Titel:
Voraussetzungen der Räumung einer Notunterkunft, unzureichende Anhörung, Nachschieben von Ermessenserwägungen (hier unzulässig, da über eine Ergänzung hinausgehend)
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVwVfG Art. 28
BayVwVfG Art. 45
BayVwVfG Art. 46
VwGO § 114 S. 2
Schlagworte:
Voraussetzungen der Räumung einer Notunterkunft, unzureichende Anhörung, Nachschieben von Ermessenserwägungen (hier unzulässig, da über eine Ergänzung hinausgehend)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 4581
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom … … 2023 wird in Bezug auf die Regelungen in Nr. 2 und 3 des Bescheidtenors wiederhergestellt, in Bezug auf die Nr. 5 und 7 des Bescheidtenors angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller bewohnt seit … 2013 eine ca. 25,5 qm große Wohneinheit, die ihm von der Antragsgegnerin im Rahmen der Obdachlosenfürsorge als Notunterkunft zur Verfügung gestellt wurde (Nutzungsgebühr aktuell monatlich: 199,35 Euro).
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Die Antragsgegnerin betreibt ihre Obdachlosenunterkünfte als öffentliche Einrichtung, deren Nutzung öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist (siehe hierzu die Satzung über die Benutzung der Notunterkunftsanlagen der Stadt … – Notunterkunftsanlagensatzung – vom 12.07.2022).
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Nach Aktenlage wurde dem Antragsteller die Wohneinheit zuletzt mit Bescheid vom … … 2020, befristet bis einschließlich … … 2020, zugewiesen. Der Antragsteller beantragte in der Folgezeit (wiederholt), die Zuweisung zu verlängern (u.a. E-Mail vom …2021). Über diesen Antrag wurde nicht entschieden.
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Am … … 2022 erhob der Antragsteller zur Niederschrift Klage mit dem Antrag, ihm im Hinblick auf die Befristung der Unterbringung bis zum … … 2020 einen Bescheid auszustellen (Verfahren ...). Er habe einen solchen bislang nicht erhalten. Die Antragsgegnerin teilte hierzu in ihrer Klageerwiderung mit, der Antragsteller habe den geforderten Bescheid bereits im … 2020 erhalten. Eine Entscheidung ist in dieser Streitsache noch nicht ergangen.
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Mit Schreiben vom … … 2022 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, eine Vermögenserklärung (auf dem beigefügten Formular) abzugeben und Einkommensnachweise sowie vollständige Kontoauszüge für die Monate ab Mai 2022 vorzulegen. Nach Aktenlage hat der Antragsteller hierauf nicht reagiert. In der Akte enthalten sind allerdings mehrere Lohnabrechnungen aus dem Jahr 2021 (der Antragsteller war anscheinend als Taxifahrer und zeitweilig als Fahrlehrer tätig) sowie Unterlagen, denen zu entnehmen ist, dass der Antragsteller überschuldet und von Pfändungen betroffen ist.
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Mit E-Mail vom … … 2022 informierte die Antragsgegnerin den Antragsteller darüber, dass man diesen gerne für eine Sozialwohnung (Gesamtmiete: 910 Euro) vorschlagen würde. Dazu teilte der Antragsteller mit E-Mail vom selben Tage mit, dass er sich die Wohnung nicht leisten könne, da er gerade erst wieder als Fahrlehrer zu arbeiten angefangen habe und einen Nettolohn von ca. 1.300 Euro erzielen würde. Er bitte zu prüfen, ob er für eine Wohnung mit einer Warmmiete von 600 Euro vorgeschlagen werden könne.
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Mit Schreiben vom … … 2023 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller erneut auf, eine Vermögenserklärung abzugeben sowie Einkommensnachweise und die vollständigen Kontoauszüge für die letzten drei Monate vorzulegen. Hierfür wurde dem Antragsteller eine Frist bis zum … … 2023 gesetzt. Andernfalls behalte sich die Antragsgegnerin das Recht vor, die vom Antragsteller genutzte Wohneinheit gemäß „§ 13 Abs. 4 Nr. 1 Satz 2“ der Notunterkunftsanlagensatzung zu räumen.
