Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 30.10.2023 – 203 StObWs 290/23
Titel:

Verhängung von Disziplinarmaßnahmen bei Abschiebehaft

Normenketten:
Rückführungs-RL Art. 16
StVollzG § 102 Abs. 1, § 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei der Einrichtung für Abschiebungshaft H. – Außenstelle der Justizvollzugsanstalt H. – handelt es sich um eine spezielle Hafteinrichtung i.S.v. Art. 16 der RL 2008/115/EG. (Rn. 24 – 34)
2. Das in den §§ 102 bis 107 StVollzG geregelte Disziplinarrecht ist aufgrund der Verweisung in § 171 StVollzG für den Vollzug von Zurückweisungshaft (§ 15 AufenthG) oder Abschiebungshaft (§ 62 AufenthG) anwendbar, nachdem weder die Eigenart, noch der Zweck dieser Haftarten der Heranziehung der Disziplinarvorschriften entgegenstehen. (Rn. 35 – 39)
1. Hinsichtlich des Rechtswegs zu den Strafvollstreckungskammern und dem Bayerischen Obersten Landesgericht ist weder in § 62a AufenthG eine abweichende Bestimmung vorhanden noch steht die Eigenart oder der Zweck der Haftvorschriften deren Heranziehung entgegen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Während die resozialisierende Funktion, welche den Disziplinarmaßnahmen im Übrigen zukommt, bei Zurückweisungs- und Abschiebungshaft keine Rolle spielt, ist die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auch in Anstalten für Zurückweisungs- und Abschiebehaft von zentraler Bedeutung. Disziplinarmaßnahmen erfüllen generalwie spezialpräventive Zwecke und sind auch in Haftanstalten, die in der Gestaltung ihres äußeren Vollzugsrahmens dem Abstandsgebot zum Strafvollzug genügen müssen, geeignet und nötig, die Anstaltssicherheit und Anstaltsordnung zu gewährleisten. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme stellt eine strafähnliche Sanktion dar, für die der aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schuldgrundsatz gilt. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschiebehaft, Haftanstalt, spezielle Hafteinrichtung, Disziplinarrecht, Disziplinarmaßnahme, Rechtsweg, Strafvollstreckungskammer, Einschluss
Vorinstanz:
LG Hof, Beschluss vom 09.03.2023 – StVK 25/23 , StVK 26/23
Fundstellen:
StV 2024, 693
LSK 2023, 44762
BeckRS 2023, 44762

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hof vom 09.03.2023 wird auf seine Kosten unter Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 500,00 € als unbegründet verworfen.
2. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich mit seiner Rechtsbeschwerde vom 11.04.2023, eingegangen am selben Tage, gegen den am 09.03.2023 zugestellten Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hof vom 09.03.2023, mit welchem sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 25.01.2023 zurückgewiesen wurde. Der Antragsteller, der sich von 04.07.2022 bis 16.03.2023 in der Einrichtung für Abschiebungshaft H. – Außenstelle der Justizvollzugsanstalt H. – in Zurückweisungshaft befand, hält zwei gegen ihn verhängte und vollzogene Disziplinarmaßnahmen für rechtswidrig.
2
Weil der Antragsteller am 06.01.2023 um 19:00 Uhr den Einschluss wegen der vorangegangenen Nichtöffnung der Zigarettenausgabestelle am Feiertag verweigert habe, hat die Antragsgegnerin einen halben Monat Entzug der Verfügung über Hausgeld und Einkauf gemäß § 103 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG verhängt, der vom 16.01.2023 bis zum 31.01.2023 vollzogen wurde.
3
Die zweite Sanktionierung beruhte darauf, dass am 10.01.2023 im Zimmer des Antragstellers ihm ärztlicherseits verordnete, unter Aufsicht einzunehmende, aber nicht eingenommene Medikamente (Psychopharmaka) aufgefunden wurden, nämlich neun Tabletten Mirtazapin (30 mg) und vier Tabletten Bromazepam (6 mg). Die Antragsgegnerin hat eine Woche getrennte Unterbringung während der Freizeit gemäß § 103 Abs. 1 Nr. 5 StVollzG verhängt, welche vom 13.01.2023 bis 19.01.2023 vollzogen wurde.
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Der Antragsteller hat sich am 25.01.2023 gegen diese Disziplinarmaßnahmen mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung und einem nicht mehr relevanten Eilantrag gewendet. Bei der Abschiebehaftanstalt handele es sich nicht um eine spezielle Hafteinrichtung nach europarechtlichen Vorgaben. Im Übrigen sei der Zimmerarrest aufgrund des freiheitsentziehenden Charakters europarechtswidrig und unverhältnismäßig gewesen. Bei der Medikamentenabgabe habe es sich nicht um eine kontrollierte Überwachung gehandelt. Die Einnahme sei medizinisch freigestellt und nur für den Fall der Schlaflosigkeit vorgesehen gewesen. Er beantragte zuletzt mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 08.03.2023 die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Disziplinarmaßnahmen.
5
Die Vollzugsbehörde hat zu dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Schreiben vom 17.02.2023 Stellung genommen:
6
Hinsichtlich des Vorfalles am 06.01.2023 führte die Abschiebehafteinrichtung aus, dass der Antragsteller bislang auf freiwilliger Basis als Hausarbeiter für Reinigungsarbeiten in der Abschiebehaftabteilung mit Vorbildfunktion eingesetzt gewesen sei. Die Nichtausgabe von Tabak habe nicht nur ihn, sondern auch die anderen Abschiebungsgefangenen betroffen. Sein Unverständnis über die Nichtausgabe von Tabak hätte er gegenüber den Stationsbediensteten in anderer, angemessener Form kundtun können. Stattdessen habe er sich nicht an deren Anweisungen gehalten, unverzüglich in sein Zimmer zu gehen, sondern den Einschluss verweigert. Um nicht noch die Sicherheit und Ordnung bei der Fortführung des Einschlusses zu gefährden, habe er noch kurz in den Aufenthaltsraum verbracht werden müssen, bis alle verfügbaren Bediensteten zur Verfügung standen, um dann auch bei ihm den Einschluss durchführen zu können. Das Verhalten des Antragstellers habe eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Ordnung in der Einrichtung dargestellt, insbesondere weil sich auch durch seine hervorgehobene Stellung als Hausarbeiter leicht ein Nachahmeffekt bei anderen Abschiebungsgefangenen im Sinne einer Solidaritätsbekundung hätte entwickeln können. Außerdem stelle die Einschlussverweigerung unter Beachtung gruppendynamischer Prozesse ein nicht unerhebliches Sicherheitsrisiko mit etwaigem Aufforderungscharakter gegenüber Mitgefangenen zur Nachahmung dar. Insbesondere in einer Einrichtung für Abschiebungshaft mit erheblichen Sprachbarrieren und unterschiedlichstem kulturellem Verständnis, das sich auch in Form geringen Respektes gegenüber waffenlosen Uniformträgern äußern könne, bestünde stets ein erhöhtes Risiko, sich Vorgaben und Anweisungen der Stationsbediensteten zu widersetzen. Dass am Feiertag gegen 19 Uhr die Anstaltsleitung nicht zu sprechen gewesen sei, rechtfertige nicht eine Einschlussverweigerung, um eine sofortige Bedürfnisbefriedigung zu erlangen.
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Bezüglich der aufgefundenen Medikamente habe der Antragsteller diese nicht ordnungsgemäß eingenommen, obwohl die Einnahme eigentlich unter Aufsicht erfolgt sei. Daraus sei wiederum zu schließen, dass der Antragsteller über mehrere Tage unerlaubt Tabletten gehortet und letztlich an mindestens neun Tagen eine Tabletteneinnahme vorgespielt habe. Folge wäre dann gewesen, dass er zum nächstmöglichen Termin der Anstaltsärztin vorgestellt worden wäre, damit diese eine Neubewertung der Verordnung hätte vornehmen können. Durch das Horten von Medikamenten seien unerlaubter Medikamentenhandel oder auch Vorbereitungen für etwaige spätere suizidale Handlungen zu befürchten gewesen, zumal der Antragsteller bereits vom 21.12. bis zum 27.12.2022 während einer labilen psychischen Phase und damit einer nicht gänzlich auszuschließenden Suizidgefahr zu seiner eigenen Sicherheit in einem kameraüberwachten Einzelzimmer unterbracht worden sei. Die Nichteinnahme und das Sammeln von verschriebenen Medikamenten gefährde die Gesundheit und schaffe zugleich Risiken, in einer psychisch labilen Phase gegebenenfalls Medikamente im Übermaß einzunehmen, um hierdurch einen lebensbedrohlichen Zustand herbeizuführen oder auf Anfrage von Mitgefangenen gegebenenfalls unerlaubt Medikamente ohne ärztliche Verordnung weiterzugeben, eventuell noch zusätzlich verbunden mit einer Gegenleistung. Hierdurch könnten Abhängigkeiten von Gefangenen untereinander begünstigt werden, die ebenfalls die Sicherheit und Ordnung und das geordnete Zusammenleben in der Einrichtung gefährdeten. Letztlich ginge mit derartigem Fehlverhalten ein deutlich erhöhtes Sicherheitsrisiko für die gesamte Einrichtung, die Mitgefangenen und die Bediensteten einher. Eine Nichtahndung könne andere Gefangene dazu verleiten, dieses Fehlverhalten nachzuahmen in der fälschlichen Annahme, dies sei legitim.
8
Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Beschluss vom 09.03.2023 auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen und den Wert des Verfahrensgegenstandes auf 500,00 € festgesetzt.
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Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hof hat ihre Zuständigkeit nach Art. 2a Abs. 2 AGAufenthG, § 422 Abs. 4 FamFG, § 62a AufenthG, §§ 171, 110 StVollzG angenommen. In der Sache sei der Antrag auf gerichtliche Entscheidung unbegründet. Der nach Erledigungseintritt nur noch zu verbescheidende Feststellungsantrag habe keinen Erfolg. Zwar bestehe das berechtigte Interesse des Antragstellers an einer diesbezüglichen Feststellung, insbesondere vor dem Hintergrund einer Wiederholungsgefahr. Jedoch seien die disziplinarischen Ahndungen aufgrund der vorliegenden Pflichtverletzungen des Antragstellers zulässig gewesen. Ermessensfehler bei der Wahl der Sanktionen hätten nicht festgestellt werden können. Vom Antragsteller sei nicht bestritten worden, dass er sich am 06.01.2023 geweigert habe, um 19:00 Uhr in sein Zimmer zu gehen, und dass er am 10.01.2023 Medikamente in seinem Zimmer aufbewahrt habe, die eigentlich für die sofortige Einnahme vorgesehen waren.
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Im Einzelnen ging die Strafvollstreckungskammer davon aus, dass es sich bei der Abschiebehafteinrichtung in H. um eine spezielle Hafteinrichtung im Sinne des § 62a AufenthG handele. Sie bezog sich hinsichtlich der Haftbedingungen auf die nachfolgende Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt H. vom 17.02.2023:
„Spezielle Hafteinrichtung i.S.d. Art. 16 Abs. I der Richtlinie“:
Art. 28 IV der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26.06.2013 (Dublin Ill) i.V.m. Art. 10 der RL 2013/33/EU vom 26.06.2013 schreibt zunächst vor, dass Strafgefangene und Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, zu trennen sind und vorrangig in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen sind (Art. 10 Abs. 1 UA 1). Dies ist vorliegend in der Einrichtung für Abschiebungshaft H. im Sinne von § 62a Abs. 1 Satz 1 AufenthG der Fall, da diese Einrichtung eigens zum Zweck des Vollzugs von Abschiebungshaft geplant, errichtet und im Oktober 2021 in Betrieb genommen wurde und hier ausschließlich Abschiebungsgefangene und keine Strafgefangenen untergebracht sind.
Eine Trennung von Abschiebungsgefangenen und Gefangenen der benachbarten Justizvollzugsanstalt H. ist durch bauliche sowie organisatorische Maßnahmen gewährleistet.
So grenzt das noch ungenutzte und unbebaute Freigelände der Einrichtung für Abschiebungshaft H., das für Abschiebungsgefangene nicht zugänglich ist, an der Westseite direkt an die Anstaltsmauer der benachbarten Justizvollzugsanstalt. Das Unterkunftsgebäude der Einrichtung für Abschiebungshaft H. befindet sich im östlichen Teil des Abschiebungshaftgrundstückes.
Art. 10 Abs. 1 UA 2 postuliert sodann, dass Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, – so weit möglich – getrennt von anderen Drittstaatsangehörigen, die keinen Antrag gestellt haben, unterzubringen sind. Diese Regelung wird durch UA 3 dahingehend konkretisiert, dass – sollte eine getrennte Unterbringung nicht möglich sein – die in der RL 2013/33/EU vorgesehenen Haftbedingungen gewährt werden müssen.
Die Haftbedingungen in der Einrichtung für Abschiebungshaft H. sind für alle Abschiebungsgefangenen an den Mindestbestimmungen der RL 2013/33/EU ausgerichtet:
Die Abschiebungsgefangenen genießen weitreichende Aufschlusszeiten von 9:00 – 19:00 Uhr (montags bis freitags), an den Wochenenden bzw. Feiertagen ist Aufschluss bereits ab 8:00 Uhr morgens, jeweils nur unterbrochen von einem einstündigen Mittagseinschluss, damit das Mittagessen in den Zimmern in Ruhe eingenommen werden kann.
Großzügige Möglichkeiten zum Aufenthalt in den Freistundenhöfen von täglich bis zu zwei Stunden, die mit Allwetter-Tischtennisplatten und verschiedenen Sitzgelegenheiten ausgestattet sind, sowie Freizeit- und Gesprächsangebote des pädagogischen und psychologischen Dienstes, des Sozialdienstes und der Seelsorger, wie z.B. Sportangebote, Bücherausleihe, Spiele- / bzw. Kochgruppe, religiöse Einzel- und Gruppenangebote sowie Einzelgespräche nach Bedarf sind vorhanden (vgl. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie).
Darüber hinaus haben die Abschiebungsgefangenen die Möglichkeit, täglich 30 Min. weltweit kostenlos mit bis zu zehn frei wählbaren Telefongesprächspartnern ihrer Wahl zu telefonieren, zudem kostenfrei Videotelefonie zu nutzen, des Weiteren von privaten Bezugspersonen ohne zeitliche monatliche Gesamtobergrenze besucht zu werden und auf Kosten der Einrichtung 60 TV-Sender in verschiedenen Sprachen rund um die Uhr zu empfangen.
Zusätzlich zum Besuch von privaten Kontaktpersonen sind Mandantengespräche durch Rechtsanwälte, Verteidiger oder sonstige Rechtsberater möglich (vgl. Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie).
Mitglieder von Flüchtlingsberatungsorganisationen, wie z.B. des „Jesuiten-Flüchtlingsdienstes“ und des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft H. e.V.“ kommen bis zu zweimal wöchentlich zur Beratung der Abschiebungsgefangenen in die Einrichtung für Abschiebungshaft H..
Aktuell haben sich auch noch Mitglieder der „RLCR“ – „R. L. C. R.“ erfolgreich um eine Beratungstätigkeit beworben. Das hierzu erforderliche Zulassungsprozedere konnte im Januar 2023 abgeschlossen werden. Informationen zum Vollzug der Abschiebungshaft erhalten die Abschiebungsgefangenen durch mehrsprachige Aushänge in den Abteilungen, teils ergänzt mit Bildmaterial und durch eine Hausordnung mit Piktogrammen. Tragbare Übersetzungsgeräte und mobile Videodolmetschergeräte erleichtern zudem die Verständigung zwischen Einrichtungspersonal und Abschiebungsgefangenen.
Im Sinne von Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie können entsprechende Organisationen jederzeit Zutritt zur Einrichtung für Abschiebungshaft H. verlangen.
Die Abschiebungsgefangenen werden durch verschiedene Fachdienste und das Personal des allgemeinen Vollzugsdienstes betreut. Es stehen bis zu drei Sozialarbeiter und bis zu zwei Psychologen zur Krisenintervention sowie zur Hilfe bei allgemeinen Fragen zur Verfügung. Bis zu zwei pädagogische Fachkräfte unterstützen vorwiegend mit Gruppenangeboten. Die Seelsorger bieten weitere Unterstützung an.
Der medizinische Dienst ist täglich, im Regelfall 24 h, anwesend, die Anstaltsärztin tagsüber von montags bis freitags. Zusätzlich erfolgt die Versorgung durch Vollzugsbedienstete, in medizinischen Notlagen durch den Vertretungsarzt oder den Notarzt. Im Bedarfsfall kann nach Ermessen des Krankenpflegedienstes auch die hier installierte sog. „Video-Clinic“, eine videounterstützte medizinische Online-Beratung durch Fachärzte, in Anspruch genommen werden.
Bei Notwendigkeit einer stationären (Klinik-)Einweisung stehen bei somatischen Auffälligkeiten das örtliche A.-Krankenhaus (S.-Klinik) bzw. in psychiatrischen Problemlagen die ortsnahe Bezirksklinik in R. zur Verfügung.
Zum Thema „Eingeschränkter Außenkontakt der Gefangenen“:
In der Einrichtung für Abschiebungshaft H. können die Abschiebungsgefangenen innerhalb des Besuchsrahmens grundsätzlich zeitlich unbeschränkt, d.h. ohne monatliche Gesamtobergrenze, Besuch empfangen. Der Besuchsrahmen umfasst folgende Zeitfenster:
Montag – Freitag vormittags 9:15 – 10:15 Uhr und 10:30 – 11:30 Uhr nachmittags: 13:00 – 14:00 Uhr und 14:15 – 15:15 Uhr Wochenende, Feiertag nur vormittags: 9:15 – 10:15 Uhr und 10:30 – 11:30 Uhr.
Eine akustische Überwachung der Besuche findet nicht statt.
Zudem können die Abschiebungsgefangenen in der Einrichtung für Abschiebungshaft H. über das in jedem Zimmer installierte Kommunikationssystem 30 Minuten täglich mit bis zu zehn registrierten Telefongesprächspartnern ihrer Wahl weltweit kostenfrei telefonieren, zudem besteht auf Antrag die Möglichkeit zur Videotelefonie. Im begründeten Einzelfall können den Abschiebungsgefangenen über den Sozialdienst zusätzliche Telefonate bewilligt werden.
Der Besitz von Smartphones oder Laptops ist nicht gestattet. Die Aushändigung privater Mobilfunkgeräte wäre mit einer erheblichen Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Einrichtung für Abschiebungshaft verbunden. Nicht jede(r) Abschiebungsgefangene(r) verfügt über ein (funktionsfähiges) Mobilfunkgerät. In gleicher Weise verhält es sich mit etwaigem Telefonguthaben oder Flatrates, insbesondere für häufig stattfindende Telefonate ins Ausland. Würde ein Teil der Abschiebungsgefangenen während der Inhaftierung über teils hochpreisige Mobiltelefone und entsprechende Telefonmöglichkeiten verfügen, würde dies absehbar Begehrlichkeiten bei anderen Abschiebungsgefangenen wecken. Die Gefahr von Auseinandersetzungen, Abhängigkeitsverhältnissen und unerlaubten Geschäften zwischen den Abschiebungsgefangenen würde deutlich erhöht. Durch das Verbot wird dieser Gefahr entgegengewirkt und ein friedliches Miteinander in der Einrichtung gefördert.
Sowohl die örtliche Lage als auch die baulichen Gegebenheiten der Einrichtung für Abschiebungshaft H. (Stahlbeton-Massivbauweise, starker Abschirmungseffekt von [Mobil-]Funkstrahlen) beeinträchtigen den Mobilfunkempfang. Folglich wäre der telefonische Kontakt mittels ausgehändigter privater Smartphones je nach Gerät/Mobilfunkanbieter/ Zielland sehr eingeschränkt oder überhaupt nicht möglich.
Der Gebrauch von Laptops wurde noch nicht nachgefragt. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass nur äußerst wenige Abschiebungsgefangene über ein solches elektronisches Gerät verfügen. Im Übrigen verweise ich hierzu ebenfalls auf die eingeschränkten Empfangsmöglichkeiten mobiler Daten sowie die Gefährdung der Sicherheit und Ordnung der Einrichtung, die mit einer Aushändigung verbunden wäre.
Zum Thema „Vergitterung der Fenster“:
Die Fenster sind mit horizontal verlaufenden Stäben versehen, nicht horizontal/vertikal vergittert im eigentlichen Wortsinn. Der Eindruck einer massiven Vergitterung, wie er z.B. in der Justizvollzugsanstalt H. besteht, wird in der Einrichtung für Abschiebungshaft H. nicht vermittelt. Neben dem Ausbruchsschutz dienen diese Horizontalstäbe dem Schutz vor einem Sturz aus dem Fenster in suizidaler oder selbstverletzender Absicht, da das Unterkunftsgebäude über fünf Etagen verfügt und damit eine erhebliche Höhe aufweist.
Lediglich an der Fensterfront der Zugangs- und Sicherheitsabteilung im Erdgeschoss, in deren Zimmern sich Abschiebungsgefangene in der Regel nur für den Zeitraum der fünftägigen Zugangsphase aufhalten, ist zusätzlich ein Vorsatzgitter angebracht, um ein etwaiges Hochklettern an der Fenster-/Fassadenfront von Personen, die sich während des bis zu zweistündigen Aufenthalts im Freien (Freistundenhof) bewegen, auszuschließen.
Zum Thema „Aufschlusszeiten – Möglichkeiten, sich frei zu bewegen“:
Aufschluss ist in der Zeit von montags bis freitags von 9:00 – 19:00 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen bereits ab 8:00 Uhr- 19:00 Uhr, jeweils inclusive eines einstündigen Ordnungseinschlusses über die Mittagszeit, damit die Abschiebungsgefangenen in Ruhe ihre Hauptmahlzeit einnehmen können.
Den üblichen Gepflogenheiten folgend, wonach es üblich ist, sich im Laufe des Abends zusehends aus dem „öffentlichen Leben“ in die „eigenen vier Wände“ zurückzuziehen, unterstützt der Abendeinschluss um 19:00 Uhr dieses „Zur-Ruhekommen“ in der Einrichtung für Abschiebungshaft.
Zudem finden Telefonate der Abschiebungsgefangenen mit ihren Telefongesprächspartnern unter Berücksichtigung von Zeitverschiebungen je nach Herkunftsland auch in den Abendstunden statt. Eine ruhige Umgebung, so wie sie für Telefonate in ferne Länder aufgrund möglicher verminderter Sprachübertragungsqualität erstrebenswert ist, wird durch den Abendeinschluss um 19:00 Uhr ebenfalls begünstigt, so dass sich die Gefangenen selbst bei schlechter Telefonverbindungsqualität noch mit ihren Angehörigen verständigen können, was in erheblichem Maße auch zu einer Stabilisierung der Psyche der Abschiebungsgefangenen in dieser besonderen Situation beiträgt.
Während der Aufschlusszeiten können sich die Abschiebungsgefangenen je Etage in ihren jeweiligen abgetrennten Abteilungen (mit jeweils bis zu 17 Plätzen) auf großzügigen Begegnungsflächen mit angrenzenden Loggien frei bewegen. Bei Bedarf besteht die Möglichkeit einer Öffnung dieser beiden Abteilungen innerhalb einer Etage, wodurch sich eine zusätzliche Begegnungsmöglichkeit der Gefangenen ergeben kann. Ein gegenseitiger Besuch von Abschiebungsgefangenen zwischen einzelnen Etagen während der Aufschlusszeiten ist nicht möglich, da eine ganze Etage im Erdgeschoss und eine Teiletage im 2. Stock für neu ankommende Abschiebungsgefangene reserviert sind, eine Teiletage im 2. Stock den Frauen vorbehalten ist und weitere drei Etagen mit Männern belegt sind.
Es besteht täglich die Möglichkeit zu einem zweistündigen Aufenthalt im Freien. Das Freistundenareal, welches an bis zu drei Seiten von Außenwänden des AHE-Gebäudes und an der verbleibenden Freifläche von einem ca. 3 m hohen Ordnungszaun umgrenzt ist, ist mit einer Allwetter-Tischtennisplatte und verschiedenen Sitzgelegenheiten zum Verweilen ausgestattet.
Zum Thema „Kein Abschiebungshaftvollzugsgesetz in Bayern“:
Der Justizvollzug in Bayern vollzieht Abschiebungshaft in Amtshilfe für das originär zuständige Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration. Wird Zurückweisungshaft (§ 15 AufenthG) oder Abschiebungshaft (§ 62 AufenthG) im Wege der Amtshilfe vollzogen, gelten gemäß § 422 Abs. 4 FamFG die § 171, 173 bis 175 und 178 Abs. 3 StVollzG entsprechend, soweit in § 62 a AufenthG nichts Abweichendes bestimmt ist. § 171 StVollzG enthält wiederum einen weitgehenden Verweis auf die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes zum Vollzug der Freiheitsstrafe, soweit nicht Eigenart und Zweck der Haft entgegenstehen.
In diesem Zusammenhang wird noch ergänzend verwiesen auf Art. 2a Abs. 2 Satz 1 AGAufenthG, wonach auch für den Vollzug in speziellen Hafteinrichtungen § 422 Abs. 4 FamFG entsprechend gilt.
Der Vollzug der Abschiebungshaft in der Einrichtung für Abschiebungshaft H. erfolgt mithin nicht nach den Regelungen für den Vollzug der Straf- oder Untersuchungshaft, sondern grundsätzlich nach den Regelungen für den Vollzug von Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft. Folge ist etwa, dass Abschiebungsgefangenen, anders als Strafgefangenen, grundsätzlich das Recht zur Nutzung von Privatkleidung zusteht und sie nicht zur Arbeit verpflichtet sind. Soweit § 171 StVollzG auf Regelungen zum Vollzug der Freiheitsstrafe verweist, ist zu berücksichtigen, dass dieser Verweis nur gilt, soweit Eigenart und Zweck der Abschiebungshaft nicht entgegenstehen.
Zum Thema „Tragen eigener Kleidung“:
Das Tragen eigener Kleidung ist grundsätzlich gestattet. Allerdings muss hierzu aus hygienischen Gründen ein regelmäßiger Wäschetausch durch Dritte gewährleistet sein. Zudem bedarf es ausreichend mitgebrachter / vorhandener Kleidung. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass die Festgenommenen mit Ankunft in der Einrichtung für Abschiebungshaft H. im Regelfall nicht über ausreichend Zusatz-/Wechselkleidung verfügen und die Regelmäßigkeit und Anzahl an Besuchen von privaten Bezugspersonen je Abschiebungsgefangene(r) sehr gering ist, sodass bisher alle Abschiebungsgefangenen das Angebot der Anstaltskleidung (Jogginganzug) gerne in Anspruch genommen haben.
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Sodann hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt:
§ 56 StVollzG regelt den Gesundheitsschutz und sieht vor, dass der Gefangene notwendige Maßnahmen des Gesundheitsschutzes zu unterstützen hat.
§ 82 StVollzG normiert, dass sich der Gefangene nach der Tageseinteilung der Anstalt zu richten hat. Er darf durch sein Verhalten das geordnete Zusammenleben nicht stören (Abs. 1) und hat Anordnungen der Vollzugsbediensteten zu befolgen, auch wenn er sich durch diese beschwert fühlt. Einen ihm zugewiesenen Bereich darf er nicht ohne Erlaubnis verlassen (Abs. 2).
Dass diese Vorschriften vorliegend nicht anwendbar sind, weil Eigenart und Zweck der Haft – hier der Zurückweisungshaft – der Anwendung entgegenstehen, kann das Gericht nicht feststellen. Auch wenn der Antragsteller kein Strafhäftling ist, der für eine Tat geahndet wird, darf er sich nicht unbeschränkt frei bewegen und befindet sich deshalb in Haft. Um diese Haft sicherzustellen und zu vollziehen, bedarf es auch im Rahmen der Abschiebehaftanstalt gewisser Regularien, um einen geordneten Ablauf und Vollzug sicherstellen zu können. Dies betrifft insbesondere auch das geordnete Zusammenleben und den Gesundheitsschutz. Hausregeln, die die Einschlusszeiten umfassen, sind von den Gefangenen zu beachten und zu befolgen. Genauso sind ärztliche Anordnungen mit dem Ziel des Gesundheitsschutzes nicht zu unterlaufen.
Um dies effektiv oder überhaupt durchzusetzen, bedarf es Disziplinarmaßnahmen, so dass auch insofern auf den Verweis des § 171 StVollzG zurückgegriffen werden kann und muss. § 103 StVollzG regelt die einzelnen zulässigen Disziplinarmaßnahmen. Dabei sollen die zu beschränkenden oder zu entziehenden Befugnisse möglichst mit der Verfehlung im Zusammenhang stehen, § 103 Abs. 4 StVollzG. § 174 StVollzG bestimmt auch insofern nicht ausdrücklich etwas anderes, sondern gilt, sofern keine entsprechende Disziplinarmaßnahme greift.
Im Hinblick auf die Weigerung, die Einschlusszeiten zu beachten, war vom Antragsteller geplant, einen Einkauf zwangsweise durchzusetzen. Dass ihm hierfür als Sanktion der Einkauf für einen halben Monat versagt wird, ist insofern eine nachvollziehbare und hiermit in Zusammenhang zu bringende Sanktion. Dass er letztlich doch freiwillig ins Zimmer ging, war wohl dem Umstand geschuldet, dass ihm alle zur Verfügung stehenden Bediensteten gegenüber standen. Zuvor hatte er sich ausdrücklich hiergegen gewehrt bzw. sich verweigert. Nachdem die Verfügung über das Hausgeld und den Einkauf bis zu drei Monaten befristet ausgesprochen werden kann, hielt sich die insofern angeordnete Maßnahme bis zum Monatsende auch am unteren Rahmen des gesetzlich Möglichen.
In Bezug auf die getrennte Unterbringung während der Freizeit muss gesehen werden, dass die Abschiebehaftanstalt eine besondere Verantwortung für die Gesundheit der Gefangenen während ihrer Unterbringung in der Anstalt trägt. Sie muss sicherstellen, dass es nicht zu einer übermäßigen, die Gesundheit gefährdenden Einnahme von Medikamenten kommt. Diese Gefahr bestand hier jedoch, nachdem der Antragsteller selbst einräumte, teilweise mehr Tabletten eingenommen zu haben, als ihm ärztlich verordnet worden war. Zwar ist es richtig, dass eine Zwangsmedikation nicht zulässig ist. Dies berechtigt jedoch nicht, dass der Antragsteller ihm verordnete Medikamente zunächst nicht einnimmt, um sie später dann in einer Überdosis – weil gesammelt – zu sich zu nehmen. Dass er dies aber vorhatte, hat er selbst eingeräumt. Ansonsten würde es auch keinen Sinn ergeben, dass er sich die Tabletten geben ließ, ohne sie einzunehmen. Problemlos hätte der Antragsteller – sofern er die Medikamente nicht einnehmen wollte – deren Einnahme verweigern können. Ein Zwangsmedikation lag nicht vor. Nachdem auch das Absetzen von Psychopharmaka nur ärztlich überwacht erfolgen sollte, wäre der Antragsteller in diesem Fall umgehend der Anstaltsärztin vorgestellt worden, um eventuelle gesundheitliche Risiken und Schäden zu vermeiden.
