Inhalt

VG München, Urteil v. 30.01.2023 – M 19L DK 22.4240
Titel:

Risikobehaftete Finanzgeschäfte eines ehemaligen Stadtkämmerers führen zur Kürzung seines Ruhegehalts

Normenketten:
BayDG Art. 12, Art. 25 Abs. 1, Abs. 2, Art. 55
BayGO Art. 61 Abs. 2, Abs. 3
StPO § 153a Abs. 1, Abs. 2
BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3
Leitsätze:
1. Die objektiven Feststellungen zu einem Tatgeschehen in einem Strafurteil erster Instanz, die trotz Urteilsaufhebung durch das Revisionsgericht von diesem als bindend erklärt wurden, sind im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, nach Art. 25 Abs. 1 BaySG selbst dann noch bindend, wenn das Strafverfahren letztlich insgesamt nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. (Rn. 108 – 111) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hoch spekulative Finanzgeschäfte eines Stadtkämmerers sind nicht mit den Grundsätzen des Art. 61 Abs. 2 und Abs. 3 BayGO vereinbar, wonach die Haushaltswirtschaft sparsam und wirtschaftlich zu planen und zu führen ist und hierbei finanzielle Risiken zu minimieren sind. (Rn. 114 – 119) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Gewicht einer Pflichtverletzung ist Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung einer erforderlichen Disziplinarmaßnahme. (Rn. 125 – 127) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hat ein Stadtkämmerer durch hoch spekulative Finanzgeschäfte gegen das Spekulationsverbot verstoßen und damit ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, ist ohne strafrechtliche Verurteilung der Orientierungsrahmen für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme grds. nur bis zur Zurückstufung eröffnet, wenn materiell-egoistische Motive nicht festgestellt werden können. (Rn. 128 – 133) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarklage, Kürzung des Ruhegehalts, Risikobehaftete Finanzgeschäfte durch ehemaligen Stadtkämmerer, Milderungsgrund der fehlenden materiell-egoistischen Motivation, Stadtkämmerer, materiell-egoistische Motivation, risikobehaftete Finanzgeschäfte, kommunalrechtswidrige Derivatgeschäfte, Haushaltsrisiko
Fundstelle:
BeckRS 2023, 4593

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts in Höhe von 10 v.H. für die Dauer von 48 Monaten erkannt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Disziplinarklage die Aberkennung des Ruhegehalts des Beklagten. Diesem wird insbesondere vorgeworfen, als ehemaliger Kämmerer der Stadt L. kommunalrechtswidrige Derivatgeschäfte mit einer Privatbank abgeschlossen und dadurch die Stadt L. einem erheblichen Haushaltsrisiko ausgesetzt zu haben.
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1. Der am … … 1949 geborene Beklagte war vom 15. Juli 1983 bis zu seiner vorläufigen Dienstenthebung mit Verfügung vom 12. März 2012 Kämmerer der Stadt L., seit 1. Mai 2011 im Amt eines Leitenden Verwaltungsdirektors (Besoldungsgruppe A 16). Mit Ablauf des Monats Juni 2013 trat er in den Ruhestand.
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Der Beklagte ist geschieden und Vater von zwei volljährigen Töchtern. Er ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.
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2. Zu den im vorliegenden Disziplinarverfahren gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfen ergingen folgende strafrechtliche Entscheidungen:
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2.1. Das Landgericht Augsburg verurteilte ihn mit Urteil vom 2. Februar 2018 wegen Untreue in zwei Fällen (§§ 266 Abs. 1 Alt. 1, 53 Strafgesetzbuch – StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (10 KLs 510 Js …; Disziplinarakte = DA S. 3175 ff.); dieser Verurteilung lagen ein am 25. Juni 2008 für die Stadt L. abgeschlossener Doppel-Swap (bestehend aus dem Festzinsempfänger-Swap IRS 968 und dem Festzinszahler-Swap IRS 969) und die Auflösung des als Gegengeschäft für die Derivate IRS 969 und IRS 1002 ausgewiesenen Festzinsempfänger-Swap IRS 504 am 5. Februar 2010 gegen eine Ausgleichszahlung zugunsten der Stadt L. in Höhe von 969.500 € zugrunde. Mit Revisionsurteil vom 25. April 2019 (1 StR …18; juris) stellte der Bundesgerichtshof (BGH) fest, dass das Landgericht Augsburg zwar im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen sei, dass der Beklagte durch den Abschluss der verfahrensgegenständlichen Derivatverträge eine ihm obliegende Vermögensbetreuungspflicht verletzt habe, hob das Urteil des Landgerichts aber im Schuldspruch auf, weil die Urteilsgründe nicht den Darlegungsanforderungen an die Feststellung eines Vermögensnachteils durch die Derivatabschlüsse genügten, stellte fest, dass die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen – mit Ausnahme derjenigen zum Vorliegen von Vermögensnachteilen – aufrechterhalten bleiben könnten, und verwies das Verfahren zurück an das Landgericht Augsburg. Dieses stellte das Strafverfahren mit Beschluss vom 16. April 2021 (DA S. 3248) vorläufig nach § 153a Abs. 2 StPO ein und teilte mit Schreiben vom 26. Juli 2021 (DA S. 3256) mit, dass das Verfahren nach Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 35.000 € durch den Beklagten endgültig eingestellt worden sei.
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2.2. Hinsichtlich weiterer vom Beklagten getätigter Derivatgeschäfte stellte die Staatsanwaltschaft Augsburg das strafrechtliche Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 4. Mai 2017 (510 Js 106652/12; DA S. 3122) nach § 170 Abs. 2 bzw. § 154 Abs. 1 StPO ein.
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2.3. Hinsichtlich des Vorwurfs der unterbliebenen Erhebung umlagefähiger Straßenausbaubeiträge für Erschließungsvorhaben stellte die Staatsanwaltschaft Augsburg das Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 5. Oktober 2021 (510 Js …; DA S. 3260 ff.) nach § 170 Abs. 2 bzw. § 153 Abs. 1 StPO ein.
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3. Nachdem die Stadt L. die Landesanwaltschaft Bayern – Disziplinarbehörde – über den Abschluss mehrerer Derivatgeschäfte durch den Beklagten informiert hatte, übertrug sie ihr mit Schreiben des Oberbürgermeisters vom 16. Januar 2012 (DA S. 74) die disziplinarrechtlichen Befugnisse. Mit Verfügung vom 26. Januar 2012 (DA S. 159 ff.) leitete die Landesanwaltschaft Bayern ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein und dehnte dieses mit Verfügung vom 17. Februar 2020 (DA S. 714 ff.) aus. Mit Verfügung vom 12. März 2012 (DA S. 1116 ff.) dehnte sie das Disziplinarverfahren auf weitere Vorwürfe aus und setzte es bis zum Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu den Derivatgeschäften aus. Mit Verfügung vom 17. Januar 2013 (DA S. 1442 ff.) setzte sie das Disziplinarverfahren fort und dehnte es erneut aus. Mit Verfügung vom 13. August 2013 (DA S. 2280 ff.) setzte sie das Disziplinarverfahren im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen der Derivatgeschäfte erneut aus. Die Landesanwaltschaft Bayern wurde mit Schreiben des Landgerichts Augsburg vom 26. Juli 2021 (DA S. 3256) und der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 12. Oktober 2021 (DA S. 3260) vom Abschluss der Strafverfahren gegen den Beklagten in Kenntnis gesetzt. Die Stadt L. bat mit Schreiben vom 2. November 2021 (DA S. 3262) um baldigen Abschluss des Disziplinarverfahrens und teilte mit, dass sie einer Einstellung nicht entgegentreten werde. Mit Verfügung vom 23. November 2021 (DA S. 3276 ff.) setzte die Landesanwaltschaft Bayern das Disziplinarverfahren fort. Mit Verfügung vom 27. April 2022 (DA S. 3332 ff.) beschränkte sie es durch Ausscheiden einzelner Handlungen nach Art. 21 Abs. 2 Satz 1 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG). Unter dem Datum des 12. Mai 2022 stellte sie das Ergebnis der Ermittlungen (DA S. 3374 ff.) dar.
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Im Rahmen vorläufiger Maßnahmen enthob die Landesanwaltschaft Bayern den Beklagten mit Verfügung vom 12. März 2012 (DA S. 1093 ff.) mit sofortiger Wirkung vorläufig des Dienstes; mit Verfügung vom 13. August 2013 (DA S. 2280 ff.) ordnete sie die Einbehaltung von 30 v.H. des monatlichen Ruhegehalts an. Nach einer Überprüfung der vorläufigen Maßnahme kam die Landesanwaltschaft Bayern mit Verfügung vom 13. Mai 2022 unter vollständigem Austausch der zugrunde liegenden Vorwürfe zum Ergebnis der Beibehaltung der Ruhegehaltskürzung (DA S. 3419 ff.). Das Verwaltungsgericht entschied gleichzeitig mit dem vorliegenden Urteil über den seit 9. September 2013 bei Gericht anhängigen Antrag auf Aussetzung der Einbehaltung des Ruhegehalts (anfangs M 19L DA 13. …, nach Wiederaufnahme nach statistischer Erledigung M 19L DA 21. …) und gab diesem statt.
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Der Beklagte bzw. seine Bevollmächtigten erhielten zu allen Verfahrensschritten die Gelegenheit zur Äußerung, von der sie mehrfach Gebrauch machten.
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4. Am 31. August 2022 erhob die Landesanwaltschaft Bayern Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,
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dem Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen.
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Zur Begründung wurden folgende Vorwürfe gegen ihn erhoben:
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(1) Der Vorwurf kommunalrechtswidriger Derivatgeschäfte mit einer Privatbank mit der Folge erheblicher Haushaltsrisiken für die Stadt L. ergebe sich aus dem Urteil des Landgerichts Augsburg vom 2. Februar 2018, dem ungeachtet der Aufhebung durch den BGH wegen des Wortlauts von Art. 25 Abs. 1 BayDG und aus prozessökonomischen Gründen Bindungswirkung zukomme.
