Titel:
Zum Verdienstausfallschaden im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall bei Abgabe einer Teilabfindungserklärung
Normenketten:
StVG § 7
BGB § 133, § 134, § 138, § 151 S. 1, § 157, § 242, § 313, § 362, § 823 Abs. 1
StGB § 229
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 308, § 322
GG Art. 1, Art. 2 Abs. 2, Art. 20, Art. 28
Leitsätze:
1. Grundsätzlich ist ein Klageantrag hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Anspruch durch Bezifferung oder gegenständliche Beschreibung so konkret bezeichnet, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) klar abgegrenzt ist, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennbar sind, das Risiko des Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abgewälzt und eine etwaige Zwangsvollstreckung nicht mit einer Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren belastet wird. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Auslegung von empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist zunächst vom Wortlaut der gesamten Erklärung auszugehen. In einem zweiten Schritt sind die außerhalb der Erklärung liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (ebenso BGH BeckRS 2000, 3748). Hierbei können insbesondere Äußerungen der Parteien über den Inhalt des Rechtsgeschäftes relevant sein. (Rn. 47 – 48) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt nur dann in Betracht, wenn eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit enthalten ist. Hierbei ist vorrangig das dispositive Recht und danach der hypothetische Parteiwille heranzuziehen. Hierbei darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht im Widerspruch zum tatsächlichen Parteiwillen oder Vertragsinhalt stehen und es darf nicht zu einer wesentlichen Erweiterung des Vertragsgegenstandes kommen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
4. Subjektive Geschäftsgrundlage sind die bei Abschluss des Vertrages zutage getretenen, dem anderen Teil erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei oder die gemeinsame Vorstellung beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut (ebenso BeckRS 2020, 33910). (Rn. 82) (redaktioneller Leitsatz)
5. Objektive Geschäftsgrundlage bilden diejenigen Umstände und allgemeinen Verhältnisse deren Vorhandensein oder Fortdauer objektiv erforderlich ist. (Rn. 83) (redaktioneller Leitsatz)
6. Im Verhältnis zwischen deliktischen und vertraglichen Ansprüchen herrscht der Grundsatz der Anspruchskonkurrenz. Eine Ausnahme ergibt sich dann, wenn durch das „Ausweichen“ auf einen Anspruch aus unerlaubter Handlung wegen desselben Sachverhaltes eine Vorschrift, welche die vertragliche Haftung regelt, in ihrem Zweck ausgehöhlt wird und eine die vertragliche Haftung abschließende Regelung unterlaufen wird. (Rn. 102 – 103) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vertragsauslegung, Geschäftsgrundlage, empfangsbedürftige Willenserklärungen, Anspruchskonkurrenz, Verkehrsunfall, Verdienstausfallschaden, Abgeltungsklausel, Inflation, Unternehmensberater, Karriereverlauf
Fundstelle:
BeckRS 2023, 46079
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 203.823,80 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall. Schwerpunktmäßig wird über die Höhe des Verdienstausfallschadens gestritten.
2
Am 22.06.2002 kam es zu einem Verkehrsunfall, der von einem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug allein verursacht worden ist. Der Kläger erlitt bei diesem Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades. Die Beklagte haftet dem Grunde nach für die Folgen dieses Unfalls.
3
Zum Unfallzeitpunkt befand sich der Kläger nach einem Hochschulabschluss zum Diplom-Kaufmann an der Universität D./E. im Promotionsstudium.
4
Der Kläger gab am 08.11.2007 eine Teil-Abfindungserklärung ab (K1). Danach verpflichtete sich die Beklagte zur Zahlung von 237.500,00 € unter grundsätzlicher Abgeltung aller Ansprüche im Zusammenhang mit dem Unfallereignis.
5
Von der Abgeltungsklausel war unter anderem der unfallbedingte Nettoverdienstschaden ab dem 01.01.2008 ausgenommen. In der Erklärung findet sich der Zusatz, dass der Nettoverdienstschaden auf Grundlage des Nachtragsgutachtens P. vom 19.04.2007 abzüglich 5% berufsbedingter Ersparnisse ersetzt wird.
6
Im Nachtragsgutachten wurde im Vergleich zum Ausgangsgutachten vom 27.02.2007 nur eine Neuberechnung hinsichtlich der Steuerklasse vorgenommen. Im Übrigen blieb es bei den Feststellungen des Ausgangsgutachten.
7
Im Vorfeld des Gutachtens wurde der Kläger vom Gutachter zu seinen beruflichen Zielen befragt. Weiter wurde eine Beurteilung des Tätigkeitsgebiets des Klägers durch Professor Dr. S. abgegeben.
8
Die konkreten Jahresbeträge wurden bis 2011 angegeben. Ab 2011 wurde ein Betrag von rund 45.000,00 € netto prognostiziert. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass gegebenenfalls für weitere Zeiträume ein der Inflation entsprechender Anstieg zu berücksichtigen ist.
9
Auf dieser Grundlage zahlte die Beklagte zunächst den Betrag in Höhe von 237.500,00 €.
10
Weiter zahlte die Beklagte monatlich Verdienstschaden, in den Jahren 2017 bis 2022 in Höhe von monatlich 2.926,99 € (K2).
11
Erstmals am 22.03.2013 bat der Kläger mittels anwaltlicher Schreiben um ein Anpassungsgutachten, damit höhere monatliche Beträge gezahlt werden.
12
In der Folgezeit kam es zu einem vermehrten Schriftverkehr, in welchem von beiden Seiten verschiedene Angebote zur Anpassung der künftigen Beiträge gemacht wurden. Es kam zu keiner Einigung.
13
Der Kläger beantragte ein selbstständiges Beweisverfahren vor dem Landgericht Duisburg (11 OH 330/20).
14
In diesem Verfahren wurde ein Gutachten D. zur Berechnung des Verdienstschadens in Auftrag gegeben. Dieses datierte auf den 16.05.2022.
15
Dem Gutachtensauftrag lag folgende zu beweisende Frage zugrunde:
16
1. Welcher Verdienst war für den Antragsteller ab 2017 bei unterstellter Promotion und Einstieg ab 2003 in die Berufskarriere in Unternehmens- und Technologieberatung zu erwarten?
