Titel:
Zum Einfügen einer baulichen Anlage nach der Anzahl der Geschosse
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
BayBO Art. 71
BauGB § 34
BauNVO § 16 Abs. 2
Leitsätze:
1. Ein Vorhaben fügt sich nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es dort Referenzobjekte gibt, die bei einer wertenden Gesamtbetrachtung von Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung auch nach dem Verhältnis zur Freifläche, vergleichbar sind. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind solche Maße entscheidend, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten. Dabei ist die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zur Umgebungsbebauung nicht auf den Blick von der Erschließungsstraße aus zu reduzieren. (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Gebäude prägen ihre Umgebung nicht durch einzelne Maßbestimmungsfaktoren iSd § 16 Abs. 2 BauNVO, sondern erzielen ihre optisch maßstabsbildende Wirkung durch ihr gesamtes Erscheinungsbild. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einfügen nach der Anzahl der Geschosse, Maß der baulichen Nutzung, Geschosse, Satteldach, Mansarddach, von außen wahrnehmbare Erscheinung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 28.06.2021 – M 8 K 19.1656
Fundstelle:
BeckRS 2023, 4271
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinem ernstlichen Zweifel an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Es besteht kein Anspruch der Klägerin auf positive Beantwortung der noch streitgegenständlichen Vorbescheidsfragen nach PlanNr. 2...4 (§ 113 Abs. 5 VwGO).
3
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung darauf abgestellt, dass das abgefragte Vorhaben in der Variante „Satteldach“ sich vom Maß der baulichen Nutzung her nicht in die Eigenart der maßgeblichen näheren Umgebung einfüge, da es in seiner Geschossigkeit über den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen hinausgehe und städtebauliche Spannungen verursache. Gleiches gelte für die Variante „Mansarddach“, soweit dies aufgrund der Bauvorlagen beurteilbar sei.
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Hiergegen ist zulassungsrechtlich nichts zu erinnern. Ein Vorhaben fügt sich nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es dort Referenzobjekte gibt, die bei einer wertenden Gesamtbetrachtung von Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung auch nach dem Verhältnis zur Freifläche, vergleichbar sind – letztes Kriterium spielt im hier zu entscheidenden Fall keine Rolle, da es sich um geschlossene Bebauung handelt. Die Übereinstimmung in nur einem Maßfaktor genügt nicht (BVerwG, U.v. 23.3.1994 – 4 C 18.92 – BVerwGE 95, 277). Für das im Wege der Gesamtbetrachtung gefundene Ergebnis, ein Vorhaben füge sich nicht ein, reicht es aus, wenn bereits eines der eben genannten Kriterien keine Entsprechung in der maßstabsbildenden Umgebungsbebauung findet. Das gilt insbesondere auch dann, wenn sich das geplante Vorhaben zwar nach Grundfläche und Höhe, möglicherweise aber nicht nach der Geschosszahl in die relevante Umgebungsbebauung einfügt (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – BVerwGE 157, 1). Vor diesem Hintergrund kommt es entgegen der Zulassungsbegründung nicht darauf an, ob das Verwaltungsgericht (unter 2.3.2 der Entscheidungsgründe) zu Recht davon ausgegangen ist, dass das Referenzgebäude S. …straße 29/31 im Hinblick auf die Firsthöhe aufgrund ihrer durch die vorhandene Dachform bestimmte Wirkung nicht mit dem geplanten Vorhaben vergleichbar sei, zumal die Kammer letztendlich keine Festlegung dahingehend getroffen hat, ob sich das Vorhaben unter dem Gesichtspunkt der Höhenentwicklung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt oder nicht.