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(2) Darüber hinaus habe der Beklagte zwischen 9. Juni 2006 und 5. Februar 2010 sechs Derivatgeschäfte abgeschlossen, um sofortige Prämieneinnahmen zu generieren, die das Zinsergebnis der Stadt L. verbessert hätten. Die einzelnen Geschäfte ergeben sich aus der Aufzählung auf S. 35 der Disziplinarklage, auf die Bezug genommen wird.
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(3) Zudem habe er zwischen 7. Januar 2008 und 4. Juli 2011 sieben Auszahlungen an die … … … GmbH angeordnet, ohne den Oberbürgermeister oder die zuständigen Gremien zu beteiligen. Die einzelnen Auszahlungen lassen sich der Darstellung auf S. 36 der Disziplinarklage entnehmen, auf die ebenfalls verwiesen wird.
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Durch das unter (1) und (2) geschilderte Verhalten habe der Beklagte gegen seine Pflicht zur Beachtung der Gesetze nach § 33 Abs. 1 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) i.V.m. Art. 61 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Gemeindeordnung (GO), der zu sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltswirtschaft und zur Minimierung des finanziellen Risikos verpflichte, verstoßen. Beim Abschluss von Derivatgeschäften sei die sogenannte Konnexität zwischen Swap-Geschäft und konkret zugrundeliegenden Kreditgeschäften zwingend zu beachten gewesen. Diese Konnexität sei jedoch bei Abschluss des Doppelswap IRS 968/IRS 969 am 25. Juni 2008 und bei Auflösung des IRS 504 nicht gegeben gewesen, sodass ein Verstoß gegen das Spekulationsverbot vorliege. Im Hinblick auf Vorwurf (2) beruhe der Abschluss der Swap-Geschäfte auf der sachfremden Erwägung der Prämiengenerierung. Zudem habe der Beklagte mit dem Verhalten unter (1) und (2) gegen die Pflicht zum vollen persönlichen Einsatz aus § 34 Satz 1 BeamtStG und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten aus § 34 Satz 3 BeamtStG a.F. verstoßen. Die unzureichende Information von Oberbürgermeister und Gremien im Hinblick auf die Vorwürfe (1) und (2) begründe außerdem einen Verstoß gegen die Pflicht zur Beratung seiner Vorgesetzten aus § 35 Satz 1 BeamtStG a.F. und gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten aus § 34 Satz 3 BeamtStG a.F.. Durch das unter (3) geschilderte Verhalten habe er außerdem die Pflicht zur Beachtung allgemeiner Richtlinien aus § 35 Satz 2 BeamtStG verletzt, weil er nach der Geschäftsordnung bei den Auszahlungsanordnungen sowohl den Verwaltungs- und Finanzausschuss als auch den Oberbürgermeister hätte einbinden müssen. Die Verstöße seien innerdienstlicher Art. Der Beklagte habe bei allen Verstößen zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
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Die schwerste Verfehlung, nach der sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme bestimme, liege in den Verstößen gegen das Spekulationsverbot. Hierdurch habe der Beklagte seine Kernpflicht, mit dem Vermögen der Stadt L. in deren Interesse nach den gesetzlichen Vorschriften umzugehen, missachtet, dies über mehrere Jahre hinweg und in dem Bestreben, sein Fehlverhalten gegenüber den zuständigen Gremien zu vertuschen. Sein Verhalten lasse auf eine gewisse Selbstüberschätzung schließen und zeuge von erheblicher krimineller Energie, was sich an der Einstellung des Strafverfahrens nur gegen Zahlung einer Geldauflage zeige. Der Beklagte habe die Stadt zudem wissentlich erheblichen finanziellen Risiken ausgesetzt, wobei der konkrete Schaden letztlich noch nicht absehbar sei. Wegen der schwerwiegenden Verletzung der Kernpflicht als Kämmerer sei die Aberkennung des Ruhegehalts gerechtfertigt. Dem stehe nicht entgegen, dass die Stadt L. signalisiert habe, sie werde einer Verfahrenseinstellung nicht entgegentreten.
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Den Verstößen gegen § 35 Satz 1 und Satz 2 BeamtStG a.F. komme erhebliches disziplinarisches Eigengewicht zu, denn insoweit sei der Beklagte bis zuletzt bestrebt gewesen, sein Dienstvergehen zu verschleiern.
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Anerkannte Milderungsgründe seien nicht ersichtlich. Zu Lasten des Beklagten sei zu berücksichtigen, dass die Aufarbeitung der Derivatgeschäfte die Stadt bis heute in erheblichem Umfang personell und finanziell belastet und die anhaltend negative Presseberichterstattung zu einer erheblichen Ansehensschädigung des Berufsbeamtentums geführt habe. Der Umstand, dass er nicht eigennützig gehandelt habe, könne ihm nicht zugute gehalten werden; sein gesamtes Verhalten lasse vielmehr darauf schließen, dass es ihm um die Pflege seines Renommees als Kämmerer gegangen sei. Soweit er sich auf die Komplexität der Derivatgeschäfte berufe, hätte er diese nicht abschließen dürfen, wenn er sie als zu komplex angesehen hätte. Die fehlende Vorbelastung und die Dauer des Disziplinarverfahrens seien angesichts der zu verhängenden Höchstmaßnahme nicht mildernd zu berücksichtigen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Disziplinarklage abzuweisen,
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hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
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Er trägt vor, die Disziplinarklage könne keinen Erfolg haben.
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Das Disziplinarverfahren leide an einem wesentlichen Mangel, weil sich die Landesanwaltschaft Bayern als an das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 2. Februar 2018 gebunden ansehe, das jedoch infolge einer nach § 153a Abs. 2 StPO zunächst vorläufigen und nach Leistung einer Geldauflage endgültigen Verfahrenseinstellung nicht rechtskräftig geworden sei.
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Als Kämmerer habe er sich ab etwa 2004 einem Druck ausgesetzt gesehen, Derivatgeschäfte zu betreiben. Es sei nicht er persönlich, sondern der Stadtrat gewesen, der nach vorangegangener Präsentation den Entschluss gefasst habe, einen Rahmenvertrag mit dem Bankhaus abzuschließen. Die Berater hätten dem Stadtrat versichert, dass sie nur Geschäfte empfehlen würden, die sich im Rahmen des Derivateerlasses der Bayerischen Staatsregierung vom 8. November 1995 bewegten. In der Folge dieses Vertrages sei ihm und seinen Mitarbeitern am 15. März 2005 durch den damaligen Oberbürgermeister umfassende Vollmacht erteilt worden.
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Der Doppelswap habe bei Abschluss ein Grundgeschäft gehabt, sodass Konnexität gegeben gewesen sei. Auch ein Derivat, hier konkret der IRS 504, könne als Grundgeschäft fungieren. Der Doppelswap sei auch nicht risikobehaftet gewesen, schon gar nicht habe ein unbegrenztes Verlustrisiko bestanden; ein Spekulationsgeschäft liege daher nicht vor. Bei der Risikobetrachtung sei auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Doppelswap abzustellen, unzulässig sei dagegen eine „ex post“ Betrachtung. Als Risikobeschreibung sei nur erklärt worden: „Bei fallenden Zinsen wird die Bank das Kündigungsrecht bei Swap A nicht ausüben, Sie können nicht mehr von sinkenden variablen Zinsen profitieren.“ Nicht einmal heute stehe fest, ob am Ende der Laufzeit des Derivats IRS 969 im Jahr 2034 ein Vermögensnachteil bestehen werde; dieses werde vielmehr bei steigenden Zinsen ins Plus kommen.
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Im Hinblick auf die Auflösung des IRS 504 habe ein Berater im Beratungsgespräch am 2. Februar 2010 erwähnt, dass eine Kollision mit dem Derivateerlass entstehen könne. Er selbst habe daraufhin klargestellt, dass keine Geschäfte abgeschlossen werden dürften, die hierzu im Widerspruch stünden. Ein weiteres Beratungsgespräch am 4. Februar 2010 habe ohne sein Beisein mit seiner Mitarbeiterin Frau G. stattgefunden. Das hierzu erstellte Beratungsprotokoll vom 5. Februar 2010 habe er nie zu Gesicht bekommen. Ein möglicherweise vorübergehendes Verlassen des Konnexitätsprinzips sei von Seiten der Beraterfirma als sofort wieder heilbar dargestellt worden.
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Es sei unrichtig, dass er die zuständigen Gremien nicht oder unzureichend informiert habe. Vielmehr seien Informationen unter Vorlage umfangreicher Sitzungsunterlagen erfolgt.
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Ein konkreter Vermögensnachteil für die Stadt sei nicht eingetreten. Weder sei ein negativer Barwert mit einem Schaden gleichzusetzen noch habe ein unbeschränktes Verlustrisiko bestanden. Zudem habe das Landgericht München I die hier streitgegenständlichen Swap-Geschäfte mit Urteil vom 13. April 2021 (3 O 6368/12) mangels der erforderlichen Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde von Anfang an als nichtig angesehen; bei dieser Sichtweise sei ein finanzielles Risiko komplett zu verneinen.
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Er habe nicht schuldhaft gehandelt. Er habe sich auf die Beratung des Beratungshauses verlassen und ansonsten die Prüfung, ob die kommunalrechtlichen Bindungen beachtet würden, vorgenommen. Jedenfalls sei er nicht mit einem Vermögensnachteil zu Lasten der Stadt einverstanden gewesen.
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Angesichts des geschilderten Sachverhalts lägen die vorgeworfenen Pflichtverletzungen objektiv nicht vor, seien aber jedenfalls subjektiv nicht vorwerfbar.
