Titel:
Erlass einer Veränderungssperre und eines Beschlusses zur Aufstellung eines Bebauungsplans durch den Bürgermeister
Normenketten:
BayGO Art. 37 Abs. 3 S. 1
VwGO § 47 Abs. 6
BauGB § 14
Leitsätze:
1. Zu den dringlichen Anordnungen, die der erste Bürgermeister anstelle des Gemeinderats oder eines Ausschusses treffen kann, gehört auch der Erlass einer Satzung. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der erste Bürgermeister ist befugt, den Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans zu fassen und eine Veränderungssperre zu erlassen, wenn ein erheblicher Nachteil für die Planungshoheit der Gemeinde dadurch droht, dass die Erteilung der Baugenehmigung für ein Vorhaben unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens unmittelbar bevorsteht und das Vorhaben nicht mit den gemeindlichen Planungsvorstellungen übereinstimmt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrolleilantrag gegen Veränderungssperre, Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan und Erlass einer Veränderungssperre durch eine dringliche Anordnung des ersten Bürgermeisters, dringliche Anordnung, Organkompetenz, Bürgermeister, Veränderungssperre, Aufstellungsbeschluss
Fundstelle:
BeckRS 2023, 4254
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 15.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Antragstellerin wendet sich gegen die vom Antragsgegner am 28. September 2022 beschlossene und am 29. September 2022 bekanntgemachte Veränderungssperre.
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Sie ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung R. …, für das ihr am 6. Juli 2021 ein bestandskräftiger Vorbescheid für die Errichtung von fünf Einfamilienhäusern nebst Garagen/Carport erteilt wurde. Zu ihrem Bauantrag, der nunmehr die Errichtung von drei Doppelhäusern und zwei Einfamilienhäusern mit Garage und Stellplätzen vorsieht, verweigerte der Antragsgegner mit Beschluss vom 17. Januar 2022 das gemeindliche Einvernehmen. Das Landratsamt legte der Gemeinde mit Schreiben vom 12. September 2022 den nunmehr aus fünf Einzelbauanträgen bestehenden Bauantrag erneut vor und teilte mit der Bitte um Erteilung des Einvernehmens mit, dass sich die beantragte Bebauung in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Gleichzeitig wurde zur Ersetzung des Einvernehmens angehört.
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Der Bau- und Umweltausschuss des Antragsgegners versagte in der Sitzung vom 26. September 2022 das Einvernehmen. Das Vorhaben füge sich hinsichtlich der Bebauungsdichte und der verbleibenden Freiflächen, u.a. verursacht durch die Anzahl der Wohneinheiten und die hierfür erforderlichen Stellplätze, nicht ein. In der Sitzung wurde ein Antrag zur Geschäftsordnung bezüglich der Aufstellung eines Bebauungsplans sowie des Erlasses einer Veränderungssperre angenommen.
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Am 28. September 2022 beschloss die erste Bürgermeisterin im Wege einer Anordnung nach Art. 37 Abs. 3 GO die Aufstellung des Bebauungsplans „D. … V y – R. …weg/R. …straße (Ortsteil R. ...) sowie den Erlass einer Veränderungssperre. Der Geltungsbereich umfasst unter anderem das Grundstück FlNr. … Die Bekanntmachung erfolgte jeweils am 29. September 2022. Zu den Planungszielen wurde ausgeführt, dass der ca. 3 ha große Bereich durch eine sehr zurückhaltende, überwiegend lockere Einfamilienhausbebauung und zum Teil dichten Baumbestand geprägt sei. Dieser besondere Gebietscharakter solle erhalten werden. Wesentliche Planungsziele seien daher eine sensible Nachverdichtung unter Berücksichtigung der Bebauung in der Umgebung, Erhalt des prägenden Baumbestands und die Einhaltung der Vorzonen vor Garagen. Als Art der baulichen Nutzung werde ein reines Wohngebiet vorgesehen; es seien maximal eine Wohneinheit je angefangener 600 m² Grundstücksfläche sowie maximal zwei Vollgeschosse zulässig; die GRZ solle 0,20 betragen. Zur Begründung der Eilentscheidung wurde ausgeführt, das Landratsamt habe am 27. September 2022 mitgeteilt, dass es bis zum 30. September 2022 eine Entscheidung über die Bauanträge treffen und das gemeindliche Einvernehmen ersetzen werde. Um dies zu verhindern, müsse umgehend der Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan gefasst und eine Veränderungssperre erlassen werden. Es verbleibe keine Zeit, um eine Sitzung des zuständigen Bauausschusses einzuberufen. Die erste Bürgermeisterin treffe daher die Beschlüsse im Eilverfahren nach Art. 37 Abs. 3 GO.
