Titel:
Ersatz des Differenzschadens wegen Etablierung einer Fahrkurvenerkennung mit Modifikation der Abgasrückführungsrate
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Allein der Umstand, dass die Abgasrückführung eines Fahrzeugs durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei bestimmten Außentemperaturen reduziert (und möglicherweise ganz abgeschaltet) wird, reicht nicht aus, um dem Verhalten der für den Fahrzeughersteller handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Fahrzeughersteller muss, wenn er eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegeben und dadurch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV verletzt hat, im Fall der Inanspruchnahme nach § 823 Abs. 2 BGB Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufs des Fahrzeugs ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, muss er sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums darlegen und erforderlichenfalls beweisen. (Rn. 80) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV unterliegt dem Vorteilsausgleich. Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind jedoch erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen. Der Vorteilausgleich kann der Gewährung eines Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB sogar gänzlich entgegenstehen, wenn der Differenzschaden vollständig ausgeglichen ist. (Rn. 109 – 111) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 288, SCR-Katalysator, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, Vorteilsausgleich
Vorinstanz:
LG München II, Urteil vom 22.02.2023 – 6 O 3273/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 43903
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München II vom 22.02.2023, Az. 6 O 3273/22, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.486,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 02.11.2022 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 90% und die Beklagte 10%. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 85% und die Beklagte 15%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.281,45 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatz aus dem Kauf eines Dieselfahrzeugs geltend.
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Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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1. Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin erwarb am 29.05.2017 bei einem nicht am Verfahren beteiligten Autohaus einen gebrauchten VW Caddy, FIN …577, Bauzeit vor der 22. Kalenderwoche 2016, Erstzulassung 12.04.2016, mit einer Laufleistung von 10.111 km zum Kaufpreis von 14.865,55 € netto/17.690,00 € brutto (Anlage K1). Die Klägerin hat den Kaufpreis durch ein Darlehen finanziert und hierfür Zinsen in Höhe von 333,41 € verauslagt (Anlage K1a).
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Das Fahrzeug ist ausgestattet mit einem Dieselmotor des Typs EA 288, Hubraum 2,0 l, Leistung 75 kW, der der Abgasnorm Euro 6 unterfällt und von der Beklagten entwickelt und gefertigt wurde. Das Fahrzeug verfügt über ein Abgasnachbehandlungssystem in Form eines SCR-Katalysators. In der Motorsteuerungssoftware sind ein Thermofenster und eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt.
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Das Fahrzeug ist nicht von einem individuellen Rückruf des Kraftfahrtbundesamts betroffen.
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Am 01.11.2021 verkaufte die Klägerin das Fahrzeug mit einer Laufleistung von 86.500 km und einem starken Hagelschaden für 6.000,00 € netto/7.140,00 € brutto weiter (Anlage K1b).
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2. Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 17.690,00 € Zug um Zug gegen Herausgabe des Verkaufserlöses in Höhe von 7.140,00 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung zu zahlen. Des Weiteren hat sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, Finanzierungskosten in Höhe von 333,41 € sowie die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 540,50 €, jeweils nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Die Klägerin hat ihre Klage in erster Instanz ausschließlich auf die Manipulation des SCRKatalysators in Kombination mit einer Fahrkurvenerkennung und Modulation der Abgasrückführung gestützt.
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3. Das Landgericht München II hat mit Endurteil vom 22.02.2023 die Klage abgewiesen.
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Einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 826, 31 BGB hat das Landgericht abgelehnt, weil die Klägerin zum vorsätzlichen Handeln verfassungsmäßiger Vertreter oder sonstiger Repräsentanten der Beklagten nicht substantiiert und ohne greifbare Anhaltspunkte vorgetragen habe. Im Übrigen ließen die Behauptungen der Klägerin zu einer Fahrkurvenerkennung, zu einer erhöhten Abgasrückführung im Prüfstandsbetrieb, zur frühzeitigen Inbetriebnahme des SCR-Katalysators und zu einer erhöhten Einspritzung von AdBlue unter Prüfstandsbedingungen kein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten erkennen. Es sei davon auszugehen, dass der Motor auf dem Prüfstand und auf der Straße in gleicher Weise betrieben werde, auf dem Prüfstand aber nicht alle im Straßenverkehr relevanten Fahrsituationen geprüft würden. Umstände für eine bewusste Täuschung des Kraftfahrtbundesamts durch die Beklagte oder für das Bewusstsein der Beklagten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, habe die Klägerin nicht aufgezeigt. Darüber hinaus seien ihre Behauptungen zu den sogenannten Abschalteinrichtungen nicht konkret und bestünden in Schlussfolgerungen aus Messungen im Straßenbetrieb. Diese seien indes für das Typgenehmigungsverfahren rechtlich nicht relevant.
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Einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV hat das Landgericht am fehlenden Schutzgesetzcharakter dieser Normen in Bezug auf die Individualinteressen von Kraftfahrzeugerwerbern scheitern lassen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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4. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. In der Hauptsache verfolgt sie den sog. großen Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung weiter, hilfsweise begehrt sie den Differenzschadensersatz.
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Das Landgericht hätte den klägerischen Vortrag nicht für unsubstantiiert erachten dürfen.
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Die Klägerin habe greifbare Indizien für die Verwendung illegaler, prüfstandsbezogener Abschalteinrichtungen vorgetragen, darunter konkrete Messwerte (der Deutschen Umwelthilfe, des Kraftfahrtbundesamts etc.), Dokumente der Beklagten, Äußerungen des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, die Betroffenheit des EA 288 vom „Abgasskandal“ in den USA, Expertenmeinungen, die Rückrufe für einige Modelle, Beweisangebote zu Sachverständigengutachten, Medienberichterstattungen etc. Allein die erheblichen Abweichungen zwischen Zyklus und Straße belegten eine Prüfstandsbezogenheit.
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Mithilfe der sog. Fahrkurvenerkennung werde anhand des in der Software hinterlegten Zeit/Streckenprofils des Testzyklus ermittelt, ob sich das Fahrzeug im Prüfzyklus befinde. Sei dies der Fall, werde in einen abweichenden, explizit nicht für den Realbetrieb vorgesehenen Betriebsmodus mit niedrigeren Stickoxidemissionen geschaltet. Die Abgasrückführungsrate sei dann durchgängig erhöht. Der SCR-Katalysator werde bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem er die Arbeitstemperatur von ca. 200 °C noch nicht erreicht habe, in Betrieb genommen. Dem Katalysator werde mehr AdBlue zugeführt, sodass er mehr NOx umwandeln könne. Daneben existiere ein Betriebsmodus für den Straßenverkehr mit hohen, grenzwertüberschreitenden Stickoxidemissionen (geringe Abgasrückführungsrate, spätere Inbetriebnahme des Katalysators, geringere AdBlueZufuhr). Die Grenzwertkausalität sei für die Beurteilung ohne Bedeutung.
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Die Sittenwidrigkeit ergebe sich aus einer Gesamtschau der Umstände. Es werde eine aktive Prüfstandserkennungssoftware verwendet. Diese habe die Beklagte in Millionen Fahrzeugen installiert, ohne dies dem Kraftfahrtbundesamt im Rahmen der Erteilung der Typgenehmigung mitzuteilen. Dabei seien der Beklagten die Schädigung der späteren Käufer sowie der Umwelt und Gesundheit bekannt gewesen. Eine Offenlegung der Prüfstandserkennungssoftware gegenüber dem KBA sei auch im September/Oktober 2015 nicht erfolgt; vielmehr habe die Beklagte wahrheitswidrige Angaben gemacht. Das KBA habe den Angaben vertraut. Die Beklagte habe ihr Verhalten nicht nach außen erkennbar geändert, wie es im Vergleich dazu beim Motortyp EA 189 geschehen sei. Die „Applikationsrichtlinie“ verdeutliche, dass die Beklagte sowohl von der Verwendung der beschriebenen Funktion Kenntnis gehabt habe als auch von dem Umstand, dass es sich dabei um unzulässige Abschalteinrichtungen handele. Es sei davon auszugehen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten Kenntnis von der Manipulation gehabt habe.
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Der Schaden der Klägerin bestehe in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit, nämlich dem Kaufvertrag über eine mangelhafte Sache. Bei rechtmäßigem Vorgehen des Kraftfahrtbundesamts drohten Maßnahmen gegen die Typgenehmigung.
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Hilfsweise macht die Klägerin einen Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV geltend. In Bezug auf die Fahrkurvenerkennung liege Vorsatz vor. Hinsichtlich des Thermofensters, zu dessen Bedatung die Klägerin nichts vorbringt, sei zumindest von einer fahrlässigen Schutzgesetzverletzung auszugehen, indem die Beklagte das Fahrzeug zusammen mit einer nicht den Genehmigungsvoraussetzungen entsprechenden Übereinstimmungsbescheinigung in den Verkehr gebracht habe. Das Verschulden der Beklagten sei wegen der Verletzung der Genehmigungsvorschriften grundsätzlich zu vermuten. Da die Beklagte mit einer Auslegung als illegal, wie sie der EuGH für das Thermofenster mehrfach bestätigt habe, habe rechnen müssen, insbesondere bei der Kombination verschiedener Abschalteinrichtungen, sei ein vermeidbarer Rechtsirrtum gegeben. Die Klägerin bestreitet in diesem Zusammenhang, dass dem KBA die Spezifikationen der Abschalteinrichtungen bekannt gewesen seien. Im Übrigen sei die Rechtsprechung des EuGH rückwirkend anzuwenden, sodass es nur darauf ankomme, ob das KBA die Abschalteinrichtung vor diesem Hintergrund genehmigt hätte. Nur eine rechtmäßige behördliche Entscheidung könne einen Verbotsirrtum begründen. Im Übrigen seien die Fahrzeughersteller von der Zuliefererfirma B. über die rechtlichen Probleme der Nutzung von Abschalteinrichtungen aufgeklärt worden.
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Angemessen sei ein Schadensersatz in Höhe von 15% des Kaufpreises. Der Nutzungsvorteil sei ausgehend von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km zu berechnen. Der Restwert ergebe sich aus der Subtraktion von tatsächlichem Wert und Nutzungsentschädigung. Für die Restwertermittlung könne nicht auf Schwacke-Listen oder DAT-Bewertungen und nicht auf Angebote aus Onlineportalen zurückgegriffen werden, da diese nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten am Markt korrespondierten, sondern lediglich „Wunschvorstellungen“ der Fahrzeuganbieter wiedergäben.
