Titel:
Erfolgloser vorläufiger Rechtsschutz gegen Haltungsuntersagung für einen American Staffordshire Terrier Mischling eines ukrainischen Flüchtlings
Normenketten:
BayLStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Art. 37 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
BayGefHundeV § 1 Abs. 1
HundVerbrEinfG § 2
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3, Art. 20a
Leitsätze:
1. Bei einem American Staffordshire Terrier Mischling handelt es sich um einen Kampfhund iSd Art. 37 Abs. 1 S. 2 BayLStVG iVm § 1 Abs. 1 BayGefHundeV, einen sog. Kategorie I Kampfhund. Dabei kommt es in diesem Zusammenhang auf die individuelle Aggressivität und Gefährlichkeit des Hundes nicht an. Für Kampfhunde iSd § 1 Abs. 1 BayGefHundeV wird die Eigenschaft als gesteigert aggressiv und gefährlich vielmehr unwiderlegbar vermutet. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als bloßer Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG genügen für ein berechtigtes Interesse iSv Art. 37 Abs. 2 S. 1 BayLStVG weder Liebhaberinteressen, eine intensive, zum Lebensinhalt geronnene Hobbyhaltung noch die Tatsache, dass mit der Haltung des gefährlichen Tieres bereits begonnen wurde. Mit der Haltung des gefährlichen Tieres muss vielmehr ein Zweck verfolgt werden, der es schlussendlich rechtfertigt, die weiterhin bestehende „Restgefahr“, welche von dem Tier ausgeht und selbst bei zuverlässiger Haltung und sachgerechter Unterbringung nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, hinzunehmen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zwar ist anerkannt, dass – insbesondere mit Blick auf Art. 5 Abs. 3 GG – bei wissenschaftlichen Forschungsinteressen ein berechtigtes Interesse bejaht werden kann. Für den Nachweis des berechtigten Interesses genügt es jedoch nicht, wenn die Haltung des gefährlichen Tieres allgemein einen Beitrag zur Erhaltung der jeweiligen Art leisten soll. Stattdessen ist es erforderlich, dass die Absicht der Teilnahme an wissenschaftlichen Projekten hinreichend konkretisiert ist und dass die Haltung des Tieres für Zwecke der Wissenschaft an sich geeignet ist. Nur für den Fall, dass eine hinreichend konkrete und zeitlich absehbare Forschungsarbeit vorliegt, kann ein berechtigtes Interesse angenommen werden. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zwar kann sich im Einzelfall ein berechtigtes Interesse grundsätzlich auch aus Gründen des Tierschutzes ergeben. Allerdings reicht der Verweis auf die drohende Unterbringung in einem Tierheim nicht, weil dies den Regelfall darstellen dürfte. Ausreichend im Hinblick auf Art. 20a GG ist vielmehr, dass das Tier artgerecht untergebracht werden kann. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berechtigtes Interesse an der Haltung von Kampfhunden, Anforderungen an wissenschaftliche Gründe, Vorübergehendes Verbringen von Kampfhunden ins Inland, Ausnahmeregelung für ukrainische Flüchtlinge, Haltungsuntersagung, American Staffordshire Terrier Mischling
Fundstelle:
BeckRS 2023, 45470
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen ihre Hundehaltung betreffende sicherheitsrechtliche Anordnungen.
2
Die Antragstellerin ist Halterin und Eigentümerin des s1., am …2018 gewölften, weiblichen American Staffordshire Terrier Mischlings „Z.“ (Chip-Nr.: …). Die Hündin wurde im Jahr 2018 von der Antragstellerin aus einem Tierheim in C. (Ukraine) zu sich geholt.
3
Im Frühjahr 2022 flüchtete die Antragstellerin aufgrund des Krieges in der Ukraine zusammen mit ihrem Sohn und der Hündin „Z.“ aus C. (Ukraine) nach S. Dort lebt die Antragstellerin seither mit ihrer Familie. Ihr Sohn besucht die Schule in S. Die Antragstellerin verfügt über einen vorübergehenden Aufenthaltstitel mit einer Wohnsitzverpflichtung auf den Freistaat Bayern. Sofern dies in Zukunft sicher möglich sein wird, beabsichtigt die Antragstellerin nach ihrem Vorbringen, in die Ukraine zurückzukehren.
4
Mit Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration (StMI) zur „Einreise mit Kamfphunden aus der Ukraine, Befristung der Ausnahmeregelung nach § 2 Abs. 3 Hund VerbrEinfVO“ vom 7.7.2022 (Az.: C2-2116-9-8) teilte das StMI den Städten und Gemeinden mit, dass im Zusammenhang mit der Einreise und dem Verbleib von ukrainischen Flüchtlingen von der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 3 der Verordnung über Ausnahmen zum Verbringungs- und Einfuhrverbot von gefährlichen Hunden in das Inland (HundVerbrEinfVO), wonach gefährliche Hunde vorübergehend in das Inland verbracht oder eingeführt werden dürften, sofern sie sich nicht länger als vier Wochen im Inland aufhalten werden, wobei eine Verlängerung des vorübergehenden Aufenthalts zur Vermeidung unbilliger Härten durch die zuständige Behörde genehmigt werden könne, Gebrauch gemacht worden sei und von Fall zu Fall unterschiedliche Entscheidungen getroffen worden seien. Die Gemeinden seien nun angehalten, im Einzelfall bei Neuanträgen zur Vermeidung unbilliger Härten höchstens eine zweimalige Verlängerung von jeweils höchstens vier (weiteren) Wochen zu gewähren. Auf diese Weise könnten die betroffenen Personen eine Ausnahmeregelung von maximal zwölf Wochen in Anspruch nehmen. Bisher erteilte Ausnahmeerlaubnisse seien hiervon nicht betroffen. Eine großzügigere Verlängerung sei bis zu deren Ablauf gültig. Unbefristete Ausnahmeerlaubnisse seien zu widerrufen. Nach Ablauf der höchstzulässigen Frist von zwölf Wochen seien die in Bayern geltenden allgemeinen Regelungen anzuwenden.
