Inhalt

AG München, Endurteil v. 27.04.2023 – 472 C 2227/22
Titel:

Wohnraummiete: fristlose Kündigung ohne Abmahnung bei nachhaltiger Störung des Hausfriedens durch falsche Angaben und erheblichen Polizeieinsatz – Zerstörung des Vertrauensverhältnisses

Normenkette:
BGB § 543 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 3 S. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 569 Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine fristlose Kündigung gem. § 543 Abs. 1 S. 2 BGB wegen einer nachhaltigen Störung des Hausfriedens (§ 569 Abs. 2 BGB) ist gerechtfertigt, wenn ein Mieter einen erheblichen Polizeieinsatz auslöst, indem er gegenüber dem polizeilichen Notruf wissentlich falsche Angaben macht, insbesondere durch verleumderische und ehrverletzende Aussagen wie das grundlose Anzeigen einer angeblichen "Nazi-Party". (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hierdurch kann zugleich das für die Fortsetzung des Mietverhältnisses unerlässliche Vertrauensverhältnis derart zerstört werden, dass eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich ist (§ 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BGB), weil das zerstörte Vertrauen durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden kann. (Rn. 48 – 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnraummiete, fristlose Kündigung, entbehrliche Abmahnung, Hausfrieden, Notruf, Verleumdung, größerer Polizeieinsatz, nachhaltige Störung, Interessenabwägung, Nazi-Party
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Hinweisbeschluss vom 13.07.2023 – 14 S 6310/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 45793

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, die im 1. Obergeschoss links des Anwesens ..., gelegenen Wohnräume, bestehend aus 3 Zimmern, Wohnküche, Speisekammer, Bad, WC, Hauswirtschaftsraum, Abstellkammer, Diele, Balkon sowie das im Kellergeschoss gelegene Kellerabteil Nr. 3 vollständig zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann eine Vollstreckung der Klägerin in Ziffer 1 dieses Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Das Urteil ist für die Klägerin in Ziffer 2 gegen Sicherheitsleitung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. 
4. Dem Beklagten wird keine Räumungsfrist gewährt.
5. Der Streitwert wird auf 16.200,00 € festgesetzt. 

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über einen Räumungs- und Herausgabeanspruch nach verhaltensbedingten Kündigungen durch die Klagepartei.
2
Der Beklagte hat mit Mietvertrag vom 05.07.2010 (vorgelegt als Anlage K1) die in Ziffer 1 des Tenors näher bezeichnete Wohnung angemietet. Beginn des Mieterverhältnisses war am 01.08.2010. Der Beklagte bewohnt die Wohnung mit seiner Tochter (geb. ... 2005), die derzeit die 11. Klasse des in unmittelbar in Nähe der streitgegenständlichen Wohnung gelegenen ...-Gymnasiums besucht und im Jahr 2024 ihr Abitur macht.
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Die Klägerin sprach gegenüber dem Beklagten jeweils am 24.08.2021 (Anlage K2) und am 19.10.2021 (Anlage K4) schriftliche außerordentliche fristlose Kündigungen verbunden mit jeweils hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen aus. In der Klageschrift vom 11.02.2022 (Bl. 1/36 d.A.) wurde hilfsweise eine weitere außerordentliche und fristlose Kündigung, hilfsweise ordentlich erklärt. Abmahnungen sind nicht erfolgt. Inhaltlich wird jeweils auf das Kündigungsschreiben vom 24.08.2021 (Anlage K2), das Kündigungsschreiben vom 19.10.2021 (Anlage K4) und die in der Klageschrift erfolgten Kündigungen (Bl.1/9 der Akte) vollumfänglich Bezug genommen.
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Die Kündigung vom 19.10.2021 (Anlage K4) wurden seitens der Klagepartei auszugsweise wie folgt begründet:
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Der Beklagte habe erneut massiv mietvertragliche Pflichten verletzt. So sei am 05.10.2021 um 4.30 Uhr nachts die Polizei mit 7 Einsatzkräften beim Mieter D. L. vor der Wohnungseingangstüre gestanden und haben den Zugang zu seiner Wohnung verlangt. Die Polizei habe die Meldung erhalten, dass eine große „Nazi-Party“ bei Herrn L. gefeiert werde und rechte Parolen gebrüllt werden. Diese Meldung, die über den Polizei-Notruf erfolgt sei, sei vom Beklagten ausgegangen. Tatsächlich haben sich weder bei Herrn L. noch in anderen Wohnungen im Objekt Leute befunden, die eine „Nazi-Party“ gefeiert und/ oder rechte Parolen gebrüllt haben. Herr D. L. sei bereits in der Vergangenheit vom Beklagten als Nazi bezeichnet worden. Nun habe der Beklagte am 05.10.2021 bei der Polizei in einem solch beleidigenden und ehrverletzenden Zusammenhang mit einer angeblichen „Nazi-Party“ angezeigt, was völlig haltlos gewesen und ohne jede Grundlage erfolgt sei.
