Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 27.09.2023 – RN 9 K 22.1630
Titel:

Abgelehnter Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Klage auf Ausstellung eines Ausweisersatzes

Normenketten:
VwGO § 166
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 3 Abs. 1 S. 2, § 48 Abs. 2, Abs. 3, § 49 Abs. 2, § 78 Abs. 1 S. 4, § 78a Abs. 4, § 95 Abs. 1 Nr. 1
AufenthV § 55 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Die in § 48 Abs. 3 AufenthG geregelte Mitwirkungspflicht verfolgt u.a. den Zweck, eine Rückführung von Ausländern zu ermöglichen, die sich ohne Bleibeperspektive im Bundesgebiet aufhalten. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dieser Zweck wird – unabhängig von der Anerkennung zB im Bereich des Melde- oder Staatsangehörigkeitsrechts – auch dadurch erreicht, wenn ein Identitätsdokument in Form eines Reisepasses ausgestellt wird. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Ausweisersatz, Mitwirkungspflicht, anerkannter Pass, Somalia, Passbeschaffungspflicht
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 11.03.2024 – 19 C 23.1906
Fundstelle:
BeckRS 2023, 45702

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt die Ausstellung eines Ausweisersatzes.
2
Der Kläger, somalischer Staatsangehöriger, reiste am 29. Oktober 2014 in das Bundesgebiet ein und befand sich zunächst im Status der Duldung. Sein am 2. Juni 2016 gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 22. Februar 2017 vollumfänglich abgelehnt. Ab dem 14. März 2017 war der Kläger vollziehbar zur Ausreise verpflichtet.
3
Bei seiner persönlichen Vorsprache am 11. Juli 2017 erklärte der Kläger zur Niederschrift, keinen gültigen Reisepass zu besitzen und nicht freiwillig aus dem Bundesgebiet ausreisen zu wollen. Am 11. Juli 2017 wurde dem Kläger eine Duldung aufgrund Passlosigkeit gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG und am 16. August 2021 erstmals eine Duldung gemäß § 60b AufenthG für Personen mit ungeklärter Identität erteilt (zuletzt gültig bis 10.2.2023). Derzeit ist er in Besitz einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG (gültig bis 14.11.2023).
4
Für den Kläger ist ein Antrag auf Feststellung eines Grades der Behinderung und von Merkzeichen nach § 152 SGB IX vom 3. Januar 2018 aktenkundig.
5
Zu einer durch die Ausländerbehörde angeordneten Vorsprache bei der Somalischen Botschaftsvertretung in der Zentralen Ausländerbehörde E. … zum Zwecke der Beantragung eines entsprechenden Reisedokumentes am 13. November 2018 erschien der Kläger infolge Zugverspätung nicht. Nach entsprechender Aufforderung der Ausländerbehörde sprach der Kläger am 7. Januar 2019 zum Zwecke der Fingerabdrucknahme im Rahmen des retrograden VIS-Abgleichs bei der Zentralen Ausländerbehörde Niederbayern vor. Einer mit Bescheid des Landratsamtes L. … angeordneten Vorsprache bei der zuständigen Botschaftsvertretung Somalias im Regierungspräsidium K., Zentrale Ausländerbehörde, zum Zwecke der Beantragung eines entsprechenden Reisedokumentes am 26. Juni 2019 blieb der Kläger unentschuldigt fern.
6
Der Kläger wurde von der Ausländerbehörde des Landkreises L. … nach Aktenlage mehrfach über seine Pass- und Mitwirkungspflichten belehrt und zur Beschaffung eines gültigen Reisepasses aufgefordert. Bislang legte er weder einen gültigen somalischen Reisepass vor noch sind eigene Bemühungen um eine Passbeschaffung aktenkundig. Von 1. August 2020 bis 2. Dezember 2020 war der Kläger unbekannten Aufenthalts. Zum 3. Dezember 2020 wurde das Ende 2017 eingeleitete und vorerst eingestellte Passersatzpapierverfahren wieder aufgenommen.
7
Der Kläger ist im Bundesgebiet wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten (Bundeszentralregisterauszug vom 9.8.2023):
1. Amtsgericht L. … vom 13.12.2016 (Az. …; rechtskräftig seit 19.1.2017): Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 EUR wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der versuchten Körperverletzung.
2. Amtsgericht L. … vom 30.5.2017 (Az. …; rechtskräftig seit 7.6.2017): Freiheitsstrafe von 6 Monaten (Bewährungszeit 2 Jahre) wegen falscher uneidlicher Aussage. Erlassen mit Wirkung vom 8.8.2019.
3. Amtsgericht L. … vom 22.10.2020 (Az. …; rechtskräftig seit 10.11.2020): Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 EUR wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung.
4. Amtsgericht L. … vom 16.2.2021 (Az. …; rechtskräftig seit 6.3.2021): Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 EUR wegen Diebstahls.
