Titel:
Betriebsratswahl - Keine Einsicht in und keine Herausgabe von Wahlunterlagen im Wahlanfechtungsverfahren
Normenketten:
BetrVG § 14, § 19
WO § 19
Leitsätze:
Die Antragsteller haben in einem Wahlanfechtungsverfahren unter anderem beantragt, dass an sie die Wahlunterlagen herausgegeben werden, hilfsweise Einsicht in diese zu erhalten. Der Antrag hatte keinen Erfolg, denn er widerspricht dem Grundsatz der geheimen Wahl nach § 14 Abs. 1 BetrVG, der nach der Rechtsprechung des BAG auch nach der Beendigung der Wahl bei einem Auskunftsverlangen über die Stimmabgabe gilt. Eine nachträgliche Aufklärung der Stimmabgabe ergibt sich auch nicht aus § 19 WO, wonach der Betriebsrat zur Aufbewahrung der Wahlakten verpflichtet ist. Im Übrigen fehlte es auch an einem hinreichenden Sachvortrag für eine Nichtordnungsgemäßheit der Wahl. Ob das Verlangen mit der DSGVO in Einklang steht, konnte daher dahingestellt bleiben. (Rn. 24 – 30 und 31 – 33)
1. Der Grundsatz der geheimen Wahl nach § 14 Abs. 1 BetrVG gilt nicht nur für den eigentlichen Wahlakt, sondern auch für die Wahlvorbereitung sowie nach Beendigung der Wahl gegenüber Auskunftsverlangen über die Stimmabgabe. Einschränkungen des Grundsatzes der geheimen Wahl sind nur zulässig, wenn diese zur Durchführung einer ordnungsgemäßen Wahl erforderlich sind (Anschluss an BAG BeckRS 2005, 43632). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem Zweck der Aufbewahrungspflicht nach § 19 WO ergibt sich grds. ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme in die Wahlakten zumindest für diejenigen, die nach § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG berechtigt sind, die Betriebsratswahl anzufechten. Das Recht auf Einsichtnahme erfährt jedoch eine Einschränkung für Bestandteile von Wahlakten der Betriebsratswahl, aus denen Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer gezogen werden können (Anschluss an BAG BeckRS 2013, 72735 Rn. 23 f. mwN). (Rn. 27 und 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Anspruch auf Einsichtnahme und Überprüfung von Wahlunterlagen nach § 19 WO dient allein der Dokumentation und Prüfbarkeit des Wahlergebnisses. Er rechtfertigt keine weitergehenden Recherchen zur Aufklärung von Differenzen, die sich bei der Stimmauszählung zwischen vorhandenen Stimmabgabevermerken und vorhandenen Wahlumschlägen ergeben. Sowohl die Vorlage von Fragebögen über die Teilnahme an der Wahl als auch eine Vernehmung von Arbeitnehmern, die sich dazu verhält, stellen einen unzulässigen Eingriff in den Grundsatz der geheimen Wahl nach § 14 Abs. 1 BetrVG dar (Anschluss an BAG BeckRS 2013, 72735 Rn. 26). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wahlanfechtung, Betriebsratswahl, Wahlunterlagen, Herausgabe, Einsichtsrecht, Grundsatz der geheimen Wahl, Wahlakten, Vorschlagslisten, Stützunterschriftslisten
Vorinstanz:
ArbG München, Beschluss vom 08.08.2022 – 23 BV 256/21
Fundstellen:
FDArbR 2024, 944121
BeckRS 2023, 44121
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 bis 5 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 08.08.2022 – 23 BV 256/21, soweit es den Antrag auf Herausgabe hilfsweise Einsicht in die Wahlunterlagen abgewiesen hat, wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl und über die Herausgabe der Wahlunterlagen, hilfsweise einer Einsicht in diese.
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Die Antragsteller, die Beteiligten zu 1) bis 6), sind entweder Beschäftigte bei der Beteiligten zu 8) oder Beschäftigte bei der Beteiligten zu 9) (im Folgenden: Arbeitgeberinnen), die einen gemeinsamen Betrieb mit 383 Mitarbeitern bilden. Der Beteiligte zu 7) ist der elfköpfige Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat), der sich nach der Betriebsratswahl am 25.08.2021 konstituiert hat. Der Betriebsratswahl lag u.a. die „Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich zur Bildung eines einheitlichen Betriebes“ mit Wirkung zum 1. Juni 2021 zugrunde, in der aufgrund einer Prognose vom 19.05.2021 zur Mitarbeiterentwicklung von einer erforderlichen Betriebsratsgröße von elf Mitgliedern ausgegangen wurde.
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Der im gemeinsamen Betrieb der Arbeitgeberinnen gebildete Übergangsbetriebsrat hatte zur Durchführung der Betriebsratswahl einen Wahlvorstand mit Frau H. als Vorsitzende, Herrn I., Frau J., Herrn K. und Frau L. sowie den Ersatzmitgliedern Herrn M. und Frau N. bestellt. Die Arbeitgeberinnen hatten für die Wahl angegeben, dass sechs der 383 Mitarbeiter zu den leitenden Angestellten gehörten, darunter zwei Frauen. In dem vom Wahlvorstand am 13.07.2021 erlassenen und auch per E-Mail an die Beschäftigten der Beteiligten zu 8) und zu 9) versandten Wahlausschreiben stand ua.:
„… Die Wählerliste und die Wahlordnung liegen in … Raum 35.-101 zur Einsicht während den Sprechzeiten des Wahlvorstandes aus… …Das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, muss mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn der Betriebsrat aus mindestens drei Mitgliedern besteht (§ 15 Abs. 2 BetrVG).