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Was den Vorfall am 05.10 2021 betreffe, seien nach Ansicht der Klägerin die Einsatzkräfte mit Schlagstöcken bewaffnet gewesen und der Zeuge L. habe in Unterwäsche die Türe geöffnet, da er aus dem Schlaf gerissen worden sei. Die Polizei habe sich sodann in der Wohnung kurz umgesehen und sei nach einem kurzen Gespräch wieder gegangen. Der Zeuge L. verorte sich selbst politisch im Bereich Rot-Grün und sei vom rechtpolitischen Spektrum denkbar weit entfernt.
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Die Klägerin ist dabei weiter der Auffassung, dass bei diesem dargestellten Fehlverhalten des Beklagten es sich um eine so massive Vertragsverletzung handle, so dass eine Abmahnung nicht erforderlich gewesen sei, § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BGB und im Übrigen eine Fristsetzung zur Abmahnung offensichtlich erfolglos gewesen wäre, § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB. Für die Klägerin sei ein Festhalten am Vertrag bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar. Dies insbesondere aus Gründen der Wahrung des Hausfriedens und eines friedlichen und respektvollen Miteinanders in der Mietergemeinschaft. Die Bezeichnung anderer Mieter als Nazis und die grundlose Anzeige bei der Polizei stelle ein völlig inakzeptables Verhalten des Beklagten dar. Der Beklagte habe den Hausfrieden nachhaltig massiv gestört.
Die Parteien beantragen zuletzt,
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Die Klägerin:
Der Beklagte wird verurteilt, die im 1. Obergeschoss links des Anwesens ..., gelegenen Wohnräume, bestehend aus 3 Zimmern, Wohnküche, Speisekammer, Bad, WC, Hauswirtschaftsraum, Abstellkammer, Diele, Balkon sowie das im Kellergeschoss gelegene Kellerabteil Nr. 3 vollständig zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
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Der Beklagte:
Klageabweisung.
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Der Beklagte trägt zunächst in seiner Klageerwiderung vor, dass er am 05.10.2021 die Polizei gerufen habe, da eine lautstarke Party stattgefunden habe, in welcher Naziparolen gebrüllt worden seien. Das völlig unakzeptable Verhalten des Mieters L. habe nicht erst im Jahr 2021 eingesetzt, vielmehr handele es sich hierbei um einen sich seit mindestens 2017 hinziehenden Dauerzustand, welcher im Laufe der Jahre bis zum Umzug des Mieters L. im Januar 2022 in ein oberes Stockwerk zunehmend eskaliert sei. Im Schriftsatz vom 30.09.2022 (Bl. 105/109 der Akte) trägt der Beklagte hierzu widersprüchlich vor, dass richtig sei, dass der Beklagte am 05.10.2021 nachts die Polizei gerufen habe. Hintergrund seien erhebliche Lärmbelästigungen gewesen, die aus der Wohnung des Zeugen L. hergerührt habe. Der Beklagte habe bei seinem Anruf bei der Polizei jedoch nicht gesagt, dass eine große Naziparty gefeiert werde. Falsch sei weiterhin, dass der Beklagte den Zeugen L. in einen beleidigenden und ehrverletzenden Zusammenhang mit einer Naziparty angezeigt habe. Der Beklagte habe die Polizei informiert, weil es zu einer Ruhestörung gekommen sei.
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Eine Benachrichtigung der Polizei über aktuell stattfindende Ruhestörungen stelle zudem keine Pflichtverletzung aus dem Mietverhältnis dar. Hieran ändere sich auch dadurch nichts, dass die Polizei beim Eintreffen keine Ruhestörung mehr habe wahrnehmen können.
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Der Beklagte ist weiter der Auffassung, er habe keine Pflichtverletzung gegenüber der Vermieterin begangen. Er habe lediglich Missstände gemeldet und sich gegen Beleidigungen und Ruhestörungen zur Wehr gesetzt. Es liege keine nachhaltige Störung des Hausfriedens vor, insbesondere haben sich nicht andere Mieter über den Polizeieinsatz beschwert, geschweige denn überhaupt etwas mitbekommen. Die ausgesprochenen Kündigungen seien daher unwirksam. Im Übrigen hätte es für alle Gründe einer vorherigen Abmahnung bedurft, welche nicht erteilt worden sei.
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Zur Vervollständigung des Tatbestandes wird zudem auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien einschließlich Anlagen vollumfänglich Bezug genommen, gleiches gilt für die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 22.07.2022 und 01.02.2023. Das Gericht hat mit den Parteien mündlichen zur Güte und anschließend streitig am 22.07.2022 und 01.02.2023 verhandelt. In der mündlichen Verhandlung am 01.02.2023 hat das Gericht Beweis erhoben durch die jeweils uneidliche Einvernahme der Zeugen B1. V., POM P., L. D., B. E. und A. W..

Entscheidungsgründe

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Die Sache ist zur Entscheidung reif, insbesondere mussten keine weiteren Zeugen gehört werden. Gründe für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO wurden nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
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Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Dem Beklagten ist nach Abwägung aller Umstände keine Räumungsfrist zu gewähren.
A.
Zulässigkeit der Klage
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Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht München, Mietabteilung, sachlich und örtlich zuständig, § 23 Nr. 2a GVG, § 29a Abs. 1 ZPO.
B.