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Am 27.10.2022 reichte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Anmeldung zur Hundesteuer und ein Begleitschreiben ein. In dem Begleitschreiben führte die Antragstellerin nicht zuletzt aus, dass es sich bei der Hündin „Z.“ um einen American Staffordshire Terrier Mischling handelt.
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Mit Schreiben vom 9.11.2022 wurde die Antragstellerin von der Antragsgegnerin um ein persönliches Gespräch gebeten, zu welchem die Antragstellerin mit einer Übersetzerin erschien. In diesem Gespräch wurde der Antragstellerin näher erläutert, dass die Haltung eines American Staffordshire Terrier Mischling in Bayern ohne berechtigtes Interesse nicht erlaubt sei. Eine Ausnahmegenehmigung zum vorübergehenden Aufenthalt mit einem Kampfhund dürfe nur für maximal zwölf Wochen erteilt werden. Aus diesem Grund müsse sich die Antragstellerin mit Frist bis zum 31.12.2022 um die Unterbringung der Hündin bei einer zur Haltung berechtigten Person kümmern.
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Mit Schreiben vom 23.12.2022 stellte die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigte bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zur Haltung der Hündin „Z.“.
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Mit Anhörungsschreiben vom 13.1.2022 reagierte die Antragsgegnerin auf diesen Antrag der Antragstellerin. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin beabsichtige, die Erlaubnis zur Haltung der Hündin „Z.“ nicht zu erteilen und mit kostenpflichtigem Bescheid eine Haltungsuntersagung und Abgabeverpflichtung anzuordnen, die bei Zuwiderhandlung mit Zwangsmitteln (Zwangsgeld) durchgesetzt werde. Mit Schreiben vom 30.1.2023 nahm die Antragstellerin im Anhörungsverfahren hierzu Stellung.
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Mit Bescheid vom 10.2.2023 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin vom 23.12.2022 ab (Nr. 1), zugleich untersagte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Haltung der Hündin „Z.“ für das gesamte Gebiet des Freistaats Bayern (Nr. 2). Die Antragstellerin wurde – für den Fall, dass sie die Hündin weiter in Bayern halten sollte – verpflichtet, die Hündin an eine zur Haltung berechtigte Person abzugeben (Nr. 3). Überdies wurde die Antragstellerin verpflichtet, durch Vorlage einer schriftlichen Bestätigung der Übernahme der Hündin durch den neuen Hundehalter nachzuweisen, dass sie ihrer Verpflichtung aus Nr. 3 nachgekommen ist (Nr. 4). Für den Fall, dass die Antragstellerin der Abgabeverpflichtung nicht bis zum 27.2.2023 nachkomme, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 € angedroht (Nr. 5). Ferner wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 € für den Fall angedroht, dass sie die Abgabe nicht bis zum 6.3.2023 gegenüber der Antragsgegnerin nachweise (Nr. 6). Die Anordnungen der Nr. 1 bis 4 des Bescheides wurden für sofort vollziehbar erklärt (Nr. 7).
10
Zur Begründung des Bescheides führte die Antragsgegnerin unter anderem aus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 37 Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) für die Erteilung der nötigen Erlaubnis für die Haltung der Hündin „Z.“ nicht vorlägen. Die Haltungsuntersagung aus Nr. 2, die Anordnung der Abgabe des Hundes aus Nr. 3 sowie die Nachweisverpflichtung aus Nr. 4 ergäben sich aus Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Art. 37 Abs. 4 Nr. 1 LStVG. Da die Antragstellerin die Hündin „Z.“ ohne erforderliche Erlaubnis im Sinne des Art. 37 Abs. 1 S. 1 LStVG halte, seien die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt. Nicht zuletzt seien die Anordnungen in Nr. 2 bis 4 verhältnismäßig. Mildere, ebenso geeignete Mittel stünden nicht zur Verfügung. Die Erlaubniserteilung komme wegen des fehlenden berechtigten Interesses der Antragstellerin nicht in Betracht. Die Verpflichtungen seien auch angemessen. Das Interesse der Allgemeinheit an der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände überwiege das Interesse der Antragstellerin, von sicherheitsrechtlichen Maßnahmen verschont zu bleiben und ihren Hund wie bisher halten zu können, deutlich. Der Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 GG) sei im Rahmen der Gesetze nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig. Wegen Fehlens eines berechtigten Interesses der Antragstellerin im Sinne des Art. 37 Abs. 2 LStVG dürfe die Antragstellerin die Hündin in Bayern nicht halten, so dass ihr Interesse an der weiteren Kampfhundehaltung sehr niedrig zu gewichten sei. Das Ermessen der Antragsgegnerin sei aus diesem Grund dahingehend reduziert, die verbotene Haltung umgehend unterbinden und die Abgabe des Hundes anordnen zu müssen.
