Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 05.06.2023 – B 4 K 22.31032
Titel:

Wegen Verfristung unzulässige Asylklage eines Irakers

Normenketten:
AsylG § 36 Abs. 3, § 74 Abs. 1
VwZG § 3, § 7 Abs. 1 S. 2
GG Art. 3 Abs. 1
VwGO § 60 Abs. 1
Leitsatz:
Die Zustellung hat zwingend an den Bevollmächtigten zu erfolgen, wenn dieser eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat, andernfalls hat die Behörde ein Wahlrecht, das unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes gleiche Entscheidungen bei vergleichbaren Sachverhalten erfordet. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wahlrecht der Behörde bezüglich Zustellung an Kläger oder Klägerbevollmächtigten bei Nichtvorliegen einer schriftlichen Vollmacht, Asylverfahren, Irak, Klagefrist, Wiedereinsetzung, qualifizierte Asylentscheidung, Ausreisefrist, Bescheid, Verfahrensbevollmächtigter, schriftliche Vollmacht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 46212

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger, irakischer Staatsangehöriger, dem Volk der Kurden zugehörig und islamischer Religionszugehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben am 23.09.2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 04.02.2022 einen Asylantrag.
2
Seit 15.02.2022 war der Aufenthaltsort des Klägers unbekannt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) stellte daraufhin mit Bescheid vom 09.03.2022 fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist.
3
Der Kläger erhob am 16.03.2022 zur Niederschrift der Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichts Bayreuth Klage (B 3 K 22.30236) und beantragte, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Die Bevollmächtigte des Klägers zeigte mit Schriftsatz vom 17.03.2022 gegenüber dem Verwaltungsgericht ihre Vertretung an und legte eine schriftliche Vollmacht vor.
4
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 05.04.2022 (B 3 S 22.30235) wurde die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich Ziffer 3 des Bescheides vom 09.03.2022 angeordnet.
5
Mit Schriftsatz vom 07.04.2022 teilte die Klägerbevollmächtigte der Beklagten mit, sie vertrete den Kläger und beantrage, das Verfahren wiederaufzunehmen. Die Beklagte antwortete der Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 14.04.2022, der Bescheid vom 09.03.2022 entspreche der aktuellen Rechts- und Weisungslage.
6
Mit E-Mail vom 19.07.2022 und mit weiterem Schreiben vom 28.07.2022 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Wiederaufnahme seines Antrages und stellte am 09.08.2022 erneut einen Asylantrag. Mit Schreiben des Bundesamtes vom 26.07.2022 wurde dieser zur fortführenden Aktenanlage und erkennungsdienstlichen Behandlung geladen. Das Schreiben wurde dem Kläger gegen Empfangsbestätigung am 29.07.2022 ausgehändigt. Mit Schreiben des Bundesamtes vom 04.08.2022, adressiert an den Kläger, wurde diesem mitgeteilt, sein Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens könne derzeit nicht bearbeitet werden. Das Schreiben wurde dem Kläger mit Empfangsbestätigung vom 08.08.2022 zugestellt. Mit Schreiben des Bundesamtes vom 18.08.2022, ebenfalls adressiert an den Kläger, wurde dieser zu der Anhörung am 15.09.2022 geladen.
7
Laut Niederschrift der Anhörung beim Bundesamt am 15.09.2022 liegt eine Vertretung im Asylverfahren durch einen Verfahrensbevollmächtigten nicht vor.
8
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 19.09.2022 wurde der Bescheid des Bundesamtes vom 09.03.2022 aufgehoben. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe am 09.08.2022 innerhalb von neun Monaten nach Einstellung des Verfahrens einen neuen Antrag gestellt. Die Prüfung des Verfahrens, Antragstellung am 04.02.2022, werde in dem Verfahrensabschnitt wiederaufgenommen, in dem es eingestellt worden sei.
9
Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 19.09.2022 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), auf Asylanerkennung (Ziffer 2) und auf subsidiären Schutz (Ziffer 3) als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthaltsG nicht vorliegen (Ziffer 4) und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall dass der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalte, werde er in den Irak abgeschoben (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Der Bescheid wurde dem Kläger am 23.09.2022 mit Postzustellungsurkunde zugestellt.
10
Das Verfahren B 3 K 22.30236 wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 21.09.2022 eingestellt.
11
Der Kläger ließ mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 06.10.2022 beim Verwaltungsgericht Bayreuth Klage gegen den Bescheid vom 19.09.2022 erheben und beantragte sinngemäß,
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides v. 19.09.2022, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG, hilfsweise subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen.
Hilfsweise werde beantragt, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bis 7 AufenthG festzustellen.
Rein vorsorglich werde beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
12
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 12.10.2022,
die Klage abzuweisen.
13
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klage sei verfristet.
14
Die Klägerbevollmächtigte erwiderte mit Schriftsatz vom 02.11.2022, der Beklagten sei bekannt gewesen, dass die Bevollmächtigte den Kläger im Asylverfahren vertrete. Zum Beweis diene die Beiziehung der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts Bayreuth im Verfahren B 3 K 22.30236 sowie das Schreiben der Beklagten vom 28.03.2022. Der Bevollmächtigten sei der ablehnende Bescheid nicht zugestellt bzw. zur Kenntnis zugeleitet worden.
15
Die Beklagte trug mit Schriftsatz vom 07.11.2022 vor, der Kläger habe in der Anhörung beim Bundesamt eine anwaltliche Vertretung ausdrücklich verneint.
16
Die Klägerbevollmächtigte teilte mit Schriftsatz vom 22.11.2022 für den Kläger mit, dieser habe zu keiner Zeit während der Anhörung gesagt, nicht anwaltlich vertreten zu sein.
17
Mit Schreiben vom 30.11.2022 wies die Berichterstatterin darauf hin, dass eine Zustellung an den Bevollmächtigten nur dann zwingend sei, wenn dieser eine schriftliche Vollmacht vorgelegt habe. Dies sei lediglich im gerichtlichen Verfahren (B 3 K 22.30236) erfolgt.
18
Die Beteiligten wurden mit Schriftsatz vom 25.01.2022 zum Gerichtsbescheid angehört. Die Klägerbevollmächtigte bat mit Schriftsatz vom 15.02.2023, Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen. Der Kläger werde darlegen, dass er zu keiner Zeit eine anwaltliche Vertretung verneint habe. Er sei danach nicht gefragt worden.
19
Mit Schriftsatz vom 21.02.2023 erwiderte die Beklagte, der Kläger sei bei der Anhörung gefragt worden, ob eine Vertretung durch einen Verfahrensbevollmächtigten vorläge. Dies sei im Protokoll vermerkt worden. Die Bevollmächtigte habe sich gegenüber dem Bundesamt zu keinem Zeitpunkt als Bevollmächtigte des Klägers zu erkennen gegeben bzw. eine entsprechende Vollmacht vorgelegt.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Gerichts- und die Behördenakten des Bundesamts auch im Verfahren B 3 K 22.30236 verwiesen. Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 24.05.2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