Begründetheit der Klage
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Die Klage ist begründet, da der Klägerin ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung nach §§ 546 Abs. 1, 985 BGB zusteht, §§ 542 Abs. 1, 568 Abs. 1, 569 Abs. 2, Abs. 4, 543 Abs. 1 S. 1 und S. 2, Abs. 3 S. 2 Nr. 1, Nr. 2 BGB.
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Der Mietvertrag zwischen den Parteien wurde durch die fristlose Kündigung vom 19.10.2021 (Anlage K4) wirksam beendet. Die fristlose Kündigung ist formell und materiell wirksam.
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I. Die fristlose Kündigung vom 19.10.2021 ist formell wirksam, insbesondere wurde das Begründungserfordernis und die Schriftform eingehalten, §§ 568 Abs. 1, 569 Abs. 4 BGB. Aus der Kündigung ergibt sich aus Sicht des Beklagten eindeutig, welche (angeblichen) Verhaltensweisen als Grundlage zur fristlosen Kündigung gemacht wurden.
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II. Die fristlose Kündigung vom 19.10.2021 ist auch materiell wirksam da ein wichtiger Grund vorliegt, §§ 543 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 1, Nr. 2, 569 Abs. 2 BGB. Eine vorherige Abmahnung war gemäß § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, Nr. 2 BGB nicht erforderlich.
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Nach § 543 Abs. 1 S. 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund kündigen, wobei nach § 543 Abs. 1 S. 2 BGB ein zur Abgabe einer außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigender Grund dann gegeben ist, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Forstsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei liegt gemäß § 569 Abs. 2 BGB ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB ferner vor, wenn eine Vertragspartei den Hausfrieden nachhaltig stört, so dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
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Vorliegend steht nach durchgeführter Beweisaufnahme, insbesondere durch die uneidliche Einvernahme der Zeugen B2., POM P. und L. D. zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte am 05.10.2021 der Polizei wissentlich unwahr mitgeteilt hat, dass beim Zeugen L. eine große „Nazi-Party“ gefeiert und rechte Parolen gebrüllt werden. Das Gericht ist dabei insbesondere nach umfassender Würdigung des Beweisergebnisses zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagte die Polizei am 05.10.2021 nicht nur über eine bloße Ruhestörung informiert habe.
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Dieses Verhalten rechtfertigt eine fristlose Kündigung ((vgl. hierzu auch Schmidt-Futterer/Streyl, 15. Aufl. 2021, BGB § 543 Rn. 64, 65). Unerheblich ist hierbei, dass sich nach dem Vortrag des Beklagten andere Mieter nicht über den Polizeieinsatz beschwert bzw. überhaupt etwas mitbekommen haben. Vorliegend wurde nach Überzeugung des Gerichts ein Notruf mit verleumderischem Inhalt zum Nachteil des Mieters und Zeugen L. und seiner Lebensgefährtin, der Zeugin B2., getätigt, so dass dies allein schon für eine nachhaltige Störung des Hausfriedens ausreichend ist, unabhängig von der Wahrnehmung durch weitere Mieter. Nach dem persönlichen Eindruck der Zeugen L. und B2. im Beweistermin ist das Gericht überzeugt, dass diese einer rechtsradikalen Szene eindeutig nicht zuzuordnen sind. Umso schwerwiegender ist daher auch der Notruf des Beklagten bei der Polizei zu werten, in welchem bewusst wahrheitswidrige Aussagen mit rechtsradikalem Bezug getätigt worden sind.
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1. Für die Überzeugungsbildung des Gerichts nach erfolgter Zeugeneinvernahme gelten gemäß § 286 ZPO die folgenden Grundsätze: Eine Tatsache ist erst dann zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, wenn das Gericht von der Wahrheit der jeweiligen bestrittenen Tatsache überzeugt ist. Ein bloßes Glauben, Wähnen, Fürwahrscheinlichhalten berechtigen den Richter hingegen nicht zur Bejahung eines streitigen Tatsachenvortrags, wobei objektive Wahrscheinlichkeitserwägungen allenfalls Grundlage und Hilfsmittel für die Überzeugungsbildung des Richters sein können. Zwingend hin zukommen muss die subjektive persönliche Entscheidung des Richters, ob er die strittige Tatsachenbehauptung als wahr erachtet hat (BGH NJW 2014, 71; Zöller, ZPO, 32. Auflage 2018, § 286 Rn. 18). Andererseits ist mehr als eine subjektive Überzeugung des Richters zum Beweis einer strittigen Tatsachenbehauptung auch nicht erforderlich. Absolute Gewissheit zu verlangen, hieße die Grenze menschlicher Erkenntnisfähigkeit zu ignorieren. Dass die Sachverhaltsfeststellung durch das Abstellen auf ein persönliches Überzeugtseins mit subjektiven Einflüssen belastet wird, ist im Bereich menschlichen Richtens zwangsläufig und unvermeidbar. Der Richter muss sich mit einer persönlichen Gewissheit begnügen, das ist eine Gewissheit, welche den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 256 = NJW 1970, 946; BGH NJW 2014, 71; Zöller/Greger, 33. Auflage 2020, § 286 ZPO Rn. 19).
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Nach diesen Grundsätzen ist das Gericht überzeugt, dass der Beklagte am 05.10.2021 dem polizeilichen Notruf wissentlich erfundene Tatsachen mitgeteilt und in Folge einen größeren Polizeieinsatz bei den Zeugen L. und B2. ausgelöst hat.