17
In diesem Gutachten wurde davon ausgegangen, dass der Kläger eine berufliche Karriere in einer Unternehmens- bzw. Technologieberatung eingeschlagen hätte. Eine Exploration durch Befragung des Klägers – wie im Gutachten P. – erfolgte nicht.
18
Die Beklagte beauftragte das Büro Pa. mit einer Berechnung des Verdienstausfalls ab 01.01.2017. Das Gutachten Pa. datierte auf den 09.11.2022 (B1).
19
Die Beklagte überwies an den Kläger eine Vorschusszahlung in Höhe von 75.000 € (K5).
20
Weiter überwies die Beklagte zum 01.02.2023 auf Grundlage einer Berechnung einen weiteren Betrag in Höhe von 1.518,40 € (B3). Weiter erklärte die Beklagte, dass auf den Nettoverdienstschaden ab dem 01.03.2023 monatlich ein Betrag in Höhe von 3.307,03 € bezahlt wird (B3).
21
Im Schriftsatz vom 05.06.2022 erklärte die Beklagte, dass die Regulierung in den Folgejahren auf Grundlage des Gutachtens Pa. (B1) erhöht wird.
22
Der Kläger trägt vor, dass ihm ein höherer Verdienstschaden sowohl für die Jahre 2017 bis 2022 als auch für die Zukunft zustehen würde. Weiter meint der Kläger, dass – neben einer Anstellungstätigkeit – eine Tätigkeit in der Unternehmensberatung wahrscheinlicher gewesen wäre.
23
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Teilabfindungserklärung keinen Einfluss auf die Ansprüche des Klägers hat. Weiter ist der Kläger der Ansicht, dass die Ansprüche in Bezug auf den Verdienstausfall nach 2011 vom Gutachten P. nicht erfasst sind und deshalb nicht geregelt sind.
24
Mit Schriftsatz vom 20.12.2022 hat der Kläger den ursprünglichen Klageantrag zu 2) neu gefasst.
25
Mit Schriftsatz vom 07.06.2023 hat der Kläger den neuen Klageantrag zu 2.a) für in Höhe von 9.612,78 € für erledigt erklärt.
26
Der Kläger beantragt zuletzt,
1. a) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 96.710,28 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus 167.478,05 € vom 13.09.2022 – 11.11.2022
aus 2.998,62 € vom 03.09.2022 – 02.10.2022
aus 5.997,24 € vom 03.10.2022 – 07.11.2022
aus 8.995,86 € vom 03.11.2022 – 02.12.2022
aus 11.994,48 € vom 03.12.2022 – 02.01.2023 sowie aus 96.710,28 € seit dem 23.11.2022 und b) für alle seit 01.01.2017 über monatlich lfd. geleistete 2.926,99 € hinausgehenden Zahlungen auf Verdienstausfall anfallende Steuern und Sozialabgaben zu übernehmen.
2. a) die Beklagte wird verurteilt, monatlichen Nettoverdienstausfall an den Kläger zu zahlen
- vom 01.01.2023 bis zum 31.05.2023 iHv € 4.496,36,
- vom 01.06.2023 bis zum 30.04.2024 iHv € 4.804,49,
- ab 01.05.2024 monatlich laufend € 4.885,20,
abzüglich 9.612,78 € an bereits gezahltem Verdienstausfallschaden für den Zeitraum 01/23 bis 06/23.
b) die Beklagte wird verurteilt, eine Erhöhung des monatlichen Verdienstausfalls an den Kläger ab 01.10.2024 entsprechend dem dann gültigen Tarifabschluss Metall und Elektro vorzunehmen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens 11 OH 330/20 Landgericht Duisburg in Höhe von 8.589,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.11.2022 an den Kläger zu erstatten.
4. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.615,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.11.2022 zu zahlen.
27
Die Beklagte beantragt zuletzt,
Die Klage wird abgewiesen.
28
Die Beklagte trägt vor, dass der Kläger eine Karriere in der Unternehmensberatung nicht angestrebt habe.
29
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Grundlage und Berechnung für den Verdienstschaden in der Teilabfindungserklärung klar geregelt ist. Der Kläger verhalte sich widersprüchlich, wenn er sich jetzt nicht mehr an diese Vereinbarung halten will. Die beabsichtigte Schaffung einer neuen Berechnungsgrundlage steht im klaren Widerspruch zu der Teilabfindungserklärung.
30
Nach Ansicht der Beklagten stellt das Gutachten D. keine geeignete Grundlage dar, weil diese von streitigen Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist.
31
Für Klageantrag zu Ziffer 2 fehlt es an einer Anspruchsgrundlage und an der hinreichenden Bestimmtheit. Für Klageantrag zu Ziffer 3 fehlt es ebenfalls an einer Anspruchsgrundlage.
32
Im Übrigen wird Bezug genommen auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien samt Anlagen, die beigezogene Akte des LG Duisburg 11 OH 330/20, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2023.
33
Der Kläger wurde informatorisch angehört. Bezüglich des Ergebnisses dieser Anhörung wird auf das Protokoll vom 12.06.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
34
Die zulässige Klage ist unbegründet.
35
Die Klage ist zulässig.
36
Der Klageantrag zu Ziffer 2 ist im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 hinreichend bestimmt.
37
Grundsätzlich ist ein Klageantrag hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Anspruch durch Bezifferung oder gegenständliche Beschreibung so konkret bezeichnet, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) klar abgegrenzt ist, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennbar sind, das Risiko des Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abgewälzt und eine etwaige Zwangsvollstreckung nicht mit einer Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren belastet wird (Greger in: Zöller, ZPO, 34 Aufl. 2022, § 253, Rn. 13).
38
Vorliegend begehrt der Kläger in Ziffer 2a) konkret die Zahlung des laufenden Nettoverdienstausfalls für bestimmte Zeiträume, was den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis klar abgrenzt.