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Der Antragsteller reichte hierzu u.a. die geforderte Vermögenserklärung, der Schulden in einer Größenordnung von ca. 86.000 Euro (Krankenversicherung, Steuerschulden) zu entnehmen sind, eine abfotografierte Kontostandsanzeige (- 38.992,40 Euro) und eine Lohnabrechnung für April 2022 ein. Die Abrechnung weist einen Nettolohn vor Abzug eines Pfändungsbetrags (467,98 Euro) von 2.667,33 Euro aus. In der Bescheinigung ist weiter ein mit „Pfändung Rest“ bezeichneter Betrag von 43.479,22 Euro aufgeführt. Aktuelle Lohnabrechnungen und die Kontoauszüge der letzten Monate übermittelte der Antragsteller nach Aktenlage nicht.
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Mit Bescheid vom … … 2023 (zugestellt per PZU) hob die Antragsgegnerin den Einweisungsbescheid vom … … 2020 (vorsorglich) auf (Bescheidstenor Nr. 1) und verpflichtete den Antragsteller dazu, die ihm als Notunterkunft überlassene Wohneinheit bis zum … … 2023 (10 Uhr) zu räumen (Tenor Nr. 2 und 3). Die sofortige Vollziehung der Regelungen in Nr. 1 bis 3 wurde angeordnet. Weiter wurde für den Fall der nicht fristgemäßen Räumung die Ersatzvornahme (bezogen ersichtlich auf den Hausrat und die sonst in der Wohneinheit aufbewahrten Gegenstände) sowie unmittelbarer Zwang (hinsichtlich der Verschaffung des unmittelbaren Besitzes an der Wohnung) angedroht (Bescheidstenor Nr. 5 und 7).
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In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, die Unterkunft könne dem Antragsteller aus den folgenden Gründen nicht weiter überlassen werden:
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- Die Zuweisung der Unterkunft sei befristet gewesen bis zum … … 2020 (Bescheid vom …2020). Mit Ablauf dieser Frist sei die Nutzungsberechtigung entfallen.
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- Die Antragsgegnerin könne davon ausgehen, dass der Antragsteller über ein Einkommen verfüge, das für die Anmietung einer Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt ausreiche, da er trotz wiederholter Aufforderung die erforderlichen Nachweise über seine Einkünfte nicht erbracht habe (vgl. § 13 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 der Notunterkunftsanlagensatzung).
13
- Der Antragsteller habe es weiter wiederholt (im … und im … 2022) abgelehnt, sich auf Sozialwohnungen zu bewerben, für die ihn die Antragsgegnerin vorgeschlagen habe (vgl. § 13 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 der Notunterkunftsanlagensatzung).
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Mit Schreiben vom … … 2022 und vom … … 2023 sei der Antragsteller angehört worden. Zum Schreiben vom … … 2022 habe er sich nicht geäußert. Die mit Schreiben vom … … 2023 angeforderten Nachweise habe der Antragsteller nicht vorgelegt.
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Am … … 2023 erhob der Antragsteller zur Niederschrift Klage und beantragte, den Bescheid vom … … 2023 aufzuheben sowie die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn weiterhin in der bisher von ihm genutzten Unterkunft unterzubringen
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Weiter beantragt der Antragsteller (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
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Zur Begründung von Klage und Antrag wurde vorgetragen, der Antragsteller verfüge nicht über ausreichende eigene Mittel, um sich eine Wohnung anzumieten. Seine Schulden würden sich auf ca. 90.000 Euro belaufen. Er habe ein Pfändungsschutzkonto einrichten lassen und Zugriff nur auf ein Guthaben von 1.250 Euro. Der Rest werde gepfändet. In den Kontoauszügen sei die Pfändung nicht ausgewiesen. Zum Nachweis habe er am Geldautomaten ein Foto gemacht, das den Restbetrag der Kontopfändung ausweise (38.922,40 Euro). Seit … 2022 habe er kein ausreichendes Einkommen mehr. Seitdem versuche er als Taxifahrer seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Einmal habe er netto 1.250 Euro auf die Hand erhalten. Eine Mietbelastung von 910 Euro könne er sich nicht leisten. Er habe entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin bisher auch nur eine Wohnung angeboten bekommen.