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2. Die uneidliche Einvernahme der Zeugen B2., POM P. und L. D. hat diese Überzeugung einer polizeilichen Anzeigeerstattung aufgrund eines wissentlich unwahren Verhaltens des Beklagten bestätigt. Die Zeugen waren glaubwürdig und ihre Aussagen waren glaubhaft.
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So haben insbesondere die Zeugen L. und B2. den Vorfall am 05.10.2021 sachlich, ruhig und detailreich geschildert.
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So gab insbesondere der Zeuge L. glaubhaft an, dass die prägendsten Punkte, die ihm in Bezug auf den Beklagten im Jahr 2021 einfallen würde, vor allem der regelmäßige Urin vor ihrer Haustüre und der Polizeieinsatz im Oktober 2021 seien. Er habe nochmals im Kalender nachgeschaut und es sei in der Nacht von einem Montag auf einen Dienstag gewesen. An dem Abend seien er und seine Lebensgefährtin, die Zeugin B2., mit einem befreundeten Pärchen in einem Restaurant essen gewesen. Zuvor habe er gearbeitet. Danach sei der Zeuge L. mit seiner Lebensgefährtin gegen 22.00/23.00 Uhr nach Hause gegangen und sodann zeitnah ins Bett. Der Zeuge L. führte weiter aus, dass ca. zwischen 4.00 und 5.00 Uhr gegen die Wohnungstüre gehämmert und geklingelt worden sei. Das Schlafzimmer befinde sich gegenüber der Wohnungstüre und er habe sich schnell eine Unterhose angezogen und sei sodann gegenüber mehreren Einsatzkräften bzw. Polizisten gestanden. Es seien ca. 7 Polizisten gewesen. Was den Zeugen L. erschreckt habe, sei gewesen, dass die Einsatzkräfte teilweise mit gezogenen Schlagstöcken dagestanden seien. Es sei geäußert worden, dass hier in der Wohnung eine Party mit rechtsradikalen Personen veranstaltet werde. Der eine Kommissar habe das Wort „Nazi-Party“ benutzt. Seine Freundin sei schlaftrunken hinzugekommen und beide seien perplex gewesen. Nachdem beide gesagt haben sollen, dass niemand in der Wohnung sei, habe sich die Polizei noch vergewissert und sei dann schnell nach ca. 15 Minuten wieder gegangen. Die Polizei habe ihnen nur gesagt, dass es eine Meldung aus der Nachbarschaft gegeben habe. Der Zeuge L. führte weiter aus, dass sie dann eine Vermutung dahingehend geäußert haben, von wem diese stammen könnte. Aber die Polizei habe ihnen hierzu nichts gesagt.
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Auf Nachfrage das Gerichts führte der Zeuge L. sodann weiter ruhig und nachvollziehbar aus, dass es komplett absurd sei, ihn mit Nazis oder rechtsradikalem Hintergrund in Verbindung zu bringen. Er beschäftige sich als Unternehmensberater mit Nachhaltigkeit. Seine politische Ausrichtung, siedle er im Rot-Grünen an. Zu Partys an sich könne er sagen, dass er Partys gefeiert habe, aber das lange her sei. Gerade, als auch die Zeugin B2. mit in die Wohnung gezogen sei, und dann auch zu Zeiten von Corona im Jahr 2020 und 2021, haben sie keine Partys mehr gefeiert. Hierzu ergänzte der Zeuge L. noch glaubhaft, dass es auch davor nicht vermehrt zu Partys gekommen sei. Sie haben nach dem Studium mal Freunde dagehabt. Bei Einzug sei ihnen auch nicht so bewusst gewesen, wie hellhörig das Haus sei. Es sei auch nie so gewesen, dass sie eine Verwarnung der Polizei oder eine Anzeige bekommen haben oder sich sonst jemand beschwert habe. Für seine Freunde, bzw. die Gäste, die beim Zeugen L. in der Wohnung gewesen sind, könne er sogar seine Hand ins Feuer legen, dass sie nicht dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. Es sei so, dass sich sein Freundeskreis aus Bekannten aus der Schulzeit, der Unizeit und der Arbeit zusammen setze. Es sei ein sehr diverser Freundeskreis.
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Hintergrund sei dabei auch, dass sie in seiner Arbeit die Teams sehr divers gestalten würden. Daher sei sein Freundeskreis auch dementsprechend divers und er könne ausschließen, dass sie dem rechten Spektrum zuzuordnen wären. Unter divers verstehe er unterschiedliche Herkünfte, unterschiedliche politische Ansichten, unterschiedliche sexuelle Vorlieben, unterschiedliche Weltanschauungen und unterschiedliche Religionen. Aus seiner Wohnung heraus habe er noch nie Naziparolen, wie „Nieder mit Deutschland“ oder ähnliches gehört.