Wiederum war aus gerichtlicher Sicht die angeordnete Woche des Entzuges über die getrennte Unterbringung während der Freizeit nicht unangemessen lang. Da grundsätzlich auch die Gefährdung Dritter durch die Weitergabe von gehorteten Medikamenten in Betracht zu ziehen war, war eine getrennte Unterbringung für eine begrenzte Zeit auch sachgerecht und nicht europarechtswidrig.
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Mit seiner Rechtsbeschwerde vom 11.04.2023 beantragt der Antragsteller die Aufhebung des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 09.03.2023 und die Feststellung, dass sowohl die Einkaufssperre als auch die getrennte Unterbringung rechtswidrig gewesen seien.
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Bereits die Heranziehung des Strafvollzugsgesetzes über die von der Strafvollstreckungskammer herangezogene Verweisungskette sei europarechtswidrig. Die Haftanstalt H. genüge nicht den europarechtlichen Vorgaben, wie sie der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 10.03.2022, C-519/22, formuliert habe. Die Unterbringung erfolge in gefängnisähnlicher Umgebung und zu Bedingungen, die für den Strafvollzug eingerichtet worden seien. Es fehle in Bayern ein Abschiebungshaft-Vollzugsgesetz; bei der Haftanstalt H. handele es sich nicht um eine spezielle Hafteinrichtung i.S.d. RL 2008/115/EG. Diese müsse sich von einer gewöhnlichen Haftanstalt im Blick auf den Zweck der Inhaftierung unterscheiden, da die illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen zu zwingen seien, sich in einem eingegrenzten, geschlossenen Bereich aufzuhalten, die vorhandene Umgebung allerdings nicht der Gefängnisumgebung, wie sie für Strafhaft kennzeichnend sei, gleichkommen solle. Die Rechtsbeschwerde verweist hierzu auf die zu kurzen Aufschlusszeiten von nur 9:00 Uhr bis 19:00 Uhr und die fehlende Nutzungsmöglichkeit von Smartphones und Notebooks. Die Rechtsbeschwerde benennt eine Entscheidung des Landgerichts Coburg vom 07.11.2022 (41 T 25/21), welche der Justizvollzugsanstalt E. die Eigenschaft einer speziellen Hafteinrichtung versagte und mit gesondertem Schriftsatz vom 06.09.2023 eine weitere Entscheidung des Landgerichts Coburg vom 22.08.2023 (41 T 9/23), welche auch der Justizvollzugsanstalt H. die entsprechenden Eigenschaften abspricht. Sodann stelle der Umstand, dass die nationalen Regelungen über die Strafvollstreckung – und sei es nur entsprechend – auf die Unterbringung von Drittstaatsangehörigen in Abschiebehaft anwendbar seien, ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass eine solche Unterbringung nicht in einer speziellen Hafteinrichtung i.S.V. Art. 16 der RL 2008/115/EG stattfinde. Sodann verstoße die Heranziehung der Disziplinarmaßnahmen nach dem Strafvollzugsgesetz gegen die RL 2008/115/EG. Hierzu wurde bereits im Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 25.01.2023 ausgeführt, dass der Abschiebungshaft jeglicher Sanktionscharakter fremd sei, so dass Disziplinarmaßnahmen sowohl zur Spezial-, als auch zur Generalprävention unzulässig seien.
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Die Rechtsbeschwerde regt diesbezüglich an, dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob die Anwendung des Disziplinarrechts nach dem Strafvollzugsgesetz mit den europarechtlichen Vorgaben vereinbar sei.
II.
15
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht (am Dienstag nach den Osterfeiertagen) eingelegt worden. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG sind ebenfalls gegeben, da eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Rechtsfortbildung (vgl. Arloth in: Arloth/Krä StVollzG, 5. Aufl., § 116 Rn. 3 m.w.N.; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., 12. Kapitel, Abschnitt J Rechtsbeschwerde, § 116 Rn. 4 m.w.N.) erforderlich ist.
III.
16
In der Sache hat die Rechtsbeschwerde des Antragstellers aber keinen Erfolg.
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Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hof in erster Instanz und des Bayerischen Obersten Landesgerichts als Rechtsbeschwerdegericht sind gegeben (unten Ziffer 1.). Sodann steht dem Senat für seine Entscheidung sowohl eine ausreichende Tatsachenplattform als auch eine europarechtlich hinreichend geklärte rechtliche Grundlage zur Verfügung (unten Ziffer 2.). Bei der Justizvollzugsanstalt H. handelt es sich um eine spezielle Hafteinrichtung nach der RL 2008/115/EG. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, würde es die Rechtmäßigkeit getroffener Disziplinarmaßnahmen nicht tangieren (unten Ziffer 3.). Das Disziplinarrecht des Strafvollzugsgesetzes ist aufgrund der Verweisung in § 171 StVollzG für den Vollzug von Zurückweisungshaft (§ 15 AufenthG) anwendbar (unten Ziffer 4.). Die beiden vorgenommenen disziplinarischen Ahndungen aufgrund der Vorfälle vom 06.01.2023 und vom 10.01.2023 sind auch im Einzelfall nicht zu beanstanden. Das bestehende Ermessen wurde fehlerfrei ausgeübt (unten Ziffer 5.).
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1. Die Zuständigkeit der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing in erster Instanz und des Bayerischen Obersten Landesgerichts als Rechtsbeschwerdegericht folgt aus Art. 2a Abs. 2 AGAufenthG i.V.m. § 422 Abs. 4 FamFG, § 62a AufenthG, § 171 StVollzG, §§ 109 ff. StVollzG.
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In Bayern vollzieht der Justizvollzug die Abschiebungshaft sowie die Zurückweisungshaft in Amtshilfe für das originär zuständige Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration. Wird – wie hier – Zurückweisungshaft (§ 15 AufenthG) oder Abschiebungshaft (§ 62 AufenthG) im Wege der Amtshilfe vollzogen, gelten gemäß § 422 Abs. 4 FamFG die §§ 171, 173 bis 175 und 178 Abs. 3 StVollzG entsprechend, soweit in § 62a AufenthG nichts Abweichendes bestimmt ist. § 171 StVollzG enthält wiederum einen weitgehenden Verweis auf die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes zum Vollzug der Freiheitsstrafe, soweit nicht Eigenart und Zweck der Haft entgegenstehen (vgl. Wendtland, Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl., § 422 Rn. 8).
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Hinsichtlich dieses Rechtswegs zu den Strafvollstreckungskammern und dem Bayerischen Obersten Landesgericht ist weder in § 62a AufenthG eine abweichende Bestimmung vorhanden, noch steht die Eigenart oder der Zweck der Haftvorschriften deren Heranziehung entgegen. Der vorhandene Rechtsweg eröffnet dem Antragsteller eine Tatsachen- und eine zweite Instanz als reine Rechtsinstanz. Die Strafvollstreckungskammern und das Rechtsbeschwerdegericht sind bezüglich der im Rahmen der Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG zu klärenden Fragen sachnah und sachkundig. Wenngleich es ebenso möglich gewesen wäre, im Wege einer abweichenden Organisationsform der Abschiebungshaftanstalten für Streitigkeiten im Vollzug der Abschiebe- und Zurückweisungshaft den Verwaltungsrechtsweg zu eröffnen und trotz der Bezeichnung des erstinstanzlichen Spruchkörpers als Strafvollstreckungskammer konnte der vorliegende Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten und hierbei den Strafvollstreckungskammern unter entsprechender Heranziehung der Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes eingerichtet werden, da dies die Betroffenen nicht benachteiligt und diese nicht in ihren Rechten verletzt. Auch sind die Strafvollstreckungskammern der Landgerichte über ihre Bezeichnung als Strafvollstreckungskammer hinaus mit gerichtlichen Anträgen über den Vollzug der Sicherungsverwahrung, für welche ebenfalls das Abstandsgebot zum Strafvollzug gilt (vgl. BVerfGE 128, 326-409), befasst.