39
In Ziffer 2 b) möchte der Kläger ab dem 01.10.2024 die Erhöhung des monatlichen Verdienstausfalls auf Grundlage des Tarifabschlusses Metall und Elektro. Hier wird eine Zustimmung zu einer entsprechenden Vertragsanpassung begehrt. Dies wird in der Zwangsvollstreckung auch nicht zu einer Fortsetzung des Rechtsstreits führen.
40
Die Klage ist unbegründet.
41
I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 96.710, 28 € nebst Zinsen (Ziffer 1a der Klageanträge).
42
1. Dem Kläger steht kein Anspruch aus der Teil-Abfindungserklärung vom 08.11.2007 (K1) zu.
43
Aus dieser vertraglichen Vereinbarung (a) können keine weitergehenden Ansprüche hergeleitet werden, weil die vertraglichen Ansprüche sowohl durch Vertragsanpassung (b) als auch durch Zahlung bereits erfüllt worden sind (c). Die Geschäftsgrundlage des Vertrages ist nicht weggefallen (d), jedenfalls wurde die erforderliche Anpassung vorgenommen (e).
44
a) Die Teilabfindungserklärung stellt eine umfassende und abschließende Vereinbarung über die Schadensregulierung im Zusammenhang mit dem Unfall vom 22.06.2002 dar.
45
aa) Verträge und Willenserklärungen sind nach §§ 133, 157 BGB auszulegen.
46
Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist von der objektiven Erklärungsbedeutung auszugehen. Diese sind so auszulegen, wie sie ein Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB § 133 Rn. 9 mwN). Bei der Auslegung dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die bei Zugang der Erklärung dem Empfänger bekannt oder für ihn erkennbar waren (BGH NJW 2006, 3777 Tz. 18).
47
Bei der Auslegung ist zunächst vom Wortlaut der gesamten Erklärung auszugehen (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB § 133 Rn. 14 mwN).
48
In einem zweiten Schritt sind die außerhalb der Erklärung liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (BGH NJW-RR 2000, 1002/03). Hierbei können insbesondere Äußerungen der Parteien über den Inhalt des Rechtsgeschäftes relevant sein (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB § 133 Rn. 17 mwN).
49
In einem weiteren Schritt ist die Interessenlage der Parteien und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Geboten ist eine interessengerechte Auslegung (BGH NJW 1994, 2228), wobei im Zweifel der Auslegung der Vorzug zu geben ist, die einem vernünftigen, widerspruchsfreiem und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdendem Ergebnis führt. Maßgeblich ist der Einfluss, den das Interesse der Vertragsparteien auf den objektiven Erklärungswert ihrer Äußerungen bei deren Abgabe hatte (BGH NJW-RR 2010, 773 Tz. 14). (vgl. Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB § 133 Rn. 18)
50
In einem letzten Schritt ist der Vertrag insgesamt nach § 157 BGB dahingehend auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Im Zweifel ist ein Auslegungsergebnis anzustreben, das die berechtigten Belange beider Parteien angemessen berücksichtigt und mit den Anforderungen des redlichen Geschäftsverkehrs im Einklang steht (Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB § 133 Rn. 20, 21 mwN).
51
Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt nur dann in Betracht, wenn eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit enthalten ist. Hierbei ist vorrangig das dispositive Recht und danach der hypothetische Parteiwille heranzuziehen. Hierbei darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht im Widerspruch zum tatsächlichen Parteiwillen oder Vertragsinhalt stehen und es darf nicht zu einer wesentlichen Erweiterung des Vertragsgegenstandes kommen (vgl, Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB § 157 Rn. 3 ff. mwN).
52
bb) (1) Der Wortlaut der Erklärung spricht für eine umfassende Regelung der Schadensregulierung durch die Beklagte. Trotz der insoweit uneindeutigen Überschrift (“Teil-Abfindungserklärung“) ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, dass für künftige Schäden eine klare Regelung getroffen werden soll.
53
Die Teil-Abfindungserklärung besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil betrifft die Zahlung von 237.500 € unter Abgeltung aller Ansprüche aus dem Unfall aus dem Jahre 2002. Die Abgeltung umfasst vor allem die vergangenen Schäden. Der zweite Teil macht drei Ausnahmen von der Abgeltungsklausel. Diese Ausnahmen betreffen künftige Schäden, unter anderem den Nettoverdienstschaden.
54
Die Teil-Abfindungserklärung geht allerdings über die bloße Einschränkung der Abgeltungsklausel hinaus und gibt an, unter welchen Voraussetzungen der Nettoverdienstschaden zu berechnen ist. Insofern trifft die Erklärung eine Aussage über die Höhe des künftigen Nettoverdienstschadens.
55
(2) Die Berücksichtigung von weiteren Begleitumständen führt zu demselben Ergebnis.
56
Zunächst spricht das in der Teil-Abfindungserklärung erwähnte Gutachten P. für diese Auslegung, weil es eindeutig die Höhe des künftigen Nettoverdienstes des Klägers untersucht und darstellt. Das Gutachten prognostiziert die Jahresbeträge ausdrücklich bis in das Jahr 2011. Nach dem Jahr 2011 geht das Gutachten von rund 45.000 € netto aus, wobei für weitere Zeiträume ein der Inflation entsprechender Anstieg zu berücksichtigen ist. Insofern trifft das Gutachten eine langfristige Aussage über das Jahr 2011 hinaus. Es ist auch klar geregelt, dass eine Inflationsanpassung vorzunehmen sein wird.
57
Das Gutachten fußt auf verschiedenen Grundlagen, insbesondere auf einer Befragung des Klägers zu dessen beruflichen Zielen. Weiter wurde auch der Professor des Klägers zum universitären Tätigkeitsgebiet des Klägers befragt. Auch dieser Aspekt spricht für eine umfassend gewollte Regelung des künftigen Nettoverdienstschadens.
58
Soweit der Kläger informatorisch zu dessen beruflichen Zielen angehört worden ist, ergeben sich keine neuen zu berücksichtigenden Umstände. Die beschriebenen Tätigkeiten an der Universität und die vormalige Tätigkeit in der Unternehmensberatung „Das K.“ waren zum damaligen Zeitpunkt bekannt und wurden im Gutachten P. berücksichtigt.
