Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.03.2023 – 15 ZB 22.2583
Titel:

Genehmigung betreffend den Neubau eines Rathauses

Normenketten:
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BayNVO Art. 15 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interes­sen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist da­rauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Nachbar kann eine unzureichende inhaltliche Bestimmtheit (nur) geltend machen, soweit dadurch nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine erdrückende oder einmauernde Wirkung kommt regelmäßig nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage (Tektur-) Genehmigung, Neubau Rathaus, Bestimmtheit, Gebot der Rücksichtnahme, erdrückende Wirkung, Baugenehmigung, Rathaus, Neubau, Nachbarschutz, Rücksichtsnahme, Gebot, Baukörper
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 19.07.2022 – RN 6 K 20.2715
Fundstellen:
DWW 2023, 153
BeckRS 2023, 4265
LSK 2023, 4265

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen vom Landratsamt Kelheim erteilte Genehmigung betreffend den Neubau des Rathauses der Beigeladenen.
2
Mit Unterlagen vom 11. Februar 2020 beantragte die Beigeladene eine Änderung zu der ihr mit Bescheid vom 12. Juni 2017 erteilten Baugenehmigung zum Neubau ihres Rathauses, Abschnitt D. …straße …, FlNr. …  Gemarkung A. …, da anlässlich einer Baukontrolle eine planabweichende Bauausführung im Hinblick auf die Errichtung von vier Dachgauben festgestellt wurde. Das Landratsamt Kelheim erteilte hierzu mit Bescheid vom 7. Oktober 2020 die Genehmigung.
3
Der Kläger ist Eigentümer des an das bestehende Rathaus auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung A. … westlich angrenzenden Grundstücks FlNr. … Gemarkung A. … Der Neubau auf den Grundstücken FlNr. ... und … Gemarkung A. … befindet sich südlich des klägerischen Grundstücks sowie des bestehenden Rathausgebäudes und ist mit einem Überbau über die dazwischenliegende E. …gasse, FlNr. … Gemarkung A. …, mit dem Bestandsgebäude des Rathauses auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung A. … verbunden. Die Klage des Klägers gegen den Bescheid vom 7. Oktober 2020 wies das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 19. Juli 2022 ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Baugenehmigung nicht unbestimmt sei und das Gebot der Rücksichtnahme wegen Lärmimmissionen nicht verletzt werde. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Es bestehen weder die vom Kläger geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
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1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
7
Der Kläger macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hier nicht.
8
a) Das Verwaltungsgericht stellt darauf ab, dass allein dadurch, dass das Landratsamt von einem Tekturantrag bzw. einer Tekturgenehmigung ausgegangen ist, der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt sei (UA S. 9 f.). Der Kläger könne sich grundsätzlich nicht auf eine Verletzung formeller Vorschriften berufen (UA S. 11). Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht entgegen. Die bloße Darlegung der Rechtsauffassung des Klägers, dass es sich bei der Genehmigung vom 7. Oktober 2020 nicht um eine Tekturgenehmigung, sondern um eine „vollwertige“ Baugenehmigung handle, zeigt keine Rechtsverletzung hierdurch auf.
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b) Soweit der Kläger die Bestimmtheit der Baugenehmigung vom 7. Oktober 2020 beanstandet, bleibt der Antrag erfolglos.
10
Eine Baugenehmigung muss hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Sie muss – gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung – das genehmigte Vorhaben, insbesondere Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung, eindeutig erkennen lassen, damit die am Verfahren Beteiligten (vgl. Art. 13 Abs. 1 BayVwVfG) die mit dem Genehmigungsbescheid getroffene Regelung nachvollziehen können. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Was Gegenstand der Baugenehmigung sein soll, bestimmt der Bauherr durch seinen Bauantrag. Der Inhalt der (erlassenen) Baugenehmigung ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch in Bezug genommene Bauvorlagen und sonstige Unterlagen. Wird in der Baugenehmigung auf den Antrag oder auf bestimmte Antragsunterlagen verwiesen, ist die Baugenehmigung hinreichend bestimmt, wenn es der Antrag oder die in Bezug genommenen Antragsunterlagen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft, wenn also wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen bzw. mangels konkretisierender Inhalts- oder Nebenbestimmungen der Gegenstand und / oder der Umfang der Baugenehmigung und damit des nachbarlichen Störpotenzials bei deren Umsetzung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann. Ein Nachbar kann somit eine unzureichende inhaltliche Bestimmtheit (nur) geltend machen, soweit dadurch nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 11.1.2022 – 15 CS 21.2913 – juris Rn. 23 m.w.N.).