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2. Dem Senat steht für seine Entscheidung mit den vom Landgericht H. getroffenen Feststellungen eine ausreichende Tatsachenplattform zur Verfügung. Sodann steht dem Senat im Anschluss an die Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshof vom 10.03.2022, C-519/20, eine ausreichende rechtliche Grundlage zur Verfügung, soweit es um die Auslegung von Art. 16 der RL 2008/115/EG geht. Es ist für die vorliegend zu treffende Entscheidung nicht erforderlich, eine weitere Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV herbeizuführen.
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Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, dass bei der Frage, ob eine Haftanstalt der RL 2008/115/EG entspricht, eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Aspekte vorzunehmen ist:
Hierzu ist erstens festzustellen, dass mehrere maßgebliche Aspekte, die die von diesem Gericht vorzunehmende Gesamtwürdigung leiten können, insbesondere in der zehnten und der elften der vom Ministerkomitee des Europarats angenommenen Leitlinien zur erzwungenen Rückkehr enthalten sind, auf die der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie Bezug nimmt.
Wie der Generalanwalt in Nr. 124 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, reicht zweitens der bloße Umstand, dass eine Hafteinrichtung, die über ihre eigene Leitungsstruktur verfügt, administrativ an eine Behörde angebunden ist, die auch Zuständigkeiten im Hinblick auf Justizvollzugsanstalten innehat, nicht aus, um dieser Einrichtung eine Einstufung als „spezielle Hafteinrichtung“ im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der RL 2008/115 zu versagen. Eine solche rein administrative Anbindung ist nämlich insoweit grundsätzlich unerheblich. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn an eine entsprechende Anbindung bestimmte Haftbedingungen geknüpft wären.
Drittens sind in Abschiebehaft genommene Drittstaatsangehörige, wenn ein Mitgliedstaat sie nicht in speziellen Hafteinrichtungen unterbringen kann und sie in gewöhnlichen Haftanstalten unterbringen muss, gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der RL 2008/115 von gewöhnlichen Strafgefangenen gesondert unterzubringen.
Folglich reicht die bloße Trennung von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen und gewöhnlichen Strafgefangenen innerhalb ein und derselben Haftanstalt nicht aus, um davon ausgehen zu können, dass der Teil dieser Anstalt, in dem die Drittstaatsangehörigen in Abschiebehaft untergebracht sind, eine „spezielle Hafteinrichtung“ im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der RL 2008/115 darstellt.
Die Einstufung einer solchen Einrichtung als „spezielle Hafteinrichtung“ ist aber, sofern eine solche Trennung tatsächlich sichergestellt ist, nicht automatisch deshalb ausgeschlossen, weil – wie im vorliegenden Fall – ein separater Teil eines Komplexes, in dem Drittstaatsangehörige in Abschiebehaft untergebracht sind, der Inhaftierung von verurteilten Straftätern dient.
Auch wenn eine solche Konstellation sicherlich mit in die Würdigung des vorlegenden Gerichts einfließen muss, hat dieses nämlich auch der Ausstattung der speziell zur Inhaftierung von Drittstaatsangehörigen bestimmten Räumlichkeiten, den Regelungen über deren Haftbedingungen sowie der besonderen Qualifikation und den Aufgaben des Personals, das für die Einrichtung, in der diese Inhaftierung erfolgt, zuständig ist, besondere Aufmerksamkeit zu widmen und festzustellen, ob sich der Zwang, dem die betreffenden Drittstaatsangehörigen ausgesetzt sind, in Anbetracht all dieser Umstände auf das Maß beschränkt, das unbedingt erforderlich ist, um ein wirksames Rückkehrverfahren zu gewährleisten, und es so weit wie möglich vermeidet, dass die Unterbringung einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkommt, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend ist.
Unter diesem Blickwinkel stellt der Umstand, dass die nationalen Regelungen über die Strafvollstreckung – und sei es auch nur entsprechend – auf die Unterbringung von Drittstaatsangehörigen in Abschiebehaft anwendbar sind, ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass eine solche Unterbringung nicht in einer „speziellen Hafteinrichtung“ im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der RL 2008/115 stattfindet.
Umgekehrt stellt die Tatsache, dass zumindest der größte Teil des mit der Betreuung von Drittstaatsangehörigen in Abschiebehaft betrauten Personals sowie die Hauptverantwortlichen für das Funktionieren der Einrichtung, in der die Inhaftierung stattfindet, über eine besondere Ausbildung für eine solche Betreuung verfügen, einen Anhaltspunkt dar, der für eine Einstufung der Einrichtung als „spezielle Hafteinrichtung“ spricht. Dies gilt auch für den Umstand, dass das Personal in unmittelbarem Kontakt mit den Drittstaatsangehörigen ausschließlich der Einrichtung zugeordnet ist, in der ihre Unterbringung erfolgt, und nicht gleichzeitig einer Einrichtung, die zur Inhaftierung von Strafgefangenen dient.
Nach alledem ist auf die dritte und die vierte Frage zu antworten, dass Art. 16 Abs. 1 der RL 2008/115 dahin auszulegen ist, dass eine spezielle Abteilung einer Justizvollzugsanstalt, die zum einen, obwohl sie über einen eigenen Leiter verfügt, der Leitung der Anstalt untersteht und der Aufsicht des für Justizvollzugsanstalten zuständigen Ministeriums unterliegt, und in der zum anderen in speziellen Gebäuden, die über eine eigene Ausstattung verfügen und von den übrigen Gebäuden der Einrichtung, in denen Strafgefangene inhaftiert sind, getrennt sind, Drittstaatsangehörige in Abschiebehaft gehalten werden, als „spezielle Hafteinrichtung“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, sofern die Bedingungen der Unterbringung dieser Drittstaatsangehörigen so weit wie möglich verhindern, dass diese Unterbringung einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkommt, und sie so ausgestaltet sind, dass sowohl die von der Charta garantierten Grundrechte als auch die in Art. 16 Abs. 2 bis 5 und Art. 17 der Richtlinie verankerten Rechte beachtet werden (EuGH, Urteil vom 10.03.2022, C-519/20, juris, Rn. 49 bis 57).
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Diese Ausführungen zur Auslegung der Art. 16 der RL 2008/115/EG stellen für alle sich vorliegend stellenden Auslegungsfragen bezüglich der Richtlinie eine hinreichende Auslegungsgrundlage dar. Es ist hingegen nicht Aufgabe des Europäischen Gerichtshofs, die Normen des Unionsrechts auf den Einzelfall, wie den vorliegenden, selbst anzuwenden (EuGH, Urteil vom 10.03.2022, C-519/20, juris, Rn. 47; EuGH, Urteil vom 03.07.2019, C-242/18, juris, Rn. 48).
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3. a) Unter Zugrundelegung der vorstehenden Auslegungsregeln handelt es sich bei der Einrichtung für Abschiebungshaft H. – Außenstelle der Justizvollzugsanstalt H. – um eine spezielle Hafteinrichtung i.S.v. Art. 16 der RL 2008/115/EG.
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Die für den Zweck des Vollzugs von Abschiebungshaft eigens geplante und im Oktober 2021 in Betrieb genommene Abschiebungshafteinrichtung H. erfüllt die Vorgaben der RL 2008/115/EG, indem das Abstandsgebot zum Strafvollzug gewahrt ist. Die Inhaftierung in der Abschiebungshafteinrichtung H. unterscheidet sich deutlich von derjenigen in der benachbarten Justizvollzugsanstalt H. sowie in anderen Justizvollzugsanstalten und ist so ausgestaltet, dass sowohl die von der Charta garantierten Grundrechte als auch die in Art. 16 Abs. 2 bis 5 und Art. 17 der Richtlinie verankerten Rechte beachtet werden.