59
Weiter gibt der Kläger an, dass er zum Zeitpunkt der Befragung im Rahmen des Gutachtens eine Anstellung gesucht hat. Dies deckt sich auch mit den Angaben im Gutachten. Genaueres konnte er nicht mehr sagen.
60
Keine Berücksichtigung findet das vom Kläger vorgebrachte Angebot von Herrn Dr. O. mit einem jährlichen Verdienst von brutto 150.000 € zuzüglich Boni. Dies war nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht zu berücksichtigen, weil dies weder gegenüber dem Gutachter noch gegenüber der Beklagten geäußert worden ist. Insofern kann dieser mögliche Begleitumstand für die Auslegung keine Rolle spielen.
61
(3) Die Berücksichtigung der Interessenlage und der Zweck des Rechtsgeschäfts führen zu demselben Ergebnis.
62
Das Interesse der Beklagten ist insoweit eindeutig. Diese wollte eine klare und sichere Regelungsgrundlage für alle bereits entstandenen und künftig noch entstehenden Ansprüche schaffen. Zu diesem Zwecke sollte mit dem Betrag von 237.500 € die Vergangenes abgegolten und mit der klaren Regelung des Nettoverdienstschadens die künftige Abwicklung geregelt werden.
63
Dies diente auch dem Interesse des Klägers im Zeitpunkt der Abgabe der Teil-Abfindungserklärung. Es wurden Kosten für den Kläger vermieden, da er kein Gerichtsverfahren anstrengen musste. Gleichzeitig wurde die Lebensgrundlage des Klägers abgesichert.
64
Dem objektiven Erklärungswert der Erklärung des Beklagten zum damaligen Zeitpunkt ist auch zu entnehmen, dass er die Feststellungen im Gutachten P. gelten lassen möchte. Dieses Gutachten fußt auf Angaben des Klägers, die dieser zum damaligen Zeitpunkt nach dem objektiven Empfängerhorizont akzeptierte. Dies wird auch durch die informatorische Anhörung bestätigt, denn der Kläger suchte damals eine Festanstellung.
65
Weiter wird die Regelung auch den Interessen beider Parteien gerecht, weil explizit eine Inflationsanpassung vereinbart ist. Insofern hat der Kläger einen vertraglichen Anspruch auf Anpassung der Höhe der monatlichen Rente.
66
(4) Dieses Auslegungsergebnis steht mit Treu und Glauben in Einklang und berücksichtigt die beiderseitigen Interessen (§ 157 BGB).
67
Beide Parteien haben zum Zwecke des Rechtsfriedens und zur Vermeidung von Gerichtskosten einen Vergleich geschlossen, der größtenteils dem Kläger zugute kommt. Es wurde ein beachtlicher Betrag in Höhe von 237.500 € gewährt. Weiter wurde ein monatlich auszugleichender Nettoverdienstschaden vereinbart, auf dessen inflationsmäßige Anpassung der Kläger einen Anspruch hat.
68
Einer ergänzenden Vertragsauslegung bedarf es nicht, weil aufgrund der umfassenden Regelung des Nettoverdienstschadens bereits keine Regelungslücke besteht. Dies wird zudem dadurch bekräftigt, dass der Kläger einen Anspruch auf Anpassung an die Inflation hat.
69
b) Der vertragliche Anspruch auf Anpassung ist gemäß § 362 BGB erloschen.
70
Auf Grundlage des Gutachtens Pa. (B1) hat die Beklagte eine Ausgleichszahlung für die Jahre 2017 bis 2022 zugesagt und zugleich eine Erhöhung der monatlichen Beträge ab 01.01.2023 veranlasst. Die vertragliche Anpassung beruht auf dem besagten Gutachten (B1) und bewegt sich im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung der „Teil-Abfindungserklärung“.
71
Wie bereits im ursprünglichen Gutachten P. wurde neben der Einordnung als Category-Manager insbesondere auch die Tätigkeit als Unternehmensberater berücksichtigt. Hierbei wurden die jeweils zu erwartenden Karriereverläufe und Einkommensverläufe ins Verhältnis gesetzt. Dabei wurden die Angaben des Klägers und dessen bisheriger biographischer und fachlicher Lebenslauf analysiert und bewertet.
72
Dies wurde im Gutachten Pa. (B1) berücksichtigt. Auch wurde berücksichtigt, dass ein Unternehmensberater in Führungsverantwortung ein überdurchschnittlicher Karriereverlauf ist, welcher in ein entsprechendes Verhältnis gesetzt werden muss.
73
Insofern handelt es sich bei diesem Gutachten durchaus um eine Fortschreibung des Gutachtens P., indem neue Entwicklungen berücksichtigt worden sind und insbesondere die jährliche Steigerung angepasst worden ist.
74
Konkrete Einwände gegen dieses Gutachten hat der Kläger nicht erhoben. Das Gericht folgt nicht der Behauptung, dass das Gutachten P. und das Gutachten Pa. nur von einer Tätigkeit als Category-Manager ausgegangen sei.
75
Viel mehr handelt es sich um Gutachten, welche im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung eine abwägende Einordnung des Karriereverlaufs des Klägers berücksichtigen und zu diesem Zwecke in einem angemessenen Verhältnis die Tätigkeit als Unternehmensberater finanziell berücksichtigt haben.
76
c) Die sich aus der Vertragsanpassung ergebenden Ansprüche sind durch Zahlung von 76.517,40 € gemäß § 362 BGB erloschen (B3). Weitergehende Ansprüche bestehen nicht.
77
d) Die Geschäftsgrundlage des Vertrages ist nicht gemäß § 313 BGB weggefallen.
78
Zunächst ist die Störung der Geschäftsgrundlage nicht von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. Grüneberg/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 82. Aufl. 2023, BGB § 313 Rn. 43). Der Kläger hat sich auch nicht ausdrücklich auf die Störung der Geschäftsgrundlage berufen.
79
Ob eine konkludente Berufung auf die Störung der Geschäftsgrundlage möglich ist, kann hier dennoch offen bleiben.
80
Der Kläger hat das Gericht nicht davon überzeugen können, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt. Der beweisbelastete Kläger konnte den Beweis nicht führen.
