Inhalt

LG Ingolstadt, Urteil v. 17.10.2023 – 2 3 NBs 26 Js 6145/22
Titel:

Beleidigung: Grenzen der Meinungsfreiheit ("Nervzwerg", Freispruch erfolgt durch Revisionsinstanz)

Normenkette:
StGB § 185
Schlagworte:
Beleidigung, Meinungsfreiheit, Schmähkritik, Nervzwerg
Vorinstanz:
AG Ingolstadt, Urteil vom 09.03.2023 – 2 Cs 26 Js 6145/22
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 18.03.2024 – 206 StRR 63/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 45416

Tenor

1. Die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft werden jeweils als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte trägt auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich seiner notwendigen Auslagen mit Ausnahme derjenigen ausscheidbaren Kosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten, die durch die Berufung der Staatsanwaltschaft entstanden sind. Diese trägt die Staatskasse.
Neu angewendete Vorschriften:
§§ 473 Abs. 1, 2, 465 Abs. 1 StPO -

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang
1
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 09.03.2023 wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 € verurteilt. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Ingolstadt form- und fristgerecht (§ 314 StPO) eine auf das Strafmaß beschränkte Berufung ein. Die Beschränkung war gem. § 318 S. 1 StPO zulässig. Der Angeklagte legte form- und fristgerecht eine unbeschränkte Berufung ein.
2
In der Berufungshauptverhandlung wurden beide Berufungen als unbegründet verworfen. Eine Verständigung fand nicht statt.
II.
Persönliche Verhältnisse
3
Der inzwischen 60igjährige Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger mit Geburtsstadt Gera und geschieden. Nähere Angaben zu seinem beruflichen Werdegang machte er nicht, sondern gab lediglich an, bis zur Coronazeit selbständig als „Gesundheits- und Ernährungscoach“ und auch als „psychologischer und systemischer Couch“ in eigener Praxis tätig gewesen zu sein. Wegen der Coronabeschränkungen sei er – verursacht durch den Staat – insolvent geworden und lebe seitdem von staatlicher Unterstützung nach SGB II. Er habe aber die Zeit genutzt, sich weiter zu bilden und wolle demnächst wieder selbständig tätig werden. Unterhaltspflichten oder sonstige Verpflichtungen habe er keine. Sein einziges Kind sei bereits erwachsen. Derzeit erhalte er 432 € Bürgergeld ausbezahlt und zusätzlich Miet- und Nebenkostenzuschuss.
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Der Angeklagte bislang strafrechtlich nicht vorgeahndet.
III.
Sachverhalt
1. Vorgeschichte:
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Am 13.02.2022 fand auf dem Volksfestplatz in 85049 Ingolstadt, Dreizehnerstraße eine angemeldete Versammlung mit dem Thema „Impfzwang, Corona“ mit etwa 1.500 Teilnehmern statt. Veranstaltungsleiter war D. D'A.. Nach dem im Rahmen der Genehmigung der angemeldeten Versammlung ergangenen Bescheid war die Auflage enthalten, dass ein Mindestabstand von 1,5 Meter zwischen den Teilnehmern einzuhalten wäre, anderenfalls müsste eine Maskenpflicht angeordnet werden. Diese Auflagen basierten auf den damals geltenden Regelungen im Bayerischen Infektionsschutzgesetz. Der für diese Veranstaltung zuständige polizeiliche Einsatzleiter PD K. H. von der Polizeiinspektion Ingolstadt und sein Kollege EPHK S. W. von der Polizeiinspektion Geisenfeld als dessen Stellvertreter mit weiterer Unterstützung durch die für den Veranstaltungsschutz zuständige Bereitschaftspolizei Nürnberg und hatten unter anderem die Einhaltung dieser Auflagen und gesetzlichen Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes zu überwachen und bei Verstößen gegebenenfalls einzugreifen. Der Angeklagte fungierte während der gesamten Veranstaltung als Moderator auf der dort für die Veranstaltung eigens errichteten Bühne. Ansprechpartner für die Polizei war der Veranstaltungsleiter D'.A., mit dem die Auflagen zu Beginn der Veranstaltung über die damit beauftragten Polizeibeamten der Bereitschaftspolizei Nürnberg, nämlich der verantwortliche Zugführer PHK J. und dessen Stellvertreter POK A. besprochen wurden und der deren Einhaltung zusicherte.
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Im Laufe der Versammlung stellten die Beamten jedoch immer wieder erhebliche Verstöße gegen das Abstandsgebot durch zahlreiche Teilnehmer fest und forderten den D'.A. wiederholt auf, über das Mikrophon auf der Bühne die Teilnehmer zur Einhaltung des erforderlichen Mindestabstands aufzufordern. Eine entsprechende Durchsage erfolgte jedoch trotz Ankündigung durch D.'A. nicht. Kurz vor 17.00 Uhr schließlich zogen die Beamten A. und J. den Einsatzleiter PD H. und seinen Kollegen EPHK W. hinzu. Letztere forderten den D.A. sodann eindringlich auf, nunmehr unverzüglich eine Durchsage an die Teilnehmer der Veranstaltung betreffend die Einhaltung der erforderlichen Mindestabstände durchzuführen und kündigten an, dass anderenfalls eine Maskenpflicht angeordnet werden müsste.
2. Eigentliches Tatgeschehen:
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Gegen 17.00 Uhr desselben Tages – nach Information durch den D'Armuri über die erforderliche Unterbrechung der Reden für die Durchsage – kündigte der Angeklagte sodann in seiner Funktion als Moderator von der Bühne aus über Mikrofon die – auf das vorangegangene Betreiben der oben genannten Polizeibeamten erforderliche – und im Anschluss an diese Ankündigung auch erfolgte Durchsage des Veranstaltungsleiters D'Amuri mit folgenden Worten an:
„Wir haben so 'n paar Nervzwerge an der Backe und der Daniele muss eine Durchsage machen.“
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Diese Äußerung des Angeklagten erfolgte, um seine Missachtung gegenüber den für die Durchsage verantwortlichen Polizeibeamten auszudrücken und diese in ihrer Ehre herabzuwürdigen, wobei er wusste und wollte, dass seine Worte über das Mikrofon nicht nur von den betroffenen Polizeibeamten vor Ort, die diese Durchsage gefordert hatten, sondern auch von den weiteren ca. 1500 Teilnehmern der Versammlung infolge der Verstärkung durch das Mikrophon auf dem gesamten Platz zu hören waren. Es ist zwar davon auszugehen, dass der Angeklagte nicht genau wusste, welche konkreten Beamten vor Ort diese Anweisung gegeben hatten und wie diese hießen, da unmittelbarer persönlicher Kontakt und Rücksprachen bezüglich der Einhaltung der Auflagen und die Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen während der Veranstaltung wie üblich bei solchen Veranstaltungen ausschließlich zwischen den polizeilichen Führungskräften und dem für die Einhaltung der Auflagen verantwortlichen Versammlungsleiter erfolgten. Dies war dem Angeklagten allerdings auch gleich. Er fühlte sich davon genervt, dass die anwesende Polizei schon den ganzen Nachmittag über die Reden unterbrechen wollte, und wollte deshalb im Gegenzug die dafür verantwortlichen Beamtne in ihrer Ehre herabwürdigen.
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Strafanträge wurden sowohl von den Geschädigten PD K. H. und EPHK S. W. am 18.02. und 21.02.22, als auch vom Dienstvorgesetzten am 07.04.2022 form- und fristgerecht gestellt.
III.
Beweiswürdigung
1. Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen:
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Diese beruhen auf den eigenen und insoweit glaubwürdigen Angaben des Angeklagten. Die Feststellungen zur Vorstrafenfreiheit beruhen auf der Auskunft des Bundeszentralregisters vom 27.09.2023, das zur Verlesung kam und vom Angeklagten bestätigt wurde.
2. Feststellungen zum Sachverhalt:
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Diese beruhen zum Kerngeschehen auf den eigenen Angaben des Angeklagten, soweit diesen gefolgt werden konnte, im Übrigen auf der in der Berufungsverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme.