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Das Gericht hat nach einer umfassenden Würdigung keinerlei Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussage des Zeugen L.. Dieser hat die Fragen des Gerichts wie auch der weiteren Beteiligten sachlich und nachvollziehbar geschildert. Er hat insbesondere von sich aus auch offengelegt, wenn er auf Fragen nur Vermutungen äußern könne. So gab der Zeuge L. beispielweise an, dass, wenn er nach Vorfällen gefragt werde, durch welche er durch den Beklagten gestört worden sei, er nur dazu sagen könne, dass es bloße Vermutungen wären und diese daher nicht zielführend seien. Oder: „Wenn mich das Gericht direkt nach einer Kontaktaufnahme des Herrn C2. mit anderen Mietern fragt, dahingehend, dass über mich Fragen gestellt worden sind, so kann ich sagen, dass dies reine Vermutungen von mir wären.“ Somit war bereits kein Belastungseifer zu erkennen, indem der Zeuge L. von sich aus dargelegt hat, wenn er bloße Vermutungen äußern würde.
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Zudem konnte der Zeuge L. die Frage des Beklagtenvertreters dahingehend, dass seine Aussage, dass zuletzt keine Partys mehr stattgefunden haben und dies mit einem Vorfall am 24.07.2021 nicht in Einklang zu bringen sei, nachvollziehbar beantworten. So habe ein Abendessen mit 3 eingeladenen Gästen stattgefunden, dass dergestalt aus dem Ruder gelaufen sei, dass ein Gast, der sich frisch getrennt habe, an diesem Abend über seinen Durst getrunken habe. Da sich dieser Gast übergeben habe, habe ein gerufenes Taxi ihn nicht mitgenommen. Zudem sei ein Krankenwagen gekommen, wobei unklar sei, wer diesen gerufen habe. Der Zeuge L. sei dann selbst noch vor das Haus gegangen und habe das Erbrochene weggewischt.
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Die Glaubhaftigkeit des Zeugen L. wird auch durch die glaubhafte Aussage der Zeugin B2. bestätigt, wobei das Gericht bei der Würdigung nicht übersehen hat, dass die Zeugin B2. die Lebensgefährtin des Zeugen L. ist und daher durchaus als „im gleichen Lager“ des Zeugen L. anzusehen sind. Dennoch hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass die Zeugin B2. vollumfänglich die Wahrheit ausgesagt hat und ein Belastungseifer nicht zu erkennen war. Die Angaben beider Zeugen waren zudem detailreich, nachvollziehbar und ohne sachliche Widersprüche.
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So gab die Zeugin B2. an, dass die Polizei öfters bei ihnen gewesen sei um zu kontrollieren, ob sie Partys, insbesondere Nazi-Partys, feiern. Es habe einen besonderen Fall gegeben, das sei um ca. 04.00/4.30 Uhr gewesen, da sei die Polizei in Uniform mit vielen Personen da gewesen und haben auch Schlagstöcke bereit in der Hand gehabt. Diese seien davon ausgegangen, dass sie auf eine große Nazi-Party treffen würden, was aber nicht so gewesen sei. Der Zeuge L. und sie haben geschlafen und haben sich dann schnell etwas übergeworfen. Es sei auch so gewesen, dass sie zuvor keinen Besuch dagehabt haben, sondern dass sie geschlafen haben. Dies haben sie so der Polizei auch mitgeteilt und die habe sehr schnell verstanden, dass hier keine Party stattfinde. Die Polizei habe ihnen mitgeteilt, dass Hintergrund des Einsatzes eine Mitteilung sei, dass eine große Party mit Naziparolen stattfinden soll. Wenn die Polizei da war, dann sei sie auch in der Wohnung gewesen und habe sich alle Zimmer angeschaut inklusive Besenkammer.
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Die Zeugin B2. gab weiter ruhig und sachlich an, dass sie in ihrer damaligen Wohnung in der ... im 2. Stock keine Nazipartys gefeiert habe und dort auch keine Nazipartys gefeiert worden sind. Es seien auch keine Freunde von ihr oder des Zeugen L. in der Wohnung anwesend gewesen, die in der Vergangenheit Naziparolen, wie „Nieder mit Deutschland !“ oder ähnlichem gerufen oder gesungen haben sollen. Wenn sie zudem nach der politischen Einstellung ihres Lebensgefährten Herrn L. gefragt werde, so könne sie definitiv sagen, dass er nicht rechtsradikal eingestellt und kein Nazi sei. Sie könne auch bezüglich ihrer Gäste oder Freunde, die sie zum Essen zu sich oder auch sonst einladen, dies bestätigen bzw. auch ausschließen, dass solche Parolen geäußert werden. Die Zeugin B2. gab weiter an, dass man ihre Freunde auch nicht dieser Szene zuordnen könne, und wenn, dann würden sie sie aus der Wohnung werfen.
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Die Zeugin B2. bestätigte damit die Aussage des Zeugen L., allerdings schilderte sie den Vorfall mit anderen, eigenen Worten, so dass sich für das Gericht keinerlei Anhaltspunkte für eine vorherige Absprache ergeben.
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Hinzukommt die glaubhafte Aussage des Polizeibeamten POM P., der sachlich und detailliert den Polizeieinsatz am 05.10.2021 schilderte. Hervorzuheben ist hier, dass der Zeuge POM P. als Polizeibeamter einen neutralen Blick auf das Geschehen hat und die reinen Tatsachen des Polizeieinsatzes schilderte. Er hat keinerlei persönliches Interesse am Verfahrensausgang.