8
Mit weiterem Urteil des Amtsgerichts L. … vom 21. April 2021 (Az. …; rechtskräftig seit 21.4.2021) wurde der Kläger wegen des unerlaubten Aufenthalts ohne Pass zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten (Bewährungszeit 3 Jahre) verurteilt. Aus den Urteilsgründen geht hervor, dass der Kläger spätestens seit dem 11. Juli 2017 um seine Pflicht zum Besitz bzw. zur Beschaffung eines somalischen Passes und seine diesbezüglichen Mitwirkungspflichten wisse und hierüber seitdem mehrfach und regelmäßig belehrt worden sei. Dennoch habe er seit dem 11. Juli 2017 bis dato bewusst und gewollt weder selbständig einen somalischen Reisepass beantragt noch an der Passbeschaffung mitgewirkt, obwohl ihm dies stets zumutbar gewesen sei. Möglich sei ihm dies zumindest bis 26. Februar 2021 gewesen, da die Somalische Botschaft in Berlin seit diesem Zeitpunkt aufgrund der Corona-Pandemie Passanträge bis auf weiteres nicht mehr bearbeite. Seine Aussage, einen solchen nicht beschaffen zu können, da er weder lesen noch schreiben könnte, sei insofern widerlegt worden, als es für einen somalischen Staatsbürger nach Mitteilung der Zeugin K. einfach sei, sich einen Pass ausstellen zu lassen. Hierfür sei lediglich ein Interview mit dem Botschaftsrat erforderlich; weitere, oft schwer zu beschaffende Dokumente, seien hingegen nicht erforderlich. Nach durchgeführter Beweisaufnahme gehe das Amtsgericht L. … davon aus, dass sich der Kläger absichtlich keinen Pass beschaffe und an der Passersatzbeschaffung auch nicht mitwirke, da er um seine mögliche Abschiebung nach Vorlegen der entsprechenden Dokumente wisse, was er verhindern wolle. Im Rahmen der Strafzumessung wertete das Amtsgericht L. … zugunsten des Klägers, dass er sich zur Zeit des Strafverfahrens aufgrund der Corona-Pandemie keinen Pass beschaffen konnte. Ebenso zu seinen Gunsten wirkte sein Geständnis, wobei einschränkend festgestellt wurde, dass dieses weder von Reue noch von Schuldeingeständnis getragen gewesen sei. Zu Lasten des Klägers wurden seine Vorstrafen sowie die Tatsache gewertet, dass es sich um ein Dauerdelikt handle, welches zum Teil auch in die offene Bewährung falle. Die Bewährungszeit sei jedoch mittlerweile beendet und die Strafe erlassen. Unter Abwägung aller Umstände sei deshalb eine Freiheitsstrafe zu verhängen; es sei davon auszugehen, dass die Verhängung einer Geldstrafe weder zur Verteidigung der Rechtsordnung noch zur Einwirkung auf den Kläger ausreichend sei. Die Freiheitsstrafe habe – wenngleich mit Bedenken – zur Bewährung ausgesetzt werden können. Die Sozialprognose sei noch als günstig anzusehen. Da der Kläger bereits eine Bewährung erfolgreich durchgestanden habe und die Strafe habe erlassen werden können, bestehe die Hoffnung, dass er sich auch diesmal das Urteil als Warnung dienen lasse. Im Übrigen habe durch die Auflage, nach Kräften an der Passbeschaffung mitzuwirken, auch entsprechend auf diesen eingewirkt werden können. Im Rahmen des von der Staatsanwaltschaft beantragten Bewährungswiderrufs lehnte das Amtsgericht L. … mit Beschluss vom 21. Dezember 2022 (Az. ….) den Antrag des Klägers auf Bestellung eines Pflichtverteidigers ab. Mit Beschluss des Landgerichts L. … vom 3. Januar 2023 (Az. ….) wurde dieser Beschluss aufgehoben und dem Kläger eine Pflichtverteidigerin in dem Bewährungswiderrufsverfahren beigeordnet. Aus den Gründen geht u.a. hervor, dass die Staatsanwaltschaft L. … mit Verfügung vom 14. Oktober 2022 Antrag auf Widerruf der Strafaussetzung gestellt habe, da der Kläger beharrlich gegen die Weisung zur Mitwirkung an der Passbeschaffung verstoßen würde. Dem Kläger sei entsprechend § 140 Abs. 2 StPO im Bewährungswiderrufsverfahren ein Pflichtverteidiger wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage beizuordnen. Dem Amtsgericht L. … sei hier grundsätzlich zuzustimmen, dass die Weisung aus dem Bewährungsbeschluss vom 21. April 2021 einfach verständlich sei. Für die Frage des Bewährungswiderrufs seien jedoch auch ausländerrechtliche Fragen relevant, insbesondere, ob es für den Kläger zumutbar sei, einen Pass zu erlangen. Die Verteidigung werde durch die aufenthaltsrechtliche Rechtslage im Bewährungswiderrufsverfahren erschwert, zumal der Kläger aufgrund seiner Bildung nicht dazu in der Lage würde sein dürfen, die ausländerrechtlichen Fragen selbst zu erfassen. Mit weiterem Beschluss des Landgerichts L. … vom 4. Juni 2023 (Az. ….) wurde der Beschluss des Amtsgerichts L. … vom 19. Januar 2023 (Az. ….) aufgehoben und dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Ablauf der Berufungseinlegungsfrist gegen das Urteil des Amtsgerichts L. … vom 21. April 2021 gewährt. Gegen dieses Urteil legte die dort Bevollmächtigte mit Schreiben vom 16. Juni 2023 vorsorglich nochmals Berufung ein.
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Zwei Ermittlungsverfahren wegen Vergehens nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wurden von der Staatsanwaltschaft L. … mit Verfügung vom 14. September 2021 (Az. ….) und vom 2. Juni 2022 (Az. ….) jeweils gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
10
Mit Urteil des Amtsgerichts L. … vom 4. Mai 2022 (Az. ….) wurde der Kläger erneut wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass verurteilt. Das Berufungsverfahren vor dem Landgericht L. … (Az. ….) wurde mit Beschluss vom 8. September 2022 im Hinblick auf die Verurteilung des Amtsgerichts L. … vom 21. April 2021 (Az. 12 ….) gemäß § 154 StPO eingestellt. Im Verfahren selbst hatte der Beklagte mit Schreiben vom 16. August 2022 ausgeführt, dass somalische Reisepässe zwar gemäß der Allgemeinverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat über die Anerkennung eines ausländischen Passes oder Passersatzes vom 6. April 2016 (BAnz. ….) grundsätzlich nicht anerkannt würden. Davon ausgenommen seien jedoch ab 2013 ausgestellte biometrische Pässe der Republik Somalia, welche für die Ausreise aus Deutschland anerkannt würden, sodass die ausländerrechtlichen Pass- und Mitwirkungspflichten auch im vorliegenden Fall Anwendung fänden.
11
Unter dem 24. August 2021 zeigte sich der ehemals Bevollmächtigte des Klägers bei der Ausländerbehörde an und bat um Akteneinsicht. Nach Akteneinsicht teilte der ehemals Bevollmächtigte mit Schreiben vom 6. Dezember 2021 mit, dass sich mit Blick auf die Mitwirkungs- und Passbeschaffungshandlungen die Frage der Zumutbarkeit der Passbeschaffungspflicht stelle, da die Somalische Botschaft aktuell keine Reisepässe ausstelle. Weiterhin wurde u.a. beantragt, dem Kläger einen Ausweisersatz nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AufenthV (§ 48 Abs. 2 i.V.m. § 78 Abs. 1 Satz 4 oder § 78a Abs. 4 AufenthG) auszustellen.
