Inhalt

FG München, Urteil v. 06.12.2023 – 9 K 1034/22
Titel:

Gutschrift auf Edelmetallkonto als Einlösung

Normenkette:
EStG § 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 4a S. 3, § 32d Abs. 1
Leitsatz:
§ 20 Abs. 2 Satz 2 EStG erfasst sowohl die vertragsmäßige Einlösung zum Zeitpunkt der Endfälligkeit bzw. zum Zeitpunkt vereinbarter Einlösungstermine als auch jede andere vorzeitige oder verspätete Einlösung (BFH-Urteil in BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507, Rz 26 und 27, m.w.N.). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Kapitaleinkünfte
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – VIII R 5/24
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
EFG 2024, 1575
LSK 2023, 43565
BeckRS 2023, 43565
DStRE 2024, 1095

Tenor

1. Der Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 10. März 2022 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2022 wird dahin geändert, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden, um 1.871.115,69 € gemindert werden. Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird dem Beklagten übertragen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 93%, der Beklagte zu 7%.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger erwarb am 11. November 2015 jeweils 28 Stück Bull-Zertifikate und Bear-Zertifikate des Emittenten zu Anschaffungskosten in Höhe von jeweils insgesamt 28.030.000 €; der Nominalwert der Zertifikate betrug jeweils 1.000.000 €. Die Anschaffungskosten finanzierte er mit einem Darlehen in Höhe von 60.480.000 €, das er am selben Tag beim Emittenten aufgenommen hatte. Die Zertifikate wurden am 16. und 19. November 2015 in sein Depot bei der Bank gebucht.
2
Basiswert der nicht verzinslichen Bear-Zertifikate war der „Gold Spot“ (Bloomberg Ticker: „XAUEUR Curncy“), d.h. der Kurswert einer Feinunze Gold in Euro. Die Höhe der Rückzahlung hing davon ab, wie sich der Basiswert während des Beobachtungszeitraums vom 23. November 2015 bis 27. November 2015 im Verhältnis zu den Kursschwellen von 101% (Barrier 1) und 99% (Barrier 2) des Preises des Basiswerts am 23. November 2015 entwickelte. Danach erhielt der Inhaber des Bear-Zertifikats bei Fälligkeit entweder:
1) wenn der Basiswert zu jeder Zeit während des Beobachtungszeitraums nie bei oder oberhalb Barrier 1 und bei oder unterhalb Barrier 2 gehandelt wurde, 1.002.500 €; oder
2) wenn mindestens Barrier 1 oder Barrier 2 erreicht wurde, Barrier 1 jedoch zuerst,
a. 30.500 €, falls am 11. Dezember 2015 der Basiswert gleich oder größer war als der Basiswert am 23. November 2015; oder
b. 29.500 €, falls am 11. Dezember 2015 der Basiswert geringer war als der Basiswert am 23. November 2015; oder
3) wenn mindestens Barrier 1 oder Barrier 2 erreicht wurde, Barrier 2 jedoch zuerst, konnte der Inhaber nach alleinigem Ermessen zwischen dem Erhalt von 1.900.000 € oder eines Warrants, bei Fälligkeit (physische Bereitstellung, wurde automatisch vom Emittenten im Verhältnis 1:1 eingetauscht) wählen.
3
Im Fall von Szenario 1) und 3) war Fälligkeitstag der 2. Dezember 2015; im Fall von Szenario 2) wurde die Fälligkeit auf den 14. Dezember 2015 hinausgeschoben. Der Warrant konnte anstelle der Barauszahlung unter Verwendung eines Formulars oder schriftlich auf andere Weise ausgewählt werden. Erhielt der Emittent diese Benachrichtigung nicht zwei Werktage vor der Fälligkeit zugunsten des Optionsscheins, so wurde in bar abgewickelt.
4
Für die Bull-Zertifikate galten die gleichen Bedingungen, jedoch mit dem Unterschied, dass das erstmalige Erreichen von Barrier 2 zum Szenario 2 und das erstmalige Erreichen von Barrier 1 zum Szenario 3 führte.