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Die Kostenfeststellungsklage solle mit Blick auf die Umstellung auf den deutlich niedrigeren Differenzschadensersatz eine nachteilige Kostenfolge für die Klägerin vermeiden.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts München II vom 22.02.2023 wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Herausgabe des Verkaufserlöses in Höhe von 6.000,00 € an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 14.865,55 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs Marke: Volkswagen Fahrzeug-Identifizierungs-Nummer (FIN): …577, die sich aus folgender Formel ergibt: Kaufpreis x (Kilometerstand im Zeitpunkt des Verkaufs ‐ Kilometerstand bei Kauf) / (in das Ermessen des Gerichts gestellte Gesamtlaufleistung ‐ Kilometerstand bei Kauf)
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden angemessenen Schadensersatz in Höhe von 5% bis 15% des Kaufpreises des Fahrzeugs (14.865,55 €) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. 2. Es wird beantragt festzustellen, dass die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.
2. Die Beklagte wird verurteilt, Finanzierungskosten in Höhe von 333,41 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu bezahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 540,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts. Das Kraftfahrtbundesamt habe Fahrzeuge mit dem Aggregat EA 288 über mehrere Jahre in drei Phasen umfassend durch Messungen auf dem Prüfstand und auf der Straße sowie durch Analysen an der Motorsteuerungssoftware untersucht und für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp bestätigt, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden sei.
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Die Fahrkurvenerkennung, die bewirke, dass während einer Prüfstandsfahrt nach Erreichen der erforderlichen Betriebstemperatur des SCR-Katalysators von mindestens 200 °C an einem Betriebsmodus mit erhöhter Abgasrückführungsrate (sog. NOx-LowBetriebsart) festgehalten werde, während außerhalb des Prüfstands zu diesem Zeitpunkt in einen Betriebsmodus mit verringerter Abgasrückführungsrate (sog. NOx-HighBetriebsart) gewechselt werde, stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, da es an der Grenzwertrelevanz fehle. Die Beklagte habe das KBA im Oktober 2015 über diese nicht prüfstandsbezogene Funktion informiert. Das KBA habe nach intensiven Untersuchungen bescheinigt, dass selbst bei deren Deaktivierung der gesetzliche NOx-Emissionsgrenzwert eingehalten werde.
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Die Verwendung einer Fahrkurvenerkennung sei nicht sittenwidrig. Im Rahmen der Beurteilung des Gesamtcharakters des Verhaltens der Beklagten sei die Offenlegung gegenüber dem KBA zu berücksichtigen. Die Klägerin habe ihr Fahrzeug erst nach dieser Verhaltensänderung der Beklagten erworben. Es fehle auch an einem Schädigungsvorsatz der Beklagten.
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Es sei keine Funktion hinterlegt, bei der mit der Eindosierung von AdBlue in den SCRKatalysator bereits ab einer Betriebstemperatur des SCR-Katalysators von ca. 130 °C im NEFZ anstelle von ca. 150 °C im realen Straßenbetrieb begonnen werde.
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Das Thermofenster sei bereits tatbestandlich keine Abschalteinrichtung. Die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug sei in unmittelbarer Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur, die an einem Sensor am Äußeren des Fahrzeugs gemessen werde, in einem Bereich zwischen -24 °C bis +70 °C (innerhalb der jeweils aktiven Motorbetriebsarten) zu 100% aktiv. Eine Abrampung finde nicht statt. Allenfalls trete eine Korrektur aufgrund der im Fahrzeugantriebssystem gemessenen Temperaturen (z. B. am Heißfilmluftmassenmesser) ein, die partiell von der Umgebungstemperatur beeinflusst werden können. Oberhalb und unterhalb des Thermofensters von -24 °C bis +70 °C erfolge aus Motorschutzgründen und zur Gewährleistung eines sicheren Betriebs keine Abgasrückführung.
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Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus.
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Die Beklagte habe keine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt. Außerdem habe sie nicht einmal fahrlässig gegen das EG-Typgenehmigungsrecht verstoßen. Sie könne sich auf eine tatsächliche, zumindest aber auf eine hypothetische Genehmigung der infrage stehenden Abschalteinrichtungen durch das Kraftfahrtbundesamt berufen.
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Auf die Fahrkurvenerkennung habe die Beklagte ab Ende 2015 freiwillig schrittweise ab bestimmten Neuproduktionen oder Modellwechseln in EA 288-Fahrzeugkonzepten verzichtet (SCR-Technologie ab November 2015, NSK-Technologie ab 22. Kalenderwoche 2016) und die freiwillige schrittweise Entfernung bei bereits produzierten Fahrzeugen durch Software-Updates mit dem KBA im Detail koordiniert. Selbst bei einer unterstellten früheren Mitteilung über die Existenz der Fahrkurvenerkennung in bestimmten EA 288-Fahrzeugen hätte das Kraftfahrtbundesamt die Erteilung der Typgenehmigung nicht deswegen verweigert, weil es seit 2007 uneingeschränkt der Auffassung sei, dass eine nicht grenzwertrelevante Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem aus regulierungsrechtlicher Sicht keine unzulässige Abschalteinrichtung sei. Aus der Verwaltungspraxis des KBA ergebe sich eine Indizwirkung für das Vorliegen einer hypothetischen Genehmigung.
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Auch das Thermofenster hätte das KBA für zulässig erachtet. Seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 2016/646 (RDE2-Verordnung) vom 16.05.2016 seien Fahrzeughersteller für neue Fahrzeugtypen dazu verpflichtet, der Typgenehmigungsbehörde für neue Typgenehmigungen sowie Nachtragsgenehmigungen im Einzelnen darzustellen, welche Emissionsstrategie in dem zu genehmigenden Fahrzeugtyp zum Einsatz komme (BES/AES-Dokumentation). Die Beklagte als Herstellerin habe diese Vorgaben umgesetzt. Für vor Mai 2016 typgenehmigte Fahrzeuge und im Mai 2016 noch produzierte Fahrzeuge mit EA 288-Aggregat habe die Beklagte freiwillig die BES/AES-Dokumentation der Typgenehmigungsbehörde zur Kenntnis und Prüfung nachgereicht. Konkret habe die Beklagte dem KBA die Entwicklung und die neueste technische Ausgestaltung der Abgasrückführung unter anderem der Dieselmodelle EA 288 im Rahmen eines „Technik-Workshops“ am 22.01.2016 erläutert. Das KBA habe seitdem Kenntnis von der konkreten Ausgestaltung der Abgasrückführung in EA 288-Aggregaten einschließlich der Applikationsrichtlinien zum Bauteileschutz (unter anderem in Bezug auf das Thermofenster) gehabt und keine Beanstandungen geäußert, sondern die Technologie als zulässig bewertet.
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Darüber hinaus scheide ein Verschulden wegen einer Verhaltensänderung aus. Die Beklagte habe vor Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrages mit den vorgeschriebenen Vorgehensweisen umfangreiche Aufklärungsmaßnahmen ergriffen gehabt. Im Juli 2016 habe sie sich entschieden, ab der Kalenderwoche 04/2018 generell die Fahrkurvenerkennung aus bereits produzierten Feldfahrzeugen freiwillig auszubauen. Mittels eines Anschreibens bzw. einer Kundeninformation habe sie die Halter von entsprechenden Fahrzeugen darauf hingewiesen, dass für das jeweilige Fahrzeug ein freiwilliges und kostenloses Software-Update zur Reduzierung der NOX-Emissionen zur Verfügung stehe.
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Der Klägerin sei kein Schaden entstanden. Unzulässige Abschalteinrichtungen kämen nicht zum Einsatz. Das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typgenehmigung und könne uneingeschränkt genutzt werden. Einen Rückruf gebe es nicht, eine Stilllegung drohe nicht. Ein Differenzschaden scheide aus. Die Ansicht des Bundesgerichtshofs sei nicht mit der Rechtsprechung des EuGH vom 21.03.2023 vereinbar. Die abstrakte Betroffenheit eines Fahrzeugs sei nicht ersatzfähig, da sie noch keinen tatsächlich entstandenen Schaden darstelle. Zumindest könne der Schaden nicht höher als 5% des Kaufpreises sein (kein Risiko einer behördlichen Anordnung, allenfalls geringer Grad des Verschuldens, geringes Gewicht des (unterstellten) Rechtsverstoßes). Ein Differenzschaden werde durch den Vorteilsausgleich mit Restwert (10.492,00 € brutto/8.498,52 € netto) und Nutzungsvorteil (5.633,11 €) vollständig .
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
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Die zulässige Berufung der Klägerin erweist sich teilweise als begründet. Ihr steht ein Anspruch in Höhe von 1.486,56 € gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu.
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1. Die Beklagte haftet der Klägerin nicht aus §§ 826,31 BGB auf den sog. großen Schadensersatz, da ihr kein sittenwidriges Verhalten anzulasten ist.
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a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, juris Rdnr. 15; BGH, Urteil vom 28.06.2016, VI ZR 536/15, NJW, 2017, 250; juris Rdnr. 16). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH , Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, juris Rdnr. 15; BGH, Urteil vom 07.05.2019, VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164, juris Rdnr. 8).
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Dabei ist die Prüfstandsbezogenheit einer Motorsteuerungssoftware grundsätzlich ein geeignetes Kriterium, um zwischen nur unzulässigen Abschalteinrichtungen und solchen, deren Implementierung die Kriterien einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung erfüllen können, zu unterscheiden. Die Tatsache, dass eine Manipulationssoftware ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviert, indiziert eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde. Eine Software, die bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgaswerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, zielt unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ab. Das Inverkehrbringen solcher Fahrzeuge durch den Fahrzeughersteller ist sittenwidrig und steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber gleich (BGH, Beschluss vom 10.01.2023, VIII ZR 9/21, ZIP 2023, 989, juris Rdnr. 28; BGH, Urteil vom 27.07.2021, VI ZR 151/20, VersR 2021, 1511, juris Rdnr. 12; BGH, Beschluss vom 04.05.2022, VII ZR 733/21, juris Rdnr. 18).
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b) In Bezug auf das Thermofenster kann, ungeachtet der Frage, ob ein solches vorliegt, wie es bedatet ist und ob es als unzulässige Abschalteinrichtung einzuordnen wäre, nicht von einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten ausgegangen werden.