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Im Rahmen der Maßnahmezumessung sei zu berücksichtigen, dass der Sachverhalt völlig einseitig zu seinen Lasten festgestellt worden sei. Der beteiligten Stadtverwaltung hätten identische Vorwürfe gemacht werden können. Selbst wenn ein Dienstvergehen vorliege, würde dieses nicht die Höchstmaßnahme rechtfertigen. Die vorgeworfenen risikobehafteten Derivatgeschäfte seien nicht mit Delikten vergleichbar, die der persönlichen Bereicherung dienten und ansonsten zu einem völligen Vertrauensverlust führten. Zudem erfülle sein Handeln keinen Straftatbestand. Allenfalls könne ihm in geringem Umfang ein disziplinarrechtlicher Vorwurf gemacht werden. Mildernd seien die hohe Komplexität der Derivatgeschäfte mit fehlender Erkennbarkeit des Risikos, der fehlende Vermögensschaden bei Abschluss der Derivatgeschäfte, die Dauer des Disziplinarverfahrens von mehr als zehn Jahren, das gute Persönlichkeitsbild und sein stets tadelloses inner- und außerdienstliches Verhalten mit umfangreichem ehrenamtlichem Engagement zu berücksichtigen.
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Die Landesanwaltschaft replizierte mit Schreiben vom 12. Januar 2023 und führte zur Bindungs- oder jedenfalls Indizwirkung des Strafurteils nach Art. 25 Abs. Abs. 1 bzw. Abs. 2 BayDG, zu den einzelnen Verstößen der vom Beklagten getätigten Geschäfte gegen das Konnexitätsprinzip und den Schwierigkeiten im Hinblick auf die Bezifferung der Schadenshöhe aus.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Disziplinarakten (Bd. I bis VII S. 1-3435), die vorgelegten Beiakten (vgl. die Aufzählung in der Disziplinarklage S. 49), die beigezogenen Strafakten im Verfahren 510 Js … und die Gerichtsakten, auch in den Verfahren M 19L DA 13. … und M 19L DA 21. …, verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts in Höhe von 10 v.H. für die Dauer von 48 Monaten erkannt (vgl. Art. 12 BayDG).
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1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Insbesondere erhielt der Beklagte im behördlichen Disziplinarverfahren zu allen Verfahrensschritten die Gelegenheit zur Äußerung. Ein wesentlicher Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens im Sinne von Art. 53 Abs. 1 BayDG liegt auch nicht darin, dass sich die Landesanwaltschaft Bayern als Disziplinarbehörde an die tatsächlichen Feststellungen aus dem Urteil des Landgerichts Augsburg vom 2. Februar 2018 gebunden sah (vgl. 2.1.2.).
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2. In tatsächlicher Hinsicht geht das Gericht von den in der Disziplinarklage gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfen (1) bis (3) aus.
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2.1. Im Hinblick auf den Sachverhalt, der der Verurteilung des Beklagten zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten durch das Landgericht Augsburg mit Urteil vom 2. Februar 2018 zugrunde liegt, die durch Urteil des BGH vom 25. April 2019 aufgehoben wurde, sieht das Gericht Bindungswirkung nach Art. 25 Abs. 1, Art. 55 Halbs. 1 BayDG, die die tatsächlichen objektiven Feststellungen aus dem Urteil des Landgerichts Augsburg mit Ausnahme des Vermögensnachteils betrifft.
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2.1.1. Danach legt es seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde, der (mit redaktionellen Anpassungen) dem landgerichtlichen Urteil entnommen ist:
I.
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Rechtliche und vertragliche Grundlagen
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1. Organisation der Kämmerei
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Der Angeklagte M2. Sch war ab 1983 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2013 durchgehend Kämmerer der Stadt L.. Dem Angeklagten Sch als verantwortlichem Kämmerer arbeitete der jeweilige Leiter des Referats Haushaltswirtschaft (Ref. 201) im Bereich der Derivatgeschäfte zu; dies war bis 28.02.2006 der Zeuge A. M., nach dessen Eintritt in die Altersteilzeit die anderweitig Verfolgte G..
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2. Anbahnung der Derivatgeschäfte
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Zumindest ab dem Jahr 2003 befasste sich der Angeklagte Sch mit der Möglichkeit, durch den Einsatz derivativer Finanzinstrumente die Zinsbelastung der Stadt L. aus Festzinskrediten zu reduzieren und das Schuldenmanagement zu optimieren. In dieser Phase kontaktierte er auch den Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband (BKPV) und das Landratsamt L., um sich hinsichtlich der Zulässigkeit von Derivatgeschäften und deren rechtlichen Rahmenbedingungen abzusichern. Eine erneute Befassung der Aufsichtsbehörden, konkret des BKPV, mit den Derivatgeschäften der Stadt L. erfolgte dann erst wieder im Rahmen einer turnusmäßigen Geschäftsprüfung im Jahr 2010.
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In den Sitzungen des Verwaltungs- und Finanzausschusses (künftig VFAS) vom 10.11.2004 und des Stadtrats vom 24.11.2004 erläuterte der Angeklagte Sch Funktion und Wirkungsweise von Finanzderivaten sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen für deren Einsatz und gab bekannt, dass nach Einholung und Vergleich verschiedener Angebote der Zusammenarbeit mit dem Privatbankhaus ... KGaA der Vorzug gegeben würde. In der Vorlage heißt es zur rechtlichen Zulässigkeit wörtlich: „Für Kommunen sind derivative Finanzinstrumente eindeutig nur im Zusammenhang mit bestehenden Krediten zulässig; spekulative Geschäfte sind unzulässig“. Der den Gremien unterbreitete Beschlussvorschlag lautete dann wie folgt (vgl. BI. 10 – 12 Selbstleseordner [künftig SLO]):
47
"1. Die Verwaltung wird ermächtigt, zur Steuerung und Optimierung der bestehenden Kredite und Darlehen (Stadt, Eigenbetriebe incl. …) moderne Finanzinstrumente einzusetzen. Bei der Steuerung der Zinspositionen werden die Bestimmungen des Erlasses des Bayer. Staatsministeriums der Inneren vom 08.11.1995 eingehalten.
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Die modernen Finanzinstrumente, die eingesetzt werden, stehen dabei immer im Zusammenhang mit Grundgeschäften (Grundgeschäftsbezug).
49
2. Oberbürgermeister L. wird ermächtigt, mit … den erforderlichen Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte incl. Anhängen und Zusatzvereinbarungen abzuschließen und erforderliche Vollmachten zu erteilen.
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3. Der Bayer. Kommunale Prüfungsverband sowie das Landratsamt L. (Rechtsaufsichtsbehörde) werden entsprechend informiert.“
51
Am 24.11.2004 fasste der Stadtrat vorlagegemäß den entsprechenden Grundsatzbeschluss, mit dem der Oberbürgermeister zum Abschluss der erforderlichen Rahmenverträge mit dem günstigsten Bieter ermächtigt wurde (vgl. BI. 13 – 15 SLO).
52
In Umsetzung dieses Beschlusses unterzeichnete Oberbürgermeister Le.
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- zum einen den „Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte zwischen der Stadt L. und der ... … KGaA “ (BI. 21 – 31 SLO),
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- zum anderen den Rahmenvertrag „…  … … …“ (BI. 42 – 47 SLO) vom 15.03.2005 zwischen der Stadt L. und der ... … … GmbH.
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Zudem wurden der Angeklagte Sch, die anderweitig Verfolgte G. sowie der Zeuge M. durch den Oberbürgermeister am 17.03.2005 bevollmächtigt, die Stadt jeweils einzeln gegenüber der Bank bei Abschluss von Geschäften an Terminbörsen, Devisentermingeschäften, Optionsscheingeschäften und Devisenoptionsgeschäften zu vertreten (BI. 36 – 40 SLO).
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3. Firmenstruktur H & A und Rolle der Beteiligten Berater
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Die ... … KGaA mit Hauptsitz in Frankfurt am Main und Zweigniederlassungen in … 8. … M. sowie … 8. … M. war im Handelsregister des Amtsgerichts – Registergerichts Frankfurt am Main unter HRB … eingetragen. Nach formwechselnder Umwandlung mit Satzung vom 21.02.2017 firmiert die Gesellschaft nunmehr unter ... … AG, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts – Registergericht Frankfurt am Main unter HRB … Geschäftsgegenstand ist der Betrieb von Bank- und Finanzgeschäften aller Art und von allen damit zusammenhängenden Geschäften.
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Die  … … GmbH wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 30.08.1991 mit Sitz in Frankfurt am Main gegründet; dort war die Gesellschaft unter HRB … im Handelsregister des Amtsgerichts – Registergericht Frankfurt / Main eingetragen. Mit Gesellschafterbeschluss vom 30.012008 wurde die Sitzverlegung nach M. beschlossen und die Gesellschaft unter HRB … im Handelsregister des Amtsgerichts – Registergericht M. eingetragen. Die … … … GmbH wurde am 20.10.2010 auf die  … C. GmbH und diese wiederum am 27.12.2012 auf die  … F. AG verschmolzen. Nach formwechselnder Umwandlung firmiert die Gesellschaft derzeit unter … … Gesellschaft für Kapitalbeteiligungen mbH mit Sitz in … … … … M., eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts – Registergerichts M. unter HRB …
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Bei der … … … GmbH handelt es sich um eine 100%-ige Tochtergesellschaft der … KGaA, die ausschließlich Produkte der Muttergesellschaft vertrieb.
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Gegenstand des mit der … … … GmbH abgeschlossenen …-Vertrages war eine auf die Bedürfnisse der Stadt L. zugeschnittene „Zinsmanagement-Beratung für Kreditportfolios“ mit Analyse des Kreditportfolios, Darstellung unterschiedlicher Zinsszenarien und Risikomessung. Es wurde ausdrücklich festgehalten, dass die Beratung durch die … … … GmbH lediglich als Entscheidungsgrundlage dienen sollte und die Entscheidung über den Einsatz bestimmter Zinsinstrumente durch die Stadt L. in eigener Verantwortung zu treffen war. Rechtliche oder steuerliche Beratung wurde explizit ausgeschlossen.
