Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 24.10.2023 – B 4 K 21.283
Titel:

Festsetzung von Erschließungsbeiträgen – historische Straße

Normenketten:
KAG Art. 2 Abs. 1, Art. 5a
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 127 Abs. 2
Leitsätze:
1. Es liegt eine vorhandene (historische) Straße iSv Art. 5a Abs. 7 S. 1 KAG vor‚ wenn eine Straße zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck – nach den damaligen rechtlichen Anforderungen – endgültig hergestellt war. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erhebt eine Gemeinde für eine nach Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes an einer Erschließungsanlage iSd § 127 Abs. 2 BauGB durchgeführte Ausbaumaßnahme Erschließungsbeiträge, hat sie darzutun, dass erst und gerade diese Maßnahme die vorher noch unfertige Anlage erstmalig hergestellt hat. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Straßenentwässerung stellt schon begrifflich eine technisch abgrenzbare Teileinrichtung dar, das bloße Abfließen des Regenwassers aufgrund einer Straßenwölbung oder -neigung genügt hierfür nicht. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine etwa mängelbehaftete Ausführung der technischen Baumaßnahme berührt nur Gewährleistungsansprüche der Gemeinde gegenüber dem Bauunternehmer und damit uU die Höhe des beitragsfähigen Erschließungsaufwands, nicht aber die Frage, ob die satzungsmäßigen Herstellungsmerkmale erfüllt sind. Die endgültige Herstellung wäre nur dann zu verneinen, wenn die Mängel die Gebrauchstauglichkeit der Erschließungsanlage ausschlössen. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Festsetzung von Erschließungsbeiträgen, historische Straße (verneint), Erstmaligkeit der Herstellung der Erschließungsanlage (verneint), Kommunale Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen;, Erschließungsbeitrag, historische Straße, Bebauungszusammenhang, Erstmaligkeit der Herstellung der Erschließungsanlage, Erschließungsfunktion, Straßenentwässerung, Straßenunterbau, Mängel der Erschließungsanlage, Gehwege
Fundstelle:
BeckRS 2023, 46211

Tenor

1. Die Bescheide der Beklagten vom 22. Februar 2021 werden in Ziffer 1 aufgehoben.
2.    Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Forderung von Erschließungsbeiträgen durch die Beklagte.
2
Der Kläger ist Eigentümer zweier Miteigentumsanteile zu je ½ des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … Das Grundstück liegt an der S.-Straße, die vom …berg in südwestliche Richtung bis zum … Wald verläuft. Die Beklagte sah die S.-Straße vom …berg bis zur Einmündung A.straße als sog. historische Straße an und setzte folglich für diesen Bereich keine Erschließungsbeiträge fest. In diesem Bereich befand sich seit 1909 die „…“ (heute Klinikum a. b.) und seit 1886 das „…“ (heute …*). Für den weiteren Verlauf ab A.straße bis zum … Wald wurden ab ca. 1930 vereinzelt Baugenehmigungen erteilt. Im Baulinienplan der Beklagten von 1934 ist dieser Bereich als „Außengebiet“ bezeichnet. Im Jahr 1958 wurde erstmals ein Kanal ab der Einmündung des Verbindungsweges zur W. Straße bei der Einfahrt zur Villa … auf der Höhe der heutigen Hausnummer … bis auf Höhe …schlösschen bei der Einmündung …hof bergaufwärts angelegt. Der Bau eines weiteren Kanals von der Einmündung des Verbindungswegs bergabwärts bis zur Einmündung A.straße als Lückenschluss zum bereits seit 1909 bestehenden Kanal in der S.-Straße erfolgte im Jahr 1962. Ab dem Jahr 1961 wurden weitere Baugenehmigungen erteilt sowie eine Wasser- und Abwasserleitungen verlegt. Auch wurde eine Straßenbeleuchtung errichtet und in den Jahren 1972 sowie 1981 erneuert. Aufgrund einer Verfügung vom 15. Januar 1965 erfolgte die Eintragung der S.-Straße in das Bestandsverzeichnis für Gemeindestraßen der Beklagten.
3
In der Zeit vom 29. Mai 2019 bis zum 2. Dezember 2020 ließ die Beklagte Baumaßnahmen an der Fahrbahn der S.-Straße einschließlich Gehweg durchführen. Außerdem wurden Maßnahmen bezüglich der Straßen- und Oberflächenentwässerung sowie der Abwasserkanäle und deren Nebenanschlüssen ergriffen. Weiter wurden die Beleuchtung und der vorhandene Mischwasserkanal erneuert sowie ein Regenwasserkanal verlegt. Die Schlussrechnung für die Baumaßnahmen ging am 16. Dezember 2020 bei der Beklagten ein.
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Mit Erschließungsbeitragsbescheiden vom 22. Februar 2021 setzte die Beklagte für die erstmalige endgültige Herstellung der Teileinrichtungen Fahrbahn, Straßenentwässerung, Gehweg und Verkehrsbegleitgrün im Wege der Kostenspaltung nach § 8 der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 11. August 2020 (Erschließungsbeitragssatzung 2020 – EBS 2020) in der S.-Straße von A.straße bis K.weg (Haus-Nr. … bis Haus-Nr. **) für das Grundstück FlNr. … der Gemarkung … einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 57.892,65 EUR fest. Entsprechend dem Miteigentums-Anteil von ½ betrage der anteilige Erschließungsbeitrag jeweils 28.946,33 EUR (Ziffer 1 des Bescheids). Für diese Erschließungsbeitragsabrechnung habe der Stadtrat der Beklagten am 27. Januar 2021 einen generellen Teilerlass von 60 von Hundert nach § 16 EBS 2020 beschlossen. Der für das vorgenannte Grundstück anfallende Erschließungsbeitrag sei daher insgesamt nur in Höhe von 40 von Hundert zu entrichten (Ziffer 2 des Bescheids). Der unter Ziffer 1 festgesetzte Erschließungsbeitrag für das o.g. Grundstück in Höhe von 57.892,65 EUR werde entsprechend Ziffer 2 um 60 von Hundert gemindert. Die Forderung betrage damit 23.157,06 EUR (= 40 von Hundert). Entsprechend dem Miteigentumsanteil von ½ betrage die Forderung anteilig jeweils 11.578,53 EUR und werde einen Monat nach Bekanntgabe des Bescheids zur Zahlung fällig (Ziffer 3 des Bescheids). Auf die Begründung der Bescheide wird Bezug genommen. Die Bescheide wurden dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 24. Februar 2021 zugestellt.