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Der Angeklagte hat insbesondere unumwunden eingeräumt, den ihm zur Last liegenden Satz über das Mikrophon geäußert zu haben. Er ist allerdings der Meinung, dass diese Äußerung keine Beleidigung sei und beruft sich insoweit auf verschiedene Gerichtsurteile, die ähnliche oder schlimmere Beleidigungen enthielten und als freie Meinungsäußerung angesehen worden seien. Er behauptete auf Nachfrage zunächst, sich nicht mehr erinnern zu können, warum er die Formulierung „kleine Nervzwerge“ überhaupt gewählt hätte und wen er damit gemeint hatte. Er habe auch keine Erinnerung daran, was genau ihm der D'.A. vorab zu der Durchsage im Wortlaut gesagt hatte. Der sei jedenfalls öfters an dem Tag gekommen und habe eine solche Durchsage verlangt. Überhaupt sei der D.A. „ein Stressor“ und hätte von ihm verlangt, er solle jetzt sofort unterbrechen und endlich eine Durchsage machen. Im weiteren Verlauf gab der Angeklagte dann an, er habe mit dem Satz die Polizei im Allgemeinen“ gemeint, daher hätten sich die Zeugen nicht angesprochen fühlen müssen. Er habe die Namen der Einsatzleiter nicht gekannt und das betreffende Gespräch vorab mit dem D'.A. auch von der Bühne aus nicht beobachten können, ergo könne er sie nicht persönlich beleidigen haben wollen. Allerdings habe er schon ca. 200 Versammlungen dieser Art moderiert, kenne die Abläufe, und habe dabei immer wieder Polizeiwillkür und auch Polizeigewalt erfahren. Auf Nachfrage konnte er allerdings keinen Akt polizeilicher Willkür durch die verantwortlichen Polizeibeamten an diesem Tag schildern. Zur möglichen Erklärung berief er sich nur darauf, dass es auf diesen Versammlungen häufig emotional zugehe. Es habe ihn eben genervt, dass der D.A. an dem Tag immer wieder verlangt hätte, die Maßnahmen der Polizei durchzusetzen, das hätte die Versammlung gestört, wenn man die Redner unterbrechen müsse. Daher habe er sich eben zu dieser Äußerung hinreißen lassen. Er habe so seine Mißbilligung gegenüber den polizeilichen Maßnahmen insgesamt zum Ausdruck bringen wollen. Jedenfalls habe er nicht explizit die Beamten H. und W. benannt und diese von seiner Bühne aus auch nicht wahrgenommen.
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Die Zeugen H., W., A. schilderten jeweils übereinstimmend und auch im Einklang mit der vormaligen mit allseitigem Einverständnis zur Verlesung gekommenen Aussage des im Termin verhinderten Zeugen J. die im Sachverhalt dargestellten Umstände der Versammlung, deren Ablauf und das polizeiliche Vorgehen vor Ort, das auch der Angeklagte nicht in Abrede stellte. Alle Zeugen bestätigten übereinstimmend den vom Angeklagten selbst eingeräumten Wortlaut, der der Anklage zugrunde liegt. Das Gericht hat deren Aussagen in vollem Umfang für glaubwürdig erachtet und sie der Entscheidung zugrunde gelegt, da sämtliche Angaben der Zeugen sachlich, ohne jeden Belastungseifer, in sich und untereinander übereinstimmend und widerspruchsfrei erfolgten, zudem auch im Einklang mit den objektiven vom Angeklagten selbst eingeräumten Vorgängen standen, soweit dieser einräumte, sie wahrgenommen zu haben.
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Übereinstimmend schilderten die Zeugen H., W. und A. zusammenfassend folgendes:
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Demnach war der Zeuge PD H. als polizeilicher Einsatzleiter eingesetzt, der Zeuge W. als sog. Führungsgehilfe und die Zeugen A. und J. als Zugführer bzw. Stellvertreter, deren Hauptaufgabe war, als Bindeglied zwischen Polizeiführer und dem Versammlungsleiter zu fungieren und den Versammlungsschutz sowie die Einhaltung der erforderlichen Auflagen sicher zu stellen. Zu Beginn der Versammlung besprachen die Beamten der Bereitschaftspolizei Nürnberg zunächst die Auflagen mit dem Versammlungsleiter D'A. Im Laufe der Versammlung wurde jedoch immer wieder festgestellt, dass die erforderlichen Mindestabstände entsprechend dem Auflagenbescheid nicht eingehalten wurden. Mehrfache Aufforderungen durch die Beamten A. und J. an den Veranstaltungsleiter D'A., auf die Einhaltung der Mindestabstände hinzuwirken, waren vergeblich. Der Veranstaltungsleiter sagte die Umsetzung wiederholt zu, ohne dem tatsächlich nachzukommen. Nach mehreren fruchtlosen Versuchen schalteten sich auf Bitten der Zeugen A. und J. von der Bereitschaftspolizei der polizeiliche Einsatzleiter H. und sein Kollege Wallner persönlich in die Kommunikation mit dem Veranstaltungsleiter D'A. ein und forderten diesen im Beisein der Beamten A. und J. schließlich unmissverständlich persönlich auf, nun umgehend eine Durchsage zwecks Einhaltung der Mindestabstände zu veranlassen, da andernfalls eine Maskenpflicht angeordnet werden müsse. Dieses Gespräch zwischen den vier Beamten und Herr D'.A. fand in einem Bereich links von der Bühne (von der Bühne auf die Versammlung blickend) in einer Entfernung von einigen bis mehreren Metern vom Angeklagten, der sich auf der Bühne aufhielt, entfernt statt. Die Zeugen konnten nicht angeben, ob der Angeklagte dieses Gespräch visuell sehen konnte oder ob er dieses Gespräch mitbekommen hatte. Im Anschluss an dieses Gespräch, ging der Veranstaltungsleiter D'.A. jedoch auf die Bühne und begab sich zum Angeklagten. Kurz darauf ergriff der Angeklagte das Mikrofon und gab es mit der verfahrensgegenständlichen Äußerung an Herrn D'.A. weiter, der daraufhin die Teilnehmer in eher flapsigen Ton und ohne große Wirkung auf die Masse auf die Einhaltung der Mindestabstände hinwies. Die Beamten gaben ebenfalls übereinstimmend in ihrer Zeugenaussage an, dass sie die Äußerung über das Mikrofon klar verstehen und sofort wussten, dass genau sie oder jedenfalls die Kollegen der örtlichen Dienststellen damit gemeint gewesen waren, da die Aussage in unmittelbaren zeitlichen, sachlichen und örtlichen Zusammenhang nach dem Gespräch derselben mit dem Versammlungsleiter und dessen kurz darauf erfolgenden Durchsage erfolgte. Der Zeuge W. schilderte dies plastisch mit der Aussage, es habe ihn direkt „gerissen“, als er diesen Satz des Angeklagten gehört habe, er habe sich sofort direkt angesprochen und beleidigt gefühlt. Der Zeuge H. bekundete ebenfalls, sofort einen unmittelbaren Bezug zu ihrer vorangegangenen Auffroderung erkannt zu haben, und dass auch er hier als „Nervzwerg“ angesprochen worden sei. Der Zeuge A. bekundete, er habe die Aussage weniger auf sich selbst, sondern als Reaktion auf die Aufforderung der Kollegen und somit vorrangig auf diese bezogen.
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Das Gericht hat keinen Anlass, an den übereinstimmenden, nachvollziehbaren und in sich widerspruchsfreien Angaben der uneidlich vernommenen Zeugen zu zweifeln. Der objektive Geschehensablauf als solcher, wird auch vom Angeklagten nicht bestritten. Zwar gab der Angeklagten an, er hätte die Durchsage im Laufe des Tages mehrfach gemacht, die Zeugen gaben aber übereinstimmend an, dass dies trotz Zusage des D'.A. und mindestens 3 bis 4 vorausgegangenen Aufforderungen durch die Bereitschaftspolizei über die Zeugen A. und J. gerade nicht erfolgt sei, und deshalb die Zeugen H. und W. vom Zeugen A. gebeten wurden, dies nunmehr durch Ihr Hinzutreten durchzusetzen. Die Kammer hält deren Angaben für glaubwürdig, weil sich gerade die Brisanz der Notwendigkeit der energischen Durchsetzung gerade dieser Durchsage dadurch plausibel ergibt, dass diese bislang verschleppt wurde und deshalb die verantwortlichen Beamten H. und W. nunmehr einschritten. Aus dem weiteren Geschehen lässt sich entnehmen, dass D'.A. infolge dieses Gesprächs auch beim Angeklagten die Unterbrechung der Reden und die hier gegenständliche Ankündigung der erforderlichen Durchsage des Versammlungsleiters ankündigte.
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Für die Frage der Strafbarkeit relevant war hierbei zunächst, an wen sich die verfahrensgegenständliche Äußerung des Angeklagten bei objektiver Betrachtung richtete bzw. wer damit tatsächlich gemeint war, und ob es sich um eine zulässige Meinungsäußerung, oder eine strafbare Beleidigung handelt. Insoweit ist im Regelfall eine Abwägung mit den grundgesetzlich garantierten Rechten der Meinungsfreiheit und der verfassungsrechtlich ebenfalls garantierten Rechts auf Schutz der persönlichen Ehre durchzuführen.
