Titel:
Wahrung der Wochenfrist bei einer Gehörsrüge im Strafvollzugsverfahren
Normenkette:
StPO § 356a
Leitsätze:
1. Will ein Beschwerdeführer in einem Strafvollzugsverfahren die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Rechtsbeschwerdegericht geltend machen, ist der Antrag nach § 356a Satz 2 StPO innerhalb einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu stellen und auch zu begründen. (Rn. 4)
2. Da der Antrag zulässigerweise nur binnen einer Frist von einer Woche seit dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Betroffenen von der Verletzung des rechtlichen Gehörs gestellt werden kann, muss dieser Zeitpunkt grundsätzlich binnen der Wochenfrist mitgeteilt werden, falls nicht die Rechtzeitigkeit der Rüge den Akten entnommen werden kann oder sonst offenkundig ist. (Rn. 4)
3. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist nach Satz 3 der Regelung zudem glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung hat im Strafvollzugsverfahren ebenfalls innerhalb der Wochenfrist zu erfolgen. (Rn. 4)
4. Eigene Ermittlungen zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung muss der Senat nicht anstellen. Die schlichte Erklärung des Betroffenen genügt für die Glaubhaftmachung regelmäßig nicht; auch eine eigene "Eidesstattliche Versicherung" ist hierzu ungeeignet. (Rn. 9)
5. Die bloße Benennung eines Zeugen reicht ebenfalls nicht aus, sofern nicht gleichzeitig dargetan wird, dieser habe eine schriftliche Bestätigung verweigert, er sei nicht unverzüglich erreichbar oder es handele sich um einen für die Säumnis verantwortlichen Beamten. (Rn. 9)
Schlagworte:
Gehörsrüge, Strafvollzugsverfahren, Wochenfrist, Kenntniserlangung
Vorinstanzen:
BayObLG, Beschluss vom 06.06.2023 – 203 StObWs 142/23
LG Augsburg, Beschluss vom 19.02.2023 – 2 NÖ StVK 795/18
Fundstelle:
BeckRS 2023, 43357
Tenor
1. Der Antrag des Beschwerdeführers, ihm nachträglich rechtliches Gehör gegen den Beschluss des Senats vom 6. Juni 2023 zu gewähren, und die Gegenvorstellung gegen den Beschluss des Senats vom 6. Juni 2023 werden als unzulässig verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten der Anhörungsrüge zu tragen.
Gründe
1
Mit Beschluss vom 6. Juni 2023 hat der Senat die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg beim Amtsgericht Nördlingen vom 19. Februar 2023 als unbegründet zurückgewiesen. Nach der Aktenlage ist die Hinausgabeverfügung des Senats von der Geschäftsstelle am 15. Juni 2023 ausgeführt worden und eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses an diesem Tage an die Adresse des Beschwerdeführers versandt worden.
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Mit Schreiben vom 15. und vom 16. Juli 2023, eingegangen bei Gericht am 16. Juli 2023, erhebt der Antragsteller Gegenvorstellung und Gehörsrüge. Er trägt vor, der Beschluss des Senats sei, nachdem eine telefonische Rückfrage bei der Geschäftsstelle des Gerichts gegen Ende Juni 2023 ergeben habe, dass sich die Hinausgabe des Beschlusses wegen einer Kostenentscheidung verzögern würde, – erstmals – am 15. Juli 2023 an seine Adresse in Deutschland zugestellt worden und von dort unverzüglich elektronisch an seinen italienischen Wohnsitz weitergeleitet worden. Als mögliche Mittel der Glaubhaftmachung benennt er eine eigene eidesstattliche Versicherung und die Zeugin E., wohnhaft an der Adresse des Beschwerdeführers in Deutschland. Eine darüber hinausgehende Glaubhaftmachung erfolgt nicht.
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Die Gehörsrüge erweist sich als unzulässig. Denn der Beschwerdeführer hat nicht hinreichend belegt, dass er die Frist des § 356a Satz 2 StPO eingehalten hat.
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1. Will ein Beschwerdeführer in einem Strafvollzugsverfahren die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Rechtsbeschwerdegericht geltend machen, steht ihm dazu die Gehörsrüge nach § 356a StPO offen (st. obergerichtliche Rspr., vgl. etwa OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 3 Ws 130/16 StVollz –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 18. Dezember 2015 – 2 Ws 259/15 Vollz –, juris; Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl. § 120 Rn. 3). Der entsprechende Antrag ist nach § 356a Satz 2 StPO innerhalb einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu stellen und auch zu begründen. Da der Antrag zulässigerweise nur binnen einer Frist von einer Woche seit dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Betroffenen von der Verletzung des rechtlichen Gehörs gestellt werden kann und das Gericht diesen Zeitpunkt im Regelfall den Akten nicht entnehmen kann, muss dieser Zeitpunkt binnen der Wochenfrist mitgeteilt werden. Im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtskraft der Entscheidung kann es nicht hingenommen werden, dass der Antragsteller die für die Zulässigkeit des Antrags notwendigen Angaben erst im weiteren Verfahren vorträgt (BGH, Beschluss vom 9. März 2005 – 2 StR 444/04 –, juris Rn. 3 zur Revision). Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist nach Satz 3 der Regelung zudem glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung hat ebenfalls innerhalb der Wochenfrist zu erfolgen (BGH a.a.O.; BGH, Beschluss vom 6. Februar 2009 – 1 StR 541/08 –, juris Rn. 7 zur Revision; OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 3 Ws 130/16 StVollz –, juris; Gericke in KK-StPO; 9. Aufl., § 356a Rn. 11 m.w.N.; Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 356a Rn. 8). Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen alle Mittel in Betracht, die generell geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit des Vorbringens darzutun (BVerfGE 38, 35 ff., juris Rn. 11).
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2. Dem genügt die Antragsschrift nicht.
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a) Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers sieht er die Verletzung des rechtlichen Gehörs in einer Missinterpretation des Vorbringens der Rechtsbeschwerde. Mithin hat der Antragsteller mit der Kenntnisnahme des Senatsbeschlusses auch Kenntnis von dem behaupteten Gehörsverstoß erlangt. Für die Frage der Zulässigkeit der Gehörsrüge kommt es demnach maßgeblich auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung des Beschwerdeführers vom Senatsbeschluss an. Dass die Wochenfrist gewahrt wurde, hat der Antragsteller zu beweisen (BGH, Beschluss vom 5. März 2008 – 2 StR 485/06 –, juris für die Revision).
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b) Nach dem Abvermerk der Geschäftsstelle ist eine Abschrift des Senatsbeschlusses vom 6. Juni 2023 dem Beschwerdeführer am 15. Juni 2023 per Post übersandt worden. Gleichwohl ist seine Anhörungsrüge beim Bayerischen Obersten Landesgericht erst am 16. Juli 2023 eingegangen.
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c) Auch unter Berücksichtigung seines Vortrags, die Hinausgabe der Abschrift sei nach Mitteilung der Geschäftsstelle nicht vor Ende Juni 2023 erfolgt, vermag der Senat unter Berücksichtigung der üblichen Postlaufzeiten nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer nicht wie von ihm behauptet erst am 15. Juli 2023, sondern bereits früher Kenntnis von der Entscheidung des Senats erlangt hat.
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d) Der nach der Aktenlage nicht mehr nachvollziehbare Zeitpunkt seiner Kenntniserlangung hätte daher zwingend der Glaubhaftmachung bedurft. Eigene Ermittlungen muss der Senat nicht anstellen. Die schlichte Erklärung des Betroffenen genügt für die Glaubhaftmachung regelmäßig nicht; auch eine eigene „Eidesstattliche Versicherung“ wäre hierzu ungeeignet (BGH, Beschluss vom 5. März 2008 – 2 StR 485/06 –, juris Rn. 5 für die Revision; Schneider-Glockzin in KK-StPO a.a.O. § 45 Rn. 12 und 13 m.w.N.). Die bloße Benennung eines Zeugen reicht ebenfalls nicht aus, sofern nicht gleichzeitig dargetan wird, dieser habe eine schriftliche Bestätigung verweigert, er sei nicht unverzüglich erreichbar oder es handele sich um einen für die Säumnis verantwortlichen Beamten (BGH, Beschluss vom 5. August 2010 – 3 StR 269/10 –, juris Rn. 4 m.w.N. zur Revision; Schneider-Glockzin a.a.O. § 45 Rn. 11 m.w.N.). Der Ausnahmefall, dass die Rechtzeitigkeit der Rüge den Akten entnommen werden kann oder sonst offenkundig ist, liegt hier nicht vor.
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e) Indes hätte der Antragsteller mit der Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Zeugin E. den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung unschwer genügen können. Auch hätte er eine Ablichtung des Poststempels oder einen Nachweis über den von ihm behaupteten Zeitpunkt des elektronischen Versands des Dokuments beibringen können. All dies hat der Antragsteller innerhalb der Wochenfrist des § 356a StPO versäumt.
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Auch als Gegenvorstellung ist der Antrag nicht zulässig. Denn der Senat hat abschließend entschieden (§ 119 Abs. 5 StVollzG) und kann seine Entscheidung nicht mehr ohne gesetzliche Grundlage aufheben (KG Berlin, Beschluss vom 26. Oktober 2015 – 2 Ws 140/15 Vollz –, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. August 2008 – 3 Ws 31/08 –, juris; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 12. Kapitel Rechtsbehelfe M Rn. 9; Arloth/Krä, a.a.O. § 119 Rn. 1). Es ist geklärt, dass Rechtsbehelfe in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt sein müssen, weswegen es den Gerichten untersagt ist, tatsächliche oder vermeintliche Lücken im Rechtsschutzsystem eigenmächtig zu schließen (vgl. BVerfGE 107, 395 ff., juris Rn. 68; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 – 2 StR 418/04-, juris zur Revision). Eine Gegenvorstellung ist insoweit nicht statthaft.
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Die Kosten der Anhörungsrüge fallen gemäß § 121 Abs. 4 StVollzG, § 465 Abs. 1 Satz 1 StPO dem Beschwerdeführer zur Last (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 26. Oktober 2015 – 2 Ws 140/15 Vollz –, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 27. Oktober 2014 – 1 Ws 245/14 –, juris; BGH, Beschluss vom 5. Mai 2014 – 1 StR 82/14 –, juris zur Revision).
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Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass er weitere gleichgerichtete Eingaben in dieser Sache nicht mehr bescheiden wird.