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Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 16. März 2021, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, ließ der Kläger Klage gegen die Bescheide erheben und beantragen,
die Bescheide der Beklagten vom 22. Februar 2021 in Ziffer 1 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, ein Erschließungsbeitrag könne auch für eine Teileinrichtung nicht mehr erhoben werden, wenn es sich insgesamt bei dem abgerechneten Straßenabschnitt um eine vorhandene Erschließungsanlage (historische Straße) im Sinne des Art. 5a Abs. 7 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) handle. Die Beklagte habe bereits am 15. Juni 1961 eine Erschließungsbeitragssatzung (EBS 1961) erlassen, die gemäß § 14 EBS 1961 am 29. Juni 1961 im Amtsblatt veröffentlicht, und damit einen Tag vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes (BBauG) am 30. Juni 1961, in Kraft gesetzt worden sei. In § 11 Abs. 1 EBS 1961 seien die Merkmale der endgültigen Herstellung geregelt, die vorliegend sämtlich erfüllt gewesen seien. Der von der Beklagten in den Bescheiden dargestellte Sachverhalt werde nicht bestritten, allerdings werde der rechtlichen Bewertung widersprochen. Außerdem sei der Sachverhalt um wichtige Punkte zu ergänzen. Die Tatsache, dass die S.-Straße bereits lange vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes mit einer nach dem damaligen technischen Standard versehenen Fahrbahn ausgebaut gewesen sei, werde durch die Luftbilder vom 23. Juli 1957 (Anlage K 2), die Aktenvermerke vom 18. April 1958 (Anlage K 3) und 8. März 1960 (Anlage K 4) sowie ein Lichtbild, das vor den streitgegenständlichen Baumaßnahmen aufgenommen worden sei (Anlage K 5), belegt. Außerdem habe die Straße bereits in den 1950er Jahren über beidseitige offene Straßengräben verfügt, in die das auf die Straßenoberfläche niedergehende Regenwasser abgeleitet worden sei. Hierzu werde auf eine Fotodokumentation vom 28. Januar 2019 bzw. 21. Februar 2019 (Anlage K 6) verwiesen. Es gebe auch einen Kanalisationsplan aus dem Jahr 1957, in dem ein Mischwasserkanal zur Aufnahme des Niederschlagswassers von den Grundstücken und von der Straße (Einlaufschächte) bzw. aus den o.g. straßenseitigen Gräben eingezeichnet sei (Anlage K 7). Von der Einmündung A.straße bis zum …schlösschen seien in den 1950er bis 1960er Jahren vier bis fünf Straßenlaternen installiert gewesen. Später seien weitere dazugekommen, wie aus der vorgenannten Fotodokumentation hervorgehe. Für die Installation der Beleuchtungseinrichtungen nach 1961 habe die Beklagte keine Erschließungsbeiträge erhoben.
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Offenbar sei auch die Verwaltung der Beklagten lange Zeit davon ausgegangen, dass es sich bei der S.-Straße um eine vorhandene O. straße handle, und habe dementsprechend Straßenausbaubeiträge erhoben (Anlage K 8). Die S.-Straße sei schon in historischen Karten des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen mit der heutigen Straßenführung verzeichnet (vgl. Anlage K 10). Aus den weiter von Klägerseite vorgelegten Dokumenten (Anlagen K 11 bis K 25) sei eindeutig ablesbar, dass die S.-Straße schon lange vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes im Jahr 1961 keine im Außenbereich gelegene Landstraße mehr gewesen sei, wie die Beklagte vorgerichtlich behauptet habe, sondern eine zum Anbau bestimmte O. straße, für die bereits eine Baulinie existiert hätte bzw. etliche Baugenehmigungen auf der Grundlage von Baulinien-Entwürfen erteilt worden seien.
8
Wäre die S.-Straße, entgegen dieser Dokumentation, nicht als historische Straße im Sinne des Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG zu betrachten, wären zumindest die Teileinrichtungen Fahrbahn, Straßenentwässerung und Verkehrsbegleitgrün entlang der Straßentrasse bereits endgültig hergestellt gewesen. Über eine Fahrbahn mit einer Straßendecke aus Asphalt habe die S.-Straße bereits lange vor dem 30. Juni 1961 verfügt. Deshalb habe es sich bei den in den Jahren 2019/2020 durchgeführten Baumaßnahmen an der Fahrbahn nicht um eine erstmalige Herstellung, sondern um eine Erneuerung bzw. Verbesserung gehandelt. Dass die S.-Straße schon seit Jahrzehnten über eine nach damaligem Standard übliche Straßenentwässerung in Gestalt von Straßenrinnen mit Einlaufschächten und Straßenseitengräben verfügt habe, sei bereits vorgetragen und unter Beweis gestellt worden.
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Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten beantragte mit Schriftsatz vom 6. Juli 2021,
die Klage abzuweisen.
10
Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 5. November 2021 ausgeführt, die streitgegenständlichen Erschließungsbeitragsbescheide seien rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe die gegenständlichen Erschließungsmaßnahmen zurecht nach Erschließungsbeitragsrecht (Art. 5a KAG i.V.m. §§ 128 ff. des Baugesetzbuches – BauGB) abgerechnet. Die S.-Straße sei im Bereich südwestlich der Einmündung der Straße A.straße noch nicht erstmals endgültig hergestellt gewesen. Die Straße habe in diesem Bereich entgegen der Auffassung des Klägers auch keine vorhandene Erschließungsanlage im Sinne des Art 5a Abs. 7 Satz 1 KAG gebildet. Eine vorhandene oder erstmals endgültig hergestellte Straße könne nur eine Straße mit Erschließungsfunktion sein. Erschließungsfunktion erhalte eine Straße nicht schon dadurch, dass vereinzelte Grundstücke an ihr bebaut würden. Erforderlich sei vielmehr eine gehäufte Bebauung, die eine Innenbereichslage im Sinne von § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB begründe. Vorliegend habe die S.-Straße südwestlich der Einmündung der Straße A.straße erst nach 1961 Erschließungsfunktion erlangt. Während etwa im Jahr 1930 im nordöstlichen Bereich der Straße bis zur Einmündung „…berg“ eine gehäufte Bebauung vorhanden gewesen sei, sei die Straße südwestlich der Einmündung planungsrechtlich im Außenbereich verlaufen. Hierzu werde auf die beigefügten Luftbilder aus der Zeit um 1930 (Anlage B 1) verwiesen. An dieser planungsrechtlichen Situation habe sich auch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts nichts geändert, was sich aus den Plänen aus dem Jahr 1952 ergebe (Anlage B 2). Selbst im Jahr 1961 sei nur eine lockere Bebauung vorhanden gewesen, welche keinen im Zusammenhang bebauten Ortsteil habe bilden können, sondern lediglich den Charakter einer Splittersiedlung aufgewiesen habe. Hierzu werde auf den beigefügten Gebäudebestandsplan mit einem Vermerk des Stadtplanungsamtes (Anlagen B 3 und B 4) sowie auf den vom Staatlichen Vermessungsamt … erhaltenen Bestandsplan zum Stand Oktober 1960 (Anlage B 5) verwiesen.
11
Die S.-Straße habe in ihrem früheren Ausbauzustand nicht den Herstellungsmerkmalen der städtischen Erschließungsbeitragssatzung entsprochen. Sie hätte im Übrigen auch den – vor dem Inkrafttreten der erschließungsbeitragsrechtlichen Bestimmungen des BBauG am 30. Juni 1961 für die Beurteilung maßgeblichen – objektiven Verkehrsbedürfnissen nicht genügt. Die Straße habe seinerzeit insbesondere keine ordnungsgemäße Straßenentwässerung besessen. Soweit in der Klagebegründung vorgebracht werde, dass das Regenwasser in der Straße in Straßengräben abgeleitet werde, sei anzumerken, dass eine derartige Straßenentwässerung bereits in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht die Mindestanforderungen an eine fertige Straße erfüllt habe. Letztlich könne dies jedoch dahinstehen, da streckenweise das Oberflächenwasser in das Bankett und in anliegende Grundstücke abgelaufen sei (vgl. Anlage B 6). Seitens der Anlieger sei dies gegenüber der Beklagten übrigens mehrfach beanstandet worden, wie den vorgelegten Schreiben zu entnehmen ist (Anlage B 7). Hinzu komme, dass auch die Fahrbahn in ihrem früheren Ausbauzustand nicht den satzungsrechtlichen Vorgaben entsprochen habe. Nach § 11 Abs. 1 EBS 1961 sei eine den Verkehrserfordernissen entsprechende Straßendecke erforderlich gewesen. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Die Aufbaudicken des Straßenoberbaus hätten nur zwischen 5 cm und 17 cm betragen und seien in dieser Stärke nicht ausreichend gewesen. Damit habe nicht von einer funktionsgerechten Straße ausgegangen werden können. Hierzu werde auf die gutachterliche Stellungnahme des Büros … GmbH vom 24. September 2021 (Anlage B 8) verwiesen. Schließlich bedürfe eine Straße einer seitlichen Oberflächenbefestigung; ohne entsprechende Befestigungen an der Straßenkante bestehe die Gefahr eines Wegbrechens der Oberfläche bei auch nur geringfügigen Belastungen. Auch hieran fehle es vorliegend. Damit sei die hier abgerechnete S.-Straße vor ihrem Ausbau technisch nicht erstmals endgültig hergestellt gewesen.
