Titel:
Beiordnung eines Rechtsanwaltes nach § 109 Abs. 3 StVollZG bei Lockerungsbegehren eines Sicherungsverwahrten
Normenketten:
StVollzG § 54, § 119 Abs. 3, § 120 Abs. 1
StPO § 4 Abs. 1, § 338 Nr. 5
BaySvVollzG Art. 54 Abs. 3
Leitsätze:
1. Liegt nach der Auslegung des Begehrens des Antragstellers im Strafvollzugsverfahren ein einheitlicher Streitgegenstand vor, kommt eine getrennte Sachbehandlung nicht in Betracht. Hat die Strafvollstreckungskammer eine Verfahrensabtrennung vorgenommen, sind die Verfahren in der Rechtsbeschwerde im Wege der Verbindung nach § 4 Abs. 1 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG wieder einer einheitlichen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zuzuführen. (Rn. 23 – 24)
2. Ein Verstoß gegen § 109 Abs. 3 StVollzG kann in der Rechtsbeschwerde mit der Verfahrensrüge nach § 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO gerügt werden, ohne dass es einer Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiordnung bedürfte. (Rn. 26)
3. Befindet sich der Beschwerdeführer in der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung und begehrt Lockerung in Form von weiteren Ausführungen nach Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG, ist im gerichtlichen Verfahren im Regelfall die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 109 Abs. 3 StVollzG geboten. (Rn. 29)
4. Beantragt ein Sicherungsverwahrter eine gerichtliche Entscheidung bezüglich einer Lockerung, hat das Gericht den Sachverhalt umfassend aufzuklären und im Beschluss dazu auszuführen, ob die Vollzugsbehörde den zugrunde gelegten Sachverhalt insgesamt vollständig ermittelt und eine hinreichende tatsächliche Grundlage für ihre Entscheidung bezogen auf die vom Beschwerdeführer konkret beantragten Lockerungsmaßnahme geschaffen hat. (Rn. 31)
Schlagworte:
Beiordnung eines Rechtsanwaltes, Sicherungsverwahrung, Ablehnung der Beiordnung, Lockerung, Lockerungsmaßnahme, Aufklärungspflicht, Verbindung
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 05.09.2023 – SR StVK 662/23 , SR StVK 805/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 45633
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerdeverfahren 203 StObWs 514/23, 203 StObWs 516/23 und 203 StObWs 538/23 werden gemäß § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG i.V.m. § 4 Abs. 1 StPO unter Führung des Aktenzeichens 203 StObWs 514/23 verbunden.
2. Dem Sicherungsverwahrten wird bezüglich seiner Rechtsbeschwerden gegen die in den Verfahren SR StVK 662/23 und SR StVK 805/23 der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing ergangenen Beschlüsse vom 5. September 2023 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist gewährt.
3. Auf die Rechtsbeschwerden des Sicherungsverwahrten werden die Beschlüsse der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 5. September 2023 (Verfahren SR StVK 662/23 und 805/23) und vom 26. September 2023 (Verfahren SR StVK 1197/23) aufgehoben.
4. Das Verfahren wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing zurückverwiesen.
5. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen.
6. Der Beschwerdewert wird auf 5000.- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller, gegen den neben einer mehrjährigen Freiheitsstrafe auch die Maßregel der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war, befindet sich seit dem 14. November 2022 in der Justizvollzugsanstalt St., Einrichtung für Sicherungsverwahrung, und nimmt seit 9. Februar 2023 an der Behandlungsgruppe für Sexualstraftäter teil. Unstreitig werden ihm zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit, der Förderung der Mitwirkung an der Behandlung und zur Vorbereitung weiterer vollzugsöffnender Maßnahmen im Jahr vier Ausführungen als Mindestausführungen gewährt. Die bislang gewährten vier Ausführungen verliefen ohne Beanstandungen.