IV.
Rechtliche Würdigung und Schuldspruch
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Der Angeklagte war wegen Beleidigung zum Nachteil der beiden Beamten Wallner und Hofbeck zu verurteilen, so dass für eine Abänderung des Schuldspruchs aus 1. Instanz kein Anlass bestand.
1. Sinnermittlung der Äußerung
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Zunächst war zu unterscheiden, ob es sich bei der getätigten Äußerung um eine falsche/ehrverletzende Tatsachenbehauptung oder um eine grundgesetzlich in Art. 5 Grundgesetz geschützte Meinungsäußerung handelte. Dabei ist grundsätzlich eine grundrechtsfreundliche Auslegung und Deutung der Äußerung geboten, denn das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt und für eine freiheitlichdemokratische Staatsordnung schlechthin konstiutierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (vgl. BVerfGE 1. Senat, Lüth-Urteil, vom 15.01.1958, BVerfG 7,198-230 zit. Juris).
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Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist allerdings nicht unbegrenzt gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet es seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, wie auch dem Recht der persönlichen Ehre. Jedoch sind grundrechtsbeschränkende Vorschriften des einfachen Rechts wiederum im Lichte des eingeschränkten Grundrechts auszulegen, damit dessen wertsetzende Bedeutung für das einfache Recht auch auf der Rechtsanwendungsebene zur Geltung kommt (vgl. BVerfGE 1. Senat, Lüth-Urteil, vom 15.01.1958, BVerfG 7,198 ff – 208 – zit. Juris). Dies führt im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale der einfachrechtlichen Vorschriften regelmäßig zu einer fallbezogenen Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem Rang des durch die Meinungsäußerung beeinträchtigten Rechtsguts, das das einfache Recht schützen will, hier betreffend das Recht auf Unversehrtheit der eigenen Ehre. Dabei kann das Ergebnis dieser Abwägung wegen des Einzelfallbezugs nicht generell und abstrakt vorgenommen werden, etwa in dem Sinne, dass grundsätzlich die Meinungsfreiheit vorgehe, oder umgekehrt grundsätzlich der Ehrenschutz. Insbesondere beansprucht die Meinungsfreiheit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsrechts auch keineswegs stets den Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz. Vielmehr geht bei Meinungsäußerungen, die als Formalbeleidigung oder Schmähung anzusehen sind, der Persönlichkeitsschutz der Meinungsfreiheit regelmäßig vor, vgl. BVerfGE 66,116, 151; 82, 272, 281, 283 ff und BVerfG, Beschluss vom 13.04.1994 – BVerfGE 90, 241ff, Rz. 31) Wegen der Bedeutung des Grundrechts geht das Bundesverfassungsgericht jedoch davon aus, dass auch scharfe und überspitzte Formulierungen für sich genommen eine schädigende Äußerung noch nicht unzulässig machen (wie vor S. 208 und BVerfG, Beschluss vom 9.10.1991, BVerfGE 85,1-23, hier S. 12). Er wenn die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, hat eine solche Äußerung als Schmähung regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzutreten (wie vor, BVerfGE 82,272 – 283 f –).
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In diesem Sinne erweist sich die Formulierung „kleine Nervzwerge“ indes keinesfalls als reine Tatsachenbehauptung, die in einfacher Weise als unrichtig und erwiesen unwahr zu qualifizieren wäre, da es sich bei den betroffenen Polizeibeamten schon aufgrund ihrer im durchschnittlichen Rahmen liegenden Körpergröße zweifelsohne nicht um „kleine Zwerge“ handelte. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte hier eine Tatsachenbehauptung aufstellen wollte, die schon augenscheinlich widerlegt war, sondern dass es ihm vielmehr offensichtlich um eine Kundgabe einer Meinung ging, nämlich seiner letztlich abschätzigen Einschätzung der so bezeichneten Personen ging. Diese Einschätzung verändert sich auch nicht durch den Zusatz, „nervend“, da auch diese Bezeichnung eine Wertung trägt, und jedenfalls der überwiegende Charakter der gesamten Äußerung ein im Ergebnis herabsetzendes Werturteil darstellt.
2. Grenzen der Meinungsfreiheit bei Schmähkritik
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Somit ist eine im Lichte dieser Rechtsprechung im Rahmen der Tatbestandsmerkmale einer ehrabschneidenden Äußerung vorzunehmende, fallbezogene Abwägung zwischen dem eingeschränkten Grundrecht und dem Rechtsgut, dem das grundrechtsbeschränkende Gesetz dient, vorzunehmen. Für diese Abwägung hat das Bundsverfassungsgericht Regeln entwickelt, ohne den generellen Vorrang der Meinungsfreiheit festzulegen (wie vor).
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In Betracht kommt hier grundrechtseinschränkend lediglich der Tatbestand der Beleidigung gem. § 185 StGB, wobei dieser hier in der qualifizierenden Weise einer öffentlichen und zugleich in einer Versammlung begangen wurde. Dieser Tatbestand setzt zunächst eine entsprechende vorsätzliche Äußerung voraus, die sowohl mündlich, als auch schriftlich begangen werden kann. Da der Angeklagte diesen Satz auf einer offiziellen Versammlung über das Mikrophon verstärkt einem Publikum von ca. 1500 Versammlungsteilnehmern mitgeteilt hat, ist das Tatbestandsmerkmal der wissentlichen und willentlichen Äußerung in der Öffentlichkeit und in einer – öffentlichen – Versammlung gleichzeitig erfüllt. Dabei wusste und billigte der Angeklagte auch, dass neben den Teilnehmern der Versammlung auch die zur Kontrolle eingesetzten anwesenden Polizeibeamten vom Inhalt dieser Äußerung Kenntnis nehmen würden, wie es auch geschehen ist.
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Wie vom Amtsgericht zutreffend ausgeführt, ergibt sich stets erst aus ihrer Auslegung, ob der Äußerung als solcher ein ehrverletzender Sinn beizumessen ist. Bei der Interpretation sind der Kontext der Äußerung sowie die gesamten erkennbaren Begleitumstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen, (vgl. BayObLG NStZ-RR 2002, 210 (211); OLG Düsseldorf NStZ-RR 2006, 206; OLG Köln NStZ 1981,183 (184); Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm Rn. 8). Abzustellen ist auf das Verständnis eines durchschnittlichen Kundgabeempfängers (sog. Empfängerhorizont). Somit ist weder entscheidend, wie der Angeklagte als Erklärender seine Äußerung subjektiv verstanden haben wollte, noch wie sie sein Kommunikationspartner tatsächlich verstanden hat (BGHSt 19, 235 ff; BGH NJW 1998, 3047 (3048); KG NStZ-RR 2013, 8 (9); OLG Düsseldorf NJW 1989, 3030; LK-StGB/Hilgendorf Rn. 17; MüKoStGB/Regge/Pegel Rn. 10).
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Der Angeklagte hat insoweit die Meinung vertreten, seine Äußerung hätte auf die Polizeibeamten allgemein und in ihrer Gesamtheit abgezielt, auch wenn er sich an den genauen Grund seiner Äußerung nicht mehr erinnern können wollte. Er bezog sich darauf, dass er die Polizeibeamten schließlich vorher nicht persönlich getroffen oder gesprochen hätte, deren Namen ihm nicht geläufig gewesen seien und er auch nicht gesehen hatte, welche konkreten Polizeibeamten vorab dem Versammlungsleiter D'.A. die ihm weitergeleitete Aufforderung zur Unterbrechung der Reden für die vom Versammlungsleiter gewünschte Durchsage an die Teilnehmer unterbreitet hatten. Damit habe er nicht die Polizeibeamten beleidigt, die die Strafanträge gestellt hätten. Die Zeugen haben hingegen übereinstimmend geschildert, dass die Durchsage in direktem örtlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der unmittelbar vorangegangenen energischen Aufforderung durch die von den Zeugen A. und J. zur Unterstützung gerufenen Zeugen PD H. und EpHK W. gegenüber dem Versammlungsleiter erfolgte, dieser sich danach zur Bühne begab und kurz darauf der Angeklagte die so geforderte Durchsage des Versammlungsleiters mit diesen Worten angekündigt hätte, dass jedem, der diesen Zusammenhang mitbekommen hatte, unzweifelhaft klar war, dass mit den kleinen Nervzwergen, wegen denen der Versammlungsleiter nun eine Durchsage machen müsse, die inhaltlich der von der Polizei geforderten Aufforderung zur Einhaltung des Abstandsgebots entsprach, sich auch nur auf diese Polizeibeamten beziehen konnte. Dies hatten einhellig auch alle betroffenen Beamten so verstanden. Damit liegt für den objektiven, verständigen Dritten, der diese gesamten Umstände kennt, eine eindeutige Individualisierung der Adressaten vor. Die Aussage kann vernünftigerweise nicht so verstanden werden, dass alle oder beliebig viele Polizeibeamte irgendwo im Staat gemeint waren, sondern eben nur gerade die vor Ort im Einsatz befindlichen Beamten, die auf die Durchsage gedrängt hatten, mithin die 4 leitenden Einsatzbeamten, die somit eine überschaubar kleine und individualisierbare Gruppe darstellen, unabhängig von deren konkreten Aussehen und Namen oder Dienstgrad. Es kommt also entgegen der Auffassung des Angeklagten nicht darauf an, ob er mit diesen Beamten vorher direkten Kontakt hatte, mit ihnen direkt kommuniziert hatte, mit ihnen Blickkontakt hatte, oder gar ihre Namen wusste. Den Umständen entsprechend war es vielmehr offenkundig so, dass ihm dies auch gleich war.