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Allein der Umstand, dass die Abgasrückführung durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei bestimmten Außentemperaturen reduziert (und möglicherweise ganz abgeschaltet) wird, reicht nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt, dass ein derartiges Thermofenster objektiv als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren wäre, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedarf es vielmehr weiterer Umstände. Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz des Thermofensters eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinnen erstrebt hat. Bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters das Bewusstsein hatten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 12; BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19, NJW 2021, 921, juris Rdnr. 13 ff.; BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721, juris Rdnr. 16). An dieser Rechtsprechung hält der Bundesgerichtshof auch nach dem Urteil des EuGH vom 21.03.2023 (C-100/21, NJW 2023, 1111) ausdrücklich fest (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 48).
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Daran fehlt es hier. Die Verwendung einer Prüfstandserkennungssoftware ist mit der Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht verbunden. Die Klägerin behauptet dies auch gar nicht. Ihr Vortrag zum Thermofenster, das sie erstmals in der Berufungsinstanz ins Feld führt, ist rudimentär. Es ist daher davon auszugehen, dass das Thermofenster auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise arbeitet. Damit fehlt es an einer die arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörden indizierenden Prüfstandserkennung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814, juris Rdnr. 26 ff.; auch BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris Rdnr. 14; BGH, Urteil vom 23.09.2021, III ZR 200/20, NJW 2021, 3725, juris Rdnr. 22; vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.2022, VII ZR 733/21, juris Rdnr. 10, 13).
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Darüberhinausgehende Anhaltspunkte für eine Täuschung des Kraftfahrtbundesamts vor Erteilung der Typgenehmigung durch wissentlich unrichtige oder unterbliebene Angaben der Beklagten zum Thermofenster, die auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, sind nicht ersichtlich.
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Des Weiteren kann mit Blick auf die breit geführte Diskussion um die Zulässigkeit eines Thermofensters nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Entgegen der Auffassung der Klägerin „überschreibt“ die Entscheidung des EuGH nicht rückwirkend die dazu geführte Debatte und macht die Aussagen des Kraftfahrtbundesamts zur Zulässigkeit des Thermofensters nicht ungeschehen. Für die Beurteilung der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen, die auf den Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs abstellen, sind sie nach wie vor relevant. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt aber für die erforderliche Kenntnis der Tatumstände, die die Sittenwidrigkeit und die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten begründen, nicht.
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c) Auch in Bezug auf die Fahrkurvenerkennung und die im Zusammenhang damit von der Klägerin behauptete Manipulation des SCR-Katalysators und der Modifikation der AdBlue-Zufuhr sind die Voraussetzungen für ein sittenwidriges Handeln der Beklagten nicht erfüllt.
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Anhaltspunkte für das die Sittenwidrigkeit ausfüllende Vorstellungsbild der für die Beklagten handelnden Personen hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Die Fahrkurvenerkennung im Motortyp EA 288 war dem Kraftfahrtbundesamt seit 2015 bekannt und wurde von diesem nicht als unzulässig gewertet. Dies lassen die zahlreichen, von der Beklagten vorgelegten Auskünfte des Kraftfahrtbundesamts in Parallelverfahren erkennen. Die gerichtlichen Anfragen sind zwar zu anderen Fahrzeugen ergangen. Jedoch hat sich das KBA in seinen Aussagen übereinstimmend sehr allgemein gehalten. So hat es unter anderem mitgeteilt, umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des EA 288 durchgeführt zu haben, z. B. im Rahmen der „Untersuchungskommission V.“, der freizugebenden Software-Updates für das Nationale Forum Diesel sowie im Rahmen spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten. Prüfungen hätten gezeigt, dass auch bei Deaktivierung der Prüfstandserkennung die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten worden seien. Bei keinem Fahrzeug, welches ein Aggregat des EA 288 aufgewiesen und durch das KBA untersucht worden sei, sei eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden. Es seien daher weder Nebenbestimmungen angeordnet worden noch bestehe ein behördlich angeordneter Rückruf aufgrund als unzulässig eingestufter Abschalteinrichtungen (Auskunft vom 15.12.2020 zu einem Volkswagen Tiguan, Anlage B15; daneben: Auskunft vom 11.01.2021, Anlage B23; Auskunft vom 24.03.2021 zu einem Volkswagen Tiguan, Anlage B48; Auskunft vom 26.10.2021 zu einem Skoda Octavia, Anlage B57; Auskunft vom 16.03.2021 zu einem Seat Alhambra, Anlage B59; Auskunft vom 31.08.2021 zu einem Audi A6, Anlage B60 Auskunft vom 08.10.2021 zu einem VW Golf, Anlage B61; Auskunft vom 01.09.2022 zu einem VW Touran, Anlage BE72; Auskunft vom 04.03.2022 zu einem VW Caddy 2.0 l Diesel 75 kW Euro 6, Anlage B70/BE107).
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Konkret bezogen auf die Kombination von Fahrkurvenerkennung und SCRKatalysator hat das Kraftfahrtbundesamt – ebenfalls verallgemeinernd – ausgeführt, im Falle der Fahrzeuge mit nachgeschalteter Abgasnachbehandlung mittels SCRKatalysator werde die Fahrkurvenerkennung zur Umschaltung der Betriebsmodi der Abgasrückführung im Rahmen der Typprüfung genutzt, wobei eine Verringerung der Raten der Abgasrückführung durch die Abgasnachbehandlung kompensiert werden könne. Im Prinzip werde die NOxmindernde Wirksamkeit des AGR-Systems zurückgefahren, sobald das SCR-System seine NOxmindernde Wirkung entfalten könne. Bei einer Betrachtung des gesamten Emissionskontrollsystems blieben somit die Schadstoffemissionen unterhalb der Grenzwerte. Dies erfolge nicht nur über die Fahrkurve im Testzyklus, sondern auch unter realen Betriebsbedingungen auf der Straße. Die Umschaltung der Betriebsmodi erfolge dabei über physikalische Motorparameter wie z. B. die Temperatur des SCR-Katalysators. Prüfungen im KBA hätten gezeigt, dass auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenfunktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten würden, sodass die Fahrkurvenerkennung bei Fahrzeugen mit Motor EA 288 nicht als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet werde (Auskunft vom 25.01.2021 zu einem Volkswagen Tiguan, Anlage B 28).
48
Es ist zwar zutreffend, dass nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Grenzwertkausalität für die Frage, ob eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 vorliegt, keine Rolle spielt (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW, 2023, 2259, juris Rdnr. 51). Bei der umfassenden Würdigung der Umstände, die ein sittenwidriges Handeln ausmachen können, kommt es jedoch sehr wohl darauf an, ob die Verantwortlichen der Beklagten in dem Bewusstsein handelten, dass die gesetzlichen Abgaswerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden. Dies ist nach den vielfältigen Bescheinigungen des Kraftfahrtbundesamts bei der Fahrkurvenerkennung nicht der Fall.
49
Auch wenn – wie die Klägerin meint – diese Rechtsauffassung bzw. Verwaltungspraxis des KBA keine Grundlage in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 hätte, schließt dies die Annahme eines vorsätzlich-sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten aus. Vertritt die zuständige Fachbehörde die Rechtsauffassung, die hier diskutierte Abschalteinrichtung sei zulässig, kann das darauf bezogene Verhalten der Beklagten nicht als besonders verwerflich eingestuft werden. Für die dazu erforderliche Annahme, die Beklagte habe die Abschalteinrichtung im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und unter billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes implementiert, bleibt kein Raum; ebenso scheidet ein Schädigungsvorsatz aus (BGH, Urteil vom 12.10.2023, VII ZR 412/21, juris Rdnr. 17; vgl. BGH, Beschluss vom 09.05.2022, VIa ZR 303/21). Gerade aufgrund der eindeutigen Positionierung des Kraftfahrtbundesamts zur Frage der Grenzwertrelevanz kann den für die Beklagte agierenden Personen nicht unterstellt werden, dass sie sich gezielt über eine Täuschung des Kraftfahrtbundesamts eine Typenzulassung hätten erschleichen wollen.
50
Weitergehende Aspekte, die die Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB ausfüllen könnten, hat die Klägerin nicht dargetan. Die Angaben des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten vor dem Untersuchungsausschuss (Anlage K5), es seien „einige Motoren 288“ von illegalen Abschalteinrichtungen betroffen, hat keinen aussagekräftigen Gehalt.
51
Der Verweis auf Berichte der D. Umwelthilfe (Anlage K6) oder auf andere Messungen ist ebenfalls kein entscheidungserheblicher Baustein für die Frage eines etwaigen sittenwidrigen Handelns der Beklagten. Die DUH hat ihren Test an Versuchsfahrzeugen Audi A3 Sportback 2.0 TDI, Euro 6, und Audi A3 2.0 TDI, Euro 5, durchgeführt, was für sich genommen schon keine Vergleichsbasis bietet. Der Umstand, dass das Fahrzeug im realen Betrieb die gesetzlichen Grenzwerte nicht einhält, ist rechtlich unbeachtlich. Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist schon als Indiz für eine Abschalteinrichtung angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris Rdnr. 30; BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, ZIP 2022, 276, juris Rdnr. 23). Erst recht gilt dies für die Frage einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung.
52
Ferner bietet die „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinen & Freigabevorgaben EA 288“ der Beklagten vom 18.11.2015 (Anlage K3) keine greifbaren Anhaltspunkte für ein verwerfliches Vorgehen. Dabei handelt es sich um einen mit dem Kraftfahrtbundesamt vereinbarten Leitfaden, der auch eine Applikationsanweisung für „Fahrkurven EA288 SCR“ beinhaltet, gültig ab Kalenderwoche 47/2015. Für den Produktionsstart vor Kalenderwoche 22/2016 ist festgehalten: „Fahrkurven dürfen nicht zur Einhaltung der Emissions- und OBD-Grenzwerte genutzt werden. Diese müssen durch Ausbedatung oder Software-Änderung entfernt werden.
53
Möglicherweise notwendige Umschaltungen zur Einhaltung der Emissions- und OBD-Grenzwerte müssen auf Basis physikalischer Randbedingungen erfolgen.“ Abgesehen davon, dass sich die Beklagte bezüglich der Entscheidungsvorlage mit dem KBA abgestimmt hatte, stellte sie die Fahrkurvenerkennung ausdrücklich unter den Vorbehalt gesetzmäßigen Handelns, was Auswirkungen auf das subjektive Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.2022, VIa ZR 334/21, juris Rdnr. 20).
54
Soweit die Klägerin einwendet, die Beklagte habe die Prüfstandserkennungssoftware gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt auch im September/Oktober 2015 nicht offengelegt, sondern wahrheitswidrige Angaben gemacht, auf die das KBA vertraut habe, unterfüttert sie ihre Behauptungen nicht mit Umständen, aus denen sich manifeste Anhaltspunkte für ihre Schilderung ableiten ließen. Dies wäre angesichts der Auskünfte des Kraftfahrtbundesamts, das auf eine Vielzahl eigener, eingehender Prüfungen rekurriert, erforderlich gewesen.
55
Im Ergebnis ist der Tatbestand der §§ 826, 31 BGB nicht erfüllt, der Anspruch der Klägerin auf den sog. großen Schadensersatz nach diesen Vorschriften nicht gegeben.
56
2. Die Klägerin hat zudem keinen Anspruch auf den sog. großen Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV. Das Interesse, nicht zu einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im Aufgabenbereich dieser Bestimmungen. Sie bezwecken nicht den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer (BGH, Beschluss vom 20.04.2022, VII ZR 720/21, juris Rdnr. 13; BGH, Beschluss vom 10.02.2022, III ZR 87/21, MDR 2022, 700, juris Rdnr. 14; BGH, Urteil vom 03.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, juris Rdnr. 11).
57
3. Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV in Höhe von 1.486,56 €, weil sie durch den Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug wegen eines Verstoßes der Beklagten als Fahrzeugherstellerin gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese erlitten hat.
58
a) Durch die Unbegründetheit des Hauptantrages ist die innerprozessuale Bedingung zur Prüfung des Hilfsantrages eingetreten. Die Umstellung von dem sog. großen Schadensersatz im Hauptantrag auf den Differenzschadensersatz im Hilfsantrag erweist sich als auch in der 2. Instanz stets zulässige Antragsänderung nach §§ 525 S. 1, 264 Nr. 2 ZPO. Denn dem von der Klägerin in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem Differenzschadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 45; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 35; BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 17). Wechselt die Klägerin jedoch nur die Art der Schadensberechnung, ohne ihren Antrag auf einen abgewandelten Lebenssachverhalt zu stützen, liegt keine Klageänderung i. S. d. § 263 ZPO vor (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2015, XI ZR 536/14, juris Rdnr. 33).
59
b) Die Bestimmungen der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 10).
60
Die von der Beklagten gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorgebrachten Einwände verfangen nicht. Aufgrund der Vorgaben des EuGH auf Gewährung eines effektiven und verhältnismäßigen Schadensersatzes im Falle des enttäuschten Käufervertrauens (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21, NJW 2023, 1111, juris Rdnr. 90, 93) ist eine unionsrechtliche Lesart des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV geboten, wie sie der Bundesgerichtshof umsetzt. Der Wortlaut dieser Normen steht einem unionsrechtlich fundierten Verständnis als Schutzgesetze, deren sachlicher Schutzbereich den Differenzschaden bei Abschluss des Kaufvertrags umfasst, nicht entgegen. Ein Schutzgesetz kann jede Norm des objektiven Rechts sein, sofern darin nur ein bestimmtes Gebot oder Verbot ausgesprochen wird (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 32, 43).
61
c) Die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung kann die Beklagte dem Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz nicht entgegenhalten.
62
Die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts erstreckt sich ausschließlich auf den verfügenden Teil, nicht aber auf die Begründungselemente und nicht auf Feststellungen jenseits des Regelungsinhalts (BGH, Urteil vom 08.12.2021, VIII ZR 190/19, NJW 2022, 1238, juris Rdnr. 81). Art. 3 Nr. 5 der RL 2007/46/EG (die auch nach ihrem zeitlichen Anwendungsbereich weiter anzuwenden ist) beschreibt die „EG-Typgenehmigung“ als das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbstständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen dieser Richtlinie und der in Anhang IV oder XI aufgeführten Rechtsakte entspricht. In Art. 9 Abs. 1 der RL 2007/46/EG ist festgehalten, dass die Mitgliedstaaten eine EGGenehmigung für einen Fahrzeugtyp der entsprechenden Beschreibung unter den dort genannten Voraussetzungen erteilen, d. h. für Fahrzeuge einer bestimmten Fahrzeugklasse, die sich zumindest hinsichtlich der in Anhang II Teil B aufgeführten wesentlichen Merkmale nicht unterscheiden (Art. 3 Nr. 17 der RL 2007/46/EG). Die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung reicht daher nicht über eine seitens der befassten Genehmigungsbehörde getroffene Feststellung der Rechtmäßigkeit des zur Beurteilung unterbreiteten Fahrzeugtyps hinaus und umfasst nicht ein konkretes Fahrzeug oder eine Gruppe konkreter Fahrzeuge einer bestimmten Baureihe. Sie kann über die Angaben in der Beschreibungsmappe zum Fahrzeugtyp nicht hinausreichen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 12 f.).
63
d) Die Beklagte hat eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung in Bezug auf die Fahrkurvenerkennung und die damit in Verbindung stehenden Einwirkungen auf das Emissionskontrollsystem erteilt.
64
aa) Unzutreffend ist eine Übereinstimmungsbescheinigung, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, weil die Bescheinigung dann eine tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG ) Nr. 715/2007 ausweist. Auf den Inhalt der zugrundeliegenden EG-Typgenehmigung kommt es dabei nicht an, weil sich die Tatbestandswirkung deren verfügenden Teils nicht über eine seitens der befassten Genehmigungsbehörde getroffene Feststellung der Rechtmäßigkeit des zur Beurteilung unterbreiteten Fahrzeugtyps hinaus erstrecken kann. Die Übereinstimmungsbescheinigung weist hingegen gemäß der verbindlichen Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH (Urteil vom 21.03.2023, C-100/21) nicht nur die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit dem genehmigten Typ aus, sondern auch die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit allen Rechtsakten, also auch mit Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG ) Nr. 715/2007. Die Übereinstimmungsbescheinigung verweist nach ihrem gesetzlichen Inhalt auch auf materielle Voraussetzungen, die im Falle einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht vorliegen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 34; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 26 f.).
65
bb) In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt, die aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Abgasrückführungsrate als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist.
66
(1) Gemäß Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 bezeichnet der Ausdruck „Abschalteinrichtung“ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
67
Nach Art. 5 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 rüstet der Hersteller das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.
68
Die VO (EG) Nr. 715/2007 definiert den Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ selbst nicht und verweist für die Festlegung seiner Bedeutung und Tragweite auch nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten. Es handelt sich hierbei um unionsrechtliche Begriffe, die in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei nicht nur der Wortlaut der Bestimmungen, in denen sie vorkommen, sondern auch der Kontext dieser Bestimmungen und das mit ihnen verfolgte Ziel zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 26.01.2021, C-422/19, NJW 2021, 1081, juris Rdnr. 45; EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 38 f.). Wie sich schon aus dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 10 der VO (EG ) Nr. 715/2007 ergibt, bezieht sich der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ auf die Nutzung des Fahrzeugs unter normalen Fahrbedingungen, also nicht nur auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter den Bedingungen des NEFZ, der im Labor durchgeführt wird, lediglich einen Ausschnitt aus einem durchschnittlichen Fahrverhalten nachbildet und nicht auf realen Betriebsbedingungen beruht. Der Begriff „normaler Fahrbetrieb“ verweist somit auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 40 zum früheren Zulassungstest NEDC).
69
(2) Die Existenz der Fahrkurvenerkennung in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist unstreitig. Sie hat nach den eigenen Ausführungen der Beklagten auch Auswirkungen auf das Emissionskontrollsystem. Die Beklagte hat hierzu erläutert, in EA 288-Fahrzeugen, die über eine aktive Fahrkurvenerkennung verfügten, werde während einer Prüfstandsfahrt nach Erreichen der erforderlichen Betriebstemperatur des SCR-Katalysators von mindestens 200 °C an einem Betriebsmodus mit erhöhter AGR-Rate (sog. NOx-Low-Betriebsart) festgehalten, während außerhalb des Prüfstands zu diesem Zeitpunkt in einen Betriebsmodus mit verringerter AGR-Rate (sog. NOx-HighBetriebsart) gewechselt werde. Dies entspricht der Anwendungsbeschreibung aus der „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinen & Freigabevorgaben EA 288“ der Beklagten vom 18.11.2015 (Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Erkennung des Precon und NEFZ, um die Umschaltung der Rohemissionsbedatung (AGR-High/Low) streckengesteuert auszulösen (bis Erreichung SCR-Arbeitstemperatur und OBDSchwellwerte)) und findet sich auch in der oben zitierten Beschreibung des Kraftfahrtbundesamts (Auskunft vom 25.01.2021 zu einem Volkswagen Tiguan, Anlage B 28) wieder.
70
Damit sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 erfüllt. Ausgehend von der Betriebstemperatur des SCRKatalysators wird Einfluss auf die Abgasrückführungsrate genommen.
71
Im Prüfbetrieb wird die Abgasrückführung hochgehalten, im Realbetrieb zurückgefahren. Wie bereits ausgeführt, kommt es für die Ermittlung einer Abschalteinrichtung nicht auf die Grenzwertkausalität an (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW, 2023, 2259, juris Rdnr. 51).
72
Ob, wie die Klägerin behauptet und was von der Beklagten bestritten wird, neben der geringeren Abgasrückführungsrate dem SCRKatalysators auch noch weniger AdBlue zugeführt wird, kann dahingestellt bleiben, da aus Sicht des Senats bereits aufgrund des Sachvortrags der Beklagten eine unzulässige Abschalteinrichtung gegeben ist.
73
(3) Ein Ausnahmetatbestand zu Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007, der statuiert, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig ist, ist nicht erfüllt.
74
Eine Ausnahme ist in Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. a) der VO (EG) Nr. 715/2007 dann vorgesehen, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Diese Bestimmung ist als Ausnahme vom Verbot der Verwendung emissionsbeeinträchtigender Abschalteinrichtungen eng auszulegen (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 50).
75
Dabei genügt ein Fahrzeughersteller seiner Darlegungs- und Beweislast nicht, wenn er pauschal vorbringt, in dem Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 54). Eine Begründung des Fahrzeugherstellers für die Abschalteinrichtung muss – als Pendant zur Behauptung des Vorliegens einer solchen – so gestaltet sein, dass das Gericht in die Lage versetzt wird zu entscheiden, ob die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift vorliegen. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob es die Abschalteinrichtung ermöglicht, den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen, da eine bloße Verschmutzung oder der Verschleiß des Motors als im Prinzip vorhersehbar und der normalen Funktionsweise des Fahrzeugs inhärent nicht unter die Begriffe „Beschädigung“ und „Unfall“ subsumiert werden können (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, NJW 2021, 1216, juris Rdnr. 109 f.; EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 53 f.). Daher können nur die unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, die Verwendung einer Abschalteinrichtung rechtfertigen (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 56). Hinzu kommt, dass die Abschalteinrichtung zum Motorschutz und zur Gewährleistung des sicheren Betriebs nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich sein muss. Eine Abschalteinrichtung ist nur dann „notwendig“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. a) der VO (EG) Nr. 715/2007, wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung keine andere technische Lösung die vorgenannten unmittelbaren Risiken abwenden kann (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 69).
76
Dass die Fahrkurvenerkennung und ihre Folgen ausnahmsweise zulässig wären, hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Die Wechselwirkung der Abgasrückführung und des SCR-Katalysators hat sie erstinstanzlich nur pauschal beschrieben und unter anderem vorgebracht, oberhalb einer Abgastemperatur von 200 °C werde im SCR-System das Motorkennfeld grundsätzlich auf eine geringere Abgasrückführungsrate umgestellt, weil dann das SCR-System die Aufgabe der NOx-Reduktion übernehmen könne. Die damit verbundenen höheren Stickstoff-Rohemissionen blieben im Ergebnis folgenlos, da diese durch die dann auf Betriebstemperatur befindliche, aktive Abgasnachbehandlung des SCR-Katalysators behandelt und reduziert werde. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass die Stickoxidemissionen, die aus dem Auspuff entwichen, unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte lägen. Die Beklagte hat insoweit von einer „wechselseitigen Ergänzung“ der motorinternen Abgasrückführung einerseits und der Abgasnachbehandlung durch den SCR andererseits gesprochen. Zugleich hat die Beklagte aber eingeräumt, dass die bis zum Modelljahreswechsel in der Kalenderwoche 22/2016 enthaltene Fahrkurve dazu geführt habe, dass die AGR-Rate auch nach Erreichen einer Betriebstemperatur des Katalysators von ca. 200 °C nicht reduziert worden, sondern parallel bestehen geblieben sei. Ihre Argumentation stützt sie darauf, dass dies im Ergebnis keinerlei Auswirkungen für die Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen NOx-Grenzwerts gehabt habe. Darauf kommt es – auf oben wird verwiesen – allerdings nicht an. Eine Abschalteinrichtung ist bereits aufgrund der Ausführungen der Beklagten gegeben, eine ausnahmsweise Zulässigkeit nicht ersichtlich.
77
e) Die Beklagte hat bei der Inverkehrgabe der Übereinstimmungsbescheinigung zumindest fahrlässig und damit schuldhaft gehandelt. Die mit dem Schutzgesetzverstoß einhergehende Vermutung hat sie nicht widerlegt, einen unvermeidbaren Verbotsirrtum nicht dargelegt. Auf eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung kann sie sich nicht berufen.
78
aa) Gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung für die Haftung. Der subjektive Tatbestand des Schutzgesetzes ist auch für die Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB maßgebend. § 37 Abs. 1 EGFGV sanktioniert sowohl den vorsätzlichen als auch den fahrlässigen Verstoß gegen § 27 Abs. 1 S. 1 EG-FGV (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 38; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 30).
79
Zwar trifft hinsichtlich des Verschuldens als anspruchsbegründender Voraussetzung gemäß § 823 Abs. 2 BGB gewöhnlich den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast. Jedoch wird das Verschulden des Fahrzeugherstellers innerhalb des § 823 Abs. 2 BGB im Fall des objektiven Verstoßes gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV vermutet.
80
Dementsprechend muss der Fahrzeughersteller, wenn er eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegeben und dadurch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV verletzt hat, im Fall der Inanspruchnahme nach § 823 Abs. 2 BGB Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufs des Fahrzeugs durch die Klägerin ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, muss er sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums darlegen und erforderlichenfalls beweisen (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 13; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 59, 63).
81
Das setzt zunächst die Darlegung und erforderlichenfalls den Nachweis eines Rechtsirrtums seitens des Fahrzeugherstellers voraus. Der Fahrzeughersteller muss darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten. Beruft sich der Fahrzeughersteller weder auf eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung der zuständigen Behörde noch auf einen externen qualifizierten Rechtsrat, sondern auf selbst angestellte Erwägungen, ist ihm eine Entlastung verwehrt, wenn mit Rücksicht auf die konkret verwendete Abschalteinrichtung eine nicht im Sinne des Fahrzeugherstellers geklärte Rechtslage hinreichend Anlass zur Einholung eines Rechtsrats bot. Ebenso scheitert eine Entlastung, wenn sich der Hersteller mit Rücksicht auf eine nicht in seinem Sinn geklärte Rechtslage erkennbar in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, schon deshalb eine abweichende rechtliche Beurteilung seines Vorgehens in Betracht ziehen und von der eventuell rechtswidrigen Verwendung der Abschalteinrichtung absehen musste. Eine Entlastung ohne Rücksicht auf die aus den vorstehenden Erwägungen folgenden Sorgfaltspflichten, etwa mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Verwendung von Thermofenstern ein allgemeiner Industriestandard zugrunde lag oder dass nach den Angaben des Kraftfahrtbundesamts rechtlich von ihm so bewertete unzulässige Abschalteinrichtungen auch nach umfangreichen Untersuchungen nicht festgestellt worden seien, kommt dagegen nach dem gesetzlichen Fahrlässigkeitsmaßstab nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 14; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 70).
82
bb) Diesen Maßstäben wird das Vorbringen der Beklagten nicht gerecht. Sie hat schon nicht mitgeteilt, welche Überlegungen hinter der Etablierung der Fahrkurvenerkennung mit Modifikation der Abgasrückführungsrate bei Erreichen der Betriebstemperatur des SCR-Katalysators stecken. Ob und warum es sich um eine technische Notwendigkeit handelt, vermag der Senat daher nicht zu beurteilen.
83
Darüber hinaus fehlt eine Darstellung, ob und welche Prüfung intern bei der Beklagten oder mithilfe externen Rats überhaupt zur Frage der Zulässigkeit der gegenständlichen Fahrkurvenerkennung angestellt wurde. Dies wäre umso mehr erforderlich gewesen, als eine höchstrichterliche Entscheidung, ob eine Fahrkurvenerkennung wie vorliegend eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. d. Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 darstellt, im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages am 29.05.2017 noch gar nicht vorlag. Ebenso wenig hat die Beklagte dargetan, dass sich sämtliche ihrer Repräsentanten in einem Rechtsirrtum befunden haben und wie sie ihre innerbetrieblichen Abläufe etwa durch interne Weisungen, Meldeketten und Überwachungssowie Kontrollmechanismen so organisiert hat, dass bei regelgerechtem Ablauf nur zutreffende Übereinstimmungsbescheinigungen in Verkehr gelangen konnten. Dies erforderte insbesondere eine Weisungslage, nach welcher technisch kritische Punkte von den für die technische Entwicklung verantwortlichen Personen an die Rechtsabteilung zur Überprüfung weiterzuleiten waren und die Weiterentwicklung und der spätere Einsatz der Technik erst nach positiver rechtlicher Bewertung und Freigabe durch hierfür qualifizierte Personen erfolgen durfte. Zudem war das rechtliche Umfeld und die für die Zulässigkeit der eingesetzten Technik relevanten Entwicklungen weiter durch die Rechtsabteilung oder sonstiges juristisch qualifiziertes Personal zu beobachten, um erforderlichenfalls entsprechend reagieren und Abläufe stoppen zu können (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2023, 24 U 2504/22, juris Rdnr. 41).
84
In diesem Zusammenhang reicht der bloße Verweis auf die Einschätzung des Kraftfahrtbundesamts, es sei keine unzulässige Abschalteinrichtung in den Fahrzeugen enthalten, nicht aus, um die Vermutung fahrlässigen Handelns zu entkräften.
85
cc) Mit der tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung kann sich die Beklagte nicht entlasten. Dies wäre nur dann der Fall, wenn diese EG-Typgenehmigung die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten umfasst. Die EG-Typgenehmigung muss sich dann allerdings auf die Abschalteinrichtung in ihrer konkreten Ausführung und auch unter Berücksichtigung festgestellter Kombinationen von Abschalteinrichtungen erstrecken (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 20 23,2 1259, juris Rdnr. 65 ff.). Hierzu fehlt es an Vorbringen der Beklagten.
86
dd) Die Beklagte hat sich im Wesentlichen auf eine hypothetische Genehmigung des Kraftfahrtbundesamts berufen. Damit dringt sie ebenfalls nicht durch.
87
Zwar kann der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt. Haben mehrere Abschalteinrichtungen Verwendung gefunden, muss der Tatrichter die Einzelheiten der konkret verwendeten Kombination für die Frage einer hypothetischen Genehmigung in den Blick nehmen. Auf das Bestehen einer entsprechenden Verwaltungspraxis kommt es dabei nicht maßgeblich an. Die Grundsätze der hypothetischen Genehmigung gelten mit Rücksicht auf ihren Sinn und Zweck auch, wenn der Fahrzeughersteller eine hypothetische Genehmigung bezogen auf den konkreten Motor einer bestimmten Baureihe nachweist. Neben anderen Indizien kann allerdings aufgrund einer bestimmten, hinreichend konkreten Verwaltungspraxis gemäß § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 20 23,2 1259, juris Rdnr. 65 ff.).
88
Auch wenn die Beklagte eine Vielzahl von Bestätigungen des Kraftfahrtbundesamts zum Motor EA 288 vorgelegt hat, aus denen sich ergibt, dass das KBA in der Fahrkurvenerkennung keine Abschalteinrichtung sieht, weil auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenfunktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten würden, fehlt es schon an Ausführungen der Details, auf deren Grundlage die Genehmigungsbehörde zu dieser Einschätzung gelangt ist. Die Beklagte bringt nichts dazu vor, welche Informationen sie dem KBA, z. B. im Rahmen des Workshops im Januar 2016, zur Verfügung gestellt hat. Es ist des Weiteren nicht ersichtlich, welche Kenntnis sich das KBA durch die eigenen Untersuchungen verschafft hat. Insgesamt lässt sich die Frage der hypothetischen Genehmigung, ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nicht zugunsten der Beklagten beantworten.
