Titel:
Unterbrechung einer Maßregel zum Vollzug einer Freiheitsstrafe
Normenketten:
EGGVG § 23
StVollstrO § 44b
Leitsätze:
1. Bei der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, den Vollzug einer Maßregel zum Zwecke des Zwischenvollzugs von Freiheitsstrafen zu unterbrechen, handelt es sich nach § 44b Abs. 2 S. 1 StVollstrO um eine Ermessensentscheidung, die gemäß § 23 EGGVG i.V.m. § 28 Abs. 3 EGGVG nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt. (Rn. 4)
2. Für die Konstellation des Zusammentreffens der Vollstreckung von Freiheitsstrafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus verschiedenen Erkenntnisverfahren sieht die Verwaltungsvorschrift des § 44b Abs. 1 S. 1 StVollstrO vor, dass die Maßregel vor der Strafe vollzogen wird, es sei denn, dass der Zweck der Maßregel durch den vorherigen Vollzug der Strafe oder eines Teils leichter erreicht wird. Letzteres ist dann der Fall, wenn durch den sofortigen Beginn der Maßregel deren Erfolgsaussichten entscheidend gemindert werden würden. (Rn. 5)
3. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Befindet sich der Betroffene zum Zeitpunkt der Entscheidung der Staatsanwaltschaft bereits in der Therapie, hat die Vollstreckungsbehörde bei ihrer Entscheidung nach § 44b StVollstrO auch die Folgen eines Therapieabbruchs, insbesondere die möglichen Auswirkungen auf die Therapiewilligkeit des Betroffenen und die Erfolgsaussichten, zu bedenken. (Rn. 6)
Schlagworte:
Maßregel, Unterbringung, Entziehungsanstalt, Vollzug, Unterbrechung, Zwischenvollzug, Freiheitsstrafe, Ermessen, Therapieabbruch, Therapiewilligkeit, Erfolgsaussicht
Fundstellen:
BeckRS 2023, 45638
StV 2024, 464
LSK 2023, 45638
Tenor
1. Auf den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung werden die Verfügung der Staatsanwaltschaft M. I vom 27. Oktober 2022 und der Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft M. vom 9. Dezember 2022 aufgehoben.
2. Die Generalstaatsanwaltschaft wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
3. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, werden der Staatskasse auferlegt.
4. Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Verurteilte befand sich vom 15. Juli 2022 bis zum 10. Januar 2023 im Maßregelvollzug im I.-A.-Klinikum zur Vollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichts München vom 27. Juli 2021 – 851 Ds 114 Js 178094/20 – neben einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten gemäß § 64 StGB rechtskräftig angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Das Lockerungsverfahren war noch nicht begonnen worden.
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Mit Verfügung vom 27. Oktober 2022 hat die Staatsanwaltschaft M. I gemäß § 44b Strafvollstreckungsordnung (StVollstrO) die Vollstreckungsreihenfolge dergestalt bestimmt, dass die Freiheitsstrafen aus den Verfahren des Amtsgerichts München, Urteil vom 27. Juni 2018 – 821 Ds 419 Js 132176/18 – und Urteil vom 22. Januar 2020 – 855 Ls 453 Js 207097/18 –, jeweils nach dem Widerruf der Bewährung, vorab bis zur Prüfungsreife gemäß § 57 StGB zu vollstrecken seien und hierzu der Vollzug der Maßregel unterbrochen werde. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft M. verwiesen. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft hat der Antragsteller am 11. November 2022 mit Schriftsatz seines Verteidigers Beschwerde eingelegt und die Fortsetzung des Vollzugs der Maßregel beantragt. Die Staatsanwaltschaft M. I hat mit Verfügung vom 23. November 2022 der Beschwerde nicht abgeholfen und mit Verfügung vom 5. Dezember 2022 die Sache der Generalstaatsanwaltschaft M. zur Entscheidung vorgelegt. Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 9. Dezember 2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft M. die Beschwerde des Verurteilten vom 11. November 2022 gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft M. I vom 27. Oktober 2022 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung ihrer Entscheidung hat sie ausgeführt, dass die Vorwegvollstreckung der Freiheitsstrafen nach dem Widerruf der Bewährung zur Vermeidung einer Gefährdung des Maßregelerfolges erforderlich sei. Der Antragsteller hat gegen diese am 17. Dezember 2022 zugestellte Entscheidung mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 5. Januar 2023 den Antrag auf eine gerichtliche Entscheidung gestellt. Am 10. Januar 2023 ist der Beschwerdeführer auf Anordnung der Staatsanwaltschaft M. I aus dem Maßregelvollzug in den Strafvollzug überstellt worden. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.
