Inhalt

VGH München, Beschluss v. 06.03.2023 – 8 CS 22.2607
Titel:

keine Antragsbefugnis der Gemeinde mangels Drittbetroffenheit

Normenketten:
BayWG Art. 15
GG Art. 28 Abs. 2 S. 1
BV Art. 11 Abs. 2
WHG § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 8, § 10, § 13 Abs. 1
Leitsatz:
Aus dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht ergibt sich keine Befugnis der Gemeinde, die Unvereinbarkeit eines Vorhabens mit den Belangen von Natur und Landschaft gerichtlich überprüfen zu lassen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz, Bohrung zur Vorbereitung des Neu- bzw. Ausbaus einer Eisenbahnstrecke (sog. Brenner-Nordzulauf), Antragsbefugnis einer Gemeinde als kommunale Trägerin der öffentlichen Wasserversorgung, Beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis, Wasserrechtliches Rücksichtnahmegebot, wasserrechtliche Erlaubnis, Erkundungsbohrung, Eisenbahnstrecke Brenner-Nordzulauf, Antragsbefugnis, qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis, wasserrechtliches Rücksichtnahmegebot
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 02.12.2022 – M 31 S 22.5826
Fundstelle:
BeckRS 2023, 4274

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin, eine kreisangehörige Gemeinde, begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine der Beigeladenen erteilte beschränkte wasserrechtliche Erlaubnis zur Niederbringung einer Erkundungsbohrung auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung S. …
2
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2022 wurde der Beigeladenen nach §§ 8, 10 WHG i.V.m Art. 15 BayWG die widerrufliche beschränkte Erlaubnis zur Niederbringung einer mit Ausbau zu einer Piezometermessstelle bzw. Teilausbau zu einer Grundwassermessstelle (DN 125) auf dem Grundstück FlNr. … erteilt (Nr. I.1. des Bescheidtenors). Die sofortige Vollziehbarkeit wurde angeordnet (Nr. IV des Bescheidtenors).
3
Die Beigeladene ist Vorhabenträgerin des Neu- bzw. Ausbaus der Eisenbahnstrecke Brenner-Nordzulauf (ABS/NBS München – Rosenheim – Kiefersfelden – Grenze D/A (- Kufstein)).
4
Gegen den Bescheid erhob die Antragstellerin am 23. November 2022 Klage zum Verwaltungsgericht München (M 31 K 22.5825). Zudem beantragte sie, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid wiederherzustellen. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, dass die von der Beigeladenen geplante Baumaßnahme, zu deren Vorbereitung die streitgegenständliche Bohrung dienen solle, rechtswidrig sei und die Antragstellerin massiv in ihren Rechten verletze. Die geplante Eisenbahntrasse führe nach eingehenden Untersuchungen von Hydrogeolegen zu einer massiven Gefährdung der Trinkwasserversorgung der Gemeindebürger der Antragstellerin, weil sie durch ein geplantes Wasserschutzgebiet verlaufe.
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Das Verwaltungsgericht München lehnte mit Beschluss vom 2. Dezember 2022 den Antrag ab. Der Antrag sei bereits unzulässig, im Übrigen sei er unbegründet. Der Antragstellerin fehle die Antragsbefugnis. Sie habe keine Verletzung in eigenen Rechten dargetan. Die in der Sache vorgetragenen Einwände könnten nur Gegenstand eines gegen das Vorhaben bezogenen Rechtsschutzverfahrens gegen den Planfeststellungsbeschluss sein. Durch das Bohrvorhaben würden keine vollendeten Tatsachen in Bezug auf das Gesamtvorhaben geschaffen. Eine Verletzung des wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebots scheide ebenfalls aus.
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Mit ihrer am 16. Dezember 2022 eingelegten Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtschutzbegehren weiter. Sie beantragt,
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den Beschluss vom 2. Dezember 2022 aufzuheben und dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid vom 25. Oktober 2022 erhobenen Anfechtungsklage stattzugeben.
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Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
10
Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
II.
11
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
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A. Die dargelegten Beschwerdegründe, auf die sich die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer gegen den Bescheid vom 25. Oktober 2022 gerichteten Klage zu Recht abgelehnt. Denn der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 25. Oktober 2022 ist bereits unzulässig.
13
I. Soweit die Antragstellerin erneut vorträgt, dass das „geplante Vorhaben (Neu- bzw. Ausbau der Eisenbahnstrecke „Brenner – Nordzulauf“) mit einer massiven Gefährdung der Grundwasserversorgung der Bürger der Antragstellerin“ einhergehe, und in der Sache einen vorbeugenden Rechtsschutz begehrt, fehlt ihrem Antrag das rechtfertigende qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerwG, GB v. 9.7.2020 – 7 A 1.20 – juris Rn. 10). Insoweit wird auf die erschöpfenden und zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts verwiesen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die von der Antragstellerin dagegen vorgebrachten Einwendungen erfüllen nicht die Anforderungen an das Darlegungserfordernis (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO), da sie in einer bloßen Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens bestehen, ohne sich nicht mit den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Beschlusses auseinanderzusetzen.