2
Mit Schreiben vom 2. Mai 2023 hat der Antragsteller bei der Justizvollzugsanstalt St. (JVA), Einrichtung für Sicherungsverwahrung, mit der Begründung der Resozialisierung, der Rückfallvermeidung, der Sicherung des sozialen Empfangsraums, zu verwaltenden Grundeigentums und der Kontaktpflege zu seiner 99-jährigen Mutter einen schriftlichen Antrag auf Genehmigung weiterer Ausführungen (monatlich zwei reguläre Ausführungen) gemäß Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG gestellt. Mit Antragsschein vom 3. Mai 2023 hat er unter Hinweis auf seinen vorgehenden Antrag den sozialen Empfangsraum näher dargelegt. Zwecks Verwaltung, Pflege und Instandsetzung seiner Wirtschaftsimmobilien seien Mehrausführungen erforderlich. Handschriftlich sind auf dem Antragsformular vom 3. Mai 2023 – wohl von Seiten der Anstalt – noch folgende Vermerke angebracht: „Was beantragt der Verwahrte?“ und „Er beantragt mehr Ausführungen“. Inwieweit darüber hinaus einem ausschließlich in der Verfahrensakte SR StVK 662/23 verakteten Antrag vom 25. Mai 2023 auf Ausführung gemäß Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG eine verfahrensrelevante Bedeutung zukommt, ist offen.
3
Mit Schreiben vom 31. Mai 2023 (Verfahren SR StVK 662/23) hat sich der Antragsteller mit einem Antrag nach § 109 StVollzG und einem Eilantrag erstmals an die Strafvollstreckungskammer gewandt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er bei der JVA mit Schreiben vom 2. Mai 2023 und ergänzend mit einem Formblatt die Ausführung zu seiner 99-jährigen, nicht reisefähigen Mutter beantragt hätte. Die Ausführung diene dem Kontakt zu und der Unterstützung seiner Mutter, der Aufrechterhaltung von sozialen Beziehungen, der Vorbereitung des sozialen Empfangsraumes, der Verwaltung seiner zwei Immobilien, der Vermietung, Renovierung, der Verpachtung von landwirtschaftlichen Flächen und der Resozialisierung. Der Antrag auf Ausführung sei mündlich abgelehnt worden durch Eröffnung einer schriftlichen Weisung des zuständigen Abteilungsleiters unter Hinweis auf die Entfernung von etwa 220 km. Die Entscheidung über die Ausführungen sei mit Blick auf das Alter der Mutter und die anstehenden Aufgaben dringlich.
4
Mit Beschluss vom 2. Juni 2023 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und die Entscheidung über die Lockerung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
5
Mit Schreiben vom 13. Juni 2023 hat der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren ergänzt, dass die Ablehnung ihm am 31. Mai 2023 eröffnet worden und nunmehr am 7. Juni 2023 auch ein schriftlicher Ablehnungsbescheid ergangen sei, den er in das gerichtliche Verfahren zur Überprüfung seines Antrags auf Gewährung von weiteren Ausführungen mit einbeziehen wolle. In dem Bescheid vom 7. Juni 2023 hat die JVA einen Antrag auf Gewährung von über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehende Ausführungen zur Mutter ohne Angabe eines Antragsdatums gemäß Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG abgelehnt.
6
Mit Schreiben vom 25. Juni 2023 hat sich der Antragsteller im Verfahren SR StVK 662/23 gegen einen weiteren schriftlichen Ablehnungsbescheid der JVA vom 23. Juni 2023 gewandt und weiterhin begehrt, dass ihm Ausführungen zu seiner Mutter gewährt würden. In dem Bescheid vom 23. Juni 2023 hat die JVA einen Antrag auf Ausführung zur Mutter aus wichtigem Anlass ohne Angabe eines Antragsdatums gemäß Art. 55 BaySvVollzG abgelehnt.
