Titel:
Abschließende Regelung der Zuständigkeit in § 1062 Abs. 2 ZPO
Normenkette:
ZPO § 281 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 4, § 1025 Abs. 2, § 1032 Abs. 2, § 1062 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Zuständigkeitsregelungen in § 1062 Abs. 2 ZPO sind abschließend, sodass eine Zuständigkeit nicht mit anderen Erwägungen begründet werden kann. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine antragsgemäße Abgabe eines Verfahrens an ein anderes Gericht vor Rechtshängigkeit bzw. vor Bekanntgabe des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes an die Gegenseite entfaltet keine Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO (Fortsetzung BayObLG BeckRS 2020, 16979). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schiedsvereinbarung, Feststellung, örtliche Zuständigkeit, Auffangzuständigkeit, Kammergericht, Abgabe, Verweisung, Bindungswirkung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 42889
Tenor
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht erklärt sich für örtlich unzuständig.
2. Das Verfahren wird an das Kammergericht verwiesen.
Gründe
1
Die Antragsgegnerin, eine Schiffskasko- und Betriebsausfallversicherung und Gesellschaft nach dem Recht Bermudas mit Sitz in Norwegen, hat gegen die Antragstellerin, ein Unternehmen mit Sitz in Augsburg, mit Schriftsatz vom 31. Juli 2021 vor dem Landgericht Augsburg unter dem Az. 1 HKO 3017/21 Klage auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 8.606.406,34 € nebst Zinsen erhoben. Die Antragstellerin hat in der Klageerwiderung vom 10. November 2021 geltend gemacht, sämtliche streitgegenständlichen Ansprüche seien der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen, da für diese wirksame Schiedsklauseln bestünden. Sie begehrt im hiesigen Verfahren eine entsprechende Feststellung gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO.
2
Zum Hintergrund des vor dem Landgericht Augsburg anhängigen Rechtsstreits trägt die Antragstellerin vor, die Antragsgegnerin begehre aus abgetretenem bzw. übergegangenem Recht Schadensersatz wegen zweier gesonderter Vorfälle, bei denen es jeweils zum Bruch einer Pleuelstange in unterschiedlichen Schiffsmotoren an Bord der Katamaranschnellfähre MS … gekommen sei. Die Antragstellerin bzw. deren Rechtsvorgängerin sei Herstellerin dieser Schiffsmotoren. Die Lieferung der Motoren sei im Jahr 2009 an die Bauwerft I. Ltd. (nachfolgend „I.“) in Australien erfolgt, die diese im Schiff MS … verbaut hätte. Der der Lieferung der Motoren zugrundeliegende Kaufvertrag vom 25./30. Mai 2007 enthalte zwar selbst keine Schiedsklausel, in Ziffer 3.1. werde jedoch auf die General Conditions of Sale for Goods – … Ltd/GCS/Goods-06/2002 (nachfolgend „GCS“) verwiesen, welche in Ziffer 20.3.2. eine Schiedsklausel enthielten. Die Schiedsklausel umfasse gemäß Ziffer 20.2. GCS alle Streitigkeiten, welche in Verbindung mit dem Kaufvertrag stünden, was auch etwaige deliktische Ansprüche einschließe. Im Streitfall sei nach erfolgloser Durchführung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens Schiedsklage vor einem Schiedsgericht in London zu erheben.
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Die I. habe nach der Behauptung der Antragsgegnerin die MS … im Jahr 2013 an die A. Ltd. (nachfolgend „A.“) veräußert, die wiederum mit der M. A/S im Rahmen eines Chartervertrags mit Kaufoption vereinbart habe, dass diese die Bereederung und den Betrieb des Schiffs übernehme. In diesem Zusammenhang habe I. mit Zustimmung der Antragstellerin die Rechte „unter“ dem Kaufvertrag an M. A/S abgetreten. M. A/S habe die MS … in der Folgezeit bei der dänischen Niederlassung der Antragstellerin turnusmäßig warten und reparieren lassen. Im Rahmen der unterschiedlichen Beauftragungen sei die Korrespondenz in dänischer Sprache geführt und auf die Anwendung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Niederlassung der Antragstellerin (nachfolgend „GTCMAN“) verwiesen worden. Nach Ziffer 7.4. GTCMAN seien sowohl vertragliche als auch deliktische Ansprüche von den Allgemeinen Geschäftsbedingungen erfasst. Gemäß Ziffer 14.4. GTCMAN finde dänisches Recht unter Ausschluss des UN-Kaufrechts Anwendung, darüber hinaus statuiere Ziffer 14.5. GTCMAN den Ausschluss der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Vertrag seien in einem Schiedsverfahren vor einem Schiedsgericht in Kopenhagen geltend zu machen.