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II. Im Übrigen ist der Antragstellerin schon deswegen kein Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO in Bezug auf den Bescheid des Antragsgegners vom 25. Oktober 2022 zu gewähren, weil sie durch den Bescheid nicht im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO in eigenen Rechten verletzt wird und es ihr daher auch für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO an der erforderlichen Antragsbefugnis fehlt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog).
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Gem. § 42 Abs. 2 VwGO, der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO analog anzuwenden ist (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2018 – 1 VR 14.17 – NVwZ 2018, 1485 = juris Rn. 7), ist der Antrag nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine Antragsbefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO anzunehmen ist, wenn auf der Grundlage des Vorbringens eine Verletzung des Antragstellers in eigenen Rechten möglich erscheint. Dies ist nur dann auszuschließen, wenn offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Antragstellers verletzt sein können (stRspr, z.B. BVerwG, U.v. 1.5.1996 – 1 C 10.95 – BVerwGE 101, 157 = juris Rn. 22; U.v. 12.12.2018 – 10 C 10.17 – BVerwGE 164, 53 = juris Rn. 17; U.v. 10.5.2021 – 8 B 59.20 – juris Rn. 5).
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Vorliegend fehlt es der Antragstellerin offensichtlich und eindeutig an einer subjektiv-rechtlichen Rechtsposition.
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1. Die Antragstellerin ist nicht Adressatin des Bescheids vom 25. Oktober 2022, sodass sich aus ihrer Adressatenstellung keine mögliche Verletzung subjektiver Rechte nach § 42 Abs. 2 VwGO ergeben kann (sog. Adressatentheorie).
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2. Als Drittbetroffene ist die Antragstellerin im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nur dann zur Antragstellung befugt, wenn sie ihr Begehren auf eine öffentlich-rechtliche Norm zu stützen vermag, die nach dem in ihr enthaltenen Entscheidungsprogramm auch sie als Dritten schützt. Maßgeblich ist, ob sich aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen lässt, der sich hinreichend von der Allgemeinheit unterscheidet (stRspr des BVerwG, z.B. BVerwG, U.v. 10.4.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 = juris Rn. 19; vgl. auch BVerfG, B.v. 10.6.2009 – 1 BvR 198/08 – NVwZ 2009, 1426 = juris Rn. 12).
19
a. Eine Verletzung der Antragstellerin in ihrem kommunalen Selbstverwaltungsrecht nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 11 Abs. 2 BV scheidet von vornherein aus, soweit die Antragstellerin nunmehr vorträgt, „die Bohrung sei geeignet, auf das Grundwasservorkommen im Gemeindegebiet nachhaltig negativen Einfluss zu nehmen.“
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Die durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantierte kommunale Selbstverwaltung umfasst nach ständiger Rechtsprechung den Schutz der Planungshoheit, die Funktionsfähigkeit kommunaler Einrichtungen und das Selbstgestaltungsrecht der Gemeinde (vgl. BVerwG, U.v. 23.6.22 – 7 C 1.21 – ZfB 2022, 207 = juris Rn. 11). Eine Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts mit Bezug auf den Betrieb kommunaler Einrichtungen kommt in Betracht, wenn solche Einrichtungen durch das Vorhaben in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden könnten (vgl. BVerwG, U.v. 23.6.22 – 7 C 1.21 – ZfB 2022, 207 = juris Rn. 11).
21
Im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO ist eine solche erhebliche Beeinträchtigung nur denkbar, wenn ein Eingriff in die bauliche Anlage der Einrichtung, eine Zerstörung oder erhebliche Beeinträchtigung ihrer Funktionsfähigkeit möglich erscheint oder die Möglichkeit besteht, dass auf das Grundwasser in unmittelbarer Nähe ihrer Brunnen eingewirkt würde (vgl. zu den materiellrechtlichen Maßstäben einer qualifizierten Betroffenheit BayVGH, U.v. 20.5.2021 – 8 B 19.1587 – juris Rn. 37). Die öffentliche Wasserversorgung ist für einwandfreies, gesundes Trinkwasser verantwortlich und kann im Einzugsbereich ihrer Brunnen rechtswidrige Beeinträchtigungen des Grundwassers abwehren (vgl. BVerwG, U.v. 12.8.1999 – 4 C 3.98 – NVwZ 2000, 675 = juris Rn. 11). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, kann die Gemeinde aus ihrer Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG kein Abwehrrecht herleiten; sie kann sich nicht zum Sachwalter von Belangen der Allgemeinheit – hier betreffend sauberes Grundwasser – machen (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2016 – 9 A 8.15 – Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 170 = juris Rn. 14; U.v. 3.4.2019 – 4 A 1.18 – BVerwGE 165, 166 = juris Rn. 12).