89
ee) Das Verschulden entfällt auch nicht aufgrund einer Verhaltensänderung vor der Kaufentscheidung der Klägerin.
90
Da der Deliktstatbestand gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Erwerb des Fahrzeugs vollendet ist, muss der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung für diesen Zeitpunkt widerlegt werden. Hat der Fahrzeughersteller die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekanntgegeben, die eine allgemeine Kenntnisnahme erwarten lässt, und hat er eine Beseitigung der betreffenden Abschalteinrichtung allgemein, d.h. insbesondere nicht nur für neue, sondern auch für gebrauchte Kraftfahrzeuge veranlasst, kann ihm unter Umständen der Vorwurf einer fahrlässigen Schädigung solcher Käufer nicht mehr gemacht werden, die ein Fahrzeug nach der Verhaltensänderung des Herstellers gekauft haben (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 61).
91
Die Beklagte hat sich darauf berufen, sie habe für die jeweiligen Fahrzeuge Halteranschreiben bzw. Kundeninformationen (Anlage BE 148) über ein freiwilliges und kostenloses Software-Update zur Reduzierung der Stickstoffemissionen, mit welchem auch die Fahrkurvenerkennung entfernt worden sei, versandt. Sie hat nicht konkret vorgetragen, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug bereits vor dem Kauf am 29.05.2017 ein Software-Update zur Verfügung stand und dass die Halter darüber informiert wurden. Gerade hierauf käme es jedoch an, der allgemeine Hinweis auf Halteranschreiben über zur Verfügung stehende Software-Updates für andere Fahrzeuge reicht nicht aus, um die ursprüngliche Fahrlässigkeit zu beseitigen.
92
f) Zur Überzeugung des Senats hätte die Klägerin das Fahrzeug nicht erworben, hätte sie von der unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung Kenntnis gehabt.
93
aa) Es streitet bereits der Erfahrungssatz für die Klägerin, nach dem auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann, zu dem vereinbarten Kaufpreis erwirbt (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, juris Rdnr. 49, zum sog. großen Schadensersatz; BGH, Urteil vom 06.07.2021, VI ZR 40/20, NJW 2021, 3041, juris Rdnr. 21, zum sog. kleinen Schadensersatz; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 55, zum Differenzschadensersatz).
94
Hierbei ist es ohne Bedeutung, ob dem Käufer beim Erwerb des Kraftfahrzeugs die vom Fahrzeughersteller ausgegebene unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung vorgelegen und ob er von deren Inhalt Kenntnis genommen hat. Denn erwirbt ein Käufer ein zugelassenes oder zulassungsfähiges Fahrzeug auch zur Nutzung im Straßenverkehr, wird er regelmäßig darauf vertrauen, dass die Zulassungsvoraussetzungen, zu denen nach § 6 Abs. 3 S. 1 FZV die Übereinstimmungsbescheinigung gehört, vorliegen und dass außerdem keine ihn einschränkenden Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 FZV mit Rücksicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen erfolgen können. Auch ohne Kenntnisnahme der vom Fahrzeughersteller ausgegebenen Übereinstimmungsbescheinigung geht der Käufer typischerweise davon aus, dass der Hersteller für das erworbene Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat und dass diese die gesetzlich vorgesehene Übereinstimmung mit allen maßgebenden Rechtsakten richtig ausweist (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 56).
95
bb) Die von der Beklagten ins Feld geführten „Aufklärungsmaßnahmen“ sind nicht geeignet, den vorzitierten Erfahrungssatz in Frage zu stellen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Fahrzeughersteller sein Verhalten vor dem Abschluss des konkreten Erwerbsgeschäfts, das das gesetzliche Schuldverhältnis nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EGFGV erst begründet, dahin geändert hätte, dass er die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hat, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss. Zur Widerlegung des Erfahrungssatzes muss der Fahrzeughersteller die Verhaltensänderung darlegen und beweisen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270, juris Rdnr. 35; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 57; BGH, Urteil vom 10.07.2023, VIa ZR 1119/22, NJW 2023, 3580, juris Rdnr. 16).
96
Die Beklagte streicht in erster Linie ihre Kooperation mit dem Kraftfahrtbundesamt sowie ihre eigenen unternehmensinternen Entscheidungen in Bezug auf die Fahrkurvenerkennung heraus. Wie sie diese öffentlich kommuniziert hat, sodass auch objektive Dritte davon Kenntnis nehmen hätten können, hat sie nicht dargestellt. Dass sie eine Adhoc-Mitteilung, wie sie sie zum Beispiel für den EA 189 publiziert hat, herausgegeben oder ihr Händlernetz zur Aufklärung von potentiellen Fahrzeugkäufern angehalten hat, hat sie nicht vorgebracht. Der Vortrag dazu, im Allgemeinen seien die Halter der jeweiligen Fahrzeuge angeschrieben worden, dass ein freiwilliges und kostenloses Software-Update zur Verfügung stehe, ist ebenfalls nicht geeignet, die Kausalitätsvermutung zu widerlegen. Ein solches Verhalten kann nur beachtlich sein, wenn das Software-Update für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp mit der spezifischen Motorkonfiguration vor Kauf zur Verfügung stand und die Halteranschreiben erfolgt sind.
97
g) Es kann dahingestellt bleiben, ob das unstreitig in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs applizierte Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen ist. Den Differenzschadensersatz kann die Klägerin bereits aus der Fahrkurvenerkennung ableiten.
98
h) Der Schutz der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV erstreckt sich aber nicht auf das Interesse der Klägerin, nicht an dem Kaufvertrag über das Fahrzeug festgehalten zu werden. Vielmehr hat ihm die Beklagte lediglich einen sog. Differenzschaden zu erstatten.
99
aa) Das Unionsrecht verlangt nicht, den Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Diese Rechtsprechung trägt dem unterschiedlichen Unwertgehalt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung einerseits und einer schuldhaften Schutzgesetzverletzung andererseits Rechnung. Die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i. V. m. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 schützen (lediglich) das Vertrauen des Käufers auf die Übereinstimmung des Fahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 19 ff.; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 20).
100
bb) Der Klägerin ist ein Vermögensschaden entstanden, der auf der Verringerung des objektiven Werts des von ihr erworbenen Fahrzeugs infolge der Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung beruht.
101
(1) Das Bestehen eines Schadens ist nach Maßgabe der Differenzhypothese zu ermitteln, also nach Maßgabe eines Vergleichs der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Ein Vermögensschaden des Käufers im Sinne der Differenzhypothese liegt vor, wenn der Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage ohne das haftungsbegründende Ereignis ein rechnerisches Minus ergibt bzw. der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs hinter dem Kaufpreis zurückbleibt. Der Geschädigte wird durch Gewährung des Differenzschadens wegen der Enttäuschung des Käufervertrauens so behandelt, als wäre es ihm in Kenntnis der wahren Sachlage und der damit verbundenen Risiken gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Sein Schaden liegt daher in dem Betrag, um den er den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat. Insofern unterscheidet sich der Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht von dem unter den Voraussetzungen der §§ 826, 31 BGB zu gewährenden „kleinen“ Schadensersatz (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 40).
102
Festgemacht hat der Bundesgerichtshof diese Wertdifferenz daran, dass die zweckentsprechende Nutzung eines Fahrzeugs, das dem Gebrauch als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr diene, durch drohende Maßnahmen bis hin zu einer Betriebsbeschränkung oder infolge unzulässiger Abschalteinrichtungen in Frage stehe. Die damit einhergehende, zeitlich nicht absehbare Unsicherheit, das erworbene Kraftfahrzeug jederzeit seinem Zweck entsprechend nutzen zu dürfen, setze den objektiven Wert des Kaufgegenstands im maßgeblichen Zeitpunkt der Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags herab, weil schon in der Gebrauchsmöglichkeit als solcher ein geldwerter Vorteil liege (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 41; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 31).
103
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt bei der gegebenen Konstellation ein wirtschaftlicher Nachteil der Klägerin vor. In ihrem Fahrzeug war eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, die die Gefahr einer nachträglichen Anordnung von Nebenbestimmungen oder gar einer Stilllegung durch das KBA beinhaltet. Gemäß § 25 Abs. 3 EG-FGV kann das Kraftfahrtbundesamt die Typgenehmigung unter anderem ganz oder teilweise widerrufen oder zurücknehmen, wenn festgestellt wird, dass Fahrzeuge mit einer Übereinstimmungsbescheinigung oder selbstständige technische Einheiten oder Bauteile mit einer vorgeschriebenen Kennzeichnung nicht mit dem genehmigten Typ übereinstimmen (Nr. 1) oder dass von Fahrzeugen, selbstständigen technischen Einheiten oder Bauteilen ein erhebliches Risiko für die Verkehrssicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die Umwelt ausgeht (Nr. 2). Diese Gefahr war bereits im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses angelegt, der für die Schadensentstehung maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 42).
104
Da sich der Schaden nach der uneingeschränkten Nutzbarkeit des Fahrzeugs im Straßenverkehr für den Käufer wie auch für Dritte definiert, welcher Geldwert zukommt, reicht die Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. v. Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007, Ziffern 2.16, 5.1.2.1 der UNECE-Regelung Nr. 83 aus, um den objektiven Wert des betroffenen Fahrzeugs im Vergleich zu einem Fahrzeug der gleichen Baureihe und Motorisierung ohne unzulässige Abschalteinrichtung zu mindern.
105
(2) Bezüglich der Schätzung des Differenzschadens in den Fällen des Vertrauens eines Käufers auf die Richtigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung bei Erwerb eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs hat der Bundesgerichtshof Vorgaben des Unionsrechts (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21) für die Anwendung des nationalen Rechts sowohl in Bezug auf die Untergrenze als auch auf die Obergrenze des nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu gewährenden Schadensersatzes gesehen, die das Schätzungsermessen innerhalb einer Bandbreite zwischen 5% und 15% des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzen. Maßgebliche Faktoren für die Bestimmung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses sind unter anderem die mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko behördlicher Anordnungen, der Umfang in Betracht kommender Betriebsbeschränkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Beschränkungen mit Rücksicht auf die Einzelfallumstände, das Gewicht des der Haftung zugrundeliegenden konkreten Rechtsverstoßes für das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte sowie der Grad des Verschuldens nach Maßgabe der Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 73 ff.; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 34).
106
Der Differenzschaden unterliegt dem Schätzermessen nach § 287 ZPO. Nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung, wenn unter den Parteien streitig ist, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe. Im vorliegenden Fall ist über die Frage des „Ob“ gar nicht auf Grundlage dieser Vorschrift zu befinden. Da bereits in der jederzeitigen Gebrauchsmöglichkeit eines Fahrzeugs ein geldwerter Vorteil liegt, und diese permanente Verfügbarkeit aufgrund der Ausrüstung des Motors mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung mit Unsicherheiten behaftet ist, ist allein dadurch der Schaden bereits eingetreten. § 287 Abs. 1 ZPO kommt daher in Fällen wie vorliegend nur noch für die Frage der Höhe zur Anwendung. Dabei bleibt es den Parteien unbenommen, Anknüpfungstatsachen für die Bemessung vorzubringen, so dass ihr rechtliches Gehör gewahrt ist. Mit dem Korridor von 5% bis 15% hat der Bundesgerichtshof die Grundsätze der Effektivität auf der einen und der Verhältnismäßigkeit auf der anderen Seite berücksichtigt, die ihm aus Rechtsgründen auferlegt waren (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 79).
107
cc) Der Senat legt seiner Entscheidung einen Differenzschaden in Höhe von 10% des Kaufpreises zugrunde. In dem für die Schadensentstehung allein maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 33) beinhaltete die Motorsteuerungssoftware eine Fahrkurvenerkennung als unzulässige Abschalteinrichtung. Vor dem Hintergrund, dass Ausnahmen von der grundsätzlichen Unzulässigkeit von Abschalteinrichtungen relativ eng zu ziehen sind, war das Risiko behördlicher Auflagen nicht ausgeschlossen, wenngleich eine unmittelbare Stilllegung durch das Kraftfahrtbundesamt nicht zu erwarten war. Vielmehr ist der Senat davon überzeugt, dass das Kraftfahrtbundesamt in jedem Falle der Beklagten zunächst die Möglichkeit eingeräumt hätte, die Manipulation der Abgasbehandlung zu beseitigen. Des Weiteren bewegen sich sowohl der Pflichtenverstoß der Beklagten als auch der Grad ihrer Fahrlässigkeit allenfalls im durchschnittlichen Bereich. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der Ziele, die mit der VO (EG) Nr. 715/2007 erreicht werden sollen, nämlich die Verbesserung der Luftqualität und die Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte (z. B. Grund 6 der VO (EG) Nr. 715/2007). An dieser Stelle findet auch die bisherige Sachbehandlung der Fahrkurvenerkennung durch das KBA erneut ihren Niederschlag.
108
i) Nutzungsvorteil und Restwert sind nicht vorteilsausgleichend zu berücksichtigen, weil sie in der Summe den um den 10%-igen Differenzschaden verringerten Kaufpreis nicht übersteigen.
109
aa) Der Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV unterliegt dem Vorteilsausgleich (BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010, juris Rdnr. 12). Es können daher nach den im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten diejenigen Vorteile anzurechnen sein, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden.
110
Der Geschädigte darf im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Allerdings sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, d. h. bei denen dem Geschädigten die Anrechnung zumutbar ist und die den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 17 f.; BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 575/20, MDR 2021, 1261, juris Rdnr. 28; BGH, Urteil vom 06.07.2021, VI ZR 40/20, NJW 2021, 3041, juris Rdnr. 23).
111
Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind jedoch erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen. Der Vorteilausgleich kann der Gewährung eines Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB sogar gänzlich entgegenstehen, wenn der Differenzschaden vollständig ausgeglichen ist (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 80; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 22). Die gleichen Konditionen müssen für ein Software-Update gelten, das wie die Nutzungen und der Restwert ein dem Schadensfall zeitlich nachgelagerter Vorteil ist.
112
Die Voraussetzungen für eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände hat der Fahrzeughersteller darzulegen und zu beweisen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 80). Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz (BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594, juris Rdnr. 29; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 23). Die Bemessung der Höhe der anzurechnenden Vorteile ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters (BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, juris NJW 2023, 3010, Rdnr. 12).
113
bb) Der Nutzungsvorteil aus dem Gebrauch des Fahrzeugs beträgt 4.733,71 €.
114
(1) Der Senat schätzt den Nutzungsvorteil gemäß § 287 ZPO grundsätzlich unter Zugrundelegung der linearen Formel „Kaufpreis multipliziert mit der seit Erwerb gefahrenen Strecke geteilt durch die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt“ (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796, juris Rdnr. 12; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 24; BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 575/20, MDR 2021, 1261, juris Rdnr. 33).
115
(2) Für den streitgegenständlichen VW Caddy mit Hubraum 2,0 l und 75 kW Leistung geht der Senat unter Würdigung aller Umstände von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km aus, die solche Fahrzeuge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit i. S. d. § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO erreichen werden (vgl. zum Schätzungsermessen BGH, Urteil vom 23.03.2021, VI ZR 3/20, NJW-RR 2021, 1534, juris Rdnr. 11; BGH, Urteil vom 27.07.2021, VI ZR 480/19, VersR 2022, 115, juris Rdnr. 23 ff.; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 23). Für ein Fahrzeug hervorgehobener Qualität, die sich im Preis widerspiegelt, darf angesichts des mit Blick auf die Erstzulassung im April 2016 anzunehmenden Produktionszeitpunkts Anfang 2016 von einer höheren Haltbarkeit ausgegangen werden, als das bei älteren Fahrzeugen der Fall ist.
116
Die Erholung eines Sachverständigengutachtens ist entbehrlich. Der Bundesgerichtshof hat Laufleistungen zwischen 200.000 km und 300.000 km für angemessen erachtet. Dass es vereinzelt Fahrzeuge gibt, die eine geringere oder höhere Laufleistung aufweisen, ändert daran nichts. Die Rechtsprechung stellt bei der Beurteilung der voraussichtlichen Gesamtlaufleistung nicht auf die minimal oder maximal von einzelnen Fahrzeugen des fraglichen Typs erreichte Laufleistung ab, sondern darauf, mit welcher Laufleistung in der Regel zu rechnen ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, juris Rdnr. 82; BGH, Urteil vom 27.04.2021, VI ZR 812/20, NJW-RR 2021, 1388, juris Rdnr. 15 ff.; BGH, Urteil vom 18.05.2021, VI ZR 720/20, NJW-RR 2021, 1386, juris Rdnr. 13; BGH, Beschluss vom 21.07.2021, VII ZR 56/21, juris Rdnr. 1). Der Senat bewegt sich mit seiner Bemessung innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der Gesamtlaufleistung, und zwar nicht am unteren Rand (vgl. Übersicht bei Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Auflage 2020, Rdnr. 3574).
117
(3) Die Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin findet hier ihren Niederschlag, so dass die Nutzungsentschädigung auf der Basis des Netto-Kaufpreises zu berechnen ist.
118
Zwar hat der Bundesgerichtshof für den Fall der Rückabwicklung eines Kaufvertrages nach vollzogener Wandelung für die Schätzung der nach § 347 S. 2 BGB a. F. (jetzt § 346 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) herauszugebenden Nutzungen entschieden, dass auch dann vom Bruttokaufpreis auszugehen sei, wenn der Käufer vorsteuerabzugsberechtigt sei. In dem Kaufpreis verkörpere sich der Wert der Kaufsache und in Verbindung mit der Lebensdauer der Kaufsache zugleich die Obergrenze der Gebrauchsmöglichkeit. Solle die Bewertung des Gebrauchsnutzens vom Kaufpreis und von der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer abhängig gemacht werden, so entspreche die Anknüpfung an den Bruttopreis dem Interesse der Vertragsbeteiligten. Es komme nicht allein darauf an, dass der vorsteuerabzugsberechtigte Käufer letztlich nur mit dem Nettokaufpreisteil belastet sei, wenn der Vertrag durchgeführt werde.
119
Im Verhältnis der Vertragsparteien zueinander habe der Käufer den Bruttokaufpreis zu entrichten. Er fordere ihn bei der Wandelung auch in vollem Umfang zurück. Etwaige Rückerstattungen des Finanzamts seien unerheblich. Wäre nicht der Bruttopreis Bewertungsmaßstab, würde der Verkäufer eine verhältnismäßig geringere Nutzungsvergütung erhalten, als sie dem Wert des von ihm zurückzuerstattenden Kaufpreises entspräche (BGH, Urteil vom 26.06.1991, VIII ZR 198/90, NJW 1991, 2484, juris Rdnr. 9 ff.; BGH, Urteil vom 09.04.2014, VIII ZR 215/13, NJW 2014, 2435, juris Rdnr. 11 f.).
120
Diese Argumentation des Bundesgerichtshofs greift jedoch nicht im Falle des deliktischen Schadensersatzanspruchs. Die Nutzungsentschädigung intendiert hier nicht einen Wertausgleich; vielmehr soll eine Überkompensation des Geschädigten vermieden werden. Maßgeblich sind folglich stets nur die gezogenen Nutzungen.
121
Der Wert dieser Nutzungen wird geschätzt, indem die tatsächlichen Aufwendungen für den Erwerb des Fahrzeugs zugrunde gelegt werden und nicht etwa – einheitlich für alle Erwerber – der Bruttolistenpreis. Daher ist vorliegend nur der Nettokaufpreis in Ansatz zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 23.03.2021, VI ZR 3/20, NJW-RR 2021, 1534, juris Rdnr. 10, 11).
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Ausgehend von den Parametern 14.865,55 € (Netto-Kaufpreis), 10.111 km (Kilometerstand bei Erwerb), 86.500 km (Kilometerstand bei Veräußerung), 250.000 km (Gesamtlaufleistung) ergibt sich für die Nutzungsentschädigung ein Betrag in Höhe von 4.733,71 €.
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cc) Als Restwert legt der Senat den Veräußerungserlös in Höhe von 6.000,00 € netto zugrunde. Anhaltspunkte dafür, dass er nicht dem Marktwert entspricht, liegen nicht vor.
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des konkreten Schadens im Schadensersatzprozess und damit auch der anzurechnenden Vorteile ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz. Im Falle eines Weiterverkaufs des Fahrzeugs besteht zu diesem Zeitpunkt der anzurechnende Vorteil in dem erzielten marktgerechten Verkaufserlös (BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594, juris Rdnr. 29).
