Inhalt

FG München, Urteil v. 21.03.2023 – 6 K 1233/20
Titel:

Erste Tätigkeitsstätte bei Leiharbeitnehmern

Normenketten:
EStG § 9 Abs. 4
FGO § 135 Abs. 1
Schlagworte:
Erste Tätigkeitsstätte bei Leiharbeitnehmern, unbefristetes Arbeitsverhältnis, Arbeitnehmerüberlassung, betriebliche Einrichtung, dauerhafte Zuordnung
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – VI R 22/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 45557

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

I.
1
Der Kläger wird beim beklagten Finanzamt mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zur Einkommensteuer veranlagt.
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Der Kläger war seit dem 23.04.2014 bei der Firma Z (nachfolgend: Zeitarbeit) beschäftigt. Dieses Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum 28.11.2014 befristet. Die Befristung wurde bis zum 27.11.2015 verlängert. Ab dem 28.11.2015 bestand ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Zeitarbeit. Das zunächst zeitlich befristete Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Zeitarbeit wurde jeweils vor Ablauf der Befristung ohne Änderung der sonstigen Vereinbarungen verlängert bzw. in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt.
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Der Kläger leistete während seines Arbeitsverhältnisses mit der Zeitarbeit folgende Einsätze:
23.04.2014 – 10.10.2014 A
12.11.2014 – 16.11.2014 B
17.11.2014 – 11.01.2015 C
12.01.2015 – 18.01.2015 D
29.01.2015 – 01.02.2015 C
02.02.2015 – 31.03.2015 R
01.04.2015 – 31.08.2018 R
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Die Arbeitnehmerüberlassung zwischen der Zeitarbeit und dem Entleiher erfolgten zunächst per Auftragsbestätigung. Darin ist jeweils der Beginn der Überlassung bestimmt; für das Ende ist jeweils „vorübergehend“ angegeben. Nach der Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) zum 01.04.2017, das eine zeitliche Höchstgrenze für Arbeitnehmerüberlassungen vorsieht, schlossen die Zeitarbeit und der Entleiher, die Firma (nachfolgend: R) einen neuen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, bei dem als Ende der Überlassung des Klägers „vorübergehend“ angegeben ist. Die Überlassungshöchstdauer nach dem AÜG wurde mittels Software von der Zeitarbeit überwacht. Seit September 2018 ist der Kläger bei der R fest angestellt.
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In den Steuererklärungen für die Streitjahre machte der Kläger jeweils Fahrtkosten zur Arbeitsstelle nach Reisekostengrundsätzen geltend. In den Einkommensteuerbescheiden für 2017 vom 16.01.2020 und für 2018 vom 20.05.2019 berücksichtigte das Finanzamt die Fahrtkosten im Rahmen der Entfernungspauschale.
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Die Einsprüche gegen die Steuerfestsetzungen begründete der Kläger damit, dass der Entleiher nicht die erste Tätigkeitsstätte sein könne, da der Kläger – selbst nachdem das Arbeitsverhältnis mit der Zeitarbeit in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt worden sei – jederzeit mit einer Versetzung zu einem anderen Arbeitgeber habe rechnen müssen. Zudem sehe das seit dem Jahr 2017 geänderte AÜG eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten beim selben Kunden vor.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 05.05.2020 wies das Finanzamt die Einsprüche als unbe-gründet zurück.
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Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers sei als einheitliches Beschäftigungsverhältnis be-ginnend am 23.04.2014 zu betrachten. Dem Entleiher sei der Kläger dauerhaft zugeordnet, da der Einsatz des Klägers beim Entleiher nicht kalendermäßig begrenzt gewesen sei. Eine mögliche Umsetzung oder Versetzung zu einer anderen Firma stehe der dauerhaften Zuordnung nicht entgegen. Aufgrund der Neuregelung des AÜG sei eine ex-ante Betrachtung durchzuführen. Danach sei eine Entleihung, beginnend mit dem 23.04.2014 bis 01.09.2018, also länger als 48 Monate, geplant gewesen. Aufgrund dieser dauerhaften Zuordnung sei der Entleiher R die erste Tätigkeitsstätte des Klägers.
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Mit der Klage wendet sich der Kläger weiterhin gegen die Berücksichtigung der Fahrtkosten nach der Entfernungspauschale.