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Der Antragsteller legte im Verfahren u.a. eine Lohnabrechnung für … 2023 (netto: 1.186,80 Euro) sowie Kontoauszüge seines Girokontos aus den Monaten … 2022 bis … 2023 vor, die Kontostände (Guthaben) zwischen 6,56 und 559,41 Euro ausweisen. Die Lohnabrechnungen für … bis … 2022 habe er bislang nicht erhalten.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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In ihrer Antragserwiderung hat sie ausgeführt, eine Verschuldung schließe die Möglichkeit eines für eine Unterkunft ausreichenden Einkommens nicht aus. Die vorliegenden aktuellsten Einkommensnachweise vom … 2022 sowie vom … und … 2021 würden Nettoeinkommen von 2.667 Euro (vor Pfändung), von 1.982 (vor Pfändung) und von 1.871 Euro ausweisen. Einkommensnachweise für einen späteren Zeitraum habe der Antragsteller trotz wiederholter Aufforderung nicht vorgelegt.
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Die Antragsgegnerin habe daher davon ausgehen können, dass das Einkommen des Klägers für die Anmietung einer Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt ausreiche mit der Folge, dass das Benutzungsverhältnis nach § 9 Abs. 3, § 10, § 13 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 der Notunterkunftsanlagensatzung habe beendet werden können. Auch die wiederholte und ungerechtfertigte Absage einer Sozialwohnung rechtfertige die Beendigung des Nutzungsverhältnisses (vgl. § 13 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 der Notunterkunftsanlagensatzung).
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Mit Schriftsätzen vom … … und vom … … 2023 trug die Antragsgegnerin zur Sache ergänzend vor und führte (Bezug nehmend auf den im Gerichtsverfahren vorgelegten Einkommensnachweis) aus, unter Berücksichtigung des nunmehr verminderten Einkommens des Antragstellers sei die Antragsgegnerin bereit, den Antragsteller sicherheitsrechtlich unterzubringen, sofern die Voraussetzungen hierfür vorlägen. Dazu bedürfe es der Vorlage der vollständigen Einkommensnachweise der letzten drei Monate. Weiter müssten die Vermögensverhältnisse offengelegt werden. Und schließlich wäre zu prüfen, ob der Antragsteller die Unterbringung in einem Boardinghaus oder einer Pension finanzieren könne. Hierzu legte die Antragstellerin eine Liste mit Angaben zu Boardinghäusern in … und Umgebung vor. Es werde insoweit um Sachvortrag gebeten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vortrag der Beteiligten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
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Der Antrag ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
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1. Zur Klarstellung ist hier vorab darauf hinzuweisen, dass das Gericht davon ausgeht, dass die in Nr. 1 des Bescheides verfügte Aufhebung der Einweisungsverfügung vom … … 2020 ins Leere geht, weil die Verfügung sich offenkundig längst erledigt hat und daher insoweit auch für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mangels möglicher Beschwer eine Antragsbefugnis nicht besteht. Zu demselben Ergebnis käme man auch, wenn der Vortrag des Antragstellers im Verfahren * … * … zuträfe und entgegen der Einlassung der Antragsgegnerin der Bescheid nicht wirksam bekannt gegeben wurde. Auch in diesem Fall würde die verfügte Aufhebung keine Rechtswirkungen entfalten.
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Das Gericht legt vor diesem Hintergrund den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO dahin aus, dass dieser sich nicht auf die Nr. 1 des angefochtenen Bescheids, sondern allein auf die Räumungsanordnung (Nr. 2 und 3 des Bescheidtenors) sowie die Zwangsmittelandrohungen (Nr. 5 und 7 des Bescheidtenors) bezieht.
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2. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz Nr. 4 VwGO von der Behörde angeordnet wurde – hier in Bezug auf die Räumungsanordnung – wiederherstellen bzw., soweit die Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung entfaltet – hier in Bezug auf die Zwangsmittelandrohungen –, anordnen. Es trifft hierbei eine Ermessensentscheidung, die sich wesentlich daran orientiert, ob nach den Umständen des Falles dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers oder dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes der Vorrang einzuräumen ist, wobei als maßgebliches, aber nicht alleiniges Kriterium auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen ist.