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aa) Zwar sind die Aufschlusszeiten von 9:00 Uhr bis 19.00 Uhr beziehungsweise an Feiertagen und am Wochenende von 8:00 Uhr bis 19:00 Uhr, in denen sich die Inhaftierten frei auf der Etage ihrer Abteilung bewegen können, kurz bemessen. Auch geht von diesem Zeitfenster noch ein einstündiger Mittagseinschluss ab.
27
bb) Der Senat hat auch im Blick, dass sich die Bewegungsfreiheit der Abschiebungsgefangenen auf ihre jeweilige Etage mit zwei Abteilungen von jeweils 17 Gefangenen beschränkt. Allerdings stehen den Gefangenen auf ihrer Etage großzügige Begegnungsflächen mit angrenzenden Loggien zur Verfügung. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Gefangenen bis zu zwei Stunden täglich den H. zu einem Aufenthalt im Freien nutzen können, welcher mit Sitzgelegenheiten und einer Tischtennisplatte ausgestattet ist.
28
cc) Hinsichtlich der Vergitterung der Fenster ist für den Senat entscheidend, dass diese nicht horizontal und vertikal erfolgt ist, so dass sie sich von der entsprechenden Vergitterung der Fenster der angrenzenden Justizvollzugsanstalt deutlich unterscheidet. Auch nennt die Abschiebungshafteinrichtung für die Horizontalvergitterung nachvollziehbare Gründe, in dem diese in den oberen Geschossen Stürze aus dem Fenster in suizidaler oder selbstverletzender Absicht verhindern soll, während im Erdgeschoss Vorsatzgitter ein etwaiges Hochklettern an der Fassade vermeiden sollen.
29
dd) Sodann spricht nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes der Umstand, dass die nationalen Regelungen über die Strafvollstreckung, und sei es auch nur entsprechend, auf die Unterbringung in der Abschiebungshaft anwendbar sind, als gewichtiges Indiz dafür, dass eine solche Unterbringung nicht in einer „speziellen Hafteinrichtung“ im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der RL 2008/115/EG stattfindet.
30
ee) Allerdings fallen bei einer Gesamtabwägung weitere, noch entscheidendere Aspekte ins Gewicht, welche den erforderlichen Abstand zum Strafvollzug im Ergebnis herstellen. So können die Gefangenen innerhalb bestimmter Zeitfenster, jedoch ohne monatliche Gesamtobergrenze, Besuch empfangen, welcher akustisch nicht überwacht wird. Auch können die Gefangenen über das in ihrem Haftraum installierte Kommunikationssystem 30 Minuten täglich mit bis zu zehn Telefongesprächspartnern weltweit kostenfrei telefonieren. Dies stellt den zentralen Unterschied zum Strafvollzug dar, bei welchem die Außenkontakte stark eingeschränkt sind. Dem Senat ist bekannt, dass die Justizvollzugsanstalt S. jedem Strafgefangenen fünf Stunden Besuch oder Skype und zusätzlich 40 Minuten Zeit für Telefonate im Monat gewährt. Diese Regelung übersteigt wiederum das gesetzliche Mindestmaß von Art. 27 Abs. 1 S. 2 BayStVollzG von nur einer Stunde deutlich, wobei die Justizvollzugsanstalt durch die Wahlmöglichkeit zwischen persönlichem Besuch und der Alternative der Videotelefonie von den durch Art. 35 BayStVollzG eröffneten Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat. Der Vergleich mit den in anderen Bundesländern getroffenen Besuchs- und Skyperegelungen ergibt einen ähnlichen Zeitrahmen für Außenkontakte. Während einige Landesgesetze – wie das BayStVollzG – an der einstündigen Mindestbesuchszeit von § 24 Abs. 1 S. 2 StVollzG festhalten, sehen die meisten Landesgesetze eine Mindestbesuchsdauer von zwei Stunden vor, die sich teilweise beim Besuch von Kindern noch um eine oder zwei Stunden erhöht (vgl. etwa § 33 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 LJVollzG Rheinland-Pfalz). In Schleswig-Holstein ist im dortigen LStVollzG SH (§ 42 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2) sogar eine Erhöhung für Angehörigen- und für Kinderbesuch von jeweils zwei Stunden vorgesehen. Die längsten Besuchszeiten ohne Kinder-/Angehörigenprivileg enthalten die Landesgesetze aus Brandenburg (§ 34 Abs. 1 S. 2 BbgJVollzG) und aus Sachsen (§ 26 Abs. 1 S. 1 SächsStVollzG) mit jeweils vier Stunden monatlich. Für Videotelefonie ist – der bayerischen Regelung im Ergebnis entsprechend – in allen Ländern durchgängig eine Regelung vorgesehen, die entsprechende Kontakte ermöglicht, ohne jedoch dass der Strafgefangene einen Anspruch darauf hat (vgl. beispielsweise Krä in: Arloth/Krä, SächsStVollzG, 5. Aufl., § 36 Rn. 5). Dieser Vergleich zwischen fünf Stunden und 40 Minuten für Besuch und (Video-)Telefonie zusammen einerseits und andererseits von 30 Minuten täglich für Telefonate, wobei sogar eine Verlängerungsmöglichkeit besteht, bei daneben zeitlich unbegrenzter Besuchszeit zeigt den wesentlichen Unterschied zwischen Strafhaft und Abschiebungsbeziehungsweise Zurückweisungshaft und ist damit das zentrale Argument für die Wahrung des Abstandsgebotes. Die Regelung der enorm wichtigen Außenkontakte wiegt mögliche Defizite bei den Aufschlusszeiten der Antragsgegnerin jedenfalls auf.
31
ff) Weitere Indizien zur Wahrung des Abstandgebotes sind die vorhandene Möglichkeit, eigene Kleidung zu tragen und der gegebene Zugang von Flüchtlingsberatungsorganisationen zur Beratung der Gefangenen, wodurch Art. 16 Abs. 4 der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG Rechnung getragen wird. Hinzu kommt die Unterstützung der Gefangenen durch bis zu drei Sozialarbeiter, zwei Psychologen und zwei pädagogische Fachkräfte und vorhandene Seelsorger.
32
gg) Die Nichtgestattung des Besitzes von Smartphones und Laptops hat die Antragsgegnerin nachvollziehbar damit gerechtfertigt, dass zum einen bauliche Gegebenheiten den Mobilfunkempfang beeinträchtigten. Zum anderen sieht die Anstalt im Besitz hochpreisiger Elektronikgeräte die absehbare Gefahr von Begehrlichkeiten zwischen den Gefangenen mit der Folge von Auseinandersetzungen, Abhängigkeitsverhältnissen und unerlaubten Geschäften, was einem friedlichen Miteinander entgegenstehe.
33
Die Einschätzung des Landgerichts Coburg (Beschluss vom 22.08.2023; 4 T 9/23), dass die Abschiebehafteinrichtung H. nicht den Vorgaben einer speziellen Hafteinrichtung i.S.v. Art. 16 der RL 2008/115/EG entspreche und welche auf einer abweichenden Gewichtung der vorhandenen (identischen) Faktenlage beruht, teilt der Senat daher nicht.
34
b) Nur hilfsweise ist auszuführen, dass selbst bei Zugrundelegung der Bewertung des Landgerichts Coburg der Abschiebungshafteinrichtung H. als nicht richtlinienkonform dies nicht dazu führen würde, dass sämtliche Einzelmaßnahmen der Antragsgegnerin gegenüber den Gefangenen bereits aus diesem Grund rechtswidrig wären. Die Freiheitsentziehung beruht auf § 62 AufenthG. Mängel im Vollzug berühren die Rechtmäßigkeit von Einzelmaßnahmen nur, soweit sie sich auf diese auswirken. Damit ist die Rechtmäßigkeit jeder gegenüber den Gefangenen getroffenen Maßnahme, hier der beiden Disziplinarmaßnahmen, konkret auf den jeweiligen Einzelfall bezogen zu prüfen, wobei ein möglicher Richtlinienverstoß, hier also die – die Rechtsauffassung des Landgerichts Coburg unterstellt – zu geringen Aufschlusszeiten und das Verbot eigener Mobilfunkgeräte auf die Rechtmäßigkeit von Disziplinarmaßnahmen nicht durchgreifen würde.