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Eine erste Tätigkeitsstätte sei nur gegeben, wenn der Arbeitnehmer dieser dauerhaft zuge-ordnet sei. Für die Beurteilung einer dauerhaften Zuordnung sei eine ex-ante Bewertung durchzuführen. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers zunächst zweimal befristet und damit kalendermäßig begrenzt war, sei zunächst keine dauerhafte Zuordnung gegeben. Nach der Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ab dem 28.11.2015 sei zunächst eine dauerhafte Zuordnung zu bejahen. Ab dem 01.04.2017 sei die Neufassung des AÜG in Kraft getreten. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in der bis zum 31.03.2017 geltenden Fassung erfolgte die Überlassung von Arbeitnehmern „vorübergehend“. Eine zeitliche Befristung war in der gesetzlichen Regelung nicht enthalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) war jedoch eine ohne zeitliche Begrenzung vorgenommene Arbeitnehmerüberlassung, bei der ein Leiharbeitnehmer dauerhaft anstelle eines Stammarbeitnehmers eingesetzt werden sollte, nicht mehr vorübergehend und damit rechtswidrig (BAG-Beschluss vom 30.09.2014 1 ABR 79/12, BB 2015, 379). Die gesetzliche Neufassung des AÜG sehe nun in § 1 Abs. 1b Satz 1 eine 18-monatige Überlassungshöchstdauer vor. Die arbeitsrechtlichen Besonderheiten legten den Schluss nahe, dass bei Leiharbeitsverhältnissen ein Leiharbeitnehmer bereits aus Rechtsgründen nicht dauerhaft einem Entleihbetrieb zugeordnet werden könne. Die zulässige Höchstverleihdauer von 18 Monaten mache deutlich, dass bei Arbeitnehmerüberlassungen im Rahmen von Leiharbeitsverhältnissen grundsätzlich keine dauerhafte Zuordnung denkbar sei. Folge das Steuerrecht dem Arbeitsrecht könne auch steuerrechtlich keine dauerhafte Zuordnung gegeben sein, die zu einer ersten Tätigkeitsstätte ei-nes Leiharbeitnehmers führe. Zum 01.04.2017 sei ein neuer Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zwischen der Zeitarbeitsfirma und dem Entleiher geschlossen worden, bei dem zwar im Vertrag selbst als Ende der Entleihung des Klägers „vorübergehend“ angegeben worden sei. Die zulässige Überlassungshöchstdauer des Klägers sei von der Zeitarbeit überwacht wor-den. Vor Ablauf dieser gesetzlichen Überlassungshöchstdauer sei daher der Arbeitsvertrag zwischen der Zeitarbeit und dem Kläger aufgelöst worden und der Kläger habe einen Arbeitsvertrag mit dem bisherigen Entleiher abgeschlossen. Wenn nach der Rechtsprechung des BFH im Urteil vom 12.05.2022 VI R 32/20, BStBl II 2023, 35 bei einer vertraglichen Befristung keine erste Tätigkeitsstätte gegeben sei, müsse dies auch gelten, wenn das Gesetz eine Überlassungshöchstdauer vorsehe.
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Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom und den Einkommensteuerbescheid für 2018 vom und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dergestalt abzuändern, dass die Fahrten zwischen der Wohnung des Klägers und dem Entleiher R nach Reisekostengrundsätzen als Werbungskosten anzusetzen sind,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Das Finanzamt verweist im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung und darüber hinaus auf die Rechtsprechung des BFH, Urteil vom 10.04.2019 VI R 6/17, BStBl II 2019, 539, wonach allein das Vorliegen eines (befristeten) Leiharbeitsverhältnisses die Annahme einer dauerhaften Zuordnung nicht ausschließt. Die gesetzliche Neufassung des AÜG sei nicht maßgeblich. Aufgrund des unbefristeten Arbeitsverhältnisses ab November 2015 habe der Kläger für die ex-ante Betrachtung davon ausgehen können, dauerhaft beim Entleiher tätig zu sein.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze der Beteiligten, die vorgelegten Akten des Finanzamtes sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.03.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.
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Die Klage ist unbegründet.
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1. Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen. Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung, ist zur Abgeltung dieser Aufwendungen für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufgesucht hat, grundsätzlich eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0,30 € anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG).
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„Erste Tätigkeitsstätte“ ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 Aktiengesetz – AktG –) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dau-erhaft zugeordnet ist.
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a) Das Werksgelände der R ist eine ortsfeste betriebliche Einrichtung im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG.
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aa) „Ortsfeste betriebliche Einrichtungen“ sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden. Eine (großräumige) erste Tätigkeitsstätte liegt auch vor, wenn eine Vielzahl solcher Mittel, die für sich betrachtet selbständige betriebliche Einrichtungen darstellen können (z.B. Werkstätten und Werkshallen, Bürogebäude und -etagen sowie Verkaufs- und andere Wirtschaftsbauten), räumlich abgrenzbar in einem or-ganisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten stehen. Demgemäß kommt als eine solche erste Tätigkeitsstätte auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. Werksanlage, Betriebsgelände) in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 10.04.2019 VI R 6/17, BStBl II 2019, 539).
