Inhalt

LG München I, Endurteil v. 08.11.2023 – 1 S 11052/22 WEG
Titel:

Absenkungsbeschluss begrenzt Beschlussfassung 

Normenkette:
WEG § 23
Leitsatz:
2. Der Absenkungsbeschluss begrenzt den Umfang, über den im Umlaufverfahren beschlossen werden kann. Geht der Umlaufbeschluss weiter, müssen alle Eigentümer zustimmen. (Rn. 13 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Absenkungsbeschluss, Umlaufbeschluss
Vorinstanz:
AG München, Urteil vom 10.08.2022 – 1295 C 18470/21 WEG
Fundstellen:
ZWE 2024, 222
BeckRS 2023, 43002
LSK 2023, 43002
ZMR 2024, 154

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 10.08.2022, Az. 1295 C 18470/21 WEG, dahingehend abgeändert, dass der mit Schreiben der ... vom 26.10.2021 verkündete Umlaufbeschluss mit dem Wortlaut:
„die Eigentümer beschließen, die Balkonsanierung an den 13 Balkonen an der Ost- und Nordseite durch die Firma ... durchführen zu lassen. In diesem Rahmen werden folgende Arbeiten ausgeführt:
Anpassung der Gerüststellung 3-seitig um die Balkone, Verlängerung Standzeit
Abdecken und Schützen der umliegenden Bauteile
Abbrechen und Entsorgen der Fliesenbeläge
Fräsen und Grundieren der Untergründe
Aufbringen der Kratzspachtelung
Herstellen der Gefällespachtelung
Einarbeiten der Tropfkanten umlaufend
Herstellen der Abdichtung und des Bodenbelages als Epoxidharz in 3 Arbeitsgängen
Vorbereiten und Streichen der Balkonplatten in weiß von unten Reinigen der Kunststoffhalterungen und Handläufe sowie aller Fenster von außen an der Ost-, Nord- und Westseite des Gebäudes.
Die Kosten betragen insgesamt 60.690 € brutto. Die Maßnahme soll aus der Rücklage finanziert werden. Die Hausverwaltung wird ermächtigt und beauftragt, den Auftrag umgehend zu erteilen.“
für ungültig erklärt wird.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit i. H. von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i. H. von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin ist als Inhaberin von Miteigentumsanteilen in Höhe von insgesamt 356/1.000stel verbunden mit dem Sondereigentum an den Wohnungs- bzw. Teileigentumseinheiten Nr. 1-16, 42, 51, 52 sowie 72-79 Mitglied der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft (im Folgenden GdWE). Mit der vorliegenden Klage hat sie den mit Schreiben der ... vom 26.10.2021 verkündete Umlaufbeschluss mit dem im Urteilstenor wiedergegebenen Wortlaut angefochten.
2
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der in 1. Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils, die Klageschrift vom 22.11.2021, die Klagebegründung vom 23.12.2021, die als Anlage K2 vorgelegte Gemeinschaftsordnung (im folgenden: GO), das als Anlage K1 vorgelegte Schreiben der ... vom 26.10.2021, dass als Anlage K3 vorgelegte Protokoll der Eigentümerversammlung vom 26.08.2021, das als Anlage K4 vorgelegte Schreiben der ... vom 08.09.2021, dass als Anlage B1 vorgelegte Protokoll der Eigentümerversammlung vom 07.08.2020 sowie das als Anlage B2 vorgelegte Angebot der Firma ... vom 20.02.2020 verwiesen.
3
Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.08.2022 abgewiesen. Wegen der Gründe wird auf die Urteilsgründe verwiesen.
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Gegen das Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihren in 1. Instanz gestellten Klageantrag weiterverfolgt.