22
Vorliegend ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass durch die genehmigte Bohrung auf dem Grundstück FlNr. … gemeindliche Einrichtungen der Wasserversorgung (erheblich) gefährdet werden könnte. Eine solche Gefährdung lässt sich auch weder aus dem Gutachten des Wasserwirtschaftsamts Rosenheim vom 6. Oktober 2022 noch aus der von der Antragstellerin vorgelegten Stellungnahmen der C. ... GmbH vom 14. Oktober 2022 entnehmen. In Bezug auf das von der Antragstellerin angeführte geplante Wasserschutzgebiet „Ödenwald“ ergibt sich offensichtlich ebenfalls keine Gefährdung. Unabhängig davon, dass die Antragstellerin bislang nicht zur Grundwasserentnahme aus dem Brunnen „Ödenwald“ berechtigt ist, liegt das von der Bohrung betroffene Grundstück weder innerhalb des geplanten Wasserschutzgebiets noch in unmittelbarer Nähe zum dortigen Brunnen.
23
Soweit die Antragstellerin in der Bohrung einen massiven Eingriff in Natur und Landschaft sieht, weil das betreffende Grundstück im Landschaftsschutzgebiet „Simsee“ und im Randbereich des Biotops „Gehölzsaum und Feuchtwald an der Sims S und SW S. …“ (Nr. 8139-0085-008) liegt, ist ebenfalls keine Verletzung ihres kommunalen Selbstverwaltungsrechts denkbar. Aus dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht ergibt sich keine Befugnis, die Unvereinbarkeit des Vorhabens mit den Belangen von Natur und Landschaft gerichtlich überprüfen zu lassen (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2016 – 9 A 8.15 – Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 170 = juris Rn. 14). Gleiches gilt für das allgemein gehaltene Vorbringen, dass jede Bohrung mit einem massiven Eingriff in Natur und Landschaft verbunden sei.
24
b. Eine Verletzung von Eigentumsrechten (vgl. dazu BVerwG, B.v. 4.12.2020 – 4 VR 4.20 – juris Rn. 7) scheidet mangels Eigentümerstellung der Antragstellerin am Grundstück FlNr. … aus.
25
c. Eine Verletzung des wasserrechtlichen Rücksichtnahmegebots kommt ebenfalls offensichtlich nicht in Betracht. Das wasserrechtliche Rücksichtnahmegebot räumt den Betroffenen ein subjektives öffentliches Recht auf ermessensgerechte – d.h. rücksichtnehmende – Beachtung und Würdigung ihrer Belange mit dem ihnen objektiv zustehenden Gewicht zu (vgl. vgl. BVerwG, U.v. 15.7.1987 – 4 C 56.83 – BVerwGE 78, 40 = juris Rn. 17; U.v. 12.4.2018 – 3 A 16.15 – BVerwGE 161, 356 = juris Rn. 19). Die Antragstellerin kann als kommunale Trägerin der öffentlichen Wasserversorgung, deren Aufgabe die örtliche Wasserversorgung ist (Art. 83 Abs. 1 BV, Art. 57 Abs. 2 Satz 1 GO i.V.m. § 50 Abs. 1 WHG), zwar auch zum Kreis der individualisiert geschützten Dritten gehören (vgl. BVerwG, U.v. 15.7.1987 – 4 C 56.83 – BVerwGE 78, 40 = juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 20.5.2021 – 8 B 19.1587 – juris Rn. 36). Sie kann durch die angegriffene Erlaubnis aber in ihren rechtlich geschützten Belangen als Trägerin der öffentlichen Wasserversorgung in Bezug auf das geplante Wasserschutzgebiet „Ödenwald“ schon deshalb nicht in einer qualifizierten Weise betroffen sein, weil sie im Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht zur Grundwasserentnahme aus dem Brunnen „Ödenwald“ berechtigt war (vgl. dazu BVerwG, B.v. 6.9.2004 – 7 B 62.04 – ZfW 2005, 227 = juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 20.5.2021 – 8 B 19.1587 – juris Rn. 33).
26
Damit fehlt dem Antrag das Rechtsschutzbedürfnis bzw. die Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog. Bei dieser Rechtslage kommt es auf die Frage der Begründetheit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO und somit auf das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerde nicht mehr an.
27
B. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen entspricht der Billigkeit, weil diese ein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
28
C. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013. Sie folgt der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
29
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).