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3. Zur Überzeugung der Kammer stellt sich die Räumungsanordnung wegen eines Anhörungsfehlers als formell rechtswidrig dar. Nach den Umständen des Falles folgt hieraus bereits, ungeachtet der Möglichkeit, den Fehler im weiteren Verfahren zu heilen, ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Räumungsanordnung auch an einem materiell-rechtlichen Mangel leidet, der eine Aufhebung der Verfügung im Hauptsacheverfahren gebieten dürfte. Bezüglich der Räumungsanordnung war daher die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Hinsichtlich der hierauf Bezug nehmenden Zwangsmittelandrohungen war diese anzuordnen.
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4. Rechtsgrundlage für den Erlass einer Räumungsanordnung ist vorliegend § 17 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 und § 13 der Notunterkunftsanlagensatzung der Antragsgegnerin, wobei zu beachten ist, dass die Beendigung des Nutzungsverhältnisses und die Räumung rechtlich gesondert zu betrachten sind. Über die Räumung einer Notunterkunft ist nach Ermessen zu entscheiden, wobei dieses Ermessen für den Regelfall wesentlich durch die gleichfalls nach Ermessen zu erfolgende Entscheidung über die Beendigung des Benutzungsverhältnisses geprägt ist (vgl. das Wort „kann“ in § 13 Abs. 4 Satz 1 der Notunterkunftsanlagensatzung). Einer gesonderten Entscheidung über die Beendigung des Benutzungsverhältnisses bedarf es allerdings nur dann, wenn es zum Zwecke der Herbeiführung der Räumungsvoraussetzungen der Aufhebung einer noch wirksamen Zuweisungsentscheidung bedarf. Geht es dagegen wie hier um eine Räumung nach Ablauf des im Einweisungsbescheid festgelegten Benutzungszeitraums, ist über die Beendigung des Benutzungsverhältnisses im Rahmen der Entscheidung über die Räumung mitzuentscheiden (vgl. hierzu § 13 Abs. 1 der Notunterkunftsanlagensatzung).
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4.1 Dies vorausgeschickt ist zur Streitsache zunächst festzustellen, dass die Räumungsverfügung wegen des Fehlens einer ordnungsgemäßen Anhörung vor Erlass des Bescheides formell rechtswidrig ist, der Anhörungsmangel nicht geheilt wurde und auch nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Verfahrensfehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
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Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz – BayVwVfG – bestimmt, dass vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
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Dabei hat die Behörde zum einen die tatsächlichen Umstände zu benennen, die sie ihrer Entscheidung als relevant zugrunde legen will und zum anderen den beabsichtigten Verwaltungsakt nach Art und Inhalt so konkret zu umschreiben, dass für den Beteiligten hinreichend erkennbar ist, weshalb und wozu er sich äußern können soll und mit welcher eingreifenden Entscheidung er zu welchem ungefähren Zeitpunkt zu rechnen hat (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.2013 – 7 B 18.13 – ZUR 2014, 236; Huck/Müller, VwVfG, 3. Aufl. 2020, § 28 Rn. 14 m.w.N.).
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Diesen Anforderungen genügt das Schreiben der Antragsgegnerin vom … … 2023 nicht, denn der gewählten Formulierung („behält sich die Stadt … das Recht vor“) ist nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, dass für den Fall, dass der Antragsteller der Aufforderung nicht oder nicht vollumfänglich nachkommt, der Erlass einer entsprechenden Anordnung konkret beabsichtigt wäre, das Ob einer Entscheidung bleibt danach vielmehr im vagen. Weiter ist hier darauf hinzuweisen, dass das Schreiben allein Mitwirkungspflichten zum Gegenstand hat, deren Verletzung ggf. eine Beendigung des Benutzungsverhältnisses nach § 13 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 der Notunterkunftsanlagensatzung rechtfertigen kann, im angefochtenen Bescheid die Beendigung des Benutzungsverhältnisses aber auch auf weitere Gründe gestützt wird (Ablauf der Zuweisung und unberechtigte Ablehnung einer Sozialwohnung, vgl. § 13 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 der Notunterkunftsanlagensatzung). Eine ordnungsgemäße Anhörung setzt aber voraus, dass über alle relevanten Tatsachen, die aus Sicht der Behörde für die Entscheidung von Bedeutung sind, informiert wird.