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Am 19. Oktober 2022 beantragte die Antragstellerin,
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die Satzung über eine Veränderungssperre vom 28. September 2022, bekannt gemacht am 29. September 2022, für den Bereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans „D. … V y – R. …weg/R. …straße“ bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen.
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Der Normenkontrolleilantrag sei zulässig und begründet. Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung sei zur Abwehr schwerer Nachteile sowie aus anderen Gründen dringend geboten. Für die Antragstellerin, die konkrete Nutzungsabsichten für das Eigentum habe, sei nur durch die Außervollzugsetzung der Satzung gesichert, dass im bauaufsichtlichen Verfahren gestellte Anträge nach § 34 BauGB geprüft würden. Die Veränderungssperre sei unwirksam. Die erste Bürgermeisterin sei nicht zuständig. Die Voraussetzungen einer dringlichen Anordnung nach Art. 37 Abs. 3 GO hätten nicht vorgelegen. Der Erlass der Veränderungssperre stelle eine die künftige Wahrnehmung der Planungshoheit sichernde Handlung des Antragsgegners dar und sei damit als wesentliche Ausprägung der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie von erheblicher Bedeutung. Auch im Hinblick auf den Entscheidungsspielraum, der bei der Rechtsetzung im Allgemeinen bestehe, dürfe die erste Bürgermeisterin dem Gemeinderat nur beim Vorliegen gewichtiger Gründe vorgreifen. Die Anforderungen an die Dringlichkeit hingen von der Bedeutung der Sache ab. Je größer der Gestaltungsspielraum der Gemeinde und das Gewicht der Sache sei, desto weniger komme eine Entscheidung durch den ersten Bürgermeister in Betracht. Der Gemeinde stehe es als Ausprägung der Planungshoheit frei, ob und mit welchem Inhalt sie einen Aufstellungsbeschluss fasse. Dies betreffe sowohl den räumlichen Umgriff als auch die Planungsziele. Auf Grund des weiten Gestaltungsspielraums bedürfe ein Planaufstellungsbeschluss einer Befassung durch den Gemeinderat. Die Entscheidungsbefugnis über die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde übersteige die Kompetenz des Bürgermeisters als einzelnes Organ der Gemeindeverwaltung. Dies gelte umso mehr, wenn der Entscheidungsspielraum nicht bereits durch einen vorhergehenden Beschluss des Gemeinderats vorgegeben sei, sondern der Bürgermeister erstmals im Aufstellungsbeschluss selbst den Geltungsbereich sowie inhaltlich konkrete Planungsziele definiere. Zudem fehle es hier an der Erforderlichkeit der Eilentscheidung durch die Bürgermeisterin, weil ohne die dringliche Anordnung keine gewichtigen Nachteile für die Gemeinde oder Dritte entstünden. Die durch den bestandskräftigen Vorbescheid vorgezeichnete Nachverdichtung sowie der Versiegelungsgrad seien von dem Antragsgegner ohnehin nicht mehr zu verhindern. Ihr Vorhaben unterscheide sich insbesondere im Hinblick auf die Grundfläche nicht wesentlich von der dem Vorbescheid zu Grunde liegenden Planung.