21
Die Klage hat keinen Erfolg, sie ist unzulässig. Der Kläger hat die Klage nicht fristgerecht erhoben (I.), Wiedereinsetzung ist nicht zu gewähren (II.).
I.
22
Die Klage ist verfristet. Die am 06.10.2022 erhobene Klage hat die einwöchige Klagefrist (§ 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG) nicht gewahrt, denn diese wurde mit der am 23.09.2022 bewirkten Zustellung in Lauf gesetzt und war mit Ablauf des 30.09.2022 verstrichen.
23
Gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG war die Klage innerhalb einer Woche nach Zustellung der Entscheidung zu erheben, der Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz wurde mit Bescheid vom 19.09.2022 als offensichtlich unbegründet abgelehnt (§ 36 Abs. 3 AsylG).
24
Der streitgegenständliche Bescheid ist dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 23.09.2022 gemäß § 3 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) wirksam zugestellt worden. Der Bescheid war nicht der Klägerbevollmächtigten zuzustellen.
25
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG ist die Zustellung an den Bevollmächtigten zwingend, wenn dieser eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat. Liegt keine schriftliche Vollmacht vor, hat die Behörde gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 VwZG ein Wahlrecht. Die Behörde muss nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob sie dem Beteiligten selbst oder seinem Bevollmächtigten zustellt. Diese Ermächtigung gibt ihr aber keine reine Wahlfreiheit; sie erfordert unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) insbesondere gleiche Entscheidungen bei vergleichbaren Sachverhalten. So darf die Behörde den Zustellungsempfänger nicht während des Verfahrens willkürlich wechseln. Hat sie sich bisher ständig an den Bevollmächtigten gewandt, darf sie nicht ohne Vorliegen von wichtigen, aktenkundig zu machenden Gründen, an den Beteiligten unmittelbar zustellen (Engelhart/App/Schlatmann, VwVG VwZG, 12. Auflage 2021, § 7 Rn. 6 m.w.N.).
26
Gemessen an diesen Grundsätzen wurde der Bescheid wirksam an den Kläger zugestellt. Die Zustellung an die Klägerbevollmächtigten war nicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG zwingend, da diese dem Bundesamt keine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat. Die Klägerbevollmächtigte hat zwar im Klageverfahren B 3 K 22.30236 eine schriftliche Vollmacht beim Verwaltungsgericht vorgelegt, die Vollmacht galt jedoch nur für diese gerichtliche Verfahren. In der Bundesamtsakte ist keine schriftliche Vollmacht der Klägerbevollmächtigten enthalten.
27
Die Beklagte hat ihr Wahlrecht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 VwZG ermessensfehlerfrei ausgeübt. Es liegt insbesondere kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vor.
28
Die Beklagte hat den Zustellungsempfänger während des Verfahrens nicht willkürlich gewechselt. So wurden im (Fortführungs-)Verfahren mehrere Schreiben an den Kläger persönlich versandt (z.B. Schriftsätze vom 26.07.2022, vom 04.08.2022 und vom 18.08.2022), so dass auch die Zustellung des Bescheides an den Kläger erfolgen konnte.
29
Die Zustellung mit Postzustellungsurkunde erfolgte am 23.09.2022. Die Klagefrist begann gemäß §§ 31 Abs. 1 VwVfG, 187 Abs. 1 BGB am 24.09.2022 und endete gemäß §§ 31 Abs. 1 VwVfG, 188 Abs. 2 am 30.09.2022. Die am 06.10.2022 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangene Klage war somit verfristet.
II.
30
Dem Kläger ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO hinsichtlich der versäumten Klagefrist zu gewähren.
31
Wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, § 60 Abs. 1 und 2 VwGO.
32
Zwar hat die Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 06.10.2022 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Klagefrist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO begehrt. Wiedereinsetzungsgründe sind jedoch nicht ersichtlich und erst recht nicht – wie § 60 Abs. 2 VwGO verlangt – glaubhaft gemacht worden. Es erfolgte keinerlei konkreter Vortrag, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert war, die gesetzliche Frist, hier die einwöchige Klagefrist, einzuhalten.
III.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und § 83b AsylG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.