II.
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Beginn der Derivatgeschäfte
62
Ab dem 24.03.2005 schloss der Angeklagte Sch auf Grundlage der genannten Rahmenverträge unterstützt von seinen Mitarbeitern M. und G. eine Vielzahl von Derivatgeschäften ab, wobei er sich zunächst im Rahmen des kommunalrechtlich Zulässigen bewegte. So wurde zunächst mit Abschluss des Receiver Swaps IRS 664 am 24.03.2005 das bis dahin festzinsbasierte Kreditportfolio der Stadt L. synthetisch variabel gestellt und das hiermit verbundene Zinsschwankungsrisiko aus den zu zahlenden variablen Zinsen durch gleichzeitigen Abschluss des Caps 686 nach oben begrenzt.
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Ein Zinsswap in seiner klassischen Ausprägung des „Plain Vanilla Swap“ ist dabei eine vertragliche Vereinbarung zwischen zwei Vertragsparteien über den Austausch von Zinszahlungen in einer bestimmten Währung für eine bestimmte Laufzeit bezogen auf einen definierten Kapitalbetrag. Die eine Partei zahlt auf Grund der vertraglichen Vereinbarung der anderen Partei also regelmäßig (z.B. halbjährlich) einen festen Zinssatz und erhält dafür regelmäßig einen variablen Zinssatz, der z.B. an den Euribor gekoppelt ist. Für diese Partei wird die Gesamtposition als Festzinszahlerswap oder Payer Swap bezeichnet. Aus Sicht der Gegenpartei, die den festen Zinssatz erhält und den variablen Zinssatz zu bezahlen hat, wird die Gesamtposition als Festzinsempfänger-swap oder Receiver Swap bezeichnet.
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Unter einem Cap versteht man eine Zinsoption, für die der Optionskäufer an den Verkäufer eine Optionsprämie bezahlen muss. Durch den Cap wird dem Cap-Käufer eine Zinsobergrenze garantiert. Dieses Zinsderivat kann damit zur Absicherung gegen steigende Zinsen über den vereinbarten Höchstzinssatz hinaus eingesetzt werden.
65
Bereits ein Jahr später wurde der Vertrag IRS 664 wieder aufgelöst und am 15.03.2006 durch Abschluss des Receiver Swap IRS 504 ersetzt. Auch diese Maßnahme begegnet aus kommunalrechtlicher Sicht keinen Bedenken.
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Bereits mit Verkauf der Swaption Ref. 875 am 09.06.2006 an die  … KGaA änderte sich das Anlageverhalten des Angeklagten Sch grundlegend. Diese Swaptionen sind Optionen auf Zinsswaps und verschafften der  … KGaA gegen Zahlung einer Prämie an die Stadt das Recht, zu einem bestimmten künftigen Zeitpunkt in einen bestimmten Zinsswap einzutreten; eine entsprechende Eintrittsverpflichtung ist hiermit nicht verbunden.
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Ab Juni 2006 veranlasste der Angeklagte Sch über einen Zeitraum von knapp 2 Jahren den Verkauf von insgesamt fünf solcher Swaptionen. Diese waren zur Steuerung des Zinsaufwandes und zur Optimierung des Kreditportfolios nicht geeignet, sondern dienten allein der Generierung von kurzfristigen Gewinnen in Form der vereinnahmten Optionsprämien.
68
Der zuständige Verwaltungs- und Finanzausschuss der Stadt L. wurde erstmals in seiner Sitzung am 02.07.2008 über die im Zeitraum März 2005 bis Juli 2008 abgeschlossenen Geschäfte informiert.
III.
69
Untreue durch Abschluss des Doppelswap IRS 968/IRS 969 am 25.06.2008
70
Am 25.06.2008 schloss der Angeklagte Sch über den anderweitig Verfolgten S. telefonisch mit der …  … … KGaA einen aus dem Festzinsempfänger-Swap IRS 968 und dem Festzinszahler-Swap IRS 969 bestehenden Doppelswap.
71
Der Festzinsempfänger-Swap IRS 968 hatte eine kurze Laufzeit von 2 Jahren (30.06.2008 – 30.06.2010) bei einem Bezugsbetrag zu Laufzeitbeginn von 41.959.193,00 € (Gesamtportfolio Stadt + Teil Stadtwerke) und einem Festzins von 5,255% p.a. Ein Grund- oder Gegengeschäft für diesen Zinsswap wurde in der Beratungsdokumentation nicht benannt und ist auch objektiv nicht vorhanden.
72
Der Festzinszahler-Swap IRS 969 wurde für die Zeit vom 30.06.2008 – 29.12.2034 bei einem Bezugsbetrag von 41.959.193,00 € und einem Festzinssatz von 4,805% p.a. abgeschlossen. Als Grund- bzw. Gegengeschäft für dieses Derivat wurde in der Beratungsdokumentation – wie bei Verkauf der Swaption 203 (vgl. unten) – der Festzinsempfänger-Swap IRS 504 ausgewiesen. Zudem wurde der Bank zum Stichtag 30.06.2008 ein einmaliges und einseitiges Kündigungsrecht eingeräumt, das zu einem asymmetrischen Risikoprofil zu Lasten der Stadt L. führte: Bei steigenden Zinsen konnte die Stadt L. an der Marktentwicklung nicht teilnehmen, da die Bank in diesem Fall ihre Kündigungsoption wahrnehmen würde, wohingegen sie bei sinkendem Zinsniveau das Kündigungsrecht verfallen ließe und die Stadt L. über die komplette Laufzeit die Festzinsbelastung aus dem IRS 969 zu tragen hätte. Die hierfür von der Bank zu zahlende Optionsprämie wurde in die Zinskonditionen eingepreist und führte für 2 Jahre zu einem Zinsgewinn für die Stadt L. von 0,45% p.a.
73
Bei Abschluss der Zinsswaps IRS 968 / IRS 969 am 25.06.2008 befanden sich bereits folgende Derivate im Portfolio der Stadt L.:
74
- der am 15.03.2006 abgeschlossene Festzinsempfängerswap IRS 504 (BI. 75 – 79 SLO) mit einer Restlaufzeit bis 31.12.2034 und einem von der … … KGaA an die Stadt L. zu zahlenden Festzins in Höhe von 4,12% p.a. bei einem Bezugsbetrag von 29.671.570,- € im Zeitraum 30.06.2008 – 31.12.2008,
75
- der bereits am 24.03.2005 abgeschlossene CAP 686 zur Begrenzung des Zinsobergrenzenrisikos und
76
- die Receiver Swaption 203. Diese Swaption hatte der Angeklagte Sch für die Stadt L. kurz vor Abschluss des Doppelswaps am 21.05.2008 auf Grundlage des … vom selben Tag verkauft. Hierbei handelte es sich um einen gedeckten Leerverkauf: Gegengeschäft – für den Fall der Ausübung der Option – war der Festzinsempfänger-Swap IRS 504. Die Stadt L. erzielte mit dem Verkauf dieser Option eine Optionsprämie in Höhe von 227.078,- €.
77
Die Pflichtwidrigkeit des Doppelswap-Abschlusses wegen Verletzung des Konnexitätsprinzips bei beiden Zinsswaps und Verstoß gegen das Spekulationsverbot durch Einräumen der Kündigungsoption verbunden mit der bewussten Übernahme eines erhöhten Risikos zwecks Prämiengenerierung war dem Angeklagten Sch positiv bekannt. Darüber hinaus hat er jedenfalls die Möglichkeit eines kausal aus dem Abschluss des Doppelswap folgenden Vermögensnachteils für die Stadt L. erkannt und dessen Eintritt auch billigend in Kauf genommen. Tatsächlich wies der Doppelswap im Zeitpunkt des Abschlusses auf Grund seiner Strukturierung saldiert einen negativen Barwert in Höhe von 138.785,- € auf, von dem rund 70% auf die Stadt (97.149,50 €) und rund 30% auf die städtischen Werke (41.635,50 €) entfallen, und führte in dieser Höhe auch unmittelbar zu einem Vermögensnachteil auf Seiten der Kommune. Dieser Vermögensnachteil hätte durch die Einstellung einer Drohverlustrückstellung in die Haushaltsplanung der Stadt L. abgebildet werden müssen, was jedoch unterblieben ist.
78
Entgegen der Empfehlungen und Hinweise der Beratergesellschaft entschied sich der Angeklagte Sch, die Swaption 203 nicht kurz vor deren Ablauf zurückzukaufen. Mit Ausübung der Swaption 203 am 30.09.2008 durch die … … KGaA realisierte sich dann das eingegangene Risiko. Es wurde der Festzinszahler-Swap IRS 1002 mit einer Laufzeit von 4 Jahren (31.12.2008 – 31.12.2012) und einem von der Stadt L. zu zahlenden Festzins von 4,61% p.a. bei einem Bezugsbetrag zu Laufzeitbeginn von 28.158.335,- € neu begründet.
79
Grund- bzw. Gegengeschäft von dem neu abgeschlossenen Swap IRS 1002 war der Festzinsempfängerswap IRS 504. Der Festzinsempfänger-Swap IRS 504 und der Festzinszahler-Swap IRS 1002 bildeten eine geschlossene Position mit der Folge, dass die Stadt L. von sinkenden Zinsen nicht mehr profitieren konnte und eine feste Belastung von 1,19% p.a. des jeweiligen Bezugsbetrages zu tragen hatte, weshalb die Empfehlung der Beratergesellschaft lautete, den IRS 1002 bei positivem Wert aufzulösen. Auch dieser Empfehlung ist die Stadt L., vertreten durch den Angeklagten Sch, nicht gefolgt
IV.