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Der gemäß § 23 Abs. 1, § 24 Abs. 1 und 2, § 26 Abs. 1 EGGVG zulässig erhobene Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Verurteilten (zur Statthaftigkeit vgl. KK-Mayer, StPO, 9. Aufl. § 23 EGGVG Rn. 102) ist vorläufig begründet. Denn die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft weist durchgreifende Erörterungsmängel auf.
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1. Bei der vom Antragsteller angefochtenen Entscheidung der Staatsanwaltschaft, den Vollzug einer Maßregel zum Zwecke des Zwischenvollzugs von Freiheitsstrafen zu unterbrechen, handelt es sich nach § 44b Abs. 2 S. 1 StVollstrO um eine Ermessensentscheidung. Danach bestimmt die Vollstreckungsbehörde, in welcher Reihenfolge die Freiheitsstrafe und die Maßregel zu vollstrecken sind (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 6. Oktober 2015 – VAs 14 – 15/15 –, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 1. Juni 2012 – 2 VAs 8/12 –, juris; Peglau in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 67 Rn. 14). Der Senat hat im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG die Ermessensentscheidung einer Vollstreckungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur daraufhin zu überprüfen, ob sie rechtsfehlerfrei getroffen wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden, insbesondere ausreichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 25. August 2021 – 203 VAs 274/21 –, juris Rn. 16; OLG Hamm, Beschluss vom 30. März 2022 – III-1 VAs 163 + 164/21 –, juris Rn. 15; KK-Mayer, a.a.O. § 28 EGGVG Rn. 3). Maßgeblich ist insoweit die Begründung des Beschwerdebescheids der Generalstaatsanwaltschaft (vgl. Senat, a.a.O. Rn. 15 m.w.N.).
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2. Für die hier gegebene Konstellation des Zusammentreffens der Vollstreckung von Freiheitsstrafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus verschiedenen Erkenntnisverfahren hat der Gesetzgeber – abweichend zum Fall der Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB neben einer Freiheitsstrafe in demselben Urteil nach § 67 StGB – keine Bestimmung getroffen. Die Verwaltungsvorschrift des § 44b Abs. 1 S. 1 StVollstrO sieht vor, dass die Maßregel vor der Strafe vollzogen wird, es sei denn, dass der Zweck der Maßregel durch den vorherigen Vollzug der Strafe oder eines Teils leichter erreicht wird. Die Regelung gibt somit vor, wie das den Vollstreckungsbehörden eingeräumte Ermessen auszuüben ist (st. Rspr., vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 1. August 2019 – III-1 VAs 27/19 –, juris Rn. 12; OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 VAs 16/18 –, juris Rn. 10). Dementsprechend ist die Vollstreckungsbehörde nach der sich auch im materiellen Recht in § 67 Abs. 1 StGB wiederspiegelnden gesetzgeberischen Wertung grundsätzlich gehalten, den einer Maßregel der Besserung und Sicherung unterworfenen Straftäter schnellstmöglich einer therapeutischen Behandlung zuzuführen (Senat, a.a.O. Rn. 21; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 3. Juni 2014 – VAs 7/14 –, juris Rn. 13; OLG Dresden, Beschluss vom 1. Juni 2012 – 2 VAs 8/12 –, juris Rn. 14). Allerdings ist nach § 44b Abs. 1 S. 1 Hs. 2 StVollstrO, korrespondierend zu § 67 Abs. 2 S. 1 StGB, die Anordnung des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe dann gerechtfertigt („es sei denn“), wenn gerade durch die Umkehrung der grundsätzlich vorgesehenen Vollstreckungsreihenfolge der Zweck der Maßregel leichter erreicht werden kann. Dies ist nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung insbesondere dann der Fall, wenn durch den sofortigen Beginn der Maßregel deren Erfolgsaussichten entscheidend gemindert werden würden (Senat, a.a.O. Rn. 22 m.w.N.).