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Am 28. Juni 2017 und 8. Februar 2018 sei jeweils eine Pleuelstange in den auf der MS … verbauten Motoren gebrochen, wobei die Ursache der Schadensereignisse zwischen den Parteien umstritten sei. Die Antragsgegnerin mache als Kasko- und Betriebsausfallversicherer der MS … gemäß Versicherungsvertrag nach norwegischen Recht sowie aufgrund von Abtretungsvereinbarungen die durch die beiden Havarien entstandenen Reparaturkosten und Ausfallschäden in Höhe der Klageforderung gegenüber der Antragstellerin geltend. Die Antragstellerin verteidige sich u. a. mit dem Einwand, die Antragsgegnerin müsse die in Ziffer 20.3.2. GCS und 14.5. GTCMAN enthaltenen Schiedsklauseln gegen sich gelten lassen. Die Antragsgegnerin werfe der Antragstellerin im Grunde die Verletzung von Pflichten im Zusammenhang mit dem Kaufvertrag und den Wartungs- bzw. Reparaturaufträgen vor. Sämtliche Schadensersatzansprüche seien, auch wenn es sich um deliktische Ansprüche handeln sollte, von den Schiedsklauseln erfasst. Die Antragsgegnerin, die die Ansprüche aus abgetretenem bzw. übergegangenem Recht herleite, sei an die Schiedsabreden gebunden.
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Die Antragstellerin hat den Feststellungsantrag vom 25. September 2023 zunächst beim Oberlandesgericht München gestellt mit der Begründung, dieses sei nach § 1025 Abs. 2, § 1062 Abs. 1 Nr. 2 Var.1, Abs. 2 ZPO zuständig.
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Das Oberlandesgericht München hat das Verfahren auf Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 27. September 2023 an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben, das seit 1. Mai 2020 gemäß § 7 der Gerichtlichen Zuständigkeitsverordnung Justiz (GZVJu) anstelle des Oberlandesgerichts München in Bayern für schiedsrichterliche Angelegenheiten zuständig ist.
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Mit Verfügung vom 4. Oktober 2023 hat der Senat die Zustellung der Antragsschrift vom 25. September 2023 an den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin im Verfahren vor dem Landgericht Augsburg verfügt, verbunden mit der Bitte um Mitteilung, falls er die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren nicht vertreten sollte. Es ist außerdem darauf hingewiesen worden, dass Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgericht bestünden, da die Voraussetzungen der in § 1062 Abs. 2 ZPO aufgezählten Varianten nicht vorliegen dürften.
8
Die Antragstellerin hat in ihrer Stellungnahme vom 27. Oktober 2023 bestätigt, dass sich nur eigene Vermögenswerte und nicht Vermögenswerte der Antragsgegnerin im Gerichtsbezirk befänden, sie vertritt aber gleichwohl die Ansicht, die tatsächlichen Anknüpfungspunkte sowie hypothetische Erwägungen sprächen für eine größere Sachnähe des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Wäre kein Verfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO angestrengt worden, müsste im Fall einer Berufung das Oberlandesgericht München über die Wirksamkeit der Schiedseinrede(n) urteilen. Außerdem hätte die Antragstellerin auch negative Feststellungsschiedsklagen erheben können. Für einen Antrag der Antragsgegnerin auf Unzulässigkeit des oder der schiedsrichterlichen Verfahren(s) wäre dann ebenfalls das Bayerische Oberste Landesgericht zuständig gewesen. Es existiere kein allgemeiner Gerichtsstand, der der ausländischen Antragsgegnerin entzogen werden könnte, für diese spiele es keine Rolle, ob das angerufene Gericht oder das Kammergericht über den Antrag entscheide. Zudem müsse der Senat prüfen, ob er sich im Hinblick auf den Verweisungsbeschluss des Oberlandesgerichts München gebunden fühle. Für den Fall, dass er im Ergebnis seine örtliche Zuständigkeit verneine, werde der hilfsweise Antrag auf Verweisung des Verfahrens an das Kammergericht aufrechterhalten.
9
Die Antragsgegnerin, deren Prozessbevollmächtigter erklärt hat, diese auch vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht und gegebenenfalls vor dem Kammergericht zu vertreten, beantragt, den Antrag der Antragstellerin wegen örtlicher Unzuständigkeit des Oberlandesgerichts München und des Bayerischen Obersten Landesgerichts als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen.
10
Nach den gesetzlichen Regelungen seien weder das Oberlandesgericht München noch das Bayerische Oberste Landesgericht örtlich zuständig, sondern allenfalls das Kammergericht. Auch aus grundsätzlichen Erwägungen der Verfahrensgerechtigkeit sei der Weg einer Antragstellung gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO nicht eröffnet, da damit der Antragsgegnerin ein Instanzenzug verloren ginge. Die Aufforderung an die Antragsgegnerin zur Äußerung in der Sache ist gemäß richterlicher Verfügung vom 31. Oktober 2023 zurückgestellt worden.
11
Eine örtliche Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist nicht gegeben, zur Entscheidung berufen ist vielmehr das Kammergericht. Das Verfahren ist deshalb auf den Hilfsantrag der Antragstellerin entsprechend § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Kammergericht zu verweisen, nachdem der verfahrenseinleitende Schriftsatz der Antragsgegnerseite zugestellt worden ist (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 281 Rn. 3). Für eine Zurückweisung des Feststellungsantrags durch den Senat als unzulässig oder unbegründet, wie von der Antragsgegnerin beantragt, ist dagegen kein Raum.
