Inhalt

AG Nürnberg, Endurteil v. 26.07.2023 – 14 C 2770/23
Titel:

Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters des Mieters für Betriebskostenansprüche

Normenketten:
InsO § 80, § 109 Abs. 1 S. 1, S. 2
BGB § 556
Leitsätze:
1. Für eine Klage gegen den Vermieter auf Auszahlung eines nach der Enthaftungserklärung entstandenen Nebenkostenguthabens fehlt dem Insolvenzverwalter die Prozessführungsbefugnis. Die Prozessführungsbefugnis fehlt jedoch gerade nicht für ein vor der Enthaftungserklärung entstandenes Nebenkostenguthaben. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Erklärung des Verwalters nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO führt nicht dazu, einer Nachforderung für vor der Insolvenzeröffnung abgeschlossene Abrechnungszeiträume ihren Charakter als (einfache) Insolvenzforderung zu nehmen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzforderung, Betriebskostenabrechnung, Enthaftungserklärung, Prozessführungsbefugnis
Fundstellen:
ZInsO 2024, 1791
LSK 2023, 43638
NZI 2024, 671
BeckRS 2023, 43638

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 64,10 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.02.2023 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 64,10 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis 31.12.2020, wobei die Klägerin Insolvenzverwalterin der Mieterin und die Beklagte Vermieterin ist.
2
Mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 02.02.2021 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin, Frau S. eröffnet. Die Klägerin wurde zur Insolvenzverwalterin bestellt. Die Insolvenzschuldnerin mietet von der Beklagten eine Wohnung.
3
Mit Schreiben vom 25. März 2021 informierte die Klägerin die Beklagte über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und erklärte sogleich, dass gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO die monatlich anfallenden Mietzahlungen nicht aus der Insolvenzmasse geleistet werden.
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Die Beklagte erstellte am 01. Juli 2021 die Betriebskostenabrechnung für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis 31.12.2020. Hieraus ergab sich ein Guthaben i.H.v. 64,10 €.
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Mit Schreiben vom 26.01.2023 forderte die Klägerin die Beklagte zuletzt unter Fristsetzung bis zum 09.02.2023 erfolglos auf, das Guthaben auszuzahlen.
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Mietansprüche für die Monate Januar 2022 bis März 2022 i.H.v. 1.430,49 € wurden zugunsten der Beklagten bereits tituliert. In diesem Verfahren ist auch am 05.04.2023 ein Kostenfestsetzungsbeschluss zu Lasten der Insolvenzschuldnerin über einen Betrag i.H.v. 529,83 € ergangen. Mit diesen Ansprüchen hat die Beklagte die Aufrechnung erklärt und mit Schriftsatz vom 02.05.2023 wiederholt.
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Die Klägerin meint, soweit die Beklagte das Guthaben nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Mieterin an diese ausgezahlt hat, leistete sie nicht mit schuldbefreiender Wirkung. Sie sei daher weiterhin zur Zahlung an die Klägerin verpflichtet. Die sogenannte Enthaftungserklärung nach § 109 InsO führe unter anderem dazu, dass Ansprüche der Mieterin, die erst nach Ablauf der regulären Kündigungsfrist – vorliegend drei Monate –, entstehen, nicht mehr von der Insolvenzmasse geltend gemacht werden können. Ansprüche, die bis zu diesem Zeitpunkt entstanden sind, seien jedoch weiter ohne Einschränkung vom Insolvenzbeschlag umfasst. Aufgrund der gesetzlichen Kündigungsfrist entfalte die Erklärung vorliegend erst mit Ablauf des 30.06.2021 Wirkung. Der Anspruch auf Auszahlung sei mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf die Klägerin übergegangen. Der streitgegenständliche Rückzahlungsanspruch sei bereits mit Ablauf des 31.12.2020 entstanden und gehöre somit zur Masse. Der Entstehungstatbestand war bereits so weit fortgeschritten, dass die Vollendung nicht mehr von einem Zutun der Insolvenzschuldnerin abhängig war. Dass der Anspruch erst nach der zeitlichen Zäsur der Enthaftungserklärung durch Abrechnung fällig geworden ist, ändert diese Vermögenszuordnung nicht.
8
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 64,10 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2023 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte meint, sowohl Nachzahlungsansprüche als auch Guthabenansprüche aus der Betriebskostenabrechnung werden mit Erteilung der Abrechnung fällig. Ansprüche auf Auskehr von Nebenkostenguthaben stehen, auch wenn die Vorauszahlungen aus dem unpfändbaren Vermögen des Schuldners stammen, der Masse zu. Sie seien allerdings, wenn sie erst nach der Erklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO und Ablauf der Frist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO fällig werden, nicht mehr massezugehörig. Dies gelte auch, wenn die Auszahlungen aus dem Zeitraum vor Ablauf der Frist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO stammen.
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Hinsichtlich des weiteren Parteivortrags wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.
I.
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Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin prozessführungsbefugt.
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Für eine Klage gegen den Vermieter auf Auszahlung eines nach der Enthaftungserklärung entstandenen Nebenkostenguthabens fehlt dem Insolvenzverwalter die Prozessführungsbefugnis (BGH, Beschluss vom 16.3.2017 – IX ZB 45/15, Rn. 9). Die Prozessführungsbefugnis fehlt jedoch gerade nicht für ein vor der Enthaftungserklärung entstandenes Nebenkostenguthaben.
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Rechtsgrundlage für Nachzahlungs- und Erstattungsansprüche ist die entsprechende mietvertragliche Vereinbarung. Die Nachzahlungs- und Erstattungsansprüche entstehen als bedingte Ansprüche bereits mit Abschluss des Mietvertrags. Die Bedingungen unterscheiden sich:
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Für den Nachzahlungsanspruch ist maßgeblich, dass für den jeweiligen Abrechnungszeitraum die Betriebskosten die Vorauszahlungen übersteigen, für den Erstattungsanspruch, dass sie sie unterschreiten. (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 15. Aufl. 2021, BGB § 556 Rn. 311) Lediglich fällig wird der Anspruch erst mit Zugang des ordnungsgemäßen Abrechnungsschreibens (BeckOK BGB/Wiederhold, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 556 Rn. 138 m.w.N.). Die Enthaftungserklärung der Klägerin vom 25.03.2021 entfaltet ihre Wirkung mit Ablauf des 30.06.2021. Unstreitig wurde mit Schreiben vom 01.07.2021 abgerechnet. Entstanden ist der Anspruch auf Auszahlung damit jedoch bereits vor der Enthaftungserklärung, mit der Folge, dass die Klägerin prozessführungsbefugt ist.
II.
17
Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin einen Anspruch auf Auszahlung des Guthabens aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2020 i.H.v. 64,10 € aus dem Mietverhältnis zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten in Form der Vorauszahlungsabrede.
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1. Gemäß § 80 Abs. 1 InsO ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 02.02.2021 das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergegangen.
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2. Unstreitig bestand aus dem Mietverhältnis zwischen der Beklagten und der Insolvenzschuldnerin ein Anspruch auf Auszahlung des Guthabens aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2020 i.H.v. 64,10 €, wobei die Betriebskostenabrechnung am 01.07.2021 von der Beklagten erstellt wurde.
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Dieser Anspruch auf Erstattung des Nebenkostenguthabens aus der Abrechnung gebührt grundsätzlich der Insolvenzmasse (vgl. BeckOK Mietrecht Schach/Schultz/Schüller/Heublein, 32. Edition, Stand: 01.08.2020: „Insolvenz einschließlich Verfahren“, Rn. 93).
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3. Dem Anspruch steht auch nicht die Wirkung der Enthaftungserklärung nach § 109 InsO entgegen.
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Ein Miet- oder Pachtverhältnis über einen unbeweglichen Gegenstand oder über Räume, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, kann der Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung kündigen; die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist. Ist Gegenstand des Mietverhältnisses die Wohnung des Schuldners, so tritt an die Stelle der Kündigung das Recht des Insolvenzverwalters zu erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf der in Satz 1 genannten Frist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können, § 109 Abs. 1 S. 1, S. 2 InsO.
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a) Mit Schreiben vom 25.03.2021 informierte die Klägerin die Beklagte über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und erklärte die Enthaftung i.S.d. § 109 Abs. 1 S. 2 InsO, sodass die Wirkung der Enthaftung mit Ablauf des 30.06.2021 eingetreten ist, §§ 109 Abs. 1 S. 2, S. 1 InsO.
