Titel:
Nachbarklage gegen Baugenehmigung für fünf Wohnungen mit Stellplätzen
Normenkette:
BauNVO § 5, § 15 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Zu den Voraussetzungen eines nachbarrechtswidrigen Umschlagens von Quantität in Qualität. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Stellplätze für den durch die Wohnbebauung ausgelösten Bedarf sind grundsätzlich als sozialadäquat zu dulden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 08.12.2022 – RO 7 K 21.1664
Fundstelle:
BeckRS 2023, 4266
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selber trägt.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Kläger wendet sich gegen die Erteilung einer Baugenehmigung durch das Landratsamt C. … an den Beigeladenen.
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Mit Unterlagen vom 16. April 2021 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zur Nutzungsänderung zur Errichtung von fünf Wohnungen in einem bestehenden Wohnhaus sowie die Herstellung von sechs Stellplätzen auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung P. … (Gemeinde S. ….). Diese wurde ihm mit Bescheid des Landratsamts C. … vom 30. Juli 2021 erteilt. Hiergegen hat der Kläger, der Eigentümer des nördlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks FlNr. … Gemarkung P. … ist, Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg erhoben. Seinen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 8. Dezember 2022 abgelehnt; über die Beschwerde hiergegen (Az. 15 CS 22.2690) ist noch nicht entschieden.
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Mit Urteil vom 8. Dezember 2022 hat das Verwaltungsgericht die Klage des Klägers abgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte für ein gebietsveränderndes Umschlagen von Quantität in Qualität vorlägen und das geplante Vorhaben gegenüber dem Kläger nicht rücksichtslos sei. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht in einer Weise dargelegt, die den gesetzlichen Anforderungen gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO genügen.
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1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
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Der Kläger macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hier nicht.
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a) Der Kläger kann sich nicht auf einen Gebietsprägungserhaltungsanspruch berufen.
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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass ein Verstoß gegen den Gebietsprägungserhaltungsanspruch nicht nachvollziehbar sei, da die Nutzung von vier Einzimmerappartements und einem Zweizimmerappartement in einem vormals auch schon vorhandenen Wohngebäude, das keine Änderung hinsichtlich Lage und Kubatur erfahre, den gebietsprägenden Rahmen nicht sprenge (UA S. 6). Hiergegen ist nichts zu erinnern. Im Hinblick darauf, dass die Zahl der Wohnungen hierbei nicht relevant ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2022 – 15 CS 22.1437 – juris Rn. 17), ist ein Umschlagen von Quantität in Qualität im Zulassungsvorbringen über die bloße Behauptung hinaus weder dargelegt noch ersichtlich. Unabhängig davon, ob man einen solchen Anspruch überhaupt für denkbar hält, setzt sich der Kläger im Übrigen auch nicht damit auseinander, dass für ein behauptetes nachbarrechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren müsste, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste. Zu den (strengen) Voraussetzungen oder Fallgruppen unter denen ein solcher Ausnahmefall angenommen werden könnte (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1995 – 4 C 3.94 – juris Rn. 17), lässt sich dem Zulassungsvorbringen nichts entnehmen.
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b) Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich auch keine Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens gegenüber dem Kläger.
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Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 13.12.2022 – 15 ZB 22.2149 – juris Rn. 11). Ausgehend von diesen Grundsätzen ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das einen Verstoß des Bauvorhabens gegen das Gebot der Rücksichtnahme verneint hat.