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Das Amtsgericht hat daher auch zutreffend festgestellt, dass bei Beleidigungen gegenüber Polizeibeamten – wie auch sonstigen Gruppenzugehörigen wie Soldaten, Politiker u. ä. – eine Beleidigung nur dem Kollektiv gegenüber ohne Individualisierbarkeit in der Regel nicht genügen würde, weil die persönliche Kränkung des Einzelnen in einer sehr großen Gruppe nicht mehr anzunehmen sei (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995, BVerfGE 93,266,ff), wenn die vermeintliche herabsetzende Äußerung der Institution oder Vorgehensweise der Polizei generell gilt (BVerfG NZV 1994, 486; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2003, 295 (296). Bei Kritik an Maßnahmen der öffentlichen Gewalt gilt es zu unterscheiden, ob sich die Äußerungen gegen die staatliche Reaktion (z.B. polizeiliche Anordnung) oder in ggfl. ehrverletzender Weise gegen die ausführenden Personen (z.B. Polizeibeamte, Richter) richtet (KGStraFo 2010, 392). Der Angeklagte, der sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beruft und hier z. B. die Entscheidung „Soldaten sind Mörder“ vom BVerFG Beschluss vom 10.10.1995, BVerfGE 93,266-319 bemühte, konnte allerdings nicht plausibel darlegen, weshalb seine konkrete Äußerung „kleine Nervzwerge hier“ in dieser Situation die Polizei im Allgemeinen und deren generelle Vorgehensweise, nicht aber die vor Ort befindlichen und in der Verantwortung der Einhaltung der Maßnahmen stehenden Einsatzbeamten meinen sollte, die die unliebsame Anordnung getroffen hatten, dass nunmehr eine Durchsage zu erfolgen hätte. Die zitierte vom Bundesverfassungsgericht getroffene Entscheidung betraf das Ansinnen, staatliche Einrichtungen über § 194 Abs. 3 S. 2 StGB nicht gegen öffentliche Kritik auch in scharfer Form abzuschirmen. Danach ist allerdings auch bei herabsetzenden Äußerungen, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfaßt, unter bestimmten Umständen auch ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs möglich. Eine persönliche Kränkung der einzelnen Gruppenmitglieder durch herabsetzende Äußerungen über Kolletkive sei jedoch im Interesse einer rechtsstaatlichen Eingrenzung der ehrschützenden Strafrechtsnormen dann nicht mehr anzunehmen, wenn es sich um sehr große, im einzelnen nicht mehr überschaubare Kollektive handelt (wie vor Orientierungssatz Ziff. 6). Anders als in dem dort entschiedenen Fall oder auch im Fall des hat der Angeklagte jedoch vorliegend keine allgemeine Aussage über die Polizei getroffen, etwa durch die Wahl einer Formulierung wie z. B. „Alle Polizisten sind kleine Nervzwerge“ oder „Alle Polizisten nerven“. Aus dem situativen Kontext der zur Last liegenden Äußerung im Rahmen der reinen Moderation und ohne jede Einbettung in einen Kontext einer Rede ergibt sich auch keine inhaltlich relevante Meinungsäußerung, die auf einen Widerstreit von Coronabeschränkungen und Impfzwang gegenüber allgemeiner Existenz oder dem Vorgehen der Polizei im Allgemeinen Bezug nehmen würde und Raum für die Eröffnung von Diskussionen schaffen könnte, sondern es wird nur kundgetan, dass ganz konkrete, vor Ort befindliche Beamte als nervende Zwerge verunglimpft werden, und zwar nur deshalb, weil sie eine kurze Durchsage des Veranstaltungsleiters über das Mikrofon auf der Bühne verlangten.
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Die Kammer geht daher – auch soweit sich der Angeklagte an den Grund und Anlass seiner konkreten Äußerung nicht mehr erinnern will – davon aus, dass er entgegen seinen insoweit auch schwankenden Angaben über seine Erinnerung und Absichten ganz konkret die vor Ort befindlichen Beamten verunglimpfen wollte, um deren Autorität so zu untergraben, dass die geforderte Durchsage im Hinblick auf die Lächerlichmachung ihrer Urheber wertlos erschien. Dabei kam es ihm bei dieser Anküdigung vorwiegend nicht darauf an, eine politische Meinung zum Thema Corona, Impfzwang oder polizeiliche Maßnahmen im Allgemeinen zu äußern, sondern eben nur darauf, gerade diese konkreten Beamten öffentlich zu verunglimpfen, weil ihn die Unterbrechung der Reden durch die von diesen geforderte organisatorische Maßnahme störte. Damit stand nach Einschätzung der Kammer eben im Vordergrund, die persönliche Ehre dieser vor Ort befindlichen Beamten anzugreifen, und eben gerade keine allgemeine Aussage über die Polizei insgesamt tätigen zu wollen. Die hier relevante Äußerung war letztlich in keiner Auslegungsweise geeignet, zur Bildung einer Meinung zu einem bestimmten Thema beitragen zu können, sie sollte die Gemeinten lediglich in der Öffentlichkeit lächerlich machen.
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Dabei spielt es auch keine Rolle, dass er diese Beamten an diesem Tag nicht persönlich getroffen und gesprochen hatte, und deren Namen und Rang nicht wusste. Eine beleidigende Äußerung kann nämlich ohne weiteres auch in Abwesenheit des Beleidigten geäußert werden, ausreichend ist insoweit, dass der Beleidigende damit rechnet, dass die Kundgabe der Missachtung auch an den Beleidigten zur Kenntnis gelangt. Für diese Kenntnisnahme sorgte der Angeklagte allerdings selbst durch die Benutzung des Mikrofons zur Verstärkung der Hörbarkeit seiner Worte.
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Die Kammer wertete die Meinungsäußerung hier in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht als bloße Schmähkritik, da die Bezeichnung eines Menschen als „kleinen Nervzwerg“ eine Abwertung und Herabwürdigung darstellt, symbolisch durch den Bezug auf eine vorgeblich besonders kleine Körpergröße, tatsächlich im übertragenen Sinne aber bezogen auf der Lächerlichkeit ihrer Person und Handlungen, verbunden mit der Angabe einer „Nervigkeit“ durch Ausüben ihrer Amtspflichten. Dabei war auch kein sachlicher Bezug zu einer beanstandungswürdigen Diensthandlung oder sonstigen Verfehlung der Beamten erkennbar, ebensowenig wie ein Bezug zu der Thematik der Demonstration. Die Äußerung enthält vielmehr nur polemische Bezeichnungen, die schon rein verbal eine Herabwürdigung zum Ausdruck bringen. Dies ergibt sich aus einer Auslegung des Wortlautes der Äußerung im Zusammenhang mit dem Kontext und den konkreten Begleitumständen der Situation vor Ort. Der Angeklagte hat u.a. das Wort „Zwerge“ in Verbindung mit dem Adjektiv „kleine“ und somit als doppelte Verkleinerung benutzt. Dass dies nicht auf die Körpergröße der Beamten bezogen war, ist offensichtlich. Hinzu kommt die Kombination des Wortes Zwerge mit dem Zusatz „Nerv-“, was im Sinne von belästigen, stören, lästig sein, anstrengend sein, auf die Nerven gehen, zu verstehen ist, sowie „an der Backe“, was so viel bedeutet wie sich zwangsweise um eine Person kümmern müssen, zwangsweise mit einer Person zu tun haben müssen, die im Umgang als lästig oder problematisch empfunden wird. Damit wird das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund gedrängt und es steht allein die persönliche Kränkung der Beamten im Vordergrund, so dass von reiner Schmähkritik auszugehen ist. Aus diesem Grund ist die Äußerung des Angeklagten auch nicht gerechtfertigt im Sinne des § 193 StPO. Danach wäre die gegenständliche Äußerung des Angeklagten bereits nicht mehr vom Schutz der Meinungsfreiheit gedeckt. Nachdem von den betroffenen vier Beamten, lediglich zwei Strafanträge gestellt haben, liegt Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen vor.
