Titel:
Anforderungen an einen Absenkungsbeschluss
Normenkette:
WEG § 23 Abs. 4 S. 1
Leitsätze:
1. Aus dem Absenkungsbeschluss muss sich ergeben, dass eine einfache Mehrheit der Stimmen genügt. (Rn. 17 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Beschluss, der bei Fehlen eines Absenkungsbeschlusses im schriftlichen Verfahren ohne Allstimmigkeit gefasst wird, ist nichtig. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Absenkungsbeschluss, Quorum, Nichtigkeit
Fundstellen:
LSK 2023, 45139
ZMR 2024, 257
BeckRS 2023, 45139
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Umlaufbeschluss zur Genehmigung der Abrechnungsspitze 2021, verkündet mit Schreiben vom 21.12.2022, nichtig ist.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 32.991,45 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Umlaufbeschlusses.
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Der Kläger ist als Eigentümer der Wohnung Nr. 24 mit einem Miteigentumsanteil von 38,38/1000 und eines Garagenstellplatzes mit einem Miteigentumsanteil von 1/1000 Mitglied der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft, die von der … H. GmbH verwaltet wird.
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In der Eigentümerversammlung vom 26.07.2022 wurde unter TOP 5 einstimmig folgender Beschluss gefasst:
„Da die Jahresabrechnung 2021 zum Versand der Einladung noch nicht vollständig war, soll diese nachträglich durch einen Umlaufbeschluss mit folgendem Wortlaut beschlossen werden:
Die sich aus den Einzelabrechnungen 2021 (vom 21.06.2022) für Wohnungen und Tiefgaragenstellplatz ergebenden Nachschüsse (= Nachzahlung) in Gegenüberstellung zu den Vorschüssen (= Guthaben) aus den gültigen Einzelwirtschaftsplänen, werden genehmigt. Der daraus resultierende Saldenausgleich wird vier Wochen nach Beschlussfassung fällig gestellt.“
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Für den Wortlaut der erläuternden Ausführungen zu TOP 5 wird auf das als Anlage K 1 vorgelegte Beschlussprotokoll vom 06.07.2022 verwiesen.
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Mit Schreiben vom 03.11.2022, dem die Einzelabrechnungen 2021 mit Druckdatum 28.10.2022 beigefügt waren (Anlagen K 4 und K 5), wurde der folgende streitgegenständliche Umlaufbeschluss zur Abstimmung gestellt:
„Die sich aus den Einzelabrechnungen 2021 (vom 21.06.2022) für Wohnungen und Tiefgaragenstellplatz ergebenden Nachschüsse (= Nachzahlung) in Gegenüberstellung zu den Vorschüssen (= Guthaben) aus den gültigen Einzelwirtschaftsplänen werden genehmigt. Der daraus resultierende Saldenausgleich wird vier Wochen nach Beschlussfassung fällig gestellt.“
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Es wurde um Rücksendung bis spätestens 16.11.2022 an die Hausverwaltung gebeten. Für den Wortlaut des Schreibens wird auf die Anlage K 2 verwiesen.
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Mit Schreiben vom 21.12.2022 verkündete die Hausverwaltung die mehrheitliche Annahme des mit Schreiben vom 03.11.2022 zur Abstimmung gestellten Beschlusses.
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Mit am 13.01.2023 beim Amtsgericht München eingegangenem und der Verwalterin am 21.01.2023 zugestelltem Schriftsatz vom 11.01.2023 hat der Kläger Nichtigkeitsklage, hilfsweise Anfechtungsklage, eingereicht und diese zugleich begründet.
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Der Kläger ist der Ansicht, der verkündete Beschluss sei nichtig, weil kein sog. Absenkungsbeschluss gem. § 23 Abs. 3 S. 2 WEG gefasst worden sei und der Beschluss im Umlaufverfahren daher allstimmig hätte gefasst werden müssen. Der Beschluss sei jedenfalls rechtswidrig, weil keine angemessene Frist zur Abstimmung gesetzt worden sei und er gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße, da aufgrund unterschiedlicher Druckdaten unklar gewesen sei, über welche Abrechnung abgestimmt werde.
Es wird festgestellt, dass der mit Schreiben vom 21.12.2022 verkündete Umlaufbeschluss ([…]) nichtig ist.
Hilfsweise: Der mit Schreiben vom 21.12.2022 verkündete Umlaufbeschluss wird für ungültig erklärt.
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Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, der in der Eigentümerversammlung zu TOP 5 gefasste Beschluss genüge den Anforderungen an einen sog. Absenkungsbeschluss gem. § 23 Abs. 3 S. 2 WEG. Die Frist zur Stimmabgabe sei angemessen. Bei der Angabe des falschen Druckdatums der Einzelabrechnungen 2021 in dem angegriffenen Beschluss handle es sich – für jeden Eigentümer ersichtlich – um ein offensichtliches Schreibversehen. Im Übrigen seien die Abrechnungsspitzen richtig.
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Wegen der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 18.09.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Die Klage ist zulässig. Das Amtsgericht München ist als Wohnungseigentumsgericht gem. §§ 43 Abs. 2 Nr. 4 WEG, 23 Nr. 2c GVG örtlich und sachlich ausschließlich zuständig.
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Die Klage ist begründet. Der angegriffene Umlaufbeschluss ist nichtig, § 23 Abs. 4 S. 1 WEG. Er wurde nicht mit der gem. § 23 Abs. 3 S. 1 WEG erforderlichen Allstimmigkeit gefasst.
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1. Ein sog. Absenkungsbeschluss, der die einfache Stimmenmehrheit ausreichen lässt, wurde vorliegend nicht gefasst. Der in der Eigentümerversammlung vom 26.07.2022 zu TOP 5 gefasste Beschluss kann nicht als Absenkungsbeschluss ausgelegt werden. Er enthält keinerlei Hinweis auf das Genügen einer mehrheitlichen Beschlussfassung im Umlaufverfahren.
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Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG ist ein Beschluss, der ohne Versammlung gefasst wurde, gültig, wenn alle Wohnungseigentümer ihre Zustimmung zu diesem Beschluss in Textform erklären. Gem. § 23 Abs. 3 S. 2 WEG können die Wohnungseigentümer beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt (sog. Absenkungsbeschluss).
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Das grundsätzliche Einstimmigkeitserfordernis ist von wesentlicher Bedeutung, da ein solcher Beschluss ohne die in einer Eigentümerversammlung mögliche Aussprache gefasst werden kann und die in einer solchen Aussprache mögliche Einflussnahme auf die mehrheitliche Entscheidungsfindung elementarer Bestandteil der mitgliedschaftlichen Rechte eines Wohnungseigentümers darstellt (AG Stuttgart, Urteil vom 05.08.2022 – 59 C 616/22 WEG, BeckRS 2022, 29588).
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Wollen die Wohnungseigentümer gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügen soll, muss dies in dem entsprechenden Beschluss hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht werden (vgl. Wicke in Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 23 WEG Rdnr. 6a; BeckOK WEG/Bartholome WEG § 23 Rn. 101-106; MüKo/Hogenschurz, WEG, 8. Aufl. 2021, § 23, Rn. 61; AG Stuttgart, a.a.O.; AG Essen Urt. v. 2.11.2021 – 196 C 50/21, ZWE 2022, 183, 185). Soweit die Beklagte als Gegenmeinung Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl. 2023, § 23 Rn. 234, zitiert, meint dieser nach dem Verständnis des Gerichts lediglich einen Verzicht auf die Benennung konkreter Mehrheitsanforderungen im Absenkungsbeschluss (a.a.O. Rn 241).