5
Der Inhaber des Warrants war berechtigt, für jeden Warrant entweder eine physische Abwicklung oder die Zahlung des Barabwicklungsbetrags vom Emittenten zu verlangen. Das Ausübungsrecht wurde automatisch am Ablaufdatum, dem 8. Dezember 2015, ausgeübt. Die Barabwicklung war anwendbar, es sei denn, alle Bedingungen für die physische Abwicklung waren an oder vor der Ablaufzeit, 12:00 Uhr GMT, am Ablaufdatum erfüllt; in diesem Fall war die physische Abwicklung anwendbar. Die Bedingungen für die physische Abwicklung waren die Zustellung einer Mitteilung der Depotbank des Inhabers an den Emittenten über die Wahl der physischen Abwicklung und die Zahlung des Ausübungspreises von 250.000 € an den Emittenten. Bei Barabwicklung wurde dem Inhaber ein Betrag gezahlt, der sich aus dem Barwert des physischen Abwicklungsbetrags abzüglich des Ausübungspreises und abzüglich der Berechnungsgebühr für die Barabwicklung ergab. Der physische Abwicklungsbetrag war der am 10. Dezember 2015 (Fälligkeitsdatum) ermittelte Goldbetrag, der sich aus dem Produkt von dem Verhältnis von 2.221.375 € zum Basiswert „Gold Spot“ (Bloomberg Ticker: „XAUEUR Curncy“) am 2. Dezember 2015 (Verhältnisgröße) und einer Unze Feingold errechnete. Die Berechnungsgebühr für die Barabwicklung und der Ausübungspreis betrugen jeweils 250.000 €. Bei der physischen Abwicklung wurde der physische Abwicklungsbetrag einem Metallkonto, das im Namen des Inhabers beim Emittenten eröffnet worden war oder wurde, gutgeschrieben. Der Warrant war in Inhaberform ausgegeben und durch eine dauerhafte Globalurkunde gemäß Art. 973b des Schweizerischen Obligationenrechts ohne Zinsscheine verbrieft worden. Die dauerhafte Globalurkunde wurde während der gesamten Laufzeit des Warrants und bis zu ihrer vollständigen Rückzahlung bei der Ltd. in Übereinstimmung mit dem Bundesgesetz über Bucheffekten vom 3. Oktober 2008 (FISA) hinterlegt und von dieser abgewickelt. Nach Hinterlegung bei der AG und Verbuchung auf den Konten eines oder mehrerer Teilnehmer der AG stellten die durch die dauerhafte Globalurkunde verbrieften Warrants Bucheffekten i.S. des FISA dar, die aus Sicht des schweizerischen Rechts grundsätzlich nach den Bestimmungen des FISA übertragen wurden, d.h. durch Eintragung der Übertragung in ein Depot des Übertragungsempfängers.
6
Mit Schreiben vom 30. November 2015 an die Bank übte der Kläger sein Wahlrecht nach Szenario 3 für alle Bear-Zertifikate zugunsten des Erhalts der Warrants aus. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2015 erklärte er gegenüber der Bank die Ausübung der Warrants zugunsten der Lieferung des Basiswertes. Am 2. Dezember 2015 wurden 28 Warrants in sein Depot bei der Bank gebucht. Am selben Tag erhielt er für die Bull-Zertifikate 826.000 €. Für die Ausübung der Warrants zahlte er am 7. Dezember 2015 einen Ausübungspreis in Höhe von insgesamt 7.000.000 € an den Emittenten. Am 10. Dezember 2015 wurden seinem Metallkonto beim Emittenten 61.793,75 Feinunzen Währungsgold gutgeschrieben. Der Kurs je Feinunze Gold betrug am 10. Dezember 2015 976,27 € (Tagestiefststand).
7
Mit Vereinbarungen vom 2./3. Dezember 2015 räumte der Kläger dem Emittenten eine Kaufoption gegen eine Prämie von 502.564 € auf die Lieferung des vorgenannten Goldbestands ein, welche der Emittent mit Schreiben vom 2. Dezember 2015 ausübte. Am 14. Dezember 2016 erhielt der Kläger für seinen Goldbestand eine Gutschrift in Höhe von 62.820.762,13 € auf seinem Konto beim Emittenten; die Optionsprämie wurde am selben Tag auf diesem Konto gutgeschrieben.
8
Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) veranlagte den Kläger zunächst mit Bescheid vom 27. Februar 2017 erklärungsgemäß zur Einkommensteuer für das Streitjahr 2015; am 15. Januar 2018 erging ein nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderter Einkommensteuerbescheid für 2015.
9
Nach einer Außenprüfung beim Kläger für die Jahre 2015 und 2016 gelangte das FA zu der Auffassung, dass nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) im Streitjahr 2015 ein Gewinn aus der Veräußerung (Einlösung) der Bear-Zertifikate zu erfassen sei; den Gewinn ermittelte das FA mit 27.168.500 € (= 62.198.500 € Rückzahlungsbetrag ./. 7.000.000 € Ausübungspreis ./. 28.030.000 € Anschaffungskosten). Dementsprechend änderte das FA mit Bescheid vom 16. August 2021 den Einkommensteuerbescheid für 2015 nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.