3. Abwägung der grundgesetzlich geschützten, gegeneinander streitenden Rechte:
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Unabhängig davon hat die Kammer vorsorglich auch eine Abwägung zwischen der grundgesetzlichen Meinungsfreiheit einerseits und dem Rechtsgut, in deren Interesse sie eingeschränkt werden kann, andererseits abgewogen und dabei die Umstände des Einzelfalls gewertet. Danach ergibt diese Prüfung auch bei Annahme, dass die Beleidigung nicht die Grenze zur reinen Schmähkritik ohne jeden sachlichen Bezug zu einer kritischen Meinungsäußerung überschreitet, jedenfalls keine überwiegende Schutzwürdigkeit der hier vorliegenden „Meinungsäußerung“ des Angeklagten gegenüber dem Recht der Beamten auf Wahrung ihres Persönlichkeitsrechts, die ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an der beleidigenden Äußerung im Sinne des § 193 StGB begründen könnten.
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Dabei ist zunächst als Kriterium einzustellen, dass den Beamten – auch nach Einlassung des Angeklagten – in keinster Weise ein dienstliches oder persönliches Fehlverhalten, nicht einmal eine Unhöflichkeit oder unangemessene Härte in ihrem dienstlichen Vorgehen zur Last liegt. Vielmehr handelte diese auch im Vorfeld zu der gegenständlichen Tat ausschließlich im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben und Befugnisse und bemühten sich unbestritten um eine ruhige und friedliche, letztlich gute Zusammenarbeit mit dem Veranstalter, um die Versammlung störungsfrei und ohne jede Eskalation durchführen lassen zu können.
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Die Kammer hat hierbei allerdings auch mit eingestellt und berücksichtigt, dass der Angeklagte in einem gewissen Maß einen „Kampf gegen das System“ führte, da er sich nach eigenen Angaben durch die Corona-Maßnahmen in seiner beruflichen Entwickung benachteiligt fühlte, bereits hunderte von Demonstrationen als Moderator oder jedenfalls sonstiger Teilnehmer besucht, sich häufig über Polizeimaßnahmen geärgert hatte, und damit im Allgemeinen wohl auch eine Art „Kampf ums Recht“ führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.02.2912, BVR 2883/11 – juris). Besonders bei Themen wie der gegenständlichen Versammlung bezüglich Coronabeschränkungen oder Impfpflicht haben sich – wie wohl allgemein durch Presse und Fernsehen bekannt wurde – viele Personen, darunter offensichtlich auch der Angeklagte, emotional hineingesteigert. In der oben zitierten Entscheidung lag der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts allerdings der Fall zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer mit einem Brief an die Dienststelle gegen ganz konkrete und vermeintliche unberechtigte Handlungen eines bestimmten Polizeibeamten gewendet hatte, um gegen eine gegen ihn verfolgte Ordnungswidrigkeit anzukämpfen. Hier wurde ihm in seinem Recht auf Kampf gegen eine vermeintlich unrichtige Verfolgung und unter Berücksichtigung, dass seine schriftlichen Ausführungen nur innerhalb der betreffenden Behörde durch ein Anschreiben in eigener Sache ohne Außenwirkung erfolgten, ein überwiegendes Interesse an seiner Meinungskundgabe gegenüber den z. T. ehrverletzenden Unterstellungen gegenüber dem Polizeibeamten zuerkannt.
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Damit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Die Beamten hatten kein Verfahren gegen den Angeklagten eingeleitet, dieser musste sich nicht gegen vermeintlich rechtswidrige Polizeianweisungen oder -maßnahmen zur Wehr setzen, sondern lediglich den Anweisungen des Versammlungsleiters nachkommen, ihn kurz ans Mikrofon zu lassen, was seine Rechte nicht tangierte. Aber auch in persönlicher Hinsicht waren die betreffenden Beamten den Angeklagten nicht angegangen, oder hatten sich im Ton vergriffen, da der Angeklagte selbst vorträgt, mit diesen keinen vorangegangenen unmittelbaren Kontakt gehabt zu haben. Der Angeklagte kannte schon aufgrund seiner Erfahrungen mit Demonstrationen und offensichtlichen negativen Interesses für die Coronabeschränkungen die damals allgemein nach der Bayerischen Verordnung geltenden und entsprechend im Auflagenbescheid für die Versammlung enthaltenen Auflagen, und er wusste auch, dass der Versammlungsleiter diese einhalten und gegebenenfalls verpflichtet war, auf deren Einhaltung zu achten. Der Angeklagte hatte somit keinen Anlass, hier ausgerechnet gegen diese Beamten für „sein Recht“ zu kämpfen, zumal er nicht einmal Versammlungsleiter und damit von den Anweisungen allenfalls mittelbar überhaupt tangiert war.
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Der vorliegende Fall ist auch nicht vergleichbar mit der vom Angeklagten bemühten Rechtsprechung des BVerfG, Beschluss vom 16.01.2017 – 1 BvR 1593/16 – zit. Juris-, zum ACABTshirt, in dem ein Angeklagter ohne konkreten Bezug auf bestimmte Beamte mit einem T-Shirt der entsprechenden Meinungsbekundung auf einem Fußballspiel erschien. Hier wurde es als nicht ausreichend angesehen, dass der seine negative Meinung zu Polizeibeamten in ihrer Gesamtheit ausdrückende Besucher dort in dem Bewusstsein auftritt, dass dort vermutlich auch Einsatzkräfte der Polizei anwesend sein würden, die die Parole möglicherweise wahrnehmen würden. Es fehlten jedenfalls in der dortigen Entscheidung nach den Ausführungen des Verfassungsgerichts Feststellungen dazu, dass sich der Beschwerdeführer bewusst in die Nähe der Einsatzkräfte der Polizei begeben hatte, um diese seiner Parole zu konfrontieren. (wie vor Orientierungssatz Nr. 4 b, Rz. 17). Es fehlte somit an einer personalisierten Zuordnung, die aber ausdrücklich nach dieser Rechtsprechung nicht erfordere, dass die eingesetzten Polizeibeamten dem Beleidigenden namentlich bekannt sein müssten. Dabei führt das Verfassungsgericht weiter aus, dass je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer könne die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten, sondern den Unwert des Kollektivs geht. Maßgeblich ist also, wie konkret bezogen die Äußerung ist, also ob sie noch geeignet ist, auf die persönliche Ehre des Individuums durchzuschlagen. Nicht ausreichend wäre es, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogenen Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des auch der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet (wie vor Rz. 16, 17).
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Auch diese einschränkenden Ausführungen treffen den vorliegenden Fall nicht. Dieser liegt gerade deshalb anders, weil sich die zur Last liegende Äußerung des Angeklagten eben sehr wohl individualisiert gegen bestimmte Beamte vor Ort richtete, die sich zurecht auch unmittelbar direkt persönlich und nicht nur als Vertreter der Spezies „Polizist“ angesprochen fühlten. Der Angeklagte hat entgegen seiner Darstellung gerade keine allgemein abwertende Äußerung über Polizeibeamte im Allgemeinen ohne jeden indivualisierbaren Bezug zu konkreten, vor Ort tätig gewordenen Beamten und deren konkreten Handlungen abgegeben, und er ist auch nicht nur mit einem Hemd und Aufschrift „Alle Polizeibeamten nerven“ erschienen. Sondern er hat mit der Formulierung „wir haben so n'paar kleine Nervzwerge an der Backe“ unmittelbare Bezugnahme auf „n'paar“ (nicht alle/unbestimmt viele Beamte) und „an der Backe“, worunter nur die konkret vor Ort tätig gewordenen Polizeibeamten, die die unerwünschte Anweisung gegeben hatten, verstanden werden konnten (an der Backe hat man nicht die Gesamtheit der Polizei, die nicht anwesend ist), eine hinreichende, sogar eindeutige Individulisierung vorgenommen. Dieser unmittelbare Bezug zum vorangegangenen polizeilichen Handeln (hier die Aufforderung zu einer Durchsage) drückt sich nämlich schon durch die Formulierung „Wir haben … an der Backe und der Daniele muss eine Durchsage machen“ eindeutig aus. Der Angeklagte hat damit eine Äußerung gegen bestimmte, individualisierte Beamte getätigt, die eben genau hier waren und nicht alle Polizisten in Deutschland oder der Welt (“hier an der Backe“) auch wenn ihm deren Aussehen und Namen tatsächlich nicht bekannt gewesen und mutmaßlich auch gleichgültig gewesen sind. Ferner bestätigt die direkte Verbindung „und der Daniele muss…) auch den Sachzusammenhang zu den zugrundeliegenden Forderungen der Beamten. Durch diesen unmittelbaren persönlichen Bezug auf diese vor Ort befindlichen und die Anweisung gegebenen Beamten war die Äußerung aber in der konkreten Situation geeignet und auch erfolgreich dergestalt, dass die konkret gemeinten Beamten, die die Durchsage deutlich vernehmen konnten, sich sofort persönlich angesprochen und gemeint, sowie in ihrer Ehre herabgewürdigt fühlten und entsprechend Strafantrag gestellt haben.