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So gab der Zeuge POM P. im Rahmen seiner Zeugenaussage an, dass Hintergrund des Einsatzes am 05.10.2021 die Mitteilung über eine Ruhestörung gewesen sei. Es sei um eine WG gegangen, die von Rechtsradikalen bewohnt sein soll. Es sei von einem Singen mit Liedern „Nieder mit Deutschland und der Kanzlerin“ berichtet worden. Da es brisanter geklungen habe, seien sie mit mehreren Streifen hin. Vor Ort haben sie dann keinen Lärm und auch keine Party feststellen können. Es sei so gewesen, dass ihnen ein verschlafenes Pärchen aufgemacht habe, was sichtlich überrascht gewesen sei. Diese haben nicht gefeiert, sondern seien offensichtlich von ihnen geweckt worden. Der Zeuge POM P. führt weiter aus, dass die beiden dann geschildert haben, dass es seit längeren Problemen mit einem Nachbarn gäbe. Da keine weitere Gefahr ihrer Meinung nach ausgegangen sei, seien sie wieder weggefahren.
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Auf Nachfrage des Gerichts gab der Zeuge POM P. an, dass zwischen Anruf bzw. Mitteilung der Ruhestörung und bis sie dann vor Ort gewesen sind, ca. 15-20 Minuten vergangen seien. Ausschließen, dass innerhalb von 15 Minuten die Party aufgelöst worden sei, könne er natürlich nicht. Allerdings habe er nicht den Eindruck, dass die beiden, als sie die Tür aufgemacht haben, geschauspielert haben. Es habe wirklich so ausgesehen, als ob sie von ihnen geweckt worden seien. Zudem sei der Eindruck von außen gewesen, dass es ruhig gewesen sei. Wenn es anders gewesen wäre, hätten sie es vermerkt. Eine Horde Menschen, die aus dem Anwesen gestürmt kam, könne er ausschließen. Er sei zudem der Meinung, dass das Pärchen verschlafen gewirkt habe.
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Weiter gab der Zeuge POM P. an, dass es bei er Mitteilung nicht nur um eine Ruhestörung gegangen sei, sondern es sei explizit auch von einem rechtsradikalen Hintergrund gesprochen worden. Sonst wären sie da auch nur mit einer Streife hin und nicht mit drei. Der Anruf des Beklagten sei dabei nicht bei ihm persönlich eingegangen. Er vermute, dass dies beim Notruf gewesen sei. Der Zeuge POM P. sei auf Streife gewesen. Er könne daher nur den Wortlaut wiedergeben, den ihm sein Kollege gesagt habe.
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Nach einer umfassenden Würdigung steht für das Gericht zur Überzeugung fest, dass in der Nacht vom 04.2021 auf den 05.10.2021 in der damaligen Wohnung der Zeugen L. und B2. keine Nazi-Party stattgefunden hat, sondern der Beklagte hier bewusst wahrheitswidrig dem polizeilichen Notruf gegenüber falsche Angaben gemacht hat. Zum einen wurde dies durch die Einvernahme der Zeugen L. und B2. bestätigt, zum anderen ergänzend durch die Einvernahme des Zeugen POM P.. Zwar ist dem Beklagtenvertreter dahingehend zuzustimmen, dass der Zeuge POM P. nicht den Notruf des Beklagten entgegen genommen hat, aber auf den genauen Wortlaut kommt es hier auch nicht an. Der Zeuge POM P. gab nachvollziehbar an, dass nicht nur eine bloße Ruhestörung mitgeteilt worden sei, sondern auch explizit von einem rechtsradikalen Hintergrund gesprochen worden sei. Sonst wäre man auch nicht mit mehreren Streifen, sondern nur mit einer Streife vor Ort gefahren. Das Gericht sieht hier auch den Umstand, dass die Streifen innerhalb von 15-20 Minuten nach dem Anruf des Beklagten, also innerhalb kürzester Zeit vor Ort waren, als Indiz dafür, dass eben nicht nur eine Ruhestörung vom Beklagten geschildert worden war. Zudem konnte der Zeuge POM P. durchaus detailliert angeben, dass es bei dem Anruf um eine WG gegangen sei, die von Rechtsradikalen bewohnt sein soll. Es sei von einem Singen mit Liedern „Nieder mit Deutschland und der Kanzlerin“ berichtet worden.
42
Richtig ist auch, wenn der Beklagtenvertreter vorträgt, dass der Zeuge POM P. lediglich seine Wahrnehmungen schildern konnte, als er mit Einsatzkräften vor Ort war. Zum Zeitpunkt des Anrufs des Beklagten bei der Polizei, also ca. 15-20 Minuten zuvor war er nicht vor Ort. Hier ist allerdings anzumerken, dass es absolut lebensfremd ist, dass 15-20 Minuten vor Eintreffen der Polizei eine lautstarke Nazi-Party stattfinden soll, aber die Polizei dann vor Ort ein verschlafenes, sichtlich überraschtes Pärchen feststellt und auch in der Wohnung keine Anhaltspunkte für eine eben stattgefundene Party findet. Warum soll denn genau zu diesem Zeitpunkt eine Party abrupt enden, also dass auch alle Gäste auf einmal die Party verlassen (und nicht wie üblich sukzessiv), wenn diese von dem Anruf des Beklagten bei der Polizei gar nichts mitbekommen haben. Er war ja nicht so, dass der Beklagte zuvor bei den Zeugen L. und B2. geklingelt und diese vorgewarnt hat, dass er gleich die Polizei rufen werde und diese sodann in aller Eile aufgrund der Vorwarnung die Party aufgelöst haben. Es war vielmehr so, dass auch der Zeuge POM P. nicht den Eindruck gehabt habe, dass die Zeugen L. und B2. ihm etwas vorgespielt haben. Er habe den Eindruck gehabt, dass es im Anwesen ruhig gewesen sei und eben keine Party stattgefunden habe. An diesem Eindruck eines erfahrenen Polizeibeamten zu zweifeln bestehen keine Anhaltspunkte.