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Die Klägerin ist der Meinung, es fehle der beklagten GdWE für den streitgegenständlichen Beschluss bereits die Beschlusskompetenz. Der Oberbelag der Balkone zähle vorliegend zum Sondereigentum, wie sich aus den als Anlage K6 vorgelegten Aufteilungsplänen ergebe, in denen sämtliche Räume einer Wohnung inklusive des jeweiligen Balkonraums farblich gekennzeichnet seien. Auch wenn der nach dem Beschluss durch die Firma ... durchzuführende Abbruch und das Entsorgen der Fliesenbeläge möglicherweise noch durch die Vorschrift des § 14 I Nr. 2 WEG gedeckt seien, hätte die GdWE jedenfalls dadurch, dass Gegenstand des Beschlusses darüber hinaus die Herstellung eines neuen Bodenbelags aus Epoxidharz sei, die Entscheidung darüber getroffen, welcher im Sondereigentum stehende Bodenbelag wieder aufgebracht werden solle. Insbesondere sei es in technischer Hinsicht nicht möglich, auf einem aus Epoxidharz bestehenden Bodenbelag Fliesen zu verlegen. Hierhin liege ein unzulässiger Eingriff in das Sondereigentum, der zur Nichtigkeit, zumindest aber zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führe. Die fehlende Beschlusskompetenz der GdWE ergebe sich darüber hinaus aus der in Teil B § 3 Nr. 1 der GO enthaltenen Bestimmung, die vorsehe, dass die GdWE lediglich für die Instandhaltung und Instandsetzung der tragenden Konstruktion der Balkone sowie des Außenanstrichs einschließlich der Abdichtung zuständig sei, während die übrigen Bestandteile der Balkone von dem jeweiligen Sondereigentümer instand zuhalten und instand zu setzen seien. Der streitgegenständliche Beschluss habe jedoch nur zur einem geringen Teil Arbeiten zum Gegenstand, für die die GdWE gemäß Teil B § 3 Nr. 1 der GO zuständig sei, nämlich Arbeiten an der Abdichtung und den Anstrich der Balkonuntersichten. Für die restlichen Arbeiten an den Balkonen, deren Durchführung Gegenstand des streitgegenständlichen Beschlusses sei, seien hingegen die Sondereigentümer zuständig. Schließlich bestehe gemäß Teil D § 3 der GO zugunsten der jeweiligen Eigentümer der Wohnungen Nr. 41 und Nr. 42 ein Sondernutzungsrecht an den an diese Wohnungen jeweils angrenzenden Balkonen bzw. Terrassen. Gemäß Teil D § 2 der GO gelte dabei für Sondernutzungsrechte das gleiche wie für Sondereigentum, soweit rechtlich irgend möglich. Das bedeute, dass die an die Wohnungen Nr. 41 und Nr. 42 angrenzenden Balkone samt deren Bestandteile, egal ob konstruktiv oder nicht, so zu behandeln seien, als würde es sich um Sondereigentum handeln. Daher müssten die jeweiligen Eigentümer der Wohnungen Nr. 41 und Nr. 42 die daran angrenzenden Balkone auf eigene Veranlassung und eigene Kosten instand halten und instand setzen, auch soweit es sich um konstruktive Bestandteile der Balkone handele. Die Regelung in Teil B § 3 Nr. 1 der GO gelte diesbezüglich gerade nicht. Soweit für die beschlossenen Maßnahmen nach dem zuvor Gesagten der jeweilige Sondereigentümer zuständig sei, habe er auch die damit im Zusammenhang stehenden Kosten alleine zu tragen. Die beschlossene Finanzierung der gesamten Maßnahme durch eine Entnahme aus der Erhaltungsrücklage widerspreche deshalb ordnungsmäßiger Verwaltung und dem in der Gemeinschaftsordnung vereinbarten Kostenverteilungsschlüssel. Aus der Erhaltungsrücklage, in die sämtliche Eigentümer einbezahlt hätten, hätten vielmehr nur solche Maßnahmen finanziert werden dürfen die von der GdWE auf gemeinschaftliche Kosten vorzunehmen sind. Die Klägerin