81
aa) Zur Geschäftsgrundlage zählt die subjektive und die objektive Geschäftsgrundlage.
82
Subjektive Geschäftsgrundlage sind die bei Abschluss des Vertrages zutage getretenen, dem anderen Teil erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei oder die gemeinsame Vorstellung beider Parteien von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen aufbaut (BGH NJW 2016, 3100; NJW-RR 2021, 84).
83
Objektive Geschäftsgrundlage bilden diejenigen Umstände und allgemeinen Verhältnisse deren Vorhandensein oder Fortdauer objektiv erforderlich ist (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB § 313 Rn. 4 mwN).
84
Dabei sind einseitige Erwartungen einer Partei nur dann für die Willensgebung maßgeblich, wenn sie in den dem Vertrag zugrunde liegenden gemeinschaftlichen Geschäftswillen beider Parteien aufgenommen worden sind (BGH NJW 2012, 2728).
85
Weiter gehört die Geschäftsgrundlage nicht zum Vertragsinhalt; was nach dem Vertragstext Vertragsinhalt ist, kann nicht Geschäftsgrundlage sein. Die Vertragsauslegung hat Vorrang vor § 313 BGB. (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB § 313 Rn. 10 mwN)
86
Darüber hinaus begründet das Sinken der Kaufkraft im Rahmen der Geldentwertung grundsätzlich keine Rechte wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB § 313 Rn. 26 mwN).
87
bb) Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einer tauglichen subjektiven oder objektiven Geschäftsgrundlage, welche weggefallen sein könnte.
88
(1) Die subjektiven Vorstellungen des Klägers haben sich in dem Gutachten P. aus dem Jahr 2007 realisiert. Diese Vorstellungen sind jedoch durch die Bezugnahme in der „Teil-Abfindungserklärung“ Teil des Vertrages geworden. Insofern bleibt kein Raum für § 313 BGB.
89
(2) Das lukrative Angebot des Dr. O. kann keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage begründen, weil dieses Angebot weder der Beklagten noch dem Gutachter gegenüber geäußert worden ist. Insofern handelt es sich höchstens um eine einseitige Erwartung des Klägers.
90
Darüber hinaus war dem Kläger das Angebot laut der informatorischen Anhörung bereits bei Abgabe der Teil-Abfindungserklärung bekannt. Trotz dieses Angebotes hat der Kläger die Teil-Abfindungserklärung mit Bezugnahme auf das Gutachten P. abgegeben.
91
(3) Die Behauptung des Klägers, dass er als Unternehmensberater deutlich mehr verdienen würde, kann ebenfalls keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage begründen.
92
Im Gutachten P. wurde ausführlich auch die Möglichkeit einer Tätigkeit als Unternehmensberater diskutiert und in ein angemessenes Verhältnis zu der Biographie, den Fähigkeiten und vor allem den Angaben des Klägers gesetzt. Der Kläger hat in der informatorischen Anhörung selbst erklärt, dass er damals eine Anstellung gesucht habe.
93
Insofern erschließt sich nicht wie diese Vorstellung – sofern diese im Jahre 2007 überhaupt bestand – irgendwie zur Geschäftsgrundlage geworden sein soll.
94
(4) Schließlich führt auch die Geldentwertung nicht zum Wegfall der Geschäftsgrundlage.
95
Dies liegt bereits daran, dass diese im Risikobereich der Gläubigers liegt.
96
Darüber hinaus hat der Kläger einen vertraglichen Anspruch auf Anpassung an die Inflation, weshalb insoweit kein Raum für § 313 BGB besteht.
97
e) Selbst wenn man die Voraussetzungen des § 313 BGB für eine inflationsbedingte Vertragsanpassung bejaht, so hat die Beklagte diesen Anspruch nach § 362 BGB erfüllt.
98
Die Beklagte hat eine Anpassung für die Vergangenheit und für die Zukunft vorgenommen.
99
2. Dem Kläger steht kein Anspruch aus §§ 7 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 823 Abs. 2 BGB iVm. § 229 StGB zu.
100
Die deliktische Haftung findet ausnahmsweise keine Anwendung, weil im vorliegenden Fall die vertragliche Haftung vorrangig und abschließend ist (a). Im Übrigen steht einer deliktischen Haftung der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB entgegen (b).
101
a) Einer deliktischen Haftung steht die vorrangige und abschließende vertragliche Vereinbarung über die Berechnung des Verdienstausfalles in der Teil-Abfindungserklärung vom 08.11.2007 (K1) entgegen.
102
aa) Im Verhältnis zwischen deliktischen und vertraglichen Ansprüchen herrscht der Grundsatz der Anspruchskonkurrenz (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB Einf v § 823 Rn. 9).
103
Eine Ausnahme ergibt sich dann, wenn durch das „Ausweichen“ auf einen Anspruch aus unerlaubter Handlung wegen desselben Sachverhaltes eine Vorschrift, welche die vertragliche Haftung regelt, in ihrem Zweck ausgehöhlt wird und eine die vertragliche Haftung abschließende Regelung unterlaufen wird (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB Einf v § 823 Rn. 10). Der BGH hat solche Ausnahmen jedenfalls dann angenommen, wenn im Falle vertraglicher Schadenersatzansprüche gesetzliche Einschränkungen bestehen oder gesetzliche Vorschriften vereitelt würden (vgl. BGH NJW-RR 2005, 172 mwN).
104
(1) Dieser Rechtsgedanke ist nach Auffassung des entscheidenden Gerichts auch auf vertragliche Einschränkungen übertragbar. Dies ergibt sich aus einer verfassungskonformen Auslegung der §§ 7 StVG, 823 Abs. 1, 2 BGB, nach welcher bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten diejenige den Vorrang hat, bei der die Rechtsnorm mit der Verfassung im Einklang steht (BVerfG 2, 282; 48, 40; 64, 241).