10
Den hiergegen gerichteten Einspruch des Klägers wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2022 als unbegründet zurück. § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG sei auf die Wandlung des Bear-Zertifikats in den Warrant nicht anwendbar. Wertpapiere i.S. des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG seien nur solche Wertpapiere, deren Veräußerung zu Einkünften aus Kapitalvermögen führe, und nicht solche, deren Veräußerung allenfalls als privates Veräußerungsgeschäft steuerbar sei (vgl. Urteil des Finanzgerichts München vom 29. September 2020 5 K 2870/19, EFG 2021, 111, zu Xetra-Gold Inhaberschuldverschreibungen). Dies gelte auch für den Warrant, der zwar als Termingeschäft i.S. des § 20 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a EStG zunächst weiter zu den Einkünften aus Kapitalvermögen zähle, jedoch über die Lieferung des Basiswerts Gold zu einem Wechsel in die Einkunftsart des § 23 EStG führe. § 20 Abs. 4 Abs. 3 EStG erfasse nur solche Wertpapiere, bei denen steuerliche Reserven aus dem Bereich der Kapitaleinkünfte dauerhaft steuerverstrickt blieben. Denn nur dann werde der Zweck der Vorschrift erfüllt, dass es bei liquiditätslosen Tauschvorgängen nur zu einer Verschiebung, nicht jedoch zu einem Entfallen der Besteuerung komme. Es sei hier offensichtlich, dass vorhandene steuerliche Reserven im Warrant bei einer steuerneutralen Lieferung des Basiswerts nicht dauerhaft verstrickt blieben, sondern – sofern man diesen als Wirtschaftsgut i.S. des § 23 EStG qualifiziere – nach Ablauf einer einjährigen Haltedauer verloren gingen. Unabhängig davon sei die Investition in die gegenläufigen Bull- und Bear-Zertifikate auch insgesamt nicht anzuerkennen, weil es dem Kläger insoweit an der erforderlichen Einkünfteerzielungsabsicht gefehlt habe und ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten vorliege.
11
Während des Einspruchsverfahrens wurde der Einkommensteuerbescheid für 2015 mit Bescheid vom 10. März 2022 nach § 32a Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes geändert; die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs blieben hiervon unberührt.
12
Mit seiner Klage bringt der Kläger im Wesentlichen vor, die Wandlung der Bear-Zertifikate in die Warrants führe aufgrund der Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG zu keinem steuerpflichtigen Gewinn. Die Warrants seien Wertpapiere sowohl i.S. des allgemeinen Zivilrechts als auch im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes und solche i.S. des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG. Sie seien sonstige Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Ihrer Einordnung als Termingeschäfte i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG stehe entgegen, dass es sich um ein Kassageschäft handele, bei dem das schuldrechtliche und das dingliche Geschäft – anders als bei einem Termingeschäft – nicht auseinanderfielen, ausweislich ihrer Emissionsbedingungen die Zweckbestimmung nicht darin bestehe, einen Differenzausgleich zu erlangen, und auch nach Auffassung der Finanzverwaltung Optionsscheine keine Termingeschäfte darstellten. Auch seien die Warrants nicht mit Xetra-Gold vergleichbar. Ihre Emissionsbedingungen sähen grundsätzlich eine Barabwicklung vor und gewährten dem Inhaber lediglich die Option, den zugrundeliegenden Basiswert geliefert zu bekommen, ohne dass der Emittent eine entsprechende Besicherung vorzuhalten habe.
13
Für eine teleologische Reduktion des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG sei vorliegend kein Raum. Die Fortführung der Anschaffungskosten der Bear-Zertifikate bei Wandlung in die Warrants nach § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG entspreche der vom Gesetzgeber verfolgten Zielsetzung, eine praktikable Lösung für liquiditätslose Tauschgeschäfte von Finanzprodukten im Regime der Kapitaleinkünfte zu schaffen. Eine Veräußerung der Warrants führe weiterhin zu Einkünften aus Kapitalvermögen und begründe dementsprechend gerade keinen Systembruch und kein vom Gesetzgeber unerwünschtes Ereignis. Vielmehr blieben auch nach der Wandlung in die Warrants etwaige stillen Reserven dem Grunde nach dauerhaft verstrickt. Insoweit unterschieden sich die Warrants maßgeblich von Xetra-Gold Wertpapieren. Während bei Xetra-Gold durch den Wandlungsvorgang die dauerhafte Verstrickung der stillen Reserven durchbrochen werde, sei dies bei den Warrants nicht der Fall. Die Möglichkeit einer nach Ablauf der Haltefrist i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG steuerfreien Veräußerung des später bei Einlösung der Warrants erhaltenen Währungsgoldes führe nicht dazu, die steuerneutrale Wandlung in Frage zu stellen. Die steuerliche Behandlung des Warrants bzw. des für diesen erhaltenen Währungsgoldes beruhe auf einem anderen, zeitlich nachgelagerten Vorgang und beinhalte daher eine andere und gesondert zu beurteilende Rechtsfrage. Auch sei es vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen worden, dass § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG zu systemwidrigen Ergebnissen führen könne.