12
Mit Bescheid vom 17. Dezember 2021 wies das Landratsamt L. … den Kläger nach vorheriger Anhörung aus dem Bundesgebiet aus und befristete das angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf vier Jahre. Die hiergegen erhobene Klage wird unter dem Aktenzeichen RN 9 K 22.61 geführt.
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Mit Schreiben vom 17. Dezember 2021 wurde der Kläger zu der beabsichtigten Ablehnung seines Antrags auf Ausstellung eines Reisepasses angehört. Unter dem 10. Januar 2022 teilte der ehemals Bevollmächtigte u.a. mit, dass aus dem Anhörungsschreiben nicht hervorgehe, inwieweit seine rechtsmethodischen Ausführungen vom 6. Dezember 2021 zur Zumutbarkeit der Passbeschaffung unrichtig sein sollten, und bat insofern um vertiefende Stellungnahme. Hierzu äußerte sich die Ausländerbehörde mit Schreiben vom 11. Januar 2022; auf dessen Inhalt wird verwiesen.
14
Mit Bescheid vom 18. Februar 2022 beschränkte das Landratsamt L. … den Aufenthalt des Klägers nach vorheriger Anhörung räumlich auf das Gebiet des Landkreises L. … und der Stadt L. … und ordnete die sofortige Vollziehung an. Der hiergegen gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 13. April 2022 (RN 9 S 22.708) abgelehnt. Die Beschwerde wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Juni 2022 (19 CS 22.1147) zurückgewiesen. Am 18. August 2022 ließ der Kläger beim Bundesverfassungsgericht Antrag gemäß § 32 BVerfGG (Az. 2 BvQ 72/22) auf Aufhebung der beiden Beschlüsse stellen. Dieser wurde mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27. September 2022 unanfechtbar abgelehnt; auf die Gründe wird verwiesen. Die Klage gegen die räumliche Beschränkung wird unter dem Aktenzeichen RN 9 K 22.703 geführt.
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Am 30. März 2022 wurde der Kläger zur Vorsprache zur Identitätsklärung bei der Delegation der Botschaft der Republik Somalia in der Regierung von Oberbayern zwangsweise vorgeführt. Nach Abschluss der Anhörung konnte die somalische Staatsangehörigkeit von der Delegation festgestellt werden. Die Staatsangehörigkeitsbescheinigung datiert vom 1. April 2022 (Bl. 607).
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Auf gerichtliche Nachfrage vom 12. April 2022 teilte das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen per E-Mail vom gleichen Tag mit, dass die Somalische Botschaft in Berlin spätestens seit dem 18. Juni 2021 wieder für den Publikumsverkehr geöffnet sei und auch Passanträge angenommen würden.
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Mit Schreiben vom 9. Mai 2022 wurde der ehemals Bevollmächtigte erneut zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Ausstellung eines Reiseausweises angehört. Hierzu äußerte er sich mit Schreiben vom 24. Mai 2022; auf dessen Inhalt wird verwiesen.
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Mit Bescheid vom 24. Mai 2022, dem ehemals Bevollmächtigten zugegangen am 27. Mai 2022, lehnte das Landratsamt L. … den Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Ausweisersatzes ab. Die gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erforderliche Anhörung sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Entgegen der mit Schreiben vom 24. Mai 2022 geschilderten Auffassung des Bevollmächtigten sei der Kläger bereits mit Schreiben der Ausländerbehörde vom 17. Dezember 2021 zur Sache angehört worden. Das Anhörungsschreiben vom 9. Mai 2022 habe diesem insbesondere die Möglichkeit eingeräumt, weitere entscheidungserhebliche Umstände geltend zu machen, da seit der Antragstellung sowie der mit Schreiben vom 17. Dezember 2021 erfolgten Anhörung einige Zeit verstrichen sei. Im Rahmen dieser Entscheidung seien daher die Stellungnahme des Bevollmächtigten vom 6. Dezember 2021 und 10. Januar 2022, soweit diese sich auf diese Entscheidung bezögen, vollumfänglich berücksichtigt worden, hätten jedoch zu keiner anderweitigen rechtlichen Würdigung des zugrunde liegenden Sachverhalts geführt. Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV sowie § 48 Abs. 2 i.V.m. § 78a Abs. 4 AufenthG werde einem Ausländer, der einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz nicht besitze und nicht in zumutbarer Weise erlangen könne, auf Antrag ein Ausweisersatz ausgestellt, sofern er einen Aufenthaltstitel besitze oder seine Abschiebung ausgesetzt sei. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 22. Februar 2017 sei der Asylantrag des Klägers bestandskräftig abgelehnt worden, sodass dieser seit 14. März 2017 vollziehbar zur Ausreise verpflichtet sei. Die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist habe dieser ungenutzt verstreichen lassen. Am 11. Juli 2017 sei dem Kläger erstmals eine Duldung aufgrund der Passlosigkeit aus tatsächlichen Gründen der Unmöglichkeit der Abschiebung erteilt worden, welche zuletzt am 5. Mai 2022 bis zum 9. Juni 2022 als Duldung für Personen mit ungeklärter Identität verlängert worden sei. Der Kläger sei derzeit nicht im Besitz eines gültigen somalischen Reisepasses oder Passersatzes. Ferner sei er zwar nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, jedoch sei die Abschiebung des Klägers aufgrund der Passlosigkeit tatsächlich unmöglich, sodass diese derzeit ausgesetzt und der Kläger im Bundesgebiet geduldet werde, § 60a Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 AufenthG. Der vorliegende Antrag auf Ausstellung eines Ausweisersatzes scheitere vorliegend an der Unzumutbarkeit der Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzes. Grundsätzlich seien sämtliche Handlungen zumutbar, die zur Beschaffung eines zur Ausreise notwendigen