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Die Einvernahme des Zeugen A., welcher auf Antrag des Beklagten vernommen wurde, konnte die Überzeugung des Gerichts nicht widerlegen. Insbesondere konnte dieser gerade keine eigenen Wahrnehmungen zum Vorfall am 05.10.2021 wiedergeben.
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Zudem hat das Gericht noch berücksichtigt, dass die Angaben des Beklagten betreffend des Vorfalls am 05.10.2021 in sich widersprüchlich und nicht konstant waren. Im Gegensatz zu den oben genannten Zeugenaussagen. So hat der Beklagte zunächst in seiner Klageerwiderung vorgetragen, dass er am 05.10.2021 die Polizei gerufen habe, da eine lautstarke Party stattgefunden habe, in welcher Naziparolen gebrüllt worden seien. Im Schriftsatz vom 30.09.2022 (Bl.105/109 der Akte) erfolgt dann der Vortrag dahingehend, dass richtig sei, dass der Beklagte am 05.10.2021 nachts die Polizei gerufen habe. Hintergrund seien erhebliche Lärmbelästigungen gewesen, die aus der Wohnung L. hergerührt haben. Zu bestreiten sei jedoch, dass der Beklagte bei seinem Anruf bei der Polizei gesagt habe, dass eine große Naziparty gefeiert werde. Falsch sei weiterhin, dass der Beklagte den Zeugen L. in einem beleidigenden und ehrverletzenden Zusammenhang mit einer Naziparty angezeigt habe. Der Beklagte habe die Polizei informiert, weil es zu einer Ruhestörung gekommen sei. Diese Angaben gehen so weit auseinander, dass dem Vortrag des Beklagten, insbesondere nach Würdigung der konstanten Aussagen der Zeugen L. und B2. und des neutralen Zeugen POM P., kein Beweiswert zukommt und dies vor allem den Eindruck des Gerichts der eben genannten Zeugen noch bestärkt.
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Klarstellend ist noch anzumerken, dass der Zeuge POM P. im Rahmen seiner Zeugeneinvernahme angegeben hat, dass es keinerlei Konsequenzen für den Zeugen L. am 05.10.2021 gegeben habe, insbesondere kein Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit. Hier war – entgegen der Auffassung der beklagten Partei im Schriftsatz vom 20.03.2023 (Bl. 150 der Akte) – nicht von Konsequenzen für den Beklagten die Rede.
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3. Die Kündigung vom 19.10.2021 ist als fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 3 S. 2 Nr. 1, Nr. 2 BGB auch ohne vorherige Abmahnung materiell wirksam.
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Eine vorherige Abmahnung hätte nach § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB bereits keinen Erfolg versprochen. Bereits mit dem Kündigungsschreiben vom 24.08.2021, vorgelegt als Anlage K2, wurden dem Beklagten Verhaltensweisen dargelegt, die im Zusammenhang mit dem Zeugen L. standen und einen nationalsozialistischen Bezug aufwiesen. Diese Verhaltensweisen hat der Beklagte, wie man bei dem Vorfall am 05.10.2021 sieht, nicht abgestellt.
48
Zudem war eine vorherige Abmahnung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien ausnahmsweise nicht erforderlich, § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BGB. Bei dem vorliegenden Kündigungsgrund, die Erstattung einer Anzeige bei der Polizei unter Vortrag unwahrer Tatsachen, die aufgrund des nationalsozialistischen Bezugs besonders schwer wiegt und einer Verleumdung gleichkommt, liegt eine schwerwiegende und massive Vertragsverletzung vor, so dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich war (vgl. hierzu auch Schmidt-Futterer/Streyl, 15. Aufl. 2021, BGB § 543 Rn. 64).
49
Nach Auffassung des Gerichts hat der Anruf beim polizeilichen Notruf durch den Beklagten unter bewusster Darlegung falscher Tatsachen, insbesondere der Bezug zum Rechtsradikalismus, ein solches Gewicht, dass der Klägerin die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht – auch nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist. Ein solches Verhalten eines Mieters muss die Vermieterin nicht hinnehmen. Bei den von dem Beklagten getätigten Verhalten ist das für die Fortsetzung des Mietvertrages unerlässliche Vertrauensverhältnis derart zerstört, dass eine Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich ist, weil das zerstörte Vertrauen durch eine Abmahnung nicht wieder hergestellt werden kann (BGH XII ZR 188/08, NZM 2010, 901). So liegt der Fall gerade auch hier.