35
4. Das in den §§ 102 bis 107 StVollzG geregelte Disziplinarrecht ist aufgrund der Verweisung in § 171 StVollzG für den Vollzug von Zurückweisungshaft (§ 15 AufenthG) oder Abschiebungshaft (§ 62 AufenthG) anwendbar, nachdem weder die Eigenart, noch der Zweck dieser Haftarten der Heranziehung der Disziplinarvorschriften entgegenstehen.
36
a) Disziplinarmaßnahmen stellen eine Reaktion auf schuldhafte Verfehlungen eines Gefangenen dar und dienen der Sicherheit und Ordnung der Anstalt (Arloth in: Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 102 Rn. 1). Während die resozialisierende Funktion, welche den Disziplinarmaßnahmen im Übrigen zukommt (Arloth, a.a.O.), bei Zurückweisungs- und Abschiebungshaft keine Rolle spielt, ist die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auch in Anstalten für Zurückweisungs- und Abschiebehaft von zentraler Bedeutung. Disziplinarmaßnahmen erfüllen generalwie spezialpräventive Zwecke und sind auch in Haftanstalten, die in der Gestaltung ihres äußeren Vollzugsrahmens dem Abstandsgebot zum Strafvollzug BVerfG, Urteil vom 04.05.2011, 2 BvR 2333/08, juris, Rn. 115) genügen müssen, geeignet und nötig, die Anstaltssicherheit und Anstaltsordnung zu gewährleisten. Das Leben im Vollzug der Zurückweisungs- und Abschiebungshaft ist zwar den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen, dies gilt jedoch nur, soweit dem Sicherheitsbelange nicht entgegenstehen (BVerfG, a.a.O., zum Maßregelvollzug).
37
b) So sieht auch das bayerische Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz in den Art. 78 bis 81 BaySvVollzG Disziplinarmaßnahmen vor. Dass die in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten keine Strafe verbüßen, sondern ihr Aufenthalt ein Sonderopfer aufgrund der eigenen Gefährlichkeit darstellt (BVerfG, Urteil vom 04.05.2011, 2 BvR 2333/08, juris, Rn. 101), führt zwar dazu, dass vor allem im Hinblick auf einen stark therapeutisch ausgerichteten Vollzug in der Sicherungsverwahrung nur sehr zurückhaltend von Disziplinarmaßnahmen Gebrauch gemacht werden sollte. Dennoch sind Disziplinarmaßnahmen unverzichtbar, da nach der vollzuglichen Erfahrung nicht alle Sicherungsverwahrten allein mit therapeutischen und behandlerischen Maßnahmen erreichbar sind (BeckOK Strafvollzug Bayern/Krä/Schmid, 19. Ed. 01.10.2023, BaySvVollzG Art. 78 Rn. 3-5). Dies gilt erst recht für Zurückschiebungs- und Abschiebungshaftanstalten, denen der therapeutische Hintergrund fehlt.
38
c) Ebenso enthält beispielsweise das Gesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft in Baden-Württemberg in § 19 AHaftVollzG BW (Ordnungsmaßnahmen) in zulässiger Weise die Option disziplinarischer Ahndungen bei schuldhaften Verstößen der untergebrachten Person gegen Pflichten oder Anordnungen des Abschiebungshaftgesetzes.
39
d) Aufgrund der vorstehenden Überlegungen bestehen auch keine Bedenken gegenüber der Verhängung von Arrest als Disziplinarmaßnahme.
40
5. Die beiden vorgenommenen disziplinarischen Ahndungen aufgrund der Vorfälle vom 06.01.2023 und vom 10.01.2023 sind nicht zu beanstanden.
41
a) Der Tatbestand und damit die Frage des Pflichtverstoßes unterliegen im Disziplinarrecht der vollen gerichtlichen Nachprüfung (vgl. Arloth in: Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 102 Rn. 10 m.w.N.). Die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme stellt eine strafähnliche Sanktion dar, für die der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schuldgrundsatz gilt. Die Disziplinarmaßnahme darf deshalb die Schuld des Strafgefangenen nicht übersteigen. Eine Disziplinarmaßnahme darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei geklärt ist, ob ein schuldhafter Pflichtverstoß überhaupt vorliegt (BVerfGK 2, 318-325 = NStZ-RR 2004, 220-222, juris Rn. 17).
42
Anders als die Feststellung der Pflichtverletzung selbst liegt die Auswahl von Disziplinarmaßnahmen (hier nach § 102 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StVollzG) im pflichtgemäßen Ermessen des Inhabers der Disziplinarbefugnis (Laubenthal in: Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., 11. Kap., Abschn. M, Rn. 19). Gemäß § 115 Abs. 5 StVollzG ist diese Ermessensentscheidung der Vollzugsbehörde im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG von der Strafvollstreckungskammer nur eingeschränkt auf Ermessensfehler hin überprüfbar. Diese hat im Rahmen ihrer Entscheidung insbesondere zu überprüfen, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und ob alle für die Abwägung relevanten Aspekte einbezogen worden sind (vgl. BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 24. Ed. 01.08.2023, StVollzG § 115 Rn. 18 m.w.N. zur Rspr.).
43
b) Dies zu Grunde gelegt stellt der Sachvortrag der Antragsgegnerin zum Vorfall vom 06.01.2023, bei welchem der Antragsteller den Einschluss verweigert und sich damit den Anweisungen des Personals der Antragsgegnerin widersetzt hat, weil er zuvor aufgrund des Feiertags keine Zigaretten erhalten hat, eine ausreichende Tatsachengrundlage dar. Sodann ist die seitens der Antragsgegnerin getroffene Ermessensentscheidung, dies mit dem Entzug der Verfügung über Hausgeld und Einkauf für einen halben Monat gemäß § 103 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG zu ahnden, nicht zu beanstanden, auch nicht unter dem Blickwinkel der Besonderheiten der Zurückschiebungshaft. Dadurch dass der Antragsteller sich den Anweisungen widersetzte und eine Vielzahl von Mitarbeitern der Antragsgegnerin erforderlich wurde, den Einschluss des Antragstellers in seinem Haftraum durchzusetzen, verletzte er die Sicherheit und Ordnung innerhalb der Haftanstalt massiv. Sowohl zu seiner Disziplinierung, als auch aus generalpräventiven Gründen, um Nachahmungen zu verhindern, erfolgte die ausgesprochene Ahndung ermessensfehlerfrei. Insbesondere ist kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ersichtlich.
44
c) Ebenso wenig ist die zweite Disziplinarmaßnahme aufgrund des Vorfalles vom 10.01.2023 zu beanstanden. Auch insoweit liegt eine ausreichende Sachverhaltsaufklärung vor. Aufgrund der im Haftraum des Antragstellers vorgefundenen, von diesem nicht eingenommenen und gehorteten Psychopharmaka, nicht Mittel gegen Schlaflosigkeit, war die Antragsgegnerin berechtigt, die getrennte Unterbringung in der Freizeit nach § 103 Abs. 1 Nr. 5 StVollzG von einer Woche anzuordnen. Auch insoweit stehen weder die Besonderheiten der Zurückschiebungshaft noch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Ahndung entgegen. Die Antragsgegnerin hat zutreffend auf die möglichen Folgen der Nichteinnahme der Medikamente einerseits und die Gefahren der Einnahme der gehorteten Tabletten auf einmal andererseits hingewiesen.
IV.
45
1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 121 Abs. 2 S. 1 StVollzG.
46
2. Die Entscheidung über den Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens folgt aus §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 65 GKG.
V.
47
Mangels Erfolgsaussicht der Rechtsbeschwerde kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht in Betracht (§ 120 Abs. 2 StVollzG und § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO).