Inhalt

AG Ingolstadt, Beschluss v. 17.07.2023 – 17 XVII 890/15
Titel:

Unterbringung in einem geschlossenen psychiatrischen Krankenhaus wegen fehlender Krankheitseinsicht

Normenkette:
BGB § 1831 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2
Leitsatz:
Ein Betreuter, der nach einem schwerem Schädel-Hirn-Trauma an einer organischen Persönlichkeitsstörung leidet, muss – wenn er keine ausreichende Krankheitseinsicht hat und zur freien Willensbildung zumindest hins. der Entscheidung im Zusammenhang mit der Erkrankung nicht in der Lage ist – geschlossen in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung untergebracht werden, wenn er andernfalls massiv verwahrlosen würde. (Rn. 1 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterbringung, Betreuungsverfahren, Vollzug der Zuführung, Krankheitseinsicht, Gewaltanwendung
Rechtsmittelinstanzen:
LG Ingolstadt, Beschluss vom 08.09.2023 – 24 T 1137/23
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 07.02.2024 – XII ZB 458/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 44834

Tenor

Die Unterbringung des Betreuten durch die Betreuerin in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses wird bis längstens 16.07.2024 genehmigt.
Die Unterbringung des Betreuten durch die Betreuerin in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung wird bis längstens 16.07.2025 genehmigt.
Wirkt die zuständige Betreuungsbehörde bei der Zuführung zur Unterbringung mit, darf sie erforderlichenfalls Gewalt anwenden und zur Unterstützung die polizeilichen Vollzugsorgane heranziehen.
Die Wohnung des Betreuten darf auch ohne seine Einwilligung zum Vollzug der Zuführung gewaltsam geöffnet, betreten und durchsucht werden.
Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

Gründe

1
1. Die Entscheidung beruht auf § 1831 Abs. 1 Nrn. 1 und Nr. 2 BGB.
2
Der Betreute leidet an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen/seelischen Behinderung, nämlich einer organischen Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F07.0) nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma.
3
Er muss geschlossen in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung untergebracht werden, weil er andernfalls massiv verwahrlosen würde. Außerdem bedarf er ärztlicher Behandlung, die derzeit ohne geschlossene Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht geschehen kann. Seine Informationsaufnahme und -verarbeitung sind derart gestört, dass er selbst einfache Fragen oder Sachverhalte nicht mehr verstehen, begreifen, umsetzen und adäquat bearbeiten kann. Dadurch ist er auch nicht in der Lage, in komplexere Sachzusammenhänge, wie zum Beispiel sein Krankheitsbild und die daraus resultierenden Defizite, irgendeine Einsicht zu entwickeln, geschweige denn verstehen zu können, dass er nicht mehr hinreichend für sich sorgen kann. Er kann krankheitsbedingt Gefahren und Risiken seines Handelns nicht mehr erkennen und sein Handeln nicht danach ausrichten. Zu einem logischen, planenden und vorausschauenden Denken ist er nicht mehr in der Lage. Er kann weder Handlungsabläufe planen, strukturieren und selbstständig durchführen noch ist er zu einer eigenständigen Lebensführung und Versorgung fähig. Er bedarf ständiger Überwachung, Beobachtung und Anleitung, wie sie nur auf einer beschützenden Abteilung eines Pflegeheimes zu gewährleisten ist.
4
Die Betreuerin hat die Genehmigung der Unterbringung beantragt. Sie verfügt über den erforderlichen Aufgabenbereich.
5
Der Betreute hat zurzeit keine ausreichende Krankheitseinsicht. Er ist zu keiner freien Willensbildung zumindest hinsichtlich der Entscheidungen im Zusammenhang mit der Erkrankung in der Lage. Er vermag auch die Notwendigkeit der freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht zu erkennen.
6
Dies folgt aus dem Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen, insbesondere aus dem aktuellen Gutachten der Sachverständigen Frau Dr. med. C. M. vom 21.05.2023 und der ergänzenden Stellungnahme vom 02.07.2023, der Stellungnahme der Betreuerin vom 19.01.2023, der Stellungnahme der Verfahrenspflegerin vom 01.06.2023 und dem unmittelbaren Eindruck des Gerichts, den sich dieses anlässlich der wiederholten Anhörungen des Betreuten in seiner üblichen Umgebung am 06.06.2023 und am 14.07.2023 verschafft hat.
7
Das vorbezeichnete Gutachten erstreckt sich auf das Krankheits- bzw. Behinderungsbild einschließlich der Entwicklung, die durchgeführten Untersuchungen und die diesen zugrunde gelegten Forschungserkenntnisse, den körperlichen und psychischen Zustand des Betroffenen, den aus medizinischer Sicht aufgrund der Krankheit oder Behinderung erforderlichen Unterstützungsbedarf und die voraussichtliche Dauer der Maßnahme. Das Gericht hat das Gutachten auf seine wissenschaftliche Begründung, seine innere Logik und seine Schlüssigkeit hin überprüft und keine Zweifel an der Richtigkeit. Soweit der Betreute einwendet, dass er nicht „schlank“ bzw. kachektisch sei, verkennt er, dass sein aktuelles Gewicht auf Aszites (“Bauchwasser“) beruht, d.h. wiederum Ausdruck seines dringlich ärztlicher Behandlung bedingenden Zustands ist.
8
2. Bei der Festsetzung der Genehmigungsdauer hat das Gericht die Ausführungen der Sachverständigen und den Umstand berücksichtigt, dass sich der Gesundheitszustand aufgrund des Krankheitsbildes bis zur erneuten Überprüfung nicht wesentlich bessern wird und daher hinsichtlich der Unterbringung in der Pflegeeinrichtung die gesetzliche Höchstfrist von zwei Jahren ausgeschöpft. Die Unterbringung im Krankenhaus ist hingegen nur bis zur Herstellung eines hinreichenden körperlichen Gesundheitszustands erforderlich.
9
3. Die Entscheidung über die Erlaubnis zur Gewaltanwendung sowie zum Öffnen, Betreten und Durchsuchen der Wohnung des Betreuten beruht auf § 326 Abs. 2, Abs. 3 FamFG.
10
Sie war erforderlich, weil der Betreute angekündigt hat, keinesfalls freiwillig sein Haus zu verlassen, um sich in ein Krankenhaus bzw. in eine Pflegeeinrichtung zu begeben.
11
4. Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit beruht auf § 324 Abs. 2 Satz 1 FamFG.