12
In der Replik vom 13. Dezember 2021 nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf die Klageerwiderung dahingehend Stellung, dass es zahlreiche historische Dokumente gäbe, die dafür sprächen, dass die S.-Straße bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Beklagten selbst als A.straße gesehen worden sei (Anlagen K 12, K 17, K 31 bis K 34). Dabei sei zu berücksichtigen, dass vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes die bauplanungsrechtlichen Begriffe „Innenbereich“ und „Außenbereich“ nicht existierten. Die Bebauung dürfe deshalb nicht an den bauplanungsrechtlichen Maßstäben gemessen werden, die seit Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes im Juni 1961 gölten. Die Beklagte habe durch ihre Verwaltungspraxis dokumentiert, dass diese Straße zum Anbau bestimmt gewesen sei.
13
Die S.-Straße habe bereits Anfang der 1950er Jahre auf beiden Straßenseiten über voll funktionsfähige Straßenseitengräben verfügt. Die von der Beklagten vorgelegten Fotos (Anlage B 6) seien nicht aussagekräftig. In den 1950er Jahren bis zum Ausbau der Straße habe sich am Straßenrand ein offener Straßenseitengraben befunden. Dieser sei jedoch im Zuge der Errichtung des Wohnhauses Nummer 36 im Zugangsbereich verrohrt worden. Eine Straßenentwässerung in Gestalt eines Rohres sei also ab hier straßenabwärts nach wie vor vorhanden gewesen, wie ein Foto vom Dezember 2018 belege. Das zweite von der Beklagten vorgelegte Bild sei aufgenommen worden, nachdem der Straßenbelag bei den jetzt von der Beklagten abgerechneten Bauarbeiten gefräst worden sei. Am linken Straßenrand im gefrästen (geschotterten) Bereich sei ebenfalls eine Rohrleitung bei den Grundstückszugängen verbaut worden, die der Straßenentwässerung diene. Auch dort sei früher ein offener Straßenseitengraben vorhanden gewesen. Das von Beklagtenseite genannte Gutachten vom 24. September 2021 fuße auf einem Untersuchungsbericht von … vom 13. August 2018, dessen Ergebnis bestritten werde. An der S.-Straße seien immer wieder Ausbesserungsarbeiten durchgeführt worden. Außerdem seien Kanäle verlegt worden, sodass infrage gestellt werde, inwieweit die Aufschlüsse aussagekräftig gewesen seien. Es könne durchaus sein, dass an den betreffenden Stellen nachträglich in den Straßenunterbau eingegriffen worden sei. Man müsse auch berücksichtigen, dass sich der Unterbau der Straße durch die langjährige Benutzung verdichtet habe, so dass im Jahr 1961 zumindest an den Aufschlüssen RKS 4 und RKS 5 eine ungebundene Tragschicht mit einer Stärke von 15 cm gemäß den Richtlinien vorhanden gewesen sei. Letztlich komme es allerdings auf die Aussagen des …-Gutachtens nicht an. Der Gutachter bestätige nämlich, dass die Straßendecke durchgängig mit einer Deckschicht von 5 cm asphaltiert gewesen sei, was der vom Gutachter zitierten Richtlinie aus dem Jahr 1956 genüge. Einen 15 cm dicken Unterbau habe die Straße aber nach der Erschließungsbeitragssatzung vom 23. Juni 1961 nicht benötigt. Auch eine ausreichende Beleuchtung sei vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes bereits vorhanden gewesen.
14
Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2023 wurde im Verfahren B 4 K 21.282 vom Prozessbevollmächtigten des Klägers ergänzt, der von Beklagtenseite vorgelegte Untersuchungsbericht des Ingenieurbüros … vom 13. August 2018 bringe keinen Erkenntnisgewinn für die Frage der Ersterschließung. Den Rückschlüssen, die von der … GmbH gezogen würden, könne von Seiten des Klägers nicht gefolgt werden. Die Bohrungen seien großenteils am Rand der Straße gesetzt, wo der Unterbau möglicherweise ausgelaufen und damit dünner gewesen sei. Dass die Straße vor 1961 als Straße mit schwachem, maximal mittlerem Verkehr klassifiziert worden sei, treffe sicherlich zu. Jedenfalls habe der bituminöse Straßenbau über viele Jahrzehnte bis zum Ausbau im Jahr 2019/2020 dem zunehmenden Verkehr genügt.
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Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten teilte mit Schriftsatz vom 3. August 2023 mit, maßgeblich für die Beurteilung, ob es sich bei einer Straße um eine vorhandene Erschließungsanlage im Sinne des Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG handele, sei der Zeitpunkt, in dem die Straße Erschließungsfunktion erlangt habe. Auch wenn vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes die bauplanungsrechtlichen Begriffe „Innenbereich“ und „Außenbereich“ nicht existiert hätten, bilde der Begriff einer bauplanungsrechtlichen Innenbereichslage ein sachgerechtes Kriterium. Aus den von der Beklagten mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2021 vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass die S.-Straße erst nach 1961 Erschließungsfunktion erlangt habe. Keinesfalls habe die Straße vor 1950 Anbaubestimmung besessen. Eine Bebaubarkeit der Grundstücke ergebe sich auch nicht aus Baulinienplänen. Richtig sei zwar, dass es im Jahr 1956 den Entwurf eines Baulinienplans gegeben habe, welcher vom Stadtrat grundsätzlich gebilligt worden sei. Ein Verfahren zum Erlass eines Baulinienplans sei nachfolgend jedoch nicht durchgeführt worden. Der Baulinienplan sei mithin nicht rechtsverbindlich geworden. Eine Überplanung sei erst mit dem Bebauungsplan Nr. 9 im Jahr 2000 erfolgt. Hierzu werde auf einen Aktenvermerk des Stadtplanungsamtes zur planungsrechtlichen Situation bis zum Jahr 2000 verwiesen (Anlage B 10).
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Die von Klägerseite vorgelegten Fotos bestätigten, dass die Straße über keine Entwässerungseinrichtungen verfügt habe, über die das Niederschlagswasser gezielt abgeleitet worden sei. Insbesondere dem Foto auf Seite 6 des Schriftsatzes könne entnommen werden, dass das Oberflächenwasser der Straße in Privatgrundstücke abgelaufen sei. Ergänzend würden verschiedene Fotos zum früheren Straßenzustand (Anlage B 11) vorgelegt, denen entnommen werden könne, dass das Oberflächenwasser der Straße nicht ordnungsgemäß einer Entwässerungseinrichtung zugeführt worden sei. Wie vorgetragen, seien die Aufbaudicken des Straßenoberbaus auch in den 1950er und 1960er Jahren für eine funktionsgerechte Straße nicht ausreichend gewesen. Hierzu werde auf die Stellungnahme der Abteilung Straßen- und Brückenbau des … Service vom 28. Februar 2023 (Anlage B 12) sowie auf die beigefügte Stellungnahme des … Service vom 2. August 2023 (Anlage B 13) verwiesen. Im Übrigen hätten die erforderlichen Befestigungen an den Straßenkanten gefehlt. Ob seinerseits eine funktionsgerechte Beleuchtung vorhanden gewesen sei, bedürfe angesichts der fehlenden Straßenentwässerung sowie des nicht funktionsgerechten Straßenoberbaus keiner Klärung. Ob eine vorhandene Erschließungsanlage im Sinne des Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG vorliege, sei objektivrechtlich zu beurteilen. Auf frühere Annahmen einer Kommune komme es nicht an. Selbst Bekanntmachungen von Gemeinden zu bereits hergestellten Erschließungsanlagen gemäß § 133 Abs. 4 Satz 2 BBauG hätten keine rechtsbegründende Wirkung.