14
Die Lieferung des Basiswertes „Gold“ aus der Einlösung der Warrants führe auch nicht zu einem Realisationstatbestand. Die Ausübung der in den Warrants enthaltenen Kaufoption zugunsten einer physischen Abwicklung sei keine Einlösung i.S. von § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) beziehe sich der Begriff der Einlösung grundsätzlich auf die Erfüllung einer verbrieften Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG durch Zahlung des geschuldeten Geldbetrages unter gleichzeitiger Rückgabe der über die Kapitalforderungen ausgestellten Urkunde (z.B. BFH-Urteil vom 3. Dezember 2019 VIII R 34/16, BFHE 267, 232, BStBl II 2020, 836, Rz 24). Ein geschuldeter Geldbetrag in Form des Barausgleichs sei gerade nicht vom Emittenten an den Kläger gezahlt worden. Das Abstellen darauf entspreche auch der Rechtsprechung des BFH, wonach die Anschaffung der Option und der Ausgang des Optionsgeschäfts im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise grundsätzlich eine Einheit darstellten (z.B. BFH-Urteil vom 20. November 2018 VIII R 37/15, BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507, Rz 17). Diese Rechtsprechung sei auch auf die Einlösung einer sonstigen Kapitalforderung übertragbar, soweit – wie im Streitfall – Optionsgeschäfte betroffen seien. Danach stellten die Wandlung der Bear-Zertifikate in die Warrants und die Sachleistung in Gestalt der Lieferung des Basiswerts eine Einheit dar. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise könne daher nicht außer Acht gelassen werden, dass die Ausübung der Warrants durch den Kläger allein zu der Lieferung des Basiswerts durch den Emittenten geführt habe (so im Ergebnis auch Gerichtsbescheid des Finanzgerichts München vom 31. Juli 2023 8 K 797/22).
15
Die Investition des Klägers in die streitgegenständlichen Wertpapiere und die anschließende Wandlung des Bear-Zertifikats in die Warrants seien schließlich kein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Außerdem könne das Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht nicht in Abrede gestellt werden.
16
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 10. März 2022 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2022 dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden, um 27.168.500 € gemindert werden.
17
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
18
Es verweist auf die Einspruchsentscheidung.
19
Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2023 wird verwiesen.
II.
20
Die Klage ist teilweise begründet. Zwar hat der Kläger im Streitjahr gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG keinen Gewinn aus der Veräußerung der Bear-Zertifikate in Höhe von 27.168.500 € zu versteuern. Allerdings ist im Streitjahr ein Gewinn aus der Veräußerung der Warrants nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 EStG in Höhe von 25.297.384,31 € zu erfassen, der dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegt.
21
1. Gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Als Veräußerung i.S. des Satzes 1 der Vorschrift gilt auch die Einlösung, Rückzahlung, Abtretung oder verdeckte Einlage in eine Kapitalgesellschaft (§ 20 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG).
22
a) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt gemäß Satz 2 der Vorschrift unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage.
23
Unter den Begriff der Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG fallen alle auf eine Geldleistung gerichteten Forderungen, deren Steuerbarkeit sich nicht bereits aus einem anderen Tatbestand i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 oder 8 bis 11 EStG ergibt, und zwar ohne Rücksicht auf die Dauer der Kapitalüberlassung oder den Rechtsgrund des Anspruchs. Nicht darunter fallen Ansprüche auf die Lieferung anderer Wirtschaftsgüter, insbesondere auf eine Sachleistung gerichtete Forderungen (BFH-Urteil vom 12. Mai 2015 VIII R 35/14, BFHE 250, 71, BStBl II 2015, 834, m.w.N.). § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG erfasst auch Erträge aus reinen Spekulationsanlagen, da sowohl die Höhe des Entgelts als auch die Höhe der Rückzahlung von einem ungewissen Ereignis abhängen darf (BFH-Urteil vom 29. Oktober 2019 VIII R 16/16, BFHE 266, 550, BStBl II 2020, 254, m.w.N.). Insbesondere sind damit Zertifikate erfasst. Hierbei handelt es sich in der Regel um Schuldverschreibungen, bei denen die Rückzahlung von der Entwicklung eines Basiswertes, z.B. eines Indexes, abhängig ist (BTDrucks 16/4841, S. 56).
24
b) Der Begriff der Einlösung bezieht sich grundsätzlich auf die Erfüllung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG durch Zahlung des geschuldeten Geldbetrags unter gleichzeitiger Rückgabe der über die Kapitalforderung ausgestellten Urkunde. Mit Einführung der Abgeltungsteuer durch das UntStRefG 2008 sollte aber eine vollständige steuerrechtliche Erfassung aller Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen erreicht werden. Dafür wurde die traditionelle quellentheoretische Trennung von Vermögens- und Ertragsebene aufgegeben. Zusätzlich dient auch die Gleichstellung der Veräußerung mit verschiedenen Ersatztatbeständen in § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG diesem Ziel, so dass die Ersatztatbestände weit auszulegen sind. Vor diesem Hintergrund erfasst § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG sowohl die vertragsmäßige Einlösung zum Zeitpunkt der Endfälligkeit bzw. zum Zeitpunkt vereinbarter Einlösungstermine als auch jede andere vorzeitige oder verspätete Einlösung (BFH-Urteil in BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507, Rz 26 und 27, m.w.N.).