Reisedokumentes erforderlich seien und nur vom Ausländer persönlich vorgenommen werden könnten. Gegenstand dieser Mitwirkungspflicht seien alle Rechts- und Tatsachenhandlungen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätsdokuments oder zur Verlängerung seiner Gültigkeit erforderlich seien und nur vom Betroffenen persönlich vorgenommen werden könnten, und setze zudem ein aktives Tun des Ausländers voraus. In diesem Zusammenhang sei es einem ausreisepflichtigen Ausländer unter anderem zumutbar, ernsthafte Bemühungen zur Beschaffung von Dokumenten, z.B. Geburtsurkunde, aus seinem Heimatstaat zu unternehmen, wenn die Beantragung eines Ausweispapiers bei der Auslandsvertretung des Heimatstaates unter Vorlage dieser Dokumente nicht von vornherein aussichtslos erscheine. Ein Ausländer könne einen Pass hingegen dann nicht in zumutbarer Weise erlangen, wenn ihm von seinen Heimatbehörden ein Pass verweigert werde oder wenn er einen solchen nicht in angemessener Zeit oder nur unter schwierigen Umständen erhalten könne. Dabei dürften die Anforderungen zur Erlangung eines Passes nicht zu hoch angesetzt werden. Das Zumutbarkeitskriterium solle lediglich der Nachlässigkeit oder der Bequemlichkeit des Ausländers Einhalt gebieten. Sei ein Ausländer entgegen seiner Rechtspflicht aber nicht einmal zu einem entsprechenden Antrag auf Erteilung eines neuen Passes bereit, verbiete sich grundsätzlich die Annahme, ein solcher sei in zumutbarer Weise nicht zu erlangen. Insoweit sei es im Regelfall jedem Ausländer zuzumuten, bei dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitze oder in dem er vor der Ausreise in das Bundesgebiet seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe, einen Pass zu beantragen, soweit kein Rechtsanspruch auf einen deutschen Passersatz bestehe. Ein ausreisepflichtiger Ausländer habe grundsätzlich alle zur Erfüllung seiner Ausreisepflicht erforderlichen Maßnahmen, und damit auch die zur Klärung seiner Identität und zur Beschaffung eines gültigen Passes oder Passersatzpapiers, grundsätzlich ohne besondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde unverzüglich über ihm mögliche und bekannte Schritte in die Wege zu leiten (Initiativpflicht). Dabei habe er sich gegebenenfalls unter Einschaltung einer Mittelsperson in seinem Heimatland um erforderliche Dokumente und Auskünfte zu bemühen, wobei es grundsätzlich auch zumutbar sei, einen Rechtsanwalt im Herkunftsstaat zu beauftragen. Neben der Initiativpflicht, sich selbst um einen Pass gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthV zu bemühen, umfasse
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§ 48 Abs. 3 AufenthG auch eine Mitwirkungspflicht des Ausländers, an allen zumutbaren Handlungen mitzuwirken, die die Behörden von ihm verlangten, um einen Pass oder Passersatz zu beschaffen und damit die Behörde bei der Feststellung der Identität, Staatsangehörigkeit oder der Feststellung oder Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit zu unterstützen, um die Passlosigkeit zu beseitigen. Die Verpflichtung des Ausländers, bei der Beschaffung seines Passes oder Passersatzes mitzuwirken, sei und bleibe eine dem Ausländer obliegende Pflicht. Die gesetzliche Pflicht zur „Mitwirkung“ bei der Passbeschaffung nach § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG werde nicht dadurch erfüllt, dass er ausländerbehördliche Aufklärungsversuche nicht behindere und gewissermaßen „über sich ergehen lasse“. Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG habe der Ausländer vielmehr allgemein für den Vollzug des Aufenthaltsgesetzes notwendige Unterlagen „beizubringen“, wobei die Behörde allenfalls Hinweis- und gegebenenfalls Unterstützungspflichten träfen. Von dem Betreffenden könne deshalb in aller Regel gefordert werden, dass er diejenigen Handlungen vornehme, die zur Beschaffung des Dokuments notwendig seien und nur von ihm persönlich vorgenommen werden könnten. Hierzu zählten vor allem die Herstellung und Vorlage von Passfotos, das Ausfüllen von Antragsformularen und die persönliche Vorsprache bei der Auslandsvertretung des Heimatstaates, sofern diese es verlange, und etwa das Beschaffen von Dokumenten im Heimatland, welche für den weiteren Verfahrensfortgang relevant seien. Die Beantragung eines Reisepasses oder Passersatzpapiers und damit die Beseitigung des bestehenden Ausreisehindernisses sei dem Kläger zumutbar gewesen und zumutbar. Über die Zumutbarkeit der einem Ausländer insoweit obliegenden Handlungen sei unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu entscheiden. Zumutbare Mitwirkungshandlungen würden in § 60b Abs. 3 Satz 1 AufenthG aufgezählt. Seitens der hiesigen Ausländerbehörde sei der Kläger zwischenzeitlich am 11. Juli 2017, 11. August 2017, 19. September 2017, 11. Oktober 2017, 24. November 2017, 20. Dezember 2017, 19. Januar 2018, 16. Juni 2020, 3. Dezember 2020, 12. April 2021, 16. Juli 2021, 16. August 2021 und 5. Mai 2022 auf seine Pass- und Mitwirkungspflicht hingewiesen bzw. entsprechend belehrt worden. Ebenso sei er mit Schreiben der hiesigen Ausländerbehörde vom 25. Juli 2019, 23. August 2019, 30. September 2019, 4. März 2020, 16. Juli 2021 und 16. August 2021 zur Beschaffung eines gültigen Reisepasses aufgefordert worden. Der Kläger habe der hiesigen Ausländerbehörde bis dato weder einen gültigen somalischen Reisepass vorgelegt noch belastbare Bemühungen von diversen Passbeschaffungshandlungen nachgewiesen. Es sei offensichtlich, dass sich der Kläger bisher nicht ansatzweise selbstständig um die Ausstellung eines Passes, Passersatzes oder Reisedokuments bemüht habe. Er habe, trotz mehrfacher Aufforderungen, die Ausstellung (Erstausstellung oder Verlängerung eines ungültig gewordenen Passes) eines Reisepasses nicht beantragt. Der Kläger habe nach aktueller Aktenlage auch nicht die für die Passbeantragung erforderlichen Schritte eingeleitet, obwohl ihm die zumutbaren Möglichkeiten aufgezeigt worden seien, wie er sich einen Reisepass beschaffen könne. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen – vielfache Hinweise auf die Verpflichtung zur Beschaffung von Identitätspapieren und eines Reisepasses, mehrmalige Aufforderungen zur selbstständigen Passbeschaffung – sei festzustellen, dass der Kläger die ihm grundsätzlich zumutbaren Handlungen an der Passbeschaffung bisher unterlassen und folglich selbst zu vertreten habe, dass eine Aufenthaltsbeendigung nicht habe vollzogen werden können und damit die Passlosigkeit als bestehendes Ausreisehindernis adäquat kausal auf sein eigenes Verhalten zurückzuführen sei. Dem Kläger sei es zuzumuten, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ihm ein Reisepass, Passersatz oder anderweitiges Reisedokument ausgestellt werde. Dass eine Beschaffung von Heimreisepapieren unabhängig vom Willen des Klägers gänzlich unmöglich sei, sei nicht anzunehmen. Es sei demnach offenkundig, dass der Kläger bislang nicht bzw. nicht in ausreichendem Maß an der Klärung seiner Identität und Beschaffung eines Reisepasses oder Passersatzes mitgewirkt habe und seinen Mitwirkungspflichten, insbesondere gemäß §§ 48 Abs. 3 Satz 1, 60b Abs. 2 Satz 1, 3 Satz 1 AufenthG bis dato nicht nachgekommen sei und diese durch sein seit Eintritt der vollziehbar Ausreisepflicht am 14. März 2017 bestehendes gesetzeswidriges Verhalten verletzt habe. Das bisherige Verhalten des Klägers lasse nicht erkennen, dass er sich mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit um entsprechende Nachforschungen bemühe. Auch laufe die Argumentation des Bevollmächtigten, wonach die Passbeschaffung für somalische Staatsangehörige angesichts der mangelnden finanziellen Mittel des Klägers, der Corona-Pandemie und der schlechten Sicherheitslage in Somalia generell unzumutbar sein würde, ins Leere. Nach Auskunft des Bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführung sei für die Beschaffung eines Reisepasses lediglich die persönliche Vorsprache in der Somalischen Botschaft erforderlich. Identitätsdokumente müssten hingegen nicht vorgelegt werden. Die Identifizierung erfolge in der Botschaft durch ein Interview. Im Übrigen habe die Somalische Botschaft ihren Betrieb zwischenzeitlich wieder aufgenommen, sodass es dem Kläger lediglich temporär nicht möglich gewesen sei, bei dieser zum Zweck der Passbeschaffung vorzusprechen. Eine persönliche Vorsprache bei der Somalischen Botschaft zum Zweck der Beschaffung eines Reisepasses sei seitens des Klägers allerdings seit Eintritt der vollziehbaren Ausreisepflicht am 14. März 2017 nicht vorgenommen worden. In diesem Zusammenhang obliege es dem Kläger auch, alle zumutbaren Anstrengungen zur Erlangung einer Finanzierung der notwendigen Maßnahmen für eine Passbeschaffung zu unternehmen. Ein Ausländer, der Sozialleistungen beziehe, müsse sich ausreichend und nachhaltig um die Übernahme der Kosten durch den Sozialleistungsträger bemüht haben. Jedenfalls bestehe die Möglichkeit, dass die Kosten für die Passbeschaffung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Alt. 4 AsylbLG übernommen würden. Im Übrigen normiere der Gesetzgeber in § 60b Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG die Zahlung der für die Passbeschaffungsmaßnahmen vom Heimatstaat allgemein festgelegten Gebühren als zumutbare Passbeschaffungshandlung. Das bisher an den Tag gelegte Verhalten belege eindeutig die fehlende Mitwirkung und Kooperationsbereitschaft des Klägers zur Klärung seiner Identität und an der Beschaffung von Reisedokumenten. Dass er trotz der seit dem 14. März 2017 bestehenden vollziehbaren Ausreisepflicht bis dato keinen gültigen Reisepass habe vorlegen und entsprechende Bemühungen nicht habe nachweisen können, rechtfertige die Annahme, dass der Kläger jegliche Mitwirkung an der Beschaffung eines zum Grenzübertritt berechtigenden Dokuments bewusst verweigere, da er eine Abschiebung nach Somalia befürchte und damit das Bestehen des Ausreisehindernisses folglich selbst zu vertreten habe. Der Kläger habe sich in diesem Zusammenhang nicht einmal von der seit 21. April 2021 rechtskräftigen Verurteilung des Amtsgerichts L. … vom gleichen Tag wegen des unerlaubten Aufenthalts ohne Pass abschrecken lassen. Insgesamt sei es unter Verweis auf obige Ausführungen sowie unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls offenkundig, dass die Beschaffung eines Reisepasses oder Passersatzes nicht an der Unzumutbarkeit der Passbeschaffung, sondern an der fehlenden Mitwirkung des Klägers gescheitert sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheids verwiesen.
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Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger am 19. Juni 2022 vorliegende Klage gegen den Beklagten erheben. Eine Klagebegründung liegt bislang nicht vor.
21
Der Kläger lässt (wörtlich) beantragen,
Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides der Beklagten vom 24.5.2022 wird die Beklagte verpflichtet, mir einen Ausweisersatz nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AufenthV sowie § 48 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 78a Abs. 4 AufenthG auszustellen.
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Von Beklagtenseite wurde bislang weder ein Antrag gestellt noch eine Klageerwiderung vorgelegt.