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Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 24. Oktober 2023 Bezug genommen. Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten in diesem Verfahren sowie im Verfahren B 4 K 21.282 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
18
Die Klagen sind zulässig und begründet. Die Ziffern 1 der Beitragsbescheide der Beklagten vom 22. Februar 2022 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
19
Rechtsgrundlage der Ziffern 1 der streitgegenständlichen Beitragsbescheide ist Art. 5a, Art. 2 Abs. 1 KAG, §§ 127 ff. BauGB i.V.m. EBS 2020. Nach Art. 5a Abs. 1 KAG erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die Herstellung von Erschließungsanlagen (Art. 5a Abs. 2 KAG) einen Erschließungsbeitrag.
20
1. Die Erhebung eines Erschließungsbeitrags ist hier nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei dem streitgegenständlichen Teilstück der S.-Straße um eine sog. historische Straße handelt.
21
Gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG kann für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, kein Erschließungsbeitrag erhoben werden. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs liegt eine vorhandene (historische) Straße im Sinne von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG vor‚ wenn eine Straße zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck – nach den damaligen rechtlichen Anforderungen – endgültig hergestellt war (vgl. BayVGH‚ B.v. 18.8.2017 – 6 ZB 17.840 – juris Rn. 13; B.v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 19.1.2015 – 6 ZB 13.1548 – juris Rn. 6; B.v. 21.11.2013 – 6 ZB 11.2973 – juris Rn. 7).
22
Die streitgegenständliche Straße besaß in der Zeit bis zum 30. Juni 1961 keine Erschließungsfunktion und war mithin nicht als sog. A.straße zu qualifizieren.
23
Eine selbständige öffentliche Verkehrsanlage ist „zum Anbau bestimmt“ (im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, Art. 5a Abs. 2 KAG), wenn und soweit sie die anliegenden Grundstücke nach Maßgabe der §§ 30 ff. BauGB bebaubar oder in sonstiger nach § 133 Abs. 1 BauGB beachtlicher Weise nutzbar macht (BayVGH, U.v. 19.10.2017 – 6 B 17.189 – juris Rn. 21).
24
a) Dies wäre ohne Weiteres der Fall, wenn die Straße – ähnlich einer in einem Bebauungsplan festgesetzten Erschließungsstraße – durch einen Baulinienplan von vornherein, also auch schon vor ihrer Errichtung, zur Erschließung vorgesehen war (vgl. BayVGH, U.v. 6.4.2000 – 6 B 96.56 – juris Rn. 19).
25
Hier lag zum maßgeblichen Zeitpunkt weder ein Bebauungsplan noch ein rechtskräftiger Baulinienplan für die streitgegenständliche Straße vor. Zwar ist der von Klägerseite vorgelegten Anlage K 11 zu entnehmen, dass für die S.-Straße 1897 eine Baulinie „festgestellt bzw. projektiert“ wurde. Ebenso findet sich in der Anlage K 14 der Betreff „Baulinie 9 A an der S.-Straße“. Allerdings waren diesem Schreiben als Anlage lediglich zwei entsprechende Baulinienentwürfe zugefügt und auch in der Anlage K 24 ist nur von einem „Entwurf der Baulinie 9 A (…)“ die Rede. Wie von Beklagtenseite durch Vorlage des Aktenvermerks des Stadtplanungsamtes zur planungsrechtlichen Situation bis zum Jahre 2000 (Anlage B 10) sowie nochmals in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurde, ist keine rechtskräftige Festsetzung einer Baulinie erfolgt, auch wenn man sich bei der Bebauung an den diesbezüglichen Entwürfen orientiert haben mag. Ausweislich des Plans vom 16. Juni 1952 (Anlage B 2) grenzte an die S.-Straße auf Höhe der Villa … südlich und in südwestliche Richtung nördlich ein Landschaftsschutzgebiet an.
26
b) In unbeplanten Gebieten erhält eine Straße erst dann die Funktion einer Erschließungsanlage, wenn an ihr eine gehäufte Bebauung einsetzt, das heißt – zumindest für eine Straßenseite – bauplanungsrechtlich Innenbereichslage im Sinne von § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB zu bejahen ist. Das verlangt, dass die maßgeblichen Grundstücke in einem Bebauungszusammenhang liegen, der einem Ortsteil angehört (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2016 – 6 CS 16.1033 – juris Rn. 9; B.v. 18.8.2017 – 6 ZB 17.840 – juris Rn. 15; B.v. 21.11.2013 – 6 ZB 11.2973 – juris Rn. 7; U.v. 22.7.2010 – 6 B 09.584 – juris Rn. 37 m.w.N.).
27
aa) Ausschlaggebend für das Vorliegen eines Bebauungszusammenhangs im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist, ob und inwieweit eine tatsächlich aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck einer Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt; wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Bewertung des im Einzelfall vorliegenden konkreten Sachverhalts zu entscheiden (vgl. BVerwG, B.v. 1.9.2010 – 4 B 21.10 – juris Rn. 5 m.w.N.; BayVGH, B.v. 9.8.2016 – 6 CS 16.1032 – juris Rn. 9 m.w.N.).
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Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Das gewisse Gewicht einer Bebauung ist einzelfallabhängig nach den siedlungsstrukturellen Gegebenheiten im Gebiet der jeweiligen Gemeinde zu bestimmen. Das Merkmal der organischen Siedlungsstruktur ist gegeben, wenn sich die Bebauung in einer der Siedlungsstruktur angemessenen Weise innerhalb des gegebenen Bereichs fortentwickelt und ein nach der Zahl seiner Bauten nicht nur ungewichtiger Bebauungszusammenhang vorliegt (vgl. BVerwG, U.v. 6.11.1968 – IV C 31.66 – BverwGE 31, 22/26 f.; BVerwG, B.v. 17.3.2015 – 4 B 45.14 – juris).
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bb) Gemessen an diesem Maßstab ist vorliegend für die Zeit bis zum 30. Juni 1961 keine bauplanungsrechtliche Innenbereichslage anzunehmen. Aus der von Klägerseite im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten historischen Karte der Jahre 1885/1886 (Anlage K 10) ergibt sich zwar, dass die S.-Straße schon damals vom „Bürgerspital“ in südwestliche Richtung stadtauswärts Richtung … Wald führte. Auch belegen die weiter von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen, etwa der Bericht über die Bautätigkeit in der Stadt … (Anlage K 11), dass bereits Ende des 19. Jahrhunderts eine Bautätigkeit an der S.-Straße einsetzte. Diese wurde im 20. Jahrhundert fortgesetzt, wie den weiter vorgelegten Karten (Anlagen B 2 und B 5) und Lichtbildern (Anlagen K 2 und B 1) sowie anderen Unterlagen (z.B. Anlage B 9 und Anlagen K 18 bis K 21) zu entnehmen ist. Allerdings entwickelte sich die Bebauung an der S.-Straße nicht dergestalt, dass bis zum maßgeblichen Zeitpunkt ein Bebauungszusammenhang im oben beschriebenen Sinne anzunehmen war. Dies ergibt sich insbesondere aus dem als Anlage B 3 vorgelegten Plan, der den Gebäudebestand in der S.-Straße um 1961 wiedergibt. Demnach befanden sich nördlicher Seite des streitgegenständlichen Abschnitts sieben Gebäude, auf südlicher Seite zwei, allenfalls drei Gebäude sowie mit Abstand zur Straße die Villa … und das …schlösschen. Angesichts der zahlreichen, auch größeren Baulücken wird selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Bebauung villenartig auf verhältnismäßig großen Grundstücken erfolgte, auf keiner Seite der Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Auf nördlicher Seite befand sich zwischen dem Gebäude an der Einmündung A.straße und dem darauf folgenden Gebäude ein Abstand von ca. 150 m. Auch die anschließende Bebauung erfolgte nicht zusammenhängend, sondern eher vereinzelt und insgesamt ungewichtig. Die beiden damals bereits errichteten Gebäude im südlichen Bereich lagen etwa in der Mitte des streitgegenständlichen Abschnitts ohne jeglichen Bezug zur umliegenden Bebauung. Eine Fortentwicklung oder gar bandartige Erweiterung der vorhandenen Bebauung ist damit weder auf der nördlichen noch auf der südlichen Seite erkennbar. Die Bebauung kam mithin weniger einem Ortsteil als vielmehr einer Splittersiedlung gleich.