In unserem Betrieb sind am 13.07.2021 189 Frauen und 194 Männer beschäftigt.
Der Betriebsrat hat aus 11 Mitgliedern zu bestehen (gemäß „Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich zur Bildung eines einheitlichen Betriebes“ zum 01. Juni 2021). Auf das Geschlecht in der Minderheit der Frauen entfallen 5 Mindestsitze (§ 15 Abs. 2 BetrVG).
Gewählt werden können weiter nur diejenigen Arbeitnehmer/innen, die ordnungsgemäß zur Wahl vorgeschlagen wurden. Ein ordnungsgemäßer Wahlvorschlag setzt voraus, dass dieser gemäß § 14 Abs. 4 BetrVG von mindestens 19 wahlberechtigten Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmerinnen unterzeichnet worden ist (Stützunterschriften)… Die Stimmabgabe ist an die Wahlvorschläge gebunden. Die Wahlvorschläge müssen schriftlich in Form von Vorschlagslisten … eingereicht werden. Der letzte Tag für die Einreichung von Vorschlagslisten ist der 27. Juli 2021 bis spätestens 18:00 Uhr.
Bei der Aufstellung von Vorschlagslisten sollen das Geschlecht in der Minderheit, … berücksichtigt werden. Nicht fristgerecht eingereichte Wahlvorschläge können nicht berücksichtigt werden.
Die Wahlvorschläge hängen am folgenden Ort … aus…“
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Als Anlage zur E-Mail vom 13.07.2021 versandte der Wahlvorstand die „Kurzhinweise zur Einleitung und Durchführung einer Betriebsratswahl“, die u.a. folgende Informationen enthielten:
„Werden mindestens zwei Vorschlagslisten für gültig befunden, können die Arbeitnehmer/innen sich bei der Wahl nur für eine der Listen entscheiden (Listenwahl). Wurde nur eine Vorschlagsliste eingereicht oder für gültig befunden, können die Arbeitnehmer/innen den einzelnen Kandidaten ihre Stimme geben (Personenwahl). Der Beschäftigte kann dann so viele Bewerber/innen ankreuzen, wie Sitze zu vergeben sind.“
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Am 15.07.2021 fand ein Treffen statt, an dem u.a. Mitglieder des Wahlvorstandes, u.a. Frau H., und von den Antragstellern zumindest unstreitig die Beteiligten zu 3) und zu 4) teilnahmen. Mit dem zuständigen Gewerkschaftssekretär wurde besprochen, welche Voraussetzungen für eine Personenwahl und welche Voraussetzungen für eine Listenwahl vorliegen müssten. Außerdem wurde eine Reihung der ersten Plätze auf der mit der Bezeichnung „G. Allstars“ angelegten Liste (im Folgenden: „Liste 1“ oder „Liste G. Allstars“), vorgenommen; die ersten elf Positionen wurden mit den Vorsitzenden bzw. stellvertretenden Vorsitzenden der früheren sechs Betriebsratsgremien besetzt, die in den Vorgängerbetrieben des Gemeinschaftsbetriebs der Beteiligten zu 8) und zu 9) gebildet waren. Die Liste lag ab dem 15.07.2021 mit dieser Reihung grundsätzlich im Büro des Wahlvorstands aus; Listenverantwortlicher war Herr M.. Am 22.07. 2021 fand eine vom Wahlvorstand organisierte Frage-Antwort-Runde zur Betriebsratswahl statt, auf der der Beteiligte zu 1) u.a. nachfragte, wie ein Mitarbeiter kandidieren könne. Die genaue Beantwortung der Frage, ist zwischen den Beteiligten streitig.
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Die Vorschlagsliste „G. Allstars“ wurde zunächst durch fortlaufendes Eintragen von Kandidaten und Stützunterschriften erstellt. So wurden z.B. der Beteiligte zu 1) und der Mitarbeiter Herr O. am 26.07.2021 als Kandidaten auf den Rangplätzen 18 und 19 eingetragen und im Anschluss leisteten beide auch Stützunterschriften. Die Beteiligte zu 2) trug sich am 27.07.2021 gegen 15:00 Uhr als Kandidatin ein und leistete außerdem ihre Stützunterschrift. Nach ihrer Eintragung als weitere Kandidatin wurden der Beteiligte zu 1) und Herr O. nicht um eine erweiterte Zustimmung gebeten. Bis zum Fristablauf zur Einreichung von Wahlvorschlagslisten am 27.07.2021, 18:00 Uhr, wurden beim Wahlvorstand insgesamt zwei Listen eingereicht. Unstreitig gab es auf den Listen Doppelunterschriften von drei Mitarbeitern. Hierüber wurde Frau N., Listenführerin bzw. einzige Bewerberin auf der Liste mit der Bezeichnung „N.“ (im Folgenden: „Liste 2“), durch den Wahlvorstand mündlich am 28.07.2021 informiert, am 30.07.2021 schriftlich unter Setzung einer Nachfrist von drei Tagen.
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Mit Schreiben vom 03.08.2021 gab der Wahlvorstand beide Listen als gültig bekannt. Auf der „Liste 1“ mit dem Kennwort „G. Allstars“ waren die Mitglieder des Wahlvorstands Herr I., Frau H., Herr K., Frau J. und Frau L. sowie das Ersatzmitglied Herr M. nummeriert aufgeführt unter den Nr. 2, Nr. 3, Nr. 5, Nr. 7 und Nr. 11 bzw. Nr. 6. Das Ersatzmitglied des Wahlvorstands Frau N. war auf der „Liste 2“ mit dem Kennwort „N.“ als einzige Wahlbewerberin genannt.
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Mit einem „Offenen Brief“ wandten sich 25 Mitarbeiter der Beteiligten zu 8) und 9) per E- Mail vom 19.08.2021 an sämtliche Mitarbeiter der Arbeitgeberinnen und forderten den Wahlvorstand auf, die Fristen für das Wahlverfahren zu verlängern, um die Einreichung zusätzlicher Kandidatenlisten zu ermöglichen. Hinsichtlich der näheren Umstände zur Erstellung, Versendung etc. des „Offenen Briefs“ und zu den Reaktionen auf den Brief wird auf den Vortrag der Antragsteller in der Antragsschrift, Seite 12 ff. (Bl. 12 ff. d.A.), Bezug genommen. Die gegenüber dem Wahlvorstand geforderte Fristverlängerung erfolgte nicht.
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Das Ergebnis der Betriebsratswahl vom 25.08.2021 wurde am 30.08.2021 durch den Wahlvorstand bekannt gegeben.
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Vor dem Arbeitsgericht haben die Antragsteller vorgetragen, die Betriebsratswahl sei offensichtlich und unheilbar nichtig, zumindest unwirksam. Sie haben gemeint, die Betriebsratswahl vom 25.08.2021 leide an Mängeln, die zur Nichtigkeit, zumindest zur Anfechtbarkeit der Wahl führten und sie haben zuletzt auch eine Einsicht in die Wahlakten verlangt.
11
Vor dem Arbeitsgericht haben die Antragsteller zuletzt beantragt,
- 1.
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Der Beteiligte zu 7) wird verurteilt, an die Antragsteller die Wahlunterlagen betreffend die Betriebsratswahl vom 25. August 2021 für den gemeinsamen Betrieb der F. und der P., insbesondere die Vorschlagslisten und Stützunterschriftslisten, herauszugeben, hilfsweise zur Einsicht zur Verfügung zu stellen.
- 2.
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Festzustellen, dass die Betriebsratswahl vom 25. August 2021 für den gemeinsamen Betrieb der F. und der P. nichtig ist.
- 3.
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Hilfsweise die Betriebsratswahl vom 25. August 2021 für den gemeinsamen Betrieb der F. und der P. für unwirksam zu erklären.
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Der Betriebsrat hat die Zurückweisung der Anträge beantragt.
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Der Betriebsrat hat eine Nichtigkeit der Betriebsratswahl verneint und auch keine Gründe für eine Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl gesehen. Den zuletzt im Anhörungstermin gestellten Antrag hat er wegen einer möglichen Verzögerung des Verfahrens als nicht sachdienlich erachtet.
14
Das Arbeitsgericht hat nach der Einvernahme von mehreren Zeugen die Anträge zurückgewiesen, wobei es den Antrag auf Herausgabe hilfsweise Einsicht in die Wahlakten als sachdienlich erachtet hat. Es hat aber darauf verwiesen, dass die Antragsteller keinen Anspruch auf Zurverfügungstellung bzw. Einsichtnahme in die gesamten Wahlakten bzw. Wahlunterlagen der am 25.08.2021 durchgeführten Betriebsratswahl hätten und dass auch kein Anspruch auf Einsichtnahme in die von den Antragstellern explizit benannten Bestandteile der Wahlunterlagen, die Vorschlagslisten und Stützunterschriftslisten, auf deren Einsichtnahme der Antrag „insbesondere“ gerichtet war, bestanden habe. Das Arbeitsgericht hat dazu unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgeführt, dass das Recht auf Einsichtnahme in die Akten einer Betriebsratswahl zwar nicht im Gesetz geregelt sei, sich aus der in § 19 WO normierten Pflicht des Betriebsrats, die Wahlakten mindestens bis zur Beendigung seiner Amtszeit aufzubewahren, jedoch grundsätzlich ein Anspruch der nach § 19 Abs. 2 BetrVG Wahlanfechtungsberechtigten auf Einsichtnahme in die Wahlakten ergebe. Weiter hat es ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dieses Recht auf Einsichtnahme in die Wahlakten der Betriebsratswahl allerdings nicht für Bestandteile der Wahlakten gölte, aus denen Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer gezogen werden könnten. Die Einsichtnahme auch in solche Unterlagen sei nur zulässig, wenn dies zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl erforderlich sei. Nach dem Grundsatz der geheimen Wahl, der nach § 14 Abs. 1 BetrVG auch für die Betriebsratswahl gölte, dürfe die Stimmabgabe des Wählers keinem anderen bekannt werden. Dies diene dem Zweck, den Wähler vor jeglichem sozialen Druck zu schützen. Einschränkungen des Grundsatzes der geheimen Wahl seien insoweit nur zulässig, wenn diese zur Durchführung einer ordnungsgemäßen Wahl erforderlich seien und der Grundsatz der geheimen Wahl wirke auch nach Beendigung der Wahl gegenüber Auskunftsverlangen über die Stimmabgabe. Die Wahlakten der Betriebsratswahl gäben zwar in der Regel keinen Aufschluss darüber, wem der einzelne Wahlberechtigte seine Stimme gegeben habe. Gegebenenfalls könne allerdings beispielsweise aus persönlichen Schreiben einzelner Wahlberechtigter an den Wahlvorstand, die dieser zu den Wahlakten genommen habe, auf deren Wahlverhalten geschlossen werden und die wahlberechtigten Arbeitnehmer hätten daher ein berechtigtes Interesse an der möglichst vertraulichen Behandlung derartiger Unterlagen. Die Einsichtnahme auch in solche Bestandteile der Wahlakten sei deshalb nur zulässig, wenn die Einsichtnahme gerade in diese Schriftstücke zur Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl notwendig sei und dies sei entsprechend darzulegen. Sodann hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass unter Berücksichtigung dieser Grundsätze den Antragstellern der geltend gemachte Anspruch auf Zurverfügungstellung bzw. Einsichtnahme in die gesamten Wahlakten, auch nicht „insbesondere in die Vorschlagslisten und Stützunterschriftslisten“ – oder als „Minus“ ausschließlich in diese Listen – zugestanden habe. Die Antragsteller hätten nicht dargelegt, dass eine entsprechende Einsichtnahme auch in die in den Wahlakten vorhandenen Schriftstücke, die Rückschlüsse auf die Stimmabgabe der wahlberechtigten Arbeitnehmer zuließen (z.B. mit Stimmabgabevermerken versehene Wählerlisten oder die Briefwahlunterlagen) zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl erforderlich sei und hierzu sei schon keinerlei Vortrag erfolgt. Aber auch bezogen auf eine Vorlage bzw. Einsichtnahme in einzelne, konkrete Bestandteile der Wahlakten, nämlich auf die Vorschlags- und Stützunterschriftslisten, hätten die Antragsteller ein berechtigtes Interesse zur Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl nicht dargelegt. Das Arbeitsgericht ist dabei auch davon ausgegangen, dass im konkreten Fall insbesondere die Stützunterschriftslisten zu den Unterlagen zählten, die vom berechtigten Interesse der wahlberechtigten Mitarbeiter an der möglichst vertraulichen Behandlung von Wahlunterlagen erfasst seien. Aus einer Streichung von doppelt geleisteten Stützunterschriften und damit aus einer nachträglichen, bewussten Entscheidung der Mitarbeiter zwischen zwei Wahlvorschlägen sei durchaus auch – selbst wenn es „nur“ um die im Vorfeld der Wahl geleisteten Stützunterschriften ginge – auf ein bestimmtes Wahlverhalten bei der anschließenden Betriebsratswahl zu schließen. Das berechtigte Interesse der betroffenen Mitarbeiter an Vertraulichkeit sei grundsätzlich nur dann nicht schützenswert, wenn an der Kenntnis der Unterschriften bzw. deren Streichung ein berechtigtes Interesse der Antragsteller dargelegt worden wäre, um die Ordnungsgemäßheit der Wahl überprüfen zu können. Unstreitig habe es Doppelunterschriften auf den eingereichten Vorschlagslisten gegeben und dass die erforderliche Anzahl von Stützunterschriften bei Fristablauf am 27.07.2021 jeweils auf den Listen vorgelegen hätten, sei von den Antragstellern bestritten worden und der Antrag auf Einsichtnahme sei erst im Rahmen der mündlichen Anhörung am 29.07. 2022 gestellt, nachdem die Zeugen zum Thema Einreichung der Vorschlagslisten, deren Überprüfung durch den Wahlvorstand, zur Problematik der Doppelunterschriften und deren Korrektur, vernommen worden waren. Ein berechtigtes Interesse an einer noch zusätzlichen Einsichtnahme der Schriftstücke sei somit nicht erkennbar gewesen. Insbesondere ließe allein ein Blick auf Unterschriftslisten, die zeitlich deutlich nach dem Termin zur Einreichung der Wahlvorschläge (27.07.2021) zur Verfügung gestellt würden, noch nicht erkennen, wann (binnen der Einreichungsfrist?) sie in welchem „Zustand“, das heißt mit wie vielen Unterschriften, eingereicht worden waren. Genauso wenig lasse sich entnehmen, wie nach Einreichung mit der Problematik der unstreitigen Doppelunterschriften umgegangen worden sei, denn allein aus (möglichen) Streichungen von Doppelunterschriften könne noch nicht der Schluss darauf gezogen werden, ob dabei das in § 6 Abs. 5 WO vorgesehene Verfahren inhaltlich und zeitlich korrekt durchgeführt worden sei. Ein „Mehrwert“ einer Einsichtnahme gegenüber der durchgeführten Beweisaufnahme sei genauso wenig ersichtlich gewesen, wie das im Hinblick auf den Grundsatz der geheimen Wahl erforderliche berechtigte Interesse der Antragsteller an einer Einsichtnahme. Hinsichtlich der Ausführungen des Arbeitsgerichts, dass die Betriebsratswahl weder nichtig sei noch, dass Anfechtungsgründe vorlägen, wird auf die Seiten 17 – 39 (Bl. 208 – 230 d.A.) des erstinstanzlichen Beschlusses verwiesen.
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Die Antragsteller haben gegen diesen Beschluss vom 08.08.2022, der ihnen am 12.10. 2022 zugestellt wurde, mit einem am 14.11.2022, einem Montag, beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt, die sie mit einem am 22.12.2022 eingegangenen Schriftsatz begründet haben, nachdem zuvor die Frist zur Beschwerdebegründung bis zu diesem Tag verlängert worden war.
16
Die Antragsteller halten weiterhin die Betriebsratswahl für nichtig und zumindest für anfechtbar und verlangen weiterhin die Herausgabe der Wahlunterlagen hilfsweise eine Einsicht in diese. Soweit sich die Antragsteller auf die Nichtigkeit beziehungsweise Anfechtbarkeit der durchgeführten Betriebsratswahl wenden, wird auf die Ausführungen in ihrem Schriftsatz vom 22.12.2022 (Bl. 309 3. Absatz sowie auf Bl. 326 3. Absatz – Bl. 337 d.A.) verwiesen. Im Hinblick auf die geforderte Einsichtnahme in die Wahlakten meinen die Antragsteller, dass sie einen Anspruch auf Einsichtnahme in diese Akten insbesondere auch in die Vorschlagslisten einschließlich der Stützunterschriften hätten. Dieser aus § 19 WO abgeleitete Anspruch bestünde grundsätzlich, ohne dass es der Geltendmachung eines besonderen rechtlichen Interesses oder der Darlegung von Anhaltspunkten für das Bestehen von Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgründen bedürfe. Die Einsichtnahme in die Vorschlagslisten mit den Stützunterschriften sei auch nicht ausnahmsweise beschränkt, denn das Wahlgeheimnis bleibe bei Einsicht in die Vorschlagslisten einschließlich Stützunterschriften gewahrt. Aus einer dokumentierten Unterstützung eines Wahlvorschlags könne das Wahlverhalten der Unterzeichner auch nicht abgeleitet werden und es sei auch nicht erkennbar, ob die Unterzeichner später überhaupt ihre Stimme abgegeben haben und für wen sie im Fall der Stimmabgabe gestimmt haben. Eine spätere Korrektur einer Doppelunterschrift vermöge auch keine besondere Schutzwürdigkeit der Vorschlagslisten mit Stützunterschriften begründen. Der die Doppelunterschrift korrigierende Unterzeichner treffe zwar explizit eine Wahl zwischen zwei Listen, was ihn aber nicht von jedem anderen Unterzeichner unterscheide, der sich auch in Kenntnis der Umstände, wie etwa dem Vorhandensein weiterer Listen, für eine der Listen entscheide. Aber selbst wenn es sich bei den Vorschlagslisten mit Stützunterschriften um solche Bestandteile der Wahlakten handeln würde, aus denen Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer gezogen werden könnten, sei der Anspruch der Antragsteller auf Einsichtnahme begründet. Es bestehe ein berechtigtes und überwiegendes Interesse an der Einsichtnahme der Wahlvorschläge einschließlich der Stützunterschriften. Im Raum stünden Vorwürfe hinsichtlich der Gültigkeit sowie des Wahlvorschlags „Liste 1“ als auch des Wahlvorschlags „Liste 2“ und die Einsichtnahme in die Vorschlagsliste nebst Stützunterschriften stelle dabei auch einen Mehrwert zur erstinstanzlichen Beweisaufnahme dar, die auch nicht ergiebig gewesen sei und es bestünden weiterhin erhebliche Zweifel, dass die Listen vor Ablauf der Einreichungsfrist korrigiert und vollständig eingereicht worden seien, denn bereits der kurze Zeitraum zwischen 17:45 Uhr und 18:00 Uhr am 27. Juli 2021 begründete diese Zweifel. Zudem hätten die einvernommenen Zeugen auch nur angegeben, dass sich ausreichend Unterschriften auf den Listen befunden hätten und eine Zahl nicht benannt und auch deshalb sei eine Einsichtnahme schon erforderlich, um die Zahl der jeweils geleisteten Stützunterschriften zu ermitteln.
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Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 08.August 2022, Az. 23 BV 256/21 aufzuheben und wie folgt abzuändern:
1. Der Beteiligte zu 6. wird verpflichtet, an die Antragsteller die Wahlunterlagen betreffend die Betriebsratswahl vom 25. August 2021 für den gemeinsamen Betrieb der F. und der P. insbesondere die Vorschlagslisten und Stützunterschriftslisten, herauszugeben, hilfsweise zur Einsicht zur Verfügung zu stellen.
2. Es wird festgestellt, dass die Betriebsratswahl vom 25. August 2021 für den gemeinsamen Betrieb der F. und der P. nichtig ist.
Die Betriebsratswahl vom 25. August 2021 für den gemeinsamen Betrieb der F. und der P. wird für unwirksam erklärt.
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Der Betriebsrat beantragt
die Zurückweisung der Beschwerde.
19
Der Betriebsrat verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Er verweist zunächst darauf, dass die frühere Beteiligte zu 4 irgendwann und ohne Erklärung aus dem Verfahren ausgeschieden sei und dass der nunmehrige Beteiligte zu 5 (früher Beteiligter zu 6) nach seinem Kenntnisstand von der Arbeitgeberin als leitender Angestellter (Vize Präsident) geführt werde und ihm insoweit die Antragsbefugnis fehle. Auch der Beteiligte zu 1 sei Vize Präsident und auch insoweit müsse geklärt werden, ob er nicht auch leitender Angestellter sei. Die Beteiligten zu 2 und zu 4 hätten den Titel „Head of“ und bei Inhabern dieses Titels gäbe es nach Ansicht der Arbeitgeberinnen auch mehrere leitende Angestellte. Der Betriebsrat meint weiter, dass die Beschwerde insoweit unzulässig sei, als das Arbeitsgericht richtigerweise darauf hinweist, dass kein Vortrag für die Erforderlichkeit einer Einsichtnahme in die Wahlunterlagen erfolgt sei und dass die Beschwerde lediglich wortreich ihre eigene Auffassung gegen die des Arbeitsgerichts setze, ohne sich aber mit der des Gerichts in ausreichender Tiefe auseinander zu setzen. Etwaige Ausführungen der Antragsteller zur Erforderlichkeit eines Einsichtsrechts gingen fehl. Teils sei Ausgangspunkt seinerseits strittiger und nicht nachgewiesener Vortrag und teils werde verkannt, dass die Feststellung der Zeugen zur ausreichenden Zahl an Stützunterschriften sehr wohl Tatsachenerklärungen beinhalte, nämlich die erforderliche Anzahl mit der vorgefundenen Anzahl verglichen zu haben. Festzuhalten bleibe grundsätzlich, dass eine Norm, die ein Einsichtsrecht ausdrücklich konstituiere nicht bestünde. Rechtsprechung und Literatur würden zwar Aufbewahrungspflichten nach der WO und dem BetrVG und ein gestaffeltes Einsichtsrecht ableiten, ohne aber auch nur im Ansatz dogmatisch darzulegen, wie aus der Aufbewahrungspflicht des Einen plötzlich ein Einsichtsnahmerecht des Anderen entstehen könne. Und selbst wenn man diese freihändige Rechtsschöpfung ursprünglich anerkennen würde, wäre im Nachgang zur Einführung der Datenschutz-Grundverordnung zu konstatieren, dass Einsicht auch Datenverarbeitung sei und dass eine hinreichend konkrete Rechtsgrundlage erforderlich wäre, was vorliegend aber nicht der Fall sei. Zumindest müsste aber dem need to know Prinzip Rechnung getragen werden.
20
Zum weiteren Sachvortrag der Beteiligten wird im Beschwerdeverfahren auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 22.12.2022 (Bl. 308-337 d.A.), 27.12.2022 (Bl. 343344 d.A.), 26.06.2023 (Bl. 383 bis 393 d.A.) sowie vom 18.07.2023 (Bl. 93-400 d.A.) Bezug genommen. Des weiteren wird insbesondere zur Prozessgeschichte auf den Inhalt der Gerichtsakte und insbesondere auf die Sitzungsniederschrift vom 25.07.2023 (Bl. 403406 d.A.) Bezug genommen.
21
Die zulässige Beschwerde ist, soweit mit ihr ein Einsichtsrecht beziehungsweise die Herausgabe der Wahlunterlagen verlangt wird, unbegründet.
22
Soweit der Betriebsrat die Befugnis der Beschwerdeführer zur Wahlanfechtung anzweifelt, geht dies ins Leere. Deren Stellenbezeichnung „Vize-President“ und „Head of“ ist für sich nicht ausreichend für die Vermutung bzw. Unterstellung, dass sich bei einem solchen Titelträger um einen leitenden Angestellten handelt, der nicht nach § 19 Abs. 1 Satz 1 iVm. §§ 7 Satz 1, 5 Abs. 2 bzw. 3 BetrVG zur Anfechtung einer Betriebsratswahl berechtigt wäre. Die mit diesem Titel versehenen Personen haben zudem auch offensichtlich auf der Wählerliste als Wahlberechtigte gestanden und an der Betriebsratswahl teilgenommen. Bei dieser Sachlage kann ihnen bei Ausübung des aktiven Wahlrechts eine Antragsbefugnis für die Wahlanfechtung oder für die Einsicht in die Wahlakten in Zusammenhang mit der Anfechtung einer Betriebsratswahl bzw. der Einsichtnahme in die Wahlakten nicht verneint werden, denn dies wäre in sich widersprüchlich und ein nicht akzeptabler Wertungswiderspruch. Damit ist auch der Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG genüge getan, wonach die Wahl von mindestens drei Wahlberechtigten angefochten werden kann. Weiter ist die Wahlanfechtung auch innerhalb der gebotenen Frist von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses (§ 19 abs. 2 Satz 2 BetrVG) erfolgt.
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Das Wahlergebnis wurde vom Wahlvorstand am 30.08.2022 bekanntgegeben und der Schriftsatz mit der die Wahl angefochten wird, ist am 13.09.2022 beim Arbeitsgericht eingegangen.
24
1. Grundsätzlich gilt nach den bereits vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 12.06.2013 – 7 ABR 77/11 und vom 27.07.2005 – 7 ABR 54/04, dass nach dem Grundsatz der geheimen Wahl die Stimmabgabe des Wählers keinem anderen bekannt werden darf. Das dient dem Zweck, den Wähler vor jeglichen sozialen Druck zu schützen. Der Grundsatz der geheimen Wahl gilt nicht nur für den eigentlichen Wahlakt, sondern auch für die Wahlvorbereitung sowie nach Beendigung der Wahl gegenüber Auskunftsverlangen über die Stimmabgabe. Einschränkungen des Grundsatzes der geheimen Wahl nach § 14 Abs. 1 BetrVG sind nur zulässig, wenn diese zur Durchführung einer ordnungsgemäßen Wahl erforderlich sind (vgl. BAG 27. Juli 2005 – 7 ABR 54/04). Diese Grundsätze sind insbesondere durch das Verfahren über die Stimmabgabe, den Wahlvorgang und die Stimmauszählung in §§ 11 ff. WO formalisiert und unabdingbar ausgestaltet (vgl. BAG, 12.06.2013 – 7 ABR 77/11).
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2. Eine Einschränkung der geheimen Wahl sieht danach § 12 Abs. 3 WO vor. Diese Vorschrift bestimmt, dass der Wähler den Wahlumschlag in die Wahlurne wirft, „nachdem“ die Stimmabgabe in der Wählerliste vermerkt worden ist. Danach ist es zwingend vorgeschrieben, die Stimmabgabe zu vermerken, bevor der Wähler den Wahlumschlag in die Urne einwerfen kann (vgl. BAG, 12.06.2013 – 7 ABR 77/11; Fitting 29. Aufl. § 12 WO 2001 Rn. 8). Der Wähler hat damit zum Zeitpunkt des Stimmabgabevermerks, der vor Einwurf des Wahlumschlags in die Urne stattfindet, anwesend zu sein. Eine spätere Anfertigung, Korrektur oder Ergänzung des Stimmabgabevermerks sieht die Bestimmung nicht vor.
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3. Die Stimmabgabe der Wähler kann in zulässiger Weise nicht auf andere Weise als durch die Vermerke in der Wählerliste festgestellt oder bewiesen werden. Eine nachträgliche Aufklärung der Stimmabgabe ist insbesondere nicht durch § 19 WO legitimiert. Zwar ergibt sich aus der in § 19 WO normierten Pflicht des Betriebsrats, die Wahlakten mindestens bis zur Beendigung seiner Amtszeit aufzubewahren, ein Recht zur Einsichtnahme in die Wählerliste mit den Stimmabgabevermerken. Dieses Recht bedarf eines berechtigten Interesses, soweit die Aufzeichnungen z. B. zu Stimmabgaben Schlüsse auf das Wahlverhalten der Arbeitnehmer zulassen. Jedoch legitimiert das Einsichtsrecht auch unter diesen Voraussetzungen keine weitergehenden Maßnahmen zur Aufklärung von Stimmendifferenzen (vgl. BAG, 12.06.2013 – 7 ABR 77/11).
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4. Die Aufbewahrungspflicht nach § 19 WO soll es ermöglichen, auch nach Abschluss der Betriebsratswahl vom Inhalt der Wahlakten Kenntnis zu nehmen, um die Ordnungsmäßigkeit der Betriebsratswahl überprüfen zu können (vgl. BAG 27.07. 2005 – 7 ABR 54/04). Diese Befugnis steht nicht nur dem Betriebsrat zu, der die Wahlakten aufzubewahren hat und dessen Mitglieder deshalb jederzeit ohne Weiteres über die Möglichkeit verfügen, Einsicht zu nehmen. Vielmehr ergibt sich aus dem Zweck der Aufbewahrungspflicht grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme in die Wahlakten zumindest für diejenigen, die nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG berechtigt sind, die Betriebsratswahl anzufechten, also für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und jede im Betrieb vertretene Gewerkschaft (vgl. BAG, 12.06.2013 – 7 ABR 77/11; 27.07.2005 – 7 ABR 54/04).
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5. Das Recht auf Einsichtnahme erfährt jedoch eine Einschränkung für Bestandteile von Wahlakten der Betriebsratswahl, aus denen Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer gezogen werden können. Die Wahlakten einer Betriebsratswahl enthalten nicht nur Unterlagen, die bereits während der Wahl und deren Vorbereitung im Betrieb ohnehin öffentlich zugänglich waren, z. B. die Wählerlisten, das Wahlausschreiben oder die Wahlvorschläge. Zu den Wahlakten gehören auch Schriftstücke, die nicht durch Aushang oder Auslegung im Betrieb veröffentlicht wurden und die Rückschlüsse auf die Stimmabgabe der Wahlberechtigten zulassen, z. B. die mit Stimmabgabevermerken des Wahlvorstands versehenen Wählerlisten, ggf. auch von Briefwählern zurückgesandte Briefwahlunterlagen oder an den Wahlvorstand gerichtete Schreiben einzelner Wahlberechtigter. Durch die Einsichtnahme in diese Unterlagen werden schützenswerte Belange der wahlberechtigten Arbeitnehmer berührt (vgl. BAG, 12.06.2013 – 7 ABR 77/11; 27.07. 2005 – 7 ABR 54/04).