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c) Gewinn i.S. des § 20 Abs. 2 EStG ist nach § 20 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen (Veräußerungskosten), und den Anschaffungskosten. Die Ersatztatbestände des § 20 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 EStG unterliegen im Rahmen der Gewinnermittlung gemäß § 20 Abs. 4 EStG den gleichen Grundsätzen (BFH-Urteil vom 6. August 2019 VIII R 18/16, BFHE 265, 531, BStBl II 2020, 833, Rz 20, m.w.N.).
26
d) Besitzt bei sonstigen Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG der Inhaber das Recht, bei Fälligkeit anstelle der Zahlung eines Geldbetrags vom Emittenten die Lieferung von Wertpapieren zu verlangen oder besitzt der Emittent das Recht, bei Fälligkeit dem Inhaber anstelle der Zahlung eines Geldbetrags Wertpapiere anzudienen und macht der Inhaber der Forderung oder der Emittent von diesem Recht Gebrauch, ist abweichend von § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG das Entgelt für den Erwerb der Forderung als Veräußerungspreis der Forderung und als Anschaffungskosten der erhaltenen Wertpapiere anzusetzen; Satz 2 der Vorschrift gilt entsprechend (§ 20 Abs. 4a Satz 3 EStG).
27
2. Nach diesen Maßstäben hat der Kläger im Streitjahr gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG zwar keinen Gewinn aus der Veräußerung der Bear-Zertifikate in Höhe von 27.168.500 € zu versteuern. Allerdings ist im Streitjahr ein Gewinn aus der Veräußerung der Warrants nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 EStG in Höhe von 25.297.384,31 € zu erfassen, der dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegt.
28
a) Die Übertragung der Warrants auf den Kläger am 2. Dezember 2015 ist eine nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 EStG steuerbare Veräußerung.
29
aa) Die Bear-Zertifikate sind – wie zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit steht -Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Denn sie waren grundsätzlich auf eine Geldleistung gerichtet, deren Höhe von der Entwicklung des Basiswerts „Gold Spot“ (Bloomberg Ticker: „XAUEUR Curncy“) abhängig gewesen ist; auch erfüllen sie ersichtlich keinen Tatbestand i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 oder 8 bis 11 EStG. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger bei Eintritt des Szenarios 3 nach seinem alleinigen Ermessen – sei es über eine Wahlschuld oder eine Ersetzungsbefugnis – zwischen der Zahlung von 1.900.000 € und einem Warrant wählen konnte. Maßgeblich für die Beurteilung der Bear-Zertifikate als Kapitalforderungen ist, dass sie primär auf eine Geldleistung gerichtet gewesen sind (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juni 2020 VIII R 7/17, BFHE 269, 188, BStBl II 2021, 9, Rz 12, zum umgekehrten Fall, dass der Anspruch primär auf eine Sachleistung gerichtet gewesen ist). Sofern der Kläger nicht fristgerecht die Auswahl des Warrants anstelle der Barauszahlung gegenüber dem Emittenten erklärte, blieb es bei der Abwicklung in bar und somit der Zahlung eines Geldbetrags (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juni 1974 VIII R 109/69, BFHE 113, 207, BStBl II 1974, 735). Bestätigt wird dies im Übrigen durch § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG, der u.a. auch dann vom Vorliegen einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ausgeht, wenn deren Inhaber das Recht besitzt, bei Fälligkeit anstelle der Zahlung eines Geldbetrags vom Emittenten die Lieferung von Wertpapieren zu verlangen und der Inhaber der Forderung von diesem Recht Gebrauch macht.
30
bb) Die Einbuchung der Warrants in das Depot des Klägers bei der Bank am 2. Dezember 2015 stellt die Einlösung der Bear-Zertifikate nach § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG dar, weil der Emittent damit die Forderungen des Klägers aus den Bear-Zertifikaten erfüllt hat; er hat dem Kläger die Bear-Zertifikate bei Fälligkeit automatisch im Verhältnis 1:1 in die Warrants eingetauscht. Dies ist wiederum auch aus § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG zu schließen, dessen von § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG abweichende Regelung nur dann einen Sinn ergibt, wenn der Erhalt der anstelle der Zahlung des Geldbetrags verlangten oder angedienten Wertpapiere – ebenso wie die Zahlung des Geldbetrags selbst – überhaupt nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 EStG steuerbar ist.
31
cc) Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass die Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers in Bezug auf die Bear-Zertifikate nicht deshalb verneint werden kann, weil der Kläger mit den Bull-Zertifikaten hierzu gegenläufige Zertifikate erworben hat. Das Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht ist nämlich grundsätzlich für jede einzelne Kapitalanlage getrennt zu beurteilen (BFH-Urteil vom 1. Juli 2021 VIII R 28/18, BFHE 273, 301, BStBl II 2021, 911, Rz 17, m.w.N.).