30
Mangels Erschließungsfunktion der streitgegenständlichen Straße bis zum 30. Juni 1961 kann die Frage, ob die abgerechnete Anlage für diesen Zweck – nach den damaligen rechtlichen Anforderungen – endgültig hergestellt war, vorliegend dahinstehen. Jedenfalls ist rechtlich unerheblich, ob die Beklagte selbst die Straße als zum damaligen Zeitpunkt bereits endgültig hergestellt betrachtet hat, was die Klägerseite durch die Vorlage zahlreicher Dokumente zu belegen versucht. Denn maßgeblich ist nicht die subjektive Einschätzung, sondern die Erfüllung der objektiven Kriterien der erstmaligen Herstellung gemäß der geltenden Erschließungsbeitragssatzung. Insoweit kann kein schützenswertes Vertrauen in die Rechtsauffassung der Beklagten entstehen (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2006 – 6 ZB 03.2961 – juris Rn. 10).
31
2. Dass die streitgegenständliche Straße „in den Jahren nach 1961“ Erschließungsfunktion erlangt hat, entspricht dem Vortrag der Beklagten und ergibt sich auch aus den im Verfahren vorgelegten Unterlagen. Heranzuziehen ist hier – mangels Vorliegens eines rechtskräftigen Bebauungsplans oder Baulinienplans auch für diesen Zeitraum – insbesondere der Plan, der die tatsächlich vorhandene Bebauung in der S.-Straße zwischen 1965 und 1979 veranschaulicht (Bl. 6 der Abrechnungsakte). Trotz teilweise immer noch bestehender Baulücken vermittelt die Bebauung in diesem Zeitraum erstmalig sowohl auf der nördlichen Seite der Straße als auch südlich den Eindruck von Zusammengehörigkeit und Geschlossenheit. Bauplanungsrechtlich ist mithin mangels genauer zeitlicher Darstellung und anderweitiger Erkenntnisse spätestens seit 1979 von einer Innenbereichslage im Sinne von § 34 Abs. 1 BBauG/BauGB auszugehen. Allerdings scheitert die Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts vorliegend daran, dass es der Beklagten nicht gelang, zur Überzeugung des Gerichts darzulegen, dass sie den streitgegenständlichen Abschnitt der S.-Straße durch die nun abgerechneten Baumaßnahmen erstmalig endgültig hergestellt hat.
32
Erhebt eine Gemeinde für eine nach Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes an einer Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 BBauG/BauGB durchgeführte Ausbaumaßnahme Erschließungsbeiträge, hat sie darzutun, dass erst und gerade diese Maßnahme die vorher noch unfertige Anlage erstmalig hergestellt hat. Die „Erstmaligkeit“ der Herstellung gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen; sie ist Rechtmäßigkeitsvoraussetzung des Heranziehungsbescheids, und das schließt begrifflich ein, dass die Erschließungsanlage nicht schon vorher endgültig fertiggestellt war. Die Beklagte trifft also die materielle Beweislast für alle Tatsachen, die im Zusammenhang damit stehen, ob der Ausbauzustand der streitgegenständlichen Straße eine ihren erkennbaren Ausbauabsichten entsprechende erstmalige Herstellung darstellte (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.1988 – 8 C 72/87 – juris Rn. 17 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 31.8.2022 – 9 LA 234/21 – juris Rn. 25).
33
Hier begründete die Beklagte die Erstmaligkeit der Herstellung der Erschließungsanlage in den streitgegenständlichen Bescheiden insbesondere damit, dass vor den nun abgerechneten Baumaßnahmen keine Straßenentwässerung sowie außerdem kein regelrechter Straßenunterbau und keine Gehwege vorhanden gewesen seien.
34
a) Die Darlegungen der Beklagten zum Nichtvorhandensein einer dem satzungsmäßigen Teileinrichtungsprogramm entsprechenden Straßenentwässerung in den Jahren nach 1961 – einschließlich des hinsichtlich der Erlangung der Erschließungsfunktion wohl maßgeblichen Jahres 1979 – überzeugen jedoch nicht.
35
aa) Dabei kann der genaue Zeitpunkt der Erlangung der Erschließungsfunktion und damit auch die Frage, welche Erschließungsbeitragssatzung konkret zugrunde zu legen ist, dahinstehen, da eine Straßenentwässerung im relevanten Zeitraum stets zu den satzungsgemäßen Merkmalen der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage gehört hat. So findet sich in § 11 Abs. 1 EBS 1961 i.d.F. vom 1. Januar 1966 die Formulierung „mit Entwässerungs(…)einrichtungen versehen“ und § 12 Abs. 1 Nr. 2 der Satzung über die Erhebung des Erschließungsbeitrages der Stadt … vom 1. Februar 1979 (EBS 1979) spricht von einer „betriebsfertige(n) Straßenentwässerung“. Dass in der Satzung keine bestimmten Merkmale für eine ausreichende Straßenentwässerung genannt werden, ist unschädlich (BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 9).
36
Eine Straßenentwässerung stellt schon begrifflich eine technisch abgrenzbare Teileinrichtung dar, das bloße Abfließen des Regenwassers aufgrund einer Straßenwölbung oder -neigung genügt hierfür nicht. Dies gilt erst recht, wenn wegen des ungezielten („wilden“) Abfließens des Oberflächenwassers für die Entwässerung notwendig Privatgrundstücke in Anspruch genommen werden müssen und die Beklagte sich dadurch möglichen Abwehransprüchen der Anlieger, die diese Beeinträchtigung ihres Privateigentums nicht hinzunehmen haben, aussetzt (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 8 f. und B.v. 6.3.2006 – 6 ZB 03.2961 – juris Rn. 8 f.). Erforderlich sind vielmehr Entwässerungsleiteinrichtungen wie Randsteine oder Rinnen, durch die das Oberflächenwasser gezielt und ohne Inanspruchnahme von Privateigentum abgeleitet wird (BayVGH, U.v. 5.11.2007 – 6 B 05.2551 – juris Rn. 33; VG München, U.v. 29.10.2019 – M 28 K 16.4687 – BeckRS 2019, 28964 Rn. 31 ff. und U.v. 12.5.2015 – M 2 K 14.4608 – juris Rn. 31 jeweils m.w.N.). Für die Betrachtung spielen der innerörtliche Anbau und Verkehr der Straße eine Rolle, gewisse Mindestanforderungen sind aber allgemein zu stellen, wie z.B. die Existenz einer – wenn auch primitiven – Straßenentwässerung, die beispielsweise über offene Gräben ihre Aufgabe zur Beseitigung des Niederschlagswassers von der Straßenfläche zu erfüllen in der Lage war (BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 7; so auch OVG Saarl, U.v. 11.1.2010 – 1 A 7/09 – juris Rn. 95: Graben als primitive Straßenentwässerung).
37
Ist eine (Teil-)Einrichtung einer Erschließungsanlage einmal fertiggestellt, kann sie aus erschließungsbeitragsrechtlicher Sicht nicht wieder in den Zustand der Unfertigkeit zurückversetzt werden (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2010 – 9 C 1.09 – juris Rn. 17 und U.v. 29.11.1985 – 8 C 59/84 – juris Rn. 11). Deshalb müssen nachträgliche Beschädigungen von einmal fertiggestellten Einrichtungen von vornherein außer Betracht bleiben (BayVGH, U.v. 19.8.2021 – 6 B 21.797 – juris Rn. 29).
