten Fahrzeugdaten – keine nähere Kenntnis der gefahrerheblichen Umstände und auch – abgesehen von Angaben des beklagten Versicherungsnehmers – keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung, während der Beklagte die gefahrerheblichen Umstände kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Solche sind jedoch unterblieben.
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2. Es wird erwogen, den Berufungsstreitwert auf 5.165,96 € festzusetzen.
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3. Aus Kostengründen sollte der Beklagte die Rücknahme der Berufung in Betracht ziehen. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).