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Ferner liege die Anordnung der sofortigen Vollziehung im besonderen öffentlichen Interesse. Wenngleich bislang nicht bekannt sei, dass von der Hündin „Z.“ sicherheitsrelevante Störungen ausgingen, seien die Bürger in ihren Rechten auf körperliche Unversehrtheit zu schützen. Diese Rechte dürften nicht durch ungesetzliche Hundehaltung beeinträchtigt werden. Es könne nicht verantwortet werden, mit der Vollziehung des Bescheides bis zu seiner Unanfechtbarkeit abzuwarten, da es sich um eine Hunderasse handle, für die nach § 1 Abs. 1 der Verordnung über Hunde mit gesteigerter Aggressivität und Gefährlichkeit (KampfhundeV) unwiderlegbar eine gesteigerte Aggressivität vermutet werde. Dies könnte eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit begründen. Eine Hundehaltung in der bisherigen Form sei unvereinbar mit dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen und umgehenden Unterbindung der Dauerordnungswidrigkeit, also der Haltung eines Kampfhundes der Kategorie I ohne Erlaubnis. Nachdem die Erlaubniserteilung nicht möglich sei, liege kein schützenswertes Interesse der Antragstellerin an der Haltung des Hundes vor, welches es rechtfertigen würde, ein verwaltungsgerichtliches Verfahren abzuwarten. Es sei der Antragstellerin überdies möglich und zumutbar, die Hündin an eine zur Haltung berechtigte Person abzugeben, zumal es sich hierbei um eine Übergangslösung bis zur Rückkehr in die Ukraine handele.
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Mit Schriftsatz vom 27.2.2023, eingegangen am selben Tag, hat die Antragstellerin Klage gegen den Bescheid vom 10.02.2023 erheben lassen (Az.: RO 4 K 23.324) und mit Schriftsatz ebenfalls vom 27.2.2023, am selben Tag bei Gericht eingegangen, um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
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Zur Begründung ihres Begehrens führte die Antragstellerin näher aus, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig sei. Die Anordnung genüge nicht den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO. Es liege lediglich eine rein formelhafte Begründung vor. Die Antragsgegnerin begründe die Anordnung der sofortigen Vollziehung lediglich damit, dass diese aus überwiegenden Gründen des Allgemeinwohls aufgrund der Rechtswidrigkeit der Hundehaltung dieser Rasse erfolge. Die Antragstellerin habe sich mit dem hiesigen Fall nicht hinreichend befasst. Überdies führe sie Gründe an, welche eher gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung sprächen. So habe es mit dem Hund der Antragstellerin noch keine sicherheitsrelevanten Störungen gegeben. Bei der Abgabe der Hündin handele es sich nur um eine Übergangssituation, bis die Antragstellerin in die Ukraine zurückkehre.
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Überdies überwiege das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnung. Der angegriffene Bescheid sei in materieller Hinsicht rechtswidrig. Die Antragstellerin habe gerade einen Anspruch auf Erteilung einer Halteerlaubnis, jedenfalls – ggf. unter Auflagen – auf Duldung der Hundehaltung bis zur Rückkehr in die Ukraine. Dies ergebe sich bereits aus der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 3 HundVerbrEinfVO. Da der Krieg in der Ukraine andauere und sich die Situation für die Antragstellerin nicht geändert habe, sei weiterhin davon auszugehen, dass ein Fall unbilliger Härte im Sinne dieser Vorschrift vorliege. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration könne eine solche unbillige Härte nicht mit Schreiben vom 7.7.2022 für beendet erklären.
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Hilfsweise ergebe sich ein Anspruch der Antragstellerin aus § 2 Abs. 4 HundVerbrEinfVO. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen des Landesrechts – Art. 37 LStVG – lägen vor. Insbesondere gehe von der Hündin keinerlei Gefahr aus. Diese sei überaus friedlich und im Umgang mit Menschen als auch mit Tieren bestens sozialisiert. Einen Wesenstest würde die Hündin sicher bestehen. Nicht zuletzt habe die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse an der Haltung der Hündin „Z.“. Ein solches ergebe sich zum einen aus persönlichen Gründen. Schließlich sei es der Antragstellerin aufgrund ihrer besonderen Situation als Flüchtling aus der Ukraine nicht zumutbar, die zunächst gebilligte Haltung der Hündin an ihrem Aufenthaltsort in Bayern nun wieder rückgängig machen zu müssen. Überdies könne es ihr nicht aufgebürdet werden, ihre Hündin nun abzugeben, da sie beabsichtige, in die Ukraine zurückzukehren, sofern die dortige Situation dies ermögliche. Aus diesem Grund sei die Situation der Antragstellerin auch nicht mit der Hundehaltung aus Liebhabergründen eines deutschen Tierhalters vergleichbar. Darüber hinaus sei ein berechtigtes Interesse aus wissenschaftlichen Gründen zu bejahen. Die Hündin sei durch Beschluss vom …2022 in das Forschungsprojekt des I. e.V. (kurz I1. ...) aufgenommen worden. Hierbei handele es sich um einen gemeinnützigen Verein, welcher sich neben der untergeordneten Tierschutzarbeit im Bereich der Listenhunde der Forschung verschrieben habe. Die Hündin werde an einem Sozialtest im Bereich der Forschung des I1. teilnehmen. Anzumerken sei überdies, dass es dem Tierschutzgesetz zuwiderlaufe, die Hündin – bis zur Rückkehr in die Ukraine – vorübergehend aus der Familie zu reißen. Jedenfalls müsse die aktuelle Situation in den Tierheimen „einhergehend mit Überbelegung und der Knappheit von Pflegestellen“ für die Entscheidung Berücksichtigung finden.