80
Ausstiegsoption und Informationsverhalten des Angeklagten in der Folgezeit
81
Der Angeklagte Sch holte sich zu keinem Zeitpunkt unabhängige Beratung, z.B. durch die Aufsichtsbehörde oder den BKPV, ein, sondern agierte allein auf Grundlage der …-Beratungstermine mit den Beratern der … … GmbH.
82
Bereits im …-Beratungsgespräch vom 20.01.2009 (vgl. BI. 285 ff. SLO) wurde er von dem anderweitig verfolgten H. ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach Ausübung der Swaption 203 die Festzinsempfängerposition doppelt abgesichert und die Konnexität nicht mehr gewährleistet sei. Wörtlich heißt es auf S. 33 dieses Beratungsprotokolls (vgl. BI. 316 SLO):
83
- „Problem ab 06/2010: durch den Doppel-Swap und die nun ausgeübten Optionen bestehen die Zahler-Swaps als Gegenpositionen zu den Ursprungsgeschäften nun „doppelt“. Nur bei deutlich steigenden Zinsen kann von einer Kündigung des Doppelswap ausgegangen werden.
- …
84
- An den stark gesunkenen Geldmarktzinsen können Sie nun nicht daran partizipieren“
85
Als Handlungsempfehlung heißt es weiter:
86
„Im Rahmen der Konnexität zu bestehenden Grundgeschäften muss bis Mitte 2010 der Doppel-Swap oder die nun bestehenden Zahler-Swaps ausgelöst werden.
Ohne Beachtung der Konnexität können zur kurzfristigen Cash-Flow-Verbesserung Derivate mit positiven Barwerten aufgelöst werden um Zahlungen in die Festsatzzahler-Swaps auszugleichen. In der Summe verbleibt jedoch eine massive Spekulation auf künftig wieder deutlich steigende Zinsen, der kein Grundgeschäft gegenübersteht.“
87
Zu diesem Zeitpunkt wäre ein vollständiger Ausstieg aus den Derivatgeschäften für die Stadt L. gegen eine Abstandszahlung in Höhe von ca. 3 Mio. € möglich gewesen. Findet sich diese Option noch in dem von Frau H … (vormals B...) gefertigten Vermerk über das Beratungsgespräch vom 20.012009 (vgl. Gesprächsvermerk, BI. 284 SLO) sowie in dem ebenfalls von dieser gefertigten Entwurf der Sitzungsvorlage für die Sitzung des Verwaltungs- und Finanzausschusses am 18.02.2009 (vgl. BI. 325 – 331 SLO), wurde diese Handlungsmöglichkeit (Ausstieg gegen Zahlung von 3 Mio. €) auf Betreiben des Angeklagten Sch aus der Sitzungsvorlage gestrichen und den zuständigen Organen der Stadt L. überhaupt nicht zur Kenntnisnahme und Entscheidung vorgelegt.
88
Darüber hinaus enthalten weder die Sitzungsvorlage für die Sitzung des VFAS am 18.02.2009 noch die Vorlagen für die VFAS-Sitzungen am 24.06.2009 und 23.09.2009 eine Information über die derzeitige Doppelbelastung aus den Festzinszahlpositionen oder die bereits bestehende Verletzung des Konnexitätsprinzips. Vielmehr fertigte der Angeklagte Sch nach Eingang des IMS vom 14.09.2009 zum Einsatz von Derivaten mit Email vom 24.09.2009 (BI. 380 ff. SLO) und Einholung einer Stellungnahme der Beratungsgesellschaft (vgl. BI. 395 ff. SLO) am 05.10.2009 einen Aktenvermerk für den damaligen Oberbürgermeister Le. (vgl. BI. 399 / 400 SLO), in dem zusammengefasst folgende Punkte festgehalten sind:
89
„... im Verantwortungsbereich der Stadt L.
90
- werden derivate Finanzinstrumente nur zur sparsamen und wirtschaftlichen Gestaltung bestehender oder neuer Verbindlichkeiten im Sinne einer Zinssicherung bzw. -optimierung, nicht aber zur Einnahmeerzielung durch die Inkaufnahme von Verlustrisiken eingesetzt
91
- stehen diese Geschäfte ausschließlich im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den konkret vorhandenen oder aktuell abgeschlossenen Kreditverträgen, also den sogenannten Grundgeschäften (Konnexität des Darlehensportfolios)
92
- wird ein entsprechendes Finanzmanagement mit dem erforderlichen Fachwissen vorgehalten. Sowohl bei der Stadtkämmerei als auch bei den Stadtwerken ist geschultes Fachwissen vorhanden
93
- werden die Zinstauschgeschäfte nur in den aufgezeigten Grenzen (Kommunaldarlehensportfolio) wahrgenommen.
94
- wird den zuständigen Organen regelmäßig über die konkrete Entwicklung des Derivateeinsatzes berichtet
95
Als Fazit wird festgestellt, dass „die im o.g. Schreiben des StMdl angesprochenen Voraussetzungen und Anforderungen für den Derivateeinsatz im Verantwortungsbereich der Stadt L. eingehalten sind.“
VI.
96
Untreue durch Verkauf des Festzinsempfängerswap IRS 504
97
Im Vorfeld des …-Beratungsgesprächs vom 02.02.2010 kontaktierte der Angeklagte Sch den anderweitig Verfolgten H. und beauftragte diesen zu prüfen und darzustellen, wie sich die Situation verändern würde, wenn Derivate mit positivem Marktwert aufgelöst würden. Auftragsgemäß enthält das Beratungsprotokoll vom 02.02.2010 dann auch unter dem Punkt Handlungsmöglichkeiten für die Stadt L. folgende Optionen (vgl. BI. 28 und 33 dieser Präsentation = BI. 421 und BI. 426 SLO):
98
1) Auflösung des bestehenden Festzinsempfänger-Swap IRS …: Gutschrift ca. 910.000 EUR
99
2) Verkauf einer Festzinszahler-Swaption im 2. Halbjahr 2010 zur Generierung von Einnahmen.
100
Erläutert wurden diese Handlungsempfehlungen wie folgt:
101
„Durch die Auflösung des Festzinsempfänger-Swap IRS 504 generiert die Stadt L. eine positive Ausgleichszahlung von rund 910.000 EUR. Diese Zahlung verbessert das Zinsergebnis für 2010. Um insgesamt ein negatives Zinsergebnis für 2010 zu vermeiden, wird beabsichtigt, bei wieder steigenden Zinsen im Jahresverlauf eine Payer-Swaption zu verkaufen (= bei Ausübung analoge Position wie aufgelöster Empfänger -Swap), um weitere Prämieneinnahmen zu generieren bzw. das Zinsergebnis zu verbessern.“
102
Nach einer weiteren telefonischen Beratung am 04.02.2010 (Telefonat zwischen den anderweitig Verfolgten B. und G.) und Rückversicherung von Frau G. beim Angeklagten Sch wurde der Festzinsempfänger-Swap IRS 504 gegen eine Ausgleichszahlung zu Gunsten der Stadt L. in Höhe von 969.500,- € am 05.02.2010 aufgelöst; der tatsächliche Barwert des Swap IRS 504 betrug in diesem Zeitpunkt 1.050.000,- €, so dass der Stadt L. insoweit ein Vermögensnachteil in Höhe von 80.500,- entstanden ist.“
103
Das über die telefonische Beratung am 04.02.2010 erstellte und von der anderweitig verfolgten G. am 05.02.2010 vor Ausführung des Verkaufs unterzeichnete Protokoll enthält ausdrücklich den Hinweis, dass „durch den weiterhin bestehenden Doppelswap IRS 968 & IRS 969 und den Festzinszahler-Swap IRS 1002 das Konnexitätsprinzip nicht eingehalten“ wird.
104
Am 10.02.2010 wurde die Auflösung des Swap IRS 504 durch den Angeklagten Sch gegengezeichnet.
105
Der Verwaltungs- und Finanzausschuss wurde erstmals in seiner Sitzung vom 10.02.2010 über die bestehende Problematik einer Doppelbelastung aus den Festzinszahler-Swaps IRS 969 und IRS 1002, denen nur das einfache Volumen aus dem Festzinsempfänger-Swap IRS 504 gegenüber stand, informiert. Gleichzeitig wurde den Ausschussmitgliedern bekannt gegeben, dass der IRS 504 gegen Ausgleichszahlung von 969.500,- € aufgelöst wurde, um das Zinsergebnis in 2010 zu verbessern. Der Verwaltungs- und Finanzausschuss hatte somit keinerlei Einfluss- oder Entscheidungsmöglichkeit mehr; der Ausschuss konnte – wie bislang auch – lediglich die „Ausführungen der Verwaltung zur Kenntnis“ nehmen.
106
Mit Verkauf des IRS 504 wurde das in sämtlichen Beratungsdokumentationen als solches ausgewiesene Grund- oder Gegengeschäft für die weiterhin im Portfolio befindlichen Derivate IRS 969 und IRS 1002 aufgelöst und die Konnexität bewusst verlassen. Die Pflichtwidrigkeit der Auflösung des einzig verbliebenen Festzinsempfängerswap war dem Angeklagten damit positiv bekannt. Die Möglichkeit eines hieraus folgenden Vermögensnachteils wurde von ihm zumindest erkannt und dessen Eintritt jedenfalls billigend in Kauf genommen.
107
Die von der Stadt L. aus dem Festzinszahlerswap IRS 969 bislang zu leistenden Beträge summieren sich zum Stand 09/2017 auf rund 3,7 Mio. €.
108
2.1.2. Nach der vorstehenden Entscheidung des Landgerichts Augsburg, der das Verwaltungsgericht Bindungswirkung nach Art. 25 Abs. 1, Art. 55 Halbs. 1 BayDG beimisst, hat der Beklagte seine Vermögensbetreuungspflicht durch Abschluss des Doppelswap IRS 968/IRS 969 am 25. Juni 2008 und durch Verkauf des Festzinsempfänger-Swap IRS 504 am 5. Februar 2010 verletzt.