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Das Verwaltungsgericht hat tragend darauf abgehoben, dass das geplante Vorhaben sowohl in der Variante „Satteldach“ als auch in der Variante „Mansarddach“, soweit letztere nach den Bauvorlagen überhaupt beurteilbar sei, nach außen wahrnehmbar so in Erscheinung trete, dass es über zwei Dachgeschosse und deshalb über insgesamt ein Geschoss mehr als das Referenzgebäude verfüge. Diese Vorgehensweise steht grundsätzlich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung solche Maße entscheidend sind, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – BVerwGE 157, 1). Dieser Wertung durch die Kammer tritt die Zulassungsbegründung im Kern mit der Argumentation entgegen, die Anzahl der Dachgeschosse sei nach außen hin nur dann erkennbar, wenn die im Inneren tatsächlich vorhandenen Dachgeschosse über Dachgauben oder Dachflächenfenster verfügten. Zur Begründung dieser Behauptung wird auf die eben zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Bezug genommen. Tatsächlich jedoch ergibt sich aus dieser Entscheidung nur, dass vorhandene Dachgauben den Schluss auf das Vorhandensein eines Dachgeschosses zulassen, nicht aber, dass nur das Vorhandensein von Dachgauben (oder Dachflächenfenstern, um die es in der zitierten Entscheidung nicht geht) überhaupt den Rückschluss auf die Existenz eines Dachgeschosses zuließen.
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Zwar verfügt das geplante Vorhaben nur in der unteren Dachgeschossebene über Dachgauben. Mit dem Verwaltungsgericht ist aber davon auszugehen, dass das massive und voluminöse Dach des Vorhabens aufgrund seiner Höhe, der vorgesehenen relativ steilen Dachneigung im Hofbereich, des trotz der Bezeichnung „Satteldach“ teilweise vorhandenen Flachdaches und des in der zweiten Dachgeschossebene vorgesehenen großen Oberlichts nach außen hin die tatsächlich vorhandenen zwei hauptgenutzten Dachgeschosse deutlich erkennen lässt. Dem steht nicht entgegen, dass die gerade genannten Merkmale teilweise nicht von der Erschließungsstraße aus, sondern nur aus einer rückwärtigen bzw. höheren Perspektive wahrgenommen werden können. Denn die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zur Umgebungsbebauung ist nicht auf den Blick von der Erschließungsstraße aus zu reduzieren (OVG Lüneburg, B.v. 12.2.2019 – 1 ME 151.18 – BeckRS 2019, 3087). Das Erstgericht hat die Dachform des geplanten Vorhabens damit auch nicht, wie die Zulassungsbegründung behauptet, als eigenständiges Einfügungskriterium behandelt, sondern ist hierauf nur in dem Zusammenhang eingegangen, ob sich aus ihr die geplanten zwei Dachgeschosse nach außen hin erkennen lassen.
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Dass die Massivität des Daches insgesamt in der Variante „Mansarddach“ – soweit nach den vorgelegten Bauvorlagen überhaupt beurteilbar – noch zunimmt, stellt die Zulassungsbegründung selbst nicht infrage. Gleiches gilt für die Einschätzung der Kammer, dass die Bauvorlagen betreffend die Variante „Mansarddach“ nur eingeschränkt geeignet seien, die gestellten Vorbescheidsfragen überhaupt beantworten zu können.
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Die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Referenzobjekt S. …straße 29/31 verfüge nach außen hin wahrnehmbar über nur ein Dachgeschoss, hat die Zulassungsbegründung nicht substantiiert infrage gestellt. Das gilt bereits deshalb, da sie auf dem Standpunkt steht, die Anzahl der Dachgeschosse lasse sich nach außen hin allein aus vorhandenen Dachgauben oder Dachflächenfenstern ableiten. Das Referenzobjekt enthält im Wesentlichen nur im unteren Dachbereich Dachgauben (Hausnummer 29) bzw. Dachflächenfenster (Hausnummer 31) und tatsächlich auch nur ein hauptgenutztes Dachgeschoss. Im Übrigen sind weder ein großes Oberlicht noch ein teilweises Flachdach vorhanden. Unabhängig hiervon hat die Zulassungsbegründung – ihre Annahme, das Dach des Referenzgebäudes wirke nach außen hin ebenfalls zweigeschossig, einmal als richtig unterstellt – nicht ausreichend dargelegt, dass sich das Referenzgebäude insgesamt als maßstabsbildend darstellt. Gebäude prägen ihre Umgebung nicht durch einzelne Maßbestimmungsfaktoren im Sinne des § 16 Abs. 2 BauNVO, sondern erzielen ihre optische maßstabsbildende Wirkung durch ihr gesamtes Erscheinungsbild (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – BVerwGE 157, 1). Insoweit geht die Zulassungsbegründung zwar davon aus, das Referenzgebäude verfüge über einen deutlich größeren Bruttorauminhalt – also eine deutlich umfangreichere Kubatur – als das geplante Gebäude. Falls dem so wäre, käme es wohl insgesamt als maßstabsbildend in Betracht. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich der von der Zulassungsbegründung errechnete deutlich höhere Bruttorauminhalt des Referenzgebäudes nur durch ein Zusammennehmen der beiden Hausnummern 29 und 31 ergibt. Zwar spricht das Verwaltungsgericht stets von „dem Referenzgebäude S. …straße 29/31“. Die Kammer hatte vor dem Hintergrund, dass sie bereits die Anzahl der Geschosse des Gebäudes S. …straße 29/31 als überschritten ansah, aber auch keinen Anlass, zwischen den Hausnummern S. …straße 29 und 31 zu differenzieren. Tatsächlich ergibt sich aus den im Gerichtsverfahren vorliegenden Plänen und aus allgemein zugänglichen Informationen („Google Maps“), dass es sich nach von außen wahrnehmbaren Kriterien bei den Hausnummern S. …straße 29 und 31 um zwei getrennte Gebäude handeln dürfte. Zwar haben die Fassaden beider Hausnummern eine einheitliche Farbgebung. Für die zur S. …straße liegenden Dachseiten trifft dies aber bereits nicht mehr zu. Gauben sind nur bei der Hausnummer 29 vorhanden; die Hausnummer 31 verfügt demgegenüber nur über Dachflächenfenster. Die Gestaltung, Anzahl und Größe der Fenster in den Fassaden ist bei beiden Hausnummern unterschiedlich. Die Dachform ist nur zur Straßenseite hin einheitlich, zur Hofseite dagegen ist zwar eine einheitliche Firsthöhe, aber eine deutlich unterschiedliche Dachneigung vorhanden. Zur Hofseite hin verfügt nur die Hausnummer 29 über Dachaufbauten. Über eine nach oben hin deutlich abgesetzte Aufzugsüberfahrt verfügt nur die Hausnummer 31. Betrachtet man beide Hausnummern getrennt, ist der jeweilige Bruttorauminhalt deutlich geringer als derjenige des geplanten Vorhabens. Im Verhältnis zum Referenzgebäude bzw. den Referenzgebäuden weist das geplante Vorhaben im Übrigen eine deutlich größere Bebauungstiefe auf, was dagegen spräche, eine etwaige Zweigeschossigkeit des Daches der Hausnummern S. …straße 29 und 31 als für das geplante Vorhaben maßstabsbildend heranzuziehen.
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Zwar können sich auch solche Vorhaben hinsichtlich der in Rede stehenden Beurteilungsmaßstäbe einfügen, die über den vorhandenen Rahmen nur unwesentlich hinausgehen (OVG Saarlouis, U.v. 8.1.1988 – 208/85 – BRS 48 Nr. 4). Bei der Überschreitung des Rahmens um ein Geschoss kann aber von einer nur unwesentlichen Überschreitung keine Rede sein. Der Annahme der Kammer, dass durch das Nichteinfügen des geplanten Vorhabens in die nähere Umgebung würden rechtliche Spannungen hervorgerufen werden, tritt die Zulassungsbegründung nicht entgegen, da sie davon ausgeht, dass der Rahmen der Umgebungsbebauung eingehalten wird.
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2. Die Rechtssache hat auch nicht die von der Zulassungsbegründung behauptete grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Frage, ob die Gestaltung eines Daches einen Rückschluss auf die darunterliegenden nach außen hin wahrnehmbaren Geschossebenen zulässt, ist einer allgemeinen Beantwortung nicht zugänglich, sondern kann nur einzelfallbezogen in Abhängigkeit von den verschiedenen Gestaltungsmerkmalen beantwortet werden. Die Frage, ob die Anzahl der Geschosse eines Gebäudes als Kriterium im Rahmen des Einfügens nach dem Maß der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB im Zweifel hinter das Zulassungsmerkmal der Höhe baulicher Anlagen zurücktreten muss, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits dahingehend beantwortet, dass dies nicht der Fall ist (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – BVerwGE 157, 1). Im Übrigen kommt es hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums des Einfügens in die nähere Umgebung stets auf eine wertende Betrachtung der verschiedenen maßstabsbildenden Faktoren insgesamt an, sodass kein allgemein verbindliches „Rangverhältnis“ der verschiedenen Einfügenskriterien gebildet werden kann.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).