Inhalt

OLG München, Urteil v. 30.11.2023 – 29 U 926/21
Titel:

Rechtsmißbrauch, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Lebensmittelrecht, Lebensmittelinformations-VO, Kennzeichnung von Lebensmitteln, Diätetische Lebensmittel, Unerlässlichkeit, Inverkehrbringen, Medizinische Zwecke, Durchschnittsverbraucher, Krankheitsbedingtheit, Nährstoffbedarf, Wiederholungsgefahr, Strafbewehrte Unterlassungserklärung, Kosten des Berufungsverfahrens, Beschwerde, Abmahnungskosten, Unterlassungsanspruch, Kostenerstattungsanspruch, Schriftsätze

Schlagwort:
Rechtsbruch
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 26.01.2021 – 1 HK O 2717/20
Fundstellen:
MD 2024, 275
LSK 2023, 44610
BeckRS 2023, 44610

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 26.01.2021, Az. 1 HK O 2717/20, wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung in Ziffern I. 1. und I. 2. des landgerichtlichen Urteils jeweils durch Sicherheitsleistung iHv 50.000,00 € und im Übrigen durch Sicherheitsleistung iHv 115% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in der genannten Höhe bzw. iHv 115% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Parteien streiten um lauterkeitsrechtliche Unterlassungs- und Kostenerstattungsansprüche.
2
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder gehört, insbesondere die Achtung darauf, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden. Dem Kläger gehören auch zahlreiche Unternehmen an, die Nahrungsergänzungsmittel und Diätetika vertreiben. Der Kläger ist nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung in der Lage, seine satzungsgemäßen Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen.
3
Die Beklagte stellt her und vertreibt unter der Dachmarke a.® die Mittel a.®... und a.®.... Sowohl in der Darstellung und Bewerbung auf der Webseite der Beklagten unter https://...de/p. am 27.02.2020 als auch auf der Produktverpackung findet sich der Zusatz: „Zum Diätmanagement bei neurovegetativen Störungen bedingt durch chronischen Stress“ bzw. „Zum Diätmanagement bei chronischen Erschöpfungszuständen (Müdigkeit, Burnout)“, vgl. die Internetausdrucke der Webseite vom 27.02.2020 gem. Anlagen K 3 und K 4, die auch jeweils eine Abbildung der Verpackung enthalten.
4
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Beanstandung in Bezug auf das Produkt a.®... (vgl. Anlage K 4).
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Der Kläger mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 04.09.2019 wegen der bisherigen Gestaltung und Bewerbung „zur diätetischen Behandlung von (…)“ ab und forderte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf (vgl. Anlage K 5). Die Beklagte ließ dies mit Anwaltsschreiben vom 16.09.2019 zurückweisen und vortragen, die Abmahnung betreffe Produkte, welche sich nur noch im Abverkauf befänden. Seit dem 22.02.2019 seien alle neu hergestellten Produkte neu gekennzeichnet und trügen nur die Indikation „zum Diätmanagement bei (…)“. Sowohl die Produkte mit der vorherigen als auch die Produkte mit der neuen Kennzeichnung befänden sich zulässigerweise im Verkehr (vgl. Anlage K 6).
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Der Kläger war der Ansicht, die Produkte seien nicht als „diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)“ (im Folgenden kurz: LbmZ) verkehrsfähig iSd Art. 1 Abs. 1 lit. c, Art. 2 Abs. 2 lit. g, Art. 9 Abs. 5 der VO (EU) 609/2013 (Lebensmittel-für-besondere-Zwecke-VO, kurz: LbmZ-V).
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Das Inverkehrbringen der Mittel verstoße gegen das Irreführungsverbot gem. § 3, § 3a, § 5 UWG, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG, § 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 lit. b u. c LFGB, Art. 7 Abs. 1 lit. a u. b VO (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittelinformations-VO, kurz: LMIV), da sie entgegen der Gesetzeslage als LbmZ gekennzeichnet würden. Der Verkehr stelle sich unter einem als LbmZ gekennzeichneten Produkt ein Lebensmittel vor, welches auch der Gesetzeslage nach als solch besonderes Lebensmittel zu qualifizieren sei. Fehle es hieran, sei das Inverkehrbringen des Mittels in der angegriffenen Aufmachung zur Täuschung der angesprochenen Verkehrskreise geeignet.
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Dem Begriff „Diätmanagement“ in Art. 2 Abs. 2 lit. g LbmZ-V liege ein enger Ernährungsbegriff zugrunde. Sowohl die Europäische Kommission als auch die EFSA würden das neue Diätrecht nach der LbmZ-V als Gegenpol zum weiten Ernährungsbegriff verstehen. Die frühere Rechtsprechung des BGH zum damaligen § 1 Abs. 4 lit. a DiätV, dem ein weiter Ernährungszweck zugrunde lag, zB BGH I ZR 100/06 – E., sei überholt. Die in der Bewerbung der Produkte genannten Krankheitsbilder seien keine solchen, wie nach dem engen Ernährungsbegriff erforderlich, welche zu einer eingeschränkten oder gestörten Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder Nährstoffe führten, und auch keine Krankheiten, welche ursächlich für einen sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf seien. Die Krankheit selbst sei jedoch nicht einem Diätmanagement zugänglich.