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Mit Schreiben vom 16. Juli 2022 bat der ehemals Bevollmächtigte mit Blick auf einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG am Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Beschwerdeverfahrens des Klägers vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wegen der räumlichen Beschränkung (RN 9 S 22.708) um Fristverlängerung. Hierbei werde auch auf die Passbeschaffungspflicht des Klägers eingegangen. Mit weiterem Schreiben vom 22. August 2022 bat der ehemals Bevollmächtigte, die Hauptverhandlung vom 8. September 2022 vor dem Landgericht L. … hinsichtlich des Strafverfahrens gegen den Kläger wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass abzuwarten. In diesem Strafverfahren werde noch von Seiten des bevollmächtigten Rechtsanwalts eine umfassende Stellungnahme zur Zumutbarkeit der Passbeschaffungspflicht nach § 48 Abs. 2 AufenthG abgegeben. Mit weiterem Schreiben vom 3. Oktober 2022 übersandte der ehemals Bevollmächtigte die Stellungnahme des Landratsamtes L. … vom 16. August 2022 und den diesbezüglichen Schriftsatz des Rechtsanwalts H. … vom 7. September 2022 im Strafverfahren gegen den Kläger wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor dem Landgericht L. … (Az. ….). Das Strafverfahren sei zwischenzeitlich eingestellt worden. Auf den Inhalt der beigefügten sowie mit weiterem Schreiben vom 5. November 2022 vorgelegten Unterlagen wird verwiesen.
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Laut einer in der Behördenakte befindlichen E-Mail des Bayerischen Landesamtes für Asyl und Rückführungen (Landesamt) vom 9. August 2022 könne auf Grundlage der Staatsangehörigkeitsbescheinigung grundsätzlich ein Passersatzpapier ausgestellt werden; dies sei derzeit jedoch nur mit Unterzeichnung einer Freiwilligkeitserklärung gegenüber der Botschaft und nur in Anwesenheit von Botschaftsvertretern möglich. Mit weiterer E-Mail vom 16. August 2022 teilte das Landesamt mit, dass die Reisepassbeantragung bei der Botschaft weiterhin möglich sei; die technischen Probleme bei der Ausstellung innerhalb eines nicht akkurat eingrenzbaren Zeitraums im Februar seien mittlerweile behoben worden. Hinsichtlich der Anerkennung werde auf die Allgemeinverfügung des Bundesministeriums des Innern zur Anerkennung ausländischer Pässe und Passersatze verwiesen, der zufolge somalische Reisepässe in Deutschland nicht anerkannt würden.
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Laut einer in der Behördenakte befindlichen, vom Kläger unterzeichneten Niederschrift vom 1. September 2022 gab dieser bei einer persönlichen Vorsprache bei der Sozialhilfeverwaltung des Landratsamtes L. … an, zur Beantragung eines Reisepasses bei der Somalischen Botschaft in Berlin grundsätzlich bereit zu sein. Ihm sei am gleichen Tag mitgeteilt worden, dass ihm nach Vorlage einer Terminmitteilung von der Somalischen Botschaft zur Passbeantragung ein Gutschein für die Fahrt nach Berlin und zurück ausgestellt werde und die Kosten der Passbeantragung in bar ausgehändigt würden.
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Unter dem 5. März 2023 äußerte sich der ehemals Bevollmächtigte u.a. zum Urteil des Amtsgerichts L. … vom 21. April 2021 (Az. ….) und zum Verfahren des Landgerichts L. …, Az. …; auf den Schriftsatz sowie die beigefügten Unterlagen wird verwiesen.
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Am 9. März 2023 gingen die bis zu diesem Zeitpunkt angefallenen weiteren Behördenakten auf entsprechende Anforderung bei Gericht ein.
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Am 14. März 2023 legte der ehemals Bevollmächtigte den Bescheid des Bundesamtes vom 7. März 2023 vor, worin unter Abänderung des Bescheides vom 22. Februar 2017 (Az. …-273) zu Ziffer 4) festgestellt wird, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Somalia vorliegt, und die mit Bescheid vom 22. Februar 2017 (Az. …-273) erlassene Abschiebungsandrohung aufgehoben wurde. Auf den Inhalt des Bescheids wird verwiesen.
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Am 24. Juni 2023 übersandte der ehemals Bevollmächtigte eine Kopie des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juni 2023 zum Verfahren …, den Beschluss des Landgerichts L. … vom 4. Juni 2023 (Az. ….) sowie den Berufungsschriftsatz von Rechtsanwältin S. … vom 16. Juni 2023 das Urteil des Amtsgerichts L. … vom 21. April 2021 (Az. ….) betreffend.
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Ein gerichtlicher Hinweis an die Beteiligten erging unter dem 12. Juli 2023.
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Eine Stellungnahme des ehemals Bevollmächtigten erfolgte mit Schreiben vom 22. Juli 2023.
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Am 10. August 2023 teilte der Beklagte auf gerichtliche Aufforderung unter Beifügung eines Auszugs aus dem Bundeszentralregister vom 9. August 2023 mit, dass der Kläger gegenwärtig einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung habe. Er sei lediglich im Besitz einer abgelaufenen Duldung, nachdem er die vorgegebenen Termine zur Verlängerung unentschuldigt nicht wahrgenommen habe. Mit Schreiben vom 4. August 2023 habe er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, Anm. d. G.) beantragt. Über den Antrag sei noch nicht entschieden worden.
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Am 14. August 2023 zeigte die ehemals Bevollmächtigte ihre Vertretung an und beantragte unter Beifügung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung. Nach erfolgter Akteneinsicht wurde mit bei Gericht am 18. September 2023 eingegangenem Schreiben um Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag gebeten.
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Mit Schreiben vom 16. August 2023 gab der ehemals Bevollmächtigte eine weitere Stellungnahme ab und erklärte seine Bevollmächtigung für beendet; auf den Inhalt der Stellungnahme sowie die beigefügten Unterlagen wird verwiesen.
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Mit Schreiben vom 18. September 2023 erklärte der Kläger die Bevollmächtigung von Frau Rechtsanwältin S. … mit sofortiger Wirkung für beendet. Er werde bis spätestens 16. Oktober 2023 einen neuen Rechtsanwalt benennen, der die Bevollmächtigung übernehme.
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Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen. Die Akten in den Verfahren RN 9 K 22.61, RN 9 K 22.703 und RN 9 S 22.708 wurden zum Verfahren beigezogen. Weiter beigezogen wurden die Strafakten des Amtsgerichts L. … zu den dortigen Az. 01 Cs 311 Js 42820/16, 11 Ds 502 Js 6962/17, 01 Cs 602 Js 24024/20 und 12 Cs 602 Js 4730/21.