7
Mit Verfügung vom 27. Juni 2023 hat die Strafvollstreckungskammer im Verfahren SR StVK 662/23 eine Verfahrensabtrennung „nach § 93 VwGO analog“ bezüglich des Ablehnungsbescheids vom 23. Juni 2023 als sachgerecht verfügt und diesbezüglich das Verfahren SR StVK 805/23 eingetragen, „um eine größere Übersichtlichkeit zu schaffen“.
8
Mit Schreiben vom 3. Juli 2023 hat der Antragsteller in dem Verfahren SR StVK 805/23 die Beiordnung von Rechtsanwältin S. beantragt und betont, dass er sich nicht alleine gegen die Ablehnung eines Antrages auf Ausführung aus wichtigem Anlass wende, sondern gegen die Ablehnung von weiteren Ausführungen generell und er einen entsprechenden Verpflichtungsantrag gestellt habe.
9
Mit Beschluss vom 5. Juli 2023 hat die Strafvollstreckungskammer im Verfahren SR StVK 805/23 für dieses Verfahren den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts zurückgewiesen.
10
Mit Schreiben vom 13. Juli 2023 in den Verfahren SR StVK 662/23 und 805/23 hat der Antragsteller Bedenken gegen die Abtrennung der Verfahren vorgebracht und auf die dadurch bewirkte Unübersichtlichkeit hingewiesen. Er habe mit seinem Schreiben vom 31. Mai 2023 bei der Strafvollstreckungskammer die Gewährung von weiteren Ausführungen beantragt und halte seinen Verpflichtungsantrag ungeachtet der mittlerweile zwei schriftlich ergangenen Ablehnungsbescheide der JVA aufrecht. Es handle sich aus seiner Sicht um einen einheitlichen Verfahrensgegenstand.
11
Mit Schreiben vom 28. Juli 2023 hat Rechtsanwältin S. im Verfahren SR StVK 662/23 und mit Schreiben vom 31. Juli 2023 im Verfahren SR StVK 805/23 unter Vollmachtsvorlage die anwaltliche Vertretung des Antragstellers in diesen Verfahren angezeigt.
12
Mit Schreiben vom 4. September 2023 hat Rechtsanwältin S. in den Verfahren SR StVK 805/23 und SR StVK 662/23 mitgeteilt, dass in diesen Verfahren keine Stellungnahme erfolgen werde.
13
Mit Beschluss vom 5. September 2023 hat die Strafvollstreckungskammer im Verfahren SR StVK 662/23 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 31. Mai 2023 zurückgewiesen. Zur Begründung führt die Strafvollstreckungskammer aus, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung nach § 109 StVollzG am 31. Mai 2023 noch keine ablehnende Entscheidung der Anstalt vorgelegen hätte.
14
Im Verfahren SR StVK 662/23 hat der Antragsteller gegen diesen der Rechtsanwältin S. am 5. September 2023 zugestellten Beschluss zur Niederschrift des Urkundsbeamten des Amtsgerichts Straubing am 11. Oktober 2023 Rechtsbeschwerde eingelegt, mit welcher er die Verletzung materiellen und formellen Rechts, nämlich unter anderem die unterlassene Beiordnung eines Rechtsanwalts, rügt, und Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels beantragt. Er habe den Urkundsbeamten am 28. September 2023 angefordert, diesem sei es aus dienstlichen Gründen nicht möglich gewesen, den Antragsteller vor dem 11. Oktober 2023 aufzusuchen. Der Urkundsbeamte hat diesen Vortrag unterschriftlich bestätigt. Die Generalstaatsanwaltschaft M. ist dem Wiedereinsetzungsantrag im Verfahren SR StVK 662/23 nicht entgegengetreten und beantragt, die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrund nach § 116 Abs. 1 StVollzG als unzulässig zu verwerfen.
15
Ebenfalls am 5. September 2023 hat die Strafvollstreckungskammer im Verfahren SR StVK 805/23 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 25. Juni 2023 zurückgewiesen. In der Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass der Bescheid vom 23. Juni 2023 rechtmäßig sei, da der Antragsteller in seinem Antrag keinen wichtigen Anlass für weitere Ausführungen dargelegt hätte.
16
Gegen diesen der Rechtsanwältin S. am 5. September 2023 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller zur Niederschrift des Urkundsbeamten des Amtsgerichts Straubing am 11. Oktober 2023 Rechtsbeschwerde eingelegt, die Verletzung materiellen und formellen Rechts gerügt, unter anderem die unterlassene Beiordnung eines Rechtsanwalts, und Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels beantragt. Er habe den Urkundsbeamten am 28. September 2023 angefordert, diesem sei es aus dienstlichen Gründen nicht möglich gewesen, den Antragsteller vor dem 11. Oktober 2023 aufzusuchen. Der Urkundsbeamte hat diesen Vortrag unterschriftlich bestätigt. Die Generalstaatsanwaltschaft M. ist dem Wiedereinsetzungsantrag im Verfahren SR StVK 805/23 nicht entgegengetreten und beantragt, die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrund nach § 116 Abs. 1 StVollzG als unzulässig zu verwerfen.
17
Mit Verfügung vom 5. September 2023 hat die Strafvollstreckungskammer im Verfahren SR StVK 805/23 den „Antragsgegenstand Bescheid vom 7.06.2023“ „analog § 93 VwGO“ abgetrennt und diesbezüglich das Verfahren SR StVK 1197/23 eingetragen. Eine Abtrennung sei sachgerecht, „um eine größere Übersichtlichkeit zu schaffen“. Die Verfahrensakte SR StVK 1197/23 beginnt mit dem Schreiben des Antragstellers vom 25. Juni 2023 „Ergänzend zu meinem Schreiben vom 13. Juni 2023…“. Das Schreiben des Antragstellers vom 13. Juni 2023 aus dem Verfahren SR StVK 662/23 ist in dem neuen Verfahren nicht veraktet worden, es fehlt zudem die Stellungnahme der JVA vom 6. Juli 2023 aus dem Verfahren SR StVK 662/23. Auch eine Bevollmächtigung oder Vertretungsanzeige von Rechtsanwältin S. weist die Verfahrensakte SR StVK 1197/23 nicht auf.
18
Mit Schreiben vom 21. September 2023 im Verfahren SR StVK 1197/23 hat sich der Antragsteller gegen die Abtrennung der Verfahren gewandt. Die Abtrennung habe zu einer Unübersichtlichkeit und Lückenhaftigkeit der Verfahrensakten geführt, obgleich der Verfahrensgegenstand identisch sei.
19
Mit Beschluss vom 26. September 2023 hat die Strafvollstreckungskammer im Verfahren SR StVK 1197/23 – wiederum – den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom „25. Juni 2023“ und zudem „den Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwältin S.“ zurückgewiesen. In den Gründen führt die Strafvollstreckungskammer im Verfahren SR StVK 1197/23 unter Bezugnahme auf Schriftstücke sinngemäß aus, dass sich der Antragsteller in seinem nach dem Tenor des Beschlusses verfahrensgegenständlichen Antrag nach § 109 StVollzG vom 25. Juni 2023 gegen einen – nicht in der Verfahrensakte verakteten – Bescheid der Anstalt vom 23. Juni 2023 wende. Den Anträgen des Antragstellers an die JVA vom 2. und vom 3. Mai 2023 sei das Begehren von weiteren Ausführungen gemäß Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG zu entnehmen, dieses Begehren sei mit Bescheid vom 7. Juni 2023 abgelehnt worden. Den Bescheid vom 7. Juni 2023, den der Antragsteller in seinem Schreiben vom 25. Juni 2023 und vom 13. Juli 2023 zur Überprüfung gestellt habe, erachte das Gericht für rechtmäßig. In den Gründen führt die Strafvollstreckungskammer zudem aus, der Antragsteller habe mit Schreiben vom „3.06.2023“ die Beiordnung von Rechtsanwältin S. beantragt. Ein derartiger Antrag befindet sich nicht in der Verfahrensakte, gemeint ist wohl der Antrag vom 3. Juli 2023 in den Verfahren SR StVK 662/23 und 805/23. Mit Beschluss vom „3. 07. 2023“ habe das Gericht den Antrag zurückgewiesen. Ein Beschluss vom 3. Juli 2023 – gemeint ist wohl der Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 5. Juli 2023 im gesondert geführten Verfahren SR StVK 805/23 – befindet sich ebenfalls nicht bei der Verfahrensakte SR StVK 1197/23. Weiter führt die Strafvollstreckungskammer aus, dass sich mit Schreiben vom 31. Juli 2023 Rechtsanwältin S. als anwaltliche Vertreterin angezeigt und um Akteneinsicht ersucht habe. Mit Schreiben vom 4. September 2023 habe sie mitgeteilt dass eine Stellungnahme nicht erfolgen werde. Der Antragsteller hätte Gelegenheit zur Äußerung bis 21. September 2023 erhalten. In der Verfahrensakte SR StVK 1197/23 ist weder eine Vertretungsanzeige noch eine gerichtliche Kommunikation mit einer Rechtsanwältin enthalten.
20
Gegen den der Rechtsanwältin S. am 9. Oktober 2023 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller zur Niederschrift des Urkundsbeamten zwei Tage später, am 11. Oktober 2023, Rechtsbeschwerde eingelegt und die Verletzung materiellen und formellen Rechts, unter anderem die unterlassene Beiordnung eines Rechtsanwalts, gerügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hält das Rechtsmittel für verfristet und beantragt, es als unzulässig zu verwerfen.
21
Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer vom 5. September 2023 in den Verfahren SR StVK 662/23 und SR StVK 805/23 sind zulässig und begründet (Art. 103 BaySvVollzG, §§ 130, 118 Abs. 1 S. 1, § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG, §§ 44, 45 Abs. 1 und 2, § 46 Abs. 1 StPO). Der Antragsteller hat jeweils fristgerecht glaubhaft gemacht, an der Einhaltung der Frist ohne Verschulden gehindert gewesen zu sein.
22
Die Rechtsbeschwerden vom 11. Oktober 2023 sind – nach gewährter Wiedereinsetzung in den Verfahren SR StVK 662/23 und 805/23 – gemäß Art. 103 BaySvVollzG, §§ 130, 116 Abs. 1, § 118 Abs. 1 bis 3 StVollzG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig. Die Rechtsbeschwerde im Verfahren SR StVK 1197/23 ist fristgerecht erhoben worden.
23
Die drei verfahrensgegenständlichen Strafvollzugsverfahren sind in der Rechtsbeschwerde nach § 4 Abs. 1 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG und Art. 103 BaySvVollzG zu verbinden (sogenannte verschmelzende Verbindung). Der Senat versteht die in den angefochtenen Beschlüssen jeweils bruchstückhaften Ausführungen der Strafvollstreckungskammer nach der Verbindung der Verfahren in der gebotenen Gesamtschau dahingehend, dass der Antragsteller bei der Anstalt mit Schreiben vom 2. Mai 2023 einen Antrag auf weitere Ausführungen zu seiner Mutter gestellt und den Antrag in einem Antragsformular am 3. Mai 2023 ergänzt hatte. Die Anstalt äußerte sich zum Antrag zunächst am 31. Mai 2023 unter Hinweis auf die Entfernung ablehnend mündlich, und lehnte den Antrag anschließend schriftlich, und zwar zunächst im Bescheid vom 7. Juni 2023 gemessen an Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG und des weiteren mit Bescheid vom 23. Juni 2023 gemessen an Art. 55 BaySvVollzG, ab. Inwieweit einem weiteren von der JVA zum Verfahren gereichten Antrag auf Ausführung vom 25. Mai 2023 Bedeutung zukommt, lässt sich den Ausführungen der Strafvollstreckungskammer nicht entnehmen.