11
Der Kläger ist der Ansicht, dass der Inhalt der Genehmigung allein aus dem angefochtenen Bescheid vom 7. Oktober 2020 nicht verständlich sei. Die vom Kläger beanstandete Bezugnahme auf die Baugenehmigung vom 12. Juni 2017 führt jedoch nicht zur Unbestimmtheit der Baugenehmigung vom 7. Oktober 2020; die Bezugnahme ist insoweit klar und eindeutig. Auf die – behauptete fehlende – subjektive Kenntnis des Klägers von der Genehmigung vom 12. Juni 2017 kommt es für die Frage der Bestimmtheit gar nicht an.
12
Das Verwaltungsgericht hat ferner ausgeführt, dass der Kläger zweifelsfrei feststellen könne, ob und in welchem Umfang er von dem Bauvorhaben betroffen sei (UA S. 13). Die Baugenehmigung lege zudem reduzierte Immissionsrichtwerte fest (UA S. 14 f.). Dass diese als Nebenbestimmungen im Bescheid vom 7. Oktober 2020 angesetzten Immissionsrichtwerte im regelmäßigen Betrieb entgegen der Prüfung und Stellungnahme der Umweltingenieurin des Landratsamts vom 6. August 2020 nicht eingehalten werden könnten, lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen. Schließlich hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass sich schutzwürdige Räume nur in dem in Richtung S. …platz orientierten Teil des Hauses des Klägers befänden, weshalb auch bei einer angenommenen Unbestimmtheit der Genehmigung vom 7. Oktober 2020 eine Verletzung drittschützender Rechte aufgrund der Entfernung ausgeschlossen werden könne. Hiermit setzt sich der Kläger nicht auseinander.
13
c) Das Bauvorhaben ist gegenüber dem Kläger auch nicht rücksichtslos.
14
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen (UA S. 11), dass dem Gebot der Rücksichtnahme drittschützende Wirkung zukommt, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 13.12.2022 – 15 ZB 22.2149 – juris Rn. 11). Danach kommt eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens nicht in Betracht.
15
(1) Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass auch schon vor Errichtung des Gebäudekomplexes Rathaus Abschnitt D. …straße … nach dem „Vorher-Nachher“-Vergleich des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) B. … eine Befahrung der E. …gasse mit Rettungs- und Versorgungsfahrzeugen üblicher Bauart nicht möglich gewesen sei (UA S. 20). Hierauf geht das Zulassungsvorbringen nicht ein.
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(2) Die vom Kläger geltend gemachte erdrückende Wirkung des Bauvorhabens liegt nicht vor.
17
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen (UA S. 18), dass eine erdrückende oder einmauernde Wirkung regelmäßig nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2022 – 15 CS 22.1750 – juris Rn. 31). Eine derartige Situation lässt sich aber weder dem Zulassungsvorbringen noch den genehmigten Plänen, den vorliegenden Luftbildern oder den vom Verwaltungsgericht im gerichtlichen Augenschein gefertigten Lichtbildern entnehmen. Das Verwaltungsgericht hat zudem die konkrete örtliche Situation und die Bebauung sowie die Nutzung auf dem klägerischen Grundstück bewertet. Es hat hierbei ausgeführt, dass sich die Wohn- und Geschäftsräume im Gebäude des Klägers in ca. 15 m Entfernung vom streitgegenständlichen Gebäude der Beigeladenen in Richtung S. …platz befänden und sich im rückwärtigen, zweigeschossigen Bereich neben dem Zugangsbereich lediglich ein Lager befinde. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander. Angesichts der bestehenden engen Innenstadtsituation lässt sich den vorliegenden Lageplänen, Licht- und Luftbildern bei einer Gesamtschau der örtlichen Gegebenheiten nicht entnehmen, dass das Bauvorhaben derart übermächtig erscheint, dass das Gebäude des Klägers auf der gegenüberliegenden Seite der E. …gasse nur noch oder überwiegend wie eine von einem herrschenden Grundstück dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2022 – 15 CS 22.1033 – juris Rn. 18).
18
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
19
Abgesehen davon, dass der Kläger nichts über das zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Dargelegte hinaus vorträgt, ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen keine besonderen Schwierigkeiten im Sinne offener Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens. Die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und den Kläger (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2023 – 15 ZB 22.2620 – juris Rn. 21) genügt hierfür ebenso wenig, wie die bloße Behauptung das normale Maß übersteigender Schwierigkeiten.
20
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene im Zulassungsverfahren einen die Sache förderlichen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass diese ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält.
21
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
22
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).