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Das Erfordernis eines Hinweises auf die Erleichterung gegenüber dem Allstimmigkeitsgrundsatz folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, der als Ausnahmefall vom Erfordernis der Allstimmigkeit in Abs. 3 S. 1 formuliert ist („können beschließen“). Der Gesetzgeber wollte mit Einführung des § 23 Abs. 3 S. 2 WEG, der erstmals eine mehrheitliche Beschlussfassung außerhalb einer Versammlung ermöglicht, die Fassung von Umlaufbeschlüssen erleichtern (BT-Drs. 19/22634, 45). Die Einführung des § 23 Abs. 3 S. 2 WEG hat jedoch nicht zur Folge, dass mit jeder Zustimmung zum Umlaufverfahren ein Umlaufbeschluss „nach neuem Recht“, also mit einfacher Stimmenmehrheit, gefasst werden kann. Denn auch nach der neuen Rechtslage hat sich – wie dargelegt – am Grundsatz des Allstimmigkeitserfordernisses (§ 23 Abs. 3 S. 1 WEG) nichts geändert.
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2. Es ist umstritten, ob bei Fehlen eines Absenkungsbeschlusses der anschließende Mehrheitsbeschluss im Umlaufverfahren nichtig oder lediglich anfechtbar ist.
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Teilweise wird vertreten, es komme überhaupt kein Eigentümerbeschluss zustande (Nichtbeschluss) (MüKo/Hogenschurz, WEG, 8. Aufl. 2021, § 23, Rn. 60 m.w.N.; LG Bremen, Urt. v. 02.10.2020, Az. 4 S 188/19, ZWE 2021, 168, 170). Teilweise wird angenommen, der Beschluss sei wegen fehlender Beschlusskompetenz nichtig (Hügel/Elzer, Wohnungseigentumsgesetz, 3. Aufl., § 23 Rdnr. 110, AG Stuttgart a.a.O.). Teilweise wird vertreten, die Nichtigkeitsfolge sei zu weitgehend (Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl. 2023, § 23 Rn. 242; tedenziell Skauradszun, ZWE 2022, 106, 114) und führe zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Ein fehlender oder nichtiger Absenkungsbeschluss sei vergleichbar mit formellen Fehlern, etwa Ladungsfehlern, die typischerweise auch nur zur Anfechtbarkeit führen (Skauradszun, ZWE 2022, 106, 114).
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Das Gericht schließt sich der Auffassung an, wonach – jedenfalls bei Fehlen eines Absenkungsbeschlusses – der im Umlaufverfahren mehrheitlich gefasste Beschluss wegen fehlender Beschlusskompetenz nichtig ist. Denn ohne vorherigen Absenkungsbeschluss ist der Weg zu einem Mehrheitsbeschluss im Umlaufverfahren nicht eröffnet, weshalb ein gleichwohl nur mehrheitlich gefasster Umlaufbeschluss nichtig sein muss.
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3. Nachdem der streitgegenständliche Beschluss bereits aufgrund eines fehlenden Absenkungsbeschlusses nichtig ist, war über die weiter vorgetragenen Anfechtungsgründe vorliegend nicht zu entscheiden.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
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Die Berechnung des Streitwerts erfolgte gemäß § 49 GKG. Danach wird der Streitwert auf das Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung festgesetzt. Er darf den siebeneinhalbfachen Wert des Interesses des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen sowie den Verkehrswert ihres Wohnungseigentums nicht überschreiten. Der Bundesgerichtshof hat inzwischen entschieden, dass sich der Streitwert für Abrechnungsbeschlüsse gemäß § 28 Abs. 2 WEG nicht an der Abrechnungsspitze, sondern am Gesamtvolumen der Abrechnung orientiert (BGH, Urt. v. 24.2.2023 – V ZR 152/22, NZM 2023, 421). Die Summe der Ausgaben in der Einzelabrechnung des Klägers beträgt für die Wohnung 4.305,43 € (2.413,13 € + 1.892,30 €), für den Garagenstellplatz 93,43 € (23,21 € + 70,22 €). Der siebeneinhalbfache Wert des klägerischen Interesses ist daher mit 32.991,45 € zu bemessen. Da das Gesamtinteresse höher liegt, bestimmt dieser Betrag den Streitwert für den streitgegenständlichen Beschluss.