32
b) Nach § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG hat der Kläger jedoch keinen Gewinn (§ 20 Abs. 4 EStG) aus der Veräußerung der Bear-Zertifikate zu versteuern. Entgegen der Auffassung des FA sind die Voraussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG im Streitfall erfüllt.
33
aa) Die Bear-Zertifikate sind – wie unter a) aa) ausgeführt – sonstige Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, der Kläger hat als deren Inhaber bei Eintritt des Szenarios 3 das Recht besessen, anstelle der Zahlung der 1.900.000 € jeweils einen Warrant zu verlangen, und er hat von diesem Recht Gebraucht gemacht. Die Warrants sind – was auch das FA im Grundsatz nicht bestreitet – Wertpapiere.
34
aaa) Ein Wertpapier ist eine Urkunde, in der bestimmte Rechte verbrieft sind, die nur von demjenigen geltend gemacht werden können, der sich im Besitz dieser Urkunde befindet (BFH-Urteil vom 12. Juli 1967 I 204/64 –, BFHE 90, 122, Rz 8, m.w.N.). Die Rechte können auch in einer Globalurkunde verbrieft sein und im Wege des im heutigen Massengeschäft üblichen Effektengiroverkehrs, d.h. ohne die körperliche Bewegung von Wertpapierurkunden, übertragen werden (vgl. dazu Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 18. September 2018 XI ZR 74/17, MDR 2019, 692, Rz 16, m.w.N.).
35
bbb) Nach diesen Grundsätzen ist der Warrant ein Wertpapier. Er war in Inhaberform ausgegeben und durch eine dauerhafte Globalurkunde gemäß Art. 973b des Schweizerischen Obligationenrechts ohne Zinsscheine verbrieft worden. Die dauerhafte Globalurkunde wurde während der gesamten Laufzeit des Warrants und bis zu ihrer vollständigen Rückzahlung bei der Ltd. in Übereinstimmung mit dem FISA hinterlegt und von dieser abgewickelt. Nach Hinterlegung bei der AG und Verbuchung auf den Konten eines oder mehrerer Teilnehmer der AG stellten die durch die dauerhafte Globalurkunde verbrieften Warrants Bucheffekten i.S. des FISA dar, die aus Sicht des schweizerischen Rechts grundsätzlich nach den Bestimmungen des FISA übertragen wurden, d. h. durch Eintragung der Übertragung in ein Depot des Übertragungsempfängers.
36
bb) Für eine einschränkende Auslegung bzw. teleologische Reduktion des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG dahingehend, dass die Warrants keine Wertpapiere i.S. des § 20 Abs. 4a Satz 3 sind, besteht im Streitfall keine Veranlassung, weil der Gewinn aus der Einlösung der Warrants auch bei physischer Abwicklung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 EStG einkommensteuerpflichtig ist (s. dazu nachfolgend unter c). Der nach § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG nicht versteuerte Gewinn aus der Veräußerung der Bear-Zertifikate bleibt somit bei einer späteren Veräußerung steuerpflichtig.
37
cc) Rechtsfolge des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ist, dass abweichend von § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG das Entgelt für den Erwerb der Bear-Zertifikate – also die Anschaffungskosten in Höhe von insgesamt 28.030.000 € – als Veräußerungspreis der Bear-Zertifikate anzusetzen ist, so dass sich mangels eines Unterschieds zwischen den Anschaffungskosten und dem Veräußerungspreis kein Gewinn nach § 20 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 EStG ergibt; Veräußerungskosten sind dem Kläger nicht entstanden.
38
c) Allerdings hat nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 EStG die Gutschrift der 61.793,75 Feinunzen Währungsgold auf dem Metallkonto des Klägers am 10. Dezember 2015 zu einem Veräußerungsgewinn in Höhe von 25.297.384,31 € geführt. Entgegen der Auffassung des Klägers stellt diese Gutschrift eine Einlösung der Warrants dar.
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aa) Entgegen der Auffassung des FA sind die Warrants keine Termingeschäfte i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG und werden daher nicht von dieser Vorschrift erfasst.
