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LG Deggendorf, Urteil v. 26.06.2023 – 1 NBs 4 Js 2563/22
Titel:

Zum geltenden Recht bei Dauerdelikten (aufgehoben durch BayObLG, BeckRS 2024, 4041)

Normenkette:
StGB § 184b Abs. 3, § 2 Abs. 2, GG Art 103 Abs. 2
Leitsatz:
Bei Dauerdelikten gilt gemäß § 2 Abs. 2 StGB das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt. Wenn die Deliktsvariante jedoch selbst kein Rechtsgut verletzt, also einen rechtswidrigen Zustand durch das Andauern nicht vertieft, ist im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG § 2 Abs. 2 StGB einschränkend dahingehend auszulegen, daß die mildere Fassung des Gesetzes anzuwenden ist, welche bei Begehung des Deliktes, also bei der Rechtsgutsverletzung, galt. So liegt es bei Besitz und Besitzverschaffung von kinderpornographischen Inhalten. (Rn. 9 – 11) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Dauerdelikt, Besitz von kinderpornographischen Inhalten, Besitzverschaffung von kinderpornographischen Inhalten, Beendigung der Tat, einschränkende Auslegung, mildere Fassung
Vorinstanz:
AG Deggendorf, Urteil vom 02.02.2023 – 1 Ls 4 Js 2563/22
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Urteil vom 07.03.2024 – 207 StRR 20/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 44666

Tenor

1. Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Deggendorf vom 02.02.2023 mit dem Aktenzeichen: 1 Ls 4 Js 2563/22 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, daß der Angeklagte zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je € 70 verurteilt wird. Im übrigen wird die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Berufungsgebühr wird um 1/2 ermäßigt. Die Staatskasse trägt 1/2 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Angeklagten im Berufungsverfahren.

