Inhalt

FG München, Beschluss v. 13.11.2023 – 12 V 2078/23
Titel:

Einstellung der Vollstreckung

Normenketten:
FGO § 114
ZPO § 920 Abs. 2
AO § 258
Leitsatz:
Begehrt ein Antragsteller, die Vollstreckung einstweilen einzustellen, zu beschränken oder eine bestimmte Vollstreckungsmaßnahme aufzuheben, so ist grundsätzlich die einstweilige Anordnung der richtige Rechtsbehelf.  (Rn. 10)
Schlagworte:
Vollstreckung, Abwendung wesentlicher Nachteile, Zahlung, Anordnungsanspruch, Unbilligkeit, Einkommensteuer, Rechtsbehelf, Anordnung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 43652

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Mit Bescheid vom 7. August 2020 setzte der Antragsgegner (das Finanzamt) Vorauszahlungen zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag für das Jahr 2020, 2021 und für weitere Jahre gegenüber der Antragstellerin und ihrem Ehemann fest. Die vierteljährliche Vorauszahlung wurde für die Einkommensteuer in Höhe von 9.763 € und für den Solidaritätszuschlag in Höhe von 446 € festgesetzt. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2022 änderte das Finanzamt die Festsetzung der Vorauszahlungen und setzte ab dem 4. Vierteljahr 2022 die vierteljährlichen Vorauszahlungen für die Einkommensteuer in Höhe von 9.065 € und für den Solidaritätszuschlag in Höhe von 486 € fest.
2
Die Antragstellerin und ihr Ehemann entrichteten die Vorauszahlungen zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag für das 3. Vierteljahr 2023 zum Fälligkeitstag 10. September 2023 nicht. Das Finanzamt richtete danach an die Antragstellerin und ihren Ehemann die Mahnung vom 2. Oktober 2023 und forderte sie zur umgehenden Zahlung des rückständigen Betrages in Höhe von 9.551 € sowie der entstandenen Säumniszuschläge von 95 € auf. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2023 wendete sich die Antragstellerin gegen die Mahnung. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2023 übersandte das Finanzamt der Antragstellerin eine Rückstandsaufstellung vom selben Tag und wies darauf hin, dass die geltenden Steuergesetze verfassungsgemäß zustande gekommen seien und von der Finanzverwaltung zu vollziehen seien. Da auch in der Folge vom Finanzamt kein Zahlungseingang auf die Vorauszahlungen für das 3. Vierteljahr 2023 festgestellt wurde, richtete das Finanzamt an die Antragstellerin und ihren Ehemann mit Schreiben vom 23. Oktober 2023 eine Ankündigung der Vollstreckung über den Betrag in Höhe von 9.551 € sowie der inzwischen entstandenen Säumniszuschläge von 190 €.
3
Mit Schreiben vom 26. Oktober 2023 wendete sich die Antragstellerin an das Finanzgericht München. Die Antragstellerin ersucht das Gericht dieses Schriftstück zu den Akten des Verfahrens zu nehmen. Außerdem teilt sie dem Gericht und der Präsidentin des Finanzgerichts mit, dass mit Respekt und Achtung vor dem Gericht dieses angerufen werde und dass auf eine gerichtliche Entscheidung zum Verfahren nicht verzichtet werden könne. Die Antragstellerin trägt vor, dass das Gericht aufgefordert werde, über einen rechtsmittelfähigen Beschluss das Verfahren dahingehend zu beurteilen, ob es sich bei der vom Finanzamt gestellten Forderung um eine Forderung an die Allgemeinheit, hier an einen naturgegebenen Angehörigen der Allgemeinheit handele, oder ob es sich hierbei um ein rein staatsinternes Verfahren handele.
4
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Vollstreckung wegen der rückständigen Vorauszahlungen zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag für das 3. Vierteljahr 2023 einzustellen sowie einstweilen von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen.
5
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
6
Das Finanzamt ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung gemäß § 114 Finanzgerichtsordnung (FGO) mit dem Ziel, die vorläufige Einstellung der Vollstreckung zu erreichen, nicht erfüllt seien.
7
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegten Akten und die ausgetauschten Schriftsätze verwiesen.
II.
8
Der Antrag war abzulehnen.
9
1. Der beschließende Senat legt das Schreiben der Antragstellerin vom 26. Oktober 2023 nach dem Maßstab der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) wie im Tatbestand formuliert aus. Die Antragstellerin wendet sich nämlich gegen die Mahnung und die Vollstreckungsankündigung betreffend die rückständigen Vorauszahlungen zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag für das 3. Vierteljahr 2023. Die so verstandene Prozesserklärung der Antragstellerin entspricht dem, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und – im Hinblick auf die Kostenfolge – zudem in ihrem wohlverstandenen Interesse liegt (BFH-Urteil vom 13. Juli 2016 XI R 8/15, BFHE 254, 414, BStBl II 2016, 952, m.w.N.)
10
2. Begehrt ein Antragsteller, die Vollstreckung einstweilen einzustellen, zu beschränken oder eine bestimmte Vollstreckungsmaßnahme aufzuheben, so ist grundsätzlich die einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) der richtige Rechtsbehelf (BFH-Beschlüsse vom 26. Juni 1990 VII B 161/89, BFH/NV 1991, 393; vom 15. Januar 2003 V S 17/02, BFH/NV 2003, 738, jeweils m.w.N.). Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Fehlt es an einer der beiden Voraussetzungen, kann die einstweilige Anordnung nicht ergehen (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung <ZPO>; BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2006 VII B 121/06, BFHE 216, 38, BStBl II 2009, 839).
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3. Hiervon ausgehend ist vorliegend bei summarischer Prüfung weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund gegeben.
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a) Die Antragstellerin hat den Anspruch, aus dem sie ihr Begehren herleitet, weder schlüssig dargelegt noch dessen tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft gemacht. Gründe für einen Vollstreckungsaufschub nach § 258 Abgabenordnung (AO) sind nicht dargetan.
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Insbesondere sind sonstige Gründe für einen Vollstreckungsaufschub im Sinne des § 258 AO nicht ersichtlich. Unbilligkeit im Sinne des § 258 AO ist nur anzunehmen, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Abwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte (BFH-Beschlüsse vom 8. Dezember 1992 VII B 150/92, BFH/NV 1993, 709; vom 20. August 1991 VII S 40/91, BFH/NV 1992, 317; vom 18. November 2010 XI B 56/10, BFH/NV 2011, 199, jeweils m.w.N.). Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Antragstellerin sei in absehbarer Zeit bereit, die Abgaben zu begleichen.
14
b) Im Streitfall ist auch ein Anordnungsgrund weder schlüssig vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
15
Ein Anordnungsgrund besteht, wenn eine einstweilige Regelung in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Das ist der Fall, wenn ohne vorläufige Regelung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Antragstellers bedroht wäre (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1993, 709; in BFH/NV 1992, 317; vom 23. September 1998 I B 82/98, BFHE 186, 433, BStBl II 2000, 320, jeweils m.w.N.). Geringere Beeinträchtigungen des Antragstellers reichen grundsätzlich nicht aus. Bloße Nachteile, wie sie im Regelfall mit der Zahlung von Steuern verbunden sind, machen damit den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht unabweisbar (BFH-Beschluss vom 10. August 1993 VII B 262/92, BFH/NV 1994, 719). Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen hat die Antragstellerin vorliegend weder schlüssig vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass sie bei voller Beitreibung der Forderungen ihr komplettes Vermögen verliert und ihr darüber hinaus, die Insolvenz droht.
16
c) Für die weitere Überlegung der Antragstellerin, dass das Gericht darüber zu befinden habe, ob die vom Finanzamt geltend gemachten Abgaben Forderungen an die Allgemeinheit seien oder ob es sich um rein staatsinternes Verfahren handele, existieren keine Anknüpfungspunkte im geltenden Prozessrecht. Insbesondere vermag der beschließende Senat dafür kein Feststellungsinteresse im Sinne des § 41 FGO zu erkennen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.