Inhalt

OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss v. 16.03.2023 – 8 U 3296/22
Titel:

Voraussetzungen der Bindungswirkung eines Stichentscheids bei Deckungsverlangen in einem "Diesel-Fall"

Normenketten:
VVG § 125, § 128
ARB § 2 lit. a, § 3a Abs. 2 S. 2, § 5
Leitsätze:
Zum Deckungsanspruch gegen den Rechtsschutzversicherer in einem sog. Dieselfall (hier verneint). (Rn. 7 – 32)
1. Die Bindungswirkung eines Stichentscheids setzt voraus, dass er dem (richtigen) Rechtsschutzversicherer zugeleitet wird. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Bindungswirkung eines Stichentscheids setzt voraus, dass er sich mit allen rechtlichen Gesichtspunkten auseinandersetzt, auf die der Rechtsschutzversicherer seine Deckungsablehnung gestützt hat. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein das Vorbringen, ein Kraftfahrzeughersteller habe Thermofenster und sonstige Abschaltvorrichtungen eingebaut, genügt nicht, um einem Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung hinreichende Erfolgsaussicht zuzusprechen. (Rn. 14)  (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Auch ein Anspruch auf Freistellung von den Kosten des Stichentscheids setzt voraus, dass seine Begründung hinreichend erkennen lässt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art die Meinung des Versicherers nach Ansicht des Rechtsanwalts unrichtig ist.  (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Privatversicherungsrecht, Sonstiges Bürgerliches, Recht, Europarecht vorgehend:, Rechtsschutzversicherung, Deckungsanspruch, hinreichende Erfolgsaussicht, Stichentscheid, Begründung, Interessenvertretung, Diesel-Fall, sittenwidrige Schädigung, substantiiertes Vorbringen, Kosten des Stichentscheids
Vorinstanz:
LG Regensburg, Urteil vom 26.10.2022 – 32 O 133/22
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 11.05.2023 – 8 U 3296/22
Fundstellen:
VersR 2024, 29
ZfS 2023, 455
BeckRS 2023, 4288
LSK 2023, 4288

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 26.10.2022, Az. 32 O 133/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Rechtsschutzversicherung, die der Kläger seit 2013 bei der Beklagten unterhält. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Rechtsschutzversicherung (im Folgenden: ARB; Anlagenkonvolut B 3) zugrunde.
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Im Juli 2018 erwarb der Kläger von der Fa. B. … einen gebrauchten PKW der Marke BMW 640d zum Preis von brutto 39.500 € (Anlage K 4). Im Fahrzeug ist der Motortyp N 57 verbaut. Es ist in die Schadstoffklasse „Euro 5“ eingeordnet und wurde erstmals im Februar 2015 zugelassen (Anlage K 5). Einen vom Kraftfahrtbundesamt angeordneten verpflichtenden Rückruf gab es für Fahrzeuge dieses Motortyps nicht (Anlage B 9 bis B 12).
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Mit Schreiben vom 05.05.2021 verlangte der Kläger von der Beklagten Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung von Schadensersatz gegen die BMW AG wegen behaupteter „Manipulation der Abgassteuerung“ (Anlage K 1). Die Beklagte lehnte den Versicherungsschutz mit Schreiben vom 20.05.2021 ab, weil die beabsichtigte Interessenwahrnehmung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe (Anlage K 2). Daraufhin erstellten die Prozessbevollmächtigten des Klägers am 05.06.2021 einen an die N. A. Versicherungs AG adressierten und dort als Rechtsschutzversicherer des Klägers bezeichneten „Stichentscheid“, welcher hinreichende Erfolgsaussichten bejahte (Anlage K 3). Auch in der Folgezeit blieb die Beklagte bei einer Ablehnung ihrer Eintrittspflicht.
4
Der Kläger behauptet, das Fahrzeug sei von dem Hersteller, der BMW AG, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen worden, die den Schadstoffausstoß auf dem Prüfstand unerlaubt verringere und unter Realbedingungen erheblich mehr Schadstoffe emittiere. Daneben verfüge das Fahrzeug auch über ein sog. „Thermofenster“, das die Funktionsweise bzw. den Wirkungsgrad der Abgasreinigung in Abhängigkeit von der Außentemperatur bei gleichbleibender Außentemperatur dauerhaft reduziere. Der Kläger sei bei Erwerb des Fahrzeugs massiv über dessen wesentliche Eigenschaften getäuscht worden. Er plane, die aus dem Kauf resultierenden Schadensersatzansprüche geltend zu machen.
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Das Landgericht hat die auf Feststellung der Deckungspflicht für die außergerichtliche und erstinstanzliche Interessenwahrnehmung sowie Freistellung von den Kosten des Stichentscheids in Höhe von 713,76 € gerichtete Klage vollständig abgewiesen. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Beklagte einen Deckungsanspruch zu Recht wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt habe. Der Stichentscheid entfalte keine Bindungswirkung, weil er sich nicht mit allen Argumenten im Ablehnungsschreiben der Beklagten auseinandersetze. Der Stichentscheid habe im Übrigen die Sach- und Rechtslage gröblich verkannt. Auch der übrige Klagevortrag genüge nicht, um einen Anspruch aus § 826 BGB gegen den Fahrzeughersteller schlüssig zu begründen.
6
Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt.
II.
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Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers aus § 125 VVG, § 5 Abs. 1 ARB verneint und demzufolge die Feststellungs- und Leistungsklage abgewiesen. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.
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1. Zugunsten des Klägers kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherungsfall i.S.v. § 2 lit. a) ARB eingetreten ist. Denn der Versicherungsnehmer bringt einen objektiven Tatsachenkern vor, mit dem er den Vorwurf eines Rechtsverstoßes als Ausgangspunkt einer rechtlichen Auseinandersetzung verbindet und hierauf seine Interessenverfolgung stützt (sog. „Drei-Säulen-Modell“; vgl. etwa BGH, Urteil vom 19.11.2008 – IV ZR 305/07, NJW 2009, 365 Rn. 20 m.w.N.; Jäckel, NJW 2021, 2193, 2200). Dabei kommt es allein auf das Vorbringen des Versicherungsnehmers zur geltend gemachten Pflichtverletzung des Anspruchsgegners an.
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2. Jedoch durfte die Beklagte den Rechtsschutz ablehnen, weil die vom Kläger beabsichtigte Wahrnehmung rechtlicher Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 3a Abs. 1 lit. a ARB). Hierbei handelt es sich um eine sekundäre Risikobegrenzung, für deren Voraussetzungen der Versicherer beweispflichtig ist (vgl. Harbauer/Schmitt, Rechtsschutzversicherung, 9. Aufl., ARB 2010, § 3a Rn. 12). Allerdings trifft den klagenden Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast. Er hat einen Sachverhalt vorzutragen, aufgrund dessen die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung beurteilt werden kann (vgl. OLG München, BeckRS 2022, 13980 Rn. 7).
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a) Etwas anderes ergibt sich im Streitfall auch nicht aus dem als „Stichentscheid“ bezeichneten Schreiben der Klägervertreter vom 05.06.2021 (Anlage K 3). Dieser entfaltet entgegen § 3a Abs. 2 Satz 2 ARB keine Bindungswirkung zwischen den Parteien.
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aa) Dies folgt bereits daraus, dass dieser „Stichentscheid“ nicht an die hiesige Beklagte adressiert ist, sondern an die N. A. Versicherungs AG, welche dort als Rechtsschutzversicherer des Klägers bezeichnet wird. Nach § 3a Abs. 2 Satz 1 ARB war die begründete Stellungnahme jedoch „diesem gegenüber“, also gegenüber dem Rechtsschutzversicherer des Klägers abzugeben.
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bb) Die Bindungswirkung setzt ferner voraus, dass der Stichentscheid losgelöst von der reinen Interessenvertretung alle rechtlichen Gesichtspunkte berücksichtigt, auf die der Rechtsschutzversicherer seine Deckungsablehnung gestützt hat (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 12.05.2021 – 20 U 36/21, juris Rn. 40; OLG Hamm, NJW-RR 2012, 672, 673; OLG Frankfurt, NJW-RR 1997, 1386, 1387; Harbauer/Schmitt, a.a.O., § 3a Rn. 49). Hieran fehlt es jedoch, wie die Vorinstanz zutreffend herausgearbeitet hat (LGU 5).
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Die Beklagte hatte ihre Ablehnung unter Bezugnahme auf eine aktuelle höchstrichterliche Entscheidung maßgeblich damit begründet, dass Thermofenster oder sonstige Abschalteinrichtungen nicht per se eine sittenwidrige Handlung darstellten, sondern darüber hinaus weitere zu beweisende Täuschungshandlungen erforderlich seien (Anlage K 2). Hiermit setzt sich der Stichentscheid nicht in der erforderlichen Weise auseinander. Auf die zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten und sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. insbesondere BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, NJW 2021, 921) ergebenden tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB im Zusammenhang mit dem sog. „Thermofenster“ geht der Stichentscheid überhaupt nicht näher ein, namentlich nicht auf die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit. Zu Recht hat das Landgericht daher entschieden, dass der „Stichentscheid“ vom 05.06.2021 die maßgebliche Rechtslage unberücksichtigt gelassen hat (LGU 5).
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b) Der Sachvortrag des Klägers ist nicht geeignet, eine hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Interessenwahrnehmung schlüssig zu begründen (LGU 6/7). Im Gegenteil liegt ihr Misserfolg praktisch auf der Hand.
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aa) Die Auslegung des Merkmals „hinreichende Aussicht auf Erfolg“ orientiert sich an § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, d.h. der Versicherungsnehmer muss einen Rechtsstandpunkt einnehmen, der aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen zutreffend oder zumindest vertretbar erscheint und bei dem – im Falle eines zu erwartenden Bestreitens der Gegenseite – in tatsächlicher Hinsicht zumindest die Möglichkeit einer Beweisführung zugunsten des Versicherungsnehmers mithilfe zulässiger und geeigneter Beweismittel besteht (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.1987 – IVa ZR 76/86, NJW 1988, 266, 267; KG, r+s 2018, 475 Rn. 7; HK-VVG/Münkel, 4. Aufl., ARB 2010, § 3a Rn. 4).
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Bei der Prüfung dieser Frage ist auf den Zeitpunkt der sog. Bewilligungsreife abzustellen, d.h. auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtsschutzversicherer seine Entscheidung über den Deckungsschutz trifft (vgl. OLG Karlsruhe, BeckRS 2016, 20806 Rn. 26 m.w.N.; OLG Schleswig, Beschluss vom 12.05.2022 – 16 U 53/22, juris Rn. 35). Es handelt sich um eine Prognoseentscheidung (vgl. OLG Saarbrücken, BeckRS 2010, 28328; Harbauer/Schmitt, a.a.O., § 3a Rn. 13).
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bb) Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs lässt sich keine Schadensersatzforderung des Klägers gegen die BMW AG aus der einzig denkbaren Anspruchsgrundlage der §§ 826, 31 BGB, also wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung, herleiten.
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(1) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 15).
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(2) Im Zeitpunkt der Bewilligungsreife – hier also im Mai 2021 – war bereits höchstrichterlich entschieden, dass das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren sei, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems („Thermofenster“) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gelte auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt worden sei. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit sei nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 13 und vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, juris Rn. 27 f.). Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof auch in der Folgezeit wiederholt bestätigt (vgl. etwa BGH, Urteile vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, VersR 2021, 1252 Rn. 13 und vom 20.07.2021 – VI ZR 1154/20, VersR 2021, 1575 Rn. 13).
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Den Vortrag weiterer Umstände in diesem Sinne ist der Kläger jedoch fällig geblieben. Seine umfangreichen Ausführungen beschränken sich im Kern auf die Behauptung, sein Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines sog. „Thermofensters“ (LGU 6). Dass es diesbezüglich seitens des Fahrzeugherstellers zu einer bewussten und gewollten Täuschung der Behörden im Typgenehmigungsverfahren gekommen sei (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 15 f.), wird hingegen nicht vorgetragen. Im Übrigen würden auch aus einer etwaig unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise des „Thermofensters“ gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) keine Anhaltspunkte dafür folgen, dass für den Hersteller tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (vgl. BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 3/21, juris Rn. 17). Die bloße Abweichung der Emissionen im realen Straßenbetrieb von den gesetzlichen Grenzwerten gemäß der Verordnung (EU) 2019/631 vom 17.04.2019 (NEFZ) genügt ebenfalls nicht, um das Verdikt der Sittenwidrigkeit zu begründen. Die Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist insbesondere nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, juris Rn. 27 und vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, juris Rn. 14).
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(3) Eine solche behauptet der Kläger zwar auch, indem er geltend macht, in der Motorsteuerung des Fahrzeugs sei eine Abschalteinrichtung verbaut worden, die unter bestimmten Umständen die Abgasreinigung deaktiviere oder weniger wirksam mache. Diese bestehe aus einer Software, die für die Abgaskontrollanlage zuständig sei. Die Software sei so konzipiert, dass sie „Prüfungssituationen“ wie bspw. die TÜV-Prüfung oder Abgastests bestehe, da sie „unnatürliches Fahrverhalten“ erkenne und in einem solchen Fall den Motor anweise, die Abgasaufbereitung derart zu optimieren, dass möglichst wenig Stickoxide entstehen. Hierdurch habe sich der Hersteller Vorteile bei der Zulassung des Fahrzeugs versprochen.
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Es ist bei lebensnaher Betrachtung zu erwarten, dass die BMW AG den Sachvortrag des Klägers zum Vorhandensein einer Prüfstandserkennungssoftware bestreiten wird. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers ist jedoch dem Beweise nicht zugänglich, denn es erfolgt ohne greifbare tatsächliche Anhaltspunkte und hat lediglich spekulativen Charakter. Rückrufe des KBA oder sonstige behördliche Beanstandungen hinsichtlich der verkauften Fahrzeuge mit dem hier streitgegenständlichen Motor N 57 in der Variante „Euro 5“ hat es unstreitig nicht gegeben. Die Behörde hat im Rahmen ihrer Untersuchungen vergleichbarer Fahrzeuge auch keine unzulässigen Abschalteinrichtungen oder Konformitätsabweichungen festgestellt (Anlagen B 9 bis B 12). Es muss als ausgeschlossen erscheinen, dass der in Rede stehende Fahrzeugtyp noch Gegenstand von behördlichen Beanstandungen werden könnte und hierdurch die Nutzungsmöglichkeit des Klägers beeinträchtigt wird (vgl. zu solchen Maßnahmen BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 21). Hiermit setzt sich der Kläger in keiner Weise auseinander. Die behauptete Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung – und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte – angesichts der gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die jeweilige Messung erfolgt, ebenfalls ungeeignet; das gilt selbst für die Abweichung um ein „Mehrfaches“ oder „Vielfaches“ (vgl. BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, juris Rn. 30; BGH, Urteil vom 26.04.2022 – VI ZR 435/20, BeckRS 2022, 12054 Rn. 15; vgl. hierzu auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.09.2022 – 7 U 52/22, juris Rn. 17; OLG Naumburg, Urteil vom 30.06.2022 – 4 U 36/22, juris Rn. 27). Somit bietet eine solche Messwertabweichung auch keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass der entsprechende Motor zur Täuschung der zuständigen Behörde auf dem Prüfstand in einem anderen Modus als außerhalb des Prüfstandes betrieben wird (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2022 – VI ZR 435/20, BeckRS 2022, 12054 Rn. 15).
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Der auf eine Prüfstandserkennungssoftware bezogene klägerische Vortrag stellt sich daher nach Ansicht des Senats als willkürlich, rechtsmissbräuchlich und deshalb prozessual unzulässig dar (vgl. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 18.08.2022 – 1 U 167/22, juris Rn. 15). Etwas anderes folgt auch nicht aus dem pauschalen Verweis auf (angebliche) Beweisaufnahmen in anderen Verfahren oder eine vermeintlich fehlende einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung zur Haftung der BMW AG. All das vermag den erforderlichen Tatsachenvortrag nicht zu ersetzen, abgesehen davon, dass unklar bleibt, ob es jemals zu einem Beweisergebnis zugunsten des klagenden Fahrzeughalters gekommen ist. Bei dieser Sachlage besteht auch kein Raum für die Annahme einer sekundären Darlegungslast des Fahrzeugherstellers im Rahmen des angestrebten Hauptprozesses (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2021 – VII ZR 72/21, juris Rn. 21).
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cc) Das Vorbringen des Klägers begründet auch keine hinreichende Erfolgsaussicht für einen Schadensersatzanspruch gegen die BMW AG aus § 823 Abs. 2 BGB.
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(1) Im Zeitpunkt der hier maßgeblichen Bewilligungsreife war bereits höchstrichterlich geklärt, dass der Käufer eines Dieselfahrzeugs keinen deliktischen Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV) bzw. Art. 5 der Verordnung Nr. 715/2007/EG herzuleiten vermag (vgl. BGH, Urteile vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 72 ff. und vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.; seitdem st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10.02.2022 – III ZR 87/21, VersR 2022, 579 Rn. 12 ff.). Denn das – auch vom Kläger geltend gemachte – Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im Aufgabenbereich der genannten Vorschriften.
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(2) In diesem Kontext gebieten auch die rechtlichen Ausführungen des Generalanwalts beim EuGH in seinen Schlussanträgen zum Verfahren des EuGH C-100/21 vom 02.06.2022 (BeckRS 2022, 12232) keine andere Sichtweise.
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Diese Erwägungen datieren nach der hier allein zu überprüfenden Entscheidung der Beklagten; es ist daher zweifelhaft, ob sie aus diesem Grund überhaupt in die Prüfung der Erfolgsaussicht einbezogen werden können. Jedenfalls führt hier auch eine Berücksichtigung der rechtlichen Ausführungen des Generalanwalts zu keiner Erfolgsaussicht der angestrebten Klage. Die Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs eines Schutzgesetzes i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB obliegt den nationalen Gerichten und ist aus der Gesamtsystematik des Deliktsrechts zu entwickeln. Davon abgesehen ergeben sich aus den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 auch keinerlei Gründe, von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen. Denn aus den Schlussanträgen folgt nicht, dass auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts durch Ausgleich eines Vertragsabschlussschadens und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages von einer etwaigen drittschützenden Wirkung der Verordnung Nr. 715/2007/EG umfasst sein sollte. Der Generalanwalt hat vielmehr solche Schäden im Blick, die durch die Nichtzulassung bzw. verzögerte (Erst-)Zulassung des Fahrzeugs oder ein (Weiter-)Veräußerungsverbot entstehen (vgl. OLG Nürnberg, BeckRS 2023, 2520 Rn. 12 ff; OLG München, BeckRS 2022, 16986 Rn. 7). Um solche Schäden geht es dem Kläger jedoch nicht. Weder die genannten Vorschriften des Unionsrechts noch das nationale Deliktsrecht erfordern die Schaffung eines darüber hinausgehenden, mit § 826 BGB konkurrierenden Tatbestandes (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 20.12.2022 – 16a U 300/19, juris Rn. 101 ff.).
29
dd) Zusammengefasst bedeutet dies: Die im beabsichtigten Klageverfahren zu treffende Entscheidung hängt nicht von der Klärung streitiger Tatsachen oder von der Bewertung schwieriger und bislang noch ungeklärter Rechtsfragen ab (vgl. hierzu Harbauer/Schmitt, a.a.O., § 3a Rn. 17). Das Landgericht hat zu Recht die Auffassung vertreten, dass die beabsichtigte Wahrnehmung rechtlicher Interessen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
30
3. Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht schließlich auch einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten des Stichentscheids verneint (LGU 6). Insofern greift § 3a Abs. 2 Satz 1 ARB nicht ein. Die Klausel verlangt eine „begründete Stellungnahme“ des von dem Versicherungsnehmer beauftragten Rechtsanwalts. Dies wiederum setzt eine von der Interessenvertretung losgelöste Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch den Rechtsanwalt voraus. Sie muss in der Absicht abgegeben werden, eine abschließende Reaktion auf die Versagung des Rechtsschutzes darzustellen und so ausreichend begründet sein, dass sie hinreichend erkennen lässt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art die Meinung des Versicherers nach Ansicht des Rechtsanwalts unrichtig ist. Der Stichentscheid hat sich daher mit den Ablehnungsgründen des Versicherers auseinanderzusetzen und diese gegebenenfalls zu entkräften (vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 2019, 1319 Rn. 54 ff.; s. auch oben 2. a] bb]).
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Das Schreiben vom 05.06.2021 illustriert hingegen nur die allgemeine Rechtsauffassung der Klägervertreter, geht auf das maßgebliche Argument im Ablehnungsschreiben der Beklagten nicht ein und kann daher nicht als einen Kostenerstattungsanspruch auslösender Stichentscheid im Sinne der vorbenannten Vertragsklausel gewertet werden.
III.
32
Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Senat, die Berufung zurückzunehmen. Hierdurch würden sich die Gerichtskosten von 4,0 auf 2,0 Gebühren reduzieren (Nr. 1222 KV GKG).