Entscheidungsgründe

I. Prozeßgeschichte
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Das Amtsgericht-Schöffengericht-Deggendorf verurteilte den Angeklagten am 02.02.2023 wegen Besitzes eines kinderpornographischen Inhalts in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in drei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat. Vor Anklageerhebung hatte die Staatsanwaltschaft „gemäß § 154 I StPO“ von der Verfolgung der Tat des Besitzverschaffens/Drittbesitzverschaffens an kinderpornographischer Schrift im Jahr 2017 (soweit verfahrensgegenständlich)“ abgesehen. Gegen das Urteil legte der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung ein. Diese Berufung beschränkte der Angeklagte auf den Rechtsfolgenausspruch und betrieb sie nur hinsichtlich des Vorwurfes des Besitzes eines kinderpornographischen Inhaltes weiter.
II. Feststellungen zur Person
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Der am … geborene Angeklagte ist ledig und ungarischer Staatsangehöriger. Er hat in Ungarn einen, dem Abitur vergleichbaren Schulabschluß erreicht und ist im Jahre 2015 zur Aufnahme einer Arbeit nach Deutschland eingereist. Seine Familie lebt weiterhin in Ungarn. Er hat eine Tätigkeit als LKW-Fahrer aufgenommen und arbeitet zurzeit für die Fa. … in … Sein monatliches Nettoeinkommen bewegt sich zwischen … und … Euro. Er zahlt einen monatlichen Mietzins von € … und hat weder Unterhaltsverpflichtungen, noch Schuldzahlungen zu leisten.
III. Feststellungen zur Tat
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1. Auf Grund der Teilrücknahme des Rechtsmittels steht folgender Sachverhalt rechtskräftig fest:
„Im Zeitraum von 04.06.2022 bis 11.06.2022 verkaufte und übergab der Angeklagte bei drei Gelegenheiten im Bereich von … jeweils zumindest 2,5 Gramm Marihuana an den anderweitig Verfolgten N.N. zu Preisen von zumindest 45,- EUR. Hierdurch wollte der Angeklagte Gewinn erzielen.
Das Betäubungsmittel hatte mindestens einen Wirkstoffgehalt von 5 Prozent Tetrahydrocannabinol.
Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.“
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Für diese Tat verhängte das Amtsgericht rechtskräftig eine Einzelstrafe von 30 Tagessätzen.
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2. Auf Grund der Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch, welche ebenfalls wirksam erklärt wurde, steht der weitere Sachverhalt ebenfalls rechtskräftig fest:
„Am 12.07.2022 um 19:30 Uhr hatte der Angeklagte in seiner Wohnung in … ein Mobiltelefon iPhone 7 in Besitz. Wie er wusste, zumindest aber billigend in Kauf nahm, war auf dem Mobiltelefon ein von ihm selbst gefertigter Screenshot gespeichert, der ein nacktes, liegendes Mädchen im Kleinkindalter mit gespreizten Beinen zeigt. Das entblößte weibliche Geschlechtsteil ist deutlich zu erkennen.“
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Nach den weiteren rechtskräftigen Feststellungen des Amtsgerichtes, welche in der Begründung des Rechtsfolgenausspruches niedergelegt sind, handelte es sich bei dem tatgegenständlichen Bild um eine Privataufnahme eines Bekannten des Angeklagten. Dieses Foto wurde nicht automatisch abgespeichert, etwa im Rahmen des Einstellens in einer Wh.A.-Gruppe, sondern der Angeklagte hatte bewusst im Jahre 2017 einen Screenshot des Bildes angefertigt und sich bewußt gegen die Löschung des Bildes entschieden.
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Der Angeklagte bestätigte in der Berufungsverhandlung seine Angaben, welche er bereits bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 15.07.2022 kundtat. Danach hatte ein früherer Arbeitskollege das Foto seiner Tochter auf F. eingestellt und daran sei er 2017 erinnert worden. Er habe dann einen Screenshot von dem Foto und den Kommentaren gefertigt und per Messanger einem Freund weitergeleitet. Das Foto sei deshalb noch einfach so auf seinem Handy gewesen, ohne daß er sich darüber noch richtig bewußt gewesen sei. Es habe keinen sexuellen Hintergrund gehabt und sei nur „spaßig“ gewesen.
IV. Rechtliche Würdigung
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Der Angeklagte hat sich des Besitzes eines kinderpornografischen Inhalts in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in drei tatmehrheitlichen Fällen gem. §§ 184 b Abs. 3, 11 Abs. 3 StGB, § 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage I zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG schuldig gemacht. Eine Verurteilung wegen Besitzverschaffung konnte nicht erfolgen, weil die Staatsanwaltschaft „gemäß § 154 I StPO“ von der Verfolgung des Besitzverschaffens abgesehen hatte. Da die Staatsanwaltschaft offensichtlich irrig § 154 StPO statt § 154a I StPO angewandt hat, richtet sich das weitere Verfahren nach der tatsächlich anzuwendenden Norm, nämlich § 154a StPO (Schmitt, in Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, R. 29).
V. Rechtsfolgen
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1. Der Strafrahmen ist § 184b III StGB in der zwischen dem 01.07.2017 bis 12.03.2020 gültigen Fassung vom 13.04.2017 zu entnehmen. Der Besitz kinderpornographischer Inhalte tritt als Auffangtatbestand regelmäßig hinter dem Sichverschaffen als subsidiär zurück. Eine Bestrafung wegen Besitzes kann nur erfolgen, wenn andere, umfassendere Formen des strafbaren Umgangs mit kinderpornographischen Inhalten nicht nachgewiesen werden können (BGH, Beschluss vom 08.12.2021 – 3 StR 405/21). Dies ergibt sich schon aus der Konzeption des Strafrechtes als Mittel zum Rechtsgüterschutz, also einem Strafrecht im modernen Rechtsstaat, welches seine Legitimation im Schutz der Rechtsgüter findet. So ist der Besitz im Verhältnis zur Besitzverschaffung und auch zum Abruf nur ein Auffangtatbestand, der mit dem Strafgrund der „Unterstützung des Marktes für Kinderpornographie“ nicht im unmittelbaren Zusammenhang steht und letztlich seine Legitimation nur in der Erleichterung der Strafverfolgung finden kann (MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl. 2021, StGB § 184b Rn. 45). Die Bestrafung des reinen Besitzes findet seine Legitimation nach dem Willen des Gesetzgebers also darin, daß die aktive und gezielte Mitwirkung an der Besitzverschaffung nicht beweisbar ist (Nestler in: Leipziger Kommentar zum StGB, § 184b Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte, Rn. 42).