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3. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. Senat, a.a.O. Rn. 27; ebenfalls BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2021 – 2 StR 362/21 –, juris Rn. 6 und BGH, Beschluss vom 13. November 2018 – 3 StR 243/18 –, juris Rn. 5 jeweils zu § 67 StGB). Die Vollstreckungsbehörde hat dabei die Persönlichkeit des Täters, die Länge der Freiheitsstrafe und der notwendigen Behandlung zu berücksichtigen (vgl. Senat, a.a.O. Rn. 27; OLG Stuttgart, Beschluss vom 30. Dezember 2019 – 4 VAs 6/19 –, juris Rn. 12; BGH, Beschluss vom 13. November 2018 – 3 StR 243/18 –, juris Rn. 5 zu § 67 StGB). Sie hat ihre Entscheidung nach § 44b Abs. 1 StVollstrO daran zu orientieren, ob im konkreten Fall der Zweck der Maßregel, nämlich durch heilende oder bessernde Einwirkung auf den Täter die von ihm ausgehende Gefahr weiterer Taten abzuwenden oder zu verringern, durch einen Vorwegvollzug der Strafe leichter erreichbar ist (vgl. Senat, a.a.O. Rn. 23 ff. m.w.N.). Befindet sich der Betroffene noch nicht im Maßregelvollzug, sollte die Vollstreckungsreihenfolge nach der gesetzlichen Wertung von § 67 Abs. 2 S. 2 und 3 StGB grundsätzlich so gestaltet werden, dass nach der erfolgreichen Behandlung in der Unterbringung die Möglichkeit besteht, alle zur Verbüßung anstehenden Strafen zur Bewährung auszusetzen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juli 2020 – 203 VAs 204/20 –, juris Rn. 15; OLG Hamm, Beschluss vom 2. Februar 2017 – III-1 VAs 156/16 –, juris Rn. 11 m.w.N.). Befindet sich der Betroffene zum Zeitpunkt der Entscheidung der Staatsanwaltschaft allerdings bereits in der Therapie, hat die Vollstreckungsbehörde bei ihrer Entscheidung nach § 44b StVollstrO auch die Folgen eines Therapieabbruchs, insbesondere die möglichen Auswirkungen auf die Therapiewilligkeit des Betroffenen und die Erfolgsaussichten, zu bedenken (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2018 – 3 StR 243/18 –, juris Rn. 9 zu § 67 StGB).
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4. Diesen Vorgaben hält die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 27. Oktober 2022 in Gestalt des Bescheids der Generalstaatsanwaltschaft vom 9. Dezember 2022 nicht stand.
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a) Der Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft M. leidet bereits daran, dass die einleitend gewählte Formulierung des Überprüfungsmaßstabs und des Ergebnisses der Prüfung besorgen lässt, dass sich die Generalstaatsanwaltschaft bei der Entscheidung nicht gewahr geworden ist, dass sie ihr eigenes Ermessen auszuüben hatte und sich nicht auf eine bloße Überprüfung der Entscheidung der Staatsanwaltschaft auf Rechtsfehler beschränken durfte (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 6. Oktober 2015 – VAs 14 – 15/15 –, juris Rn. 28; KK-Mayer, a.a.O. § 24 EGGVG Rn. 5).
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b) Selbst wenn den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in dem angefochtenen Bescheid die Ausübung eigenen Ermessens noch zu entnehmen sein sollte, wäre diese Entscheidung jedenfalls nicht frei von Ermessensfehlern.
