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AG Nürnberg, Beschluss v. 18.08.2023 – 59 XIV 38/23 (L)
Titel:

Unzulässigkeit der präventiven Ingewahrsamnahme von Klimaklebern

Normenketten:
BayPAG Art. 17, Art. 18
StGB § 240
Leitsätze:
1. Die präventivpolizeiliche Ingewahrsamnahme von Personen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie sich zeitnah zum Zwecke der Verkehrsblockade auf die Straße kleben werden, ist nicht zulässig (aufgehoben durch LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2023, 30677). (Rn. 6 – 17) (Rn. 11 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ingewahrsamnahme eines Klimaklebers ist zur dauerhaften Unterbindung der Gefahr nicht geeignet, da die Protestaktionen von einer größeren Anzahl an miteinander offensichtlich vernetzten Personen aus ihrer politischen Überzeugung heraus begangen werden, die auch ohne die Beteiligung des erfolgen werden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ingewahrsamnahme, Prävention, Klimakleber, Unerlässlichkeit, Geeignetheit, Prognose, Gefahrenabwehr, Eignung, Gefahrenprognose, Unterbindungsgewahrsam
Rechtsmittelinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 25.10.2023 – 18 T 5292/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 43823

Tenor

1. Der Antrag des …, die Ingewahrsamnahme des Betroffenen …, für zulässig zu erklären und gegen d. Betroffenen den Gewahrsam bis …, anzuordnen, wird abgelehnt.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten d. Betroffenen hat der Freistaat Bayern zu tragen.