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bb) Zwar sind keine näheren Einzelheiten zur infrastrukturellen Ausstattung des Entleihers R ausgeführt. Das Gericht geht mit den in diesem Punkt unstreitigen Vortrag der Parteien davon aus, dass der Entleiher R eine ortsfeste betriebliche Einrichtung darstellt.
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b) Der Kläger war in den Streitjahren dieser ortsfesten betrieblichen Einrichtung der R zugeordnet.
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aa) Zu arbeitsrechtlichen Weisungen und Verfügungen zählen alle schriftlichen, aber auch mündlichen Absprachen oder Weisungen (BTDrucks 17/10774, S. 15). Die Zuordnung kann also insbesondere im Arbeitsvertrag oder durch Ausübung des Direktionsrechts kraft der Organisationsgewalt des Arbeitgebers vorgenommen werden. Die Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte muss dabei nicht ausdrücklich erfolgen. Sie setzt auch nicht voraus, dass sich der Arbeitgeber der steuerrechtlichen Folgen dieser Entscheidung bewusst ist. Wird der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber einer betrieblichen Einrichtung zugeordnet, weil er dort seine Arbeitsleistung erbringen soll, ist diese Zuordnung aufgrund der steuerrechtlichen Anknüpfung an das Dienst- oder Arbeitsrecht auch steuerrechtlich maßgebend. Deshalb be-darf es neben der arbeitsrechtlichen Zuordnung zu einer betrieblichen Einrichtung keiner gesonderten Zuweisung zu einer ersten Tätigkeitsstätte für einkommensteuerrechtliche
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Zwecke. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante nach den arbeitsrechtli-chen Festlegungen an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten tätig werden sollte (BFH-Urteil vom 10.04.2019 VI R 6/17, BStBl II 2019, 539, Rz 17). Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers ist im Wege einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen. Dabei entspricht es regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll. Die Zuordnungsentscheidung muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden. Eine Dokumentationspflicht ist § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zu entnehmen (BFH-Urteil vom 10.04.2019 VI R 17/17, BFH/NV 2019, 904).
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bb) Die Parteien gehen unstreitig davon aus, dass der Kläger jedenfalls seit dem 01.04.2015 aufgrund deren Weisung für die Ausübung seiner Tätigkeit dem Entleiher R zugeordnet war.
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c) Die Zuordnung des R an den Entleiher R war auch dauerhaft im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG.
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aa) Von einer „dauerhaften“ Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer
- unbefristet,
- für die Dauer des Dienstverhältnisses oder
- über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
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aaa) Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht ka-lendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt. Für die Beurteilung, ob eine dauerhafte Zuordnung vorliegt, ist eine auf die Zukunft gerichtete Prognose (ex-ante-Betrachtung) maßgebend (BFH-Urteil vom 09.02.2012 VI R 22/10, BStBl. II 2012, 827; BFH-Urteil vom 24.09.2013 VI R 51/12 a. a. O; so auch BMF-Schreiben vom 30.09.2013, BStBl. I 2013, 1279 Rz. 14; Urteil des FG Münster vom 25.03.2019 1 K 447/16 E, DStRE 2019, 1255). So ist beispielsweise im Falle einer unbefristeten Versetzung an einen anderen Ort und einer absehbaren Verweildauer von vier Jahren von einer regelmäßigen Arbeitsstätte bzw. ersten Tätigkeitsstätte auszugehen, bei wiederholter befristeter Zuweisung des Arbeitnehmers an einen anderen Betriebsteil des Arbeitgebers dagegen nicht (BFH-Urteil vom 08.08.2013 VI R 59/12, BFH/NV 2014, 85).