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4.2 Der Verfahrensfehler wurde bislang auch nicht durch Nachholung der Anhörung geheilt (vgl. Art. 45 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG).
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Eine Heilung würde dabei voraussetzen, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Erforderlich wäre danach, dass der Beteiligte – nachträglich – eine vollwertige Gelegenheit zur Stellungnahme erhält und die Behörde die vorgebrachten Argumente zum Anlass nimmt, die ohne ausreichende Anhörung getroffene Entscheidung kritisch zu überdenken (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16/11 – NJW 2012, 2823; SächsOVG, B.v. 21.05.2019 – 3 B 151/19 – BeckRS 2019, 9339 – Rn. 13 m.w.N.).
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Insbesondere ist hierzu festzustellen, dass der Schriftsatzwechsel im Klage- und Antragsverfahren nicht auch – was im Grundsatz durchaus möglich wäre – einer Nachholung der Anhörung des Antragstellers gedient hat, denn die Antragsgegnerin hat ersichtlich eine solche nicht beabsichtigt und sich mit ihren Einlassungen im Verfahren auf eine Verteidigung des angefochtenen Bescheids beschränkt.
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4.3 Schließlich kann nach Aktenlage auch nicht angenommen werden, dass der Fehler nach Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich wäre. Nach dieser Bestimmung kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zu Stande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
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Mit Blick auf Ermessensentscheidungen lässt sich aber zumeist nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Behörde im Fall eines ordnungsgemäßen Verfahrens nicht zu einer abweichenden Sachentscheidung gekommen wäre, was zur Folge hat, dass die in Art. 46 BayVwVfG genannten Fehler bei Ermessensentscheidungen regelmäßig relevant sind (vgl. HessVGH, U.v. 6.5.2015 – 6 A 493/14 – BeckRS 2015, 47466 Rn. 41; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 46 Rn. 27). Bei der Prüfung dieser Frage ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Auf den hypothetischen Willen der Behörde kommt es nicht an. Offensichtlichkeit liegt vor, wenn die fehlende Kausalität für einen unvoreingenommenen, mit den Umständen vertrauten und verständigen Beobachter zum Zeitpunkt der Entscheidung ohne weiteres und ohne jeden vernünftigen Zweifel erkennbar ist (vgl. Huck/Müller, VwVfG, 3. Aufl. 2020, § 46 Rn. 11; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 46 Rn. 34).
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Besondere Umstände, die hier die Annahme rechtfertigen könnten, der Verfahrensfehler wäre offensichtlich ohne Einfluss auf die Entscheidung geblieben, vermag das Gericht aber nicht zu erkennen. Unter Berücksichtigung des im Gerichtsverfahren erfolgten Vortrags des Antragstellers, auf den bezüglich dessen, was bei ordnungsgemäßer Anhörung (möglicherweise) vorgebracht worden wäre, abgestellt werden kann, lässt sich nicht ohne weiteres und ohne jeden vernünftigen Zweifel konstatieren, dass die Berücksichtigung dieses Vorbringens (insbes. mit Blick auch auf die Beibringung eines aktuellen Einkommensnachweises) bei korrekter Verfahrenshandhabung das Verfahrensergebnis nicht hätte beeinflussen können, wobei wie ausgeführt ein objektiver Maßstab anzulegen ist und es auf den hypothetischen Willen der handelnden Behörde nicht ankommt.
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4.4 Nach Aktenlage ist weiter auch davon auszugehen, dass die Räumungsanordnung darüber hinaus an einem beachtlichen materiell-rechtlichen Mangel leidet.