109
Nach Art. 25 Abs. 1 BayDG, der nach Art. 55 Halbs. 1 BayDG auch im gerichtlichen Verfahren Anwendung findet, sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren bindend. Im Hinblick auf die eindeutige Äußerung des BGH, dass die Feststellungen des Landgerichts Augsburg zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten bleiben können (BGH, U.v. 25.4.2019, 1 StR 427.18 – juris Rn. 36), sieht das Verwaltungsgericht dessen tatsächliche Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen als bindend an. Die letztendliche Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 153a Abs. 2 StPO nach Zahlung einer Geldauflage ändert an der Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils nichts. Entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht die den Schuldspruch tragenden Feststellungen eines Strafurteils auch dann als für das Disziplinarverfahren bindend angesehen, wenn nach Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß das Strafverfahren in der Berufungsinstanz eingestellt wurde (U.v. 7.10.1986 – 1 D 46.86 – juris Ls. und Rn. 20; U.v. 24.11.1999 – 1 D 68.98 – juris Ls. und Rn. 9; Zängl, Bayer. Disziplinarrecht, Stand Aug. 2022, Art. 25 BayDG Rn. 13). Zwar wurde hier das Strafverfahren nicht nach einer strafmaßbeschränkten Berufung, sondern nach Aufhebung des Schuldspruchs durch den BGH unter Beibehaltung des objektiven Tatbestands – mit Ausnahme der Feststellungen zum Vermögensnachteil – eingestellt. Vergleichbarkeit besteht jedoch hier deshalb, weil in beiden Fällen eine Einstellung nach § 153a StPO erfolgte und unter Heranziehung der getroffenen tatsächlichen Feststellungen lediglich eine Überprüfung des Schuldspruchs angezeigt erscheint, im einen Fall infolge Berufungsbeschränkung durch den Beschuldigten, im vorliegenden Fall infolge der Aufhebungsentscheidung des BGH. Aus der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt, dass auch im Fall einer letztendlichen Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO ein rechtskräftiges Urteil im Sinne von Art. 25 Abs. 1 BayDG vorliegen kann.
110
Für die Bindungswirkung der Feststellungen des Landgerichts Augsburg zum objektiven Tatgeschehen spricht weiter der Sinn und Zweck von Art. 25 Abs. 1 BayDG, der der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz einerseits und der Prozessökonomie andererseits dient. Es würde die Rechtssicherheit gefährden und das Vertrauen in die Entscheidungsfindung erschüttern, wenn im Disziplinarverfahren ein rechtskräftiges Urteil im Strafverfahren, dessen Tatbestand dem Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt wurde, ohne Weiteres unbeachtet gelassen werden könnte und so ohne triftigen Grund einander widersprechende Entscheidungen in ähnlich gelagerten Verfahren über den gleichen Sachverhalt ergeben könnten. Auch aus prozessökonomischer Sicht wäre es unzweckmäßig, mitunter sehr umfangreiche Ermittlungen doppelt zu führen (Zängl, Bayer. Disziplinarrecht, Stand Aug. 2022, Art. 25 BayDG Rn. 6 f.).
111
Selbst wenn man die Tatbestandsvoraussetzung des rechtskräftigen Urteils aus Art. 25 Abs. 1 BayDG verneinen wollte, besteht im Hinblick auf die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Augsburg jedenfalls Indizwirkung nach Art. 25 Abs. 2 BayDG, weil sie in einem gesetzlich geordneten Verfahren getroffen wurden. Diese Indizwirkung hat der Beklagte nicht ausreichend entkräftet. In dem Strafurteil wurde bereits auf seinen Vortrag eingegangen; den dortigen Erkenntnissen und Wertungen ist er nicht zur Überzeugung des Verwaltungsgerichts entgegen getreten.
112
2.2. Daneben ist dem Beklagten im Zeitraum zwischen 9. Juni 2006 und 5. Februar 2010 der Abschluss von sechs Derivatgeschäften (vgl. die Darstellung auf S. 35 der Disziplinarklage) vorzuwerfen, die zur Steuerung des Zinsaufwandes und zur Optimierung des Kreditportfolios nicht geeignet waren, sondern lediglich der sofortigen Prämiengenerierung dienten, um das Zinsergebnis der Stadt L. zu verbessern.
113
2.3. Zudem hat er zwischen 7. Januar 2008 und 4. Juli 2011 sieben Auszahlungen an die … … … GmbH angeordnet, ohne den Oberbürgermeister oder die zuständigen Gremien im Vorfeld zu beteiligen (vgl. die Aufzählung auf S. 36 der Disziplinarklage), was jedoch nach den Vorschriften in der Geschäftsordnung der Stadt L. (DA S. 3344 ff., dort § 8 Abs. 3 Nr. 1a Spiegelstrich 3, § 12 Abs. 2 Nr. 2a) erforderlich gewesen wäre.
114
3. Durch sein Verhalten hat der Beklagte mehrere beamtenrechtliche Pflichten verletzt.
115
3.1. Die von Vorwurf (1) und (2) erfassten Derivatgeschäfte begründen einen Verstoß gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG i.V.m. Art. 61 GO, nach dessen Abs. 2 Satz 1 die Haushaltswirtschaft sparsam und wirtschaftlich zu planen und zu führen ist und nach dessen Abs. 3 Satz 1 bei der Führung der Haushaltswirtschaft finanzielle Risiken zu minimieren sind. Mit diesen Vorgaben sind die hoch spekulativen Finanzgeschäfte des Beklagten nicht zu vereinbaren. Dies gilt für die gegen das Spekulationsverbot verstoßenden sechs zwischen 9. Juni 2006 und 5. Februar 2010 zur Erzielung von Prämien abgeschlossenen Derivatgeschäfte (Vorwurf 2), mehr aber noch für die vom Urteil des Landgerichts Augsburg erfassten Derivatgeschäfte (Vorwurf 1).
116
3.1.1. Im Hinblick auf den Abschluss des Doppelswap am 25. Juni 2008 hatten beide Finanzderivate keinen ausreichenden Bezug zu den bisherigen Kreditverträgen. Zudem bestand für den Festzinsempfänger-Swap IRS 968 kein Grundgeschäft. Grundgeschäft zum Festzinszahler-Swap IRS 969 hätte der Festzinsempfänger-Swap IRS 504 sein können, der jedoch unter dem Risiko aus der bereits am 21. Mai 2008 abgeschlossenen Receiver Swaption 203 stand. Diese wurde am 30. September 2008 durch die … … KGaA ausgeübt mit der Folge, dass dann noch der Festzinszahler-Swap IRS 1002 mit einer Laufzeit bis Ende 2012 begründet wurde, sodass sich zwei Festzinszahler-Swaps [IRS 969 und IRS 1002] auf den Festzinsempfänger-Swap 504 bezogen. Hieraus resultiert auch die Empfehlung der Beratergesellschaft, den IRS 1002 bei positivem Wert aufzulösen (vgl. Beiakte 21 Rückseite 119), der der Beklagte ebenfalls nicht gefolgt ist. Mit Verkauf des IRS 504 vertiefte sich die Verletzung des Konnexitätsprinzips weiter. Zudem führte auch das einseitige Kündigungsrecht zugunsten des Bankhauses beim Swap IRS 969 zu einem asymmetrischen Risiko zu Lasten der Stadt L..
117
Das sich aus den vorgenannten Geschäften ergebende Risiko hätte der Beklagte in einer ex-ante-Betrachtung abschätzen müssen. Dabei konnte er zwar auf die Beratung durch die Beratergesellschaft zurückgreifen. Dies hat ihn jedoch nicht von einer eigenen Prüfung der mit den Geschäften verbundenen finanziellen und rechtlichen Risiken entbunden. Im Rahmenvertrag „… – … … …“ (Beiakte 2 S. 62 ff.) vom 15. März 2005 ist bereits im Vorwort enthalten, dass „Sämtliche Entscheidungen über die Aufnahme oder die Tilgung von Krediten oder den Abschluss von Zinsinstrumenten … unverändert dem Mandanten“ obliegen. „Gegenstand des Vertrages“ (Nr. 1) war ausschließlich „eine auf die Bedürfnisse des Mandanten zugeschnittene Zinsmanagement-Beratung für Kreditportfolios“. Unter „Punkt 2.3 Risikobehandlung“ wird nochmals festgehalten, dass die „Beratung … dem Mandanten ausschließlich als Entscheidungsgrundlage“ dient, aber „die Entscheidung über den Einsatz bestimmter Zinsinstrumente … der Mandant anschließend in eigener Verantwortung“ trifft. Die Verantwortung für den Abschluss der risikobehafteten Finanzgeschäfte lag damit beim Beklagten als Stadtkämmerer damals noch in der Besoldungsgruppe A 15.