40
aaa) Der Begriff des Termingeschäfts folgt den Regelungen des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG); Termingeschäfte in diesem Sinne sind nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 WpHG u.a. Festgeschäfte oder Optionsgeschäfte, die zeitlich verzögert zu erfüllen sind und deren Wert sich unmittelbar oder mittelbar vom Preis oder Maß eines bestimmten Basiswertes ableitet (BFH-Urteil vom 24. Oktober 2017 VIII R 35/15, BFHE 259, 540, BStBl II 2018, 189, Rz 13, m.w.N.). Nach wertpapier- bzw. bankenrechtlichen Maßgaben ist das Termingeschäft vom sog. Kassageschäft abzugrenzen, bei dem der Leistungsaustausch (Belieferung Zug um Zug gegen Bezahlung) sofort oder innerhalb der für diese Geschäfte üblichen Frist von zwei (Bankarbeits- oder Börsen-)Tagen zu vollziehen ist („sofortige Erfüllung“). Diese (Negativ-)Abgrenzung zum Termingeschäft ist auch bei der steuerrechtlichen Begriffsbestimmung maßgeblich (BFH-Urteil vom 8. Dezember 2021 I R 24/19, BFHE 275, 316, Rz 23, m.w.N.). Demgegenüber zeichnet sich das Termingeschäft dadurch aus, dass der Erfüllungszeitpunkt hinausgeschoben wird, woraus sich die für Termingeschäfte spezifische Gefährlichkeit und damit das für die Qualifizierung als Börsentermingeschäft wesentliche Schutzbedürfnis des Anlegers ergibt. Termingeschäfte sind insoweit Verträge über Wertpapiere, vertretbare Waren oder Devisen nach gleichartigen Bedingungen, die von beiden Seiten erst zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt zu erfüllen sind und die zudem eine Beziehung zu einem Terminmarkt haben, der es ermöglicht, jederzeit ein Gegengeschäft abzuschließen (BFH-Urteil vom 4. Dezember 2014 IV R 53/11, BFHE 248, 57, BStBl II 2015, 483, Rz 22, m.w.N.).
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bbb) Nach diesen Maßstäben sind die Warrants keine Termingeschäfte, sondern Kassageschäfte, da der Leistungsaustausch sofort stattgefunden hat. Der Emittent hat mit der Übertragung der Warrants auf den Kläger dessen Forderungen aus den Bear-Zertifikaten erfüllt; er hat dem Kläger die Bear-Zertifikate bei Fälligkeit automatisch im Verhältnis 1:1 in die Warrants eingetauscht. Das Verlustrisiko des Klägers war danach auf die Anschaffungskosten der Warrants begrenzt, die er sofort bei Erwerb aufzubringen hatte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 248, 57, BStBl II 2015, 483, Rz 22). Durch die spätere physische Abwicklung ist nicht der Vertrag über den Erwerb des Warrants, sondern die durch den Warrant begründete Forderung erfüllt worden. Der Inhaber des Warrants war – von Anfang an – berechtigt, für jeden Warrant entweder eine physische Abwicklung oder die Zahlung des Barabwicklungsbetrags vom Emittenten zu verlangen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Ausübungsrecht automatisch am Ablaufdatum, dem 8. Dezember 2015, ausgeübt wurde.
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bb) Die Warrants sind – wie der Kläger selbst vorträgt – sonstige Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Hierfür ist entscheidend, dass die Warrants – nicht anders als die Bear-Zertifikate – primär auf eine Geldleistung gerichtet gewesen sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 269, 188, BStBl II 2021, 9, Rz 12). Die Barabwicklung war anwendbar, es sei denn, alle Bedingungen für die physische Abwicklung waren an oder vor der Ablaufzeit, 12:00 Uhr GMT, am Ablaufdatum (8. Dezember 2015) erfüllt; in diesem Fall war die physische Abwicklung anwendbar. Danach blieb es bei der Barabwicklung, falls der Kläger nicht fristgerecht die Bedingungen für die physische Abwicklung erfüllte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 113, 207, BStBl II 1974, 375).
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cc) Entgegen der Auffassung des Klägers stellt die Gutschrift auf seinem Edelmetallkonto beim Emittenten eine Einlösung der Warrants i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG dar.
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aaa) Zwar bezieht sich – wie unter 1b) ausgeführt – der Begriff der Einlösung grundsätzlich auf die Erfüllung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG durch Zahlung des geschuldeten Geldbetrags. Dies ist aber nicht – wie der Kläger meint – wortwörtlich in dem Sinne zu verstehen, dass eine Einlösung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG stets voraussetzt, dass tatsächlich ein Geldbetrag gezahlt wird. Vielmehr sind die Ersatztatbestände des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG – wie ebenfalls unter 1b) ausgeführt – weit auszulegen, da die Gleichstellung der Veräußerung mit den Ersatztatbeständen in § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG dem Ziel dient, alle Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen steuerrechtlich zu erfassen. Dementsprechend hat der BFH auch den Eintritt des Knock-out-Ereignisses bei Knock-out-Zertifikaten als eine (automatische) „Einlösung‘“ i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG zu Null beurteilt (BFH-Urteil BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507, Rz 27), obwohl in diesem Fall kein Geldbetrag gezahlt wird.
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bbb) Nach diesen Maßstäben ist die Gutschrift auf dem Edelmetallkonto des Klägers als „Einlösung‘“ i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG zu beurteilen, da der Emittent damit – nicht anders als bei einer Zahlung des Barabwicklungsbetrags – die Kapitalforderung des Klägers aus den Warrants erfüllt hat. Die steuerliche Erfassung dieser Gutschrift ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Sie entspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und dem Gebot der Folgerichtigkeit in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juli 2015 VIII R 2/09, BFHE 251, 162, BStBl II 2016, 447, Rz 42, m.w.N.). Die Leistungsfähigkeit des Klägers ist auch dann um die Einnahmen aus den Warrants erhöht, wenn er anstelle des bei Barabwicklung geschuldeten Geldbetrags die bei physischer Abwicklung geschuldeten Feinunzen Währungsgold erhält.
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ccc) Eine andere Beurteilung ergibt sich – entgegen der Auffassung des Klägers – auch nicht daraus, dass bei Einkünften aus Termingeschäften i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG die Anschaffung einer Option und der Ausgang des Optionsgeschäfts bei der ertragsteuerrechtlich gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise grundsätzlich als Einheit betrachtet werden müssen (BFH-Urteil vom 12. Januar 2016 IX R 48/14, BFHE 252, 423, BStBl II 2016, 456, Rz 17). Dies schon deshalb nicht, weil der Senat bei seiner Auslegung des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG – insoweit mit der Auffassung des Klägers übereinstimmend – gerade davon ausgeht, dass der Erwerb der Warrants und deren Ausübung zugunsten der physischen Abwicklung als Einheit zu betrachten sind.
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dd) Der Veräußerungsgewinn (§ 20 Abs. 4 EStG) aus der Einlösung der Warrrants beträgt 25.297.384,31 €.
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aaa) Zu den Einnahmen aus der Veräußerung gehört jede Gegenleistung, die der Veräußerer in Geld oder Geldeswert für das Wirtschaftsgut erhält (BFH-Urteil vom 29. Oktober 2019 VIII R 16/16, BFHE 266, 550, BStBl II 2020, 254, Rz 34). Einnahmen aus den einer Veräußerung gleichgestellten Fällen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG sind solche Geldbezüge oder Sachleistungen, die bei der Einlösung, Rückzahlung oder Abtretung zufließen (Jachmann-Michel in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz 1333). Einnahmen aus Kapitalvermögen liegen nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG erst vor, wenn sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind (BFH-Urteil vom 29. Oktober 2019 VIII R 16/16, BFHE 266, 550, BStBl II 2020, 254, Rz 34).
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Im Streitfall sind als Einnahmen aus der Veräußerung im Streitjahr die 61.793,75 Feinunzen Währungsgold zu erfassen, da sie dem Kläger bei der Einlösung der Warrants zugeflossen sind; sie sind im Zeitpunkt der Gutschrift auf seinem Edelmetallkonto am 10. Dezember 2015 nach § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen. Sie sind nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG mit ihrem Kurswert im Zeitpunkt des Zuflusses zu bewerten (vgl. BFH-Urteil vom 23. Juni 2005 VI R 10/03, BFHE 209, 559, BStBl II 2005, 770, Rz 43, zu Aktien). Nach dem Rechtsgedanken des § 11 Abs. 1 Satz 1 des Bewertungsgesetzes kann der niedrigste am 10. Dezember 2015 notierte Kurswert angesetzt werden. Der Kurs je Feinunze Gold betrug am 10. Dezember 2015 976,27 € (Tagestiefststand). Hieraus ergeben sich Einnahmen aus der Veräußerung in Höhe von (61.793,75 Feinunzen Währungsgold x 976,27 € Kurswert =) 60.327.384,31 €.
50
bbb) Von den Einnahmen aus der Veräußerung in Höhe von 60.327.384,31 € sind die Anschaffungskosten in Höhe von insgesamt 28.030.000 € – als Anschaffungskosten der Warrants ist nach § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG das Entgelt für den Erwerb der Bear-Zertifikate anzusetzen – und der Ausübungspreis in Höhe von insgesamt 7.000.000 € als Veräußerungskosten abzuziehen.
51
ccc) Hiernach ergibt sich ein Veräußerungsgewinn in Höhe von (60.327.384,31 € ./. 28.030.000 € ./. 7.000.000 € =) 25.297.384,31 €.
52
3. Nachdem die Gutschrift der 61.793,75 Feinunzen Währungsgold auf dem Edelmetallkonto des Klägers zu einem steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn geführt hat, der dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegt, braucht der Senat nicht der Frage nachzugehen, ob im Streitfall ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten vorliegt.
53
4. Das FA hat zu Recht den Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 15. Januar 2018 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert, da dem FA die tatsächlichen Umstände, die zu dem – die Steuer erhöhenden – Veräußerungsgewinn geführt haben, erst bei der Außenprüfung beim Kläger und damit nachträglich bekannt geworden sind.
54
5. Hiernach führt die Klage dazu, dass die Einkünfte, die nach § 32d Abs. 1 EStG besteuert werden, um (27.168.500 € Veräußerungsgewinn lt. FA ./. 25.297.384,31 € Veräußerungsgewinn lt. FG =) 1.871.115,69 € zu mindern sind. Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer 2015 wird nach § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem FA übertragen. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz, Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.
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7. Die Revision wird im Hinblick auf das Urteil des Finanzgerichts München vom 27. Oktober 2023 8 K 797/22 nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO zugelassen.