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Soweit die Verteidigung auch noch auf weitere Entscheidungen von verschiedenen Gerichten betreffend Politiker oder Richter verwies, die sich zum Teil erhebliche Beleidigungen anhören müssten, nimmt die Kammer Bezug auf die Entscheidung des BVerfG Beschluss vom 19.12.2021, (Az. 1 BvR 1073/20 zit. Juris), wonach diffamierende Äußerungen über Politiker in sozialen Netzwerken keineswegs im Rahmen der Öffentlichkeit eines Politikers grenzenlos im Namen der Meinungsfreiheit hinzunehmen seien. Vielmehr führt das Verfassungsgericht, das der Beschwerdeführerin in letzter Instanz – hier der geschädigten Politikerin – Recht gab, in dieser Entscheidung aus, dass auch Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträger vom Schutz ihrer Persönlichkeit bei auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlicher Verächtlichmachung nicht ausgenommen seien. Auch seien Äußerungen desto weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen und Beschimpfungen von Amtsträgern in den Vordergrund tritt. Zu berücksichtigen sei hierbei nämlich auch, dass eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft nur erwartet werden kann, wenn für diejenigen, die sich engagierten und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist. Dabei können im Rahmen der Abwägung einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte, insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören. Auch ist bei der Abwägung erheblich, ob für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand, oder ob sie aus nichtigen oder vorgeschobenen Gründen getätigt wurde (wie vor, Orientierungssatz 1 c). Zwar handelte es sich hier um schriftliche Kommentare zahlreicher Facebook-Nutzer zu einer umstrittenen Aussage einer Politikerin, bei denen die Grenzen zulässiger Kritik weiter zu ziehen seien als bei Privatpersonen, aber es kommt darin auch zur Ausführung, dass sich deren Situation von derjenigen staatlichen Amtswalter unterscheide, denen es ohne ihre besonderes Zutun im Rahmen ihrer Berufsausübung eine Aufgabe mit Bürgerkontakt übertragen wurde (wie vor Rz. 33, VerfG, Beschluss vom 19.5.202 – 1 BvR 2397/19, Rn. 31). Die Kammer hat daher in ihre Abwägung hier auch eingestellt, dass es auch im Interesse der Rechtspflege und damit der Allgemeinheit liegt, Polizeibeamte, die in rechtmäßiger Dienstausübung mit sachlich in keiner Weise begründeter schmähender Kritik überzogen werden, vom Staat zu schützen sind, da sie die Repräsentanten des Staates sind und dessen Gesetze umsetzen bzw. ihre Einhaltung garantieren sollen und persönlichem Einsatz vor Ort zeigen müssen. Ähnlich wie bei Politikern, die ohne jeden Schutz ihrer Persönlichkeit durch die staatlichen Organe auch der Rechtspflege sonst künftig auch weniger Bereitschaft zeigen werden, politische Ämter noch bekleiden zu wollen, ist sonst auch zu befürchten, dass die Bereitschaft zur Übernahme sonstiger Amtspositionen, wie sie auch Polizeibeamten bekleiden, ebenfalls schwinden wird, oder Polizeibeamte sich vor Ort nicht mehr trauen, die Gesetze durchzusetzen, ohne sich schrankenlos diffamieren lassen zu müssen. Auch dies läge nämlich nicht im Interesse einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft.
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Maßgeblich bei der Abwägung sind zudem auch Form und Begleitumstände der Äußerung, etwa ob diese ad hoc in einer hitzigen Situation oder mit längerem Vorbedacht gefallen sind. Dabei wird im Lichte dieser Rechtsprechung in der Regel von mündlichen Äußerungen weniger Zurückhaltung zu erwarten sein, als bei länger überlegten schriftlich formulierten Äußerungen, dennoch kann auch hier unter Berücksichtigung von Emotionalität und Erregbarkeit ein gewisses Maß an zumutbarer Selbstbeherrschung erwartet werden. Der Angeklagte hat die Äußerung hier nämlich nicht im Rahmen eines unerwarteten plötzlichen Vorgangs spontan geäußert, und er befand sich auch nicht mit der Polizei in einer streitigen und hitzigen Debatte oder sonstigen Ausnahmesituation. Er räumte vielmehr selbst ein, dass ihm das wiederholte Ansinnen der Polizei, dass der Versammlungsleiter Durchsagen tätigen sollte, bereits bekannt war und dies ihn schon länger „genervt“ hatte. Er hielt auch die Reden nicht selbst, sondern moderierte nur die Redner, so dass er nicht in seinem eigenen Redefluss unterbrochen wurde, und er hatte auch die Diskussion mit den Beamten nicht persönlich geführt, damit befand er sich also auch nicht in einer emotionalen Ausnahmesituation einer vorangegangene hitzigen Debatte, die es nachvollziehbar erklären würden, dass eine derartige Äußerung in die Situation gepasst hätte.
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Auch hatte er nach eigener Angabe bereits erhebliche Erfahrung mit dem Moderieren derartiger Veranstaltungen, die Vorgaben zum Schutz gegen Coronainfektionen waren ihm längst bekannt und auch das übliche Vorgehen der Beamten auf derartigen Veranstaltungen, von denen auch die hier betroffenen Beamten nicht abgewichen sind. Es kann daher ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte situativ überfordert und emotional so gefordert gewesen wäre, dass er nachvollziehbar die Beherrschung verloren hätte.
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Auch der Anlass für die Herabwürdigung der betreffenden Polizisten erscheint im Ergebnis nichtig, da diese weder die allgemein verhasste Maskenpflicht angeordnet hatten, noch die Versammlung auflösen oder langfristig die Redner behindern wollten, sondern lediglich um eine kurze Durchsage zur Erinnerung der Einhaltung der bekannten Abstandspflicht verlangten, und dabei auch noch längere Zeit Geduld gezeigt hatten. Diese Umstände waren dem Angeklagten bekannt, auch die bereits wiederholten Ansinnen dieser Durchsage. Die bloße Tatsache, dass er einfach von der Polizei und den Anordnungen überhaupt „genervt“ war, kein letztlich keine ehrverletzende Äußerung rechtfertigen und stellt auch keine Wahrnehmung berechtigter Interessen dar. Bei einem uneingeschränkt ordnungsgemäßen Vorgehen der Polizei und einer vornehmlich auf die Herabwürdigung der Ehre abzielenden Äußerung überwiegt das Bedürfnis nach einem wirksamen Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und liegt auch im öffentlichen Interesse (BVerfG Beschluss vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 – juris).
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Im Rahmen der Abwägung wesentlich erscheint hier auch die Art und der Wirkungskreis der Kundgabe. Zwar handelt es sich nicht um eine diffamierende Äußerung in sozialen Netzwerken (wie etwa im Fall des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 – juris) mit eine quasi grenzenlosen Verbreitung im „Worldwideweb“, jedoch ist die Begehungsweise der öffentlichen Kundgabe auf einer Versammlung mit über 1000 Teilnehmern von einer so erheblichen Öffentlichkeit der Verächtlichmachung, dass die vorliegende Äußerung umso weniger Gewicht an Schutzwürdigkeit für sich geltend machen kann, als sie sich vom Meinungskampf wegbewegt und nur die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund getreten ist (wie vor). An der Artikulationsfähigkeit des Angeklagten, der schon auf über 200 Versammlungen als Moderator aufgetreten ist, und sich unter anderem auch als „psychologischer Couch“ beruflich betätigt hat, kann dabei keinerlei Zweifel bestehen. Der Angeklagte hat aufgrund seiner erkennbar hohen intellektuellen Fähigkeiten, sich auszudrücken, seine Worte bewusst gewählt in voller Kenntnis ihrer Bedeutung und Wirkung nicht nur auf die beleidigten Beamten selbst, sondern auch auf die weiteren Teilnehmer dieser Versammlung, die den herabwürdigenden Inhalt schon aufgrund der plastischen Wortwahl ohne weiteres erkennen konnten.