118
3.1.2. Die Auflösung des Festzinsempfänger-Swap IRS 504 gegen eine Ausgleichszahlung an die Stadt in Höhe von 969.500 € erfolgte unter Wert; das Landgericht Augsburg beziffert den unterwertigen Verkauf auf 80.500 € (UA S. 13 = DA S. 3187). Das Beratungsprotokoll vom 5. Februar 2010 (Beiakte 21 S. 150) zur Beratung der Mitarbeiterin Frau G. vom 4. Februar 2010, das von Frau G. unterzeichnet wurde, enthält den unmissverständlichen Hinweis, dass „Durch den weiterhin bestehenden Doppelswap IRS 968 & IRS 969 und den Festzinszahler-Swap IRS 1002 … das Konnexitätsprinzip nicht eingehalten“ wird. Soweit der Beklagte vorträgt, dass er von der Beratung am 4. Februar 2010 und dem Beratungsprotokoll vom 5. Februar 2010 keine Kenntnis hatte, überzeugt dieser Vortrag das Verwaltungsgericht nicht. Aufgrund seiner Haltung als autoritärer Vorgesetzter einerseits (vgl. LG Augsburg, U.v. 2.2.2018, UA S. 31 = DA 3205) und eines Aktenvermerks der Mitarbeiterin Frau G. vom 5. Februar 2010 andererseits (Beiakte 21 S. 152) vertritt das Verwaltungsgericht die Auffassung, dass er in den Entscheidungsprozess zur Auflösung des Swap IRS 504 eingebunden war und diesen maßgeblich mitbestimmt hat. Entsprechend wurde das Bestätigungsschreiben zur auftragsgemäß durchgeführten Auflösung des Swap IRS 504 am 10. Februar 2010 von ihm gegengezeichnet (Beiakte 21 S. 154). Selbst wenn sein Vortrag zutreffen sollte, dass er von dem Beratungsprotokoll vom 5. Februar 2010 erst im Nachhinein Kenntnis erlangt habe, wäre ihm ein mögliches Verschulden seiner Mitarbeiterin nach § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zuzurechnen oder würde ihn als Leiter der Stadtkämmerei ein Organisationsverschulden treffen. Auf jeden Fall in seinen Verantwortungsbereich fällt es, dass er es unterlassen hat, ein neues Grundgeschäft für den Festzinsempfänger-Swap IRS 504 abzuschließen, um so die Konnexität wiederherzustellen.
119
3.2. Durch das ihm unter (1) bis (3) vorgeworfene Verhalten hat der Beklagte weiter die Pflicht zu Beratung und Unterstützung seiner Vorgesetzten aus § 35 Satz 1 BeamtStG a.F. verletzt. Er wäre zu rechtzeitiger und umfassender Information des zuständigen Verwaltungs- und Finanzausschusses und des Oberbürgermeisters verpflichtet gewesen. Sein Vorbringen, die nachträgliche Information habe ständiger Verwaltungspraxis entsprochen, entlastet ihn insoweit nicht. Dies mag bei Routineabläufen möglich sein, nicht aber bei Geschäften mit hoher Tragweite und hohem Risiko für die Stadt. Weiter liegt in diesem Verhalten ein Verstoß gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten aus § 34 Satz 3 BeamtStG a.F..
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4. Das gesamte, hier zur disziplinarrechtlichen Beurteilung stehende Verhalten des Beklagten war in sein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden. Die Pflichtverletzungen wurden daher innerdienstlich begangen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 11; BayVGH, U.v. 13.3.2019 -16a D 17.908 – juris Rn. 21).
121
5. Der Beklagte handelte vorsätzlich.
122
Das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 2. Februar 2018 (UA S. 10, 14, 38 = DA S. 3175 ff.) geht davon aus, dass beim Beklagten positive Kenntnis hinsichtlich der Verletzung des Konnexitätsprinzips und des Verstoßes gegen das Spekulationsverbot bestand, er also insoweit mit direktem Vorsatz gehandelt habe; die Möglichkeit eines mit dem Abschluss des jeweiligen Geschäfts verbundenen Nachteils für die Stadt habe er erkannt und dessen Eintritt zumindest billigend in Kauf genommen. Nach der Entscheidung des BGH vom 25. April 2019 (1 StR 427.18, dort Rn. 36) können allerdings nur die Feststellungen des Landgerichts zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten bleiben, woraus folgt, dass hinsichtlich der Feststellungen des Landgerichts zum subjektiven Tatbestand gerade keine Bindungswirkung besteht. Das Verwaltungsgericht hat daher insoweit eigene Erwägungen anzustellen; in deren Rahmen hält es die Auffassung des Landgerichts Augsburg jedoch für plausibel und nachvollziehbar und macht sie sich zu eigen.
123
Der Beklagte zeigte bereits vor Abschluss des Doppelswap mit den Geschäften mit Swaptions, dass ihm sehr an der Generierung von Prämieneinnahmen gelegen war. Durch ein Beratungsgespräch am 21. Mai 2008 im Zusammenhang mit dem Abschluss der Swaption 203 war ihm positiv bekannt, dass der Festzinsempfänger-Swap IRS 504 durch Verkauf der Swaption 203 bereits gebunden war (vgl. Beiakte 21 S. 131). Durch ein Telefonat am 25. Juni 2008 mit dem bei der Beratungsgesellschaft beschäftigten und anderweitig verfolgten S., in dem eine Beratung zum Erwerb des Doppelswap durchgeführt wurde, wurde er nochmals auf die Risiken aus dem Geschäft hingewiesen (vgl. Beiakte 21 S. 137). Ihm war damit bekannt, dass für den Swap IRS 968 kein Grundgeschäft bestand, das gekoppelte Geschäft zu einem Zinsrisiko für die Stadt führte und die Einräumung eines einseitigen Kündigungsrechts mit einer Risikoverschiebung zulasten der Stadt einherging. Im Hinblick auf den Verkauf des Festzinsempfänger-Swap IRS 504 lag ihm daran, das Zinsergebnis der Stadt für das Jahr 2010 zu verbessern, sodass er sich unter bewusster Inkaufnahme einer zumindest temporären Verletzung des Konnexitätsprinzips entschloss, die letzte werthaltige Position aus dem Derivatgeschäft zu veräußern.
124
6. Der Beklagte hat eine schwerwiegende innerdienstliche Dienstpflichtverletzung begangen. Diese führt jedoch nicht dazu, dass er das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Als angemessene Disziplinarmaßnahme sieht das Gericht daher nicht die vom Kläger beantragte Aberkennung des Ruhegehalts, sondern dessen Kürzung in Höhe von 10 v.H. für die Dauer von 48 Monaten an.
125
6.1. Die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme ist nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen (Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 BayDG). Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen. Für den Beklagten als Ruhestandsbeamten steht als Disziplinarmaßnahme entweder die Kürzung (Art. 12 BayDG) oder die Aberkennung des Ruhegehalts (Art. 13 BayDG) zur Verfügung (BayVGH, U.v. 13.3.2019 – 16a D 17.908 – n.v. UA Rn. 22).
126
Das Ruhegehalt ist abzuerkennen, wenn der Beklagte, wäre er ein noch im Dienst befindlicher Beamter, aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG). Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme nur zulässig, wenn der Beamte wegen der schuldhaften Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht das für die Ausübung seines Amtes erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG). Nur so können die Integrität des Berufsbeamtentums und das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung der Beamten aufrechterhalten werden. Ist die Weiterverwendung eines Beamten wegen eines von ihm begangenen schweren Dienstvergehens nicht mehr denkbar, muss er durch die Disziplinarmaßnahme aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Der Eintritt in den Ruhestand ist kein Grund, die Dienstvergehen milder zu beurteilen; schon aus Gründen der Gleichbehandlung kann bei schweren Dienstvergehen die disziplinarrechtliche Folge nicht davon abhängig sein, ob der Beamte bereits in den Ruhestand getreten ist oder noch nicht oder ob der Ruhestandseintritt in einem sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit der Einleitung des Disziplinarverfahrens steht (BayVGH, U.v. 13.3.2019 – 16a D 17.908 – n.v. UA Rn. 23).
127
Fallen einem Beamten – wie hier – mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, die in ihrer Gesamtheit das einheitliche Dienstvergehen ergeben, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BayVGH, U.v. 11.5.2016 – 16a D 13.1540 – juris Rn. 66). Diese liegt hier im Abschluss risikobehafteter Geschäfte zulasten der Stadt L. (Vorwurf 1).
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6.2. Der Beklagte hat hierdurch ein schweres Dienstvergehen begangen. Das Gericht hält hierfür bei einem noch im Dienst befindlichen Beamten einen Orientierungsrahmen bis zur Zurückstufung für eröffnet.
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6.2.1. Nach Aufhebung des Schuldspruchs aus dem Urteil des Landgerichts Augsburg vom 2. Februar 2018 liegt eine strafrechtliche Verurteilung wegen zweifacher Untreue zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten, bei deren Vorliegen das Beamtenverhältnis nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG automatisch geendet hätte, nicht mehr vor. Infolge der Aufhebung der Feststellungen des Landgerichts Augsburg zum Vermögensnachteil und des Schuldspruchs steht auch eine Strafbarkeit des Beklagten wegen Untreue nicht fest, sodass der aus dem Strafrahmen des § 266 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren) folgende Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 20) hier nicht anzunehmen ist.
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6.2.2. Dennoch steht fest, dass der Beklagte durch den Abschluss der verfahrensgegenständlichen Verträge eine ihm obliegende Vermögensbetreuungspflicht verletzt (insoweit eindeutig BGH, B.v. 25.4.2019 – 1 StR 427.18 – juris Rn. 16) und damit im Kernbereich seiner Pflichten als Kämmerer versagt hat. Dennoch sieht das Gesicht einen Orientierungsrahmen lediglich bis zur Zurückstufung als eröffnet an. Maßgeblich sind hierfür folgende Gründe:
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Die dem Beklagten vorzuwerfende Dienstpflichtverletzung durch Abschluss mehrerer hochgradig riskanter Finanzgeschäfte entspricht von ihrem Charakter und Erscheinungsbild nicht den Taten, die generell die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme zur Folge haben, insbesondere liegen wieder eine strafrechtliche Verurteilung des Beklagten noch eine persönliche Bereicherung vor.
