Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 30.05.2023 – 203 StRR 149/23
Titel:

Mindestanforderung an die Urteilsgründe

Normenketten:
StGB § 267, § 269
StPO § 318
Leitsätze:
1. Lassen die Feststellungen des Amtsgerichts die Beurteilung, ob ein vom Angeklagten hergestelltes Schriftstück unter den Urkundenbegriff von § 267 StGB zu fassen ist, nicht zu, erweist sich eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch als unwirksam. Allein die Bereitschaft des Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zu einer für eine Verurteilung hinreichenden Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts. (Rn. 4)
2. Alleine ein elektronisches Speichern einer manipulierten Urkunde genügt nicht, um den Tatbestand von § 269 Abs. 1 StGB zu erfüllen. Es bedarf vielmehr in diesem Fall weiterer Feststellungen zur beabsichtigten Verwendung der Datensätze als Beweisdaten bei der Verarbeitung im Rechtsverkehr. (Rn. 12)
Schlagworte:
Berufung, Beschränkung, Rechtsfolgenausspruch, Feststellungen, Urteilsgründe, Fälschung beweiserheblicher Daten, Urkundenfälschung, elektronische Speicherung, manipulierte Urkunde, Meisterprüfungszeugnis
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 12.12.2022 – 22 Ns 905 Js 146475/20
Fundstellen:
StV 2024, 654
BeckRS 2023, 44774
LSK 2023, 44774

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 12. Dezember 2022 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Erlangen hat den Angeklagten am 7. April 2022 wegen Urkundenfälschung in 39 Fällen sowie wegen Fälschung beweiserheblicher Daten in 20 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren vier Monaten verurteilt und einen Betrag von 52.500 Euro eingezogen. Hiergegen hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt und sein Rechtsmittel in der Hauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Urteil vom 12. Dezember 2022 den Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wird, und die weitergehende Berufung als unbegründet verworfen.
2
Gegen dieses Urteil richtet sich die frist- und formgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung des formellen und sachlichen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft M. hat die Verwerfung der Revision als unbegründet beantragt.
II.
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Die gemäß §§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO zulässige Revision des Angeklagten hat mit der erhobenen Sachrüge jedenfalls vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen (§ 349 Abs. 2, § 353 Abs. 1 und 2 StPO) und zur Zurückverweisung der Sache (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). Denn das Landgericht ist rechtsfehlerhaft von der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch gemäß § 318 StPO ausgegangen, ohne weitere Feststellungen zum Tatvorwurf zu treffen. Dies hat das Revisionsgericht aufgrund der Sachrüge von Amts wegen zu prüfen, weil im Falle der Unwirksamkeit der Beschränkung die Berufungskammer als Tatsacheninstanz eigene Feststellungen zum Schuldspruch hätte treffen müssen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18. März 2021 – 202 StRR 19/21, juris Rn. 3).
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1. Eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist grundsätzlich zulässig. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so knapp sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen und die erstinstanzlichen Feststellungen deshalb keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts sein können (st. Rspr., grundlegend BGHSt 62, 155, juris Rn. 20 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 66. Aufl. § 318 Rn. 16 ff.; KK/Paul StPO 9. Aufl. § 318 Rn. 7 ff., jeweils m.w.N.). Eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist auch dann unwirksam, wenn unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (BGHSt 62, 155 a.a.O.; Senat, Beschluss vom 9. Februar 2023 – 203 StRR 497/22-zur Veröffentlichung vorgesehen; BayObLG, Beschluss vom 26. Februar 2020 – 202 StRR 4/20 –, juris Rn. 4). Allein die Bereitschaft des Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, entbindet das Gericht nicht von der Pflicht zur Aufklärung und Darlegung des Sachverhalts, soweit dies für den Tatbestand der dem Angeklagten vorgeworfenen Gesetzesverletzung erforderlich ist (BGH, Beschluss vom 9. März 2011 – 2 StR 428/10 –, juris Rn. 3 m.w.N.).