24
Mit der Trennung der Verfahren hat sich die Tatrichterin den Blick darauf verstellt, dass sich der Antragsteller mit seinem Antrag nach § 109 StVollzG und dessen Ergänzungen stets gegen die Ablehnung der von ihm am 2. Mai 2023 beantragten Gewährung von weiteren Ausführungen zu seiner Mutter ungeachtet der Rechtsgrundlage und der Entscheidungsform der Versagung gewandt hat und im gerichtlichen Verfahren die Gewährung von weiteren Ausführungen zu seiner Mutter erreichen möchte. Das Begehren des Betroffenen ist ungeachtet der ursprünglichen Antragstellung bei verständiger Würdigung ersichtlich dahin auszulegen, dass der Antragsteller eine Lockerung unabhängig von der Frage eines wichtigen Anlasses wünscht. Die drei Verfahren sind daher im Wege der Verbindung nach § 4 Abs. 1 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG einer nunmehr einheitlichen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zuzuführen.
25
1. Die Rechtsbeschwerden haben in der Sache überwiegend (zumindest vorläufigen) Erfolg, da die drei angefochtenen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sind. Dem Beschwerdeführer ist trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 109 Abs. 3 StVollzG, Art. 103 BaySvVollzG für die erstinstanzlichen Verfahren kein Rechtsanwalt beigeordnet worden.
26
a. Die Rüge ist zulässig. Ein Verstoß gegen § 109 Abs. 3 StVollzG kann in der Rechtsbeschwerde mit der Verfahrensrüge nach § 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO gerügt werden, ohne dass es einer Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiordnung bedürfte (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 204 StObWs 15/22 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 14. September 2020 – 2 Ws 119/20 Vollz –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 28. August 2014 – 1 Ws 355/14 (StrVollz-) –, juris; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 12. Kapitel Rechtsbehelfe B Rn. 40). § 336 Satz 2 StPO (i.V.m. § 120 Abs. 1 StVollzG) steht dem nicht entgegen, da die Norm keinen Ausschluss von Entscheidungen, die mit der einfachen Beschwerde anfechtbar sind, enthält.
27
b. Die Rüge ist auch begründet. Das Gericht hätte hier von einer Beiordnung nicht absehen dürfen.
28
aa) Nach § 109 Abs. 3 Satz 1 StVollzG ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts geboten, wenn die vom Antragssteller begehrte Maßnahme der Umsetzung des § 66c Abs. 1 StGB im Vollzug der Sicherungsverwahrung oder der ihr vorausgehenden Freiheitsstrafe dient. Von einer Beiordnung ist nur abzusehen, wenn wegen der Einfachheit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Rechtsanwalts nicht geboten erscheint oder es ersichtlich ist, dass der Antragssteller seine Rechte selbst ausreichend wahrnehmen kann.