38
bb) Gemessen hieran spricht nach Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Örtlichkeit vorliegend viel dafür, dass eine dem damaligen satzungsmäßigen Teileinrichtungsprogramm entsprechende Straßenentwässerung bereits vorhanden gewesen war, als der streitgegenständliche Abschnitt der S.-Straße Erschließungsfunktion erlangt hat. Nach dem schriftsätzlichen Vortrag der Klägerseite verfügte die Straße bereits in den 1950er Jahren über beidseitig offene Straßengräben, in die das auf die Straßenoberfläche niedergehende Regenwasser gezielt abgeleitet wurde. Belegt wird dies unter anderem durch einen Aktenvermerk der Stadtbaudirektion … vom 18. April 1958 (Anlage K 3), wonach der Graben, der im vorstehenden Schreiben als „eingedrückt“ bezeichnet worden war, gerichtet wurde. Weiter wurde ein Kanalisationsplan aus dem Jahr 1957 vorgelegt, in dem ein Mischwasserkanal zur Aufnahme des Niederschlagswassers von den Grundstücken und von der Straße (Einlaufschächte) bzw. aus den straßenseitigen Gräben eingezeichnet ist (Anlage K 7). Auch in der mündlichen Verhandlung wurde von Seiten des Klägers zu 1 im Verfahren B 4 K 21.282 ausgeführt, dass schon vor 1961 eine funktionsfähige Straßenentwässerung mit offenen, teils befestigten Gräben und einer teilweisen Verrohrung vorgelegen habe. Der Beklagtenbevollmächtigte entgegnete hier, dass die damals vorhandenen Straßengräben nicht ausreichend gewesen seien, um anfallendes Niederschlagswasser abzuleiten. Diesbezüglich wies der Kläger zu 1 im Verfahren B 4 K 21.282 darauf hin, dass die Straßenentwässerungsgräben ursprünglich ausreichend und in einwandfreiem Zustand vorhanden gewesen seien. Im Zuge des Ausbaus des Klinikums a. ... b. in den 1980er Jahren sei es aber durch den Schwerlastverkehr, insbesondere den Begegnungsverkehr, zu den bis zum Jahr 2019 vorhandenen Schäden und Verdrückungen an den Gräben und dem Straßenbankett gekommen.
39
Diesem Vortrag der Klägerseite, der nachträgliche Beschädigungen einer ursprünglich vorhandenen satzungsgemäßen Straßenentwässerungseinrichtung zum Gegenstand hat, ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Soweit die Beklagte auf die Lichtbilder in den Anlagen B 6 und B 11 verwies, woraus sich ergeben solle, dass das Oberflächenwasser streckenweise in das Bankett und in anliegende Grundstücke abgelaufen bzw. nicht ordnungsgemäß einer Entwässerungseinrichtung zugeführt worden sei, und der Beklagtenvertreter zu den Straßengräben in der mündlichen Verhandlung ausführte, dass es sich hier lediglich um ein entlang der Straße laufendes „Gerinne“ gehandelt habe, ist dies nicht geeignet, die Behauptung von Klägerseite zum Zustand der Straßenentwässerung bis in die 1980er Jahre zu widerlegen. Sowohl die Lichtbilder als auch die Beschreibung der Straßengräben beziehen sich nämlich nicht auf den maßgeblichen Zeitraum, sondern auf einen Zustand zumindest in zeitlicher Nähe zu den nun abgerechneten Baumaßnahmen. Der Klägerbevollmächtigte trug hinsichtlich des rechten Lichtbildes der Anlage B 6 mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2021 sogar vor, es sei erst aufgenommen worden, nachdem der Straßenbelag bei den nun von der Beklagten abgerechneten Bauarbeiten gefräst worden wäre. Weiter zeigen die Bilder deutliche Risse im Straßenbelag sowie Absenkungen am Straßenrand und teils offene, bewachsene Spalten, bei denen es sich unzweifelhaft um Schäden und nicht um den ursprünglich hergestellten Zustand handelt. Gleichermaßen sind die vorgetragenen Beanstandungen der Anlieger, wie etwa die Beschwerde E-Mail des Klägers zu 1 im Verfahren B 4 K 21.282 (Anlage B 7) nicht geeignet, die Behauptungen von Klägerseite zu erschüttern. Schließlich knüpfen auch sie an den Zustand nach den 1980er Jahren, im Fall der genannten E-Mail in Zusammenhang mit einem Starkregenereignis im Mai 2018, an, wie von Klägerseite in der mündlichen Verhandlung nochmals bestätigt wurde. Bei solchen Starkregenereignissen sei es mehrfach dazu gekommen, dass Niederschlagswasser in private Grundstücke gelaufen sei. Deswegen habe sich der Kläger zu 1 im Verfahren B 4 K 21.282 an die Beklagte gewandt und angeregt, die Straßengräben auszubaggern. Auf Frage des Gerichts führte er allerdings weiter aus, dass nach seiner Erinnerung vor dem Ausbau des Klinikums und den dadurch bedingten Schwerlastverkehr Probleme mit Niederschlagswasser, das in Privatgrundstücke geflossen sei, nicht bestanden hätten. Dies wurde von Beklagtenseite bestätigt und weiter erklärt, dass im Abschnitt zwischen den Einmündungen A.straße und der Zufahrt zur Villa … wohl um das Jahr 2000 Maßnahmen zur Verbesserung der Entwässerung durchgeführt worden seien. Es sei damals eine Befestigung der Entwässerungsrinne angelegt und die Straße neu asphaltiert worden. Damit stellt der Beklagtenvertreter in den Raum, dass die Entwässerung bereits vor dem Jahr 2000 in Teilen sogar über eine „Rinne“ erfolgt sei, die in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs als mögliche Entwässerungsleiteinrichtung genannt wird (vgl. U.v. 5.11.2007 – 6 B 05.2551 – juris Rn. 33). Die Aufzählung von „Randsteinen oder Rinnen“ kann jedoch schon nach dem Wortlaut („wie“) keinesfalls als abschließend verstanden werden, solange die übrigen Erfordernisse erfüllt sind. Das Vorhandensein einer technisch abgrenzbaren Teileinrichtung kann auch in anderen Fällen angenommen werden, in denen – wie hier – andere abgrenzende Ausgestaltungselemente beispielsweise in Form von Verrohrungen, eines Mindestmaßes an Befestigung der Einrichtung oder sonstigen Veränderungen der Boden- und Neigungsverhältnisse am Fahrbahnrand vorgefunden werden, die geeignet sind, das Niederschlagswasser aufzunehmen und abzuleiten. Auch in Anbetracht des nahezu durchgehenden Gefälles der Straße sowie unter Hinzuziehung des Kanalisationsplans aus dem Jahr 1957 (Anlage K 7) ist der Vortrag, dass die vorhandene Entwässerungseinrichtung ausreichend gewesen sei, das Niederschlagswasser aufzunehmen und zudem abzuleiten, nachvollziehbar. Unter Berücksichtigung des Vorstehenden war ein Abfließen des Oberflächenwassers aufgrund einer Straßenwölbung oder -neigung ins bloße Bankett auszuschließen. Dass bis in die 1980er Jahre zum Abfließen des Oberflächenwassers der streitgegenständlichen Straße Privatgrundstücke in Anspruch genommen worden seien, wurde jedenfalls selbst von Beklagtenseite nicht vorgetragen. Vielmehr stimmten die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung darin überein, dass jedenfalls der Bereich des Straßengrabens noch Bestandteil des Straßengrundstücks sei. Mithin ist davon auszugehen, dass spätestens seit den Jahren nach 1961 bis jedenfalls in die 1980er Jahre – und damit auch im hier als maßgeblich heranzuziehenden Zeitpunkt der Erlangung der Erschließungsfunktion – ein gezieltes Abfließen des auf der Straße anfallenden Niederschlagswassers durch Entwässerungsleiteinrichtungen ohne die Inanspruchnahme von Privateigentum erfolgen konnte.