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Selbst für den Fall, dass ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin im Sinne des Art. 37 Abs. 2 LStVG hier verneint werden sollte, müsste aufgrund der besonderen Situation, in welcher sich die Antragstellerin befinde, hinreichend berücksichtigt werden, dass eine etwaige Restgefahr der Hündin ohne Weiteres durch einen Maulkorbzwang und eine Leinenpflicht ausgeschlossen werden könnte.
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Im Verlauf des Verfahrens führte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 8.9.2023 durch ihre Bevollmächtigte – nach richterlichem Hinweis – hinsichtlich des Nachweises des berechtigten Interesses an der Hundehaltung aus wissenschaftlichen Gründen unter anderem näher aus, dass die Hündin „Z.“ in der nächsten Runde den Sozialtest im Hund-Halter-Team durchlaufen werde und sie hierfür konkret vorgemerkt sei. Hierbei handele es sich um ein Forschungsprojekt des I1. Um zu beobachten, wie sich einzelne Rassen in identischen Situationen verhielten, würden bei Listenhunden und Nicht-Listenhunden im Hund-Halter-Team Sozialtests durchgeführt. Es solle erforscht werden, ob sich manche Rassen aggressiver gegenüber Menschen und anderen Tieren verhielten als andere und wie konkret der Wesenstest von den einzelnen Rassen durchlaufen werde. In diesem Zusammenhang solle ein Hund nicht nur einmalig, sondern wiederkehrend begutachtet werden.
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Die Antragstellerin beantragt wörtlich,
- 1.
-
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 27.02.2023 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.02.2023 (Az.: …) bezüglich der Ziff. 2-4 der Verfügung wird wiederhergestellt.
- 2.
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Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 27.02.2023 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.02.2023 (Az.: …) bezüglich der Ziff. 5 und 6 der Verfügung wird wiederhergestellt.
- 3.
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Die sofortige Vollziehung der Verfügung vom 10.02.2023 wird aufgehoben.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
20
Sie trägt vor, dass die Anträge auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage keine Aussicht auf Erfolg hätten, da das öffentliche Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege. Insbesondere sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig, da die Anforderungen an die Begründung nach § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO beachtet worden seien. Die Antragsgegnerin habe in ihrem Bescheid vom 10.2.2023 auf den konkreten Fall bezogen dargelegt, was sie dazu bewogen habe, den Suspensiveffekt im öffentlichen Interesse auszuschließen.
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Überdies sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch in materieller Hinsicht rechtmäßig und verletze die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Gerade im Gefahrenabwehr- und Sicherheitsrecht ergebe sich das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug meist schon aus denselben Umständen, die auch den Erlass des Verwaltungsakts selbst begründeten. Insoweit könne auch die besondere Gefahrenlage, die von einem Kampfhund ausgehe, zugleich auch das besondere Interesse am Sofortvollzug rechtfertigen. Ferner sei es vorliegend zu befürchten, dass in der Zeit zwischen dem Erlass des Bescheides und einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache Menschen und/oder Tiere durch die Hündin gefährdet würden. Ebenso müsse berücksichtigt werden, dass hier die Erteilung einer Erlaubnis zur Haltung der Hündin nicht möglich sei. Es könne der Antragstellerin daher zugemutet werden, ihre Hündin bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache abzugeben.
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Für den Sachverhalt und das Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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1. Der zulässige Antrag der Antragstellerin, der dahingehend auszulegen ist, dass die Antragstellerin begehrt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage bezüglich Nr. 2 bis 4 des Bescheids vom 10.2.2023 wiederherzustellen und bezüglich Nr. 5 und 6 des Bescheids anzuordnen, hat in der Sache keinen Erfolg.
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Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt allerdings nach § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO dann, wenn die Anordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (hier für die Nrn. 5 und 6 des Bescheids) oder die Behörde die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders anordnet (hier für die Nr. 2 bis 4 des Bescheids). In diesen Fällen kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Klage und Widerspruch anordnen (wenn diese aufgrund Gesetzes ausgeschlossen ist) oder wiederherstellen (wenn eine Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO vorliegt). Das Gericht trifft insoweit eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat dabei zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit ihres Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind vorrangig die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass Rechtsbehelfe gegen den angefochtenen Bescheid keinen Erfolg versprechen, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung regelmäßig hinter das Vollziehungsinteresse zurück und der Antrag ist unbegründet. Erweist sich die erhobene Klage hingegen bei summarischer Prüfung als zulässig und begründet, dann besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides und dem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist stattzugeben. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht ausreichend absehbar, muss das Gericht die widerstreitenden Interessen im Einzelnen abwägen. Die Begründetheit eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann sich daneben auch daraus ergeben, dass die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig ist, weil sie den formellen Anforderungen nicht genügt.
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Vor dem Hintergrund dieser Maßstäbe bleibt der Antrag ohne Erfolg. Der angeordnete Sofortvollzug ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden (dazu 1.1). Eine summarische Prüfung der erhobenen Klage ergibt, dass diese in der Hauptsache voraussichtlich erfolglos bleiben wird, sodass das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinter das Vollziehungsinteresse zurücktritt (dazu 1.2). Auch sonst ist kein das Sofortvollzugsinteresse überwiegendes Aussetzungsinteresse ersichtlich (dazu 1.3).
