Titel:
Anspruch des Erwerbers eines Dieselfahrzeugs mit Fahrkurvenerkennung auf Ersatz des Differenzschadens und Verbotsirrtum
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 1
Leitsätze:
1. Mit der tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung kann sich der Fahrzeughersteller nur entlasten, wenn diese EG-Typgenehmigung die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung (hier Fahrkurvenerkennung) in allen ihren nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten umfasst. Die EG-Typgenehmigung muss sich dann allerdings auf die Abschalteinrichtung in ihrer konkreten Ausführung und auch unter Berücksichtigung festgestellter Kombinationen von Abschalteinrichtungen erstrecken (hier verneint wegen fehlendem Parteivortrag). (Rn. 77) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Fahrzeughersteller kann zu seiner Entlastung darlegen und gegebenenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung seine Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn eine Erkundigung nicht eingeholt wurde. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt (hier verneint). (Rn. 79) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Schutzgesetz, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, EA 288, Fahrkurvenerkennung, Differenzschaden, EG-Typgenehmigung, Übereinstimmungsbescheinigung, Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG Landshut, Urteil vom 31.01.2022 – 73 O 2705/21
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 43898
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 31.01.2022, Az. 73 O 2705/21, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.024,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 29.10.2021 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin 75% und die Beklagte 25%. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin 70% und die Beklagte 30%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 18.357,91 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatz aus dem Kauf eines Dieselfahrzeugs geltend.
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Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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1. Die Klägerin erwarb am 05.12.2017 (Übergabe am 13.12.2017) bei einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Autohaus einen gebrauchten VW Golf 2.0 CLBM, FIN …733, Erstzulassung 06.10.2016, mit einer Laufleistung von 14.900 km zum Kaufpreis von 20.950,00 € brutto (Anlage K1).
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Das Fahrzeug ist mit einem Motor des Typs EA 288, Hubraum 2,0 l, Leistung 110 kW, ausgestattet, der der Abgasnorm Euro 6 unterliegt und von der Beklagten entwickelt und hergestellt wurde. Die Abgasreinigung erfolgt über eine innermotorische Abgasrückführung und ein Abgasnachbehandlungssystem in Form eines NOX-Speicherkatalysators (NSK). In der Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs ist eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt und ein Thermofenster implementiert.
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Für das Fahrzeug liegt kein individueller Rückruf des Kraftfahrtbundesamts vor und es gibt kein verpflichtendes Software-Update.
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Am 23.10.2023 betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 74.616 km.
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2. Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 20.950,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.592,09 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen.
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3. Das Landgericht Landshut hat mit Endurteil vom 31.01.2022 die Klage abgewiesen.
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Einen Anspruch aus § 826 BGB hat das Landgericht abgelehnt. Die Behauptung, mit dem Thermofenster würden Schadstoffgrenzen nicht eingehalten, sei nicht substantiiert worden. Das Inverkehrbringen eines mit einem Thermofenster ausgestatteten Fahrzeugs sei nicht sittenwidrig. Mit Blick darauf, dass diese Motorsteuerungssoftware im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeite wie auf dem Prüfstand, und dass ernsthaft Gesichtspunkte des Motor- bzw. Bauteilschutzes als Rechtfertigung angeführt werden könnten, könne den Verantwortlichen der Beklagten nicht ohne weiteres unterstellt werden, in dem Bewusstsein gehandelt zu haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Eine eventuell falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten müsse in Betracht gezogen werden. Die Rechtslage sei zweifelhaft und keineswegs eindeutig. Selbst wenn der Schadstoffausstoß im Normalbetrieb höher als auf dem Prüfstand sei, könne daraus nicht auf eine Täuschungsabsicht der Beklagten geschlossen werden. Ein Schaden sei der Klägerin aufgrund der Entscheidung des Kraftfahrtbundesamts, für Fahrzeuge mit den gegenständlichen Motortyp keine Rückrufbescheid zu erteilen, nicht entstanden. Es bestehe kein Risiko, dass das KBA künftig die Typgenehmigung entziehen werde.
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Das Landgericht vermochte sich bezüglich der weiteren, von der Klägerin behaupteten prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtungen (u. a. Fahrkurvenerkennung) nicht die Überzeugung zu bilden, dass diese vorhanden seien. Greifbare Anhaltspunkte habe die Klägerin hierfür nicht vorgebracht. Erkenntnisse zu Fahrzeugen anderer Hersteller oder anderer Modelle der Abgasnorm Euro 5 reichten hierfür nicht aus.
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Einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB I. V. m. §§ 6, 27 EG-FGV hat das Landgericht wegen des fehlenden Schutzgesetzcharakters verneint, ebenso einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB I. V. m. Art. 5 Abs. 2, 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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4. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Sie hat zunächst den sog. großen Schadensersatz weiterverfolgt, zuletzt ihr Begehren jedoch auf den Differenzschadensersatz gestützt.
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Die Klägerin macht geltend, für die Substantiierung reiche es aus, wenn vorgetragen werde, dass ein vergleichbares Fahrzeug überhöhte Messwerte aufweise, die auf eine Abschalteinrichtung hindeuteten. Dafür habe die Klägerin mehrere Indizien aufgezeigt, darunter konkrete Messwerte der D. Umwelthilfe und des Kraftfahrtbundesamts, Dokumente der Beklagten mit eindeutigen Hinweisen auf die Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen, Äußerungen des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, Beweisangebote zu Sachverständigengutachten, Medienberichterstattungen etc.
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Bei der Fahrkurvenerkennung handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Der NOx-Speicherkatalysator (NSK) verfüge über eine spezielle katalytische Beschichtung, mithilfe derer die Stickoxide aus dem Abgas zeitweise in Form von Nitraten gebunden werden können, um sie nach abgeschlossener Beladung durch einen innermotorisch eingeleiteten Regenerationsprozess in Stickstoff und Kohlendioxid umzuwandeln. Hierzu müsse der NSK in regelmäßigen Abständen durch Regenerationen (DeNOx-Event) geleert werden, wodurch es in dieser Zeit zu deutlich höheren Rohemissionen komme. Im leeren Zustand verringere der NSK die Stickoxidemissionen am effektivsten. Die im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Software registriere normalerweise den Beladungszustand des NSK und erkenne, wenn dieser voll beladen ist.
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Die Klägerin habe durch die vorgelegte Applikationsrichtlinie substantiiert dargelegt, dass die Beklagte in EA 288-Motoren eine Software verbaut habe, die mittels einer sog. Fahrkurve aktiv die Vorkonditionierung und den NEFZ-Modus erkenne und das Emissionsverhalten auf dem Prüfstand in anderer Weise regele als im normalen Betrieb, indem die NSK-Regenerationen (DeNOx-Events) zur Optimierung nur (geplant) streckengesteuert platziert werden, während sie im normalen Fahrbetrieb nach Strecke und vor allem nach Beladung (ungeplant) gesteuert werden (sofern das Fahrverhalten die Regeneration zulässt). Insbesondere werde im NEFZ der Precon erkannt und an dessen Ende eine abschließende Regeneration ausgelöst, sodass der Testzyklus stets mit vollständig geleertem NSK gestartet werde. Damit komme es zu einer Verfälschung des Messergebnisses, das nicht repräsentativ für den NOx-Ausstoß außerhalb des NEFZ sei. Eine rein streckengesteuerte Regeneration des NSK ermögliche, den NSK in einem Wirkungsgradbereich zu halten, den er bei beladungsabhängiger Regeneration nicht gewährleisten könne. Das Fahrzeug wechsele ca. 1.200 Sekunden nach Motorstart (Dauer der NEFZ-Prüfung) in den sog. „schmutzigen“ Abgasmodus, in dem es mindestens das 3,8-fache an zulässigem Stickoxid ausstoße. Ein Ausnahmetatbestand sei nicht einschlägig. Dass die Beklagte die Fahrkurve aus allen Fahrzeugen mit EA 288-Motor mit Modellstart oder Modellpflege ab Kalenderwoche 22/2016 entfernt habe, spreche für ein Wissenselement. Jedoch enthalte ein Fahrzeug unabhängig davon, ob es vor oder nach diesem Zeitpunkt hergestellt worden sei, unzulässige Abschalteinrichtungen, was die vorgelegten Messungen bestätigten.
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Daneben sei ein Thermofenster implementiert, bei dem die Abgasrückführung bereits unterhalb von 17 °C schrittweise zurückgefahren werde sowie in Temperaturbereichen unter 5 °C komplett abgeschaltet und mindestens das 3,8-fache an Stickoxid ausgestoßen werde als gesetzlich zulässig (80 mg/km). Das Thermofenster sei auf den Prüfzyklus zugeschnitten; nur in dessen genormtem Temperaturbereich (20 °C bis 30 °C) werden die Grenzwerte sicher eingehalten. Dieser Bereich überschreite die in der Europäischen Union vorherrschenden Durchschnittstemperaturen allerdings bei weitem.
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Die gesetzlichen Grenzwerte müssten sowohl auf dem Prüfstand als auch im Normalbetrieb auf der Straße eingehalten werden. Das OBD-System sei so manipuliert, dass es trotz eines dauerhaften Stickoxidausstoßes von über 80 mg/km das Aufleuchten des Warnsignals bewusst unterdrücke. Jedenfalls stelle dieser Aspekt ein Indiz für eine unzulässige Abschalteinrichtung dar.