105
(2) Das Verhältnis zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung kann im Sinne einer strikten Anspruchskonkurrenz ausgelegt werden. Diese Annahme fußt vor allem auf den unterschiedlichen Zielrichtungen dieser Haftungskonzepte. Eine vertragliche Haftung begründet sich aus einem freiwilligen Vertragsverhältnis und soll eigenverantwortlich getroffene Regelungen eines Sachverhaltes ermöglichen. Die deliktische Haftung dient vor allem dem Schutz des Integritätsinteresses, wenn eine Person in den Rechtskreis eines anderen widerrechtlich eingreift (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB Einf v § 823 Rn. 1, 9).
106
Wortlaut und Systematik treffen keine ausdrücklichen Aussagen zu dieser Frage.
107
(3) Im Falle von vertraglichen Einschränkungen gebietet eine systematische und verfassungskonforme Auslegung eine entsprechende Beschränkung der deliktischen Haftung, sofern die vertraglichen Bestimmungen denselben Sachverhalt und denselben Streitkomplex betreffen und abschließend regeln. Insofern ist es nur konsequent die Rechtsprechung des BGH zu gesetzlichen Einschränkungen vertraglicher Haftung insoweit auch auf vertragliche Einschränkungen zu übertragen.
108
Es ist Ausdruck und Folge der Privatautonomie in Form der Vertragsfreiheit, dass eine abschließende und wirksame vertragliche Regelung zur Höhe des Verdienstschadens nicht durch ein Ausweichen auf einen deliktischen Anspruch ausgehöhlt werden darf. Die Privatautonomie ist Teil des allgemeinen Prinzips der Selbstbestimmung des Menschen und wird zumindest im Kern durch Art. 1 und 2 GG geschützt (BVerfG 70, 123). Sie berechtigt den Einzelnen, Rechte und Pflichten zu begründen, zu ändern oder aufzuheben (vgl. Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB Überbl v § 104 Rn. 1). Die Vertragsfreiheit gewährt es dem Einzelnen, seine Lebensverhältnisse durch Vertrag eigenverantwortlich zu gestalten. Die Freiheit der inhaltlichen Gestaltung findet im Schuldrecht lediglich seine Grenze in §§ 134, 138 BGB, den zwingenden Vorschriften des Rechts und an öffentlich-rechtlichen Genehmigungsvorbehalten. In diesem Zusammenhang verbietet sich eine gerichtliche Billigkeitskontrolle. Im Rahmen der Sozialstaatsklausel des Art. 20, 28 GG muss das Gericht nur dann Missbräuchen entgegentreten, wenn beispielhaft wirtschaftlich Überlegene dem Vertragspartner einseitig Vertragsbedingungen aufzwingen und die Vertragsfreiheit zum Instrument gesellschaftlicher Machtausübung wird (vgl. Grüneberg/Ellenberger, BGB, 82. Aufl. 2023, BGB Einf v § 145 Rn. 7, 13 mwN).
109
Dem steht auch nicht der Schutz des Art. 2 Abs. 2 GG entgegen, welcher sich in § 823 BGB einfachgesetzlich manifestiert. Dies ergibt sich bereits daraus, dass eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 823 BGB nur im Falle einer abschließenden sowie denselben Sachverhalt betreffenden vertraglichen Regelung erfolgen soll. Insoweit wird das Integritätsinteresse in einem solchen Fall durch die vertragliche Vereinbarung umfassend gewahrt.
110
bb) Im vorliegenden Fall schlossen die Parteien eine interessengerechte und umfassende Vereinbarung über die Regulierung durch die Beklagte im Zusammenhang mit dem Unfall vom 22.06.2002 (siehe Urteilsbegründung zu I.1.a). Eine deliktische Haftung würde diese klare Regelung aufweichen und zur Umgehung der vertraglichen Vereinbarung führen.
111
Eine Vereinbarung zur Höhe des Verdienstschadens ist Ausfluss der Vertragsfreiheit der Parteien. Gerade im Zusammenhang mit der Abwicklung von Schadensereignissen kommt dem Instrument der vertraglichen Abrede bezüglich künftiger Schäden eine besondere Bedeutung zu. Dies liegt vor allem daran, dass ein Abgeltungsvergleich für Rentenzahlungen ungeeignet ist. Insofern ist es nicht nur Ausdruck der Vertragsfreiheit, sondern auch Ausdruck der Rechtssicherheit, dass sich die Parteien über die konkrete Schadenshöhe einigen. Insofern ist es nur interessengerecht und zwingend hier einen Vorrang der vertraglichen Vereinbarung anzunehmen, weil ansonsten die vertragliche Regelung vereitelt werden würde.
112
Mangels entsprechenden Vortrages ist die vertragliche Vereinbarung zur Höhe des Verdienstschadens auch nicht rechtsmissbräuchlich. Im Gegenteil, der Kläger profitierte von dieser Vereinbarung. Darüber hinaus wurde die Höhe des Verdienstschadens gerade nicht einseitig aufgezwungen, sondern es wurden die Karrierevorstellungen und -möglichkeiten des Klägers umfassend in einem Gutachten gewürdigt. Dieses so entstandene Gutachten wurde dann zur Vertragsgrundlage gemacht.
113
b) Selbst wenn man keinen Vorrang der vertraglichen Regelung annimmt, verhält sich der Kläger im Sinne von § 242 BGB widersprüchlich, wenn er den Verdienstausfall aufgrund deliktischer Ansprüche neu berechnen möchte.
114
aa) Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu. Missbräuchlich ist widersprüchliches Verhalten, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Es muss objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens vorliegen, weil das frühere Verhalten mit dem späteren unvereinbar ist und Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig sind (Grüneberg/Grüneberg, BGB Kommentar, 82. Aufl. 2023, BGB § 242 Rn. 55).
115
Für ein widersprüchliches Verhalten sind weder unredliche Absichten noch ein Verschulden minderer Art erforderlich. (MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2022, BGB § 242 Rn. 370 mit BGH WM 1968, 876 (877); NJW 2002, 3110 (3112); 2009, 1343 Rn. 41; BGHZ 204, 145 Rn. 24 = NJW 2015, 1087; NJW 2016, 3520 Rn. 20)
116
Vertrauensbegründendes Verhalten liegt vor, wenn das Verhalten des Berechtigten einen Vertrauenstatbestand begründet hat und der andere Teil im Hinblick darauf Dispositionen geschaffen hat (Grüneberg/Grüneberg, BGB Kommentar, 82. Aufl. 2023, BGB § 242 Rn. 56, 57).