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1.1 Die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit genügt den formellen Anforderungen. Insbesondere ist dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO Genüge getan. Diese Begründungspflicht verlangt von der zuständigen Behörde, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit eines Bescheids unter Bezugnahme auf die Umstände des konkreten Einzelfalls darzustellen (BayVGH, B. v. 14.02.2002 – 19 ZS 01.2356, NVwZ-RR 2002, 646). § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat unter anderem eine Warnfunktion für die handelnde Behörde. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die Behörde des Ausnahmecharakters ihrer Anordnung bewusst wird und die konkret betroffenen Interessen sorgsam prüft und abwägt (BayVGH, B. v. 03.05.2018 – 20 CS 17.1797, juris Rn. 2). Sie soll sich bei ihrer Entscheidung hinreichend mit den Besonderheiten des konkreten Einzelfalls auseinandersetzen. Nichtssagende, formelhafte Wendungen reichen deshalb nicht aus. Allerdings genügt dann, wenn immer wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, dass die Behörde diese Interessenlage aufzeigt und deutlich macht, dass sie auch im vorliegenden Fall gegeben ist. Dies kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts, zu dem auch der streitgegenständliche Bescheid gehört, in Betracht (BayVGH, B. v. 10.03.2008 – 11 CS 07.3453, juris Rn. 16).
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Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Begründung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid als ausreichend, da diese den Vorgaben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entspricht. Die Behörde hat dargelegt, dass es gelte, die Bürger in ihren Rechten auf körperliche Unversehrtheit zu schützen und nicht durch eine ungesetzliche Hundehaltung beeinträchtigen zu lassen. Es könne nicht verantwortet werden, mit der Vollziehung des Bescheids bis zur Unanfechtbarkeit zu warten, da sich, aufgrund der Tatsache, dass es sich um eine Hunderasse handle, für welche unwiderlegbar eine gesteigerte Aggressivität vermutet werde, eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit begründen lasse. Es liege kein schützenswertes Interesse der Antragstellerin an der Haltung des Hundes vor, welches es rechtfertigen würde, ein verwaltungsgerichtliches Verfahren abzuwarten, welches sich über Jahre hinziehen könnte. Hierin liegt entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine rein formelhafte sondern eine inhaltliche Begründung. Ob die Begründung auch in der Sache trägt, ist eine Frage des materiellen Rechts.
28
1.2 Bei summarischer Prüfung geht das Gericht davon aus, dass die Klage in der Hauptsache ohne Erfolg bleiben wird, weil der Bescheid des Antragsgegners vom 10.2.2023 rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt. Dies gilt sowohl für die Untersagung der Hundehaltung in Nr. 2 (dazu a)) als auch für die Nebenanordnungen in Nr. 3 und 4 (dazu b)) sowie für die Zwangsgeldandrohungen in Nr. 5 und 6 (dazu c)).
29
a) Die Untersagung der Hundehaltung in Nr. 2 erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG kann die Sicherheitsbehörde Anordnungen für den Einzelfall treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, zu verhüten oder zu unterbinden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm liegen vor (dazu aa)), die Erteilung einer Erlaubnis kommt vorliegend nicht in Betracht (dazu bb) und auch sonst verstößt die angeordnete Haltungsuntersagung nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (dazu cc)).
30
aa) Das vorsätzliche oder fahrlässige Halten von Kampfhunden ohne die erforderliche Erlaubnis stellt nach Art. 37 Abs. 4 Nr. 1 LStVG eine Ordnungswidrigkeit dar. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Halterin des Kampfhundes die erforderliche Erlaubnis bereits beantragt hat oder ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Halteerlaubnis vorliegen (s. VG München, BeckRS 2003, 30602 m.w.N.). Als American Staffordshire Terrier Mischling handelt es sich bei der Hündin „Z.“ um einen Kampfhund i.S.d. Art. 37 Abs. 1 S. 2 LStVG i.V.m. § 1 Abs. 1 KampfhundeV, einen sog. Kategorie I Kampfhund. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt es in diesem Zusammenhang auf die individuelle Aggressivität und Gefährlichkeit der Hündin nicht an. Für Kampfhunde im Sinne des § 1 Abs. 1 KampfhundeV wird die Eigenschaft als gesteigert aggressiv und gefährlich vielmehr unwiderlegbar vermutet (vgl. Nr. 37.3.1 VollzBekLStVG). Die nach Art. 37 Abs. 1 S. 1 LStVG erforderliche Erlaubnis zur Haltung der Hündin „Z.“ hat die Antragstellerin nicht.
31
bb) Die Haltungsuntersagung verstößt nicht deshalb gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Art. 8 LStVG, weil der Antragstellerin einer Erlaubnis zur Haltung der Hündin „Z.“ zu erteilen wäre. Die Erteilung einer solchen Erlaubnis kommt bei summarischer Prüfung nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen nach Art. 37 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 LStVG nicht vorliegen. Die Antragstellerin hat ein berechtigtes Interesse an der Haltung der Hündin „Z.“ nicht dargelegt.