9
Der Kläger hat behauptet, die Produkte seien für die angegebenen Ernährungszwecke nicht geeignet, da ihre Eignung nicht anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Daten, insbesondere nicht durch randomisierte und placebo-kontrollierte Doppelblindstudien, erwiesen sei. Der Nachweis müsse für die gesamte Beschaffenheit des Produktes und nicht nur für einzelne Bestandteile geführt werden. Selbst bei Zugrundelegung des weiten Ernährungsbegriffs sei die ausgelobte Wirkung nicht belegt.
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Überdies, hat der Kläger gemeint, seien die angegriffenen Aussagen als gesundheitsbezogene bzw. krankheitsbezogene Angaben bei der Bewerbung und Kennzeichnung von Lebensmitteln im Allgemeinen unzulässig gem. Art. 9 Abs. 5 LbmZ-V, § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB iVm Art. 7 Abs. 1, 3, 4 LMIV, Art. 10 Abs. 1 VO (EU) 1924/2006 (Health-Claim-VO, kurz: HCVO). Als Lebensmittel, zu denen auch die LbmZ gehörten, dürften – in Abgrenzung von Arzneimitteln – nicht solche Stoffe oder Stoffzusammensetzungen verabreicht werden, welche über eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung verfügten. Außerdem dürften LbmZ nicht den Eindruck erwecken, sie seien als Mittel mit Eigenschaften zur Behandlung, Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt. LbmZ und Arzneimittel würden sich nach ihrer Definition gem. Art. 1 Abs. 2 bzw. Art. 2 Abs. 2 der RL 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex Humanarzneimittel) ausschließen. Das Produkt a.®... sei ein Bezeichnungsarzneimittel, da chronischer Erschöpfungszustand und Burnout behandlungsbedürftige seelische Zustände und damit eine Krankheit seien und das Produkt damit beworben werde, die enthaltenen Stoffe könnten diese Krankheit verhindern, behandeln oder heilen.
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Für die Abmahnung macht der Kläger eine Kostenpauschale iHv 178,50 € zzgl. Zinsen seit Rechtshängigkeit geltend.
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Der Kläger hat beantragt, soweit für die Berufung noch erheblich:
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollziehen am Geschäftsführer, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr
1. [das Mittel „a. ... zum Diätmanagement bei neurovegetativen Störungen bedingt durch chronischen Stress“ in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben und/oder zu bewerben, hinsichtlich der Bewerbung, sofern dies geschieht wie in Anlage K 3 wiedergegeben; ]
2. das Mittel „a. ... zum Diätmanagement bei chronischen Erschöpfungszuständen (Müdigkeit, Burnout“ in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben und/oder zu bewerben, hinsichtlich der Bewerbung, sofern dies geschieht wie in Anlage K 4 wiedergegeben;
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 178,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu bezahlen.
13
Die Beklagte hat beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte war der Ansicht, die Klage sei rechtsmissbräuchlich. Da der Kläger die a.-Produktserie der Beklagten seit 2016 kenne, hätte er die Untersagung des Vertriebs aller Produkte mit einer zusammenhängenden Klage verfolgen können. Stattdessen habe er jedes Jahr ein anderes Produkt unter Hinweis auf die LbmZ-V abgemahnt. Diese „Salami“-Taktik diene dazu, den Streitwert in die Höhe zu treiben und die Beklagte zu schädigen. Im Übrigen gehe die Beklagte davon aus, dass der Kläger von einem Wettbewerber instrumentalisiert werde.
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Der Kläger hat zum Vorwurf des Rechtsmissbrauchs vorgetragen, die Abmahnungen aus den Jahren 2016 und 2017 hätten die Produkte a.®prosta und a.®herpes betroffen. Nach der Änderung der Rechtslage habe der Kläger am 02.09.2019 eine Überprüfung des Produktportfolios der Beklagten vorgenommen und sämtliche von ihr als LbmZ vertriebenen Produkte auf ihre Wettbewerbskonformität hin überprüft. Die jetzt streitgegenständlichen seien die letzten als LbmZ vertriebenen Produkt der Beklagten.
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Die Beklagte war der Ansicht, die angegriffenen Produkte seien rechtmäßig als LbmZ im Verkehr. Sie seien Lebensmittel und keine Arzneimittel und erfüllten die Voraussetzungen der Bezeichnung als LbmZ. Bei LbmZ sei die Deklaration gem. der Delegierten-VO (EU) 2016/128, Art. 4 iVm Anhang IV vorgegeben. Der Begriff „zum Diätmanagement bei (…)“ sei ein Pflichthinweis, der durch die jeweilige(n) Krankheit, Störung oder Beschwerden bestimmt sei. Verbraucher müssten innerhalb eines engen Kernbereichs sachgerecht über die relevanten Eigenschaften und Merkmale informiert werden. Nach Art. 9 Abs. 5 LbmZ-V sei nur ausgeschlossen, diesen Erzeugnissen Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuzuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaft zu erwecken.
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Beide Produkte seien als LbmZ verkehrsfähig. Es sei ein weiter Ernährungsbegriff für die Zweckbestimmung zugrunde zu legen. Ein Nährstoff sei „medizinisch bedingt“ iSv Art. 2 Abs. 2 lit. g LbmZ-V, wenn eine Person an bestimmten Beschwerden, Krankheiten oder Störungen leide und aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter Nährstoffe einen besonderen Nutzen ziehen könne (unter Verweis auf BGH ZLR 2009, 68 – Mobilplus Kapseln). Es reiche für ein „Diätmanagement“ aus, wenn eine Krankheit, Störung oder Beschwerde nachweislich zu einem erhöhten Nährstoffbedarf führe. Hinsichtlich des Produktes a.®... liege ferner mit einer E-Mail vom 04.03.2020 (Anlage P& R 47) ein bestätigender Verwaltungsakt über die Rechtmäßigkeit des Vertriebs vor.
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Mit Endurteil vom 26.01.2021, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht München I, Az. 1 HK O 2717/20, der Klage vollumfänglich stattgegeben und wie folgt erkannt:
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollziehen am Geschäftsführer, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr
1. das Mittel „a. ... zum Diätmanagement bei neurovegetativen Störungen bedingt durch chronischen Stress“ in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben und/oder zu bewerben, hinsichtlich der Bewerbung, sofern dies geschieht wie in Anlage K 3 wiedergegeben;
2. das Mittel „a. ... zum Diätmanagement bei chronischen Erschöpfungszuständen (Müdigkeit, Burnout)“ in den Verkehr zu bringen und/oder zu vertreiben und/oder zu bewerben, hinsichtlich der Bewerbung, sofern dies geschieht wie in Anlage K 4 wiedergegeben;
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 178,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.03.2020 zu bezahlen.
III. [Kosten]
IV. [vorläufige Vollstreckbarkeit]
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Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Verurteilung in Ziffer I. 2. das Produkt a.®... betreffend – unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens aus dem ersten Rechtszug – und beantragt,
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26.01.2021 (Az. 1 HK O 2717/20) in den Ziffern I.2., II. und III. abgeändert und die Klage insoweit kostenpflichtig abgewiesen.
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Zudem beantragt sie, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH noch einmal folgende weitere Fragen zur Beantwortung vorzulegen (Schriftsatz vom 13.02.2023, unter Ziffer 1.19, Bl. 295 dA):
(a) Reicht es für den Nachweis des „krankheitsbedingt erhöhten oder speziellen Nährstoffbedarfs“ aus, wenn in Lehrbüchern der Ernährungswissenschaft und/oder Ernährungsmedizin bzw. anderen öffentlich zugänglichen wissenschaftlichen Publikationen für einen Nährstoff im Sinne von Art. 15 VO (EU) 609/2013 iVm der Unionsliste ein Zusammenhang mit einer bestimmten Krankheit/Störung/Beschwerde beschrieben ist, um dessen nutzbringende Verwendung sowie Wirksamkeit in der LBMZ zu beschreiben?
(b) Falls die vorstehende Frage mit „Nein“ beantwortet wird: Welche Art des Nachweises ist alternativ erforderlich?
(c) Reicht es bei einer aus verschiedenen Nährstoffen zusammengesetzten LBMZ aus, wenn diese im Zusammenspiel zu der angegebenen Zweckbestimmung beitragen, weil jeder einzelne von ihnen ein bestehendes Nährstoffdefizit ausgleicht oder bedarf es dazu einer produktbezogenen Studie, mit welcher die angegebene Indikation unterstrichen wird, weil damit symptombezogene Effekte auf eine Reduzierung von ernährungsbedingt bestehenden Beschwerden gezeigt wurden?
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Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil – unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens im ersten Rechtszug – und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 23.02.2022 (Bl. 273/276 dA) bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die im Verfahren mit dem Aktenzeichen I20 U 178/20 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 28.06.2021 vorgelegten Fragen wegen Vorgreiflichkeit entsprechend § 148 Abs. 1 ZPO ausgesetzt und nach der Entscheidung des EuGH (Urteil vom 27.10.2022, Rs. C-418/21) wieder aufgenommen.
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Im Übrigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2023 und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
B.
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat dem noch zur Überprüfung stehenden Unterlassungsantrag zu I. 2. zu Recht stattgegeben.
25
I. Die Klage ist zulässig.
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1. Der Kläger ist nach der im Streitfall gem. § 15a Abs. 1 UWG noch anwendbaren Vorschrift des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in der bis zum 01.12.2021 geltenden Fassung prozessführungsbefugt. Die Klagezustellung ist am 30.03.2020 erfolgt. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aF liegen unstreitig vor.
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2. Zu Recht hat das Landgericht die Rechtsmissbräuchlichkeit des klägerischen Vorgehens abgelehnt. Der Vortrag der Klageseite trägt eine solche Annahme nicht. Die Berufung greift daher zu Recht diesen Vorwurf nicht mehr auf.
28
II. Die Klage ist in Bezug auf den Unterlassungsantrag zu I. 2. begründet. Dem Kläger steht der Unterlassungsanspruch in Bezug auf das Produkt a.®... jedenfalls gem. § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1 UWG, § 5 Abs. 1 u. 2 Nr. 1 UWG zu.
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Das Inverkehrbringen und der Vertrieb des Produkts a.®... „zum Diätmanagement bei chronischen Erschöpfungszuständen (Müdigkeit, Burnout)“ sowie dessen Bewerbung mit der Angabe „zum Diätmanagement bei (…)“ sind wegen ihrer Eignung zur Irreführung nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG unzulässig. Denn damit wird dem angesprochenen Verkehr suggeriert, es handele sich um LbmZ, was jedoch, wie vom Landgericht zutreffend angenommen, nicht der Fall ist.
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1. Der auf Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch ist nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten sowohl nach dem zum Zeitpunkt seiner Vornahme geltenden Recht wettbewerbswidrig war als auch nach dem zur Zeit der Berufungs- bzw. Revisionsentscheidung geltenden Recht wettbewerbswidrig ist (stRspr; BGH GRUR 2023, 1637 Rn. 13 mwN – Bakterienkulturen). Nach dem beanstandeten Vertrieb und der beanstandeten Bewerbung im Februar 2020 ist die lauterkeitsrechtliche Bestimmung des § 5 UWG durch das am 28.05.2022 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht vom 10.8.2021 (BGBl. 2021 I 3504) geändert worden. Eine für den Streitfall maßgebliche Änderung der Rechtslage ergibt sich daraus nicht. Die bisherige Bestimmung des § 5 Abs. 1 UWG aF ist wortgleich mit § 5 Abs. 1 und 2 UWG nF. Der Änderung der Vorschrift des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG mit Wirkung zum 01.12.2021 durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs vom 26.11.2020 (BGBl. 2020 I 2568) kommt im Streitfall wegen der Übergangsvorschrift des § 15a Abs. 1 UWG keine Relevanz zu.
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2. Nach § 5 Abs. 1 UWG nF handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist gem. § 5 Abs. 2 UWG nF irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über – nachfolgend aufgezählte – Umstände enthält; hierzu zählen gem. Nr. 1 auch solche über wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Art, Ausführung, Vorteile, Zusammensetzung, Zwecktauglichkeit, Verwendungsmöglichkeit, Beschaffenheit und von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse.
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3. Das Inverkehrbringen und der Vertrieb des noch streitgegenständlichen Produktes a. ®... „zum Diätmanagement bei chronischen Erschöpfungszuständen (Müdigkeit, Burnout)“ (Hervorhebung nur hier) sowie dessen Bewerbung mit der Angabe „zum Diätmanagement bei (…)“ suggeriert dem angesprochenen Durchschnittsverbraucher, dass es sich bei dem Produkt um ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke iSv Art. 2 Abs. 2 lit. g der LbmZ-V handele, was tatsächlich nicht der Fall ist.
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a) Das Mittel a.®... ist kein LbmZ.
34
aa) Nach Art. 2 Abs. 2 lit. g LbmZ-V sind „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke“ unter ärztlicher Aufsicht zu verwendende Lebensmittel zum Diätmanagement von Patienten, einschließlich Säuglingen, die in spezieller Weise verarbeitet oder formuliert werden; sie sind zur ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder Stoffwechselprodukte oder von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf bestimmt, für deren Diätmanagement die Modifizierung der normalen Ernährung allein nicht ausreicht.
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bb) Nach der Rechtsprechung des EuGH unterscheiden sich Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sowohl von gewöhnlichen Lebensmitteln, die unter die VO Nr. 178/2002 fallen, als auch von Arzneimitteln; für diese drei Kategorien von Erzeugnissen gelten in Anbetracht ihrer besonderen Merkmale unterschiedliche Definitionen und rechtliche Regelungen, die Ausschließlichkeitscharakter haben (vgl. EuGH GRUR 2022, 1765 Rn. 37 – Orthomol). Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke sind Lebensmittel, die zum Diätmanagement von Patienten bestimmt sind und nicht dazu dienen, menschliche Krankheiten zu verhüten oder zu heilen, die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen (vgl. EuGH GRUR 2022, 1765 Rn. 26 u. 39 – Orthomol). Mithin ermöglichen es Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke als solche nicht, einer Krankheit, einer Störung oder Beschwerden entgegenzuwirken, aber sie lassen sich anhand ihrer Ernährungsfunktion charakterisieren (EuGH GRUR 2022, 1765 Rn. 40 – Orthomol; EuGH GRUR 2023, 656 Rn. 29, 30 – Kwizda-Pharma).
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Die Vorschrift des Art. 2 Abs. 2 lit. g LbmZ-V und insbesondere der Begriff des „sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarfs“ sind nach der Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen, dass ein Erzeugnis ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke darstellt, wenn krankheitsbedingt ein erhöhter oder spezifischer Nährstoffbedarf besteht, der durch das Lebensmittel gedeckt werden soll. Für eine solche Einstufung reicht es nicht aus, dass der Patient allgemein aus der Aufnahme dieses Lebensmittels deswegen Nutzen zieht, weil darin enthaltene Stoffe der Störung entgegenwirken oder deren Symptome lindern (EuGH GRUR 2022, 1765 Rn. 59 – Orthomol).
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Die in Art. 2 Abs. 2 lit. g der LbmZ-V zuerst genannte Fallgestaltung betrifft die Kategorien von Patienten, deren Aufnahme- oder Resorptionsprozess oder Stoffwechsel gestört ist. Die zweite Fallgestaltung betrifft Patienten, die sich in einer besonderen physiologischen Verfassung befinden und folglich in Bezug auf die Zusammensetzung, Beschaffenheit oder Form von Lebensmitteln spezifische Bedürfnisse haben (vgl. EuGH GRUR 2022, 1765 Rn. 33 – Orthomol).
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Das Erfordernis, dass das Lebensmittel hinsichtlich seiner Zusammensetzung, seiner Beschaffenheit oder seiner Form für die Ernährungsanforderungen angemessen ist, die durch eine Krankheit, eine Störung oder Beschwerden bedingt sind und denen es gerecht werden soll, schließt es aus, ein Erzeugnis allein deshalb als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke einzustufen, weil die Nährstoffe, aus denen es besteht, positive Auswirkungen in dem Sinne haben, dass sie dem Patienten allgemein einen Nutzen verschaffen und dazu beitragen, dessen Krankheit, Störung oder Beschwerden vorzubeugen, sie zu lindern oder sie zu heilen (vgl. EuGH GRUR 2022, 1765 Rn. 34 – Orthomol). Das Angemessenheitserfordernis veranschaulicht den spezifischen Charakter der Ernährungsfunktion der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (vgl. EuGH GRUR 2022, 1765 Rn. 36 – Orthomol). Deshalb kann ein Erzeugnis, das dem Patienten zwar allgemein einen Nutzen verschafft oder durch Nährstoffzufuhr einer Krankheit, einer Störung oder Beschwerden entgegenwirkt, aber keine solche Ernährungsfunktion hat, nicht als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke eingestuft werden (vgl. EuGH GRUR 2022, 1765 Rn. 36 – Orthomol).
39
Die Einstufung eines Lebensmittels als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke erfordert, dass es hinsichtlich seiner Zusammensetzung, seiner Beschaffenheit oder seiner Form für die Ernährungsanforderungen angemessen ist, die durch eine Krankheit, eine Störung oder Beschwerden verursacht werden und denen es entsprechen soll (vgl. EuGH GRUR 2023, 656 Rn. 40 – Kwizda-Pharma). Diese Adäquanz ist umso notwendiger, als ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke einem „Diätmanagement“ bzw. „Ernährungsanforderungen“ entspricht, die durch eine Krankheit, eine Störung oder Beschwerden verursacht werden und deren Deckung für den Patienten unerlässlich ist (EuGH GRUR 2023, 656 Rn. 41 – Kwizda-Pharma). Folglich macht die Verwendung des Begriffs „Diätmanagement“ bzw. „Ernährungsanforderungen“ durch den Unionsgesetzgeber deutlich, dass es nicht lediglich empfohlen sein kann, auf ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zurückzugreifen (EuGH GRUR 2023, 656 Rn. 42 – Kwizda-Pharma).
40
Der Begriff „Diätmanagement“ nach Art. 2 Abs. 2 lit. g LbmZ-V erfasst einen Bedarf, der durch eine Krankheit, eine Störung oder Beschwerden verursacht wird und dessen Deckung für den Patienten unter Ernährungsgesichtspunkten unerlässlich ist; unter die Wendung „Modifizierung der Ernährung für den Patienten allein“ fallen sowohl Sachlagen, in denen eine Modifizierung der Ernährung für den Patienten unmöglich oder gefährlich ist, als auch Sachlagen, in denen der Patient nur sehr schwer seinen Ernährungsbedarf durch den Verzehr gewöhnlicher Lebensmittel zu decken vermag (vgl. EuGH GRUR 2023, 656 Rn. 52 – Kwizda-Pharma).
41
Die Vorgabe, dass ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke „unter ärztlicher Aufsicht (verwendet werden muss)“, ist als solche keine Voraussetzung für die Einstufung eines Erzeugnisses als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (vgl. EuGH GRUR 2023, 656 Rn. 81 – Kwizda-Pharma).
42
cc) Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Mittel a.®... kein LbmZ, weil es sich – schon auf der Grundlage des Vortrags der für die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 lit. g LbmZ-V als Herstellerin und Vertreiberin des so aufgemachten und beworbenen Produktes darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten (vgl. zur Darlegungs- und Beweislast BGH GRUR 2012, 1164 Rn. 18 – ARTROSTAR) – weder an Patienten richtet, deren Aufnahme- oder Resorptionsprozess oder Stoffwechsel iSv Art. 2 Abs. 2 lit. g LbmZ-V gestört ist. Noch richtet es sich an Patienten, die sich in einer besonderen physiologischen Verfassung befinden und folglich in Bezug auf die Zusammensetzung, Beschaffenheit oder Form von Lebensmitteln ernährungsbezogen spezifische Bedürfnisse haben (vgl. EuGH GRUR 2022, 1765 Rn. 33 – Orthomol).
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(1) Soweit die Beklagte vorträgt, das Mittel führe dem Körper nur diejenigen Nährstoffe in einer ernährungsmedizinisch sinnvollen Menge zu, welche dieser bei chronischen Erschöpfungszuständen, die mit Symptomen wie Müdigkeit und Burnout einhergingen, auch besonders benötige (Schriftsatz vom 13.02.2023, Seite 7, Bl. 295 dA letzter Absatz), ist hinsichtlich der gewählten Formulierung „benötigen“ schon unklar, ob damit nicht nur ein Bedarf zur Heilung oder zur Linderung der Krankheit, der Störung oder der Beschwerden beschrieben wird, was gerade nicht genügen würde. Dass es dabei um die unerlässliche Deckung eines durch die chronischen Erschöpfungszustände kausal verursachten die Ernährungsfunktion betreffenden Bedarfs ginge, ist hiermit nicht nachvollziehbar dargelegt.
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(2) Soweit die Beklagte ausführt, solche multifaktoriellen Krankheitsbilder wie chronische Erschöpfungszustände würden maßgeblich auch durch ein (gestörtes) Stoffwechselgeschehen bestimmt, welches durch eine ergänzende, konkret darauf abgestimmte Nährstoffzufuhr bei dann regelmäßig auch entgleisten bzw. defizitären Stoffwechselabläufen wieder ins Gleichgewicht zu bringen sei (vgl. Schriftsatz vom 13.02.2023, Seite 8, Bl. 296 dA oben), beschreibt dies gerade den Einsatz zur Behandlung, also zur Heilung der Krankheit bzw. Linderung ihrer Symptome. Damit ist nicht nachvollziehbar dargetan, dass es sich, wie erforderlich, um einen durch die Krankheit kausal verursachten spezifischen Ernährungsbedarf handelt, der ernährungsbezogen gedeckt werden soll, und nicht vielmehr um die Behandlung einer Mitursache bzw. eines Symptoms der Krankheit handelt.
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Der Senat vermag insofern auch die Schlussfolgerung der Beklagten nicht nachzuvollziehen, „das Produkt könne daher auch ohne Weiteres bereits als Ernährung von Patienten mit insoweit schon (stressbedingt) gestörter Fähigkeit zur Verstoffwechslung bestimmter Nährstoffe im Sinne der ersten Fallgruppe [des Art. 2 Abs. 2 lit. g LbmZ-V] angesehen werden“ (vgl. Schriftsatz vom 13.02.2023, Seite 8, Bl. 296 dA, 1. Abs.). Auch in der Behauptung, bei chronischen Erschöpfungszuständen befänden sich die Patienten nachweislich in einer besonderen physiologischen Verfassung und hätten folglich in Bezug auf die Zusammensetzung, Beschaffenheit oder Form von Lebensmitteln spezifische Bedürfnisse, liegt allein die Behauptung eines Behandlungsbedarfs, nicht hingegen einer krankheitsbedingten besonderen physiologischen Verfassung, die – jenseits der Behandlung der Krankheit – eine spezifische Ernährung erforderte.
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(3) Die Behauptung eines durch chronische Erschöpfungszustände ausgelösten besonderen Nährstoffbedarfs (vgl. Klageerwiderung, Seite 17, Bl. 64 dA; Schriftsatz vom 13.02.2023, Seite 8, Bl. 296 dA, Abs. 2) begründet die Beklagte wie folgt (vgl. Bl. 64, Bl. 297 dA):
„Unkontrollierbare chronische Stressbelastung kann jedoch zu einer schlechten Ernährung führen: Gewichtszunahme, ernährungsbedingtes Stoffwechselrisiko und erhöhter spezifischer Nährstoffbedarf sind die Folge. Eine adäquate Zufuhr spezifischer Aminosäuren als Vorläufer für Neurotransmitter wird daher in der Fachliteratur empfohlen, um das stressbedingte Ungleichgewicht zwischen anregenden (zB …) und hemmenden (zB …) Neurotransmittern und den daraus resultierenden neurologischen, emotionalen und verhaltensbedingten Folgen im positiven Sinne zu beeinflussen. Auf diesen Grundempfehlungen basiert die Produktkonzeption von a.®....
Die Zufuhr der in a.®... enthaltenen Nährstoffe für die Funktionsfähigkeit derjenigen biochemischen Regelkreise, welche eng mit der Belastungsfähigkeit des Körpers zusammenhängt, essenziell sein kann, d.h. umgekehrt das Fehlen oder die nicht ausreichende Aufnahme dieser Nährstoffe die Entstehung von chronischen Erschöpfungszuständen mit beeinflusst bzw. im umgekehrten Fall deren Erscheinungsbild mindern bzw. positiv beeinflussen kann. Insoweit besteht daher bei chronischen Erschöpfungszuständen ein Nährstoffbedarf, der klar „medizinisch bedingt“ ist, d.h. entsprechend dem Verständnis des EU-Gesetzgebers bzw. auch EuGH konkret „zur (nutritiven) Regulierung einer (anerkannten) Krankheit“ beitragen kann. Die Existenz eines besonderen Nährstoffbedarfs zeigt sich im Übrigen auch darin, dass die Zufuhr der in a.®... enthaltenen Nährstoffe studienbelegt einen signifikanten Einfluss auf die Verbesserung von chronischen Erschöpfungszuständen hat. Im Sinne einer (umgekehrten) Kausalität ist damit nicht nur die nutzbringende Verwendung von a.®..., sondern auch dessen Wirksamkeit belegt (…).“
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Mithin begründet die Beklagte das Ernährungsdefizit, das das Mittel beheben soll, mit einer krankheitsbedingt schlechten Ernährung. Nicht ersichtlich ist hierbei, dass die Deckung dieses Bedarfs durch das Mittel „unter Ernährungsgesichtspunkten unerlässlich“ wäre. Dies würde voraussetzen, dass dieser Ernährungsbedarf durch eine „Modifizierung der Ernährung für den Patienten allein“ nicht gedeckt werden könnte, womit nur Sachlagen gemeint sind, in denen eine Modifizierung der Ernährung für den Patienten unmöglich oder gefährlich ist oder in denen der Patient nur sehr schwer seinen Ernährungsbedarf durch den Verzehr gewöhnlicher Lebensmittel zu decken vermag (vgl. EuGH GRUR 2023, 656 Rn. 52 – Kwizda-Pharma). Solche Sachlagen hat die Beklagte nicht vorgetragen und sind nicht ersichtlich, zumal eine schlechte Ernährung durch Modifizierung der Ernährung abgestellt werden kann.
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Soweit es darum geht, dass durch das Mittel Nährstoffe zugeführt werden, die die Erkrankung selbst positiv beeinflussen sollen, also auf die Heilung der Krankheit bzw. Linderung der Symptome zielen, genügt dies wie oben bereits ausgeführt gerade nicht.
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b) Das Inverkehrbringen und der Vertrieb des Mittels „Zum Diätmanagement bei chronischen Erschöpfungszuständen (Müdigkeit, Burnout)“ sowie seine Bewerbung mit diesem Zusatz stellen jeweils eine nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG unlautere Irreführung dar, weil die angegriffenen Angaben den angesprochenen Verkehrskreisen suggerieren, es handele sich bei dem Produkt um ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Sinne der VO (EU) Nr. 609/2013, was es nach den Ausführungen oben a) tatsächlich jedoch nicht ist.
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aa) Eine Irreführung liegt vor, wenn das Verständnis, das eine Angabe bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (stRspr BGH; vgl. BGH GRUR 2022, 844 Rn. 12 mwN – Kinderzahnarztpraxis). Eine Irreführung über wesentliche Merkmale einer Ware iSv § 5 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 UWG nF liegt nicht nur vor, wenn einer Ware konkrete, im Einzelnen benannte Eigenschaften zugewiesen werden, die sie tatsächlich nicht aufweist. Zu den wesentlichen Merkmalen einer Ware gehört auch ihre Art und damit ihre Zugehörigkeit zu einer Produktkategorie, die sich nach der Verkehrsauffassung von anderen Kategorien unterscheidet (vgl. BGH GRUR 2023, 1637 Rn. 39 – Bakterienkulturen). Die Angabe über die Art ist irreführend, wenn für die beworbene Ware oder Dienstleistung zu Unrecht die Zugehörigkeit zu einer Gattung in Anspruch genommen wird, mit der der Verkehr eine wie auch immer geartete Wertschätzung oder besondere Eigenschaften verbindet (vgl. BGH GRUR 2018, 1263 Rn. 20 f. mwN – Vollsynthetisches Motorenöl; BGH GRUR 2023, 1637 Rn. 39 – Bakterienkulturen; zur Irreführung bei der Bezeichnung eines Mittels als bilanzierte Diät, ohne dass dieses Mittel die Voraussetzungen eines diätetischen Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke erfüllt, vgl. bereits BGH GRUR 2008, 1118 Rn. 15 – MobilPlus-Kapseln).