ist weiter der Ansicht, dass sich der streitgegenständliche Umlaufbeschluss nicht im Rahmen des in der Eigentümerversammlung vom 26.08.2021 unter TOP 7a gefassten Absenkungsbeschlusses halte, sondern darüber hinaus gehe, soweit er die Erstellung eines Gerüsts, das Abdecken und Schützen der umliegenden Bauteile, das Fräsen und Grundieren der Untergründe, das Aufbringen der Kratzspachstelung, das Herstellen der Gefällespachtelung, das Einarbeiten der Tropfkanten, das Vorbereiten und Streichen der Balkonplatten in weiß von unten und das Reinigen der Kunststoffhalterungen und Handläufe sowie aller Fenster von außen zum Gegenstand habe. Hierbei handele es sich keineswegs nur um Nebenarbeiten. Soweit der Umlaufbeschluss auch Maßnahmen samt deren Finanzierung zum Gegenstand habe, die nicht von dem in der Eigentümerversammlung vom 26.08.2021 unter TOP 7a gefassten Beschluss gedeckt seien, hätten dem Beschluss gemäß § 23 I Satz 1 WEG sämtliche Wohnungseigentümer zustimmen müssen. Da das aber nicht der Fall gewesen sei, sei der Beschluss diesbezüglich für ungültig zu erklären, was gemäß § 139 BGB zur Folge habe, dass auch der restliche Teil des Beschlusses keinen Bestand haben könne. Zudem hält die Klägerin den Beschluss für zu unbestimmt, weil dieser lediglich stichwortartig Eckpunkte beschreibe und sich aus ihm nicht ergebe, welche Arbeiten wie und auf welche Art und Weise durchgeführt werden sollen. Es fehle darüber hinaus am Vorliegen der erforderlichen, mindestens drei Vergleichsangebote. Vorgelegen habe vielmehr nur das Angebot der Firma ... welches zudem unbrauchbar sei, da die angebotenen Leistungen darin nur in Stichworten beschrieben und zu einem Pauschalpreis angeboten werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 09.11.2022 sowie den Schriftsatz vom 25.07.2023 verwiesen.
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Die Klägerin beantragt,
1.
Das Urteil des AG München vom 10.08.2022, Aktenzeichen 1295 C 18470/21 WEG, wird aufgehoben.
2.
Der mit Schreiben der ... vom 26.10.2021 verkündete Umlaufbeschluss über die Genehmigung der Balkonsanierung an den 13 Balkonen der Ost- und Nordseite durch die Firma ... gemäß – Anlage K 1 – wird für ungültig erklärt.
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Die Beklagte beantragt,
Die Berufung wird, unter Aufrechterhaltung des Endurteils der I. Instanz, zurückgewiesen.
8
Die Beklagte trägt vor, die beschlossenen Maßnahmen beträfen ausschließlich das Gemeinschaftseigentum, so dass eine Beschlusskompetenz hierfür bestehe. Selbst wenn es sich bei dem Fliesenbelag auf den Balkonflächen um Sondereigentum handeln sollte, hätten die Eigentümer gemäß § 14 II Nr. 2 WEG die Entfernung des Fliesenbelags zu dulden, da sie notwendig sei, um die erforderlichen Arbeiten an den darunterliegenden konstruktiven Gebäudeteilen durchführen zu können. Ebenso sei die Beschichtung des neu eingebauten Estrichs mit Epoxidharz technisch notwendig. Die Epoxidharzbeschichtung sei auch nicht der Ersatz für den entfernten Fliesenbelag. Vielmehr sei es technisch problemlos möglich, auf die Epoxidharzbeschichtung einen neuen Fliesenbelag aufzubringen. Selbst wenn das nicht der Fall wäre, würde auch nach der seit dem 30.11.2020 geltenden Rechtslage eine Beschlusskompetenz für die Maßnahme bestehen. Soweit für den jeweiligen Eigentümer der Wohnungen Nr. 41 und Nr. 42 ein Sondernutzungsrecht an den an die jeweilige Wohnung angrenzenden Balkonen bestehe, gelte, wie die Klagepartei richtig