32
Um die beschränkende Funktion des Merkmals des berechtigten Interesses im Sinne des Art. 37 Abs. 2 S. 1 LStVG nicht zu unterlaufen, ist das Tatbestandsmerkmal restriktiv auszulegen (vgl. BayVGH München, BeckRS 2009, 40746; BayVGH, BeckRS 2018, 28773; VG Würzburg, BeckRS 2009, 49403). Dadurch wird bezweckt, die Haltung von gefährlichen Tieren auf wenige Ausnahmetatbestände zu begrenzen und die Zahl von genehmigten Haltungen gering zu halten (s. Nr. 37.4.1 VollzBekLStVG). Da der Erlaubnis zur Haltung eines gefährlichen Tieres also Ausnahmecharakter zukommt, muss das berechtigte Interesse erheblich über dem liegen, was durchschnittliche Halter geltend machen können (s. VG Würzburg, BeckRS 2013, 55489). Als bloßer Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG genügen daher weder Liebhaberinteressen, eine intensive, zum Lebensinhalt geronnene Hobbyhaltung noch die Tatsache, dass mit der Haltung des gefährlichen Tieres bereits begonnen wurde (s. Schwabenbauer, in: Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 22. Edition, Stand: 15.04.2023, Art. 37 LStVG, Rdn. 66 m.w.N). Mit der Haltung des gefährlichen Tieres muss vielmehr ein Zweck verfolgt werden, der es schlussendlich rechtfertigt, die weiterhin bestehende „Restgefahr“, welche von dem Tier ausgeht und selbst bei zuverlässiger Haltung und sachgerechter Unterbringung nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, hinzunehmen (s. BayVGH, BeckRS 2010, 9574 m.w.N.).
33
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe liegt bei summarischer Prüfung ein berechtigtes Interesse der Antragstellerin an der Erteilung einer Erlaubnis zur Haltung der Hündin „Z.“ nicht vor. Ein solches Interesse ergibt sich weder aus wissenschaftlichen Gründen (dazu aaa)) noch aus den von der Antragstellerin vorgetragenen persönlichen Gründen (dazu bbb)).
34
aaa) Die Antragstellerin kann bei summarischer Prüfung ein berechtigtes Interesse im Sinne des Art. 37 Abs. 2 S. 1 LStVG aus wissenschaftlichen Gründen nicht erfolgreich geltend machen.
35
Zwar ist anerkannt, dass – insbesondere mit Blick auf Art. 5 Abs. 3 GG – bei wissenschaftlichen Forschungsinteressen ein berechtigtes Interesse bejaht werden kann. Für den Nachweis des berechtigten Interesses genügt es jedoch nicht, wenn die Haltung des gefährlichen Tieres allgemein einen Beitrag zur Erhaltung der jeweiligen Art leisten soll. Stattdessen ist es erforderlich, dass die Absicht der Teilnahme an wissenschaftlichen Projekten hinreichend konkretisiert ist und dass die Haltung des Tieres für Zwecke der Wissenschaft an sich geeignet ist. Nur für den Fall, dass eine hinreichend konkrete und zeitlich absehbare Forschungsarbeit vorliegt, kann ein berechtigtes Interesse angenommen werden (vgl. zum Absatz etwa VG Ansbach, BeckRS 2022, 13324, Rdn. 28; VG Augsburg, BeckRS 2022, 21190, Rdn. 26; Schwabenbauer, in: Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 22. Edition, Stand: 15.04.2023, Art. 37 LStVG, Rdn. 69, 69c).
36
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hat die Antragstellerin ihre Absicht, mit der Hündin „Z.“ an wissenschaftlichen Projekten teilzunehmen, nicht hinreichend konkretisiert. Wie sich aus den Darlegungen der Antragstellerin ergibt, wurde die Hündin „Z.“ bereits mit Beschluss des Vorstands des I1. vom …2022 in das Forschungsprojekt des I1. aufgenommen. Seither hat die Antragstellerin mit ihrer Hündin allerdings an keinen konkreten Testreihen des I1. teilgenommen. Vielmehr ist lediglich dargelegt, dass die Hündin der Antragstellerin nun für den Sozialtest im Hund-Halter-Team vorgemerkt ist. Für eine berechtigtes Interesse aus wissenschaftlichen Gründen reicht eine bloße Absichtserklärung aber nicht aus. Dies gilt umso mehr, als die Antragstellerin keine Ausführungen dazu gemacht hat, zu welchem Zeitpunkt die Durchführung des Sozialtests vorgesehen ist oder welche Dauer für die Testreihe vorgesehen ist. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob eine konkret geplante und in naher Zukunft stattfindende, einmalige Teilnahme an einer Testreihe innerhalb eines Forschungsprojekts überhaupt ausreichen könnte, um die Haltung eines gefährlichen Hundes zu rechtfertigen. Würde in einem solchen Fall ein berechtigtes Interesse an der Haltung eines gefährlichen Tieres bejaht werden, bestünde die Gefahr, dass die diesem Merkmal zukommende beschränkende Funktion unterlaufen werden würde. Dies gilt umso mehr, als nicht dargelegt wurde, dass eine Teilnahme am Projekt von der derzeitigen Halterin abhängt.
37
bbb) Die Antragstellerin kann einen Anspruch auf Erteilung einer Halteerlaubnis auch nicht aus den von ihr vorgetragenen persönlichen Gründen herleiten.
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(1) Ein Anspruch auf Erteilung einer Halteerlaubnis ergibt sich nicht aus § 2 Abs. 3 HundVerbrEinfVO.