II.
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Mangels hinreichender Erfolgsaussicht des Rechtsschutzbegehrens scheidet zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Maßgabe von § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers aus.
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Der Bescheid des Landratsamtes L. … vom 24. Mai 2022 ist nach Aktenlage rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Diesem kommt kein Anspruch auf Ausstellung eines Ausweisersatzes oder auf Neubescheidung seines diesbezüglichen Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu.
39
Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 55 Abs. 1 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) auf Ausstellung eines Ausweisersatzes nach § 48 Abs. 2 i.V.m. § 78a Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Nach dem vorliegend nur in Betracht kommenden § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV ist einem Ausländer, der einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz nicht besitzt und nicht in zumutbarer Weise erlangen kann, auf Antrag ein Ausweisersatz auszustellen, sofern er einen Aufenthaltstitel besitzt oder seine Abschiebung ausgesetzt ist.
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Der Kläger ist zwar in Besitz einer gültigen Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
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Jedoch ist das Tatbestandsmerkmal „und nicht in zumutbarer Weise erlangen kann“, welches sich ebenso in § 48 Abs. 2 AufenthG findet, in seinem Fall nicht erfüllt. Der Begriff der Zumutbarkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar ist. Ein irgendwie gearteter Beurteilungsspielraum oder gar ein Ermessen wird der Ausländerbehörde dadurch nicht eingeräumt (NK-AuslR/Möller, 3. Aufl. 2023, AufenthG § 48 Rn. 16). Die Kriterien für die Zumutbarkeit von Anstrengungen, einen ausländischen Pass zu erhalten, dürfen nicht allzu hoch angesetzt und den Anforderungen gleichgesetzt werden, die für die Ausstellung des deutschen Reisedokuments gelten. Für die Zumutbarkeit gelten die Bestimmungen des § 5 Abs. 2 AufenthV entsprechend (§ 55 Abs. 1 Satz 3 AufenthV). Das Zumutbarkeitskriterium soll lediglich der Nachlässigkeit oder der Bequemlichkeit des Ausländers Einhalt gebieten (Bergmann/Dienelt/Kolber, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 48 Rn. 9 m.w.N.).
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Insofern wird zunächst auf die ausführliche Begründung im Beschluss vom 13. April 2022 (RN 9 S 22.708) und im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Juni 2022 (19 CS 22.1147) betreffend die räumliche Beschränkung des Klägers vollumfänglich Bezug genommen (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO). Da dem Kläger ausschließlich ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG zuerkannt wurde, steht dieses den dortigen Ausführungen nicht entgegen (vgl. etwa NK-AuslR/Möller, 3. Aufl. 2023, AufenthG § 48 Rn. 17 f.).
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Mit Blick auf die Ausführungen des ehemals Bevollmächtigten im Verfahren RN 9 K 22.708 (räumliche Beschränkung), die sich letztlich auch zur vorliegend inmitten stehende Frage der Zumutbarkeit verhalten, ist ergänzend Folgendes festzustellen:
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Die von § 48 Abs. 3 AufenthG, der mit § 48 Abs. 2 AufenthG untrennbar in Zusammenhang steht, geforderte Mitwirkung geht über ein bloßes Dulden oder Hinnehmen behördlicher Maßnahmen hinaus. Denn die dem Ausländer obliegende gesetzliche Pflicht zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung nach Abs. 3 wird nicht dadurch erfüllt, dass er Aufklärungsversuche ausländischer Behörden nicht behindert und gewissermaßen „über sich ergehen lässt“. Aus der Vorschrift ergibt sich i.V.m. § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, dass der Ausländer vielmehr notwendige Unterlagen für den Vollzug des Ausländerrechts „beizubringen“ hat. Bei der Mitwirkung an der Beschaffung eines Rückreisedokuments handelt es sich nicht um separierbare Einzelpflichten, sondern um ein durch §§ 82 Abs. 4, 48 Abs. 3 und 49 Abs. 2 AufenthG vorgegebenes Pflichtenbündel zur Erlangung von Rückreisedokumenten für einen ausreisepflichtigen Ausländer. Der unmittelbare Zwang in Form der polizeilichen Vorführung bei einer Botschaft ist in Bezug auf die Abgabe der geforderten Erklärungen zur Beschaffung von Heimreisedokumenten und Vornahme der dafür erforderlichen Handlungen ein taugliches Zwangsmittel. Dabei kann der Ausländer sich nicht allein auf die Erfüllung derjenigen Pflichten, die ihm konkret von der Ausländerbehörde vorgegeben werden, beschränken, sondern ist vielmehr angehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten, um das bestehende Ausreisehindernis nach seinen Möglichkeiten zu beseitigen. Unter Berücksichtigung von § 48 Abs. 3 AufenthG, § 5 Abs. 2 Nr. 2 AufenthV kann von dem Ausländer daher auch verlangt werden, es nicht bei der Einreichung der erforderlichen Unterlagen und bei der Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaates zu belassen, sondern darüber hinaus weitere Angaben zu machen, die seine Identifikation ermöglichen oder eine dritte Person, insbesondere auch einen Rechtsanwalt, im Herkunftsland zu beauftragen, die erforderlichen Identitätsnachweise zu beschaffen (Bergmann/Dienelt/Kolber, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 48 Rn. 6 m.N. zur Rechtsprechung). Sofern der ehemals Bevollmächtigte in diesem Zusammenhang die Zustellung des Bescheids der Ausländerbehörde über die Verpflichtung des Klägers zu einer Vorsprache einen Tag davor moniert, ist festzustellen, dass die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutz gleichwohl grundsätzlich möglich gewesen wäre. Ein Verzicht hierauf bzw. auf einen entsprechenden Versuch fällt in die Eigenverantwortung des Klägers. Dass gleichwohl seine zwangsweise Vorführung zu dem Termin notwendig war, spricht zudem nicht für „Freiwilligkeit“ im Sinne einer – aus Sicht des Klägers ausreichenden – jedenfalls bestehenden Duldungsbereitschaft.
