Titel:
Durchsuchung des Haftraums – Anwesenheit des Gefangenen
Normenketten:
BayStVollzG Art. 6, Art. 91 Abs. 1
GG Art. 13 Abs. 1
Leitsatz:
Beantragt der Gefangene, während der Haftraumkontrolle anwesend zu sein, hat die Anstalt über diesen Antrag ermessensfehlerfrei im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu entscheiden (bestätigt durch BayObLG BeckRS 2023, 34984). (Rn. 11 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Haftraum, Durchsuchung, Anwesenheit
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 30.10.2023 – 203 StObWs 407/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 45420
Tenor
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 01.06.2023 hin wird festgestellt, dass die Durchsuchung des Haftraums des Antragstellers am 31.05.2023 ohne seine Anwesenheit rechtswidrig war und ihn seinen Rechten verletzte.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers zu tragen.
3. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 500 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller befindet sich in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt ….
2
Mit Schreiben vom 01.06.2023, hier eingegangen am 01.06.2023, hat der Antragsteller eine gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG beantragt. Konkret beantragte er die JVA … zu verpflichten, dass er bei künftigen Haftraumkontrollen anwesend sein dürfe und festzustellen, dass es rechtswidrig gewesen sei am 31.05.2023 eine Durchsuchung seines Haftraums vorzunehmen ohne dass er habe anwesend sein dürfen. Er sei angewiesen worden den Haftraum für die Durchsuchungszeit zu verlassen. Es bestehe konkrete Wiederholungsgefahr. Am 31.05.2023 habe er den Flügelleiter gefragt, ob er bei der Kontrolle anwesend sein dürfe. Dies sei grundlos abgelehnt worden. Er vermisse seit einiger Zeit ein Schriftstück aus seinem Haftraum. Die einzige Erklärung für ihn sei, dass das Schriftstück bei einer Haftraumkontrolle verschwunden sei. Ohne seine Anwesenheit bei der Kontrolle könne er etwaige Verluste oder Beschädigungen an Sachen nicht beweisen, zumal auch nur ein Bediensteter die Durchsuchung vornehme. Auch könne ohne seine Anwesenheit nicht sichergestellt werden, dass die Hygiene bei der Durchsuchung beachtet werde.
3
Die Vollzugsbehörde hat zu dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Schreiben vom 29.06.2023 Stellung genommen und ausgeführt, dass der Antrag jedenfalls unbegründet sei. Das BayStVollzG sehe kein Anwesenheitsrecht bei der Haftraumkontrolle vor, die routinemäßig etwa einmal pro Monat bei den hiesigen Gefangenen gemäß Art. 91 Abs. 1 BayStVollzG Durchgeführt werde. Überdies handele es sich nicht um eine Wohnung i.S.d. Art. 13 GG, so dass der Schutzbereich des Art. 13 GG nicht eröffnet sei. Aus dem Hausrecht der JVA folge, dass ein Bediensteter jederzeit ohne Einverständnis des Gefangenen den Haftraum betreten und durchsuchen dürfe. Solle Durchsuchungen dienen insbesondere der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt. Gefangene sollten keine Kenntnis erlangen, auf welche Versteckmöglichkeit ein besondere Augenmerk gerichtet werde, da es sonst erleichtert würde mögliche Verstecke für unerlaubte Gegenstände auszuloten und vor einem Auffinden zu schützen.
4
Auf gerichtlichen Hinweis in der Verfügung vom 03.07.2023 hin erklärte der Antragsteller mit Schreiben vom 13.07.2023 seinen Antrag hinsichtlich des Begehrens für künftige Durchsuchungen für erledigt. An dem Feststellungsbegehren hielte er fest und führte und widersprach allen Angaben in der Stellungnahme, die gegen sein Begehren gerichtet seien.
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Die JVA … erhielt Gelegenheit zur Äußerung und nahm mit Schreiben vom 16.08.2023 hinsichtlich des Feststellungsantrags auf die Stellungnahme vom 29.06.2023 Bezug, da dem erneuten Vorbringen keine neuen entscheidungserheblichen Aspekte zu entnehmen seien.
6
Eine weitere Äußerung der JVA ist in der gesetzten Frist zur Äußerung bis 23.08.2023 bis dato nicht eingegangen.
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Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Schriftstücke verwiesen und Bezug genommen.
8
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und begründet.
9
Antragsgegenstand ist lediglich das Feststellungsbegehren hinsichtlich der Durchsuchung am 31.05.2023, da der Antragsgegenstand hinsichtlich künftiger Durchsuchungen für erledigt erklärt wurde. Konkret wendet sich der Antragsteller lediglich dagegen, dass er nicht anwesend sein durfte, obwohl er am 31.05.2023 vor der Durchsuchung beim Flügelleiter noch um seine Anwesenheit ersucht hatte, was abgelehnt wurde. Dies wurde von der JVA nicht bestritten und mithin als wahr unterstellt, zumal die JVA sich in der Stellungnahme auf den Standpunkt stellt, dass in keinem Fall eine Anwesenheit bei der Kontrolle gestattet sei.
10
Ein Feststellungsinteresse in Form konkreter Wiederholungsgefahr ist gegeben. Die JVA … trägt selbst vor, dass künftige Durchsuchungen wieder stattfinden, da in der Regel einmal im Monat der Haftraum durchsucht wird und dass dabei die Anwesenheit des Gefangenen nicht gestattet ist.