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§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Verbringens oder der Einfuhr gefährlicher Hunde in das Inland – HundVerbrEinfG setzt unter anderem für Hunde der Rasse American Staffordshire-Terrier sowie deren Kreuzungen mit anderen Hunden ein Verbot fest, diese in das Inland einzuführen oder zu verbringen. Hiervon können nach Maßgabe von § 2 Abs. 3 HundVerbrEinfG i. V. m. der HundVerbrEinfV Ausnahmen zugelassen werden. Nach Satz 1 dieser Vorschrift dürfen gefährliche Hunde im Sinne des § 2 Abs. 1 HundVerbrEinfG vorübergehend in das Inland verbracht oder eingeführt werden, sofern sie sich zusammen mit einer Begleitperson, welche ihren Wohnsitz nicht im Inland hat, nicht länger als vier Wochen im Inland aufhalten werden. Zur Vermeidung unbilliger Härten kann nach Satz 2 dieser Vorschrift eine Verlängerung des vorübergehenden Aufenthalts durch die nach Landesrecht zuständige Behörde auf Antrag genehmigt werden. Hiervon hat das StMI mit Schreiben vom 7.7.2022 Gebrauch gemacht und für alle Gemeinden in Bayern eine einheitliche Vorgehensweise dahingehend festgelegt, dass „zur Vermeidung unbilliger Härten“ diese Frist von vier Wochen für ukrainische Flüchtlinge höchstens zweimal um jeweils höchstens vier (weitere) Wochen, mithin maximal bis zu 12 Wochen verlängert werden kann.
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Diese Begrenzung erweist sich bei summarischer Prüfung auch als ermessensgerecht. Sie ist nach Auffassung des Gerichts vor dem Hintergrund der mit Art. 37 LStVG und den Vorschriften der HundVerbrEinfG verfolgten sicherheitsrechtlichen Zielsetzung nicht zu beanstanden.
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Wie sich bereits aus dem Wortlaut „vorübergehend“ ergibt, kann die Regelung des § 2 Abs. 3 HundVerbrEinfV keine dauerhafte Haltung von gefährlichen Hunden im Inland gestatten. Dieses Ergebnis wird durch den Charakter der Norm als Ausnahmevorschrift vom grundsätzlich bestehenden Einführungs- und Verbringungsverbot des § 2 Abs. 1 Satz 1 HundVerbrEinfG bestätigt.
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Bei ukrainischen Flüchtlingen ist derzeit im Hinblick auf die weiter unverändert andauernde Kriegssituation in der Ukraine ein konkretes Ende des Aufenthalts nicht absehbar. Allein die Absicht der Betroffenen, irgendwann in die Heimat zurückkehren zu wollen, kann es jedoch nicht rechtfertigen, das Restrisiko, welches von Kampfhunden im Sinne des Art. 37 Abs. 1 S. 2 LStVG, § 1 Abs. 1 KampfhundeV ausgeht, auf derzeit unbestimmte Zeit hinzunehmen. Andernfalls würde der Sinn und Zweck der Regelung des Art. 37 LStVG, die Haltung von gefährlichen Tieren auf wenige Ausnahmetatbestände zu begrenzen und die Zahl von genehmigten Haltungen gering zu halten, unterlaufen werden.
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Bei der Antragstellerin sind auch keine persönlichen Gründe erkennbar, die sich signifikant von denjenigen anderer ukrainischer Flüchtlinge unterscheiden würden, so dass auch im konkreten Fall die Erteilung weiterer Verlängerungen – abweichend von der Weisungslage des StMI – nicht geboten ist. Die Antragstellerin ist im Frühjahr 2022 eingereist und mit ihrer Familie seit nunmehr anderthalb Jahren in S. wohnhaft, ohne dass ein Ende ihres Aufenthalts in Bayern konkret absehbar wäre. Ihre Situation ist daher für die vom StMI zugrunde gelegte Interessenlage geradezu typisch. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die im Schreiben des StMI zugrunde gelegte Frist von 12 Wochen zu kurz bemessen wäre, wäre nach anderthalb Jahren mittlerweile wohl nicht mehr von einem vorübergehenden Aufenthalt im Sinn der VO auszugehen.
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(2) Ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zur Haltung der Hündin „Z.“ ergibt sich – entgegen der Ansicht der Antragstellerin – auch nicht aus der Vorschrift des § 2 Abs. 4 HundVerbrEinfVO. Zwar dürfen nach dieser Vorschrift zum Zweck des ständigen Haltens gefährliche Hunde im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 HundVerbrEinfG in das Inland verbracht und eingeführt werden, sofern die Begleitperson nachweist, dass die Hunde berechtigt in einem Land gehalten werden dürfen. Die Hündin „Z.“ fällt als American Staffordshire Terrier Mischling jedoch unter die Vorschrift des § 2 Abs. 1 S. 1 HundVerbrEinfG und gerade nicht unter die Vorschrift des § 2 Abs. 1 S. 2 HundVerbrEinfG, so dass § 2 Abs. 4 HundVerbrEinfVO bereits deshalb keine Anwendung finden kann.