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Denn die unterschiedliche steuerliche Berücksichtigung beruflich veranlasster Mobilitätskosten durch die Abzugsfähigkeit im Rahmen der Entfernungspauschale oder nach Reisekostengrundsätzen orientiert sich daran, ob ein Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, seine Wegekosten gering zu halten (BFH-Urteil vom 09.02.2012 VI R 22/10, BStBl II 2012, 827 m.w.N.; BFH-Urteil vom 24.09.2013 VI R 51/12, BStBl II 2014, 342). Bei der Prognoseentscheidung der ex-ante Betrachtung bleibt es, bis sich deren Grundlagen oder Voraussetzungen ändern (Deck, Stbg 2013, 439 unter 6.a). Eine ex-ante Betrachtung ist somit zu treffen bei wesent lichen Änderungen des Arbeitsverhältnisses, die eine Neubewertung der ersten Tätigkeitsstätte erfordern, wie etwa bei der Aufnahme der jeweiligen Tätigkeit (so auch § 9 Abs. 1 Nr. 4a Satz 3 EStG „zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit“) oder bei einem Arbeitgeberwechsel (so etwa in einem sog. Outsourcing-Fall vgl. BFH-Urteil vom 09.02.2012 VI R 22/10, BStBl II 2012, 827 und Urteil des Finanzgericht Hamburg vom 09.07.2014 3 K 237/13, EFG 2014, 2019) oder nach einer unbefristeten Versetzung (BFH-Urteil vom 08.08.2013 VI R 59/12, BStBl II 2014, 66). Weichen die tatsächlichen Verhältnisse von einer vereinbarten Festlegung ab (ex-post-Betrachtung), bleibt die bereits getroffene Prognoseentscheidung bezüglich des Vorliegens der ersten Tätigkeitsstätte davon unberührt (BT-Drucks 17/10774, S. 15). Daher hat der BFH entschieden, dass wenn das Arbeitsverhältnis seinerseits befristet ist, eine unbefristete Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht kommt. Denn es ist in einem solchen Fall ausgeschlossen, dass „der Arbeitnehmer unbefristet … an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll“, wie es § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut voraussetzt (BFH-Urteil vom 10.04.2019 VI R 6/17, BStBl II 2019, 539, Rz 26). Besteht der Einsatz des bei einer Zeitarbeitsfirma unbefristet beschäftigen Arbeitnehmers bei dem Entleiher in wiederholten, aber befristeten Einsätzen, fehlt es ebenfalls an einer dauerhaften Zuordnung i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG (BFH-Urteil vom 12.05.2022 VI R 32/20, BStBl II 2023, 35). Die jederzei-tige Möglichkeit einer Versetzung als solche führt hingegen noch nicht zu einer lediglich be-fristeten Zuordnung (BFH-Urteil vom 11.04.2019 VI R 40/16, BStBl II 2019, 546).
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bbb) Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt (BFH-Urteil vom 10.04.2019 VI R 6/17, BStBl II 2019, 539, Rz 22). Maßgebliches Arbeitsverhältnis für die Frage, ob der Arbeitnehmer einer betrieblichen Einrichtung i.S. des § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 EStG dauerhaft zugeordnet ist, ist das zwischen dem Arbeitgeber (Verleiher) und dem (Leih-)Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis (BFH-Urteil vom 12.05.2022 VI R 32/20, BStBl II 2023, 35).
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ccc) Auch bei einer geplanten Zuordnung über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 3. Alternative EStG ist aus der ex ante Sicht des Arbeitnehmers zu beurteilen.
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bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich aufgrund der umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, dass der Kläger dem Entleiher R ex ante dauerhaft zugeordnet war.
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Das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Zeitarbeit war vom 23.04.2014 bis 28.11.2014 und vom 28.11.2014 bis 27.11.2015 zeitlich befristet. Der BFH hat in seinem Urteil vom 10.04.2019 (VI R 6/17, BStBl II 2019, 539, Rz. 26) entschieden, dass eine unbefristete Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte bei einem Arbeitsverhältnis, dass seinerseits befristet ist, nicht in Betracht kommt. Die Befristungen bis zum 27.11.2015 standen nach der Rechtsprechung des BFH der Feststellung einer dauerhaften Zuordnung des Klägers zu ei-ner ersten Tätigkeitsstätte bei R entgegen.
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Der Kläger war ab dem 28.11.2015 unbefristet bei der Zeitarbeitsfirma beschäftigt und dem Entleiher R aus der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen ex ante Betrachtung des unbefriste-ten Arbeitsverhältnisses dauerhaft zugeordnet. Der nunmehr unbefristete Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der Zeitarbeit ist eine wesentliche Änderung in den Vertragsbeziehungen, die eine Neubewertung zur ersten Tätigkeitsstätte erfordert. Denn bei einem unbefristeten Arbeitsvertrag kann sich der Kläger bei einer dauernden Zuordnung neu auf seinen Arbeitsweg einstellen. Entscheidend sind die Vereinbarungen zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber, der Zeitarbeit. In den schriftlichen Vereinbarungen befanden sich keine Klauseln über ein absehbares Ende der Beschäftigung beim Entleiher. Die Arbeitnehmerüberlassungen waren „vorübergehend“ und damit nicht zeitlich befristet. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, aufgrund derer der Kläger davon ausgehen musste, dass seine Tätigkeit bei Entleiher zeitlich befristet sein sollte.
