Inhalt

LArbG München, Beschluss v. 26.04.2023 – 5 Ta 61/23
Titel:

Prozesskostenhilfe - einzusetzendes Einkommen und besondere Belastungen

Normenketten:
ZPO § 115 Abs. 1
SGB XII § 28
Leitsätze:
1. Maßgebend für die Höhe des Einkommens insgesamt sind die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe. Bezieht der Antragsteller Arbeitslosengeld, ist eine Steuererstattung nicht anzurechnen. (Rn. 6) (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Begriff "besondere Belastungen" erfasst all das, was durch den sozialhilferechtlichen Regelsatz nicht gedeckt ist. "Normal" sind die üblichen Lebenshaltungskosten für Kleidung, Ernährung, Körperpflege, Energiebedarf, Hauswirtschaft sowie Instandhaltung und Reinigung von Kleidung. Entstehen durch nicht vorgesehene Umstände für den Energiebedarf, der grundsätzlich mit den bisher üblichen Lebenshaltungskosten in den Regelsatz eingerechnet ist, besonders hohe Belastungen, können diese abgesetzt werden, soweit sie angemessen sind (hier: stark gestiegene Stromkosten im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg). (Rn. 12) (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Ratenzahlung, Einkommen, Steuererstattung, Stromkosten, besondere Belastungen, Regelbedarf
Vorinstanz:
ArbG Augsburg, Beschluss vom 31.01.2023 – 7 Ca 1871/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 45980