117
Der Rechtsinhaber muss durch sein Verhalten ein schutzwürdiges Vertrauen auf eine bestimmte Sach- oder Rechtslage bei der Gegenpartei hervorrufen (MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2022, BGB § 242 Rn. 369).
118
Treuwidriges Verhalten liegt insbesondere im Falle eines Selbstwiderspruches vor.
119
Dieser liegt unter anderem dann vor, wenn aus früherem Verhalten erhebliche Vorteile gezogen wurden oder wenn das Verhalten zu einem unlösbaren Selbstwiderspruch führt (Grüneberg/Grüneberg, BGB Kommentar, 82. Aufl. 2023, BGB § 242 Rn. 59).
120
Ein widersprüchliches Verhalten liegt auch vor, wenn eine Partei die Vorteile für sich in Anspruch nimmt, ohne die damit korrespondierenden Nachteile tragen zu wollen (MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2022, BGB § 242 Rn. 426).
121
Schließlich kann widersprüchliches Verhalten auch darin gesehen werden, wenn in inkonsistenter und unzulässiger Weise Tatsachen- und Rechtsbehauptungen geändert werden (MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2022, BGB § 242 Rn. 416).
122
Abschließend bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung (Grüneberg/Grüneberg, BGB Kommentar, 82. Aufl. 2023, BGB § 242 Rn. 7).
123
bb) (1) Der Kläger hat einen Vertrauenstatbestand begründet, worauf die Beklagte schutzwürdig vertrauen durfte. Der Kläger verhält sich widersprüchlich, wenn er nun die Tatsachengrundlage nachträglich ändern möchte.
124
Dies ergibt sich zunächst daraus, dass der anwaltlich beratene Kläger die Teil-Abfindungserklärung in Kenntnis und Bewusstsein der Inhalte und Feststellungen des Gutachtens P. abgegeben hat. Durch explizite Bezugnahme auf das Gutachten P. rief der Kläger das schutzwürdige Vertrauen hervor, dass er u.a. eine Festanstellung in einem Konzern anstrebt. Das Gutachten war dem Kläger auch vor Abgabe der Teil-Abfindungserklärung bekannt. Dieses Gutachten ist auch in Zusammenarbeit und nach Befragung des Klägers entstanden.
125
Die Richtigkeit der damaligen Angaben zu dessen Karriereplänen hat der Kläger in der informatorischen Anhörung bestätigt. In jedem Fall ist er der Darstellung im Gutachten nicht entgegengetreten, viel mehr konnte er sich nicht mehr an den genauen Ablauf der Befragung erinnern.
126
Der Kläger ist den Zahlungen und der Vereinbarung auch nicht entgegengetreten. Insbesondere wurden diese bis in das Jahr 2013 ohne Beanstandung akzeptiert.
127
Das Verhalten des Klägers hat bei der Beklagten das Vertrauen hervorgerufen, dass bei der Bemessung des Verdienstschadens für die Zukunft von den Prämissen im Gutachten P. auszugehen ist und dies vom Kläger akzeptiert werde. Sonstige Tatsachen wurden nicht mitgeteilt, insbesondere war für die Beklagte das angeblich vorliegende Angebot des Dr. O. nicht erkennbar.
128
Die Beklagte hat auch Dispositionen auf diese Vereinbarung hin getroffen, indem ein Einmalbetrag in Höhe von 237.500 € sowie monatlicher Verdienstschaden gezahlt worden ist.
129
(2) Darüber hinaus liegt auch ein Fall des Selbstwiderspruchs vor.
130
Der Kläger hat aus der Teil-Abfindungserklärung erhebliche finanzielle Vorteile gezogen. Neben dem Einmalbetrag in Höhe von 237.500 € hat dieser monatlich eine nicht unerhebliche Geldrente in Höhe von mehr als 2.261,35 € bekommen. Bis zur erstmaligen Beanstandung im Jahr 2013 hat der Kläger somit einen weiteren Gesamtbetrag in Höhe von insgesamt circa 175.000 € erhalten.
131
Diese Vorteile – insbesondere die Geldrente – korrespondierten mit dem „Nachteil“, dass eine klare Regelung über die Höhe des Verdienstschadens getroffen worden ist. Insofern bestand der „Nachteil“ darin, dass die Beklagte Rechtssicherheit bekommt. Allerdings ist auch hier zu beachten, dass das Gutachten auf Grundlage von Angaben des Klägers und mit dessen Zustimmung zur Grundlage des Vertrages geworden ist. Insofern ist es erst recht widersprüchlich, wenn der Kläger diesen verhältnismäßig geringen Nachteil nicht tragen möchte.
132
Und schließlich ist es auch widersprüchlich zunächst einen Karriereverlauf mit einem Anstellungsverhältnis zu behaupten und dann fast 10 Jahre später in einem selbstständigen Beweisverfahren zu behaupten, dass eine Karriere als Unternehmens- und Technologieberater angestrebt worden sei. Dies ist eine inkonsistente Tatsachenänderung, welche nicht nachvollziehbar ist und insgesamt als widersprüchlich und treuwidrig erscheint.
133
(3) In einer abschließenden und umfassenden Interessenabwägung überwiegt hier das schutzwürdige Interesse der Beklagten.
134
Zwar ist es richtig, dass das Integritätsinteresse des Klägers durch § 823 BGB geschützt ist. Insofern hat der Kläger auch ein berechtigtes Interesse daran einen etwaigen Verdienstausfall geltend zu machen und dies in einem gerichtlichen Verfahren klären zu lassen.
135
Dennoch überwiegt das schutzwürdige Vertrauen der Beklagten. An dieser Stelle sei nochmals erwähnt, dass im Sinne der Vertragsfreiheit ein bindender und abschließender Vertrag zur Höhe des Verdienstausfalles geschlossen worden ist. Das zugrundeliegende Gutachten hat umfassend die Angaben und die Lebenssituation des Klägers berücksichtigt und in die Bewertung einfließen lassen. Diese Angaben wurden vom Kläger nicht beanstandet.