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Soweit der ehemals Bevollmächtigte eine mangelnde Stringenz der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Regensburg vermutet, übersieht er, dass in dem von ihm zitierten Beschluss RO 9 K 20.76 betreffend einen Antrag auf Prozesskostenhilfe ein melderechtlicher Sachverhalt gegenständlich gewesen ist und es sich um die Frage des Nachweises der somalischen Staatsangehörigkeit handelte. Dies jedoch ist von der vorliegend in Rede stehenden Erfüllung der Ausweispflicht nach § 48 AufenthG klar zu unterscheiden (so auch zum Verhältnis der Ausweispflicht zur Passpflicht gemäß § 3 AufenthG Bergmann/Dienelt/Kolber, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 48 Rn. 2, 3).
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So führt der Beschluss RO 9 K 20.76 Folgendes aus:
„Weder die Klägerin noch ihr Ehemann können einen Reisepass oder ähnliche Papiere im Sinne des § 8 Abs. 2 PStV vorlegen. Sie verfügen unstrittig lediglich über die Bescheinigungen der Botschaft der Bundesrepublik Somalia Berlin vom 21. Januar 2019, wonach beide die somalische Staatsangehörige besitzen. Diese Bescheinigungen stellen jedoch – wie von der Beklagten zutreffend angenommen – keinen ausreichenden Nachweis dar. Dokumente und Bestätigungen der somalischen Botschaft werden in der Regel nur auf Grundlage der Angaben der betreffenden Antragsteller ausgestellt (OLG Oldenburg, B.v. 30.1.2020 – 12 W 63/19; BayVGH, B.v. 4.12.2018 – 5 C 18.2372; OLG Dresden, B.v. 27.3.2018 – 3 W 1165/17; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zur rechtlichen Lage von somalischen Staatsbürgern in Deutschland, BT-Drs. 19/4022 vom 27.8.2018, S. 3 und 9). Zudem besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige zu erhalten (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 18.4.2021, Stand: Januar 2021, S. 25). Tatsächlich würde der Klägerin – wie von ihrem Bevollmächtigten zu Recht vorgebracht – angesichts der Allgemeinverfügung des Bundesministeriums des Innern vom 6. April 2016 auch ein von der somalischen Botschaft Berlin ausgestellter Reisepass nicht zum Erfolg ihres Begehrens verhelfen.“
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Zutreffend ist, dass gemäß der Allgemeinverfügung über die Anerkennung eines ausländischen Passes oder Passersatzes des Bundesministeriums des Innern vom 6. April 2016 (BAnz AT 25.4.2016 B1) seitens der Bundesrepublik Deutschland alle somalischen Pässe und Passersatzdokumente, die nach dem 31. Januar 1991 ausgestellt oder verlängert wurden, nicht zugelassen sind. Auch spricht § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV ausdrücklich von einem anerkannten Pass oder Passersatz. Doch anders als die Passpflicht nach § 3 AufenthG dient die Ausweispflicht des § 48 AufenthG auch der Überprüfung des aufenthaltsrechtlichen Status (Bergmann/Dienelt/Kolber, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 48 Rn. 3). Die in § 48 Abs. 3 AufenthG geregelte Mitwirkungspflicht verfolgt mithin – im Unterschied etwa zu Regelungen des Einbürgerungs-, Staatsangehörigkeits- oder Melderechts – u.a. den Zweck, eine Rückführung von Ausländern zu ermöglichen, die sich ohne Bleibeperspektive im Bundesgebiet aufhalten (siehe auch BeckOK AuslR/Hruschka, 36. Ed. 1.7.2020, AufenthG § 48 Rn. 32, 33). Dies bestätigt letztlich auch Nr. 48.0.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 48 AufenthG. Dieser Zweck wird – unabhängig von der Anerkennung z.B. im Bereich des Melde- oder Staatsangehörigkeitsrechts – auch dadurch erreicht, wenn seitens der somalischen Behörden, z.B. durch die Somalische Botschaft in Deutschland als anerkanntes Vertretungsorgan Somalias, ein Identitätsdokument in Form eines Reisepasses ausgestellt wird, da hierdurch seitens der zuständigen somalischen Behörden nicht nur die somalische Staatsangehörigkeit des/der Betreffenden anerkannt, sondern vielmehr auch die Bereitschaft des somalischen Staates dokumentiert wird, die betreffende Person im Falle einer Rückkehr bzw. Rückführung wieder aufzunehmen.
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So führt auch die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 22. Januar 2020 (BT-Drs. 19/16699) auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Friedrich Straetmanns, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (BT-Drs. 19/1602) Folgendes aus:
„9. Welche Dokumente werden für die Abschiebung somalischer Staatsbürger und Staatsbürgerinnen verwendet, und trifft es zu, dass die somalische Botschaft nur Pässe für Personen ausstellt, die freiwillig ausreisen oder den Pass für andere Zwecke benötigen, und falls ja, wie werden dann im Falle einer geplanten Abschiebung die entsprechenden Unterlagen beschafft?
Die Passersatzbeschaffung obliegt den Ländern. Für Rückführungen werden Pässe und Passersatzpapiere verwendet, die durch die somalischen Behörden ausgestellt werden oder bereits vorliegen. Zu Satz 2 liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.
20. Wie begründet die Bundesregierung, dass einerseits Ausweisdokumente somalischer Behörden bei aufenthaltsverfestigenden Maßnahmen nicht anerkannt werden, zur Feststellung der Identität bei Abschiebungen aber als ausreichend angesehen werden? Mit Verweis auf die Verpflichtung im Sinne des § 48 Abs. 3 AufenthG sind somalische Staatsangehörige grundsätzlich aufgefordert, im Rahmen der Identitätsfeststellung an der Beschaffung der Identitätspapiere mitzuwirken, wenn sie nicht über einen gültigen Pass oder Passersatz verfügen. Für vollziehbar Ausreisepflichtige gilt nach Maßgabe des § 60b AufenthG die besondere Passbeschaffungspflicht, d.h. alle zumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes selbst vorzunehmen.“
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Die in Frage gestellte Sinnhaftigkeit einer Passbeschaffung bzw. entsprechender Mitwirkungshandlungen des Klägers angesichts mangelnder Anerkennung verfängt damit nicht.