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Im vorliegenden Falle war der Vorgang der Besitzverschaffung auf Grund der Angaben des Angeklagten von V. klar und bewiesen. Nach den Angaben schon des Beschuldigten handelte es sich um ein Foto, welches ihm ein Arbeitskollege von seiner Tochter geschickt hatte, später nochmals auf F. erschien und von dem er im Jahre 2017 einen Screenshot anfertigte, worüber er sich im Laufe der Jahre nicht mehr bewußt gewesen sei. Der Angeklagte hätte somit nach § 184b StGB in der Fassung vom 13.04.2017 (gültig ab 01.07.2017 bis 12.03.2020) bestraft werden müssen, und zwar entweder gemäß Abs. 3 (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) wegen des Sichverschaffens oder aber gemäß Abs. 1, Nr. 2 (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren), sofern er einräumte, das Bild einem Dritten weitergeleitet zu haben. Auf Grund der Einstellung der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft kann nun keine Verurteilung wegen des Sicherverschaffens oder Drittverschaffens nach § 184b StGB in der Fassung vom 13.04.2017 mehr erfolgen.
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Auf Grund der vorgenommenen Beschränkung der Strafverfolgung seitens der Staatsanwaltschaft verbleibt nur noch eine Bestrafung wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte. Während das Sichverschaffen nach der Fassung des Gesetzes zum Tatzeitpunkt im Jahre 2017 hätte erfolgen müssen, kommt nunmehr gemäß § 2 II StGB eine Bestrafung des subsidiären Deliktes des Besitzes in der verschärften Fassung vom 16.06.2021 (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis fünf Jahre) in Betracht. Bei Dauerdelikten, wozu auch der Besitz gehört, sieht § 2 II StGB die Anwendung des Gesetzes vor, das bei Beendigung der Tat gilt. Dies beruht auf der Erwägung, daß bei Dauerdelikten die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes eine Intensivierung des Eingriffes bedeutet. Dies ist bei Dauerdelikten wie Trunkenheitsfahrten, Nötigung, Hausfriedensbruch oder Raub auch einleuchtend. Diese Rechtfertigung fällt jedoch aus, wenn die Deliktsvariante selbst kein Rechtsgut verletzt, also einen rechtswidrigen Zustand durch das Andauern nicht vertieft, sondern lediglich der Erleichterung der Strafverfolgung dient. In einem solchen Falle ist im Lichte des Art. 103 II GG mangels Intensivierung des Eingriffes oder zumindest abstrakter Gefährdung des geschützten Rechtsgutes § 2 II StGB einschränkend dahingehend auszulegen, daß die mildere Fassung anzuwenden ist, welche bei Begehung des Deliktes, also bei der Rechtsgutsverletzung, galt, hinter dem der Besitz als Auffangdelikt üblicherweise zurücktritt. Dies muß zumindest dann gelten, wenn eine Bestrafung nach dem schwereren Delikt ohne weiteres möglich wäre und nur deshalb nicht erfolgt, weil die Staatsanwaltschaft hinsichtlich der umfassenderen Formen des strafbaren Umgangs mit kinderpornographischen Inhalten die Strafverfolgung einstellt. Denn durch die Bestrafung der Haupttat wird die verdrängte Tat hinreichend gesühnt (BGH Beschluss vom 27-10-1992 – 5 StR 517/92; Beschluss vom 27.11.2018 – 3 StR 409/18; Beschluss vom 18.12.2019 – 3 StR 264/19). Ansonsten hätte es die Staatsanwaltschaft in der Hand, ohne weitere Begründung zu entscheiden, nach welcher Fassung des Gesetzes sie einen Straftäter zu verfolgen gedenkt. Im vorliegenden Falle hat die Staatsanwaltschaft durch eine nicht begründete Beschränkung das Mindestmaß des Strafrahmens von Geldstrafe (oder aber drei Monaten hinsichtlich der Weiterleitung des Bildes) auf ein Jahr erhöht und somit ein Vergehen durch ihre Entscheidung zu einem Verbrechen heraufgestuft. Ein Grund, nur nach dem subsidiären Tatbestand des Besitzes zu bestrafen, nicht aber nach dem schwereren Delikt des Sichverschaffens, ist nicht ersichtlich und kann nur der dadurch ermöglichten höheren Bestrafung dienen. Wie der BGH mit Beschluss vom 08.12.2021- 3 StR 405/21 feststellte, kann eine Bestrafung wegen Besitzes nur erfolgen, wenn andere, umfassendere Formen des strafbaren Umgangs mit kinderpornographischen Inhalten nicht nachgewiesen werden können. Das war vorliegend aber nicht der Fall. Die Bestrafung des schwereren Deliktes konnte ausschließlich auf Grund einer nicht begründeten Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht mehr erfolgen. Es verstößt jedoch gegen die Garantiefunktion des Art. 103 II GG, wenn die Staatsanwaltschaft mit der Beschränkung der Verfolgung nach § 154a StPO die Möglichkeit zu einer höheren Bestrafung erst schafft.
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2. Bei der Strafzumessung innerhalb des Strafrahmens fällt strafschärfend ins Gewicht, daß ein Kleinkind abgebildet wurde und der Angeklagte den Besitz seit 2007 über einen langen Zeitraum aufrecht erhielt (BGH Beschluss vom 18.12.2019 – 3 StR 264/19, BeckRS 2019, 40386 Rn. 29, beck-online). Strafmildernd ist zu bewerten, daß das Kind zwar in einer sexuell motivierten Weise im Blickfeld steht, an ihm aber nicht manipuliert und auch nicht in einer sexuellen Handlung involviert dargestellt wird. Zudem bezog sich der Besitz auf dieses einzelne Bild. Ein pädophiles Umfeld des Besitzes gab es nicht. Zudem hat der Angeklagte den Sachverhalt von vornherein eingeräumt und auch im Einzelnen dargelegt, wie das Bild in seinen Besitz gekommen ist. Hinsichtlich des Besitzwillens hatte sich dieser im Laufe der Zeit verflüchtigt, sodass es schließlich bei einem Eventualvorsatz verblieben ist. Der Angeklagte geht einer geregelten Arbeit nach und ist nicht vorbestraft. Unter Abwägung aller für und gegen den Täter sprechenden Umstände ist eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen tat- und schuldangemessen.
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3. Bei der Bildung der Gesamtstrafe fiel ins Gewicht, daß beide Taten unterschiedliche Rechtsgüter betrafen und keinerlei räumlicher, zeitlicher oder sachlicher Zusammenhang bestand. Die Tagessatzhöhe ergibt sich aus dem verfügbaren Einkommen des Angeklagten.
VI. Kostenentscheidung
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 465, 473 I, III, IV StPO.