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Der Antragsgegner beantragte,
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Die Antragstellerin zeige bereits keinen schweren Nachteil auf, der die Außervollzugsetzung der Satzung begründen würde. Ein Normenkontrollantrag werde aber auch in der Sache keinen Erfolg haben, da die Veränderungssperre wirksam sei. Der Erlass der Veränderungssperre sei von der Eilerlassbefugnis der ersten Bürgermeisterin gedeckt. Die Angelegenheit sei sowohl eilbedürftig als auch dringlich gewesen. Der für das Grundstück der Antragstellerin erteilte Vorbescheid für die Errichtung von fünf Einfamilienhäusern lasse die Erforderlichkeit der durch die erste Bürgermeisterin getroffenen Eilentscheidung nicht entfallen. Ziel des Bebauungsplans sei es, die vorhandene Gebietsstruktur, bestehend aus überwiegend lockerer Einfamilienhausbebauung mit zum Teil dichten Baumbestand zu erhalten und lediglich eine sensible Nachverdichtung unter Berücksichtigung der Bebauung in der Umgebung und Erhalt des prägenden Baumbestands zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang werde u.a. auch die Anzahl der Wohneinheiten begrenzt, um eine übermäßige Versiegelung der Freiflächen durch Garagen, Stellplätze und ihre Zufahrten zu vermeiden. Ihm sei bewusst, dass der bestandskräftige Vorbescheid bereits eine erhebliche Nachverdichtung auf dem Grundstück zulasse, er möchte aber mit der Aufstellung des Bebauungsplans und dem Erlass einer Veränderungssperre verhindern, dass eine darüberhinausgehende Nachverdichtung erfolge. Hierzu sei der Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans und der Erlass einer Veränderungssperre dringend erforderlich, um eine Genehmigung der beantragten Vorhaben zu verhindern.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Normaufstellungsakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin gemäß § 47 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Danach kann einen Normenkontroll(eil)antrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Das ist hier der Fall, da die Veränderungssperre bewirkt, dass in ihrem Geltungsbereich – und damit auch auf dem Grundstück der Antragstellerin – grundsätzlich Vorhaben im Sinn des § 29 BauGB nicht durchgeführt werden dürfen. Damit schränkt sie die aus dem Eigentumsrecht folgenden Nutzungsmöglichkeiten ein und berührt die aus Art. 14 Abs. 1 GG folgende Rechtsposition. Der Antragstellerin fehlt auch nicht das erforderliche Rechtschutzbedürfnis. Dieses würde dann fehlen, wenn sich die Inanspruchnahme des Gerichts als für den Rechtschutzsuchenden nutzlos oder als rechtsmissbräuchlich erweist oder er sein Ziel anderweitig leichter erreichen kann. Dies ist nicht der Fall. Der Zulässigkeit des Antrags steht hier nicht entgegen, dass die Antragstellerin auch Rechtschutz durch die Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Baugenehmigung verfolgen kann und dabei auch die planungsrechtlichen Grundlagen Gegenstand gerichtlicher Prüfung werden können. Denn der Genehmigung der Bauanträge steht vorliegend insbesondere die beschlossene Veränderungssperre entgegen. Auch der Umstand, dass die Antragstellerin den Normenkontrollantrag in der Hauptsache noch nicht gestellt hat, lässt das Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag nicht entfallen. Die Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO setzt nicht voraus, dass das Hauptsacheverfahren bereits anhängig ist (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2020 – 1 NE 20.333 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 17.1.2014 – 2 B 1367/13 NE – BauR 2014, 1430). Die Antragstellerin kann den Antrag in der Hauptsache noch innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO stellen.
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2. Der Antrag ist unbegründet.
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Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. § 47 Abs. 6 VwGO stellt an die Aussetzung einer Norm erheblich strengere Anforderungen als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt (vgl. BVerwG, B.v. 18.5.1998 – 4 VR 2.98 – NVwZ 1998, 1065). Prüfungsmaßstab bei einem Bebauungsplan sind die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages in der Hauptsache. Erweist sich, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange der Antragstellerin, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für die Antragstellerin günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – BauR 2015, 968). Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (BVerwG, B.v. 30.4.2019 – 4 VR 3.19 – juris Rn. 4).
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Gemessen an diesen Maßstäben begegnet der Erlass der Veränderungssperre nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
17
Die Organkompetenz der ersten Bürgermeisterin zum Erlass der Veränderungssperre bzw. des Aufstellungsbeschlusses ergibt sich aus Art. 37 Abs. 3 Satz 1 GO. Nach dieser Vorschrift kann der erste Bürgermeister an Stelle des Gemeinderats oder eines Ausschusses dringliche Anordnungen treffen und unaufschiebbare Geschäfte erledigen. Dabei erstreckt sich die Befugnis des Art. 37 Abs. 3 Satz 1 GO auf sämtliche Angelegenheiten, für die sonst der Gemeinderat oder ein Ausschuss zuständig ist, sodass auch der Erlass einer Satzung Gegenstand einer Anordnung nach Art. 37 Abs. 3 Satz 1 GO sein kann (vgl. BayVGH, B.v. 14.7.2006 – 1 N 05.300 – BayVBl 2007, 239). Dasselbe gilt für einen Aufstellungsbeschluss, der im Verhältnis zu einem Satzungsbeschluss ein Minus darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 15.9.2015 – 1 CS 15.1536 – juris Rn. 20).
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Der Erlass der Veränderungssperre sowie des Aufstellungsbeschlusses waren hier sachlich und zeitlich dringlich.
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Eine Angelegenheit ist dringlich, wenn eine spätere Entscheidung des an sich zuständigen Organs nicht abgewartet werden kann, weil dieses auf Grund des Zeitablaufs nicht mehr oder nicht mehr ebenso entscheiden könnte, wodurch der Gemeinde Nachteile entstünden. Dabei ist die Dringlichkeit einer Anordnung in zeitlicher Hinsicht nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Anordnung zu beurteilen. Es ist unerheblich, ob die Sache infolge eines Versäumnisses der Gemeinde eilbedürftig geworden. Die Anforderungen an die Dringlichkeit bzw. Unaufschiebbarkeit hängen von der Bedeutung der Sache ab. Je gebundener und unbedeutender die Angelegenheit ist, desto eher kann sie im Wege einer dringlichen Anordnung geregelt werden; je größer der Gestaltungsspielraum der Gemeinde und das Gewicht der Sache sind, desto weniger kommt eine Entscheidung durch den ersten Bürgermeister in Betracht. Diese Gesetzesauslegung folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip; je bindender die Rechtsfolgen der Handlung sind, desto dringender muss sie sein, um vom Bürgermeister vorgenommen werden zu dürfen (vgl. insgesamt: BayVGH, B.v. 13.8.2014 – 22 CS 14.1224 – BayVBl 2015, 91).
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Hieran gemessen ist die Dringlichkeit und Unaufschiebbarkeit unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit gewahrt.
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Der Erlass einer Veränderungssperre sowie der Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans war zur Sicherung der gemeindlichen Planungsabsichten zeitlich dringlich, da eine Entscheidung des Landratsamts über den Bauantrag bis 30. September 2022 unmittelbar bevorstand und die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens angekündigt war. Für eine erneute Ausschusssitzung stand unter Berücksichtigung der in § 25 der Geschäftsordnung des Marktgemeinderats festgelegten (abgekürzten) Ladungsfristen kein ausreichender Zeitraum zur Verfügung.
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Die Angelegenheit war auch in der Sache dringlich. Zwar sind beim Erlass einer Satzung im Weg einer Anordnung nach Art. 37 Abs. 3 Satz 1 GO grundsätzlich strenge Anforderungen an die Dringlichkeit in sachlicher Hinsicht zu stellen, da der Erlass von Rechtsvorschriften in der Regel eine Angelegenheit von besonderem Gewicht ist. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den Entscheidungsspielraum, der bei der Rechtssetzung im Allgemeinen besteht, sodass der erste Bürgermeister dem Gemeinderat bzw. dem zuständigen Ausschuss nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Gründe vorgreifen darf. Allerdings handelt es sich bei einer Veränderungssperre nur um eine Sicherungsmaßnahme mit einer kraft Gesetzes zeitlich begrenzten Geltungsdauer (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Zudem ist der Inhalt der Satzung durch § 14 Abs. 1 und 2 BauGB weitgehend festgelegt. Ein Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan entfaltet unmittelbar keine Regelungswirkung, sondern ist nur materiell-rechtliche Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Veränderungssperre (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2007 – 4 C 9.07 – BVerwGE 113, 113), insbesondere ist die Gemeinde im weiteren Aufstellungsverfahren nicht an die im Aufstellungsverfahren formulierten Ziele gebunden. Es steht dem Gemeinderat bzw. zuständigen Ausschuss frei, den Planungsumgriff oder die Planungsziele im weiteren Aufstellungsverfahren anzupassen.
23
Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten war die erste Bürgermeisterin – insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Erlass der Veränderungssperre sowie die Aufstellung eines Bebauungsplans bereits Gegenstand der Willensbildung des zuständigen Ausschusses waren – befugt, den Aufstellungsbeschluss zu fassen und die Veränderungssperre zu erlassen, da ein erheblicher Nachteil für die Planungshoheit des Antragsgegners drohte. Die Erteilung der Baugenehmigung für die Vorhaben der Antragstellerin unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens stand unmittelbar bevor. Dass diese Vorhaben nicht mit den gemeindlichen Planungsvorstellungen übereinstimmen, ergibt sich aus dem Beschluss des Bau- und Umweltausschusses der Antragsgegnerin vom 26. September 2022, mit dem das Einvernehmen insbesondere mit Blick auf die Bebauungsdichte und die Anzahl der Wohneinheiten und der hierdurch bedingten Stellplätze verweigert wurde. Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, dass die Veränderungssperre nicht geeignet sei, Nachteile von dem Antragsgegner abzuwenden, da sich aufgrund des Vorbescheids die bereits vorgezeichnete Nachverdichtung und der Versiegelungsgrad nach § 14 Abs. 3 BauGB ohnehin nicht mehr verhindern lasse. Unabhängig davon, dass sich dies anhand der von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen nicht vollumfänglich nachvollziehen lässt, lässt sie unberücksichtigt, dass Ziel der Planung insbesondere der Erhalt der vorhandenen Gebietsstruktur bestehend aus überwiegend lockerer Einfamilienhausbebauung ist. Dieses Ziel und die damit einhergehende Begrenzung der Versiegelung der Freiflächen durch Garagen, Stellplätze und ihre Zufahrten ist durch die Festsetzung der maximal zulässigen Anzahl der Wohneinheiten auch weiterhin realisierbar. Weiter ohne Belang ist der Vortrag der Antragstellerin, dass der Antragsgegner zu einem Vorhaben auf dem in der Nähe gelegenen Grundstück FlNr. … sein Einvernehmen erteilt habe, obwohl dort eine deutlich dichtere Bebauung vorgesehen sei. Bereits aus dem von der Antragstellerin vorgelegten Lageplan ergibt sich für den Baurechtskundigen unzweifelhaft, dass entlang der Hauptstraße eine andere Siedlungsstruktur vorliegt. Im Übrigen liegt es in der Planungshoheit der Gemeinde, den Umgriff eines Bebauungsplans sowie einer Veränderungssperre festzulegen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 und 8 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.8.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da hier die Entscheidung in der Sache vorweggenommen wird, ist eine Anhebung auf den in der Hauptsache festzusetzenden Streitwert angemessen.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).