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Der Senat hat den erzielten Veräußerungserlös der Klägerin und die Restwertangabe der Beklagten plausibilisiert. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann hierfür auf Angaben der DAT zurückgegriffen werden, deren Gebrauchtwagen-Wertermittlung auf der Basis von HändlerVerkaufserlösmeldungen unter Berücksichtigung von Serien- und Sonderausstattungen sowie Ausstattungspaketen, gegebenenfalls sogar unter Berücksichtigung des Fahrzeugzustands/Reparaturaufwands, erfolgt. Die Abfrage bei DAT hat ergeben, dass der – auf den Stichtag 01.11.2021 bezogene – Händler-Einkaufswert, auf den der Senat abstellt, bei einem unfallfreien Fahrzeug 7.526,14 € netto betragen hätte. In Anbetracht des starken Hagelschadens, der im Kaufvertrag vermerkt ist, ist ein Marktwert von 6.000,00 € nicht von der Hand zu weisen. Dabei handelt es sich um einen Umstand, der nicht zu Lasten der Klägerin gehen kann.
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Die von der Klägerin vorgenommene, rein rechnerische Erhebung des Restwerts erachtet der Senat für unzutreffend. Restwert und Nutzungsvorteil sind keine korrelierenden Faktoren, die zusammen addiert stets den „tatsächlichen Wert“ des Fahrzeugs ergeben müssen. Folgte man dieser Ansicht, käme dem Restwert im Ergebnis keinerlei eigenständige Bedeutung für den Vorteilsausgleich zu. Vielmehr wäre der Restwert lediglich umgekehrt proportional zum Nutzungsersatz und würde, sollte der Nutzungsvorteil den tatsächlichen Wert bei Kaufvertragsabschluss übersteigen, sogar negativ werden. Dem steht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch der Restwert in die Berechnung des Vorteilsausgleichs einfließt, soweit die anzurechnenden Vorteile – einschließlich Restwert – den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Kaufvertragsabschluss überschreiten (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 80). Diese Beschränkung des Vorteilsausgleichs erklärt sich aus dem Umstand, dass es sich um ein Korrektiv zur Umsetzung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots handelt, welches folglich nur dann greift, wenn der Geschädigte tatsächlich durch das schädigende Ereignis bessergestellt wäre. Infolgedessen betrachtet der Senat den Restwert des Fahrzeugs nicht nur als mathematische Größe, sondern als einen Vorteil, der sich nicht unmittelbar aus dem schädigenden Ereignis ergibt, sondern auf einen zusätzlichen, vielleicht gar zeitlich versetzt hinzutretenden Umstand zurückzuführen ist, weshalb zum Beispiel die Entwicklung auf dem Gebrauchtwagenmarkt Eingang finden muss.
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Die Vorgehensweise des Senats vermeidet überdies Wertungswidersprüche. Für den sog. kleinen Schadensersatz ist anerkannt, dass in den Fällen, in denen ein Geschädigter das Fahrzeug bereits weiter veräußert hat, der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung anzurechnende Vorteil in dem durch den Weiterverkauf des Fahrzeugs erzielten marktgerechten Verkaufserlös besteht. In diesem Verkaufserlös setzt sich der anzurechnende Vorteil aus dem Fahrzeugerwerb fort (BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 575/20, MDR 2021, 1261, juris Rdnr. 30; BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594, juris Rdnr. 29). Es ergäbe sich mithin ein Wertungswiderspruch, wenn zwar der erzielte Veräußerungserlös, in dem sich die Entwicklung auf dem Gebrauchtwagenmarkt abbildet, Berücksichtigung fände, nicht jedoch der Restwert beim Behalten des Fahrzeugs. Es wäre dann der Geschädigte, der eine positive Wertentwicklung durch Veräußerung zeitnah realisierte, durch die Anrechnung schlechter gestellt als derjenige, der mit dem Verkauf zuwartete. Da der Restwert den Vorteil verkörpert, dass der Geschädigte das Fahrzeug weiter nutzen und weiterveräußern kann, muss dieser sich im Vorteilsausgleich niederschlagen.
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dd) Ein Software-Update kann im Rahmen des Vorteilsausgleichs nicht berücksichtigt werden. Es ist schon offengeblieben, ob die „freiwillige Maßnahme“ auf das Fahrzeug der Klägerin überhaupt angewendet wurde. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, fehlen Ausführungen dazu, dass sich die Klägerin dem Aufspielen eines solchen Software-Updates verschlossen und damit gegen ihre Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 BGB verstoßen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 23.10.2023, VIa ZR 468/21, WM 2023, 2232, juris Rdnr. 14).
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In der Summe übersteigen die Vorteile den um den Differenzschaden verringerten Kaufpreis nicht. Die Klägerin muss sich daher nichts auf ihren grundsätzlich bestehenden Schadensersatzanspruch in Höhe von 1.486,56 € anrechnen lassen.
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Die Berufung der Klägerin ist deshalb in der Hauptsache in der tenorierten Höhe erfolgreich.
131
Der Antrag auf Feststellung, dass die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, ist unbegründet.
132
Die Klägerin hat keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB. Ihr stand von vornherein nur ein Betrag in Höhe des Differenzschadens zu. Die Klägerin hat daher von Beginn an einen zu hohen Schadensersatz geltend gemacht. Die hierfür angefallenen Kosten sind nicht der Beklagten aufzuerlegen.
133
Die Kosten für die Finanzierung des Fahrzeugs erhält die Klägerin ebenfalls nicht.
134
Auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann der Ersatz eines weiteren Finanzierungsschadens nicht verlangt werden (BGH, Urteil vom 11.09.2023, VIa ZR 1533/22, juris Rdnr. 11; BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, juris Rdnr. 19). Eine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB kommt nicht in Betracht.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
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Allein auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV kann neben dem Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens eine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht verlangt werden. Dies käme nur in Betracht, wenn andere Anspruchsgrundlagen erfüllt wären, so §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB wegen des Verzugs der Beklagten mit dem Ersatz des Differenzschadens oder eine Haftung der Beklagten auch nach §§ 826, 31 BGB (BGH, Urteil vom 16.10.2023, VIa ZR 14/22, WM 2023, 2193, juris Rdnr. 13).
137
Die Voraussetzungen dieser Ansprüche liegen nicht vor. Die Klägervertreter haben die Beklagte mit Schreiben vom 02.09.2022 zur Zahlung von 10.948,31 € in der Hauptsache und 333,41 € Finanzierungskosten abzüglich des Verkaufserlöses in Höhe von 7.140,00 € bis 12.09.2022 aufgefordert (Anlage K 10). Erst mit Zugang dieses Schreibens und Ablauf der genannten Frist wurde die Beklagte in Verzug gesetzt. Die Kosten der den Verzug begründenden Erstmahnung kann der Gläubiger allerdings nicht vom Schuldner ersetzt verlangen, weil ein Verzug des Schuldners noch nicht vorliegt (Münchener Kommentar zum BGB/Ernst, 9. Auflage 2022, § 286 Rdnr. 184). Einen Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 826, 31 BGB hat die Klägerin – wie oben ausgeführt – nicht.
138
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB, § 261 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin macht Zinsen lediglich ab Rechtshängigkeit geltend. Rechtshängigkeit in diesem Sinne ist die Zustellung der ursprünglichen Klage. Es war nicht gemäß § 261 Abs. 2 ZPO auf den zeitlich späteren Eingang der hilfsweisen Geltendmachung des Differenzschadensersatzes abzustellen, weil es sich bei der Umstellung vom sog. großen bzw. kleinen Schadensersatz auf den Differenzschadensersatz nicht um einen neuen Anspruch und nicht um eine Klageänderung nach § 263 ZPO handelt, sondern um eine bloße Änderung der Schadensberechnung. Auf die Ausführungen zur Zulässigkeit des Hilfsantrages wird Bezug genommen.
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Die Kostenentscheidung für die erste Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die für die Berufungsinstanz zusätzlich auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin unterliegt, da die Klageumstellung nur hilfsweise erfolgt ist, mit ihrem Hauptantrag, soweit dieser den Betrag von 1.486,56 € übersteigt.
140
Die vorläufige Vollstreckbarkeit regelt sich nach §§ 708 Nr. 10 S. 1, 711, 709 S. 2 ZPO.
141
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung des Gebührenstreitwerts ist nach § 40 GKG der Zeitpunkt der Antragstellung, die den Rechtszug einleitet, in der Berufungsinstanz also die Einreichung der Berufungsanträge. Später eingetretene wertreduzierende Antragsänderungen (z. B. teilweise Berufungsrücknahme, teilweise Klagerücknahme, teilweise Erledigterklärung etc.) bleiben in Bezug auf den Gebührenstreitwert außer Betracht (OLG München, Beschluss vom 13.12.2016, 15 U 2407/16, NJW-RR 2017, 700, juris Rdnr. 16; Toussaint/Elzer, Kostenrecht, 53. Auflage 2023, § 40 Rdnr. 11). Die Klägerin hat mit der Berufung zunächst Zahlung von 14.865,55 € Zug um Zug gegen Herausgabe des Verkaufserlöses in Höhe von 6.000,00 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung beantragt, die der Senat – unter Zugrundelegung der von der Klägerin angenommenen Gesamtlaufleistung von 300.000 km – mit 3.917,24 € beziffert, sowie Finanzierungskosten von 333,41 €.
142
Gemäß § 45 Abs. 1 S. 2, 3 GKG ist der hilfsweise gestellte Zahlungsantrag auf den Differenzschaden nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen, da er denselben Gegenstand betrifft wie der Hauptantrag auf sog. großen Schadensersatz.
143
Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen. Der Senat weicht in der Frage der Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums von Entscheidungen anderer Spruchkörper des Oberlandesgerichts München (Urteil vom 13.12.2023, 7 U 1434/22, juris Rdnr. 52 ff.; Beschluss vom 09.11.2023, 23 U 3188/22, juris Rdnr. 39 ff.; Beschluss vom 04.09.2023, 30 U 6629/22, juris Rdnr. 17 ff.) und anderer Oberlandesgerichte (OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.12.2023, 14 U 268/22, juris Rdnr. 68 ff.; OLG Dresden, Urteil vom 16.11.2023, 8 U 970/22, juris Rdnr. 48 ff.; OLG Köln, Beschluss vom 02.08.2023, 12 U 48/22, juris Rdnr. 20 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.10.2023, 12 U 213/22, juris Rdnr. 33 ff.) ab.