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Die Beklagte habe die genaue Applizierung des Thermofensters, der „1.200 SekundenSoftware“ sowie die Manipulation des OBD-Systems dem Kraftfahrtbundesamt nicht offengelegt. Dieses habe die Abschalteinrichtungen gar nicht erkennen können und mangels Anhaltspunkten keinen Anlass gehabt, Nachfragen zu stellen. Rechtfertigungstatbestände lägen nicht vor. Die Abschalteinrichtungen schützten den Motor nicht vor plötzlich eintretenden Schäden, sondern dienten lediglich der Verhinderung von Verschleißerscheinungen. Mit dem „freiwilligen Software-Update“, das die Beklagte einigen Haltern von EA 288-Fahrzeugen anbiete, versuche sie, einem Rückruf durch das KBA zuvorzukommen und die manipulierte Software zu verschleiern.
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Die Beklagte habe in Bezug auf die Schutzgesetzverletzung vorsätzlich gehandelt. Die Abschalteinrichtungen müssten aktiv implementiert werden, wobei sich einer fachkundigen Person die Rechtswidrigkeit aufdrängen müsse. Für Vorsatz spreche überdies, dass die Beklagte die Abschalteinrichtungen über einen längeren Zeitraum hinweg verbaut habe, obwohl die VO (EG) Nr. 715/2007 im Jahr 2007 in Kraft getreten sei und es auf den realen Schadstoffausstoß ankomme. Des Weiteren sei davon auszugehen, dass die Beklagte kein ausreichendes Compliance- und Qualitätskontrollsystem eingerichtet habe. Die Beklagte sei auch von dem Hersteller des Motorsteuergeräts ausdrücklich vor rechtlichen Problematiken im Zusammenhang mit der Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen gewarnt worden. Die Felduntersuchungen des Kraftfahrtbundesamts hätten die Abschalteinrichtungen gar nicht erkennen können.
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Die Beklagte habe die Klägerin in dem Glauben gelassen, die Voraussetzungen der Euro 6-Norm und damit die Voraussetzungen für die EU-Typgenehmigung, die Zulassung nach deutschem Recht und die Erteilung einer Betriebserlaubnis seien erfüllt. Der Klägerin sei bereits mit Abschluss des Kaufvertrages ein Schaden entstanden, da eine Betriebsbeschränkung oder für das Fahrzeug drohe und die jederzeitige Nutzbarkeit des Fahrzeugs nicht mehr gewährleistet sei. Hätte die Klägerin von der Stilllegungsgefahr Kenntnis gehabt, hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Darüber hinaus habe ein Fahrzeug mit derartigen Mängeln einen massiven Minderwert. Den Differenzschaden beziffert die Klägerin mit 15%. Daran vermöge auch das Angebot eines „freiwilligen Software-Updates“ nichts zu ändern, selbst wenn die Klägerin gegebenenfalls nach dessen Installation über ein uneingeschränkt nutzbares Fahrzeug verfüge.
22
Die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs betrage 350.000 km. Es habe einen Restwert von ca. 13.000,00 €.
23
Die Klägerin hat zunächst beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 20.950,00 € nebst Zinsen abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmenden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen.
24
Die Klägerin beantragt zuletzt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 3.142,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt die Entscheidung des Landgerichts. Sie habe keine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt. Der Motorentyp EA 288 sei Gegenstand einer intensiven Prüfung durch das Kraftfahrtbundesamt gewesen mit dem Ergebnis, dass das Aggregat keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte.
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Das Thermofenster stelle bereits tatbestandlich keine Abschalteinrichtung dar. Die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug sei in unmittelbarer Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur in einem Bereich zwischen -24 °C bis +70 °C (innerhalb der jeweils aktiven Motorbetriebsarten) zu 100% aktiv. Eine Abrampung finde nicht statt.
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Oberhalb und unterhalb dieses Thermofensters erfolge keine Abgasrückführung.
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Auch die Fahrkurvenerkennung stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, da die gesetzlichen Grenzwerte im Prüfzyklus auch ohne diese Einrichtung eingehalten werden.
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Die Fahrkurvenerkennung bewirke, dass der NSK während einer NEFZ-Fahrt an zeitlich genau definierten Punkten, nämlich nach jeweils ca. 5 km, regeneriere. Über diese streckengesteuerte Regeneration werde gewährleistet, dass der NSK zu Beginn und zum Ende des NEFZ den identischen Beladungszustand aufweise. Dies liege daran, dass der letzte Abschnitt der dem NEFZ stets vorgeschalteten Vorkonditionierungsfahrt (Precon) und der letzte Abschnitt des NEFZ identisch seien, da jeweils der außerstädtische Teil des NEFZ durchfahren werde. Damit erfolge die Regeneration am Ende des Precon und am Ende des NEFZ zum identischen Zeitpunkt. Durch die Verwendung der an die Fahrkurvenerkennung geknüpften DeNOx-Funktion werde gewährleistet, dass die NOxStartbeladung des NSK zu Beginn einer NEFZ-Prüffahrt jeweils vergleichbar (leer) sei und darüber hinaus exakt dem Beladungszustand am Ende des NEFZ entspreche. Dies stelle sicher, dass in der NEFZ-Prüffahrt tatsächlich nur diejenigen NOx-Emissionen aufgefangen und abgebildet werden, die während des NEFZ entstehen. Würden NOx-Emissionen aus vorangegangenen Fahrzyklen in den NEFZ „mitgeschleppt“, würde durch die NSKRegeneration dieser Schadstoffe das NEFZ-Ergebnis verfälscht, was gegen regulatorische Vorgaben in Anhang III, Ziffer 5.3.1 der VO (EG) Nr. 692/2008 (Anm.: wohl UN/ECERegelung Nr. 83) verstoße. Soweit Ziffer 6.6.3 eine Berechnungsformel für die emittierten Emissionen pro Kilometer beinhalte, beziehe sich auch dies auf die Prüffahrt. Der Vergleich mit der Emissionsermittlung bei periodisch regenerierenden Systemen (z. B. Dieselpartikelfilter) zeige, dass alle im NEFZ entstehenden Emissionen erfasst werden müssen. Im dortigen System lägen die Regenerationsintervalle so weit auseinander, dass sie nicht bei jeder NEFZ-Prüfstandsfahrt erfolgten, weshalb die mit der Regeneration verbundenen erhöhten Abgasemissionen nicht unmittelbar gemessen werden. Daher werde das Fahrzeug so lange auf dem Prüfstand in NEFZ-Zyklen gefahren, bis für den Dieselpartikelfilters eine Regeneration erfolge. Die hierbei entstehenden Zusatzemissionen würden mathematisch pro rata auf den NEFZ umgelegt. Bei einem kontinuierlich regenerierenden System wie dem NSK, der bereits während der NEFZ-Fahrt regeneriere, würden hingegen die damit verbundenen Emissionen schon in den Prüfwerten abgebildet.
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Die in dem streitgegenständlichen Fahrzeug hinterlegte Fahrkurvenerkennung führe außerdem dazu, dass in Abhängigkeit von der Abgastemperatur und der Alterung des NSK eine Heizmaßnahme im NEFZ aktiviert werden könne und somit die Temperatur des NSK im NEFZ unmittelbar vor dem ersten NSK-Regenerationsevent erhöht werde.
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Im normalen Fahrbetrieb werde die Regeneration des NSK auf der Grundlage des Fahrverhaltens berechnet. Eine Sonde, die den Beladungszustand messe, gebe es nicht. Der Wirkungsgrad der Abgasnachbehandlung sei bis zu 100% Beladung voll wirksam. In der Regenerationsphase des Katalysators werde ein Anteil an Stickoxidpartikeln frei, der im Verhältnis zur Beladung stehe. Das streitgegenständliche Fahrzeug hätte auch ohne die Fahrkurvenerkennung den gesetzlichen NOx-Emissionsgrenzwert im regulatorisch maßgeblichen Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung eingehalten.
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Es sei unzutreffend, dass in Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 288 die Prüfdauer des NEFZ erfasst werde und nur in diesem Zeitraum in einen sauberen Modus geschaltet werde. Das Abgasnachbehandlungssystem arbeite vielmehr bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile sowohl auf dem Prüfstand als auch auf der Straße mit identischer Wirksamkeit. Das OBD-System sei nicht manipuliert worden. Es überwache lediglich emissionsrelevante Bauteile auf Fehlfunktionen oder Ausfall, wirke auf die abgasbeeinflussenden Systeme aber nicht ein.
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Die Beklagte habe nicht einmal fahrlässig gegen das EG-Typgenehmigungsrecht verstoßen. Sie könne sich auf eine tatsächliche, zumindest aber auf eine hypothetische Genehmigung der infrage stehenden Abschalteinrichtungen durch das Kraftfahrtbundesamt berufen. Seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 2016/646 (RDE2-Verordnung) vom 16.05.2016 seien Fahrzeughersteller für neue Fahrzeugtypen dazu verpflichtet, der Typgenehmigungsbehörde für neue Typgenehmigungen sowie Nachtragsgenehmigungen im Einzelnen darzustellen, welche Emissionsstrategie in dem zu genehmigenden Fahrzeugtyp zum Einsatz komme (BES/AES-Dokumentation). Die Beklagte als Herstellerin habe diese Vorgaben umgesetzt. Für vor Mai 2016 typgenehmigte Fahrzeuge und im Mai 2016 noch produzierte Fahrzeuge mit EA 288-Aggregat habe sie freiwillig die BES/AES-Dokumentation (einschließlich einer Beschreibung des Thermofensters) der Typgenehmigungsbehörde zur Kenntnis und Prüfung nachgereicht. Konkret habe die Beklagte dem Kraftfahrtbundesamt die Entwicklung und die neueste technische Ausgestaltung der Abgasrückführung einschließlich der Applikationsrichtlinie (unter anderem in Bezug auf das Thermofenster) im Rahmen eines „Technik-Workshops“ am 22.01.2016 erläutert, ohne dass das KBA Beanstandungen geäußert habe.
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In Bezug auf die Fahrkurvenerkennung habe das Kraftfahrtbundesamt in ständiger Verwaltungspraxis bestätigt, dass diese keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Die Beklagte habe das KBA im Oktober 2015 über die (nicht prüfstandsbezogene) Fahrkurvenerkennung informiert. Sie habe dem KBA diese Vorrichtung in den unterschiedlichen EA 288-Motorkonzepten erläutert, unter anderem auch die DeNOxFunktion. Die Beklagte habe einen Leitfaden mit Applikationsrichtlinien für die Bedatung des Motorsteuerungsgeräts entworfen und mit dem KBA abgestimmt. Ab Ende 2015 habe sie freiwillig schrittweise auf die Fahrkurvenerkennung ab bestimmten Neuproduktionen oder Modellwechseln in EA 288-Fahrzeugkonzepten verzichtet (NSK-Technologie ab 22. Kalenderwoche 2016) und die freiwillige schrittweise Entfernung bei bereits produzierten Fahrzeugen durch Software-Updates mit dem KBA im Detail koordiniert. Das Kraftfahrtbundesamt sei insofern damit einverstanden gewesen, dass in Fällen, in denen ein Modellwechsel erst nach dem in der Applikationsrichtlinie genannten Stichtagen erfolgt sei, bis dahin EA 288-Neufahrzeuge weiterhin mit der nicht grenzwerterelevanten Fahrkurvenerkennung produziert werden durften. Das KBA habe selbst überprüft, ob der NOx-Grenzwert auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenerkennung eingehalten wurde und keine Beanstandungen geäußert. Vielmehr sei es der Auffassung, dass die mit der Fahrkurvenerkennung verknüpfte Steuerung der Regeneration des NSK in zulässiger Weise zur Vergleichbarkeit und Repräsentativität der Emissionsergebnisse eingesetzt werde.
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Das KBA sei weder getäuscht worden noch gehe es von falschen Verhältnissen aus. Es habe – auch mittels eines neuen Prüfprogramms – detaillierte Felduntersuchungen durchgeführt, darunter solche nach dem NEFZ mit kaltem Motor und NEFZnahen Prüfzyklen auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb mit unterschiedlichen einzelnen Parametern. Das Bundesverkehrsministerium habe im September 2019 das Fehlen von Anhaltspunkten für den Einsatz unzulässiger Abschalteinrichtungen in EA 288-Fahrzeugen bestätigt.
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Jedenfalls habe sich die Beklagte insoweit in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Das Kraftfahrtbundesamt hätte auch bei einer unterstellten früheren Mitteilung über die Existenz der Fahrkurvenerkennung in bestimmten EA 288-Fahrzeugen die Erteilung der Typgenehmigung nicht deswegen verweigert, weil es seit 2007 uneingeschränkt der Auffassung sei, dass eine nicht grenzwertrelevante Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem aus regulierungsrechtlicher Sicht keine unzulässige Abschalteinrichtung sei.
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Darüber hinaus scheide ein Verschulden wegen einer Verhaltensänderung aus. Die Beklagte habe vor Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrages umfangreiche Aufklärungsmaßnahmen ergriffen gehabt. Im Juli 2016 habe sie sich entschieden, ab der Kalenderwoche 04/2018 generell die Fahrkurvenerkennung aus bereits produzierten Feldfahrzeugen freiwillig auszubauen. Mittels eines Anschreibens bzw. einer Kundeninformation habe sie die Halter von entsprechenden Fahrzeugen darauf hingewiesen, dass ein freiwilliges und kostenloses Software-Update zur Reduzierung der NOx-Emissionen zur Verfügung stehe. Dieses Update stehe auch für das streitgegenständliche Fahrzeug bereit.
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Der Klägerin sei kein Schaden entstanden. Unzulässige Abschalteinrichtungen kämen nicht zum Einsatz. Das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typgenehmigung und könne uneingeschränkt genutzt werden. Einen Rückruf gebe es nicht, eine Stilllegung drohe nicht. Eine Schadensschätzung sei unzulässig. Die Ansicht des Bundesgerichtshofs sei nicht mit der Rechtsprechung des EuGH vom 21.03.2023 vereinbar. Die abstrakte Betroffenheit eines Fahrzeugs sei nicht ersatzfähig, da sie noch keinen tatsächlich entstandenen Schaden darstelle. Der Beklagten müsse es möglich sein, im Einzelfall das Fehlen eines Schadens darzulegen und zu beweisen. Einen softwarebedingten Minderwert gebe es nicht. Zumindest könne der Schaden nicht höher als 5% des Kaufpreises sein (kein Risiko einer behördlichen Anordnung, allenfalls geringer Grad des Verschuldens, geringes Gewicht des (unterstellten) Rechtsverstoßes). Ein Differenzschaden werde durch den Vorteilsausgleich mit Restwert (16.360,00 €) und Nutzungsvorteil (5.224,76 €) vollständig ausgeglichen. Jedenfalls aufgrund der Verfügbarkeit eines Software-Updates, mit dem auch die Fahrkurve entfernt werde und das die Klägerin unter Verstoß gegen ihre Schadensminderungsobliegenheit nicht hat aufspielen lassen, wäre ein eventueller Schaden entfallen.
40
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
41
Die zulässige Berufung erweist sich als begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV in Höhe von 2.024,73 €, weil sie durch den Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug wegen eines Verstoßes der Beklagten als Fahrzeugherstellerin gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese erlitten hat.
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1. Die Bestimmungen der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 10).
43
Die von der Beklagten gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorgebrachten Einwände verfangen nicht. Aufgrund der Vorgaben des EuGH auf Gewährung eines effektiven und verhältnismäßigen Schadensersatzes im Falle des enttäuschten Käufervertrauens (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21, NJW 2023, 1111, juris Rdnr. 90, 93) ist eine unionsrechtliche Lesart des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV geboten, wie sie der Bundesgerichtshof umsetzt. Der Wortlaut dieser Normen steht einem unionsrechtlich fundierten Verständnis als Schutzgesetze, deren sachlicher Schutzbereich den Differenzschaden bei Abschluss des Kaufvertrags umfasst, nicht entgegen. Ein Schutzgesetz kann jede Norm des objektiven Rechts sein, sofern darin nur ein bestimmtes Gebot oder Verbot ausgesprochen wird (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 32, 43).
44
2. Die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung kann die Beklagte dem Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz nicht entgegenhalten.
45
Die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts erstreckt sich ausschließlich auf den verfügenden Teil, nicht aber auf die Begründungselemente und nicht auf Feststellungen jenseits des Regelungsinhalts (BGH, Urteil vom 08.12.2021, VIII ZR 190/19, NJW 2022, 1238, juris Rdnr. 81). Art. 3 Nr. 5 der RL 2007/46/EG (die auch nach ihrem zeitlichen Anwendungsbereich weiter anzuwenden ist) beschreibt die „EG-Typgenehmigung“ als das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbstständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen dieser Richtlinie und der in Anhang IV oder XI aufgeführten Rechtsakte entspricht. In Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG ist festgehalten, dass die Mitgliedstaaten eine EG-Genehmigung für einen Fahrzeugtyp der entsprechenden Beschreibung unter den dort genannten Voraussetzungen erteilen, d. h. für Fahrzeuge einer bestimmten Fahrzeugklasse, die sich zumindest hinsichtlich der in Anhang II Teil B aufgeführten wesentlichen Merkmale nicht unterscheiden (Art. 3 Nr. 17 der RL 2007/46/EG). Die Tatbestandswirkung der EG- Typgenehmigung reicht daher nicht über eine seitens der befassten Genehmigungsbehörde getroffene Feststellung der Rechtmäßigkeit des zur Beurteilung unterbreiteten Fahrzeugtyps hinaus und umfasst nicht ein konkretes Fahrzeug oder eine Gruppe konkreter Fahrzeuge einer bestimmten Baureihe. Sie kann über die Angaben in der Beschreibungsmappe zum Fahrzeugtyp nicht hinausreichen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 12 f.).
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3. Die Beklagte hat eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung in Bezug auf die streitgegenständliche Fahrkurvenerkennung mit Aufheizfunktion und die damit in Verbindung stehenden Einwirkungen auf das Emissionskontrollsystem erteilt.
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a) Unzutreffend ist eine Übereinstimmungsbescheinigung, wenn das betreffende Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, weil die Bescheinigung dann eine tatsächlich nicht gegebene Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 ausweist. Auf den Inhalt der zugrundeliegenden EGTypgenehmigung kommt es dabei nicht an, weil sich die Tatbestandswirkung deren verfügenden Teils nicht über eine seitens der befassten Genehmigungsbehörde getroffene Feststellung der Rechtmäßigkeit des zur Beurteilung unterbreiteten Fahrzeugtyps hinaus erstrecken kann. Die Übereinstimmungsbescheinigung weist hingegen gemäß der verbindlichen Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH (Urteil vom 21.03.2023, C-100/21) nicht nur die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit dem genehmigten Typ aus, sondern auch die Übereinstimmung des konkreten Kraftfahrzeugs mit allen Rechtsakten, also auch mit Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007. Die Übereinstimmungsbescheinigung verweist nach ihrem gesetzlichen Inhalt auch auf materielle Voraussetzungen, die im Falle einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht vorliegen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 34; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 26 f.).
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b) In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist eine Fahrkurvenerkennung hinterlegt, die aufgrund ihrer Auswirkungen auf das Abgasnachbehandlungssystem des NOxSpeicherkatalysators als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist.
49
aa) Gemäß Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 bezeichnet der Ausdruck „Abschalteinrichtung“ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
50
Nach Art. 5 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 rüstet der Hersteller das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.
51
Die VO (EG) Nr. 715/2007 definiert den Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ selbst nicht und verweist für die Festlegung seiner Bedeutung und Tragweite auch nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten. Es handelt sich hierbei um unionsrechtliche Begriffe, die in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei nicht nur der Wortlaut der Bestimmungen, in denen sie vorkommen, sondern auch der Kontext dieser Bestimmungen und das mit ihnen verfolgte Ziel zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 26.01.2021, C-422/19, NJW 2021, 1081, juris Rdnr. 45; EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 38 f.). Wie sich schon aus dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 ergibt, bezieht sich der Begriff „normaler Fahrzeugbetrieb“ auf die Nutzung des Fahrzeugs unter normalen Fahrbedingungen, also nicht nur auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter den Bedingungen des NEFZ, der im Labor durchgeführt wird, lediglich einen Ausschnitt aus einem durchschnittlichen Fahrverhalten nachbildet und nicht auf realen Betriebsbedingungen beruht. Der Begriff „normaler Fahrbetrieb“ verweist somit auf die Verwendung eines Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 40 zum früheren Zulassungstest NEDC).
52
bb) Die Existenz der Fahrkurvenerkennung in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs im maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs ist unstreitig. Dass sie den Prüfzyklus NEFZ und dessen Vorkonditionierung erkennt, steht aufgrund des beiderseitigen Vortrags ebenfalls fest. Darüber hinaus beschreiben die Parteien in weiten Teilen die Auswirkungen dieser Fahrkurvenerkennung auf das Emissionskontrollsystem übereinstimmend.
53
Sie bewirkt jedenfalls, dass der NOx-Speicherkatalysator zu Beginn des NEFZ leer (Klägerin) oder nicht ganz leer (Beklagte in der mündlichen Verhandlung) ist und ausschließlich streckengesteuert etwa alle 5 km regeneriert, d. h. sich ungeachtet seines Beladungszustands entleert.
54
Während die Klägerin darin eine Verfälschung des Messergebnisses sieht, weil der vollständig geleerte NSK die Stickoxidemissionen am effektivsten verringere und auf den Beladungszustand überhaupt keine Rücksicht genommen werde, obwohl dieser im normalen Fahrbetrieb der maßgebliche Parameter für die Regeneration sei, hält die Beklagte den Beginn des NEFZ mit leerem NSK für unverzichtbar, um ausschließlich die auf dem 11 km langen Prüfstand anfallenden Emissionen zu messen, und sieht keinerlei Beeinflussung auf der Straße. In dem für die Definition einer Abschalteinrichtung maßgeblichen Aspekt der Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, stehen sich die Aussagen der Parteien mithin konträr gegenüber.
55
Die Klärung dieser Frage kann vorliegend dahingestellt bleiben, denn jedenfalls ist das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet. Die Fahrkurvenerkennung hat nämlich selbst nach dem Vortrag der Beklagten noch eine zusätzliche Funktion, indem sie in Abhängigkeit von der Abgastemperatur und der Alterung des NSK eine Heizmaßnahme im NEFZ aktivieren konnte, wodurch die Temperatur des NSK im NEFZ unmittelbar vor dem ersten NSK- Regenerationsevent erhöht wurde. Im normalen Fahrbetrieb fehlt es jedoch an dieser Aufheizstrategie.
56
Zumindest ist damit nicht ausgeschlossen, dass das Emissionskontrollsystem im NEFZ unter bestimmten Parametern optimiert wird, während diese Verbesserung im normalen Fahrbetrieb nicht zum Einsatz kommt. Die Beklagte hat sich für die Frage, ob die Fahrkurvenerkennung mit Heizmaßnahme unter Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 subsumiert werden kann, nur auf die Einhaltung des gesetzlichen NOx-Emissionsgrenzwerts und damit auf die fehlende Grenzwertrelevanz berufen. Sie hat aber keinen Vergleich der Wirksamkeit des unverändert funktionierenden (mit Fahrkurvenerkennung und Heizmaßnahme) und der Wirksamkeit des verändert funktionierenden (ohne Fahrkurvenerkennung und Heizmaßnahme) Gesamtsystems – und zwar unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs im gesamten Unionsgebiet – angestellt.
57
Ob die Grenzwerte unter den Bedingungen des NEFZ auch bei veränderter Funktion eingehalten werden, ist mit Rücksicht auf den Wortlaut des Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 nicht von Bedeutung. Die Prüfung im NEFZ lässt nur in Bezug auf die dabei wirksamen Emissionskontrollsysteme Prognosen für den gewöhnlichen Fahrbetrieb zu und auch das nur dann, wenn die Wirksamkeit der betreffenden Systeme im gewöhnlichen Fahrbetrieb nicht verringert wird. Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 knüpft an die Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in seiner Gesamtheit an und nicht an die Einhaltung der Grenzwerte im NEFZ. Das gilt ohne Rücksicht auf die jeweils eingesetzten Technologien (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 51).
58
Die Beklagte untersteht insoweit den Anforderungen, die an die Substantiierungslast eines Bestreitenden gestellt werden. Diese hängen grundsätzlich davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten der Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist. Eine darüberhinausgehende Substantiierungslast trifft die nicht beweisbelastete Partei nur ausnahmsweise dann, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während sie der anderen Partei bekannt und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind (BGH, Urteil vom 03.02.1999, VIII ZR 14/98, NJW 1999, 1404, juris Rdnr. 19).
59
Da die Beklagte vorliegend die Existenz einer Fahrkurvenerkennung zugestanden hat und die Parteien wechselseitig ausführlich zu deren Arbeitsweise und Auswirkungen vorgetragen haben, konnte sich die Beklagte für die Heizmaßnahme, die sie selbst eingeführt und mit der Fahrkurvenerkennung verknüpft hat, in ihrem Bestreiten nicht nur auf Messungen im NEFZ und das daraus folgende Fehlen grenzwertkausaler Emissionsauswirkungen zurückziehen. Darauf kommt es für die Definition einer Abschalteinrichtung nicht an.
60
Im Ergebnis sieht der Senat somit die Tatbestandsvoraussetzungen einer Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007 als erfüllt an (offengelassen OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.07.2023, 10 U 27/23, juris Rdnr. 2; OLG Frankfurt, Urteil vom 03.08.2023, 5 U 74/21, juris Rdnr. 44; OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.12.2023, 14 U 90/22, juris Rdnr. 56).
61
Eine Klärung der Frage, ob die Beklagte am Ende der Vorkonditionierungsfahrt eine abschließende Regeneration des NSK durchführen durfte und ob sie auf dem Prüfstand die Regeneration ausschließlich streckengesteuert vornehmen durfte, muss bei der gegebenen Konstellation nicht entschieden werden.
62
c) Ein Ausnahmetatbestand zu Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007, welcher statuiert, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig ist, ist nicht erfüllt.
63
Eine Ausnahme ist in Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. a) der VO (EG) Nr. 715/2007 dann vorgesehen, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Diese Bestimmung ist als Ausnahme vom Verbot der Verwendung emissionsbeeinträchtigender Abschalteinrichtungen eng auszulegen (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 50).
64
Dabei genügt ein Fahrzeughersteller seiner Darlegungs- und Beweislast nicht, wenn er pauschal vorbringt, in dem Fahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 54). Eine Begründung des Fahrzeugherstellers für die Abschalteinrichtung muss – als Pendant zur Behauptung des Vorliegens einer solchen – so gestaltet sein, dass das Gericht in die Lage versetzt wird zu entscheiden, ob die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift vorliegen. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob es die Abschalteinrichtung ermöglicht, den Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden zu schützen, da eine bloße Verschmutzung oder der Verschleiß des Motors als im Prinzip vorhersehbar und der normalen Funktionsweise des Fahrzeugs inhärent nicht unter die Begriffe „Beschädigung“ und „Unfall“ subsumiert werden können (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, NJW 2021, 1216, juris Rdnr. 109 f.; EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 53 f.). Daher können nur die unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, die Verwendung einer Abschalteinrichtung rechtfertigen (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 56). Hinzu kommt, dass die Abschalteinrichtung zum Motorschutz und zur Gewährleistung des sicheren Betriebs nicht nur geeignet, sondern auch erforderlich sein muss. Eine Abschalteinrichtung ist nur dann „notwendig“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. a) der VO (EG) Nr. 715/2007, wenn zum Zeitpunkt der EGTypgenehmigung keine andere technische Lösung die vorgenannten unmittelbaren Risiken abwenden kann (EuGH, Urteil vom 14.07.2022, C-128/20, NJW 2022, 2605, juris Rdnr. 69).
65
Dass die Fahrkurvenerkennung und ihre Folgen in diesem Sinne ausnahmsweise zulässig wären, hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Sie führt im Zusammenhang mit der Fahrkurve – anders als beim Thermofenster – auch gar keine Motorschutzgründe an, sondern sieht sich aufgrund regulatorischer Vorgaben dazu verpflichtet, die Fahrkurve zur Prüfstandserkennung einzusetzen.