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6. Die Wahlakten der Betriebsratswahl geben zwar idR keinen Aufschluss darüber, wem einzelne Wahlberechtigte ihre Stimme gegeben haben. Aus den mit Stimmabgabevermerken des Wahlvorstands versehenen Wählerlisten kann aber geschlossen werden, wer sich nicht an der Wahl beteiligt hat. Auch dies ist ein Umstand, der durch das Wahlgeheimnis geschützt wird, weil in der Unterlassung der Stimmabgabe eine Wahlentscheidung liegen kann. Ggf. kann auch aus Briefwahlunterlagen oder aus persönlichen Schreiben einzelner Wahlberechtigter an den Wahlvorstand, die dieser zu den Wahlakten genommen hat, auf deren Wahlverhalten geschlossen werden. Die wahlberechtigten Arbeitnehmer besitzen ein berechtigtes Interesse an der möglichst vertraulichen Behandlung derartiger Unterlagen. Die Einsichtnahme in solche Bestandteile der Wahlakten ist deshalb nur zulässig, wenn sie gerade in diese Schriftstücke zur Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl notwendig ist. Das ist jeweils darzulegen (vgl. BAG, 12.06.2013 – 7 ABR 77/11; 27.07.2005 – 7 ABR 54/04).
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7. Ein Anspruch auf Einsichtnahme und Überprüfung von Wahlunterlagen nach § 19 WO dient allein der Dokumentation und Prüfbarkeit des Wahlergebnisses. Er rechtfertigt keine weitergehenden Recherchen zur Aufklärung von Differenzen, die sich bei der Stimmauszählung zwischen vorhandenen Stimmabgabevermerken und vorhandenen Wahlumschlägen ergeben. Sowohl die Vorlage von Fragebögen über die Teilnahme an der Wahl als auch eine Vernehmung von Arbeitnehmern, die sich dazu verhält, stellen einen unzulässigen Eingriff in den Grundsatz der geheimen Wahl nach § 14 Abs. 1 BetrVG dar (vgl. BAG, 12.06.2013 – 7 ABR 77/11).
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Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts als unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass eine Einsichtnahme in die Wahlakten bzw. die Herausgabe der Wahlakten unzulässig ist, da dafür kein hinreichender Sachvortrag zur Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl vorliegt. Dies gilt insbesondre auch für die Herausgabe oder Einsicht in Vorschlagslisten und Stützunterschriftslisten.
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1. Bereits die umfangreiche und gründliche Einvernahme von Zeugen durch das Arbeitsgericht im Hinblick auf Abläufe der Betriebsratswahl steht der begehrten Herausgabe bzw. Einsicht in die Wahlakten entgegen. Es ist dem Sachvortrag der Beschwerdeführer nicht zu entnehmen, was mit welchem Ergebnis eine solche Vorgehensweise im Hinblick auf die Anfechtbarkeit oder der Nichtigkeit der Betriebsratswahl ergeben soll. Die bloße Behauptung, die Einvernahme der Zeugen sei nicht ergiebig gewesen, ist nicht ausreichend, zumal im Rahmen der Einvernahme der Zeugen die Beschwerdeführer von einem umfangreichen Fragerecht Gebrauch machen konnten. Diesbezüglich hätte ein konkreter Sachvortrag erfolgen müssen, was an den Aussagen der einvernommenen Zeugen derart auffällig, missverständlich oder unklar gewesen sein soll, dass eine Einsichtnahme bzw. Herausgabe der Wahlakten zwingend geboten ist bzw. sich geradezu aufdrängt. Lediglich das Suchen nach weiteren Erkenntnissen ist für sich allein für das beantragte Begehren jedenfalls nicht ausreichend. Weshalb nach dem Ergebnis der Einvernahme der Zeugen weiterhin erhebliche Zweifel bestünden, dass die Vorschlagslisten korrigiert und vollständig eingereicht worden seien, insbesondre wegen einem Zeitraum von 17:45 Uhr und 18:00 Uhr am 27.07.2021, ist eine bloße Behauptung, die ohne weiteren substantiierten Vortrag nicht geeignet ist, einen Anspruch auf die Herausgabe bestimmter Listen oder eine Einsichtnahme in diese zu begründen.
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2. Da bereits kein hinreichender Grund für die Einsicht bzw. der Herausgabe der Wahlakten vorliegt, kann es auch offen bleiben, ob das Begehren der Beschwerdeführer mit den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung in Einklang zu bringen ist, wobei einiges dafür spricht, dass es insoweit auch an der gebotenen Anspruchsgrundlage für diese Begehren fehlt und auch insoweit der Antrag unbegründet ist.
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Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung wird zugelassen.