40
b) Der Beklagten ist es auch nicht hinsichtlich des Straßenaufbaus gelungen, die Erstmaligkeit der Herstellung des streitgegenständlichen Abschnitts der S.-Straße zur Überzeugung des Gerichts darzulegen.
41
aa) In Bezug auf den Straßenaufbau nennt § 11 Abs. 1 Nr. 1 EBS 1961 i.d.F. vom 1. Januar 1966 als Merkmal der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage eine „Asphalt-, Teer-, Beton- oder ähnliche Decke neuzeitlicher Bauweise mit dem technisch notwenigen Unterbau“. Ähnlich fordert § 12 Abs. 1 Nr. 1 EBS 1979 „eine Pflasterung, eine Asphalt-, Beton- oder ähnliche Decke neuzeitlicher Bauweise mit dem technisch notwendigen Unterbau“.
42
Eine Merkmalsregelung, die neben einer Befestigung aus Platten, Pflaster, Asphalt, Teer und Beton auch eine Befestigung aus einem ähnlichen Material neuzeitlicher Bauweise vorsieht, ist hinreichend bestimmt, da in aller Regel ohne weiteres ersichtlich ist, ob ein zur Herstellung der Straße verwendetes ähnliches Material den genannten Materialien nach Substanz und Funktion gleichartig ist (vgl. BVerwG, B.v. 4.9.1980 – 4 B 119.80, 4 B 120.80 – juris Rn. 12). Mit „ähnliches Material neuzeitlicher Bauweise“ ist ein solches gemeint, das den namentlich aufgeführten Befestigungen aus Platten, Pflaster, Asphalt, Teer und Beton vergleichbar ist (vgl. VGH BW, U.v. 26.6.2012 – 2 S 3258/11 – juris Rn. 27).
43
Dem Straßenunterbau kommt allerdings für die Frage der endgültigen Herstellung keine eigenständige Bedeutung zu, auch wenn die Satzung dies regelt (BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 6 ZB 13.978 – juris Rn. 18). Herstellungsmerkmale sollen es nach dem Gesetzeszweck den Beitragspflichtigen ermöglichen, durch einen Vergleich des satzungsmäßig festgelegten Bauprogramms mit dem tatsächlichen Zustand, in dem sich die gebaute Anlage befindet, ein Bild darüber zu verschaffen, ob die Anlage endgültig hergestellt ist oder nicht. Mit dieser auf Laien abstellenden Zielrichtung wäre es von vornherein nicht zu vereinbaren, das Merkmal „technisch notwendiger Unterbau“ in dem Sinn zu verstehen, dass es um die Beachtung technischer Regelwerke ginge. Entscheidend kann allenfalls sein, dass irgendein künstlich hergestellter Unterbau unterhalb der Oberflächenbefestigung vorhanden ist (BayVGH, B.v. 3.8.1999 – 6 ZB 99.1102 – juris Rn. 4). Eine Merkmalsregelung, die hinsichtlich der Oberflächenbefestigung oder gar des Unterbaus auf in technischen Regelwerken vorgegebene Ausbaustandards Bezug nimmt, würde demgegenüber erheblichen Bedenken begegnen; eine solche Einschränkung wäre für die beitragspflichtigen Anlieger intransparent und würde zu einer unangemessenen Risikoverlagerung zu ihren Lasten führen (vgl. BVerwG, U.v. 15.5.2013 – 9 C 3.12 – BayVBl 2014, 181 Rn. 17). Eine etwa mängelbehaftete Ausführung der technischen Baumaßnahme berührt nur Gewährleistungsansprüche der Gemeinde gegenüber dem Bauunternehmer und damit unter Umständen die Höhe des beitragsfähigen Erschließungsaufwands, nicht aber die Frage, ob die satzungsmäßigen Herstellungsmerkmale erfüllt sind. Die endgültige Herstellung wäre nur dann zu verneinen, wenn die Mängel die Gebrauchstauglichkeit der Erschließungsanlage ausschlössen (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.1999 – 6 ZB 99.1102 – juris Rn. 6; OVG NRW, U.v. 29.11.1996 – 3 A 2373/93 – NWVBl 1997, 424).
44
bb) Zur Begründung des aus ihrer Sicht nicht anforderungsgerechten Straßenaufbaus stützte sich die Beklagte im Wesentlichen auf die gutachterliche Stellungnahme der … GmbH vom 24. September 2021 (Anlage B 8). Auf die darin zitierten technischen Vorschriften und Richtlinien kommt es nach dem obigen Maßstab aber nicht entscheidungserheblich an, zumal sie sich ausschließlich auf das Jahr 1961 beziehen. Jedenfalls geht auch das genannte Gutachten davon aus, dass der bituminöse Straßenaufbau bereits im Jahr 1961 in einer Dicke von 5 cm – wie es die technischen Vorschriften und Richtlinien vorsahen – vorhanden gewesen war. Dies wurde einem Aktenvermerk des Straßenverkehrsaufsichtsamts vom 8. März 1960 (Anlage K 4) entnommen, wonach in der S.-Straße die „Makadamdecke in zwei Lagen zu je 2,5 cm Stärke mit Bitumenmischgut abgestufter Körnung“ wieder fachgerecht zu schließen sei. Dass es sich bei der im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlangung der Erschließungsfunktion im streitgegenständlichen Abschnitt der S.-Straße vorhandenen Straßendecke um keine den Anforderungen aus § 11 Abs. 1 Nr. 1 EBS 1961 i.d.F. vom 1. Januar 1966 bzw. § 12 Abs. 1 Nr. 1 EBS 1979 entsprechende Straßendecke handelte, wurde nicht dargetan. Vielmehr spricht die Aussage in der Stellungnahme des … Service vom 2. August 2023 (Anlage B 13), dass ungefähr in den 1930er Jahren das Bedürfnis nach einer weniger holprigen Belagsoberfläche gestiegen sei und der städtische Bauhof dünnlagigen Teer – oder später Asphalt – auf den vorhandenen Schroppenbelag sowie später in regelmäßigen Abständen weitere dünne Asphaltschichten aufgebracht habe, für das Vorhandensein einer satzungsgemäßen Straßendecke. Auch die Stellungnahme des … Service vom 28. Februar 2023 (Anlage B 12) führt hier zu keinem anderen Ergebnis, da sie sich im Wesentlichen auf die Anforderungen der Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaues von Verkehrsanlagen (RSto 12) bezieht, die jedoch für die hier anstehende Beurteilung nicht entscheidend heranzuziehen sind.
45
Im genannten Aktenvermerk vom 8. März 1960 (Anlage K 4) wird weiter auf den Einbau von 20 cm Grundbau und darauf auszubreitendem sowie zu verdichtendem Grob- und Ausgleichsschotter verwiesen. Die gutachterliche Stellungnahme vom 24. September 2021 (Anlage B 8) bestätigt, dass der „Grundbau“ vergleichbar sei mit dem heutigen Untergrund bzw. Unterbau und nimmt Bezug auf die Ergebnisse des Untersuchungsberichts 01 von … vom 13. August 2018, wonach bei Erkundungsbohrungen im Jahr 2018 ungebundene Tragschichten zwischen 0 cm (RKS 1, 2, und 3) und 12 cm (RKS 5) festgestellt worden seien. Diesem Untersuchungsbericht ist jedoch auch zu entnehmen, dass der „ungebundene Oberbau“ (im Gegensatz zum „gebundenen Oberbau“), bestehend aus „Sandsteinschroppen bzw. Sandsteinpflaster (stark schluffig)“ sowie teilweise zusätzlich „Diabas-Schotter“, insgesamt eine Dicke zwischen 15 cm (RKS 2) und 41 cm (RKS 4) aufwies. Die Stellungnahme des … Service vom 2. August 2023 erläuterte hierzu, dass die S.-Straße selbst 2018 vollflächig nur aus Sandsteinschroppen einerseits („ungebundener Oberbau“) und historisch gewachsenen gebundenen Decken andererseits („gebundener Oberbau“) bestanden habe. Punktuell hätten Leistungseingriffe stattgefunden, die die gelegentlich angetroffenen Schotterlagen („Diabas-Schotter“) erklärten. Von Klägerseite wurde bezüglich des genannten Untersuchungsberichts entgegnet, dass die hierfür durchgeführten Bohrungen großenteils am Rand der Straße gesetzt worden seien, wo der Unterbau möglicherweise ausgelaufen und damit dünner gewesen sei. Außerdem seien an der S.-Straße immer wieder Ausbesserungsarbeiten durchgeführt und Kanäle verlegt worden, sodass infrage gestellt werde, inwieweit die Aufschlüsse aussagekräftig gewesen seien. Es könne durchaus sein, dass an den betreffenden Stellen nachträglich in den Straßenunterbau eingegriffen worden sei. Man müsse auch berücksichtigen, dass sich der Unterbau der Straße durch die langjährige Benutzung verdichtet habe.
