Inhalt

AG München, Beschluss v. 20.02.2023 – 518 F 2865/21
Titel:

Wirksamkeit eines Vergleichs (Verbindung von Güterrecht und Umgang)

Normenketten:
BGB § 1408
ZPO § 278
Leitsätze:
1. Auch der Umstand, dass die Fälligkeit der Forderung von einem Umgang der gemeinsamen Kinder in Deutschland abhängig sein soll, führt nicht zur Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit des Vergleichs. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Vergleich ist nicht sittenwidrig, wenn er dem Gebot eines fairen Verfahrens widersprach; die Zuziehung eines Dolmetschers ist bei ausreichenden Sprachkenntnissen nicht erforderlich. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Umstand, dass die Fälligkeit der Forderung von einem Umgang der gemeinsamen Kinder in Deutschland abhängig sein soll, führt nicht zur Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit des Vergleichs. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vergleich, Güterrecht, Umgang, nichtig, sittenwidrig, Sprachkenntnis, Fortsetzung des Verfahrens
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 20.07.2023 – 2 UF 362/23 e
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 31.01.2024 – XII ZB 385/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 43830

Tenor

1. Die Anträge der Antragstellerin vom 20.05.2022 werden zurückgewiesen.
2. Es wird festgestellt, dass das Verfahren durch den Vergleich vom 14.12.2021 beendet ist.
3. Die Antragstellerin trägt die weiteren Kosten des Verfahrens.
4. Der Verfahrenswert für das weitere Verfahren wird auf € 80.000,00 festgesetzt.