Gründe

I. Sachverhalt
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D. Betroffene wurde am 18.08.2023 um … aufgrund folgenden Sachverhalts in Gewahrsam genommen:
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Am Morgen des 18.08.2023 ließen sich … Personen …, darunter der Betroffene … im Bereich der Stadtgrenze N./St. auf einer Kreuzung nieder und verteilten sich in Gruppen zwischen vier und sechs Personen über alle Fahrspuren, so dass die Kreuzung gänzlich blockiert war. Ab … Uhr wurden die Personen zum Verlassen der Fahrbahn aufgefordert. Die Auflösung unter Anwendung unmittelbaren Zwangs dauerte bis … Uhr.
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Bereits am … beteiligte der Betroffene sich an einer gleichartigen Blockadeaktion von 41 sitzenden Personen (und ca. 15 Unterstützern) im Bereich des … die um … begann und um … beendet werden konnte, sowie an einer Blockadeaktion von insgesamt 9 Personen im Bereich des …, die um … begann und um … Uhr beendet werden konnte.
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Mit Antrag vom 18.08.2023 beantragt das …, den Gewahrsam bis zum 18.08.2023, 22:00 Uhr zu bestätigen.
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Zu den Einzelheiten wird auf den Antrag ergänzend Bezug genommen.
II. Entscheidungsgrundlage
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Das Amtsgericht Nürnberg ist örtlich und sachlich zuständig (Artikel 98 Absatz 2 Nummer 1 des Polizeiaufgabengesetzes), da die Freiheitsentziehung derzeit in N. vollzogen wird.
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Nach Auffassung des Gerichts geht von d. Betroffenen eine konkrete Gefahr für die Begehung von Straftaten, namentlich der Nötigung im Straßenverkehr durch Straßenblockaden (Personen betreten die Fahrbahn, weigern sich, diese zu verlassen, setzen sich hin oder kleben sich gar an) im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG aus, insbesondere weil d. Betroffene sich in der Vergangenheit an Straftaten dieser Art beteiligt hat (insbesondere die Vorfällen in den letzten Tagen, wie oben geschildert, zudem soll er nach polizeilichen Erkenntnissen auch schon früher vergleichbar in Erscheinung getreten sein) bzw. angekündigt hat, aus seiner politischen Überzeugung heraus weitere Straftaten dieser Art zu begehen (Beschuldigtenvernehmungen des Betroffenen vom …).
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Das Gericht geht hingegen nicht davon aus, dass von d. Betroffenen eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben Dritter im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG ausgeht. Eine konkrete Gefahr ist gegeben, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall eine Verletzung des Schutzguts eintreten wird (Schmidbauer/Steiner, Rdz. 27 zu Art. 11 PAG). Dies ist beim bloßen Ankleben auf die Fahrbahn nicht der Fall. Soweit in der Öffentlichkeit die Möglichkeit diskutiert wird, dass im Fall eines Unglücksereignisses durch den Stau, der durch das Verhalten d. Betroffenen ausgelöst wird, Retter behindert und erst verspätet am Unglücksort eintreffen würden, beschreibt dies lediglich eine abstrakte Gefahr. Die Gefahr für das geschützte Rechtsgut ginge in einem solchen Fall nicht unmittelbar von d. Betroffenen aus, vielmehr hätte d. Betroffene auf das ursprüngliche schädigende Ereignis keinerlei Einfluss. Er würde lediglich einen möglichen rettenden Kausalverlauf behindern, jedenfalls wenn noch weitere Faktoren (wie das Unterbleiben der Bildung einer Rettungsgasse) hinzutreten.
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Da eine lediglich abstrakte Gefahr nicht genügt, um einen Gewahrsam nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG zu rechtfertigen (Schmidbauer/Steiner, Rdz. 66 zu Art. 11 PAG), ist die Frage der Genehmigung des Gewahrsams ausschließlich am Maßstab von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG zu messen.
III. Erwägungen zur Sache
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Der Antrag auf Genehmigung des Gewahrsams war abzulehnen, da der Gewahrsam wahrscheinlich nicht unerlässlich, jedenfalls aber zur Unterbindung der Gefahr ungeeignet wäre.
1. Unerlässlichkeit
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Das Gericht hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass die Maßnahme unerlässlich im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG ist, um die Straftaten zu verhindern bzw. im Fall ihrer Begehung zu beenden, da mildere Maßnahmen möglich sind. In der Vergangenheit wurden die Protestaktionen durch die Polizei zügig aufgelöst, so dass es nur zu geringfügigen Beeinträchtigungen der Allgemeinheit kam (vgl. etwa Pressemitteilung Nr. 999 des Polizeipräsidiums Mittelfranken vom 16.08.2022: „Einsatzkräfte der Polizei sperrten den betroffenen Bereich umgehend ab. Der Fahrzeugverkehr wurde weiträumig umgeleitet. Die Fahrzeuge, die unmittelbar von den Aktivisten blockiert worden waren, konnten nach Eintreffen der Polizei nach und nach ausgeleitet werden. Zu länger andauernden Verkehrsbehinderungen im direkten Umfeld des Hauptbahnhofs kam es auf Grund der zügigen polizeilichen Maßnahmen anschließend nicht mehr“; Pressemitteilung Nr. 774 des Polizeipräsidiums Mittelfranken vom 03.07.2023: „Durch Beamte des USK Mittelfranken begann ab 12:10 Uhr das Ablösen der festgeklebten Personen. Bereits um 12:20 Uhr war der Verkehr in Richtung Plärrer wieder freigegeben. Nach Beendigung der Reinigungsarbeiten durch den Servicebetrieb Öffentlicher Raum N. (SÖR) konnten die Einsatzkräfte die gesamte Fahrbahn gegen 12:35 Uhr wieder freigegeben.“) Laut Online-Berichterstattung (https://www....-1.135...) konnten auch am 17.08.2023 die Protestaktionen innerhalb einer halben Stunde aufgelöst werden, die Polizei sei nach Angaben eines Polizeisprechers gut vorbereitet, mobile und flexible Einheiten seien im Einsatz, um schnell eingreifen zu können, Laut Pressemitteilung Nr. 9.. vom 17.08.2023 der antragstellenden Behörde gelang es den Einsatzkräften „auch (Hervorhebung durch Uz.) bei den neuerlichen, Protestaktionen, die betroffenen Straßen innerhalb kurzer Zeit zu räumen und für den Verkehr freizugeben“.
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Auch aus dem Antrag selbst ergibt sich, dass auch zuletzt die jeweiligen Straftaten verhältnismäßig zeitnah beendet werden konnten (Aktionen in Fürth am … Uhr sowie von … Uhr sowie von … , in … von … bzw. …).
2. Geeignetheit
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Letztlich kommt es hierauf jedoch nicht an, da die Anordnung des Gewahrsams jedenfalls nicht zur dauerhaften Unterbindung der Gefahr geeignet ist. Die Protestaktionen, an denen d. Betroffene sich voraussichtlich beteiligen wird, werden von einer größeren Anzahl an miteinander offensichtlich vernetzten Personen aus ihrer politischen Überzeugung heraus, begangen. Die Anordnung des Gewahrsams d. Betroffenen bis zum heutigen Abend würde zwar faktisch verhindern, dass er in diesem Zeitraum an den Protestaktionen teilnimmt, jedoch geht das Gericht davon aus, dass auch ohne die Beteiligung d. Betroffenen die geplanten Protestaktionen durch Gleichgesinnte erfolgen würden, wobei die Ingewahrsamnahme d. Betroffenen u.U. sogar das Potenzial birgt, dass hiervon eine Signalwirkung ausgehen kann, die Gleichgesinnte gerade zu der verstärkten Beteiligung an den Straftaten motivieren würde. Die Gewahrsamnahme d. Betroffenen würde in diesem Falle die Begehung der Straftaten daher nicht verhindern, und unter Umständen sogar zur Begehung weiterer Straftaten durch andere Personen führen. Das Gericht berücksichtigt bei dieser Einschätzung insbesondere, dass nach eigenen Angaben der hinter den Protestaktionen stehenden … über einhundert Personen zur Teilnahme an den aktuellen Protesten bereit sein sollen …. Auch schreibt die … in ihrer Pressemitteilung vom 18.08.2023 …: „Wie auch in den vergangenen Tagen werden die mutigen Menschen in Bayern, nachdem sie aus einer polizeilichen Maßnahme entlassen wurden, immer wieder Proteste durchführen.“ Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass offenkundig – und auch aus den vorgelegten und bisherigen vergleichbaren Vorfällen bekannt – ist, dass eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Personen, im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Bereich, ausreicht, um eine Straßenblockade durchzuführen (vgl. den Antrag selbst, wonach an der Aktion im Bereich des Spittlertorgrabens 9, bei drei parallelen Aktionen in Fürth zweimal acht und einmal sechs Personen als Blockierer beteiligt waren).
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Auch bei d. Betroffenen selbst würde die Gefahr, die von ihm ausgeht, nicht dauerhaft gebannt, sondern lediglich für die Dauer des Gewahrsams faktisch unterbunden, und damit letztlich auf einen Zeitpunkt nach der Entlassung aus dem Gewahrsam verschoben. Eine dauerhafte Unterbindung der Gefahr ist aufgrund der zugrundeliegenden politischen Überzeugung d. Betroffenen nicht zu erwarten. Vielmehr hat er in seinen Beschuldigtenvernehmungen vom gestrigen Tage bereits angekündigt, „diesen Monat weiterhin (…) vor allem in Bayern und hier in N.“ bzw. „solange, bis die Bundesregierung das tut, was das Verfassungsgericht beschlossen hat“, in dieser Form zu protestieren. Damit ist aber letztlich auch die Dauer des Gewahrsams, der von der Antragstellerin beantragt wurde, willkürlich gewählt; da letztlich mit einem Fortsetzen der Straftaten spätestens am nächsten Tag zu rechnen wäre.
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Soweit die Gewahrsamsdauer damit begründet wird, im Zeitraum von 14:30 bis 22:00 Uhr sei nach polizeilicher Erfahrung mit stärkerem Verkehrsaufkommen zu rechnen und insbesondere für diesen Zeitraum auch mit weiteren Blockadeaktionen, so ist die Dauer auch insoweit willkürlich gewählt. Das Verkehrsaufkommen gerade in einer Großstadt wie N. ist stets schwankend; lässt – nach dem Berufsverkehr – erfahrungsgemäß bereits vor 22:00 Uhr stark nach und ist von zahlreichen Zufällen (Wetter, Unfälle; die Staus nach sich ziehen, etc.) abhängig, so dass der Zeitpunkt 22:00 Uhr vollkommen willkürlich erscheint. Auch ist aus vergangenen Verfahren wie auch aus dem Antrag ersichtlich, dass die Aktionen überwiegend tagsüber, aber keineswegs auf den Zeitraum 14:30 Uhr bis 22:00 Uhr beschränkt sind (bspw. … in … am … am … am …) Zwar wäre ein angeordneter Gewahrsam grundsätzlich mit der Maßgabe zu versehen, dass dieser sofort zu beenden ist, wenn der Gewahrsamsgrund weggefallen ist. Anders als etwa bei einem Ausnüchterungsgewahrsam, bei dem durch Ansprache des Betroffenen beurteilt werden kann, ob dieser (sei es zum eigenen Schutz, sei es zur Vermeidung von Straftaten) weiter in Gewahrsam gehalten werden muss, kann nicht erwartet werden, dass es möglich ist, eine Einschätzung zu treffen, dass im Zeitpunkt X (vor 22:00 Uhr) das Verkehrsaufkommen in N., welches wie ausgeführt stets schwankend sein kann, bereits soweit reduziert ist, dass der Betroffene vor dem Hintergrund dieser Begründung entlassen werden könnte.
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Sofern dem Antrag die Erwartung zugrundeliegen sollte, d. Betroffene werde nach der Ingewahrsamnahme auch in Zukunft von der Teilnahme an Protestaktionen Abstand nehmen, sieht das Gericht bereits keinerlei Erfahrungssatz, der dies annehmen lassen würde. Das Gericht hält es für mindestens ebenso wahrscheinlich, dass d. Betroffene sich durch die Ingewahrsamnahme erst recht angespornt fühlen würde, in Zukunft Straftaten der Nötigung im Straßenverkehr durch Ankleben auf der Fahrbahn zu begehen. Hierzu wird erneut auf die eigenen Äußerungen des Betroffenen wie auch die bereits zitierte Pressemitteilung der … verwiesen.
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Im Übrigen würde die Anordnung des Gewahrsams aus diesen Gründen den präventiven Charakter verlieren, und stattdessen primär Züge eines Disziplinierungsmittels haben, also repressiv wirken. Die Anordnung des Gewahrsams aus repressiven Gründen ist dem. Polizeirecht jedoch fremd.
IV. Absehen von persönlicher Anhörung
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Das Gericht hat von einer persönlichen Anhörung d. Betroffenen abgesehen. Durch die vorliegende Entscheidung ist d. Betroffene nicht beschwert. Eine weitere Sachaufklärung, die dazu führen würde, dass die zu der Einschätzung führen würde, dass die Anordnung des Gewahrsams doch verhältnismäßig wäre, ist durch eine persönliche Anhörung nicht zu erwarten. Durch die Durchführung einer persönlichen Anhörung vor der Entscheidung würde damit lediglich die Dauer der Freiheitsentziehung des Betroffenen verlängert, so dass auf diese zu verzichten war.
V. Kosten
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Die Auferlegung der Auslagen des Betroffenen (sofern überhaupt angefallen) ergibt sich aus § 430 FamFG.