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Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Bescheidsgründe sich darauf beschränken, die aus Sicht der Antragsgegnerin vorliegenden Gründe für eine Beendigung des Benutzungsverhältnisses darzulegen, diese aber keine Ausführungen dazu enthalten, von welchen Erwägungen die Antragsgegnerin bei der hierbei zu treffenden Ermessensentscheidung ausgegangen ist. Auch der Behördenakte lässt sich hierfür nichts entnehmen.
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Vorliegend steht zwar außer Frage, dass der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht vollumfänglich nachgekommen ist und zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses die tatbestandllichen Voraussetzungen jedenfalls des § 13 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Notunterkunftsanlagensatzung vorlagen. Der Antragsgegnerin war aber im Übrigen schon vor Übermittlung der Vermögenserklärung bekannt, dass der Antragsteller überschuldet ist und er weiter auch von Pfändungen betroffen ist. Des Weiteren hatte der Antragsteller mit E-Mail vom … … 2022 mitgeteilt, dass er im September wieder zu arbeiten angefangen habe und der Monatslohn sich auf ca. 1.300 Euro belaufen dürfte. (Mit Blick auf die von der Antragsgegnerin vorgelegte Liste günstiger Boardinghäuser und Pensionen sei an dieser Stelle bemerkt, dass damit nicht bereits dargetan ist, dass der Antragsteller die Möglichkeit hätte, sich anderweitig nicht nur kurzfristig eine zumutbare Unterkunft zu verschaffen.)
43
Angesichts dieser Gegebenheiten liegt auf der Hand, dass der Erlass einer Räumungsanordnung jedenfalls nicht geboten war, die Antragsgegnerin vielmehr gehalten war, im Rahmen des ihr zukommenden Ermessens darüber zu befinden, ob der Erlass einer entsprechenden Verfügung sich gleichwohl als sachgerecht darstellen würde (was etwa bei einer hartnäckigen oder expliziten Weigerung, relevante Auskünfte zu erteilen, angenommen werden kann) oder ob hiervon (zunächst) abgesehen werden sollte und stattdessen ggf. eine weitere Aufklärung im Tatsächlichen veranlasst und unter Umständen ergänzend anderweitige Maßnahmen wie etwa eine Umquartierung vorzugswürdig wären.
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Entsprechende Erwägungen wären auch im Hinblick auf die weiter von Antragsgegnerin angeführten Beendigungsgründe – § 13 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 3 der Notunterkunftsanlagensatzung – anzustellen gewesen, wobei hier dahingestellt sei, ob namentlich in Bezug auf die Regelungen in Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 (ausreichendes Einkommen und fehlende Hinderungsgründe, sich auf dem freien Markt ein Wohnung zu beschaffen) und Nr. 3 (unberechtigte Ablehnung einer Sozialwohnung) die tatbestandlichen Voraussetzungen tatsächlich vorliegen.
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Nachdem die Bescheidsgründe zur Ermessenshandhabung keine Ausführungen enthalten und auch der Behördenakte nicht entnommen werden kann, dass die Antragsgegnerin hinreichende und sachgerechte Ermessenserwägungen angestellt hat, muss (beim gegenwärtigen Verfahrensstand) von einem Ermessensausfall ausgegangen werden, der die Rechtswidrigkeit der Räumungsanordnung zur Folge hat. Weiter ist festzustellen, dass der Vortrag der Antragsgegnerin im Gerichtsverfahren, wonach sie unter bestimmten Voraussetzungen bereit wäre, den Antragsteller weiter unterzubringen, diesen Mangel nicht heilen kann. Es scheint bereits fraglich, ob dieser Vortrag als Nachschieben von Ermessenserwägungen gewertet werden kann. Aber selbst wenn man dies annehmen wollte, würde dies doch an der Rechtswidrigkeit der Verfügung nichts ändern, da § 114 Satz 2 VwGO lediglich die Ergänzung von Ermessenserwägungen gestattet. Um eine solche handelt es sich aber nicht, wenn der angefochtene Verwaltungsakt keine Begründung zu den Ermessenserwägungen enthält und erstmals im gerichtlichen Verfahren hierzu seitens der Erlassbehörde vorgetragen wird.
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5. Dem Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
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6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.