Gründe

1
Die Antragstellerin macht die Unwirksamkeit des in dem vorliegenden Verfahren im Termin vom 14.12.2021 protokollierten Vergleichs geltend und begehrt die Fortsetzung des Verfahrens, dessen Gegenstand güterrechtliche Forderungen waren.
2
Die Beteiligten haben am ... 2002 die Ehe geschlossen und wurden am 13.06.2017 rechtskräftig geschieden. Die Beteiligten haben zwei gemeinsame minderjährige Kinder, …, geb. …, und …, geb. ….
3
Der Scheidungsantrag des hiesigen Antragsgegners wurde der Antragstellerin am 13.11.2015 zugestellt. Die Beteiligten waren im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet. Der letzte gemeinsame Aufenthalt der Beteiligten war in M.. Die Antragstellerin lebt mit den gemeinsamen Kindern in … P., der Antragsgegner in M.. Inwieweit der Umzug der Kinder nach P. mit Einverständnis des Antragsgegners erfolgte, ist zwischen den Beteiligten umstritten. Mit ihrem Antrag vom 22.03.2021 machte die Antragstellerin eine Teilforderung geltend; sie hatte zuvor unstreitig einen Vorausempfang auf den Zugewinn in Höhe von € 30.000,00 erhalten. Auf Aufforderung der vormaligen Antragstellervertreterin vom 03.09.2020 wurde der Antragsgegner aufgefordert, Auskunft über sein Anfangsvermögen, Trennungsvermögen und Endvermögen zu erteilen. In der Folgezeit erteilten die Beteiligten sich wechselseitig Auskunft, wobei jedoch umstritten ist, inwieweit die Auskunft jeweils vollständig und belegt ist. Die Antragstellerin errechnete unter Berücksichtigung des Vorausempfangs in Höhe von € 30.000,00 eine verbleibende Forderung in Höhe von € 111.310,52. Im Termin vom 14.12.2021, zu dem die Antragstellerin angereist ist, schlossen die Beteiligten einen Vergleich mit folgendem Wortlaut:
Vereinbarung:
1. Der Antragsgegner verpflichtet sich, zur Abgeltung sämtlicher Zugewinnausgleichsansprüche unter Berücksichtigung eines schon geleisteten Teilbetrages in Höhe von 30.000,00 € an die Antragstellerin einen Gesamtbetrag von weiteren € 60.000,00 zu zahlen.
2. Dem Antragsgegner wird nachgelassen, diesen weiteren Gesamtbetrag in Höhe von € 60.000,00 in drei jährlichen Raten zu € 20.000,00 an die Antragstellerin wegzufertigen.
Die jährliche Rate ist jeweils erst dann fällig, wenn die gemeinsamen Kinder der Beteiligten … geb. … und … geb. … drei Wochen Umgang mit dem Vater in Deutschland gehabt haben. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass die dreiwöchige Umgangszeit bedeutet, dass Flugzeiten nicht zu den Umgangszeiten gehören.
Dem Antragsgegner ist nachgelassen, die Kinder auch in den peruanischen Winterferien, d.h. im europäischen Sommer, in P. zu besuchen. Der Antragsgegner wird in den peruanischen Winterferien zumindest zehn Tage ungestört Umgang mit den Kindern haben.
3. Die jeweilige Rate in Höhe von 20.000,00 € ist spätestens zwei Wochen nach Beendigung des dreiwöchigen Nettoumgangs des Vaters mit den gemeinsamen vorbezeichneten Kindern in Deutschland zur Zahlung an die Antragstellerin fällig.
Sofern der Sohn … dies wünschen sollte, verpflichtet sich der Antragsgegner, dass die Kindsmutter … in Deutschland während des Umgangs des Kindes in Deutschland sehen kann.
4. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass mit der Zahlungsverpflichtung über € 60.000,00 sämtliche güterrechtlichen Ansprüche abgegolten sind. Vorsorglich verzichten die Beteiligten wechselseitig auf allfällig darüber hinausgehende güterrechtliche Ausgleichsansprüche und nehmen diesen Verzicht jeweils gegenseitig an.
5. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
- vorgespielt und genehmigt -
4
Die familiengerichtliche Billigung des Vergleichs vom 15.12.2021 wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 04.04.2022 (26 UF 217/22) aufgehoben.
5
Der Antragsgegner hat in … P. Anfang 2022 ein Umgangsverfahren angestrengt, mit dem Ziel, dass Umgang der Kinder in Deutschland ermöglicht wird. Die Kinder haben zwischenzeitlich vor dem Gericht in P. ausgesagt, dass sie den Vater und Antragsgegner in Deutschland besuchen wollen.
6
Mit Schriftsatz vom 20.05.2022 beantragte die Antragstellerin die Fortführung des vorliegenden güterrechtlichen Verfahrens. Der zu Protokoll des Amtsgerichts geschlossene Vergleich vom 14.12.2021 sei unzulässig und nichtig.
7
Sie führt aus, dass sie peruanische Staatsangehörige und nur eingeschränkt der deutschen Sprache mächtig sei. Ein Dolmetscher für die spanische Sprache sei in der Verhandlung vom 14.12.2021 nicht zugegen gewesen.
8
Die vormalige Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin sei nur im güterrechtlichen Verfahren bevollmächtigt gewesen, in einer Umgangsangelegenheit sei sie nicht bevollmächtigt gewesen. Die Antragstellerin moniert weiters, dass keine durchsetzbare Fälligkeitsregelung bezüglich der Zugewinnausgleichszahlung dem Vergleich zu entnehmen sei. Die Fähigkeit der Zugewinnausgleichszahlung sei an die nicht vollstreckbare Umgangsregelung geknüpft gewesen. Die Antragstellerin ist der Meinung, dass der Antragsgegner seiner Zahlungsverpflichtung dadurch entgehen könne, indem er einen Umgang der Kinder zeitlich verkürzt oder nicht wahrnimmt, sodass die Antragstellerin keine Möglichkeit habe, die Fälligkeit der Zugewinnausgleichsforderung herbeizuführen. Es sei zudem hinsichtlich der Regelung des Umgangs das Kindeswohl vollständig außer Acht gelassen worden. Es habe weder eine Kindesanhörung stattgefunden, noch habe ein Verfahrensbeistand die Interessen der Kinder vertreten. Auch das Jugendamt sei nicht involviert gewesen.
9
Die Antragstellerin beantragt
die Fortführung des Verfahrens und
10
Im Wege des Zwischenbeschlusses festzustellen, dass die gerichtliche Vereinbarung, geschlossen am 14.12.2021 vor dem Amtsgericht München in diesem Verfahren (AZ: 518 F 2865/21), unwirksam und nichtig ist und damit nicht zu einer Beendigung des Verfahrens geführt hat.
11
Der Antragsgegner beantragt die Abweisung der Anträge der Antragstellerin.
12
Er ist der Meinung, der am 14.12.2021 geschlossene Vergleich sei wirksam.
13
Es sei unrichtig, dass die Antragstellerin der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig sei. Die Antragstellerin habe von April 2000 bis Dezember 2011 in Deutschland gelebt und hier gearbeitet. Zunächst sei sie als Au- Pair- Mädchen bei einer deutschen Familie beschäftigt gewesen, danach absolvierte sie Deutschkurse, schloss einen Intensivkurs ab, besuchte die städtische Berufsschule für Großhandels- und Automobilkaufleute ab. Diese Ausbildung habe sie 2005 abgeschlossen und sei dann fünf Jahre lang beschäftigt gewesen. Auch bei dem vorangegangenen Scheidungsverfahren und außergerichtlichen Besprechungen habe die Antragstellerin ohne Deutschdolmetscher mühelos und uneingeschränkt dem Verhandlungsverlauf folgen können. Der Antragsgegner behauptet, dass die gemeinsame Tochter der Beteiligten durch die Antragstellerin nach P. „entführt“ worden sei. Ein Umgang des Antragsgegners mit den gemeinsamen Kindern sei nur eingeschränkt in P. möglich. Dem Wunsch eines Umgangs der Kinder mit dem Antragsgegner in Deutschland sei die Antragstellerin bislang nicht nachgekommen. Er ist der Auffassung, dass güterrechtliche Ansprüche deshalb verwirkt seien. Er verweist darauf, dass er – sofern er dem Angebot der Antragstellerin auf Umgang der Kinder in Deutschland nicht nachkäme, er sich in Annahmeverzug befände, sodass es mitnichten so sei, dass ausschließlich er Einfluss auf die Fälligkeit der Zugewinnausgleichszahlungsraten hätte.
14
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf die im Anschluss an den 14.12.2021 eingereichten Schriftsätze samt Anlagen sowie weiters auf die Niederschrift des Sitzungsprotokolls vom 21.11.2022 Bezug genommen.
15
Die Anträge der Antragstellerin vom 20.05.2022 waren abzuweisen, nachdem das Verfahren mit Abschluss des Vergleichs vom 14.12.2021 beendet worden ist.
16
Einem Prozessvergleich kommt sowohl materiell-rechtliche, wie auch verfahrensrechtliche Wirkung bei. Um eine verfahrensbeendende Wirkung zu entfalten, muss er daher materiell-rechtlich wirksam und in der verfahrensrechtlich vorgeschriebenen Form abgeschlossen worden sein (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 32. Auflage, Rn. 15 zu § 794). Diese Bewertung führt dazu, dass einem Prozessvergleich dann keine verfahrensbeendende Wirkung zukommt, wenn er in seinem materiellen Teil unwirksam ist. Die materiell-rechtliche Unwirksamkeit kann von Anfang an bestehen oder nachträglich entstehen. Macht ein Beteiligter geltend, ein Prozessvergleich sei unwirksam, ist das ursprüngliche Verfahren fortzusetzen und die Frage der Wirksamkeit des Vergleichs vorab zu klären (OLG Nürnberg, Beschluss vom 09.08.2017, 7 UF 1276/16). Der von den Beteiligten am 14.12.2021 abgeschlossene Vergleich ist weder Kraft Gesetzes unwirksam, noch wirksam angefochten worden. Der Vergleich ist nach verfahrensrechtlichen Vorschriften formwirksam geschlossen worden. Die Aufzeichnung des Vergleichstextes ist den Beteiligten vorgespielt worden und von diesen genehmigt worden. Dies entspricht den gesetzlichen Vorgaben, §§ 113 Abs. 1 FamFG, 162 Abs. 1 S. 2 ZPO. Der Vergleich ist nicht wegen Verstoßes gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren unwirksam. Die dem Verfahrensbevollmächtigten erteilte Vollmacht umfasst gemäß § 81 ZPO nicht nur die im Außenverhältnis wirksame Befugnis des Bevollmächtigten, die für einen Vergleichsabschluss erforderliche verfahrensrechtliche Erklärung abzugeben, sondern berechtigt den Bevollmächtigten auch zum Abschluss der materiell-rechtlichen Vereinbarung (Zöller/Stöber a.a.O., Rn. 16 zu § 78). Die Bevollmächtigung eines Anwalts kann auch stillschweigend (BGH FamRZ 95, 1484; BGH NJW 2004, 844) erfolgen. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Bevollmächtigung der vormaligen Antragstellervertreterin zum Abschluss des Vergleichs, der auch umgangsrechtliche Aspekte enthält, in konkludenter Form möglich war.
17
Der Vergleich ist nicht sittenwidrig, weil er dem Gebot eines fairen Verfahrens widersprach, nachdem kein Dolmetscher für die spanische Sprache zugegen war.
18
Das Gericht hat noch eine vergleichsweise gute Erinnerung an den Termin am 14.12.2021. Es kamen zwar Nachfragen der Antragstellerin, diese wurden seitens des Gerichts und der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin beantwortet. Das Gericht hatte nicht den Eindruck, dass die Antragstellerin bei Genehmigung des Vergleichstextes diesen nicht verstanden hatte. Die Regelungen in dem Vergleich sind zudem nicht sonderlich komplex, es ging um eine abschließende Regelung sämtlicher Zugewinnausgleichsansprüche, der Zahlbetrag in Höhe von € 60.000,00 wurde festgelegt, die Fälligkeit wurde an einen Umgang der Kinder in Deutschland geknüpft.
19
Der Umstand, dass die Fälligkeit der drei Raten nicht kalendarisch, sondern von dem Eintritt eines Ereignisses abhängig sind, führt nicht zu Unwirksamkeit des Vergleichs. Ereignisabhängige Fälligkeitsklauseln sind in § 187 Abs. 1 BGB anerkannt. Sofern der Antragsgegner einen durch die Antragstellerin angebotenen Umgang gemäß dieser Vereinbarung nicht wahrnimmt, so sind die Regeln des Annahmeverzugs (§§ 293 ff. BGB) anwendbar. Insoweit ist der Eintritt der Fälligkeit nicht vom Gutdünken des Antragsgegners abhängig.
20
Auch der Umstand, dass die Fälligkeit der Forderung von einem Umgang der gemeinsamen Kinder in Deutschland abhängig sein soll, führt nicht zur Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit des Vergleichs.
21
Getrennt lebende Eltern regeln den Umgang gemeinsamer Kinder mit einem Elternteil in der Regel einvernehmlich, d.h. insbesondere auch ohne Einschaltung von Gerichten. Nur bei gerichtlich ausgetragenen Umgangsverfahren sind Jugendamt und ein Verfahrensbeistand einzubeziehen. Gemäß § 1684 Abs. 1 BGB hat ein Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. Gemäß § 1684 Abs. 2 S. 1 BGB haben Eltern alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt. Aus der gesetzlichen Wertung ergibt sich, dass ein Umgang von Kindern im Land des gewöhnlichen Aufenthalts eines Elternteils – und in diesem Fall im Geburtsland der Tochtergrundsätzlich keine Bedenken entgegenstehen. Die Antragstellerin hat bis auf den Umstand, dass der Sohn kaum deutsch spreche und noch nie in Deutschland gewesen ist, keine stichhaltigen Argumente vorgetragen, die der gesetzlichen Vermutung des § 1684 BGB entgegenstehen. Sofern sich aus dem in P. anhängigen Umgangsverfahren Gesichtspunkte ergeben sollten, die eine Kindeswohlgefährdung für den Fall eines Umgangs der Kinder in Deutschland nahelegen, wäre hinsichtlich der Fälligkeit ggf. über den Wegfall der Geschäftsgrundlage neu zu befinden.
22
Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 113 Abs. 1 FamFG, 91 ZPO.
23
Der Verfahrenswert richtet sich nach dem Wert der ursprünglich gestellten Anträge (BGH Beschluss vom 19.09.2012, V ZB 56/12). Der ursprünglich gestellte Antrag lautete auf Zahlung von € 80.000,00.