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(3) Die Antragstellerin kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Soweit sie geltend macht, dass es ihr nicht zumutbar sei, die zunächst gebilligte Haltung der Hündin an ihrem Aufenthaltsort in Bayern nun wieder rückgängig machen zu müssen, steht dem entgegen, dass etwaige Vertrauensschutzaspekte im Hinblick auf das Vorliegen eines berechtigten Interesses unberücksichtigt zu bleiben haben. Bezugspunkt des berechtigten Interesses ist (allein) das Motiv für die Haltung des gefährlichen Tieres, welches sich – selbst im Fall bestehenden Vertrauens auf die Beibehaltung – nicht ändert (Schwabenbauer, in: Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 22. Edition, Stand: 15.04.2023, Art. 37 LStVG, Rn. 78a). Hinzu kommt, dass es sich bei der Vorschrift des § 2 Abs. 3 HundVerbrEinfVO – wie oben ausgeführt – um eine Regelung handelt, welche die Haltung eines gefährlichen Tieres von vorneherein nur vorübergehend gestattet, so dass auf eine zulässige, längerfristige Haltung der Hündin in Bayern nicht in schutzwürdiger Weise vertraut werden konnte.
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(4) Ein berechtigtes Interesse an der Haltung der Hündin „Z.“ aus Gründen des Tierschutzes kommt ebenfalls nicht in Betracht. Insoweit mangelt es bereits an einem hinreichend substantiierten Vortrag der Antragstellerin. Die Antragstellerin trägt lediglich vor, dass die Hündin „Z.“ aus der Familie gerissen werde und dass die aktuelle Situation in den Tierheimen (Überbelegung und Knappheit von Pflegestellen) bei der Entscheidung beachtet werden müsse. Dies reicht für ein berechtigtes Interesse nicht aus.
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Zwar kann sich im Einzelfall ein berechtigtes Interesse grundsätzlich auch aus Gründen des Tierschutzes ergeben. Allerdings reicht der Verweis auf die drohende Unterbringung in einem Tierheim nicht, weil dies den Regelfall darstellen dürfte. Ausreichend im Hinblick auf Art. 20a GG ist vielmehr, dass das Tier artgerecht untergebracht werden kann (vgl. etwa BayVGH, BeckRS 2014, 52521, Rn. 5 f., 10; BayVGH, BeckRS 2018, 28773, Rn. 29; Schwabenbauer, in: Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, 22. Edition, Stand: 15.04.2023, Art. 37 LStVG, Rn. 76 m.w.N.). Dass hieran Zweifel bestehen, ist nicht ersichtlich. Ein Anspruch darauf, das gefährliche Tier in der vertrauten Umgebung zu belassen oder bestmöglich zu behandeln, lässt sich aus Tierschutzgründen nicht ableiten.
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cc) Die Haltungsuntersagung verstößt auch nicht aus anderen Gründen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne des Art. 8 LStVG. Insbesondere kommen mildere, ebenso geeignete Maßnahmen vorliegend – entgegen der Auffassung der Antragstellerin – nicht in Betracht. Insbesondere ist die Anordnung eines Leinen- oder Maulkorbzwangs bereits deshalb nicht möglich, weil es der gesetzgeberischen Wertung entspricht, dass bestimmte Hunde ohne das Vorliegen besonderer Gründe überhaupt nicht gehalten werden dürfen und durch Leinen- oder Maulkorbzwang die unerlaubte Kampfhundehaltung nicht unterbunden wird. Insoweit handelt es sich um ein ungeeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr (vgl. VG München, BeckRS 2003, 30602; VG Augsburg, BeckRS 2007, 35404).
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b) Die ebenfalls auf Art. 7 Abs. 2 Nr. i.V.m. Art. 37 Abs. 4 Nr. 1 LStVG gestützte Anordnung der Abgabe der Hündin „Z.“ an eine zur Haltung berechtigte Person (Nr. 3) sowie die diesbezüglich bestehende Nachweisverpflichtung (Nr. 4) werden sich voraussichtlich ebenfalls als rechtmäßig erweisen. Zur Sicherstellung des Erfolges der Untersagungsanordnung in Nr. 2 des Bescheides sind die Anordnungen in Nr. 3 und Nr. 4 geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen.
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c) Auch soweit der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 5 und 6 gerichtet ist, bleibt er ohne Erfolg. Die Androhung der Zwangsgelder stützt sich jeweils auf Art. 18, Art. 19 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, Art. 29 Abs. 1, 2 Nr. 1, Abs. 3, Art. 30 Abs. 1 S. 1, Art. 31, Art. 36 VwZVG. Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit sind insoweit nicht ersichtlich. Insbesondere lässt sich den im Bescheid gewählten Formulierungen hinreichend konkret entnehmen, unter welchen Voraussetzungen ein Zwangsgeld fällig wird. Auch wurde für jede Verpflichtung ein eigener Betrag festgesetzt, Art. 36 Abs. 3 VwZVG. Hinsichtlich der festgesetzten Fristen nach Art. 36 Abs. 1 S. 2 VwZVG bestehen keine Einwände. Die Höhe der angedrohten Zwangsgelder nach Art. 36 Abs. 5, Art. 31 Abs. 2 VwZVG ist im Hinblick auf die damit einhergehende Beugewirkung ebenfalls nicht zu beanstanden.
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1.3 Ein das Sofortvollzugsinteresse überwiegendes Aussetzungsinteresse ist nicht ersichtlich. Insbesondere begründet auch die Fluchtsituation der Antragstellerin kein solches Interesse, weil der besonderen Situation insoweit bereits durch die im Schreiben des StMI gewährten Ausnahmeregelungen von maximal zwölf Wochen hinreichend Rechnung getragen wurde. Eine weitere Verlängerung ist im Hinblick auf die mit Art. 37 LStVG verfolgte sicherheitsrechtliche Zielsetzung nicht geboten.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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3. Rechtsgrundlage der Streitwertfestsetzung sind §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Das Gericht hat Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit bei seiner Entscheidung berücksichtigt.