50
4. Nach umfassender Würdigung liegt nach Auffassung des Gerichts in dem dargelegten Fehlverhalten des Beklagten ein wichtiger Grund gemäß §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB vor, durch den der Hausfrieden nachhaltig gestört ist, so dass der Klägerin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung beiderseitiger Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
51
Auf die weiteren in der Kündigung vom 19.10.2021 (Anlage K4) unter Ziffer 1.2. und 1.3. genannten Kündigungsgründe, sowie die hilfsweise ordentlich erklärte Kündigung, kommt es nicht mehr an. Ebenso unerheblich ist, ob die Kündigungen vom 24.08.2021 (Anlage K2) bzw. die in der Klageschrift vom 11.02.2022 (Bl. 1/36 d.A.) ausgesprochenen Kündigungen das Mietverhältnis beendet haben.
52
Das streitgegenständliche Mietverhältnis wurde nämlich durch die Kündigung vom 19.10.2021 (Anlage K4) aufgrund des Fehlverhaltens des Beklagten am 05.10.2021 wirksam beendet.
53
Die Klage ist daher vollumfänglich begründet.
C.
Entscheidung zur Räumungsfrist
54
Die Entscheidung beruht auf § 721 Abs. 1 S.1 ZPO. Für welche Dauer dem Antragsteller eine Räumungsfrist eingeräumt wird, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller widerstreitender Interessen im Einzelfall. In diesem Zusammenhang hat das Gericht eine Abwägung zwischen den Interessen des Mieters und des Vermieters vorzunehmen. In der Ermessensentscheidung des Gerichts wird in der Regel berücksichtigt, dass eine mögliche Obdachlosigkeit vermieden werden soll. Dem Mieter soll mit einer Räumungsfrist die Möglichkeit gegeben werden, eine angemessene Ersatzwohnung zu finden.
55
Bei Vorliegen einer wie hier formell und materiell wirksamen fristlosen Kündigung wegen Störung des Hausfriedens kommt die Gewährung eine Räumungsfrist nur ganz ausnahmsweise in Betracht, da der Vermieterpartei regelmäßig nicht zuzumuten ist, den Mietgebrauch weiter zu gewähren. Auch wenn die Gewährung einer Räumungsfrist nicht ausgeschlossen ist, kommt eine längere Frist aber nur dann in Betracht, wenn der Mieter die Störungen eingestellt hat und weitere Störungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sind (vgl. hierzu SchmidtFutterer/Lehmann-Richter, 15. Aufl. 2021, ZPO § 721 Rn. 27).
56
Nach Durchführung einer umfassenden Interessenabwägung war dem Beklagten jedoch keine, auch keine kurze Räumungsfrist zu gewähren.
57
Zwar hat das Gericht hier durchaus berücksichtigt, dass die Tochter des Beklagten in der Nähe der streitgegenständlichen Wohnung die Schule besucht, aber der Beklagte hat selbst in der letzten mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er mit seiner Tochter gesprochen habe und diese auch mit einem längeren Schulweg einverstanden wäre. Nach Auffassung des Gerichts kann dies der Tochter des Beklagten auch zugemutet werden, indem diese bald die Schule abschließen wird (Abitur im Jahr 2024) und daher auch ein dementsprechendes Alter hat. Zudem hat das Gericht keine Zweifel, dass der Beklagte, der als Rechtsanwalt tätig ist, auf dem Münchener Wohnungsmarkt eine Wohnung finden wird. Im Übrigen wurde hierzu auch nichts erhebliches vorgetragen, was bei der Ermessensentscheidung des Gerichts Berücksichtigung finden könnte.
58
Auf der anderen Seite ist zu sehen, dass die streitgegenständliche Kündigung vom 19.10.2021 datiert und zudem auf einem Fehlverhalten des Beklagten beruht, das insbesondere im Zusammenhang mit rechtsradikalen Vorwürfen steht, als besonders verwerflich anzusehen ist um den Hausfrieden zu stören. Hinzukommt, dass der Beklagte auch in den Terminen der mündlichen Verhandlung nicht davon abgerückt ist zu behaupten, dass in der Wohnung des Zeugen L. Nazi-Partys stattgefunden bzw. sich Personen, mit nationalsozialistischen Ansichten, aufgehalten haben.
59
Da insbesondere auch erhebliche Gründe auf Seiten des Beklagten nicht ersichtlich sind, die eine Räumungsfrist rechtfertigen würden, war eine solche nach umfassender Abwägung nicht zu gewähren.
D.
Entscheidung zu den Kosten und vorläufigen Vollstreckbarkeit
60
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Beklagte unterliegt voll und hat demgemäß auch alle Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
61
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 7, 711 S. 1, S. 2, 709 S. 1 ZPO. Die Sicherheitsleistung war ausgehend vom Räumungsstreitwert, den Kosten des Rechtsstreits und im Hinblick auf den potentiellen Zwangsvollstreckungsschaden für den Beklagten auf 15.000, € festzusetzen.
E.
Streitwert
62
Der Streitwert der Räumungsklage entspricht dem Jahresbetrag der Miete ohne Nebenkosten, § 41 Abs. 2, Abs. 1 GKG, hier also 12 * 1.350,- €, mithin insgesamt 16.200,- €.