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Der Kläger macht eine besondere Rücksichtnahmeverpflichtung des beigeladenen Bauherrn im Hinblick auf eine mögliche Errichtung eines Ladengeschäfts und eine grenznahe Errichtung eines Neubaus durch den Kläger geltend. Dies wird jedoch – weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Zulassungsverfahren – näher substantiiert oder dargelegt. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen dessen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend macht und damit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils aus einem Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts ableitet, bleibt der Antrag erfolglos. In diesen Fällen wird ein Zulassungsgrund nur dann ausreichend dargelegt, wenn dem Darlegungserfordernis der Verfahrensrüge genügt wird. Entspricht das Vorbringen diesen Anforderungen, kommt eine Zulassung nur in Betracht, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge zu einer Zulassung führen würde. Bei der Geltendmachung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2010 – 8 B 125/09 – juris Rn. 23 m.w.N.; BayVGH, B.v. 15.1.2014 – 15 ZB 12.163 – juris Rn. 4). Daran gemessen ergeben sich aus den Darlegungen der Klägerin keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, denn der anwaltlich vertretene Kläger hat auf mündliche Verhandlung verzichtet und schon keinen schriftlichen Beweisantrag gestellt. Die Aufklärungsrüge dient jedoch nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten zu kompensieren (vgl. BVerwG, B.v. 15.7.2019 – 2 B 8.19 – juris Rn. 9; B.v. 15.9.2014 – 4 B 23.14 – juris Rn. 19). Nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts musste sich diesem auch keine weitere Sachaufklärung aufdrängen (vgl. BayVGH, B.v. 6.5.2022 – 15 ZB 22.732 – juris Rn. 16).
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Soweit der Kläger die Missachtung von Abstandsregelungen geltend macht, bleibt der Vortrag unsubstantiiert und genügt nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO, zumal das Wohngebäude im Bestand unverändert bleibt und nicht an das klägerische Grundstück heranrückt. Ein Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Abstandsflächenvorschriften ist weder dargelegt und im Hinblick auf die Beibehaltung des Gebäudebestands auch nicht ersichtlich. Der vom Kläger angeführte zivilrechtlich dinglich gesicherte Bauabstand ist – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend abgestellt hat – nicht relevant (Art. 68 Abs. 5 BayBO). Die vom Kläger hiergegen geäußerte lediglich gegenteilige Ansicht genügt nicht den Darlegungsanforderungen.
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Das Verwaltungsgericht hat ferner zutreffend ausgeführt, dass die Stellplätze für den durch die Wohnbebauung ausgelösten Bedarf grundsätzlich als sozialadäquat zu dulden seien (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2022 – 15 CS 22.1750 – juris Rn. 28). Besondere Umstände für eine Ausnahme seien weder ersichtlich noch hinreichend vorgetragen. Zur Begründung stellt das Verwaltungsgericht darauf ab, dass der Abstand zwischen den Flächen für den Stellplatzverkehr und dem Wohnhaus auf dem klägerischen Grundstück im Minimum 10 m betrage, aufgrund der Vorbelastung der nahen Straße kein geschützter ruhiger Bereich vorhanden sei und keine häufigen Parkbewegungen bei zu Wohnzwecken genutzten sechs Stellplätzen und nur für einen kurzen Zeitraum zu erwarten seien (UA S. 7). Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen schon nicht auseinander, sondern stellt ausschließlich auf ein in der Zukunft mögliches, nicht weiter konkretisiertes zusätzlich errichtbares Vorhaben des Klägers auf seinem Grundstück ab. Dies genügt aber den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht.
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2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
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Abgesehen davon, dass der Kläger nichts über das zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Dargelegte hinaus vorträgt, ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen keine besonderen Schwierigkeiten im Sinne offener Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens. Die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und den Kläger genügt hierfür nicht (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2023 – 15 ZB 22.2620 – juris Rn. 21).
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3. Die Rechtssache hat auch nicht die vom Kläger geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
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Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 5 B 1.19 D – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 13.2.2023 – 15 ZB 22.2620 – juris Rn. 23). Dem genügt das Zulassungsvorbringen hier nicht.
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Die Frage, „ob eine intensivierte Wohnnutzung durch Einzelappartements in einem MD-Gebiet die Gebietsprägung tangieren kann“, rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Denn zum einen ist die Frage nicht klärungsbedürftig, da nicht dargelegt wird, dass die Anzahl der Wohnungen hier ein Merkmal ist, das für die Art der baulichen Nutzung überhaupt prägend ist (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 4.3.2021 – 15 ZB 20.3151 – juris Rn. 16; B.v. 12.7.2022 – 15 CS 22.1437 – juris Rn. 17). Im Übrigen ist die Frage auch nicht verallgemeinerungsfähig zu beantworten, da es für die Beurteilung des Umschlagens von Quantität in Qualität auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da sich der Beigeladene im Zulassungsverfahren nicht geäußert und nicht beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass dieser seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).