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Er hat aus den hoch risikobehafteten, kommunalrechtswidrigen Derivatgeschäften keine finanziellen Vorteile gezogen. Er hat dabei nicht aus materiell-egoistischen Motiven gehandelt, sondern im falsch verstandenen finanziellen Interesse der Stadt L., deren Einkünfte aus den Derivatgeschäften er – nachdem diese tatsächlich oder vermeintlich in die Verlustzone abgeglitten waren – wieder in die Gewinnzone zurückführen wollte. Ein fremdnütziges Verhalten oder jedenfalls das Fehlen materiell-egoistischer Motive ist durchaus ein Gesichtspunkt, der bei der Bemessung einer Disziplinarmaßnahme zu Gunsten des Beamten zu berücksichtigen ist und gegebenenfalls zu einer milderen Maßnahme führen kann (BVerwG, B.v. 2.5.2017 – 2 B 21.16 – juris Rn.13; BayVGH, U.v. 13.3.2019 – 16a D 17.908 – juris Rn. 33). Dieses Vorgehen entspricht der strafgerichtlichen Rechtsprechung zur Bemessung einer Kriminalstrafe. Soweit die Disziplinarklage einen Eigennutz des Beklagten darin sieht, dass es ihm um den Erhalt seines Renommees als Kämmerer ging, trifft diese Aussage zwar zu, ändert aber nichts daran, dass er keinen individuellen Vermögensvorteil aus den Taten gezogen hat. Die Rechtsprechung stellt vielmehr gerade auf einen materiellen Vorteil ab, weil ein immaterieller Vorteil wie die Erhaltung des Renommees oder die Pflege von Beziehungen im Regelfall mit dem Verhalten eines Beamten verbunden sein dürfte.
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Zudem liegt beim Beklagten keine besondere Schwere der Schuld vor, weil ansonsten die Einstellung des Strafverfahrens gegen Zahlung einer Geldsumme nach § 153a StPO nicht möglich gewesen wäre.
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6.3. Von der Zurückstufung ist wegen der langen Verfahrensdauer nach unten hin abzuweichen und eine mildere Disziplinarmaßnahme auszusprechen. Zudem sprechen weitere Umstände zugunsten des Beklagten.
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6.3.1. Das Disziplinarverfahren hat mit mehr als elf Jahren Dauer seit der Einleitung am 26. Januar 2012 unangemessen lange gedauert. Dies ist (nochmals) mildernd zugunsten des Beamten zu berücksichtigen, so dass auf die nächstmildere Maßnahme der Kürzung der Dienstbezüge zu erkennen ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 50.13 – juris Rn. 44 f.). Die im Streitfall eingetretene unangemessene Verfahrensdauer beruhte nicht auf einem verfahrensverzögernden Verhalten des Beamten, sondern auf der Behandlung des Verfahrens durch die Ermittlungsbehörden und die Gerichte, wobei das Strafverfahren die meiste Zeit in Anspruch genommen hat. Es liegt auf der Hand, dass die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen beruflichen und wirtschaftlichen Nachteile zu einer erheblichen Belastung des über seine berufliche und wirtschaftliche Existenz im Ungewissen lebenden Beamten geführt und auf ihn eingewirkt haben.
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6.3.2. Weiter spricht zugunsten des Beklagten, dass die Stadt L. als ehemalige Dienstherrin kein Interesse mehr an einer disziplinarrechtlichen Verfolgung hat und einer Einstellung des Disziplinarverfahrens nicht entgegentreten wird (vgl. ihr Schreiben v. 2.11.2021, DA S. 3262).
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6.3.3. Zudem ist derzeit offen, ob und in welcher Höhe der Stadt L. aus den vorgeworfenen Derivatgeschäften ein Schaden entstanden ist. Die weitere Zinsentwicklung bis 2034 und damit die Risikoentwicklung aus dem Swap IRS 969 ist derzeit nicht absehbar. Zum anderen ist offen, welchen Ausgang die zivilrechtlichen Klageverfahren nehmen werden und ob ein Urteil des Landgerichts München I vom 13. April 2021, mit dem eine Klage des Bankhauses gegen die Stadt L. auf Zahlung hoher Summen abgewiesen wurde, weil die zugrunde liegenden Finanzgeschäfte infolge des Fehlens der erforderlichen Genehmigung durch das Landratsamt als Rechtsaufsichtsbehörde nichtig seien, letztendlich durch den BGH bestätigt werden wird.
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6.3.4. Im Übrigen ist der Beklagte straf- und disziplinarrechtliche nicht vorgeahndet und hat stets sehr anerkennenswerte dienstliche Leistungen gezeigt.
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6.4. Den genannten Milderungsgründen stehen folgende erschwerende Umstände gegenüber:
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6.4.1. Zu Lasten des Beklagten sprechen die weiteren Taten, so die sechs zwischen 9. Juni 2006 und 5. Februar 2010 zur Generierung von Prämien abgeschlossenen Derivatgeschäfte (Vorwurf 2) und die sieben zwischen 7. Januar 2008 und 4. Juli 2011 getätigten Auszahlungsanordnungen an die … … … GmbH ohne Beteiligung des Oberbürgermeisters und der zuständigen Gremien (Vorwurf 3). Diesen Vorwürfen kommt allerdings kein schweres Gewicht zu. Bei den Derivatgeschäften entstand kein Schaden für die Stadt. Die Auszahlungen erfolgten für rechtmäßiger Weise getätigte Geschäfte und die fehlende Einschaltung der Kommunalorgane beruhte nicht auf einer Irreführungsabsicht.
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6.4.2. Weiter erschwerend wirkt sich die hervorgehobene und verantwortungsvolle Stellung des Beklagten bei der Stadt L aus. Er war zum Tatzeitpunkt Kämmerer in der Besoldungsgruppe A 15 und hatte als solcher eine Vorgesetzten- und Vorbildfunktion über den Kreis der Kollegen und der Stadt hinaus inne. Seine (inner-)dienstliche Stellung wirkt sich erschwerend aus, weil die Verletzung insbesondere innerdienstlicher Pflichten durch Vorgesetzte mit besonderer Verantwortung größere Auswirkungen auf die Dienstmoral und das Ansehen der öffentlichen Verwaltung auslöst als bei Beamten in untergeordneter Dienststellung (vgl. BayVGH, U.v. 30.9.2020 – 16a D 18.1764 – juris Rn. 59).
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7. Damit ist als Disziplinarmaßnahme die Kürzung des Ruhegehalts auszusprechen, die nach Art. 12 Satz 1 BayDG um höchstens ein Fünftel auf längstens fünf Jahre zulässig ist. Das Gericht übt das ihm zustehende Ermessen dahingehend aus, dass dem Beklagten die Kürzung des Ruhegehalts in Höhe von 10 v.H. für die Dauer von 48 Monaten auferlegt wird.
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Der Kürzungsbruch teil beträgt bei einem Beamten der 4. Qualifikationsebene 10 v.H. (BVerwG, U.v. 21.2.2001 – 1 D 29.00 – juris Ls. und Rn. 20). Diese Grundsätze gelten auch bei Ruhestandsbeamten (BayVGH, U.v. 14.10.2015 – 16a D 14.351 – juris Rn. 82).
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Die Festlegung der Dauer der Kürzung auf 48 Monate entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und berücksichtigt alle angesprochenen be- und entlastenden Umstände des konkreten Einzelfalls. Vom Orientierungsrahmen bis zur Zurückstufung ist wegen des Milderungsgrundes der langen Verfahrensdauer nach unten hin auf die nächstmildere Disziplinarmaßnahme abzuweichen. Die zugunsten des Beklagten sprechenden Umstände wiegen etwas stärker als die Erschwerungsgründe, sodass die Festlegung der Dauer der Kürzung nicht auf das höchstmögliche Maß von fünf Jahren, sondern auf lediglich vier Jahre (= 48 Monate) erfolgte.
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8. Der Kürzung des Ruhegehalts steht nicht Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 BayDG entgegen. Kann eine Tat nach § 153a Abs. 1 Satz 5 oder Abs. 2 Satz 2 StPO nach der Erfüllung von Auflagen nicht mehr als Vergehen verfolgt werden, darf nach dieser Vorschrift wegen desselben Sachverhalts eine Kürzung des Ruhegehalts nur ausgesprochen werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beklagten zur Pflichterfüllung anzuhalten oder das Ansehen des Berufsbeamtentums zu wahren. Hier ist wegen der erheblichen Öffentlichkeitswirksamkeit der getätigten Finanzgeschäfte mit einer Mehrzahl gerichtlicher Verfahren die zweitgenannte Alternative erfüllt. Bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen, das wie hier in der Öffentlichkeit für erhebliches Aufsehen gesorgt hat, wird vom Dienstherrn erwartet, dass er ein Zeichen setzt, um die Vorkommnisse nach außen hin sichtbar zu missbilligen (Zängl, Bayer. Disziplinarrecht, Stand Aug. 2022, Art. 15 Rn. 47).
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9. Der Kürzung des Ruhegehalts steht kein Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs entgegen. Zwar sind seit der Vollendung des Dienstvergehens mit dem Verkauf des Festzinsempfänger-Swap IRS 504 am 5. Februar 2010 inzwischen mehr als drei Jahre (vgl. Art. 16 Abs. 2 BayDG) – nämlich nahezu 13 Jahre – vergangen. Doch begann die maßgebliche Dreijahresfrist mit Einleitung des Disziplinarverfahrens am 26. Januar 2012 und mit den Ausdehnungen am 17. Februar 2012, 12. März 2012 und 17. Januar 2013 neu zu laufen (vgl. Art. 16 Abs. 4 Nr. 1 und 2 BayDG) und war sie für die Dauer der Aussetzung (13.8.2013 bis 23.11.2021 = 8 Jahre und 3 Monate) gehemmt (vgl. Art. 16 Abs. 5 Satz 1 BayDG), sodass sie bis zur Klageerhebung am 31. August 2022 noch nicht abgelaufen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 BayDG. Da gegen den Beklagten im Verfahren der Disziplinarklage auf eine Disziplinarmaßnahme erkannt wurde, trägt er die Kosten des Verfahrens, obwohl er mit seinem hilfsweise gestellten Antrag, eine mildere als die von der Disziplinarbehörde beantragte Disziplinarmaßnahme auszusprechen, obsiegt hat.