11
Es ist zwar zutreffend, dass, wie die JVA ausführt, im BayStVollzG kein Recht auf Anwesenheit eines Gefangenen während der Haftraumkontrolle normiert ist und folglich kein solches Recht existiert. Allerdings übersieht die JVA, dass dem Antragsteller jedenfalls ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung seines Begehrens auf Anwesenheit zusteht und zwar aus Art. 91 Abs. 1 BayStVollzG oder, wenn man Art. 91 BayStVollzG nicht als speziellere Regelung ansieht, jedenfalls aufgrund der Generalklausel des Art. 6 Abs. 2 S. 2 BayStVollzG. Der Anwendung der Generalklausel steht auch nicht eine speziellere Regelung des BayStVollzG entgegen. Art. 91 BayStVollzG regelt nur die Zulässigkeit der Durchsuchung als solche und normiert weder ein Anwesenheitsrecht noch ein Anwesenheitsverbot. Aus sonst finden sich im BayStVollzG keine Regelungen zur Anwesenheit bei einer Haftraumkontrolle.
12
Bei Ablehnung der Gestattung der Anwesenheit bei einer Haftraumkontrolle und mithin bei Durchführung der Kontrolle ohne Anwesenheit des Gefangenen wird in eine geschützte Rechtsposition des Gefangenen eingegriffen, zumindest in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG im Sinne der allgemeinen Handlungsfreiheit.
13
Tatbestandliche Voraussetzungen für einen Ausschluss der Anwesenheit sind sodann die Aufrechterhaltung der Sicherheit oder die Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Anstaltsordnung, wobei die Maßnahme unerlässlich sein muss. Erforderlich ist stets eine Prüfung im Einzelfall (Arloth/Krä/Arloth, 5. Aufl. 2021, StVollzG § 4 Rn. 7).
14
Eine solche Einzelfallprüfung hat nicht stattgefunden. Jedenfalls fehlt auf der Rechtsfolgenseite, selbst wenn man die tatbestandlichen Voraussetzungen bejaht, eine Ausübung des Ermessens. Die JVA hat Art. 6 Abs. 2 S. 2 BayStVollzG als Auffangtatbestand überhaupt nicht geprüft und mithin kein Ermessen ausgeübt. Im Einzelfall wäre im Rahmen des Ermessens zumindest einzustellen gewesen, ob beim Antragsteller bei vorangegangenen Durchsuchungen schon einmal unerlaubte Gegenstände gefunden wurden und ob bei ihm konkret zu befürchten ist, dass er solche Gegenstände für sich oder andere Gefangene bei sich versteckt. Eine solche Prüfung im Einzelfall auf der Rechtsfolgenseite ist auch deshalb als vollständig unterblieben anzusehen, da die JVA sich auf den Standpunkt stellt, dass generell in jedem Fall bei allen Gefangenen kein Recht auf Anwesenheit bei der Haftraumkontrolle besteht. Es kann somit dahinstehen, welche konkreten weiteren Gesichtspunkte beim Antragsteller im Rahmen des Ermessens einzustellen gewesen wäre, da ein vollständiger Ermessensausfall vorliegt.
15
Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass die vorliegend festgestellte Rechtswidrigkeit nicht besagt, dass dem Antragsteller künftig eine Anwesenheit bei der Haftraumkontrolle gestattet ist bzw. zu gestatten ist. Der Beschluss stellt lediglich klar, dass bei einem Antrag auf Anwesenheit dieser gemessen an der Rechtsgrundlage des Art. 6 Abs. 2 S. 2 BayStVollzG zu entscheiden ist und nicht pauschal die Anwesenheit auf Antrag nicht gestattet werden darf. Wenn ein Begehren auf Anwesenheit vor der Kontrolle nicht gestellt wird, bedarf es auch keiner Entscheidung über die Anwesenheit, so dass die Kontrolle sodann ohne Anwesenheit des Gefangenen durchgeführt werden darf.
16
Sofern man Art. 91 Abs. 1 BayStVollzG als speziellere Regelung hinsichtlich der Art und Weise der Durchsuchung ansieht, erweist sich die konkrete Durchsuchung am 31.05.2023 hinsichtlich der Modalität, dass der Antragsteller nicht anwesend sein durfte, als rechtswidrig, da ermessensfehlerhaft.
17
Die Anordnung der Durchsuchung steht im Ermessen der Anstalt, so dass als Ausfluss dieser Norm auch das Wie der Durchsuchung im Ermessen der Anstalt steht. Im Einzelfall wäre im Rahmen des Ermessens zumindest einzustellen gewesen, ob beim Antragsteller bei vorangegangenen Durchsuchungen schon einmal unerlaubte Gegenstände gefunden wurden und ob bei ihm konkret zu befürchten ist, dass er solche Gegenstände für sich oder andere Gefangene bei sich versteckt. Eine solche Prüfung im Einzelfall auf der Rechtsfolgenseite ist auch deshalb als vollständig unterblieben anzusehen, da die JVA sich auf den Standpunkt stellt, dass generell in jedem Fall bei allen Gefangenen kein Recht auf Anwesenheit bei der Haftraumkontrolle besteht. Es kann somit dahinstehen, welche konkreten weiteren Gesichtspunkte beim Antragsteller im Rahmen des Ermessens einzustellen gewesen wäre, da ein vollständiger Ermessensausfall vorliegt.
18
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Absatz 1, Absatz 4 StVollzG, § 467 Abs. 1 StPO.
19
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf den §§ 60, 52 Absatz 1 bis 3 GKG.