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bb) Für das Verständnis des angegriffenen Zusatzes auf dem Produkt ist auf die Sicht eines Durchschnittsverbrauchers abzustellen (vgl. BGH GRUR 2023, 1637 Rn. 41 – Bakterienkulturen). Zwar richtet sich das streitgegenständliche Produkt nicht an den allgemeinen Verbraucher herkömmlicher Lebensmittel, sondern hauptsächlich an Personen, die unter den angesprochenen Krankheiten leiden oder dies jedenfalls in Betracht ziehen. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass diese Personen ein vom Verständnis des Durchschnittsverbrauchers abweichendes Verständnis von den angegriffenen Angaben gewinnen.
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cc) Der Durchschnittsverbraucher, genauer der durchschnittlich informierte, situationsadäquat aufmerksame und verständige Verbraucher, wird die Angabe „zum Diätmanagement“ bei bestimmten Erkrankungen dahin verstehen, dass das Produkt zur Kategorie der Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke gehört. Von einem solchen Verständnis ist nicht nur beim Durchschnittsverbraucher, sondern gerade auch bei betroffenen Patienten auszugehen, die mit dem Begriff des „Diätmanagements“ vertraut sind, mit dem gem. Art. 5 Abs. 2 lit. e der Delegierten VO (EU) 2016/128 Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke zu kennzeichnen sind.
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Der Senat kann aufgrund eigener Sachkunde beurteilen, wie die angesprochenen Verkehrskreise, hier: der Durchschnittsverbraucher, die angegriffenen Aussagen verstehen, da er ständig mit Wettbewerbssachen befasst ist (vgl. BGH GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; GRUR 2014, 682 Rn. 29 – Nordjob-Messe).
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dd) Eine die Zivilgerichte bindende Entscheidung für die Einstufung oder gar Zulassung des Produkts als LbmZ kann der E-Mail des Landratsamts München vom 04.03.2020, die eine Einschränkung in Bezug auf neuere Erkenntnisse enthält (Anlage P& R 47), nicht entnommen werden. Das Schreiben kann nicht als förmlicher Verwaltungsakt mit hinreichend bestimmtem Inhalt qualifiziert werden. Der etwaige Entscheidungsumfang ist unklar. Insofern wird ergänzend auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil, Seiten 14 und 15, Bezug genommen.
55
Überdies beurteilt sich die Wettbewerbswidrigkeit des Verhaltens der Beklagten allein danach, ob das Inverkehrbringen und der Vertrieb des Mittels „zum Diätmanagement bei (…)“ und seine Bewerbung mit einem solchen Zusatz nach den maßgeblichen Vorschriften des Lebensmittelrechts zulässig war oder nicht (vgl. BGH NJW 2005, 2705, 2706 – Atemtest). Eine etwaige Relevanz für ein Verschulden spielt für die vorliegend nur geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung und Abmahnkosten keine Rolle.
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ee) Soweit die Beklagte die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache „Orthomol“ für falsch und unverständlich hält und eine erneute Vorlage an den EuGH beantragt (vgl. Schriftsatz vom 13.02.2022, S. 1/7, Bl. 289/295 dA), sieht der Senat nach den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Orthomol und Kwizda-Pharma keinen fortbestehenden entscheidungserheblichen Klärungsbedarf. Zudem ist der Senat als nicht letztinstanzlich entscheidendes nationales Gericht zu einer Vorlage nicht verpflichtet (Art. 267 Abs. 3 AEUV).
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4. Die irreführende Angabe ist geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (§ 5 Abs. 1 UWG nF). Denn die Zugehörigkeit zu einer besonderen Kategorie von Lebensmitteln wird mit besonderen Eigenschaften oder Voraussetzungen verbunden und ist damit auch für die Kaufentscheidung des Verbrauchers von Relevanz. Auch die Eignung, den Wettbewerb spürbar zu beeinträchtigen, ist gegeben.
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5. Die durch den Verstoß indizierte Wiederholungsgefahr hat die Beklagte nicht durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt.
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6. Der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten folgt aus § 12 Abs. 1 S. 2 UWG idF bis 01.12.2020 (vgl. § 15a Abs. 2 UWG). Auch der mit der Abmahnung beanstandete vorherige Zusatz „Zur diätetischen Behandlung von (…)“ war irreführend, da er dem angesprochenen Verkehr suggerierte, die Voraussetzungen eines LbmZ lägen vor. Im Übrigen kann für die rechtliche Bewertung auf die obigen Ausführungen zu dem Zusatz „Zum Diätmanagement bei (…)“ Bezug genommen werden.
C.
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1. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
61
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
62
2. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor. Die aufgeworfenen Rechtsfragen sind durch die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen „Orthomol“ (GRUR 2022, 1765) und „Kwizda Pharma“ (GRUR 2023, 656) sowie des BGH in der Rechtssache „Bakterienkulturen“ (GRUR 2023, 1637) geklärt.