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2. Nach den vom Landgericht übernommenen Feststellungen des Amtsgerichts erstellte der Angeklagte in insgesamt 39 Fällen zum einen auf der Grundlage eines Ersatzzeugnisses eines Meisterprüfungszeugnisses im Zeitraum vom 14. Mai 2020 bis 21. Mai 2021 für andere Personen gegen Bezahlung Meisterprüfungszeugnisse und Meisterbriefe, die angeblich von Handwerkskammern ausgestellt waren. Die Meisterprüfungszeugnisse waren „geeignet“, eine bestandene Meisterprüfung vorzutäuschen, und wurden bei verschiedenen Handwerkskammern vorgelegt. Der Angeklagte stellte darüber hinaus weitere Urkunden für andere Handwerke her, zudem Sprachzertifikate, die „geeignet“ waren, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und ähnlichen Stellen zur Täuschung über erlangte Deutschkenntnisse vorgelegt zu werden. Des weiteren wurden zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt insgesamt 20 „gefälschte Urkunden“ auf digitalen Speichermedien des Angeklagten „gefunden“. An diese Feststellungen schließt sich jeweils eine mehrspaltige Tabelle an. Dort wird in einer Spalte die Urkundenart und in einer weiteren Spalte der Name des Inhabers, bei den gespeicherten Bescheinigungen zudem der Auffindeort angegeben.
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Das Landgericht hat darüber hinaus die Meisterprüfungszeugnisse als „nicht leicht“ zu erkennende Fälschungen beurteilt (Urteil S. 10) und im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt, dass sich der Angeklagte „professionell ausgerüstet“ und neben eines als Vorlage dienenden Originalzeugnisses auch Stempel besorgt hatte (Urteil S. 11).
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3. Diese Feststellungen genügen nicht, um den Schuldspruch wegen 39 Fällen der Urkundenfälschung und 20 Fällen der Fälschung beweiserheblicher Daten zu tragen.
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a) Grundsätzlich ist es dem Tatrichter nicht verwehrt, bei einer Vielzahl von Straftaten, die denselben Tatbestand erfüllen, davon abzusehen, die konkreten Sachverhalte der Einzeltaten ausführlich mitzuteilen, und diese stattdessen in einer Liste zusammenzufassen, in der die jeweiligen Taten individualisiert werden, sofern die Taten in allen wesentlichen tatsächlichen Umständen, die den Tatbestand erfüllen, gleich gelagert sind (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2011 – 2 StR 428/10 –, juris Rn. 6). Die Urteilsgründe müssen jedoch auch bei gleichgelagerten Sachverhalten so abgefasst werden, dass sie erkennen lassen, welche der festgestellten Tatsachen den einzelnen Tatbestandsmerkmalen zuzuordnen sind und sie ausfüllen können (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2009 – 5 StR 171/09 –, juris Rn. 5 m.w.N.).
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b) Diesen Vorgaben werden die Feststellungen zu den Taten auch in der Zusammenschau mit den weiteren Urteilsgründen hier nicht gerecht. Denn den Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, ob die vom Angeklagten entworfenen Exemplare der manipulierten Schriftstücke in jedem Einzelfall den Begriff der Urkunde nach § 267 Abs. 1, § 269 Abs. 1 StGB erfüllten.
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aa) Urkunden im Sinne von § 267 Abs. 1 StGB sind verkörperte Erklärungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lassen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 19. Februar 1953 – 3 StR 896/52, BGHSt 4, 60, 61, und vom 11. Mai 1971 – 1 StR 387/70, BGHSt 24, 140, 141). Einer bloßen Fotokopie ist, sofern sie nach außen als Reproduktion erscheint, mangels Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers demgegenüber kein Urkundencharakter beizumessen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2011 – 2 StR 428/10 –, juris Rn. 10 m.w.N.). Entsprechendes gilt für Ausdrucke von fotografierten oder gescannten Dokumenten. Auch sie stellen nicht ohne weiteres unechte oder gefälschte Urkunden dar (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 5 StR 488/09 –, juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 9. März 2011 – 2 StR 428/10 –, juris; BayObLG NJW 1989, 2553, 2554; Zieschang in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 267 Rn. 128 m.w.N.). Zwar kann im Wege computertechnischer Maßnahmen wie der Veränderung eingescannter Dokumente eine (unechte) Urkunde hergestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 5 StR 488/09 –, juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 28. Juli 1999 – 5 StR 684/98 –, juris). Dafür muss die Reproduktion jedoch den Anschein einer von einem bestimmten Aussteller herrührenden Gedankenäußerung vermitteln, also einer Originalurkunde so ähnlich sein, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 5 StR 488/09 –, juris Rn. 8; BayObLG NJW 1989, 2553, 2554).