29
bb) Danach war eine Beiordnung erforderlich. Der Beschwerdeführer befindet sich in der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung und begehrt Lockerung in Form von weiteren Ausführungen nach Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG. Die Gewährung von Lockerungen in der Sicherungsverwahrung dient auch dem Ziel, die Gefährlichkeit des Sicherungsverwahrten zu mindern und den Untergebrachten zu befähigen, künftig ein Leben ohne Straftaten zu führen. Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit dienen dem Zweck, den schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Hinblick auf das Resozialisierungsgebot entgegenzuwirken (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Juni 2012 – 2 BvR 865/11-, juris). Derartige Ausführungen stellen, da sie die Gefährlichkeit des Untergebrachten reduzieren können, eine Maßnahme zur Umsetzung des § 66c Abs. 1 StGB dar, so dass grundsätzlich die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich ist (vgl. BT-Drucks. 17/9874 S. 27; vgl. auch Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 204 StObWs 15/22 –, juris zu einem Antrag auf Besuch; KG, Beschluss vom 21. Juli 2021 – 2 Ws 73/21, juris Rn. 15; KG Berlin, Beschluss vom 30. September 2014 – 2 Ws 342/14 Vollz –, juris; Laubenthal a.a.O. Rn. 35; Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 109 Rn. 14). Entgegen den Ausführungen der Strafvollstreckungskammer liegt hier, wie bereits der oben dargestellte diffuse Verfahrensgang belegt, keine einfache Sach- oder Rechtslage vor. Ein Ausnahmefall, dass der Antragsteller etwa aufgrund einer juristischen Vorbildung fähig wäre, seine Rechte selbst wahrnehmen zu können, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der Umstand, dass der Antragsteller in zwei der drei Verfahren eine Rechtsanwältin beauftragt hatte, ändert daran nichts, nachdem diese aus nicht bekannten Gründen von einer Stellungnahme in der Sache abgesehen hatte.
30
cc) Ein Beruhen der Entscheidungen auf diesem Verfahrensverstoß kann im Gesamtkomplex ungeachtet der anwaltlichen Vertretung in den Verfahren SR StVK 662/23 und 805/23 nicht ausgeschlossen werden. Es ist möglich, dass die Beiordnung der Rechtsanwältin zu einer Mitwirkung in den drei formal getrennt geführten, jedoch ein einheitliches Begehren betreffenden Verfahren, damit zu weiterem Sachvortrag, damit zu abweichenden tatsächlichen Feststellungen und damit zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Die Entscheidungen sind daher aufzuheben und die Sache ist an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (Art. 103 BaySvVollzG, § 119 Abs. 4 S. 1 und 3 StVollzG).
31
2. Es kommt nicht mehr darauf an, dass die lückenhaften Feststellungen der Strafvollstreckungskammer in der Sache eine Versagung von weiteren Ausführungen nicht tragen könnten. Beantragt ein Sicherungsverwahrter eine gerichtliche Entscheidung bezüglich einer Lockerung, hat das Gericht den Sachverhalt umfassend aufzuklären und im Beschluss festzustellen, ob die Vollzugsbehörde den zugrunde gelegten Sachverhalt insgesamt vollständig ermittelt und eine hinreichende tatsächliche Grundlage für ihre Entscheidung bezogen auf die vom Beschwerdeführer konkret beantragten Lockerungsmaßnahme geschaffen hat (BVerfG, Urteil vom 3. März 2021 – 2 BvR 866/20 –, juris Rn. 27 zu Lockerungen im Strafvollzug; zu Art. 54 BaySvVollzG und den Begründungsanforderungen vgl. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. August 2015 – 1 Ws 224/15 –, juris). Die angefochtenen Beschlüsse genügen diesen Anforderungen nicht, zumal es die Tatrichterin versäumt hat, sämtliche entscheidungsrelevante Akteninhalte zum Verfahren SR StVK 1197/23 zu bringen, ihr also für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 7. Juni 2023 keine hinreichende Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stand.
32
3. Soweit der Beschwerdeführer über die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und die Zurückverweisung der Sache hinaus eine abschließende Entscheidung in seinem Sinne beantragt, ist seine weitergehende Rechtsbeschwerde mangels Spruchreife als unbegründet zu verwerfen.
33
Der Vorsitzende des Senats hat zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen davon abgesehen, dem Beschwerdeführer in entsprechender Anwendung von § 109 Abs. 3 StVollzG für das Rechtsbeschwerdeverfahren einen Bevollmächtigten beizuordnen, da sein Rechtsmittel jedenfalls vorläufigen Erfolg hat.
34
1. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers bleibt bei einer Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer dieser vorbehalten.
35
2. Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 1 Abs. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52 GKG.