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Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders hinsichtlich der Wohnung des Schuldners erlangt der Mieter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Mitvertragsverhältnis zurück. (BGH, Urteil vom 22.5.2014 − IX ZR 136/13). Das Vertragsverhältnis wird insgesamt aus der Masse entlassen (NZI 2014, 614 (617)).
25
Die hinsichtlich eines Wohnraummietverhältnisses abgegebene „Freigabeerklärung“ des Insolvenzverwalters dient dazu, die Enthaftung der Masse für Ansprüche aus dem Mietverhältnis herbeizuführen, der sie durch den in § 108 Abs. 1 InsO angeordneten Fortbestand des Mietverhältnisses ausgesetzt ist. Der Mieter wird insoweit geschützt, als der Verwalter nicht zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt ist, sondern lediglich – mit der für die Kündigung geltenden Frist – durch die „Freigabeerklärung“ erreichen kann, dass die Masse ab dem Wirksamwerden der Erklärung nicht mehr für die danach fällig werdenden Ansprüche des Mieters haftet. Die Erklärung des Verwalters nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO kann aber nicht dazu führen, einer Nachforderung für vor der Insolvenzeröffnung abgeschlossene Abrechnungszeiträume ihren Charakter als (einfache) Insolvenzforderung zu nehmen. Dies widerspräche dem System der Insolvenzordnung, die eine vorgegebene Einteilung der Gläubiger und ihrer Forderungen kennt und einer nachträglichen Verschiebung entgegensteht. (BGH, Urt. v. 13. 4. 2011 − VIII ZR 295/10, Rn. 15 m.w.N.) Es würde vom Zufall bzw. vom Erstellungszeitpunkt der Abrechnung durch den Vermieter abhängen, ob ein Rückstand oder ein Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung vom Insolvenzschuldner oder als Insolvenz- oder Masseforderung geltend gemacht wird bzw. an den Insolvenzschuldner oder zugunsten der Masse auszuzahlen ist. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die Gesamtmieten für den vorliegend abgerechneten Zeitraum und damit auch die Nebenkostenvorauszahlungen über die abgerechnet wird, Insolvenzforderungen sind. Der Vermieter könnte sich durch die Wahl des Zeitpunktes der Abrechnung seinen Gläubiger bzw. Schuldner hinsichtlich des Rückzahlungs- bzw. Nachzahlungsanspruches „wählen“.
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4. Auch ist der Anspruch nicht durch Aufrechnung erloschen.
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Der Vermieter kann mit fälligen Mietforderungen aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung (Insolvenzforderungen) gemäß § 95 Abs. 1 S. 1 InsO gegen den Anspruch der Masse auf Auszahlung des Guthabens aufrechnen (BGH 11.11.2004 – IX ZR 237/03). Die geltend gemachten Mieten für die Monate Januar, Februar und März 2022 sind jedoch keine solchen Ansprüche, nachdem das Insolvenzverfahren am 02.02.2021 um 10:00 Uhr eröffnet wurde. Auch die geltend gemachten Verfahrenskosten sind keine Ansprüche aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung.
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a) Eine Aufrechnung gegenüber der Insolvenzschuldnerin wurde nicht vorgetragen, würde jedoch ohnehin nicht zum Erlöschen des Anspruchs führen, da die Insolvenzschuldnerin insoweit nicht Forderungsinhaberin des Auszahlungsanspruches ist und es damit an der Gegenseitigkeit fehlt.
29
b) Einer Aufrechnung gegenüber der Klägerin mit Mieten aus dem Jahr 2022 steht die Enthaftungserklärung i.S.d. § 109 Abs. 1 InsO entgegen. Die Ansprüche auf Mietzahlungen und der Anspruch aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss im Zusammenhang mit dem Mietvertrag sind nach Ablauf des 30.06.2021 entstanden und fällig geworden, sodass sie nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht und damit auch nicht dem Anspruch der Klägerin auf Auszahlung des Guthabens aus der Betriebskostenabrechnung entgegengehalten werden können.
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5. Die Zinsentscheidung ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, 247 Abs. 1 S. 1 BGB, § 187 Abs. 1 BGB analog, nachdem die Klägerin die Beklagte zuletzt mit Schreiben vom 26.01.2023 unter Fristsetzung bis 09.02.2023 erfolglos zur Zahlung aufgefordert hatte.
III.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.