46
Unabhängig davon, ob diesen Einwänden von Klägerseite zu folgen ist – was jedenfalls bezüglich der Vornahme von Ausbesserungsarbeiten aufgrund der Stellungnahme des … Service vom 2. August 2023 (Anlage B 13) der Fall sein dürfte – sprechen nach Überzeugung des Gerichts zumindest die dargestellten Ergebnisse des vorliegenden Untersuchungsberichts sowie die historischen Dokumente, vor allem die sich auf den Grundbau beziehenden Worte „wieder einzubauen“ im Aktenvermerk vom 8. März 1960 (Anlage K 4), dafür, dass auch im hier als maßgeblich heranzuziehenden Jahr der Erlangung der Erschließungsfunktion des streitgegenständlichen Straßenabschnitts irgendein künstlich hergestellter Unterbau unterhalb der Oberflächenbefestigung vorhanden gewesen war. Dem steht nicht entgegen, dass neben der gutachterlichen Stellungnahme vom 24. September 2021 (Anlage B 8) auch die Stellungnahme des … Service vom 2. August 2023 (Anlage B 13) zu dem Ergebnis kommt, dass die Straße weder 1961 noch 2018 die straßenbaufachlichen Anforderungen an eine funktionstaugliche Erschließungsstraße erfüllt habe. Schließlich waren im Jahr 2018 beinahe vierzig Jahre seit dem als maßgeblich zu betrachtenden Jahr der Erlangung der Erschließungsfunktion vergangen. Außerdem erfolgte die Beurteilung für das Jahr 1961 jeweils unter Bezugnahme auf die Anforderung einer Oberbaustärke von 18 cm, die jedoch wiederum dem in der gutachterlichen Stellungnahme vom 24. September 2021 (Anlage B 8) aufgeführten Regelwerk zum Straßenaufbau 1961 entspringt. Auf die Beachtung solcher technischer Regelwerke kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber gerade nicht abgestellt werden (vgl. BVerwG, U.v. 15.5.2013 – 9 C 3.12 – BayVBl 2014, 181 Rn. 17). Vielmehr sind die oben dargestellten vergleichsweise niedrigen Anforderungen an die Beschaffenheit des Unterbaus zu berücksichtigen. Dementsprechend hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die technischen Herstellungsmerkmale auch bei einer Setzpacklage als erfüllt angesehen, obwohl der Straßenaufbau den zum maßgeblichen Zeitpunkt üblichen technischen Regeln nicht entsprochen haben mochte (vgl. BayVGH, B.v. 13.6.2016 – 6 ZB 14.2404 – juris Rn. 9). Dass die Gebrauchstauglichkeit der Straße hier zu irgendeiner Zeit praktisch ausgeschlossen gewesen sei, wurde von der Beklagten jedenfalls nicht ausdrücklich vorgetragen und ist angesichts der Erklärung der Klägerseite, dass die Straße in den 1980er Jahren sogar von Schwerlastverkehr benutzt worden sei, zumindest für den davorliegenden Zeitraum auch nicht vorstellbar. In der Gesamtschau ist also im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlangung der Erschließungsfunktion den streitgegenständlichen Abschnitt der S.-Straße betreffend von einem dem satzungsmäßigen Teileinrichtungsprogramm entsprechenden Straßenaufbau auszugehen.
47
c) Gehwege waren in § 11 EBS 1961 i.d.F. vom 1. Januar 1966 und § 12 EBS 1979 schon nicht in generalisierender Weise im Teileirichtungsprogramm der Merkmalsregelung für Anbaustraßen festgelegt, sondern es sind lediglich die Ausbaumerkmale von Gehwegen und Grünanlagen als flächenmäßige Bestandteile einer A.straße benannt. Auf deren tatsächliches Vorhandensein kommt es für die Frage der Erstmaligkeit der Herstellung der streitgegenständlichen Erschließungsanlage deshalb nicht entscheidungserheblich an (vgl. Raden in: Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 11. Auflage 2022, § 19 Entstehen der sachlichen (Voll-)Beitragspflichten Rn. 4).
48
d) Weitergehend wurde die Erstmaligkeit der Herstellung der streitgegenständlichen Anlage von Beklagtenseite nicht begründet. Insbesondere stützte sie die Forderung von Erschließungsbeiträgen nicht darauf, dass der streitgegenständliche Abschnitt der S.-Straße über keine dem satzungsmäßigen Teileinrichtungsprogramm entsprechende Beleuchtung verfügt habe. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten ließ deren Vorhandensein im Schriftsatz vom 23. August 2023 dahingestellt. Wie sich aus der Begründung der streitgegenständlichen Bescheide ergibt, ging die Beklagte davon aus, dass die Straßenbeleuchtung „bereits lange vorhanden war“ und laut Auskunft der Stadtwerke … GmbH in den Jahren 1972 sowie 1981 erneuert worden sei. Von Klägerseite wurde hinsichtlich der Beleuchtung dies bestätigend vorgetragen, dass von der Einmündung A.straße bis zum …schlösschen in den 1950er bis 1960er Jahren vier bis fünf Straßenlaternen installiert gewesen seien. Später seien weitere dazugekommen, wie aus der vorgelegten Fotodokumentation (Anlage K 6) hervorgehe. Außerdem belegt der Straßenausbaubeitragsbescheid der Beklagten vom 27. Dezember 2005 (Anlage K 8), dass die Beleuchtungseinrichtung in der S.-Straße zwischen der Einmündung A.straße und der Einmündung der Straße vom …berg zur S.-Straße bei der S.-Straße … im Jahr 2001 von fünf auf sieben Leuchten erweitert wurde. All dies zugrunde gelegt, ist es folgerichtig, anzunehmen, dass eine dem satzungsmäßigen Teileinrichtungsprogramm entsprechende Beleuchtung im streitgegenständlichen Abschnitt der S.-Straße im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlangung der Erschließungsfunktion vorhanden gewesen war.
49
3. Da schon die für das erkennende Gericht im vorliegenden Einzelfall nicht hinreichende Darlegung der Erstmaligkeit der Herstellung der streitgegenständlichen Straße durch die Beklagte zur Rechtswidrigkeit der Erschließungsbeitragsforderung in den Ziffern 1 der streitgegenständlichen Bescheide führt, kommt es auf die weiter von Klägerseite geäußerten rechtlichen Bedenken nicht mehr entscheidungserheblich an. Mit der Rechtswidrigkeit der Ziffern 1 der streitgegenständlichen Bescheide geht auch eine Rechtsverletzung des Klägers einher (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sodass den Klagen im beantragten Umfang stattzugeben war.
II.
50
Die Beklagte trägt als unterliegender Teil gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens.
III.
51
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 709 Satz 2, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).