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Umgekehrt hat das Gericht nicht verkannt, dass die vom Angeklagten verwendete Beleidigung „kleine Nervzwerge an der Backe“ in der Skala der möglichen und auch gerichtlich bereits entschiedenen verbalen Beleidigungstatbestände eher noch in der unteren Skala anzusiedeln ist, gleichwohl jedoch vor allem durch die Art und Weise der über das Mikrophon akustisch erheblich gesteigerten und damit für eine gewaltige Anzahl potentieller Zuhörer der Redeankündigungen des Moderators geeignet waren, die Beamten der Lächerlichkeit auszusetzen und damit in ihrer Ehre herabzuwürdigen. In die Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch deren strafrechtliche Verfolgung ist dabei auch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte hier seine Stellung als Moderator missbraucht hat, um die Äußerung nicht nur in einem kleineren öffentlichen Rahmen auf der Versammlung kundzutun, sondern durch die Bühnenstellung und das Mikrofon verstärkt auf die gesamten Teilnehmer am Platz und damit eine erheblich Vervielfältigung erreicht hat, da ihm bewusst war, dass weit über 1000 Teilnehmer vor Ort waren, die seine Worte hören würden. Damit hat er die vor Ort befindlichen Beamten wissentlich und willentlich öffentlich und gegenüber einem besonders großen, öffentlichen Publikum diffamiert und lächerlich gemacht, ohne im Ergebnis damit eine sachbezogene Kritik an einem irgendwie diskussionswürdigen Verhalten der Beamten zum Ausdruck zu bringen. Damit war die Äußerung auch objektiv ungeeignet zur Meinungsbildung und diente nur der Stimmungsmache gegen die Beamten vor Ort.
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Dabei spielt er für die Abwägung auch keine erhebliche Rolle, dass von den 4 Beamten, die hier bei dem zuletzt geführten Gespräch mit dem eindringlichen Wunsch der Durchführung einer ansage letztlich nur 2 der Beamten einen Strafantrag gestellt haben, obwohl sich alle 4 Beamte letztlich mehr oder weniger angesprochen fühlten. Zum einen waren vorwiegend die beiden Beamten H. und W. hier federführend bei diesem letzten Gespräch vor der Durchsage gewesen, und sie trugen insoweit auch die vorrangige Verantwortung für diese Demonstration in ihrem Zuständigkeitsbereich, während die Zeugen A. und J. als Vertreter der Bereitschaftspolizei letztlich nur zur Unterstützung anwesend waren. Überdies hat der Zeuge A. nachvollziehbar erklärt, dass er in den letzten Jahren fast täglich auf derartigen Großveranstaltungen und Demonstrationen war, sich häufig derartige und auch noch schlimmere Beleidigungen anhören müsse und sich daher schon als „abgestumpft“ einstufe. Es sei ihm bereits zuviel Aufwand, hier jedesmal Strafanzeige zu stellen, und letztlich bestimme er selbst, wer oder was ihn beleidigen könne. Hierbei handelt es sich um subjektive und persönliche Überlegungen und Entscheidungen des Geschädigten, die letztlich keine Relevanz auf die objektive Wertung einer Äußerung als Beleidigung, wie sie ein verständiger Dritter in der konkreten Situation verstehen würde, haben.
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Unter nochmaliger Würdigung all dieser in die Abwägung einzustellenden Umstände sah die Kammer auch im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der besonderen Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit für die geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Garant der freiheitlich-demokratischen Staatsordnung im Hinblick auf den fehlenden sachlichen Hintergrund der vorwiegend schmähenden Äußerung insbesondere unter Berücksichtigung der dargelegten besonderen Umstände dieser Äußerung nach Anlass, Art und Weise keinen Vorrang der vom Angeklagten geäußerten Meinung gegenüber den bei den betroffenen Beamten verletzten Persönlichkeitsrecht auf Unversehrtheit der Ehre ihrer Person, so dass eine einschränkende Auslegung der Strafnorm aus grundgesetzlichen Erwägungen nicht geboten und die Äußerung damit auch nicht über § 193 StGB gerechtfertigt war.
4. Subjektiver Vorsatz des Angeklagten
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Aufgrund der Gesamtumstände bestanden auch keine vernünftigen Zweifel am subjektiven Beleidigungsvorsatz des Angeklagten. Der Angeklagte handelte, um seine Missachtung gegen die anordnenden Beamten, darunter jedenfalls auch die Beamten – PD H. und EPHK W. – unverblümt auszudrücken und wusste genau, dass sie diese Äußerung auf dem Platz hören konnten. Selbst wenn der Angeklagte – wie er behauptet – nicht erkannt haben sollte, dass die Beamten sich persönlich angesprochen und dadurch in ihrer Ehre verletzt fühlen könnten, würde auch bedingter Vorsatz genügen, nämlich das Bewusstsein, dass die Äußerung nach ihrem objektiven Sinn eine Missachtung darstellt (BayObLG NJW 1983, 2040 zit. In Fischer, StGB – Komm. 70. Aufl. § 185 Rz. 17) und die vor Ort befindlichen Beamten diese Aussage unmittelbar auf sich beziehen würden. Der Angeklagte ist intellektuell ohne Zweifel in der Lage, den sozialen Sinn der Äußerung als Herabsetzung zu erkennen und auch zu bedenken, dass seine über Mikrofon geäußerte Aussage für alle Teilnehmer hörbar war, einschließlich der vor Ort befindlichen Polizeibeamten und insbesondere der für die Einhaltung der Vorschriften Verantwortlichen und tätig gewordenen Beamten.
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Die Kammer ist daher überzeugt, der Angeklagte wusste und rechnete damit, dass diese betreffenden Beamten am Platz, die hier die Anweisungen gegeben hatten – wie auch immer sie genau hießen – die Beleidigung nicht nur akustisch wahrnehmen würden, sondern – wie geschehen – auch auf sich beziehen und im Ergebnis sich in ihrer Ehre gekränkt fühlen würden oder dies jedenfalls möglich und sogar äußerst wahrscheinlich war. Soweit der Angeklagte diese subjektive Absicht in Abrede stellte und seine Äußerungen nicht erinnerlich auf diese, sondern generell alle Beamten bezogen haben wollte, hält die Kammer dies für eine nachträglich konstruierte Schutzbehautpung, die sich mit den äußeren Umständen seiner Aussage nicht sinnvoll in Einklang bringen lässt und auch vom Wortlaut nicht gedeckt ist, wie oben bereits ausgeführt. Für wenig plausibel hält die Kammer auch seine Einlassung, die Beamten hätten sich nicht gemeint und nicht nichtbeleidigt fühlen müssen und er hätte auch nicht damit gerechnet. Die fehlende Plausibilität dieser Schutzeinlassung ergibt sich schon daraus, dass es sich um eindeutig objektiv herabwürdigende Äußerungen handelte und der Angeklagte durch die Äußerung auch gerade seine negative Einstellung zu der Maßnahme und den anordnenden Beamten verpackt in diese Formulierung zur Belustigung des Publikums auf Kosten der Beamten zum Ausdruck bringen wollte. Ein anderer Sinn kann der eindeutigen Formulierung schlichtweg nicht entnommen oder ausgelegt werden. Daher ist unglaubwürdig, dass er geglaubt haben will, dass sich gerade die gemeinten Beamten auf dem Platz nicht angesprochen und lächerlich gemacht fühlen würden.
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Soweit aus dem Vorbringen des Angeklagten zur Rechtslage im Termin geschlossen werden könnte, er sei – aus den vorgenannten Abwägungsgründen oder im Hinblick auf das Vorliegen einer reinen Schmähkritik rechtsirrig – auch zur Tatzeit womöglich davon ausgegangen, seine herabsetzende Äußerung sei vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt, läge ein Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB vor. Hier geht die Kammer jedoch davon aus, dass ein solcher vermeidbar war, da der Angeklagte bei gehörigem Nachdenken hätte erkennen können, dass es sich um keine objektiv-kritische Äußerung mit Sachbezug zu einem polizeilichen Verhalten handelte, sondern um eine bloße ehrverletzende Äußerung, um die Polizisten vor Ort lächerlich zu machen. Dabei wäre ihm zuzumuten nach der Parallelwertung in der Laiensphäre zu erkennen, dass Betitelungen eines Polizeibeamten als „kleiner Nervzwerg“ nur der Verächtlichmachung, aber nicht zur demokratischen Meinungsbildung geeignet sind.
5. Strafantragserfordernis erfüllt
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Zuletzt waren auch die nach § 194 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1StGB erforderlichen Strafanträge von dem Beamten selbst, und auch vom Dienstvorgesetzten form- und fristgerecht gestellt worden (§ 77I, 77 a I 77 b StGB).
V.