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aa) So hat die Generalstaatsanwaltschaft ihre die Anordnung des Zwischenvollzugs der Freiheitsstrafen bestätigende Entscheidung – wie bereits die Staatsanwaltschaft – darauf gestützt, dass die zu vollstreckenden Freiheitsstrafen mit einem Jahr und zehn Monaten sowie mit 6 Monaten „sehr hoch“ seien. Eine etwaige Anrechnung der Unterbringungszeit bis zu deren Aussetzungsreife sei „unwahrscheinlich“. Um gewährleisten zu können, dass der Antragsteller nach dem erfolgreichen Abschluss der Unterbringung in die Freiheit entlassen werden könnte, müssten die laufende Unterbringung unterbrochen und die weiteren Freiheitsstrafen jedenfalls zum Teil vollstreckt werden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat dabei jedoch nicht bedacht, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Falle der Verhängung einer Begleitstrafe nach § 67d Abs. 1 S. 3 StGB auch über 2 Jahre hinaus andauern kann (vgl. dazu Trenckmann in: Kammeier/Pollähne, Maßregelvollzugsrecht, 4. Aufl. 2018, L.Vollstreckungsrecht der freiheitsentziehenden Maßregeln nach § 63 und § 64 StGB Rn. L 80; Veh in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 67d Rn. 8; zur Anrechnung vgl. § 67 Abs. 6 StGB und § 44b Abs. 1 S. 2 StVollstrO).
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bb) Sie hat zudem dem Umstand, dass sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits geraume Zeit im Vollzug der Maßregel befunden hat, nicht das gebotene Gewicht beigemessen. Der Gesetzgeber hat, wie § 67 Abs. 1 und Abs. 5 StGB belegen, im Bereich des Maßregelrechts den Therapie- und Heilungsgedanken priorisiert (OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 VAs 16/18 –, juris Rn. 14; OLG Dresden, Beschluss vom 1. Juni 2012 – 2 VAs 8/12 –, juris Rn. 14). Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in seinem Beschluss vom 27. März 2012 (BVerfG, Beschluss vom 27. März 2012 – 2 BvR 2258/09 –, BVerfGE 130, 372-403, zitiert nach juris Rn. 68) – dort zur Unterbringung nach § 63 StGB – grundlegend ausgeführt: „Der – vollständige oder weitgehende – Vorwegvollzug der Strafe führt dazu, dass jedenfalls bei Unterbringungen gemäß § 63 StGB regelmäßig die Zwecke des Strafvollzugs verfehlt werden, wenn therapiefähige und therapiebedürftige psychisch gestörte oder kranke Straftäter zunächst im Strafvollzug untergebracht werden und ihre Krankheit so nicht nur nicht geheilt, sondern möglicherweise noch verschlimmert wird. Denn eine Therapie im Maßregelvollzug hat umso größere Erfolgschancen, je schneller sie nach der Verurteilung begonnen werden kann (vgl. auch BVerfGE 128, 326 <386>). Sinngemäß gilt dies auch für die Unterbrechung des Maßregelvollzugs zum Zwecke der Vollstreckung der verfahrensfremden Freiheitsstrafen. Mit dem Maßregelvollzug wird zugleich die Behandlung des Betroffenen unterbrochen, schon weil eine Justizvollzugsanstalt insoweit typischerweise nicht dasselbe leisten kann wie eine Maßregelvollzugseinrichtung“. Eine von der Vollstreckungsbehörde gegen den Willen des Betroffenen erzwungene Unterbrechung der bereits begonnenen Therapie birgt demgegenüber nicht nur die Gefahr, dass die bereits erfolgte Maßregelbehandlung durch einen Zwischenvollzug der widerrufenen Freiheitsstrafen, der nicht zugleich therapeutisch indiziert war, entwertet wird (vgl. dazu OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 VAs 16/18 –, juris Rn. 14; BGH, Beschluss vom 13. November 2018 – 3 StR 243/18 –, juris Rn. 9 zu § 67 StGB). Vielmehr kann dieses Vorgehen der Vollstreckungsbehörde eine zunächst bestehende Therapiebereitschaft nachhaltig untergraben. Es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass sich über einen relativ langen Zeitraum vor dem erneuten Antritt der – anschließend verkürzten – Maßregel eine Therapiemotivation – wieder – aufbauen oder aufrechterhalten lässt (vgl. zu diesem Aspekt OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 VAs 16/18 –, juris Rn. 15). Ein Abbruch könnte somit den Zweck der Maßregel, nämlich eine heilende oder bessernde Einwirkung auf den Täter, endgültig vereiteln.