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der die Prozesskostenhilfe bewilligende Beschluss des Arbeitsgerichts Augsburg vom 31.01.2023, Az.: 7 Ca 1871/22, – soweit noch keine Abhilfe erfolgt ist – in Ziffer 2 abgeändert:
2. Es werden keine Monatsraten festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Festsetzung von monatlich zu zahlenden Raten für die Prozesskostenhilfe.
2
Das Arbeitsgericht Augsburg hatte zunächst mit Beschluss vom 19.01.2023 monatliche Raten in Höhe € 52,00 angeordnet und auf die Beschwerde der Klägerin vom 31.01.2023 eine neue Berechnung zugrunde gelegt und die monatlichen Raten auf € 13,00 herabgesetzt.
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Die Klägerin hatte mit ihrer Beschwerde geltend gemacht, dass die Berechnung ihres einzusetzenden Einkommens falsch sei. Die einmalige Steuererstattung vom 08.11.2022 sei nach ihrer Auffassung nicht zu berücksichtigen, da es sich hier um eine Einmalzahlung handele, die in der Vergangenheit liege und die in Zukunft nicht mehr erzielbar sein wird, weil die Klägerin arbeitslos sei. Zudem habe die Klägerin hohe monatliche Stromkosten von € 73,50. Diese seien bei der Berechnung nicht berücksichtigt worden.
4
Mit Beschluss vom 06.02.2023 hat das Arbeitsgericht Augsburg der sofortigen Beschwerde teilweise abgeholfen und die Monatsraten auf € 13,00 herabgesetzt. Es hat seine Entscheidung unter Bezugnahme auf OLG Nürnberg, Beschluss vom 19.04.2006 – 11 WF 240/06, Juristisches Büro, 2006, Seite 431 damit begründet, dass Steuererstattungen nicht dem Vermögen gem. § 115 Abs. 2 ZPO zuzurechnen seien, sondern als Einkommen im Sinne des § 115 Abs. 1 ZPO zu behandeln. Die Kosten für Strom gehörten nicht zu den Betriebskosten, sondern seien im monatlichen Freibetrag enthalten, den die Parteien nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO vom Einkommen abziehen dürfe.
II.
5
Die nach § 11 a Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ff. ZPO statthafte sofortige Beschwerde der Klägerin ist auch begründet.
6
1. Die Steuererstattung kann nicht als Einkommen von § 115 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO berücksichtigt werden, da aktuelles Einkommen ausschließlich in Form von Arbeitslosengeld erzielt wird. Die zitierte Entscheidung des OLG Nürnberg (Beschluss vom 19.04.2006 – 11 WF 240/01, Beck, RS 2006, 5855) ist vom Arbeitsgericht nicht korrekt wiedergegeben.
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1.1 Zwar ist es grundsätzlich zutreffend, wie in der Entscheidung des OLG Nürnberg auch ausgeführt, dass die laufenden Einkünfte grundsätzlich mit dem durchschnittlichen Monatseinkommen nach den Bezügen des letzten vollen Kalenderjahres zu ermitteln sind. Teil der laufenden Einkünfte sind damit sämtliche monatlichen Bezüge, sowie die diesen zuzurechnenden Einnahmen, einschließlich einmaliger Zahlungen, die ein unselbständig Beschäftigter im Laufe des Jahres erhält und die dem laufenden Einkommen jeweils mit 1/12 im Monat hinzuzusetzen sind (siehe hierzu auch Musielak/Voit-Fischer § 115 ZPO Rn 3; MüKo ZPO-Wache § 115 ZPO Rn. 2).
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Hierzu hat das OLG Nürnberg in der zitierten Entscheidung festgestellt, dass die dem Arbeitnehmer im Wege des Lohn- bzw. Einkommenssteuerausgleichs eventuell zufließende Erstattung nicht anders behandelt werden könne. Hierbei handele es sich um die Rückzahlung von monatlich zu viel geleisteter Lohn- bzw. Einkommenssteuer, die dem unselbständig Beschäftigten bei richtiger Besteuerung bereits monatlich anteilig als Einkommen ausbezahlt worden wäre. Die jährlich einmalig erfolgende Steuererstattung sei damit bei der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich den Einkünften des Bedürftigen im Jahr anteilig hinzuzurechnen, in dem die Erstattung erfolge.
9
1.2 Dieser Grundsatz war allerdings in dem vom OLG Nürnberg entschiedenen Fall nicht anzuwenden. Vielmehr hat das OLG Nürnberg in seiner Entscheidung zutreffend darauf hingewiesen, dass nach § 115 ZPO das aktuelle Einkommen maßgebend sei. Im entschiedenen Fall hat es bei dem zwischenzeitlich in den Ruhestand versetzten Antragsteller daher nur noch die monatlichen Nettoeinkünfte im Ruhestand zugrunde gelegt und die Steuerrückerstattung hierbei nicht hinzugerechnet. Dies entspricht dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, das maßgebend für die Höhe des Einkommens insgesamt die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe sind (siehe hierzu Musielak/Voit-Fischer, § 115 ZPO, Rn. 2 m.w.N.).
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Dementsprechend sind im vorliegenden Fall bei der Ermittlung des Einkommens der Klägerin ausschließlich die Arbeitslosengeldzahlungen maßgebend, da sie aktuell keine weiteren Einkünfte hat. Die Steuererstattung ist genauso wenig zu berücksichtigen, wie das in der Vergangenheit liegende durchschnittliche Monatseinkommen, das zutreffend durch die Steuererstattung erhöht wird. Der Ansatz eines Zwölftels der Steuererstattung von insgesamt € 1.089,82 mit monatlich € 133,12 zusätzlich zum aktuell bezogenen Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich € 956,70 war daher nicht zutreffend. Allein schon aus diesem Grund erzielte die Klägerin kein anrechenbares Einkommen mehr, sodass eine Ratenzahlung nicht angeordnet werden kann.
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2. Für die Entscheidung ist daher nicht mehr relevant, in welcher Höhe die von der Klägerin monatlich zu zahlenden Stromkosten von € 53,50 als besondere Belastung im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO zu berücksichtigen sind. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass nach dieser Vorschrift vom Einkommen der Partei weitere Beträge auch für Stromkosten abzusetzen sind, soweit dies mit Rücksicht auf besondere Belastungen angemessen ist.
12
Seit der Neufassung durch das Prozesskostenhilfeänderungsgesetz vom 10.10.1994 (BGBl. I 1994, S. 2945) sowie durch die nachfolgenden Änderungen werden die Freibeträge für die Partei, ihrer Partner und der weiteren unterhaltsberechtigen Personen nunmehr am Regelbedarf des § 27 a SGB XII ff. festgemacht. Daraus folgt, dass die „normale“ Belastung einer Partei durch die Regelsätze ausgeglichen wird. Der Begriff „besondere Belastungen“ erfasst demnach all das, was durch den sozialhilferechtlichen Regelsatz nicht gedeckt ist. „Normal“ sind die üblichen Lebenshaltungskosten für Kleidung, Ernährung, Körperpflege, Energiebedarf, Hauswirtschaft sowie Instandhaltung und Reinigung von Kleidung. Wenn nun durch nicht vorgesehene Umstände für den Energiebedarf, der grundsätzlich mit den bisher üblichen Lebenshaltungskosten in den Regelsatz eingerechnet ist, besonders hohe Belastungen entstehen, können diese abgesetzt werden, soweit sie angemessen sind (siehe hierzu LAG Hamm, 30.01.2023, 14 Ta 210/22; OLG Köln, 30.05.1994, 13 W 31/94: Berücksichtigung besonders hoher Mietnebenkosten, die die Kosten der Lebensführung, die bereits in die Tabelle eingearbeitet sind, übersteigen). Die „normale“ Belastung einer Partei wird demnach durch die Regelsätze ausgeglichen; was darüber hinausgeht, ist eine besondere Belastung (Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Aufl. 2022, Rn. 321).
13
Das Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 SGB XII ab dem Jahr 2021 sieht in § 5 die regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der Einpersonenhaushalte vor. Nach Absatz 1 findet dabei in Abteilung 4 für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung insgesamt ein monatlicher Betrag von € 36,87 Berücksichtigung.
14
Allein die monatlichen Stromkosten der Klägerin übersteigen aber aktuell den Gesamtbetrag der Abteilung 4 um mehr als das Doppelte. Daher sind die monatlichen Stromkosten mit dem tatsächlichen Betrag von € 73,50 abzüglich des in den Regelbedarf eingerechneten Betrages für Strom zu berücksichtigen, wobei hierfür maximal ein bereits enthaltener Betrag von € 36,87 angesetzt werden kann, wollte man die weiteren in dieser Abteilung abgebildeten Bedarfe außer Acht lassen.
15
Daher würde auch allein die Berücksichtigung der besonderen Belastung der Klägerin durch die im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg und dessen Folgen aktuell stark gestiegenen Stromkosten, die vom Gesetzgeber noch nicht in den Regelbedarf eingerechnet und angepasst worden sind, dazu führen, dass die Klägerin keine monatlichen Raten zu tragen hat.
16
3. Die Entscheidung ergeht gemäß § 78 Satz 3 ArbGG ohne mündliche Verhandlung durch die Vorsitzende der Beschwerdekammer. Kosten sind aufgrund der Begründetheit der Beschwerde nicht zu erheben.
17
4. Der Beschluss ist unanfechtbar. Voraussetzungen für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde gem. §§ 72 Abs. 2, 78 Satz 2 ArbGG liegen nicht vor.