Strafzumessung
1. Strafrahmen
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Der qualifizierende Tatbestand der verbalen, jedoch öffentlich oder in einer Versammlung begangenen Beleidigung sieht in § 185 1. und 2. Halbsatz StGB eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vor. Die Kammer sieht vorliegend keine besonderen, stafmildernden Umstände, die den Fall als abweichend von vergleichbaren Fällen qualifizieren, da es sich um einen typischen Fall handelt, dass Polizeibeamte im Rahmen von derartigen öffentlichen Kundgebungen durch Beleidigungen, die möglichst viele hören sollen, herabgewürdigt werden. Auch im Hinblick auf das Geständnis in objektiver Hinsicht und die fehlenden Vorstrafen war eine Nichtanwendung des erhöhten Strafrahmens nicht geboten, da eine Einsicht und Reue des Angeklagten mit seinem Geständnis nicht verbunden war. Von einem nach eigenen Angaben in mehrfachen Versammlungen erfahrenen Moderator kann auch nicht von einer besonderen Ausnahmesituation ausgegangen werden, zumal der Anlass für die Beleidigung objektiv gesehen nichtig war, da die Beamten lediglich um eine kurze Durchsage zur Einhaltung der Auflagen gebeten hatten, und der Angeklagte von den Geschädigten in keiner Weise vorher persönlich angegangen worden war.
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Es kann dabei letztlich im Ergebnis auch dahinstehen, ob beim Angeklagten zur Tatzeit tatsächlich ein Verbotsirrtum vorlag. Soweit dieser jedenfalls als vermeidbar einzustufen ist (siehe Ausführungen dazu im Urteil oben unter Ziffer IV. 4. Am Ende), würde sich dies vorliegend auf den Strafrahmen jedenfalls nicht auswirken. Eine im Fall des vermeidbaren Verbotsirrums fakultativ mögliche Strafmilderung im Sinne des § 49 Abs. 1 StGB kam nämlich bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens der Kammer auch im Hinblick auf die Vorstrafenfreiheit des Angeklagten nicht in Betracht. Der Angeklagte zeigte keine Reue oder Einsicht in ein Fehlverhalten, und wollte sich auch nicht im Hinblick auf seinen möglichen Irrtum, wie seine Erklärung ankam, und die von den als Zeugen einvernommenen geschädigten Beamten bekundete persönliche Kränkung in der Verhandlung entschuldigen oder zumindest von der objektiv eingeräumten Äußerung distanzieren, obwohl ihm dafür ausreichend Gelegenheit geboten wurde. Auch wäre eine besondere Milde im Hinblick auf die Außenwirkung solcher Missachtungskundgaben gegenüber Polizeibeamten im Dienst nicht angezeigt, zumal es zunehmend zu unbegründeten Beleidigungen und Übergriffen gegenüber Polizeibeamten im Dienst bei derartigen Veranstaltungen und Demonstrationen kommt, denen der Rechtsstaat entschieden entgegentreten muss.
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Damit hatte es bei dem gesetzlich für diese Fälle vorgesehenen Strafrahmen zu verbleiben.
2. Strafzumessung im eigentlichen Sinn:
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Zugunsten des Angeklagten war hier sein umfassendes Geständnis jedenfalls in objektiver Hinsicht zu werten, auch wenn dieses nicht von Einsicht oder Reue getragen war. Die Kammer hat allerdings auch zu seinen Gunsten gesehen, dass der Angeklagte in der Coronazeit zu den emotional stark betroffenen Personen gehörte, da er davon überzeugt ist, durch die mit den gesetzlichen Vorgaben zur Eindämmung der Pandemie verbundenen Einschränkungen in seiner selbständigen beruflichen Existenz vernichtet worden zu sein, sich augenscheinlich schon durch seine wiederholte Moderatorentätigkeit sehr in den entsprechenden Protestbewegungen engagierte, und sich im Rahmen seiner Proteste gegen diese Regelungen zumindest nach seiner subjektiven Wahrnehmung einige Male als Opfer staatlicher Willkür wahrnahm. Die Kammer geht daher strafmildernd davon aus, dass die Äußerungen neben der in der Verhandlung kundgewordenen allgemeinen negativen Einstellung des Angeklagten gegenüber der Polizei allgemein auch aus seiner grundsätzlichen Verärgerung über staatliche Corona-Regelungen, der allgemein politisch aufgeheizten Stimmung in derartigen Versammlungen gegen die Corona Maßnahmen und die Impfregeln, sowie aus momentaner Verärgerung des Angeklagten über die als lästig und nervig empfundenen Anweisungen der geschädigten Beamten fielen.
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Strafmildernd war auch zu sehen, dass der Angeklagte trotz seines erreichten Lebensalters zur Tatzeit und bis zur Verhandlung strafrechtlich nicht vorgeahndet war. Auch handelte es sich bei der beleidigenden Äußerung um eine eher im unteren Bereich der möglichen Schweregrade liegenden Beleidigung.
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Zu seinen Lasten war zu sehen, dass er durch diese Äußerung mit einer Handlung mehrere Beamte beleidigte, von denen sich zwei jedenfalls zur Anzeigenerstattung und Strafantragstellung entschlossen haben, weil sie sich schwer gekränkt fühlten. Die beiden diensterfahrenen Beamten W. und H. haben sich insbesondere auch deshalb durch die beleidigende Äußerung besonders getroffen gefühlt, weil sie sich die gesamte Versammlung über bemüht hatten, rücksichtsvoll und maßvoll bei Verstößen vorzugehen und die weitere Fortführung der Versammlung nicht zu gefährden, wenn die Situation eskaliert wäre. Umso unverständlicher erschien ihnen diese Herabwürdigung ihrer Person in aller Öffentlichkeit durch den Angeklagten, der mit den Geschädigten keinen direkten Kontakt hatte und ihnen auch kein Fehlverhalten vorwerfen konnte, außer dass er sich durch ihre berechtigte Maßnahme gestört fühlte. Da der Angeklagte somit völlig rechtmäßig handelnde Polizeibeamte in Bezug auf ihre Diensthandlungen beleidigte, hat die Kammer auch generalpräventive Gesichtspunkte berücksichtigt, da bei zu milder Strafe ein Abschreckungseffekt für andere Täter nicht gegeben ist. Unter Berücksichtigung des zunehmend fehlenden Respekts auch von Demonstranten und Versammlungsteilnehmern bei Veranstaltungen aller Art gegenüber den Polizeikräften und sonstigen Vertretern staatlicher Einrichtungen haben die bei Straftaten gegenüber Polizeibeamten verhängten Strafen auch Bedeutung über die Einwirkung auf den Angeklagten hinaus für potentielle ähnliche Gesinnungen vertretende Bürger und sollen diesen vor Augen führen, dass solche Straftaten von den Strafverfolgungsorganen nicht als geringfügig behandelt werden, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten.
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Unter nochmaliger Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte, insbesondere dass es sich einerseits um keine allzu schwerwiegende Beleidigung handelte und der Angeklagte sich bislang straffrei verhalten hatte, andererseits generalpräventive Gesichtspunkte innerhalb des qualifizierten Strafrahmens zu berücksichtigen waren, erschienen die vom Amtsgericht bereits verhängten und auch im ursprünglichen Strafbefehl enthaltenen 60 Tagessätze tat- und schuldangemessen.
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Die Höhe des Tagessatzes war den vorgetragenen beengten Einkommenverhältnissen des Angeklagten entsprechend auf 15 Euro anzusetzen, § 40 Abs. 2 StPO. Der Angeklagte hat unwiderlegt erklärt, er lebe nur von Bürgergeld und beziehe hier 450 € monatlich. Da er keine Unterhaltspflichten oder relevante Schulden hat, hat die Kammer diesen Betrag angesetzt, jedoch den weiteren Miet- und Nebenkostenzuschuss vom Amt im Hinblick auf die geringen zur Verfügung stehenden Barmittel nicht einkommenserhöhend berücksichtigt. Dies ergibt rechnerisch 15 € Tagessatzhöhe.
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Damit hatte es auch bei den erstinstanzlich verhängten Rechtsfolgen zu verbleiben und die Berufungen waren beidseits als unbegründet zu verwerfen.
VI.
Kostenentscheidung
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Die Kostenentscheidung beruht auf dem Grundsatz in § 473 Abs. 1 S. 1 StPO, dass jede Partei die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels trägt, die auch zu den Kosten des Instanzenzugs gehören, die grundsätzlich der Angeklagte im Falle seiner Verurteilung zu tragen hat, 465 Abs. 1 S. 1 StPO. Soweit die Staatsanwaltschaft mit einem – auch beschränkten – Rechtsmittel zuungunsten des Angeklagten unterliegt, trägt die Staatskasse die insoweit ausscheidbaren Kosten, § 473 Abs. 2 S. 1 StPO.