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bb) Die knappen Feststellungen des Amtsgerichts lassen diese Beurteilung nicht zu. Es fehlen hinreichende Ausführungen zur Gestaltung sowohl der vom Angeklagten digital gespeicherten als auch der in Papier gefertigten Bescheinigungen (vgl. zum Erfordernis der Beschreibung BayObLG, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 202 StRR 71/22 –, juris; beispielhaft auch BGH, Beschluss vom 28. Juli 1999 – 5 StR 684/98 –, juris). Weder die (Meisterprüfungs-)Zeugnisse noch die Handwerkskarte, die Bescheinigungen für das Sicherheitsgewerbe und für fachliche Eignung für „Taxien“ und Mietwägen, die Sprachzertifikate, der Sprachnachweis oder das Sicherstellungsprotokoll werden beschrieben. Bezüglich der Meisterprüfungszeugnisse ist das Landgericht zwar zu dem Ergebnis gekommen, sie wären als Fälschung „nicht leicht“ zu erkennen gewesen. Eine Tatsachengrundlage, die diese Beurteilung rechtlich nachvollziehen ließe, ist den Ausführungen des Tatrichters jedoch nicht zu entnehmen. Bezüglich der Handwerkskarte, der Bescheinigungen für das Sicherheitsgewerbe und für fachliche Eignung für „Taxien“ und Mietwägen, der Sprachzertifikate und dem Sprachnachweis bleibt auch der Aussteller im Dunkeln. Ausführungen zum Herstellungsprozess, der verlässliche Rückschlüsse auf das Erscheinungsbild der Bescheinigungen zulassen würde (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28. Juli 1999 – 5 StR 684/98 –, juris), finden sich in den Urteilsgründen nicht. Inwieweit die vom Angeklagten erstellten Bescheinigungen für das Sicherheitsgewerbe und für fachliche Eignung für „Taxien“ und Mietwägen, die Sprachzertifikate, der Sprachnachweis, das Sicherstellungsprotokoll oder die Handwerkskarte jeweils die typischen Authentizitätsmerkmale wie etwa Stempel, Unterschriften und spezielle Papierart aufwiesen, die die jeweiligen Bescheinigungen prägen, bleibt offen. Welche Veränderungen der Angeklagte an dem Sicherstellungsprotokoll vorgenommen haben soll, erschließt sich ebenfalls nicht. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass einzelnen vom Angeklagten erstellten Schriftstücken als erkennbare Reproduktion kein Urkundencharakter beizumessen war. Besonders augenscheinlich ist das Fehlen der erforderlichen Feststellungen etwa im Falle eines Sprachzertifkats, ausgestellt für „unbekannt“ (Urteil Ordnungsziffer II 1 Nr. 36) und des polizeilichen Sicherstellungsprotokolls (Urteil Ordnungsziffer II 2 Nr. 1).
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cc) Soweit das Amtsgericht den Angeklagten wegen der Fälschung beweiserheblicher Daten verurteilt hat, ist darauf hinzuweisen, dass alleine das vom Tatrichter festgestellte elektronische Speichern einer manipulierten Urkunde nicht genügt, um den Tatbestand von § 269 Abs. 1 StGB zu erfüllen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 5 StR 488/09 –, juris Rn. 13 zu einem gespeicherten manipulierten notariellen Kaufvertrag; OLG Hamburg, Beschluss vom 7. August 2018 – 2 Rev 74/18 –, juris zu einem manipulierten ärztlichen Attest; vgl. auch Erb in MüKoStGB, 4. Aufl., § 269 Rn. 44). Es hätte vielmehr weiterer Feststellungen zur beabsichtigten Verwendung der Datensätze als Beweisdaten bei der Verarbeitung im Rechtsverkehr bedurft (vgl. dazu Gercke in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 269 StGB Rn. 7; Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2. Auflage 2017 § 269 Rn. 7; Fischer StGB 70. Aufl., § 269 Rn. 4; vgl. Erb a.a.O. Rn. 25, 42, 44).
13
Das Landgericht hätte somit nicht von einer zulässigen Beschränkung der Berufung ausgehen dürfen und eigene Feststellungen zu den genauen Umständen der Herstellung der Bescheinigungen, aber auch zum jeweiligen Datum der Speicherung sowie der Verwendung der Daten treffen müssen. Der neue Tatrichter wird zudem die vom Landgericht übergangene Anwendbarkeit von § 46b StGB zu erörtern haben.
III.
14
Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers ist auf die Revision des Angeklagten das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Die Entscheidung ergeht durch einstimmigen Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO.