Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 27.12.2023 – AN 17 K 22.30176
Titel:

erfolgloser Asylantrag (Benin)

Normenketten:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Ein junger, arbeitsfähiger Mann ohne jede Unterhaltsverpflichtung mit guter Schulausbildung ist im Fall einer Rückkehr nach Benin nicht von extremer Armut und in humanitärer Hinsicht äußerst prekären Verhältnissen betroffen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kläger aus Be. widersprüchlicher, unglaubhafter Vortrag, Vorlage eines unechten Dokuments, Lage in Be., Benin, widersprüchlicher Vortrag, fehlende Glaubhaftmachung, gesteigertes Vorbringen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 45414

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1
Der Kläger ist nach eigenen Angaben beninischer Staatsangehöriger, 2002 geboren und verließ sein Heimatland am 30. April 2021 über Niger und Algerien und reiste über Spanien, wo er sich drei Monate aufgehalten habe, Frankreich und Belgien am 9. November 2021 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und kam nach Weiterreise nach Polen am 11. November 2021 erneut nach Deutschland.
2
Er wurde von der Bundespolizeiinspektion … am 11. November 2021 in … aufgegriffen, ohne im Besitz von Personaldokumenten zu sein. Er gab dort an, in Deutschland Schutz zu suchen. Er sei in einer Demonstration gelaufen, die gegen die 2. Wahl des Präsidenten gewesen sei.
3
Am 12. Januar 2022 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag. Bei seiner Anhörung gem. § 25 AsylG am 2. März 2022 trug er vor, in der Stadt … bei seinem Onkel gelebt, elf Jahre in die Schule gegangen zu sein und als Bauarbeiter, angestellt bei seinem Onkel, gearbeitet zu haben. Am 6. April 2021 habe es eine Demonstration gegen den aktuellen Präsidenten gegeben. Er habe zu dieser Zeit vor einem Laden gearbeitet und Fliesen gelegt, als die Demonstration sehr laut vorbeigelaufen sei. Er habe ein Schild aufgestellt, damit sie nicht auf die Fliesen treten. Es habe eine Auseinandersetzung mit der Polizei gegeben. Die Demonstranten seien weggelaufen und er sei zu Boden geschubst worden. Mehrere Leute seien auf ihn getreten und über die Fliesen gelaufen. Als die Polizei auf seiner Höhe gewesen sei, habe sie auf ihn eingeschlagen. Er habe geschrien, dass er kein Militanter sei, sondern arbeite und habe auf seine Arbeitsmaterialien gezeigt. Die Polizei habe nicht zuhören wollen und habe ihn schwer verletzt zurückgelassen. Zu den Verletzungen zeigt der Kläger Fotografien vor, die vom Bundesamt nicht zur Akte genommen wurden, sowie ein ärztliches Attest vom 15. April 2021. Die Nachbarn aus dem oberen Stockwerk hätten ihn gerettet und ihn mit zu sich genommen. Sein Onkel sei zu dieser Zeit verreist gewesen, weswegen er dessen Ex-Frau, die woanders lebe, angerufen habe, die sich um ihn dann gekümmert habe.
4
Einige Tage später, nach den Wahlen am 11. April 2021, sei er nach … zurück. Die Polizei sei zu seinem Onkel gekommen und habe nach ihm gesucht. Er habe das Gespräch zwischen dem Onkel und der Polizei hören können. Die Polizei habe ihn als Militanten der Demonstration vom 6. April 2021 gesucht. Er sei auf das Dachgeschoss gegangen und sei dort bis zur Nacht geblieben. Die Polizei, die sein Zimmer durchsucht habe, habe ihn nicht gefunden. Er sei auf Rat seines Onkels zu einem Freund zum Übernachten gegangen. Dieser habe ihn dorthin gebracht. Am nächsten Tag sei sein Onkel zu ihm gekommen, die Polizei habe ihn verfolgt. Als er die Polizeiautos gehört habe, sei er durch den Hinterausgang raus und über die Mauer gesprungen und zu einer Tankstelle gegangen. Dort habe er sich in einem Mais-LKW versteckt und sei damit in den Niger gefahren. Dies habe er seinem Onkel über das Handy des LKW-Fahrers mitgeteilt. Der Onkel habe gesagt, dass die Polizei noch immer nach ihm suche. Der LKW-Fahrer habe ihm eine SIM-Karte gekauft und ein altes Handy gegeben, so dass er in Kontakt mit seinem Onkel und einem Freund geblieben sei. Er habe in einer Moschee wohnen können. Der Freund habe ihm erzählt, dass die Polizei auch in Nachbarländern nach Militanten suche, weswegen er mit dem Geld, das sein Onkel ihm gegeben habe, nach Algerien sei. Dies sei ein arabisches Land, weshalb die Polizei dort nicht nach ihm suche. Er sei aber ein paar Tage später von vier Zivilpolizisten festgenommen, aber wieder frei gelassen worden. Ihm sei die Flucht nach Europa geraten worden. Er sie noch nie politisch aktiv gewesen. Am 6. April 2021 hätten Oppositionelle demonstriert. Sie hätten auch Schilder gehabt. Als er in die Demonstration geraten sei, habe er außen vor dem Laden an der Treppe die Fliesen gelegt. Die Demonstranten seien vorbeigelaufen und er habe sie abgehalten, weil der Zement noch nicht getrocknet gewesen sei. Als die Polizei gekommen sei, sei die Menschenmenge in seine Richtung gelaufen. Als er wieder in den Laden habe gehen wollen, sei er geschubst worden und die Leute seien auf ihn getrampelt. Die Polizei habe gesehen, dass er Zement an den Kleidern gehabt habe, es sei ihnen aber egal gewesen. Sie hätten ihn und alle anderen, die sie erwischt hätten, geschlagen. Festgenommen oder die Personalien festgestellt hätten die Polizisten an diesem Tag nicht. Die Nachbarn hätten ihn gerettet, ein Freund habe ihn dann zum Bahnhof gebracht, von wo aus er mit einem Taxi nach … zur Ex-Frau des Onkels gefahren sei. Er sei dort mehrere Tage im Krankenhaus gewesen. Hierüber habe er das Attest vorgelegt, das ihm geschickt worden sei. Er habe Verletzungen an den Füßen, an beiden Unterarmen, am linken Oberschenkel, auf beiden Seiten der Unterschenkel und innere Verletzungen gehabt. Sie seien auf seine Brust getreten. Seitdem habe er große Schmerzen. Nach … zurückgekehrt sei er zwischen dem 19. und 20. April 2021. Am 29. April 2021 sei die Polizei zum Haus des Onkels gekommen. Sie seien gewaltsam eingedrungen. Er sei im Dachgeschoss nicht gesucht worden, weil unter der Decke, wo er sich versteckt habe, eigentlich kein Raum sei, es sei nur eine Öffnung zwischen Platten gewesen, wo man Wertsachen reinlegen könne. Er stehe weiter in Kontakt zum Onkel, der ihm berichtet habe, dass viele Militante und die Vorsitzenden der Opposition in Be. festgenommen worden seien. Als die Demonstrierenden am 6. April 2021 weggerannt seien, seien Leute auf ihn draufgetreten und er habe nicht aufstehen können. Die Polizei sei dann gekommen und habe auf ihn eingeschlagen, obwohl sie hätten sehen können, dass er mit Zement gearbeitet habe. Sie hätten die anderen verfolgt und ihn liegen gelassen. Die Polizei habe ihn gekannt; er lebe in einer kleinen Stadt, wo jeder ihn kenne. Der Laden habe sich in einem hohen Gebäude in der Nähe des Bahnhofs befunden. Die Polizei habe nicht nur sehen können, dass er dort nur gearbeitet habe, er habe dies auch geschrien. Das sei der Polizei aber egal gewesen. Der Ladenbesitzer habe zwar gesagt, dass er für ihn aussagen könne, der Präsident habe aber bereits gesagt, dass man ihn festnehmen solle. Damit habe niemand etwas dagegen tun können. Der Ladenbesitzer habe auch Angst gehabt, selbst beschuldigt zu werden. Er wisse, dass die Festnahme der Präsident angeordnet habe, weil dieser nach den Wahlen gewollte habe, dass die Gegner und Militanten festgenommen würden. Bei einer Rückkehr würde er im Gefängnis landen.
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Das vorgelegt ärztliche Attest vom 15. April 2021 bestätigt eine Krankenhauseinweisung des Klägers anlässlich der Manifestationen vom 6. April 2021 wegen verschiedener Verletzungen mit Narben am Brustkorb ohne Knochenbrüche und bleibende Schäden. Er sei nach einigen Wochen der Behandlung entlassen worden.
6
Mit Bescheid vom 16. März 2022, dem Kläger zugestellt am 21. März 2022, erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4), drohte dem Kläger die Abschiebung – in erster Linie – nach Be. an, wenn er die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens verlasse (Ziffer 5) und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass selbst bei Wahrunterstellung des Vorgebrachten der Kläger nur zufällig Opfer von Polizeigewalt geworden sei, aber keine gezielte Verfolgung gegeben sei. Da der Kläger danach noch drei Wochen in Be. gewesen und im Krankenhaus behandelt worden sei, sei die Gewalterfahrung auch nicht ausreiseauslösend gewesen. Da die Polizei den Kläger ohne Identitätsfeststellung liegen gelassen habe, sei auch nicht glaubhaft, dass ihnen die Identität des Klägers überhaupt bewusst gewesen sei. Angesichts der Tatsache, dass er nie politisch aktiv gewesen sei, sei ein gesteigertes Verfolgungsinteresse auch nicht erkennbar. Das gesteigerte Vorbringen, dass der Präsident selbst die Festnahme angeordnet habe, mache sein Vorbringen unglaubhaft.
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Hiergegen erhob der Kläger durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigte am 5. April 2022 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach und beantragte,
den Bescheid des Bundesamts vom 16. März 2023 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren durchzuführen und den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zu gewähren und weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 12. April 2021,
die Klage abzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakte Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 16. März 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
12
Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Asylanerkennung, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG, noch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken.
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder Asylanerkennung. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (jeweils näher definiert in § 3b Abs. 1 AsylG) außerhalb seines Herkunftslandes befindet und in dieses nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will, wobei nach § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich ist, ob die verfolgte Person tatsächlich die Merkmale, aufgrund derer sie verfolgt wird, aufweist oder ihr die Merkmale vom Verfolger nur zugesprochen werden. Als Verfolgung in diesem Sinn gelten gemäß § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen (Nr. 1) oder eine Kumulierung von Maßnahmen, die so gravierend ist, das eine Person in vergleichbarer Weise betroffen ist (Nr. 2). Als Verfolgungshandlungen in Sinn des Abs. 1 sind nach § 3a Abs. 2 AsylG u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden und eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung, anzusehen. Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen, § 3a Abs. 3 AsylG. Ergänzende Regelungen ergeben sich für die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, aus § 3c AsylG und zu den Akteuren, die Schutz bieten können, aus § 3d AsylG. Kein Schutz wird nach § 3e Abs. 1 AsylG gewährt, wenn der Verfolgte in einem Teil seines Herkunftslandes sicher vor Verfolgung ist und diesen Landesteil sicher und legal erreichen kann, dort aufgenommen wird und eine Niederlassung dort vernünftigerweise erwartet werden kann (inländische Fluchtalternative).
14
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – NVwZ 2011, 1463; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936). Dabei ist die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie in Form einer widerlegbaren Vermutung zu beachten, wenn der Asylbewerber bereits Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgungscharakter erlebt hat und sich seine Furcht hinsichtlich einer Rückkehr in sein Heimatland aus einer Wiederholung bzw. Fortsetzung der erlittenen Verfolgung ergibt.
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Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Gastland in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich der Vorgänge im Herkunftsland für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller und darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen. Es hat sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 – 1 C 33/71 – NJW 1978, 2463). Andererseits muss der Asylbewerber von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171).
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Dies zu Grunde gelegt kann das Gericht keine Verfolgungsgefahr i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG erkennen. Der Kläger hat keinen nachvollziehbaren und gleichbleibenden Sachvortrag gemacht, sondern widersprüchliche Schilderungen zu den Vorgängen im April 2021 abgegeben, die ihm deshalb nicht geglaubt werden können. Bei der polizeilichen Befragung am 11. November 2021 hatte der Kläger noch angegeben, in einer Demonstration mitgelaufen zu sein und deshalb Schwierigkeiten bekommen zu haben. Später, bei der Bundesamtsanhörung, betonte der Kläger hingegen, dass er kein Teilnehmer der Demonstration gewesen sei, sondern, weil er am Wegrand als Fliesenleger gearbeitet habe, zwischen die Fronten der Demonstranten und Polizei geraten sei. Eine nachvollziehbare Erklärung zu seiner Aussage bei der Polizei gab der Kläger auf gerichtlichen Vorhalt nicht an, äußerte nur, dass er bei der Demonstration zwar dabei gewesen sei, aber er an dieser nicht teilgenommen habe. Klar widersprüchlich zu seinen Angaben beim Bundesamt, wo er angegeben hatte, dass er von seinem Onkel das Geld für die Flucht bekommen habe, gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch an, dass er für seine Flucht nichts gezahlt habe und sich in einem Mais-Transporter ohne Wissen des Fahrers versteckt zu haben. Dies passt jedoch in keiner Weise zu dem Vortrag des Klägers am 2. März 2021, dass der LKW-Fahrer ihm sein altes Handy gegeben und eine SIM-Karte gekauft habe, wodurch er mit dem Onkel in Kontakt habe bleiben können. Ebenfalls nicht zusammenpassend sind die Angaben des Klägers beim Bundesamt zu den erlittenen Verletzungen durch die Polizei und die vorgelegten Fotografien einerseits und das vorgelegte ärztliche Attest vom 15. April 2021 andererseits. Den Fotos und seinen Angaben vom 2. März 2022 zufolge habe er vorwiegend Verletzungen an Armen, Beinen und Füßen gehabt. Das ärztliche Attest hingegen nennt als Hauptschaden Verletzungen und Narben am Brustkorb. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fotos zeigen zudem keine (frischen) Verletzungen an den Gliedmaßen eines jungen Mannes, wie es der 2002 geborene Kläger ist, sondern (ältere) kreisförmige Hämatome an Bein und Fuß einer mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich älteren Person. Bei dem vorgelegten Attest aus Be. handelt es sich mit Sicherheit auch nicht um ein echtes Dokument eines beninischen Krankenhauses bzw. Arztes. Dies ergibt sich aus dem Inhalt des Schriftstücks. Obwohl das Attest am 15. April 2021 ausgestellt sein soll und die Verletzungen aus den Demonstrationen vom 6. April 2021 herrühren sollen, ist in diesem der Befund nach „einigen Wochen der Behandlung“ bestätigt. Auch die Aussage im Attest, dass die Verletzungen bei einer Demonstration am 6. April 2021 entstanden seien, spricht gegen ein echtes Dokument, weil ein Arzt regelmäßig keine Feststellungen trifft zum Ort und Anlass der behandelten Verletzungen und der konkrete Arzt hier auch keine derartige Feststellung treffen konnte, weil er sich in einer anderen und vom Geschehen weit entfernten Stadt befunden hat. Allenfalls hätte der Arzt das Verletzungsgeschehen als Bericht des Patienten wiedergeben können, was aber so gerade nicht erfolgt ist. Unglaubhaft, weil schwerlich möglich und kaum nachvollziehbar, ist auch der Bericht des Klägers, dass er sich im Dach des Hauses des Onkels über längere Zeit versteckt gehalten habe und von der Polizei nicht gefunden worden sei, dann über Dächer und Mauern geflohen sei, der Onkel ihn dann am nächsten Tag – offenbar ohne Sicherheitsvorkehrungen – beim Freund aufgesucht habe, weswegen die Polizei dann seinen Aufenthalt gekannt habe.
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Die Befürchtung von polizeilichen Repressionen wegen der bloßen Anwesenheit bei oder in der Nähe einer Demonstration ist auch vor dem Hintergrund, dass der Staat Be. seit Anfang der 1990er Jahren eine Republik mit demokratischen Strukturen, parlamentarischen Präsidialsystem und Volksouveränität, freien und geheimen Wahlen, Parteienpluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung ist (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Be., Gesamtaktualisierung vom 4.11.2029, letzte Informationen hinzugefügt am 27.4.2020 [Länderinformationsblatt], S. 59), nicht zu erwarten. Be. ist eine der stabilsten Demokratien im subsaharischen Afrika (BFA, S. 5). Die Verfassung und Gesetze gewährleisten eine unabhängige Justiz (BFA, S. 7), Meinungs- und Pressefreiheit (BFA, S. 10), Religionsfreiheit (BFA, S. 12), Bewegungsfreiheit (BFA, S. 16), Gleichberechtigung von Männern und Frauen (BFA, S. 14) und verbieten Folter, unmenschliche Behandlung (BFA, S. 9) und Genitalverstümmelung (BFA, S. 15). Der Missbrauch durch Sicherheitskräfte steht unter Strafe. Wenn auch Korruption, tatsächliche Straffreiheit von Staatsvertretern, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen für Straftäter und unverhältnismäßige Gewalt gegen Demonstrationsteilnehmer vorkommen und ein Problem darstellen können (BFA, S. 9 – 11), ist ein gezieltes Suchen nach potentiellen Demonstrationsteilnehmern im Nachhinein unwahrscheinlich und nicht zu befürchten. Ein gegebenenfalls versehentliches Zwischen-die-Fronten-Geraten bei einer Demonstration stellt mangels Zielrichtung auf den Betroffenen keine politische Verfolgung dar, allenfalls einen Gewaltexzess. In einem solchen Fall ist auch nicht zu befürchten, dass weitere Maßnahmen bzw. eine Wiederholung drohen.
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2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zu. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Insofern hat der Kläger nichts vorgebracht und ist auch aus der allgemeinen Lage in Be. eine solche Gefahr nicht ableitbar.
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3. Es besteht für den Kläger auch kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können rechtlich nur im Ausnahmefall ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris 9; BayVGH, B.v. 26.3.2019 – 8 ZB 18.33221 – juris 11) und führen – schon wegen der Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG – auch nur ausnahmsweise, nur in Fällen extremer Not, zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar sind die humanitären Verhältnisse in Be., einem der ärmsten Länder der Welt, für einen Teil der Bevölkerung sehr schlecht. Es leben etwa 40% der beninischen Bevölkerung in extremer Armut und die Grundversorgung der Bevölkerung wird nur durch den informellen Sektor gesichert. Außer Korruption und Gewalt belasten auch Analphabetismus, Bildungsschwäche und rasches Bevölkerungswachstum (BFA, S. 17) die Wirtschaft des Landes und können für den Einzelnen zu großer Armut führen. Dass der Kläger im Fall einer Rückkehr von extremer Armut und in humanitärer Hinsicht äußerst prekären Verhältnissen betroffen wäre, kann aber nicht festgestellt werden. Hierauf hat sich der Kläger schon nicht berufen. Er hat auch angegeben, eine elfjährige Schulbildung zu haben und als Fliesenleger gearbeitet zu haben. Er ist nicht krank oder sonst in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert und machte auch in der mündlichen Verhandlung einen in jeder Hinsicht gefestigten und lebenstüchtigen Eindruck.
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4. Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
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5. Gleiches gilt für die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Befristung in Ziffer 6 des Bescheids gemäß §§ 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Die Befristung steht dabei im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, womit das Gericht die Festsetzung in zeitlicher Hinsicht nur auf – im vorliegenden nicht vorgetragene und erkennbare – Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
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6. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen, wobei Gerichtskosten gemäß § 83b AsylG nicht erhoben werden.