136
Im Sinne der Rechtssicherheit ließ sich die Beklagte auf diese Vereinbarung ein, um eine sichere und interessengerechte Grundlage für die künftige Regulierung zu schaffen.
137
Es ist mit Treu und Glauben nicht vereinbar, Vorteile aus einer derartigen Vereinbarung zu ziehen und dann nach mehr als 10 Jahren eine Neuberechnung auf Grundlage des Deliktsrechts einzufordern.
138
In diesem speziellen Fall kann und darf ein deliktsrechtlicher Anspruch keinen Erfolg haben. Dieses Vorgehen dient nicht dem Schutz des Integritätsinteresses, sondern vorwiegend der Vermögensvergrößerung. Dies ist im konkreten Fall nicht schutzwürdig.
139
3. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zinsen aus den Beträgen in Ziffer 1a der Klageanträge zu.
140
Ein Zinsanspruch kann sich bereits deshalb nicht ergeben, weil kein Hauptanspruch besteht.
141
Die in dem begehrten Zeitraum gezahlten monatlich geschuldeten Beiträge wurden ordnungsgemäß gezahlt, weshalb insofern auch kein Verzug eingetreten ist.
142
II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Übernahme anfallender Steuern und Sozialabgaben (Ziffer 1b).
143
Dieser Anspruch steht im Zusammenhang mit dem Klageantrag aus Ziffer 1a. Da dieser unbegründet ist, kann auch kein Ausgleich höherer Steuern stattfinden.
144
Der Kläger hat auch nicht behauptet, dass die Beklagte die aus dem Vertrag geschuldete Übernahme von Steuern und Sozialabgaben nicht übernehmen würde.
145
III. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die in Ziffer 2a geforderten Beträge.
146
Aufgrund der Teilerledigterklärung war hier nur über die überschießenden Beträge zu entscheiden. Diese stehen dem Kläger nicht zu.
147
Die vertragliche Grundlage hat Vorrang. Die Höhe der Beiträge berechnet sich nach der Vertragsanpassung nun auf der zusätzlichen Grundlage des Gutachtens Pa. (B1). Diese Vertragsänderung ist auch durch Annahme des Klägers gemäß § 151 S. 1 BGB zustande gekommen. Jedenfalls ist von einer konkludenten Annahme auszugehen.
148
Etwaige Einwendungen gegen diese neue Berechnung wurden nicht vorgebracht, jedenfalls gehen diese nicht über die bislang erfolglos gebliebenen Einwendungen hinaus. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Gutachten Pa. gerade nicht ausschließlich von einer Unternehmensberatungstätigkeit ausgegangen ist, sondern auch hier wieder die Tätigkeit als Unternehmensberater ins Verhältnis zu den anderen Verdienst- und Karrieremöglichkeiten gesetzt hat.
149
Weiter stellt diese Vertragsänderung die Erfüllung eines etwaigen Anpassungsanspruches vor. § 313 BGB ist auch hier nicht erfüllt – weder auf Grundlage der bereits vorgebrachten Tatsachen noch auf Grundlage eines neuen Wegfalls der Geschäftsgrundlage.
150
Ein Vorgehen nach § 823 BGB ist aus den bereits angesprochenen Gründen (Vorrang des Vertrags, § 242 BGB) nicht möglich.
151
IV. Weiter ist die Klage bezüglich der teilweisen Erledigterklärung unbegründet.
152
Zwar ist das erledigende Ereignis nach Anhängigkeit eingetreten.
153
Allerdings war die Klage zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses nicht zulässig (vgl. TP, ZPO-Kommentar, 43. Aufl. 2022, ZPO § 91a Rn. 33). Es fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
154
Soweit der Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2023 bis 01.06.2023 die sich aus der ursprünglichen vertraglichen Vereinbarung ergebenden Beträge fordert, bestand kein Rechtsschutzbedürfnis. Dieses setzt voraus, dass eine Nichterfüllung der Ansprüche behauptet und dargelegt wird (vgl. TP, ZPO-Kommentar, 43. Aufl. 2022, ZPO § 253 Vorb Rn. 26).
155
Das war vorliegend gerade nicht der Fall. Die Beklagte hat die monatliche Rente bislang immer gezahlt und nie erklärt diese künftig nicht zahlen zu wollen.
156
Soweit der Kläger für denselben Zeitraum die sich aus der neuen vertraglichen Vereinbarung ergebenden Beträge fordert, bestand ebenfalls kein Rechtsschutzbedürfnis.
157
Bis zum Zeitpunkt der Vertragsänderung bestand kein Anspruch auf die höheren Beträge. Nach der Vertragsänderung zahlte die Beklagte die nun geschuldeten Beträge. Die Beklagte gab niemals zu erkennen, diese Beträge nicht zahlen zu wollen.
158
V. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Erhöhung der Beiträge auf Grundlage des Tarifabschlusses Metall und Elektro (Ziffer 2b).
159
Es ist nicht schlüssig dargetan, weshalb dieser Tarifabschluss für den Kläger relevant sein soll. Soweit dies auf der Erwägung der Tätigkeit des Klägers in der Technologiebranche zurückzuführen sein soll, ist dies aus bereits erörterten Gründen nicht zu berücksichtigen.
160
Aus der Teil-Abfindungserklärung oder den Angaben des Klägers erschließt sich das nicht.
161
Eine derartige Anpassung kann auch nicht auf § 823 BGB gestützt werden, weil dieser keine Anwendung findet.
162
VI. Mangels Hauptanspruches hat der Kläger auch keinen Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.
163
I. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 ZPO. Der Kläger unterliegt vollständig.
164
Die Teilerledigterklärung hat keine Auswirkungen auf die Kostenverteilung, weil die Klage auch insoweit unbegründet ist.
165
Weiter muss der Kläger die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens vor dem LG Duisburg tragen. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens sind Teil der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren (vgl. Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, ZPO § 490 Rn. 7).
166
Ein außerprozessualer Kostenerstattungsanspruch besteht nicht.
167
II. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 709 S. 1, 3 ZPO.