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Der Kläger beruft sich für die Beendigung der Tätigkeit beim Entleiher auf die Regelung des § 1 Abs. 1b AÜG. Nach dieser Vorschrift darf der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen, der Entleiher darf denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden lassen, soweit nicht in Tarifverträgen eine andere Überlassungshöchstdauer festgelegt ist (§ 1 Abs. 1b Satz 3 ff. AÜG). Es kann für den Streitfall dahinstehen, ob die Regelung des AÜG zu einer befristeten Zuordnung führt, wenn die Zuordnung zur Tätigkeitsstätte beim Entleiher von der Zeitarbeitsfirma überwacht und die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten nach der gesetzlichen Regelung anwendbar ist und auch vollzogen wird.
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Bei der für die Beurteilung einer dauerhaften Zuordnung entscheidenden Sicht ex ante, im November 2015 bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrages, war die gesetzliche Neuregelung des AÜG jedenfalls nicht absehbar. Die Arbeitnehmerüberlassung zwischen der Zeitarbeit und dem Entleiher war bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrags zwischen dem Kläger und der Zeitarbeit nicht befristet. Damit konnte sich der Kläger bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrags darauf einstellen, unbefristet beim Entleiher R in R tätig zu sein und war in der Lage hinsichtlich seiner Mobilitätskosten zu planen. Diese Prognoseentscheidung betreffend die Tätigkeitsstätte ändert sich durch den zwischen der Zeitarbeit und dem Entleiher zum 01.04.2017 geänderten Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nicht, da der Kläger unverändert beim Entleiher eingesetzt wurde.
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In dem Urteil vom 12.05.2022 VI R 32/20, BStBl II 2023, 35 – auf das sich der Kläger beruft – entschied der BFH, dass ein Leiharbeitnehmer, der unbefristet bei der Zeitarbeitsfirma beschäftigt und seit Vertragsbeginn ausschließlich bei einem bestimmten Entleiher tätig ist, diesem dennoch nicht dauerhaft zugeordnet war, weil die jeweiligen Arbeitnehmerüberlassungen zwischen der Zeitarbeitsfirma und dem Entleiher jeweils befristet waren und aufgrund dieser Befristungen auch von lediglich befristeten Zuordnungen des Arbeitsnehmers auszugehen war. Anders als im Entscheidungsfall des BFH war im vorliegenden Streitfall die Arbeitnehmerüberlassung zwischen der Zeitarbeit und dem Entleiher R bei Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrages des Klägers mit der Zeitarbeit jedoch unbefristet. Erst zum 01.04.2017 – und damit nicht aus der Sicht ex ante – wurde die Arbeitnehmerüberlassung in „vorübergehend“ geändert und die Überlassungshöchstdauer mittels Software überwacht (vgl. auch Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 13.07.2021 13 K 63/20, EFG 2022, 45 zur dauerhaften Zuordnung eines Leiharbeitnehmers, wenn sich aus der Zuordnungsentscheidung der Zeitarbeitsfirma oder aus den Gesamtumständen keine zeitliche Begrenzung des Einsatzes ergibt). Sofern in der Gesetzesänderung des AÜG eine Befristung zu sehen ist, wäre eine solche später eintretende Befristung unbeachtlich (ex-postBetrachtung).
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Der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung gebietet keine Neubeurteilung der ersten Tätigkeitsstätte im jeweiligen Veranlagungszeitraum.
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Nach der Rechtsprechung des BFH hat das Finanzamt die Grundlagen der Besteuerung bei jeder Veranlagung selbständig festzustellen und die Rechtslage neu zu beurteilen. Eine Bindung an rechtliche Beurteilungen bei früheren Veranlagungen besteht nicht. Die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gebieten es, eine als falsch erkannte Rechtsauffassung vom frühestmöglichen Zeitpunkt an aufzugeben (ständige Rechtsprechung zur Abschnittsbesteuerung vgl. etwa BFH-Urteil vom 9. Oktober 1985 I R 149/82, BStBl II 1986, 51). Die Beurteilung der dauerhaften Zuordnung erfolgt – entsprechend dem Gesetzeszweck – aus der Sicht ex-ante. Diese Prognoseentscheidung wirkt bis zu einer notwendigen Neubewertung aufgrund einer wesentlichen Änderung auch in die Streitjahre hinein.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.