12
1. Welches Gericht für einen Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO örtlich zuständig ist, ist in § 1062 ZPO geregelt. Keine der im Gesetz geregelten Varianten führt zur örtlichen Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Die von der Antragstellerin vorgebrachten Erwägungen rechtfertigen kein anderes Ergebnis.
13
a) Gemäß § 1062 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 ZPO ist für einen Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens nach § 1032 ZPO das Oberlandesgericht zuständig, das in der Schiedsvereinbarung bezeichnet ist oder, wenn eine solche Bezeichnung fehlt, in dessen Bezirk der Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens liegt. Im vorliegenden Fall sind in beiden Schiedsvereinbarungen, auf die sich die Antragstellerin stützt, konkrete Schiedsorte bestimmt, diese liegen allerdings im Ausland (London und Kopenhagen). Auch für einen ausländischen Schiedsort kann im Inland ein Antrag auf Feststellung der Zulässigkeit des Schiedsverfahrens gestellt werden (§ 1025 Abs. 2 i. V. m. § 1032 Abs. 2 ZPO). Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich hierbei aus § 1025 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Beschl. v. 27. Juli 2023, I ZB 43/22, juris Rn. 24 m. w. N.), die örtliche Zuständigkeit für einen solchen Antrag richtet sich nach § 1062 Abs. 2 ZPO.
14
Die Antragsgegnerin hat weder ihren Sitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 1062 Abs. 2 Var. 1 und 2 ZPO), ebenso wenig ist dargetan, dass sich in Deutschland Vermögen der Antragsgegnerin (§ 1062 Abs. 2 Var. 3 ZPO) oder ein mit der Schiedsklage in Anspruch genommener oder von der Maßnahme betroffener Gegenstand befände (§ 1062 Abs. 2 Var. 4 und 5 ZPO). Damit verbleibt es bei der in § 1062 Abs. 2 letzter Halbsatz ZPO geregelten Auffangzuständigkeit des Kammergerichts.
15
b) Die von der Antragstellerin vorgebrachten Argumente für eine Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sind nicht tragfähig. Weder kommt es nach dem Gesetz darauf an, dass die Antragstellerin ihren Sitz oder eigene Vermögenswerte in Bayern hat, noch lässt sich die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts damit begründen, dass an einem bayerischen Gericht eine Klage zwischen den Parteien anhängig ist, in der die Antragstellerin als Beklagte Schiedseinreden erhoben hat. Hätte der Gesetzgeber einen dieser Aspekte als für die örtliche Zuständigkeit maßgeblich erachtet, hätte er dies in § 1062 Abs. 2 ZPO festlegen können und müssen. Auch die von der Antragstellerin vorgetragenen Billigkeitserwägungen führen nicht weiter. Die Vorschriften zur (örtlichen) Zuständigkeit legen den gesetzlichen Richter für das Verfahren fest, der nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG niemand, auch nicht einer im Ausland ansässigen Partei, entzogen werden darf. Ebenso wenig rechtfertigt die hypothetische Überlegung, es hätten die Parteien auch in anderen Rollen klagen bzw. Anträge stellen können, von den in § 1062 Abs. 2 ZPO eindeutigen und zwingenden Vorgaben zur örtlichen Zuständigkeit abzuweichen.
16
2. Auch der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 27. September 2023 hindert die Verweisung an das Kammergericht nicht. Das Oberlandesgericht München hat die Antragstellerin ohne Bekanntgabe der Antragsschrift an die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass die Zuständigkeit für gerichtliche Entscheidungen in schiedsrichterlichen Angelegenheiten (in Bayern) zum 1. Mai 2020 vom Oberlandesgericht München auf das Bayerische Oberste Landesgericht übergegangen ist (§ 7 GZVJu). Mit Beschluss vom 27. September 2023 erfolgte die formlose Abgabe des Verfahrens auf Antrag der Antragstellerin und keine Verweisung gemäß § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Eine antragsgemäße Abgabe eines Verfahrens an ein anderes Gericht vor Rechtshängigkeit (bzw. Bekanntgabe des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes an die Gegenseite) entfaltet keine Bindungswirkung entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Eine solche Abgabe erfordert keine Prüfung der eigenen Zuständigkeit, mit ihr wird vielmehr lediglich dem Willen des Klägers bzw. Antragstellers Rechnung getragen, dem es zunächst freisteht, welches Gericht er anruft (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. August 2011, X ARZ 263/11, juris Rn. 13; Beschluss vom 18. Oktober 1995, XII ARZ 18/95, juris Rn. 5, BayObLG, Beschluss vom 23. Juli 2020, 1 AR 54/20, NJW-RR 2020, 1260 [juris Rn. 26]).
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3. Zur Prüfung weiterer prozessualer oder materiell-rechtlicher Fragen ist der Senat als örtlich unzuständiges Gericht nicht berufen. Dies gilt insbesondere für den Einwand der Antragsgegnerin, „aus grundsätzlichen Erwägungen der Verfahrensgerechtigkeit sei der Weg einer Antragstellung gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO nicht eröffnet“.