66
Die Beklagte stützt sich mithin auf Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. c) der VO (EG) Nr. 715/2007, wonach eine Abschalteinrichtung zulässig ist, wenn die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind. Diese Ausnahme ist nur dann einschlägig, wenn die Bedingungen, „unter denen die Einrichtung arbeitet“, im Emissionsprüfverfahren im Wesentlichen „berücksichtigt“ sind. Die in Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. c) der VO (EG) Nr. 715/2007 vorgesehene Privilegierung ist daher nur dann einschlägig, wenn die Abschalteinrichtung deshalb greift, weil dies durch die Prüfverfahren zur Emissionsmessung im Wesentlichen vorgegeben wird (BGH, Beschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133, juris Rdnr. 15), wie aus Ziffer 2.16.3 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 deutlich wird (Deutscher Bundestag, Wissenschaftlicher Dienst, Abschalteinrichtungen in Personenkraftwagen, Ausarbeitung vom 16.03.2016, Seite 18, Ziffer 3.3). Danach gilt ein Konstruktionselement nicht als Abschalteinrichtung, wenn die Bedingungen im Wesentlichen in den Verfahren für die Prüfungen Typ I oder Typ VI aufgeführt sind.
67
Hierzu beschreibt Prüfung Typ I in Ziffer 5.3.1. der UN/ECE-Regelung Nr. 83 die 19 Minuten 40 Sekunden lange Prüfung auf dem Rollenprüfstand, bestehend aus zwei Teilen (vier Grund-Stadtfahrzyklen in je 15 Phasen, ein außerstädtischer Fahrzyklus in 13 Phasen). Ziffer 5.3.1.3 verweist auf das Verfahren in Anhang 4a der UN/ECERegelung Nr. 83, das bis ins kleinste Detail festgelegte Bedingungen und Vorgaben für das Verfahren, das Prüffahrzeug, die Prüfausrüstung etc., aber auch für Toleranzen aufstellt.
68
Es ist in diesem präzise formulierten Katalog gerade nicht aufgeführt, dass ein Prüffahrzeug die von der Beklagten beschriebene Heizmaßnahme im NEFZ in Abhängigkeit von der Abgastemperatur und der Alterung des NSK mit der Folge einer Erhöhung der Temperatur des NSK im NEFZ unmittelbar vor dem ersten NSKRegenerationsevent haben darf. Mit Blick darauf, dass die Ausnahmetatbestände in Art. 5 Abs. 2 S. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 eng auszulegen sind, steht für den Senat daher fest, dass zumindest die Fahrkurvenerkennung mit Aufheizstrategie eine unzulässige Abschalteinrichtung ist.
69
d) Die Beklagte hat bei der Inverkehrgabe der Übereinstimmungsbescheinigung zumindest fahrlässig und damit schuldhaft gehandelt. Die mit dem Schutzgesetzverstoß einhergehende Vermutung hat sie nicht widerlegt, einen unvermeidbaren Verbotsirrtum nicht dargelegt. Auf eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung kann sie sich nicht berufen.
70
aa) Gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß gegen die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung für die Haftung. Der subjektive Tatbestand des Schutzgesetzes ist auch für die Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB maßgebend. § 37 Abs. 1 EGFGV sanktioniert sowohl den vorsätzlichen als auch den fahrlässigen Verstoß gegen § 27 Abs. 1 S. 1 EG-FGV (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 38; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 30).
71
Zwar trifft hinsichtlich des Verschuldens als anspruchsbegründender Voraussetzung gemäß § 823 Abs. 2 BGB gewöhnlich den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast. Jedoch wird das Verschulden des Fahrzeugherstellers innerhalb des § 823 Abs. 2 BGB im Fall des objektiven Verstoßes gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV vermutet. Dementsprechend muss der Fahrzeughersteller, wenn er eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegeben und dadurch § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV verletzt hat, im Fall der Inanspruchnahme nach § 823 Abs. 2 BGB Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufs des Fahrzeugs durch die Klägerin ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, muss er sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums darlegen und erforderlichenfalls beweisen (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 13; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 59, 63).
72
Das setzt zunächst die Darlegung und erforderlichenfalls den Nachweis eines Rechtsirrtums seitens des Fahrzeugherstellers voraus. Der Fahrzeughersteller muss darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten. Beruft sich der Fahrzeughersteller weder auf eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung der zuständigen Behörde noch auf einen externen qualifizierten Rechtsrat, sondern auf selbst angestellte Erwägungen, ist ihm eine Entlastung verwehrt, wenn mit Rücksicht auf die konkret verwendete Abschalteinrichtung eine nicht im Sinne des Fahrzeugherstellers geklärte Rechtslage hinreichend Anlass zur Einholung eines Rechtsrats bot. Ebenso scheitert eine Entlastung, wenn sich der Hersteller mit Rücksicht auf eine nicht in seinem Sinn geklärte Rechtslage erkennbar in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, schon deshalb eine abweichende rechtliche Beurteilung seines Vorgehens in Betracht ziehen und von der eventuell rechtswidrigen Verwendung der Abschalteinrichtung absehen musste. Eine Entlastung ohne Rücksicht auf die aus den vorstehenden Erwägungen folgenden Sorgfaltspflichten, etwa mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Verwendung von Thermofenstern ein allgemeiner Industriestandard zugrunde lag oder dass nach den Angaben des Kraftfahrtbundesamts rechtlich von ihm so bewertete unzulässige Abschalteinrichtungen auch nach umfangreichen Untersuchungen nicht festgestellt worden seien, kommt dagegen nach dem gesetzlichen Fahrlässigkeitsmaßstab nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 25.09.2023, VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064, juris Rdnr. 14; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 70).
73
bb) Diesen Maßstäben wird das Vorbringen der Beklagten nicht gerecht. Die Beklagte liest aus einer Zusammenschau von Regelungen heraus, dass sie gehalten war, nur die Emissionen auf dem Prüfstand zu messen. Ob dies mit Blick darauf, dass sie zur Argumentation Rückschlüsse aus den Vorgaben der UN/ECE-Regelung Nr. 83 für den NEFZ unter Einbeziehung des Messverfahrens für den periodisch regenerierenden Dieselpartikelfilter ziehen muss, zutrifft, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls hat die Beklagte nicht dargetan, welche Überlegungen hinter der Etablierung der Fahrkurvenerkennung mit Aufheizstrategie auf dem Prüfstand stehen. Ob und warum es sich um eine technische Notwendigkeit handeln soll, vermag der Senat daher nicht zu beurteilen.
74
Darüber hinaus fehlt eine Darstellung, ob und welche Prüfung intern bei der Beklagten oder mithilfe externen Rats überhaupt zur Frage der Zulässigkeit der gegenständlichen Fahrkurvenerkennung mit Heizmaßnahme angestellt wurde. Dies wäre umso mehr erforderlich gewesen, als eine höchstrichterliche Entscheidung, ob eine Fahrkurvenerkennung wie vorliegend eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. d. Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 darstellt, im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages im Dezember 2017 noch gar nicht vorlag.
75
Ebenso wenig hat die Beklagte dargetan, dass sich sämtliche ihrer Repräsentanten in einem Rechtsirrtum befunden haben und wie sie ihre innerbetrieblichen Abläufe etwa durch interne Weisungen, Meldeketten und Überwachungssowie Kontrollmechanismen so organisiert hat, dass bei regelgerechtem Ablauf nur zutreffende Übereinstimmungsbescheinigungen in Verkehr gelangen konnten. Dies erforderte insbesondere eine Weisungslage, nach welcher technisch kritische Punkte von den für die technische Entwicklung verantwortlichen Personen an die Rechtsabteilung zur Überprüfung weiterzuleiten waren und die Weiterentwicklung und der spätere Einsatz der Technik erst nach positiver rechtlicher Bewertung und Freigabe durch hierfür qualifizierte Personen erfolgen durfte. Zudem war das rechtliche Umfeld und die für die Zulässigkeit der eingesetzten Technik relevanten Entwicklungen weiter durch die Rechtsabteilung oder sonstiges juristisch qualifiziertes Personal zu beobachten, um erforderlichenfalls entsprechend reagieren und Abläufe stoppen zu können (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2023, 24 U 2504/22, juris Rdnr. 41).
76
In diesem Zusammenhang reicht der bloße Verweis auf die Einschätzung des Kraftfahrtbundesamts, es sei keine unzulässige Abschalteinrichtung in den Fahrzeugen enthalten, nicht aus, um die Vermutung fahrlässigen Handelns zu entkräften.
77
cc) Mit der tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung kann sich die Beklagte nicht entlasten. Dies wäre nur dann der Fall, wenn diese EG-Typgenehmigung die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten umfasst. Die EG-Typgenehmigung muss sich dann allerdings auf die Abschalteinrichtung in ihrer konkreten Ausführung und auch unter Berücksichtigung festgestellter Kombinationen von Abschalteinrichtungen erstrecken (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 20 23,2 1259, juris Rdnr. 65 ff.). Hierzu fehlt es an Vorbringen der Beklagten.
78
dd) Die Beklagte hat sich im Wesentlichen auf eine hypothetische Genehmigung des Kraftfahrtbundesamts berufen. Damit dringt sie ebenfalls nicht durch.
79
Zwar kann der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt. Haben mehrere Abschalteinrichtungen Verwendung gefunden, muss der Tatrichter die Einzelheiten der konkret verwendeten Kombination für die Frage einer hypothetischen Genehmigung in den Blick nehmen. Auf das Bestehen einer entsprechenden Verwaltungspraxis kommt es dabei nicht maßgeblich an. Die Grundsätze der hypothetischen Genehmigung gelten mit Rücksicht auf ihren Sinn und Zweck auch, wenn der Fahrzeughersteller eine hypothetische Genehmigung bezogen auf den konkreten Motor einer bestimmten Baureihe nachweist. Neben anderen Indizien kann allerdings aufgrund einer bestimmten, hinreichend konkreten Verwaltungspraxis gemäß § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 65 ff.).
80
Auch wenn die Beklagte eine Vielzahl von Bestätigungen des Kraftfahrtbundesamts zum Motor EA 288 vorgelegt hat, aus denen sich ergibt, dass das KBA in der Fahrkurvenerkennung keine Abschalteinrichtung sieht, weil auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenfunktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten würden, fehlt es schon an Ausführungen der Details, auf deren Grundlage die Genehmigungsbehörde zu dieser Einschätzung gelangt ist.
81
Die Beklagte bringt nichts dazu vor, welche Informationen sie dem KBA zur Verfügung gestellt hat, sondern verweist verallgemeinernd auf Ende 2015 vorgelegte Unterlagen bzw. den Workshop im Januar 2016. Es ist des Weiteren nicht ersichtlich, welche Kenntnis sich das KBA durch die eigenen Untersuchungen verschafft hat.
82
Die Auskunft des Kraftfahrtbundesamts vom 10.05.2022 an die Kanzlei pswp (Anlage BE145) führt zu keinem anderen Ergebnis. Das KBA bestätigte hier für ein Fahrzeug, dessen Typgenehmigung vor dem 16.05.2016 erteilt wurde, dass zur damaligen Zeit eine genaue Beschreibung der Emissionsstrategien nicht erforderlich war. Darüber hinaus bescheinigt das Kraftfahrtbundesamt, dass die Rechtslage nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. c) der VO (EG) Nr. 715/2007 seit dem Jahr 2007 unverändert sei und dass die Bewertung der Rechtsfrage, dass die Verwendung einer Fahrkurven- oder Prüfstandserkennung keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, wenn auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, in 2014 oder 2015 nicht anders ausgefallen wäre als zum Zeitpunkt der Auskunft.
83
Für das streitgegenständliche Fahrzeug datiert die Gesamttypgenehmigung vom 11.08.2016. Entweder hat die Beklagte also die Emissionsstrategie in dem Fahrzeugtyp bereits mittels der BES/AES-Dokumentation dargestellt oder sie hat, wie sie selbst ausführt, diese Unterlagen dem KBA zur Prüfung nachgereicht. In jedem Fall hätte die Beklagte der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nachkommen und die konkret verwendete Fahrkurvenerkennung mit Heizmaßnahme unter den in Art. 5 Abs. 2 S. 2 Ziff. c) der VO (EG) Nr. 715/2007 aufgelisteten Gesichtspunkten erläutern können.
84
Insgesamt lässt sich die Frage der hypothetischen Genehmigung, ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nicht zugunsten der Beklagten beantworten. Der allgemeine Verweis auf die Auskünfte des Kraftfahrtbundesamts und dessen Einschätzung reicht dem Senat nicht aus, zumal die fehlende Grenzwertrelevanz nicht der zutreffende Ansatzpunkt ist (anderer Ansicht: OLG Brandenburg, 10 U 27/23, Hinweis vom 03.07.2023, juris Rdnr. 5, Beschluss vom 03.08.2023, juris Rdnr. 7 ff.; OLG Dresden, Urteil vom 25.05.2023, 4 U 2558/22, juris Rdnr. 15, das schon keine Abschalteinrichtung annimmt; OLG München, Urteil vom 13.12.2023, 7 U 667/22, juris Rdnr. 50 ff.; OLG Frankfurt, Urteil vom 03.08.2023, 5 U 74/21, juris Rdnr. 46 ff.).
85
ee) Das Verschulden entfällt auch nicht aufgrund einer Verhaltensänderung der Beklagten vor der Kaufentscheidung der Klägerin.
86
Da der Deliktstatbestand gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Erwerb des Fahrzeugs vollendet ist, muss der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung für diesen Zeitpunkt widerlegt werden. Hat der Fahrzeughersteller die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekanntgegeben, die eine allgemeine Kenntnisnahme erwarten lässt, und hat er eine Beseitigung der betreffenden Abschalteinrichtung allgemein, d.h. insbesondere nicht nur für neue, sondern auch für gebrauchte Kraftfahrzeuge veranlasst, kann ihm unter Umständen der Vorwurf einer fahrlässigen Schädigung solcher Käufer nicht mehr gemacht werden, die ein Fahrzeug nach der Verhaltensänderung des Herstellers gekauft haben (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 61).
87
Die Beklagte hat sich darauf berufen, sie habe für die jeweiligen Fahrzeuge Halteranschreiben bzw. Kundeninformationen (Anlage BE148) über ein freiwilliges und kostenloses Software-Update zur Reduzierung der Stickstoffemissionen, mit welchem auch die Fahrkurvenerkennung entfernt worden sei, versandt, ohne den genauen Zeitraum anzugeben. Insbesondere hat sie nicht konkret vorgetragen, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug bereits vor dem Kauf am 05.12.2017 ein Software-Update zur Verfügung stand und dass die Halter darüber informiert wurden. Gerade hierauf käme es jedoch an, der allgemeine Hinweis auf Halteranschreiben über zur Verfügung stehende Software-Updates für andere Fahrzeuge reicht nicht aus, um die ursprüngliche Fahrlässigkeit zu beseitigen.
88
4. Zur Überzeugung des Senats hätte die Klägerin das Fahrzeug nicht erworben, hätte sie von der unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung Kenntnis gehabt.
89
a) Es streitet bereits der Erfahrungssatz für die Klägerin, nach dem auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann, zu dem vereinbarten Kaufpreis erwirbt (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, juris Rdnr. 49, zum sog. großen Schadensersatz; BGH, Urteil vom 06.07.2021, VI ZR 40/20, NJW 2021, 3041, juris Rdnr. 21, zum sog. kleinen Schadensersatz; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 55, zum Differenzschadensersatz).
90
Hierbei ist es ohne Bedeutung, ob dem Käufer beim Erwerb des Kraftfahrzeugs die vom Fahrzeughersteller ausgegebene unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung vorgelegen und ob er von deren Inhalt Kenntnis genommen hat. Denn erwirbt ein Käufer ein zugelassenes oder zulassungsfähiges Fahrzeug auch zur Nutzung im Straßenverkehr, wird er regelmäßig darauf vertrauen, dass die Zulassungsvoraussetzungen, zu denen nach § 6 Abs. 3 S. 1 FZV die Übereinstimmungsbescheinigung gehört, vorliegen und dass außerdem keine ihn einschränkenden Maßnahmen nach § 5 Abs. 1 FZV mit Rücksicht auf unzulässige Abschalteinrichtungen erfolgen können. Auch ohne Kenntnisnahme der vom Fahrzeughersteller ausgegebenen Übereinstimmungsbescheinigung geht der Käufer typischerweise davon aus, dass der Hersteller für das erworbene Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat und dass diese die gesetzlich vorgesehene Übereinstimmung mit allen maßgebenden Rechtsakten richtig ausweist (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 56).
91
b) Die von der Beklagten ins Feld geführten „Aufklärungsmaßnahmen“ sind nicht geeignet, den vorzitierten Erfahrungssatz in Frage zu stellen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Fahrzeughersteller sein Verhalten vor dem Abschluss des konkreten Erwerbsgeschäfts, das das gesetzliche Schuldverhältnis nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV erst begründet, dahin geändert hätte, dass er die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hat, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss. Zur Widerlegung des Erfahrungssatzes muss der Fahrzeughersteller die Verhaltensänderung darlegen und beweisen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270, juris Rdnr. 35; BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 57; BGH, Urteil vom 10.07.2023, VIa ZR 1119/22, NJW 2023, 3580, juris Rdnr. 16).
92
Die Beklagte streicht in erster Linie ihre Kooperation mit dem Kraftfahrtbundesamt sowie ihre eigenen unternehmensinternen Entscheidungen in Bezug auf die Fahrkurvenerkennung heraus. Wie sie diese öffentlich kommuniziert hat, sodass auch objektive Dritte davon Kenntnis nehmen hätten können, hat sie nicht dargestellt. Dass sie eine Ad-hoc-Mitteilung, wie sie sie zum Beispiel für den EA 189 publiziert hat, herausgegeben oder ihr Händlernetz zur Aufklärung von potentiellen Fahrzeugkäufern angehalten hat, hat sie nicht vorgebracht. Der Vortrag dazu, im Allgemeinen seien die Halter der jeweiligen Fahrzeuge angeschrieben worden, dass ein freiwilliges und kostenloses Software-Update zur Verfügung stehe, ist ebenfalls nicht geeignet, die Kausalitätsvermutung zu widerlegen. Ein solches Verhalten kann nur beachtlich sein, wenn das Software-Update für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp mit der spezifischen Motorkonfiguration vor Kauf zur Verfügung stand und die Halteranschreiben erfolgt sind.
93
5. Es kann dahingestellt bleiben, ob das unstreitig in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs applizierte Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen ist. Den Differenzschadensersatz kann die Klägerin bereits aus der Fahrkurvenerkennung ableiten.
94
6. Der Schutz der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV erstreckt sich aber nicht auf das Interesse der Klägerin, nicht an dem Kaufvertrag über das Fahrzeug festgehalten zu werden.
95
Vielmehr hat ihm die Beklagte lediglich einen sog. Differenzschaden zu erstatten.
96
a) Das Unionsrecht verlangt nicht, den Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Diese Rechtsprechung trägt dem unterschiedlichen Unwertgehalt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung einerseits und einer schuldhaften Schutzgesetzverletzung andererseits Rechnung.
97
Die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i. V. m. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 schützen (lediglich) das Vertrauen des Käufers auf die Übereinstimmung des Fahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 19 ff.; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 20).
98
b) Der Klägerin ist ein Vermögensschaden entstanden, der auf der Verringerung des objektiven Werts des von ihr erworbenen Fahrzeugs infolge der Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung beruht.
99
aa) Das Bestehen eines Schadens ist nach Maßgabe der Differenzhypothese zu ermitteln, also nach Maßgabe eines Vergleichs der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Ein Vermögensschaden des Käufers im Sinne der Differenzhypothese liegt vor, wenn der Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage ohne das haftungsbegründende Ereignis ein rechnerisches Minus ergibt bzw. der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs hinter dem Kaufpreis zurückbleibt.
100
Der Geschädigte wird durch Gewährung des Differenzschadens wegen der Enttäuschung des Käufervertrauens so behandelt, als wäre es ihm in Kenntnis der wahren Sachlage und der damit verbundenen Risiken gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen. Sein Schaden liegt daher in dem Betrag, um den er den Kaufgegenstand mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat. Insofern unterscheidet sich der Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht von dem unter den Voraussetzungen der §§ 826, 31 BGB zu gewährenden „kleinen“ Schadensersatz (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 40).
101
Festgemacht hat der Bundesgerichtshof diese Wertdifferenz daran, dass die zweckentsprechende Nutzung eines Fahrzeugs, das dem Gebrauch als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr diene, durch drohende Maßnahmen bis hin zu einer Betriebsbeschränkung oder infolge unzulässiger Abschalteinrichtungen in Frage stehe. Die damit einhergehende, zeitlich nicht absehbare Unsicherheit, das erworbene Kraftfahrzeug jederzeit seinem Zweck entsprechend nutzen zu dürfen, setze den objektiven Wert des Kaufgegenstands im maßgeblichen Zeitpunkt der Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags herab, weil schon in der Gebrauchsmöglichkeit als solcher ein geldwerter Vorteil liege (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 41; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 31).
102
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt bei der gegebenen Konstellation ein wirtschaftlicher Nachteil der Klägerin vor. In ihrem Fahrzeug war eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, die die Gefahr einer nachträglichen Anordnung von Nebenbestimmungen oder gar einer Stilllegung durch das KBA beinhaltet. Gemäß § 25 Abs. 3 EG-FGV kann das Kraftfahrtbundesamt die Typgenehmigung unter anderem ganz oder teilweise widerrufen oder zurücknehmen, wenn festgestellt wird, dass Fahrzeuge mit einer Übereinstimmungsbescheinigung oder selbstständige technische Einheiten oder Bauteile mit einer vorgeschriebenen Kennzeichnung nicht mit dem genehmigten Typ übereinstimmen (Nr. 1) oder dass von Fahrzeugen, selbstständigen technischen Einheiten oder Bauteilen ein erhebliches Risiko für die Verkehrssicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die Umwelt ausgeht (Nr. 2). Diese Gefahr war bereits im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses angelegt, der für die Schadensentstehung maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 42).
103
Da sich der Schaden nach der uneingeschränkten Nutzbarkeit des Fahrzeugs im Straßenverkehr für den Käufer wie auch für Dritte definiert, welcher Geldwert zukommt, reicht die Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. v. Art. 5 Abs. 2 S. 1 der VO (EG) Nr. 715/2007, Ziffern 2.16, 5.1.2.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 aus, um den objektiven Wert des betroffenen Fahrzeugs im Vergleich zu einem Fahrzeug der gleichen Baureihe und Motorisierung ohne unzulässige Abschalteinrichtung zu mindern.
104
bb) Bezüglich der Schätzung des Differenzschadens in den Fällen des Vertrauens eines Käufers auf die Richtigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung bei Erwerb eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs hat der Bundesgerichtshof Vorgaben des Unionsrechts (EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21) für die Anwendung des nationalen Rechts sowohl in Bezug auf die Untergrenze als auch auf die Obergrenze des nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu gewährenden Schadensersatzes gesehen, die das Schätzungsermessen innerhalb einer Bandbreite zwischen 5% und 15% des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzen. Maßgebliche Faktoren für die Bestimmung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses sind unter anderem die mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko behördlicher Anordnungen, der Umfang in Betracht kommender Betriebsbeschränkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Beschränkungen mit Rücksicht auf die Einzelfallumstände, das Gewicht des der Haftung zugrundeliegenden konkreten Rechtsverstoßes für das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte sowie der Grad des Verschuldens nach Maßgabe der Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 73 ff.; BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 34).
105
Der Differenzschaden unterliegt dem Schätzermessen nach § 287 ZPO.
106
Nach § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO entscheidet das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung, wenn unter den Parteien streitig ist, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe. Im vorliegenden Fall ist über die Frage des „Ob“ gar nicht auf Grundlage dieser Vorschrift zu befinden. Da bereits in der jederzeitigen Gebrauchsmöglichkeit eines Fahrzeugs ein geldwerter Vorteil liegt, und diese permanente Verfügbarkeit aufgrund der Ausrüstung des Motors mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung mit Unsicherheiten behaftet ist, ist allein dadurch der Schaden bereits eingetreten. § 287 Abs. 1 ZPO kommt daher in Fällen wie vorliegend nur noch für die Frage der Höhe zur Anwendung. Dabei bleibt es den Parteien unbenommen, Anknüpfungstatsachen für die Bemessung vorzubringen, so dass ihr rechtliches Gehör gewahrt ist. Mit dem Korridor von 5% bis 15% hat der Bundesgerichtshof die Grundsätze der Effektivität auf der einen und der Verhältnismäßigkeit auf der anderen Seite berücksichtigt, die ihm aus Rechtsgründen auferlegt waren (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, juris Rdnr. 79).
107
cc) Der Senat legt seiner Entscheidung einen Differenzschaden in Höhe von 10% des Kaufpreises zugrunde. In dem für die Schadensentstehung allein maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2023, III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903, juris Rdnr. 33) beinhaltete die Motorsteuerungssoftware eine Fahrkurvenerkennung mit Heizmaßnahme als unzulässige Abschalteinrichtung. Vor dem Hintergrund, dass Ausnahmen von der grundsätzlichen Unzulässigkeit von Abschalteinrichtungen relativ eng zu ziehen sind, war das Risiko behördlicher Auflagen nicht ausgeschlossen, wenngleich eine unmittelbare Stilllegung durch das Kraftfahrtbundesamt nicht zu erwarten war. Vielmehr ist der Senat davon überzeugt, dass das Kraftfahrtbundesamt in jedem Falle der Beklagten zunächst die Möglichkeit eingeräumt hätte, die Manipulation der Abgasbehandlung zu beseitigen. Des Weiteren bewegen sich sowohl der Pflichtenverstoß der Beklagten als auch der Grad ihrer Fahrlässigkeit allenfalls im durchschnittlichen Bereich. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der Ziele, die mit der VO (EG) Nr. 715/2007 erreicht werden sollen, nämlich die Verbesserung der Luftqualität und die Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte (z. B. Grund 6 der VO (EG) Nr. 715/2007). An dieser Stelle findet auch die bisherige Sachbehandlung der Fahrkurvenerkennung durch das KBA erneut ihren Niederschlag.
108
7. Nutzungsvorteil und Restwert sind nicht vorteilsausgleichend zu berücksichtigen, weil sie in der Summe den um den 10%-igen Differenzschaden verringerten Kaufpreis nicht übersteigen.
109
a) Der Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV unterliegt dem Vorteilsausgleich (BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010, juris Rdnr. 12). Es können daher nach den im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten diejenigen Vorteile anzurechnen sein, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Allerdings sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, d. h. bei denen dem Geschädigten die Anrechnung zumutbar ist und die den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein (BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 17 f.; BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 575/20, MDR 2021, 1261, juris Rdnr. 28; BGH, Urteil vom 06.07.2021, VI ZR 40/20, NJW 2021, 3041, juris Rdnr. 23).
110
Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind jedoch erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen. Der Vorteilausgleich kann der Gewährung eines Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB sogar gänzlich entgegenstehen, wenn der Differenzschaden vollständig ausgeglichen ist (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 80; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 22). Die gleichen Konditionen müssen für ein SoftwareUpdate gelten, das wie die Nutzungen und der Restwert ein dem Schadensfall zeitlich nachgelagerter Vorteil ist.
111
Die Voraussetzungen für eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände hat der Fahrzeughersteller darzulegen und zu beweisen (BGH, Urteil vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, juris Rdnr. 80).
112
Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz (BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 533/20, NJW 2021, 3594, juris Rdnr. 29; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 23). Die Bemessung der Höhe der anzurechnenden Vorteile ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters (BGH, Urteil vom 24.07.2023, VIa ZR 752/22, juris NJW 2023, 3010, Rdnr. 12).
113
b) Der Nutzungsvorteil aus dem Gebrauch des Fahrzeugs beträgt 5.321,35 €.
114
aa) Der Senat schätzt den Nutzungsvorteil gemäß § 287 ZPO grundsätzlich unter Zugrundelegung der linearen Formel „Kaufpreis multipliziert mit der seit Erwerb gefahrenen Strecke geteilt durch die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt“ (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796, juris Rdnr. 12; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 24; BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 575/20, MDR 2021, 1261, juris Rdnr. 33).
115
bb) Für den streitgegenständlichen VW Golf mit Hubraum 2,0 l und 110 kW Leistung geht der Senat unter Würdigung aller Umstände von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km aus, die solche Fahrzeuge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit i. S. d. § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO erreichen werden (vgl. zum Schätzungsermessen BGH, Urteil vom 23.03.2021, VI ZR 3/20, NJW-RR 2021, 1534, juris Rdnr. 11; BGH, Urteil vom 27.07.2021, VI ZR 480/19, VersR 2022, 115, juris Rdnr. 23 ff.; BGH, Urteil vom 24.01.2022, VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033, juris Rdnr. 23). Für ein Fahrzeug hervorgehobener Qualität, die sich im Preis widerspiegelt, darf angesichts des mit Blick auf die Erstzulassung im Oktober 2016 anzunehmenden Produktionszeitpunkts Mitte 2016 von einer höheren Haltbarkeit ausgegangen werden, als das bei älteren Fahrzeugen der Fall ist.
116
Die Erholung eines Sachverständigengutachtens ist entbehrlich. Der Bundesgerichtshof hat Laufleistungen zwischen 200.000 km und 300.000 km für angemessen erachtet. Dass es vereinzelt Fahrzeuge gibt, die eine geringere oder höhere Laufleistung aufweisen, ändert daran nichts. Die Rechtsprechung stellt bei der Beurteilung der voraussichtlichen Gesamtlaufleistung nicht auf die minimal oder maximal von einzelnen Fahrzeugen des fraglichen Typs erreichte Laufleistung ab, sondern darauf, mit welcher Laufleistung in der Regel zu rechnen ist (vgl. auch BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, juris Rdnr. 82; BGH, Urteil vom 27.04.2021, VI ZR 812/20, NJW-RR 2021, 1388, juris Rdnr. 15 ff.; BGH, Urteil vom 18.05.2021, VI ZR 720/20, NJW-RR 2021, 1386, juris Rdnr. 13; BGH, Beschluss vom 21.07.2021, VII ZR 56/21, juris Rdnr. 1). Der Senat bewegt sich mit seiner Bemessung innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der Gesamtlaufleistung, und zwar nicht am unteren Rand (vgl. Übersicht bei Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Auflage 2020, Rdnr. 3574).
117
Ausgehend von den Parametern 20.950,00 € (Brutto-Kaufpreis), 14.900 km (Kilometerstand bei Erwerb), 74.616 km (Kilometerstand bei Veräußerung), 250.000 km (Gesamtlaufleistung) ergibt sich für die Nutzungsentschädigung ein Betrag in Höhe von 5.321,35 €.
118
c) Als Restwert legt der Senat 13.603,92 € zugrunde.
119
Der Senat hat die Restwertangaben der Parteien plausibilisiert und hierfür auf den Händler-Einkaufswert der DAT zurückgegriffen, deren GebrauchtwagenWertermittlung auf der Basis von Händler-Verkaufserlösmeldungen unter Berücksichtigung von Serien- und Sonderausstattungen sowie Ausstattungspaketen, gegebenenfalls sogar unter Berücksichtigung des Fahrzeugzustands/Reparaturaufwands, erfolgt. Dabei handelt es sich um den Preis, den die Klägerin bei einer Veräußerung des Fahrzeugs hinreichend wahrscheinlich i. S. d. § 287 Abs. 1 ZPO erzielen kann.
120
d) Ein Software-Update kann im Rahmen des Vorteilsausgleichs nicht berücksichtigt werden. Zwischen den Parteien ist letztlich unstreitig, dass das Software-Update noch nicht auf das Fahrzeug der Klägerin aufgespielt wurde. Der Vortrag der Klägerin, wonach sie gegebenenfalls nach dessen Installation über ein uneingeschränkt nutzbares Fahrzeug verfüge, ist so zu verstehen, dass das Update noch aussteht.
121
Es fehlen allerdings Ausführungen der Beklagten dazu, dass sich die Klägerin dem Aufspielen eines solchen Software-Updates verschlossen und damit gegen ihre Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 BGB verstoßen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 23.10.2023, VIa ZR 468/21, WM 2023, 2232, juris Rdnr. 14). Die Beklagte hat lediglich allgemein vorgebracht, sie habe Halter von Fahrzeugen, für die eine entsprechende Maßnahme zur Verfügung stehe, mittels eines Halteranschreibens bzw. einer Kundeninformation darauf hingewiesen, dass für das jeweilige Fahrzeug ein freiwilliges und kostenloses Software-Update zur Reduzierung der NOx-Emissionen zur Verfügung stehe. Zum Beweis hat sie eine (undatierte) beispielhafte Kundeninformation zum Software-Update 23X4 vorgelegt.
122
Des Weiteren hat sie darauf verwiesen, dass auch für das streitgegenständliche Fahrzeug ein Software-Update zur Verfügung stehe.
123
Diese pauschalen Ausführungen reichen nicht aus, um einen Verstoß der Klägerin gegen die Schadensminderungspflicht zu begründen. Dass sie, die das streitgegenständliche Fahrzeug ab Mitte Dezember 2017 in Besitz hatte, ein solches Anschreiben erhalten hat oder ein solches jedenfalls an sie verschickt wurde, hat die Beklagte nicht dargetan.
124
In der Summe übersteigen die Vorteile in Höhe von 18.925,27 € den um den Differenzschaden verringerten Kaufpreis um 70,27 €. Diesen Betrag muss sich die Klägerin auf ihren grundsätzlich bestehenden Schadensersatz in Höhe von 2.095,00 € anrechnen lassen, so dass ihr im Ergebnis noch ein Betrag von 2.024,73 € zusteht.
125
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB, § 261 Abs. 1 ZPO.
126
Die Kostenentscheidung für die erste Instanz beruht auf § 91 Abs. 1 analog, § 92 Abs. 1 ZPO, die für die Berufungsinstanz zusätzlich auf § 97 Abs. 1 ZPO. Dadurch, dass die Klägerin die Klage und die Berufung zunächst mit einem höheren Streitwert verfolgt hat, hat sie Kosten verursacht, die in dieser Höhe nicht entstanden wären, hätte sie sogleich lediglich den Differenzschaden geltend gemacht. Aus dem hohen Streitwert sind nämlich neben den Gerichtskosten auch die Verfahrensgebühren der Prozessbevollmächtigten angefallen. Andererseits obsiegt die Klägerin mit ihrem zuletzt gestellten Antrag teilweise, nachdem sie das ihr uneingeschränkt zustehende Recht des Wechsels der Schadensberechnung ausgeübt hat.
127
Die kostenrechtliche Behandlung dieser Fallgestaltung ist nicht eindeutig geregelt. Der Senat schließt diese Lücke durch entsprechende Anwendung der Rechtsprechung zur einseitigen Teilerledigterklärung (vgl. BGH, Beschluss vom 13.07.1988, VIII ZR 289/87, NJW-RR 1988, 1465, juris Rdnr. 4; BGH, Beschluss vom 09.05.1996, VII ZR 143/94, NJW-RR 1996, 1210, juris Rdnr. 5). Der dort zugrundeliegende prozessuale Vorgang ist mit der vorliegenden Situation vergleichbar. Zudem erscheint es nicht angemessen, die von der Klägerin ausgelösten Mehrkosten überhaupt nicht zu berücksichtigen. Der Senat hat deshalb – für jede Instanz gesondert – die Mehrkosten, die auf den „erledigten“/„zurückgenommenen“ Teil entfallen, errechnet, zu den Kosten addiert, die die Klägerin aufgrund ihres Unterliegens in Bezug auf den reduzierten Klageantrag zu tragen hat, und diese in das Verhältnis zu den tatsächlich entstandenen Kosten gesetzt (vgl. OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 04.04.2022, 7 W 10/22, NJW-RR 2022, 718, juris Rdnr. 5; Anders/Gehle/Gehle, ZPO, 81. Auflage 2023, § 92 Rdnr. 53 f.; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 20. Auflage 2023, § 92 Rdnr. 4).
128
Die vorläufige Vollstreckbarkeit regelt sich nach § 708 Nr. 10 S. 1, 711 ZPO.
129
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung des Gebührenstreitwerts ist nach § 40 GKG der Zeitpunkt der Antragstellung, die den Rechtszug einleitet, in der Berufungsinstanz also die Einreichung der Berufungsanträge. Später eingetretene wertreduzierende Antragsänderungen (z. B. teilweise Berufungsrücknahme, teilweise Klagerücknahme, teilweise Erledigterklärung etc.) bleiben in Bezug auf den Gebührenstreitwert außer Betracht (OLG München, Beschluss vom 13.12.2016, 15 U 2407/16, NJW-RR 2017, 700, juris Rdnr. 16; Toussaint/Elzer, Kostenrecht, 53. Auflage 2023, § 40 Rdnr. 11).
130
Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen. Der Senat weicht in der Frage der Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums von Entscheidungen eines anderen Spruchkörpers des Oberlandesgerichts München (Urteil vom 13.12.2023, 7 U 667/22, juris Rdnr. 56 ff.) und anderer Oberlandesgerichte (OLG Brandenburg, 10 U 27/23, Hinweis vom 03.07.2023, juris Rdnr. 3 ff., Beschluss vom 03.08.2023, juris Rdnr. 7 ff.; OLG Frankfurt, Urteil vom 03.08.2023, 5 U 74/21, juris Rdnr. 46 ff.) ab.