ausgeführt habe, gemäß Teil D § 2 Nr. 1 der GO für Sondernutzungsrechte, soweit rechtlich irgend möglich, das gleiche wie für Sondereigentum. Anders als die Klägerin meine, folge daraus aber gerade, dass der Sondernutzungsberechtigte hinsichtlich Erhaltungsmaßnahmen auch durch die Regelung in Teil B § 3 Nr. 1 der GO beschränkt sei. Die Bestimmung in Teil D § 2 Nr. 1 der GO lasse nicht erkennen, dass die übrigen Wohnungseigentümer hierdurch von jedweder Erhaltungspflicht auch für die konstruktiven Bestandteile des Gebäudes befreit sein sollen, wenn diese im Geltungsbereich des der Sondernutzungsrechte liegen. Auch ansonsten entspreche der Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung. Die beschlossene Maßnahme sei als Gesamtmaßnahme zu betrachten. Es sei von einem einzelnen Gegenstand im Sinne von § 23 III Satz 2 WEG auszugehen. Eine Beschlussfassung über eine konkrete bauliche Maßnahme, deren Finanzierung und eine spätere Kostenverteilung sei als sachliche Einheit nicht zu beanstanden. Der Beschluss überschreite auch nicht die Grenzen des § 23 III Satz 2 WEG. Für Sanierungsarbeiten der hier beschlossenen Art sei unter Berücksichtigung des Umfangs der Arbeiten die Gestellung eines Gerüsts erforderlich. Wie das Amtsgericht zutreffend erkannt habe, hätten die Eigentümer durch den bestandskräftigen Beschluss vom 26.08.2021 auf die Einholung weiterer Vergleichsangebote verzichtet. Das Angebot der Firma ... sei für eine sachgerechte Entscheidungsfindung auch ausreichend gewesen. Die zu erbringenden Leistungen würden darin skizziert und vom Auftragnehmer zu einem Pauschalpreis angeboten. Dass die beauftragten Arbeiten fachgerecht ausgeführt werden müssten, ergebe sich bereits aus dem Gesetz, einer detaillierten Beschreibung zu Art und Weise der Ausführung bedürfe es daher nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung vom 02.07.2023 verwiesen.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen und alle sonstigen Aktenbestandteile Bezug genommen.
II.
10
Die zulässige Berufung ist begründet.
11
1. Die materiellen Ausschlussfristen des § 45 WEG zur Erhebung und Begründung der Anfechtungsklage wurden von der Klägerin gewahrt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob bei einem Umlaufbeschluss, wie hier, die Fristen bereits mit der Versendung des Schreibens an die Wohnungseigentümer, mit dem das Zustandekommen des Beschlusses verkündet wurde (vorliegend das Schreiben vom 26.10.2021), beginnt bzw. im Zeitpunkt, in dem nach den gewöhnlichen Umständen mit einem Zugang des Schreibens bei den Wohnungseigentümern gerechnet werden kann (so BGH, Beschluss vom 23.08.2001, Az: V ZB 10/01, juris Rn 28; Dötsch in Brämann, 15. Aufl., Rn 244 zu § 23 WEG; Skauradszun in BeckOGK zum WEG, Stand: 01.09.2023, Rn 12 zu § 45 WEG) oder erst mit dem Zugang des Schreibens bei dem letzten Wohnungseigentümer (so Hügel/Elzer, 3. Aufl, Rn 118 zu § 23 WEG und Rn 31 zu § 45 WEG). Denn selbst wenn man auf den 26.10.2021 für den Fristbeginn abstellen würde, wären die Fristen eingehalten. Die Klageschrift vom 22.11.2021 ist noch am 22.11.2021 und damit jedenfalls vor Fristablauf bei Gericht eingegangen. Die Zustellung am 21.12.2021 erfolgte auch „demnächst“ i. S. des § 167 ZPO, nachdem bereits in der Klageschrift eine Einzugsermächtigung für den sich aus einem Streitwert von 60.690,00 € errechnenden Gerichtskostenvorschuss i. H. von 2.199,00 € erteilt worden war. Die Klagebegründung vom 23.12.2021 ging am 23.12.2021 bei Gericht ein.
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2. Der mit Schreiben der vormaligen Verwalterin der beklagten GdWE, der ... vom 26.10.2021 verkündete Beschluss widerspricht ordnungsmäßiger Verwaltung und war daher für ungültig zu erklären, weil er, wie die Klägerin in der Klagebegründung vom 23.12.2021 auch vorgetragen hat, nicht lediglich den Gegenstand zum Inhalt hat, über den nach dem in der Eigentümerversammlung vom 26.08.2021 zu TOP 7a gefassten Beschluss mit einfacher Mehrheit in einem Umlaufverfahren hätte entschieden werden dürfen, so dass es gem. § 23 III Satz 1 WEG der Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer bedurft hätte.
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2.1 Gemäß § 23 III Satz 2 WEG können die Wohnungseigentümer beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen für eine Beschlussfassung ohne Versammlung in einem Umlaufverfahren gem. § 23 III Satz 1 WEG genügt (sog. Absenkungsbeschluss). Inhaltlich muss einem Absenkungsbeschluss dabei entnommen werden können, dass für das zeitlich auf die Versammlung folgende Umlaufverfahren – abweichend vom Allstimmigkeitserfordernis gem. § 23 III S. 1 WEG – die einfache Stimmenmehrheit genügt (vgl. Bartholome in BeckOK zum WEG, 54. Edition, Stand: 02.10.2023, Rn 102 zu § 23 WEG; Hogenschurz in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., Rn 62 zu § 23 WEG). § 23 III Satz 2 WEG erlaubt darüber hinaus die Fassung eines Absenkungsbeschlusses nur für einen einzelnen Gegenstand. Das schließt jedenfalls die Fassung eines Absenkungsbeschlusses, der nicht die Reglung eines konkreten Einzelfalls zum Inhalt hat, sondern die Beschlussfassung außerhalb der Versammlung mit einfacher Mehrheit über ein bestimmtes Thema, wie die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der Vorschüsse gem. § 28 II Satz 1 WEG, zukünftig generell erlaubt, aus (vgl. Schultzky in Jennißen, 7. Aufl., Rn 151 zu § 23 WEG; Dötsch in Bärmann, 15. Aufl., Rn 229 zu § 23 WEG; Hogenschurz in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., Rn 62 zu § 23 WEG). Als Ausnahmevorschrift ist § 23 III S. 2 WEG zudem restriktiv zu handhaben. Die Einflussnahme auf mehrheitliche Entscheidungsfindungen in der Eigentümerversammlung ist elementarer Bestandteil der mitgliedschaftlichen Rechte, weshalb für Beschlussfassungen in Textform außerhalb der Eigentümerversammlung der Grundsatz des Allstimmigkeitserfordernisses besteht. Die Zulassung einer Mehrheitsentscheidung in Textform ist den Wohnungseigentümern deshalb nur punktuell möglich. Einzelner Gegenstand ist der im Absenkungsbeschluss konkret vorzugebene Beschlussgegenstand (vgl. Bartholome in BeckOK zum WEG, 54. Edition, Stand: 02.10.2023, Rn 103 zu § 23 WEG; Dötsch in Bärmann, 15. Aufl., Rn 232 zu § 23 WEG; Hogenschurz in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., Rn 62 zu § 23 WEG).
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2.2 Um festzustellen, über welchen Gegenstand vorliegend nach dem in der Eigentümerversammlung vom 26.08.2021 zu TOP 7a gefassten Absenkungsbeschluss ein Umlaufbeschluss mit einfacher Mehrheit gefasst werden durfte, muss der Absenkungsbeschluss ausgelegt werden. Da der Absenkungsbeschluss gem. § 10 III Satz 2 WEG auch Sondernachfolger der Wohnungseigentümer und solche Wohnungseigentümer bindet, die in der Versammlung vom 26.08.2021 nicht anwesend oder vertreten waren, ist er – wie auch sonst Beschlüsse der Wohnungseigentümer – „aus sich heraus“ – objektiv und normativ – auszulegen. Dabei ist von dem protokollierten Wortlaut des Beschlusses auszugehen. Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind, weil sie sich etwa aus dem – übrigen – Versammlungsprotokoll ergeben (BGH, Urteil vom 18.03.2016, Az: V ZR 75/15, juris Rn 20).
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2.3 Nach dem Wortlaut des in der Eigentümerversammlung vom 26.08.2021 zu TOP 7a gefassten Absenkungsbeschlusses sollte außerhalb der Versammlung in einem Umlaufverfahren mit einfacher Mehrheit über ein zu erholendes Angebot der Firma ... für die im Beschluss aufgezählten Arbeiten an den Balkonen auf der Nord- und Ostseite Hauses 42, nämlich das Entfernen der Fliesen und des Fliesenklebers, das stellenweise Verputzen der Fassade an den Eckfliesen, das Entfernen des alten und Erneuern des Estrichs und das Abdichten und Beschichten der Balkone mit einer rissüberbrückenden Beschichtung, abgestimmt werden, wobei mit dem Haus 42 bei nächstliegendem Verständnis nur das zum gemeinschaftlichen Eigentum zählende Haus ... gemeint sein konnte. Der sodann mit Schreiben vom 26.10.2021 verkündete Umlaufbeschluss hat jedoch entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht nur die Beauftragung der Fa. ... mit den im Absenkungsbeschluss genannten Arbeiten und von hiermit zwangsläufig verbundenen Vor- und Nacharbeiten, wie die Anpassung der Gerüststellung 3-seitig um die Balkone, Verlängerung der Standzeit und das Abdecken und Schützen der umliegenden Bauteile, zum Gegenstand, sondern auch weitere Arbeiten, nämlich das Vorbereiten und Streichen der Balkonplatten in weiß von untern sowie das Reinigen der Kunststoffhalterungen und Handläufe sowie aller Fenster von außen und zwar nicht nur an der Nord- und Ostseite des Gebäudes, sondern auch an der Westseite. Hierbei handelt es sich offensichtlich um Arbeiten, die Gegenstand des unter TOP 7a im Protokoll der Eigentümerversammlung vom 26.08.2021 erwähnten Nachtragsangebots der Fa. ... über 20.111,00 € brutto waren, über das ursprünglich ein Beschluss gefasst werden sollte und welches die Malerarbeiten an den Balkonen inkl. Gerüstbau, Reinigen der Geländer, kleine Schadstellensanierungen sowie Grundieren und Streichen der Untersichten und Stirnseiten der Bodenplatten zum Gegenstand hatte. Dass diese Arbeiten zumindest teilweise, nämlich das Streichen der Balkonplatten von unten sowie das Reinigen der Kunststoffhalterungen und Handläufe, ebenfalls Gegenstand des neu zu erholenden Angebots der Fa. ... sein sollten und auch hierüber außerhalb der Versammlung in einem Umlaufverfahren mit einfacher Mehrheit Beschluss gefasst werden sollte, lässt sich dem Wortlaut des Absenkungsbeschlusses und dem sonstigen Inhalt des Versammlungsprotokolls vom 26.08.2021 bei der gebotenen objektiv-normativen Auslegung allerdings nicht entnehmen. Zwar wäre es möglicherweise sinnvoll gewesen, ein neues Angebot zu erholen, welches sowohl die im Absenkungsbeschluss aufgeführten als auch die im Nachtragsangebot der Fa. ... über 20.111,00 € enthaltenen Arbeiten, über die unter TOP 7a der Eigentümerversammlung vom 26.08.2021 ursprünglich ein Beschluss gefasst werden sollte, beinhaltet und hierüber sodann einen Beschluss zu fassen. Da sich der Wortlaut des Absenkungsbeschluss aber auf die Erholung eines Angebotes zu den im Beschluss im einzelnen bezeichneten Leistungen beschränkt und keine Hinweise darauf enthält, dass das zu erholende Angebot, über welches im Anschluss ein Umlaufbeschluss mit einfacher Mehrheit gefasst werden sollte, auch die im bereits vorliegenden Nachtragsangebot der Fa. ... über 20.111,00 € brutto enthaltenen Leistungen umfassen und dieses Angebot damit lediglich ergänzen sollte, steht einer Auslegung des Beschlusses in dieser Weise jedoch der klare Wortlaut des Absenkungsbeschlusses entgegen. Insbesondere lässt sich dem Absenkungsbeschluss nicht entnehmen, dass das zu erholende Angebot, über welches sodann ein Umlaufbeschluss mit einfacher Mehrheit gefasst werden sollte, auch Arbeiten an den Balkonen auf der Westseite des Hauses wie das Reinigen der Kunststoffhalterungen und der Handläufe sowie aller Fenster und u. U. (diesbezüglich sind das Angebot der Fa. ... vom 30.08.2021 und der Umlaufbeschluss vom 26.10.2021 schon nicht ganz eindeutig) das Vorbereiten und Streichen der Balkonplatten weiß von unten beinhalten sollte.
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2.4 Soweit die beschlossenen Sanierungsmaßnahmen nicht durch den Absenkungsbeschluss gedeckt sind, hätten dem Beschluss gem. § 23 III Satz 1 WEG sämtliche Wohnungseigentümer zustimmen müssen. Das ist aber unstreitig nicht erfolgt. Ob die fehlende Allstimmigkeit gem. § 23 III Satz 1 WEG lediglich zur Anfechtbarkeit oder sogar zur Nichtigkeit des gefassten Beschlusses führt ist streitig (gegen Nichtigkeit: Dötsch in Bärmann, 15. Aufl., Rn 242, 248, 249 zu § 23 WEG; für Nichtigkeit: LG München I, Schlussurteil vom 18.7.2013, Az: 36 S 20429/12 WEG, ZWE 2014, 189 (zur alten Rechtslage); Schultzky in Jennißen, 7. Aufl., Rn 153, 161 zu § 23 WEG: Vorliegen eines Nichtbeschlusses). Die Frage kann im vorliegenden Fall allerdings dahingestellt bleiben, da der Beschluss angefochten und innerhalb der Frist des § 45 WEG auch gerügt wurde, dass der verkündete Umlaufbeschluss teilweise Instandsetzungsmaßnahmen beinhaltet, die nicht den im Absenkungsbeschluss bezeichneten Gegenstand betreffen, der Beschluss daher nicht mit einfacher Mehrheit gefasst werden konnte, sondern der Zustimmung sämtlicher Wohnungseigentümer bedurft hätte.
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2.5 Nachdem somit ein Teil des Beschlusses nicht den im Absenkungsbeschluss bezeichneten Gegenstand betrifft und daher auf die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage hin für ungültig zu erklären ist, ist in analoger Anwendung des § 139 BGB der gefasste Umlaufbeschluss vom 26.10.2021 insgesamt für ungültig zu erklären. Denn es stand hier ein einheitliches Pauschalangebot der Fa. ... über sämtliche darin enthaltenen Leistungen zur Abstimmung, das nur insgesamt angenommen werden konnte. Eine teilweise Aufrechterhaltung des Beschlusses scheidet danach aus.
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2.6 Da der Beschluss bereits aus den vorgenannten Gründen für ungültig zu erklären war, muss nicht entschieden werden, ob auch die anderen von der Klägerin erhobenen Einwände eine Rechtswidrigkeit des Beschlusses begründen können.
III.
19
1. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits in 1. und 2. Instanz beruht auf § 91 I ZPO.
20
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.
21
3. Die Revision war gemäß § 543 I Nr. 1, II ZPO nicht zuzulassen, da die vorliegende Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich ist. Es ging nur um die Anwendung anerkannter Rechtsgrundsätze auf einen reinen Einzelfall.
22
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde bereits durch im Termin vom 11.10.2023 verkündeten Beschluss auf 60.690,00 € festgesetzt.