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cc) Die Ausführung der Generalstaatsanwaltschaft, die Maßregeleinrichtung habe sich nicht klar gegen einen Zwischenvollzug ausgesprochen, kann der Senat nicht nachvollziehen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit übergangen, dass die Maßregeleinrichtung in ihrer Stellungnahme vom 19. September 2022 die Fortdauer der Maßregel ausdrücklich empfohlen und sich entgegen der Darstellung der Generalstaatsanwaltschaft für eine ununterbrochene Weiterführung der Behandlung ausgesprochen hat. Die Klinikleitung, die behandelnde Ärztin und die Psychologin haben mitgeteilt, dass es bis dahin zu keinen Regelverstößen und zu keinen Suchtmittelrückfällen gekommen sei. Das Ziel der aktuellen Behandlung bestehe darin, dass sich der Betroffene mit dysfunktionalen Einstellungen auseinandersetze und gemeinsam Muster in der Delinquenzbiographie identifiziert würden. Nach der ärztlichen Beurteilung sei bei einer Verlegung des Betroffenen in den Strafvollzug eine Destabilisierung „sehr wahrscheinlich“. Beim Wegfall einer therapeutischen Begleitung sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Rückfall in alte Konsummuster zu rechnen und die Begehung von Straftaten werde dadurch begünstigt. Die Vollstreckungsbehörde hätte daher bei der Frage, ob die bereits begonnene Behandlung abgebrochen werden sollte, nicht nur die voraussichtliche Dauer der im konkreten Fall durchzuführenden Therapie unter Berücksichtigung der gesetzlich möglichen Höchstdauer, sondern auch das konkrete Krankheitsbild (hier eine Alkoholabhängigkeit mit Verdacht auf eine Borderline-Störung), die konkrete Art der Behandlung (hier Deliktbearbeitung mit dem Ziel einer Auseinandersetzung mit dysfunktionalen Einstellungen und Aufarbeitung von Delinquenzfaktoren) und mögliche Folgen des Abbruchs unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Betroffenen (hier die Gefahr einer Destabilisierung) in ihre Erwägungen mit einstellen müssen. Es erwies sich hier als unerlässlich, sich mit der fachlichen Beurteilung der Maßregelanstalt konkret auseinanderzusetzen. Die Generalstaatsanwaltschaft durfte insbesondere mit Blick auf die Persönlichkeit des Beschwerdeführers und die Erkenntnisse der Klinik nicht die zum Vorwegvollzug von Freiheitsstrafen entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung auf den Abbruch der Maßregel übertragen und von einer Förderung der Rehabilitation durch den erzwungenen Therapieabbruch und einen Zwischenvollzug der Freiheitsstrafen ausgehen.
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5. Die angefochtene Verfügung der Staatsanwaltschaft und der hierzu ergangene Bescheid des Generalstaatsanwalts waren daher aufzuheben. Gemäß § 28 Abs. 2 EGGVG war die Verpflichtung der Vollstreckungsbehörde auszusprechen, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ungeachtet der zwischenzeitlich erfolgten Verlegung in den Strafvollzug über die Reihenfolge der Vollstreckung erneut zu befinden und dabei die Dauer der bereits vollzogenen Maßregel und den Behandlungsverlauf miteinzustellen.
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1. Eine Entscheidung über Gerichtskosten war nicht veranlasst, da der Antrag weder zurückgenommen noch (insgesamt) zurückgewiesen worden ist.
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2. Hinsichtlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Verurteilten entsprach es billigem Ermessen, diese der Staatskasse aufzuerlegen (§ 30 Satz 1 EGGVG).
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3. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 19, § 36 Abs. 3 GNotKG.
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4. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen (§ 29 Abs. 2 EGGVG), da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.